Der begrenzte Planet und die unbegrenzte Wirtschaft - Heiner Flassbeck - E-Book

Der begrenzte Planet und die unbegrenzte Wirtschaft E-Book

Heiner Flassbeck

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Beschreibung

Mit einer Brutalität ohnegleichen hat sich der Mensch die Natur untertan gemacht. Die Folgen bekommen wir gerade heftig zu spüren. Vieles steht auf dem Spiel. Manche sagen, es gehe um alles. Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind klar und nicht zu widerlegen: Auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen ist unbegrenztes Wachstum mit fortdauerndem Ressourcenverbrauch nicht machbar. Heiner Flassbeck benennt die Probleme und Herausforderungen, denen wir uns im 21. Jahrhundert stellen müssen. Und er zeigt konkret, wie wir Ökologie und Ökonomie versöhnen können.

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Ebook Edition

Heiner Flassbeck

Der begrenzte Planet und die unbegrenzte Wirtschaft

Lassen sich Ökonomie und Ökologie versöhnen?

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www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-809-9

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2020

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Titel
Was auf dem Spiel steht
1 Paris, Madrid und die Freitage
War Paris die Wende?
Von Paris nach Madrid über Bonn
Fridays for Future
Wirtschaftspolitischer Dilettantismus
Degrowth und Bescheidenheit
Der Roboter, die Arbeitsplätze und die Grundbedürfnisse
Wachstum, Wachstum über alles?
II. Deutschland als Vorbild?
Ein deutsches Wunder?
Dunkelflaute
Klimaleugner und Heuchler
Müssen sich Windräder dem Markt stellen?
Wenn alles Klimawandel ist, ist Klimawandel nichts mehr
III. Worum es eigentlich geht: Ökologie versus Ökonomie?
Wachstum als Krisenlösung?
Externe Effekte
Was kostet der Umweltschutz?
Was würde ein gutmeinender Diktator tun?
Preissignale sind unumgänglich
Der reale Ölpreis
Wie steuert man die Preise?
Wie kann man andere Länder überzeugen?
IV. Was zu tun ist
Die deutsche Energiewende und die globale Klimapolitik
Ist der Diesel das Problem?
Endlich vollständig erneuerbar?
Ein großer Schritt für Deutschland, ein kleiner für die Menschheit
Wie groß ist der deutsche Beitrag?
Kinder an die Macht?
Klimaschutz wird wehtun
Ist die Lösung grüne Politik?
Klimawandel und das Wirtschaftssystem
Klimawandel – wer agiert und wer agiert global?
V. Wie es weitergehen könnte
Anmerkungen

Was auf dem Spiel steht

Vieles steht auf dem Spiel. Manche sagen, es gehe um alles. In der Tat geht es um die Frage, ob eine wachsende und nach Wohlstand gierende Menschheit in der Lage ist, sich auf einem begrenzten Planeten so einzurichten, dass auch die den Menschen umgebende und für sein eigenes Überleben unabdingbare Natur eine Chance hat. Doch es geht auch darum, ob das »Einrichten der Menschen« in Übereinstimmung zu bringen ist mit demokratischen Prozessen und mit einer Wirtschaft, die der großen Mehrheit der Menschen bei einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung eine Chance gibt, ihre persönlichen Lebensumstände zu verbessern. Gelingt Letzteres nicht, wird es global gesehen keine demokratischen Mehrheiten für die massive Veränderung der Lebensumstände geben, die in jedem Fall notwendig ist, um die Menschheit auf einen naturverträglichen Pfad zu führen.

Die Einsichten der Naturwissenschaftler sind klar und nicht zu widerlegen. Sie verweisen zu Recht darauf, dass es auf einem begrenzten Planeten mit begrenzten Ressourcen nun einmal nicht unbegrenztes Wachstum und fortdauernden Ressourcenverbrauch geben könne. Drei Erden, so die Wachstumskritiker, brauche man, wenn die Menschheit noch hundert Jahre so weitermache. Da es die offensichtlich nicht gebe, müsse man sofort umkehren, weil sonst die Schäden, die der Mensch diesem Planeten zufüge, nicht wiedergutzumachen seien.

Auch die menschliche Bevölkerung, das scheint aus naturwissenschaftlicher Sicht ebenso offensichtlich, könne nicht unbegrenzt weiterwachsen. Ob der Planet mehr als zehn Milliarden Menschen verkraften kann, ist zumindest eine sehr offene Frage. Doch auch mit dieser Feststellung ist nichts gewonnen. Wer soll und muss sich anpassen? Um diese Frage geht es, und sie ist nicht leicht zu beantworten. Westlich-nördliche Vorstellungen davon, wie man »die Entwicklungsländer« davon »überzeugt«, in geringerem Maße auf Bevölkerungswachstum zu setzen, sind jedenfalls völlig fehl am Platz. Auch hier kann man den ärmeren Ländern nicht verweigern, das zu tun, was die entwickelten Länder vorgemacht haben, nämlich genau den Zeitpunkt anzustreben, bei dem sich das Bevölkerungswachstum abflacht, weil ein gewisser Lebensstandard erreicht wurde.

Gleichwohl sind die naturwissenschaftlichen Argumente insgesamt überzeugend. Wenn der letzte Liter Öl aus dem Wüstensand gekratzt und der letzte Zentner Kohle gehoben ist, kann niemand die fossilen Rohstoffe zurückholen, die sich über Milliarden von Jahren gebildet haben. Niemand kann sie recyceln und von Neuem verbrauchen. Das Gesetz der Entropie hat sich ihrer bemächtigt. Zwar sind die Stoffe noch da, aber nie mehr in einer Form, die für den Menschen nutzbar ist. Auch viele andere Materialien werden früher oder später so in menschliche Produkte und Konstruktionen eingebunden sein, dass sie nur mit wirtschaftlich nicht zu vertretenden Kosten zurückgewonnen werden könnten. Selbst Sand, der sich zum Bauen eignet, ist schon heute auf dieser Erde knapp.

Die Angst vor den Folgen rasanter menschlicher Wirtschaftsaktivität ist nicht neu. Schon in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts schrieb Kenneth Boulding, ein Ökonom, über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Planeten Erde und warnte vor der Endlichkeit der Ressourcen. In den Siebzigerjahren war es der Club of Rome, der eine Studie anstieß, die »Grenzen des Wachstums« postulierte und von vielen als der Beginn der grünen Bewegung angesehen wird. Seit den Neunzigerjahren ist es die Klimaforschung, die vor den Folgen eines ungehemmten Ausstoßes von CO2 warnt und für die nächsten Jahrzehnte eine Erwärmung des Planeten Erde vorhersagt, die ungeahnt negative Folgen für die Menschheit haben könnte.

Kein vernünftiger Mensch kann bestreiten, dass der Homo sapiens (der wissende Mensch) bis heute schon mit seinem Planeten in einer Art und Weise umgesprungen ist, die nur pathologisch genannt werden kann. Mit einer Brutalität ohnegleichen hat er sich die Natur untertan gemacht, hat die Landschaft nach seinen Wünschen geformt, die Natur zurückgedrängt, unzählige Tierarten ausgerottet und selbst vor den gewaltigen Meeren hat seine Zerstörungsgewalt nicht haltgemacht. Ermöglicht hat das die Verfügbarkeit von Energie, in erster Linie die leichte Verfügbarkeit von fossilen Energieträgern.

Nicht zu vergessen jedoch, dass er auch mit seinesgleichen über die Jahrtausende nicht zimperlich umgesprungen ist. Erst die Erfindung von Waffen mit dem Potential, die halbe Menschheit in kurzer Zeit zu vernichten, hat die großen Konflikte, denen früher Millionen von Menschen zum Opfer fielen, zu einem zu großen Risiko werden lassen. Andererseits ist die Kraft des Atoms im globalen Maßstab bisher die einzige breit verfügbare Form der Energie geworden, die nicht auf der Verbrennung fossiler Reserven beruht.

Und doch, obwohl das alles vollkommen unbestreitbar ist, gibt es keinen einfachen Weg zurück. Ja, es gibt nicht einmal einen einfachen Weg zum Stillstand, zu einem Zustand also, bei dem wenigstens nicht immer mehr verbraucht, zerstört und unwiederbringlich vernichtet wird. Genau von diesem Paradox, dieser unerträglichen Spannung zwischen dem Wollen und Müssen auf der einen Seite und dem Tun auf der anderen Seite, handelt das vorliegende Buch. Es versucht zu erklären, warum die Menschheit kollektiv und offenbar systematisch vor der Aufgabe versagt, sich an die Begrenzungen, die von einer endlichen Erde gefordert werden, anzupassen.

Nun hat die Welt den größten wirtschaftlichen Schock erlebt, den man sich zu Friedenszeiten vorstellen kann, und die Klimadebatte ist vorübergehend verstummt. Der von den Regierungen der meisten Länder der Welt verordnete Stillstand der Wirtschaft, um die Verbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen, hat ungeahnt dramatisch negative Auswirkungen auf die Wirtschaftstätigkeit und dürfte die Klimabewegung für viele Jahre zurückwerfen. Ja, zurückwerfen und nicht fördern!

Zwar gibt es einige, die glauben, die Mehrheit der Menschen habe während des Stillstandes gesehen, wie schön die Welt sein könnte, wenn alles weniger hektisch und aufgeregt abläuft und am Himmel keine Kondensstreifen von Flugzeugen zu sehen sind. Doch das ist ein grandioser Irrtum. Diejenigen, die den Stillstand genossen haben, vergessen einfach die anderen, die durch den Stillstand in existentielle Nöte gestürzt worden sind, seien es Unternehmer, die ihre Firmen nicht retten konnten, seien es Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz verloren haben.

Der Corona-bedingte Stillstand, der vom Staat verordnet wurde und dessen Auswirkungen vom Staat mit gewaltigen Summen gedämpft werden sollen, wird in die Geschichte eingehen als das klassische Beispiel dafür, wie die Staaten mit einseitigen Eingriffen in die Wirtschaft Unglück und Arbeitslosigkeit erzeugen, ohne dass die Regierungen wirklich in der Lage wären – selbst unter Einsatz gewaltiger Summen –, das Schlimmste zu verhindern. Jeder, der in Zukunft mit der Forderung kommt, eine wirtschaftliche Tätigkeit müsse vom Staat unterbunden werden, weil sie schädlich für das Klima und die Umwelt ist, wird sich mit dem Corona-Schock und seinen Folgen konfrontiert sehen.

Arbeitslosigkeit, das ist die entscheidende Botschaft dieses Buches, ist sozusagen der natürliche Gegner der Umweltbewegung. Wer den Menschen einen Strukturwandel abverlangen will, der viele einzelne Arbeitsplätze kostet, muss in der Lage sein, an anderer Stelle so viele neue Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, dass der Wandel für die Masse der Menschen erträglich wird. Das wirtschaftspolitische Versagen der Regierungen in der Coronakrise und der darauffolgende Anstieg der Arbeitslosigkeit vermindern in dramatischer Weise die Glaubwürdigkeit jeder Politik, die Anpassung an natürliche Zwänge verlangt und gleichzeitig Ausgleich durch den Staat verspricht.

Das Buch endet aber dennoch nicht in Pessimismus und Defätismus, sondern es zeigt konkret auf, wie es gehen könnte, wenn die Menschen in der Lage wären, einige einfache Vorurteile über Bord zu werfen. Die Mehrzahl dieser Vorurteile betrifft die Wirtschaft. Die ökologische Frage hat nur in der allerersten Stufe der Wahrnehmung mit den Naturwissenschaften zu tun. Alles, was nach der Erkenntnis kommt, dass es so nicht weitergehen kann, ist dem Bereich Wirtschaft zuzuordnen.

Ökologie muss ein unauflöslicher Teil der Wirtschaft werden, muss fest verankert werden in die Werte- und Konsumordnung der Menschen, in der sich bisher ganz überwiegend die Nachfrage nach Wirtschaftsgütern aneinanderreiht. Diese Verankerung ist möglich, aber sie erfordert eine kompetente globale Staatengemeinschaft, die einerseits in der Lage ist, die wirtschaftlichen Folgen des ökologischen Umbaus der Wirtschaft abzufedern, und andererseits eine generelle Wirtschafts- und Verteilungspolitik zu verfolgen, mit der bei demokratischen Wahlen in den Nationalstaaten Mehrheiten gewonnen werden können.

Von der Erfüllung dieser Voraussetzungen ist die internationale Staatengemeinschaft heute leider unendlich weit entfernt. Das liegt aber nicht einmal in erster Linie daran, dass es keine funktionsfähige internationale Staatengemeinschaft gibt, sondern daran, dass es weder auf der Weltebene noch in den Nationalstaaten eine tragfähige wirtschaftspolitische Konzeption gibt. Ohne dass wir wirklich beginnen zu begreifen, wie eine gemischte Wirtschaft aus staatlichen und privaten Akteuren funktioniert, sind wir einfach nicht in der Lage, das zu tun, was aus ökologischen Gründen notwendig und möglich wäre.

Hier, in der Unfähigkeit der Staatengemeinschaft, sich auf ein kohärentes und empirisch abgesichertes Wirtschaftsmodell zu einigen, liegt das Haupthindernis für die mangelnde Bereitschaft der Politik, die ökologische Herausforderung anzunehmen. Die allenthalben in der Politik der westlichen Industrieländer zu beobachtende Angst, den Menschen eine schnellere und radikalere Anpassung an eine ökologisch vernünftige Lebensweise zuzumuten, liegt ganz unmittelbar an ihrer Unfähigkeit, auch in den Zeiten eines radikalen Strukturwandels eine Wirtschaftsdynamik in Gang zu setzen, die der Masse der Menschen die Zukunftsangst und insbesondere die Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes nimmt.

Meine Position zur Klimafrage lässt sich in fünf einfachen Postulaten zusammenfassen:

1. Dass es eine globale Erwärmung gibt, kann man nicht ernsthaft bestreiten. Allein die Ballung der wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (im Jahr 1881 in Europa) in diesem Jahrhundert ist nicht von der Hand zu weisen. Auch die Erwärmung der Arktis in den letzten dreißig Jahren ist eine nicht mehr zu leugnende Tatsache. Globale Temperaturmessung über lange Zeiträume der Vergangenheit ist sicher sehr viel komplizierter, aber auch da kann man die große Mehrheit der Klimawissenschaftler nicht widerlegen.

2. Dass diese Erwärmung menschengemacht ist, ist extrem wahrscheinlich. Es wird jedoch immer wieder vorgebracht, dass es schon zu früheren Zeiten Warmphasen gegeben habe. Das ist kaum zu bestreiten, auch wenn man wenig über die Zeiträume weiß, in denen sich das Klima gewandelt hat. Darauf lässt sich allerdings kein überzeugendes Argument aufbauen. Wir wissen einfach nicht, wie viele Opfer es damals jeweils gegeben hat, obwohl die Erde weit weniger dicht besiedelt war und sich die Umstellung über längere Zeiträume erstreckte. Heute, wo wir Informationen aus dem letzten Winkel der Erde erhalten können, ist es nicht zu verantworten, die Augen vor den Gefahren, die in bestimmten Regionen Millionen von Menschen drohen, zu schließen.

3. Die regionalen Auswirkungen der globalen Erwärmung lassen sich weit weniger klar vorhersagen. Es wird immer wieder suggeriert, es werde am Ende nur Verlierer geben. Solange die Erwärmung jedoch nicht vollkommen außer Kontrolle gerät, kann man nicht ausschließen, dass es Regionen geben wird, die per saldo gewinnen, und solche, die verlieren. Mittel- und Nordeuropa sind bei einer Erwärmung von zwei bis drei Grad vergleichbar den heutigen Regionen, die am Mittelmeer liegen. Das ist keine Katastrophe, sondern erfordert Umstellung in einigen Bereichen wie in der Landwirtschaft. Viele Menschen werden es als eine Verbesserung ihrer Situation ansehen. Käme es tatsächlich so, würde es die Möglichkeiten für eine globale politische Einigung natürlich erheblich erschweren.

4. Obwohl die Bedrohung durch eine globale Erwärmung real ist, gibt es keinen einfachen Weg, auf dem die Menschheit den einmal eingeschlagenen Pfad einer durch fossile Energieträger ermöglichten wirtschaftlichen Entwicklung verlassen kann. Die herrschende Wirtschaftstheorie steht dem im Wege und es gibt auf der globalen Ebene keine demokratisch legitimierten Organe und Institutionen, die den Strukturwandel und die neue Wirtschaftspolitik durchsetzen und begleiten könnten, die man bräuchte, um in klar definierten Zeiträumen klimaneutral zu werden. Nationale, regionale und individuelle Anstrengungen sind gut gemeint und helfen dem Gewissen der Betroffenen sicherlich, bedeuten aber keinen Beitrag zur Lösung des globalen Problems. Über sehr lange Fristen kann dennoch der Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft gelingen, wenn die herrschende Wirtschaftslehre überwunden wird. Das setzt eine gewaltige Kraftanstrengung in der wirtschaftswissenschaftlichen Bildung voraus, auch wenn deren positive Wirkung erst in einigen Jahrzehnten zum Tragen kommen wird.

5. Das Gebot für die nächsten beiden Jahrzehnte ist daher Anpassung an geänderte Umweltbedingungen und Hilfe für die Betroffenen nach dem Motto: »Wer die Flut nicht verhindern kann, muss die Dämme hochziehen.« Der Mensch wird vermutlich auch dieses Mal das tun, was er am besten kann, nämlich erst dann handeln, wenn die Situation, die ihn zum Handeln zwingt, schon eingetreten ist.

1 Paris, Madrid und die Freitage

War Paris die Wende?

Ich bezweifle es. Die Erklärung des Pariser Gipfels im Jahr 2015 war sicher ein Fortschritt. Man kann auch gut nachvollziehen, dass die Abschlusserklärung von den Diplomaten und Politikern, die viele Tage darum ernsthaft und sicher auch mit großer Leidenschaft gerungen haben, als ein großer Schritt für die Menschheit betrachtet wurde. Es ist an sich ja schon eine große Leistung, einen gehaltvollen Text zustande zu bringen, auf den sich 196 souveräne Nationen einigen können. Ich habe selbst von Seiten des Sekretariats der Vereinten Nationen an solchen Erklärungen mitgeschrieben und man tendiert in der Tat dazu, die Bedeutung eines solchen Textes – ist er nach langen und nervenaufreibenden Verhandlungen endlich akzeptiert – in grandioser Weise zu überschätzen.

Liest man die 29 Artikel der Erklärung mit einem gewissen räumlichen und zeitlichen Abstand, ist die Begeisterung weniger groß. Der Text ist sehr allgemein gehalten und er konzentriert sich auf die anzustrebenden Ziele, nicht aber auf das eigentlich Wichtige, nämlich die Mittel, die global zum Einsatz kommen sollen, um die Ziele zu erreichen. Ziele festzulegen, ohne über Mittel zu sprechen, ist für eine relativ lose Staatengemeinschaft, wie es die Vereinten Nationen nun mal sind, sicher ein angemessener Ausgangspunkt. Soll aber effektiv etwas erreicht werden, reicht die Einigung über Ziele niemals aus. Man kann das an den sogenannten Millenniumszielen sehr gut nachverfolgen, die in den Vereinten Nationen über viele Jahre das Topthema waren, in der praktischen Politik der Mitgliedsländer aber keine Rolle gespielt und das breite Publikum nie erreicht haben.

So wird es hier vermutlich auch kommen. Es ist eine Illusion zu glauben, man könne eine Verdrängung fossiler Brennstoffe erwarten, ohne dass es eine lang anhaltende und für die Investoren abgesicherte relative Verteuerung von Kohle und Öl im Vergleich zu erneuerbaren Energieträgern gäbe. Bei einem Ölpreis von fünfzig Dollar pro Barrel ist der reale Ölpreis (also der um die Inflationsrate der westlichen Industrieländer deflationierte Ölpreis) kaum höher als zu Anfang der Siebzigerjahre, also vor den sogenannten Ölpreisexplosionen. In einer Welt, in der Rohstoffpreise und vor allem der Ölpreis von den Finanzmärkten getrieben werden, wo die Ölproduzenten bei geringeren Preisen dazu tendieren, mehr zu produzieren, weil sie sonst ihre Staatshaushalte nicht finanzieren können, und wo Kohle und Gas in sehr großen Mengen zu sehr günstigen Preisen zur Verfügung stehen, reichen Absichtserklärungen von Regierungen einfach nicht aus.

Wäre Paris eine substantielle Wende gewesen, hätten sich die Anbieter von Kohle und Öl dazu verpflichten müssen, von nun an kontinuierlich weniger der fossilen Stoffe zu fördern, damit es zu einem nicht mehr reversiblen Anstieg der Preise kommt und alle Verbraucher gezwungen sind, sich sofort und vorausschauend anzupassen. Zu glauben, man könne die fossilen Energieträger im bisherigen Tempo aus der Erde holen, ihre Preise dem Markt überlassen und die Regierungen würden in der ganzen Welt stark genug sein, um gegen den Anreiz, die billigen fossilen Energieträger zu nutzen, deren Verwendung zurückzudrängen, ist eine phantastische Idee. Mit der Wirklichkeit hat sie nichts zu tun.

Alle Regierungen, die bei den regelmäßigen Überprüfungen des Einsparungsfortschritts als Klimasünder gebrandmarkt werden, werden genau das einwenden. Sie werden sagen, dass sie nicht stark genug waren, sich gegen die globalen Kräfte des Marktes für fossile Energie zu stemmen. Und sie werden auch sagen, dass sie das so lange nicht können, bis alle Länder das untereinander abgestimmt haben und in gleicher Weise tun. Und man wird in den Pariser Vertrag schauen und sehen, dass er nichts enthält, was ein solches gleichgerichtetes Handeln erzwingen oder auch nur fördern würde.

Von Paris nach Madrid über Bonn

Als vor zwei Jahren auf dem Klimagipfel in Paris die Delegierten aller Länder dieser Welt in frenetischen Jubel ausbrachen ob der »historischen Wende« in der Klimapolitik, da konnte man als naiver Bürger glauben, dass diese Delegierten nach dem Gipfel nach Hause reisen und sofort damit beginnen, die politischen Weichen in Richtung Ausstieg aus der fossilen Energie zu setzen, weil ja nichts wichtiger sein konnte, als ohne jeden Zeitverzug den Bürgern und den Unternehmen die entscheidenden Signale dafür zu geben, dass die fossilen Energieträger ersetzt werden müssen. Man musste sich ja im Klaren darüber sein, dass kein Land der Welt über Nacht aus der fossilen Energie aussteigen kann, was schlicht und einfach bedeutet, dass überhaupt keine Zeit verloren werden durfte, denn der Ausstieg selbst würde sich über Jahre, wenn nicht über Jahrzehnte hinziehen.

Doch, wie gesagt, das ist die naive Sicht auf die Welt. Tatsächlich geschah nach Paris absolut nichts. Ja, es ist sogar sinnvoll zu sagen, dass mehr als nichts geschah, denn ziemlich bald nach dem Pariser Gipfel begann der Ölpreis deutlich zu sinken, was zwar klimapolitisch eine Katastrophe war, aber in den meisten Hauptstädten als wunderbares Geschenk, als »Konjunkturprogramm« für die Industriestaaten bejubelt wurde.

Auch nach der zwei Jahre später abgehaltenen Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Bonn wurde der Klimaschutz von allen Seiten »neu entdeckt«, passiert ist jedoch wiederum nicht viel. Man war zwar »plötzlich« ganz erstaunt, dass Deutschland selbst sein bescheidenes Ziel, den CO2-Ausstoß zwischen 1990 und 2020 um vierzig Prozent zu reduzieren, nicht erreichen würde, man hat aber sogar in der Politik und in den Medien vergessen, dass ein Großteil der deutschen Verringerung der Tatsache geschuldet ist, dass man (auf deutschen Druck hin übrigens) mit der Zielsetzung im Jahr 1990 angefangen hat und somit der industrielle Untergang der DDR das deutsche Ziel maßgeblich »gefördert« hat. »Plötzlich« stellten sich Reporter scharenweise in die Bonner Konferenzhallen und berichteten schnappatmend darüber, dass die Welt sich keineswegs auf dem Zielpfad bewegt, den sie sich scheinbar in Paris gesetzt hat.

Eine wirkliche globale Energiewende ließe sich politisch in den meisten Demokratien ohnehin nur durchsetzen und rechtfertigen, wenn man bereit wäre, die ärmeren Bevölkerungsschichten durch eine wirklich großzügige Sozialpolitik davor zu schützen, zu den Hauptleidtragenden einer solchen Strategie zu werden. Auch hier zeigt sich, wie wenig konsequent die deutsche Energiewende auch von der Mehrheit derer vertreten wird, die sich ihrer Erfolge gerne rühmen. Das Thema sozialer Ausgleich für die hohen Stromkosten existiert in Deutschland praktisch nicht. Zwar hat man der deutschen Industrie von Anfang an vielerlei Hilfestellung und Unterstützung gegeben. Von einer Sozialpolitik aber, die für die unteren Gehaltsgruppen einen Ausgleich in dem Sinne schafft, dass alle Haushalte in etwa gleicher Höhe (in Prozent ihres Einkommens) zu den zusätzlichen Kosten beitragen, ist nie ernsthaft die Rede gewesen.

Dann kam Madrid. Die Konferenz, die Ende 2019 abgehalten und COP25 genannt wurde, war ein glattes Debakel. Und es geschah genau das, was ein kundiger Beobachter erwarten musste. Die wichtigsten Öl- und Kohleproduzenten dieser Welt stellten sich gegen den Rest der Weltgemeinschaft. Die USA (mittlerweile der größte Ölproduzent der Welt), Aus­tra­lien, Brasilien und Saudi-Arabien waren nicht bereit, sich für einen kohärenten globalen Handel mit CO2-Zertifikaten zu engagieren. Warum sollten sie auch? Aus ihrer Sicht geht es bei der Verteuerung der Nutzung von CO2 um einen Preiskampf bei »ihren« Ressourcen, den sie nur gewinnen können, wenn sie sich systematisch gegen einen Konsens der Weltgemeinschaft stellen.

Genau mit diesem Phänomen muss sich derjenige auseinandersetzen, der erfolgreich Klimapolitik betreiben will. Es genügt nicht, einen Konsens der Naturwissenschaftler zu beschwören und mit katastrophalen Auswirkungen zu drohen. Gelingt es nicht, die großen Anbieter von fossilen Energieträgern in eine globale Strategie einzubinden, ist jede Anstrengung auf nationaler, regionaler oder individueller Ebene sinnlos.

Das ist ein hartes Urteil und wird in weiten Kreisen als Entmutigung all derjenigen verstanden, die guten Willens sind und gerne »ihren« Beitrag leisten möchten. Doch »ihren« Beitrag gibt es nicht. Die Logik gesamtwirtschaftlicher Phänomene ist für viele nicht leicht zu verstehen, aber sie ist unerbittlich: Entweder wir tun alle das Richtige oder niemand tut das Richtige. Und man muss noch einen Schritt weitergehen und konstatieren, dass jemand (eine Institution auf der globalen Ebene) die Menschen zwingen muss, gemeinsam das Richtige zu tun, weil es absolut naiv wäre zu erwarten, dass genügend viele freiwillig und aus innerer Überzeugung das Richtige tun.

Fridays for Future

Genau an der Stelle liegt das Problem von Fridays for Future, der Bewegung junger Leute, die von Greta Thunberg angestoßen wurde. Sie stellt sich vor die Naturwissenschaftler und wählt in Sachen Bedrohung durch den Klimawandel große Worte, um die Gefahren zu beschreiben, weil die großen politischen Taten auf sich warten lassen. Doch das genügt nicht. Es ist unumgänglich, mit ernsthaftem Nachdenken über die relevanten sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhänge zu beginnen.

Der Punkt, der von allen Seiten inklusive Fridays for Future missverstanden wird (und den man sich auch nicht gerne bewusst macht), ist die unverbrüchliche Verknüpfung des Klimawandels mit der Art, wie die meisten Menschen auf der Erde seit mehr als hundert Jahren leben und – nicht zu vergessen – wie sich ihr Leben in dieser Zeit entwickelt hat. Rainer Fischbach hat das in einer Artikelserie sehr anschaulich beschrieben.1 Diese Verknüpfung zu lösen, ist zwar möglich, aber die zeitliche Dimension ist eine ganz andere, als in der Klimadebatte erwartet, und die Instrumente, die man benötigt, sind ganz andere, als sie von der Politik auf nationaler Ebene auch nur diskutiert werden.

Fridays for Future schreibt auf seiner deutschen Internetseite: