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Folge 5: Kommissar Schiemann wird zu einem grausigen Fund im herbstlichen Karlsruher Hardtwald gerufen. Die übel zugerichtete Leiche eines Mannes liegt in einem Schlammloch neben einer alten Buche - eine Wildschwein-Suhle. Neben ihm liegt ein Korb voller Pilze. Der Fall scheint klar: Eine Wildschwein-Rotte hat den armen Pilzsammler zu Tode getrampelt. Doch Tierflüsterin Kira Mauerfuchs wundert sich - denn im Herbst sind die Tiere eigentlich nicht aggressiv. Der Täter muss ein Zweibeiner sein!
Über die Serie:
Kommissar Schiemanns Leben steht Kopf: Der gemütliche Genießer und Gartenfreund blickt auf eine jahrzehntelange, makellose Karriere bei der Karlsruher Kriminalpolizei zurück - bis Kira Mauerfuchs in sein Leben tritt. Diese junge Frau hat zwei besondere Eigenschaften: Erstens versteht sie sich sehr gut mit Tieren. Zweitens überhaupt nicht mit Menschen. Aber als sie im Alleingang - und mit einem Hund als Zeugen - einen Fall löst, wird klar: Kira Mauerfuchs ist ein Naturtalent! Und so nimmt das ungewöhnliche Ermittlerteam seine Arbeit auf ...
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Kommissar Schiemann wird zu einem grausigen Fund im herbstlichen Karlsruher Hardtwald gerufen. Die übel zugerichtete Leiche eines Mannes liegt in einem Schlammloch neben einer alten Buche – eine Wildschwein-Suhle. Neben ihm liegt ein Korb voller Pilze. Der Fall scheint klar: Eine Wildschwein-Rotte hat den armen Pilzsammler zu Tode getrampelt. Doch Tierflüsterin Kira Mauerfuchs wundert sich – denn im Herbst sind die Tiere eigentlich nicht aggressiv. Der Täter muss ein Zweibeiner sein!
Kommissar Schiemanns Leben steht Kopf: Der gemütliche Genießer und Gartenfreund blickt auf eine jahrzehntelange, makellose Karriere bei der Karlsruher Kriminalpolizei zurück – bis Kira Mauerfuchs in sein Leben tritt. Diese junge Frau hat zwei besondere Eigenschaften: Erstens versteht sie sich sehr gut mit Tieren. Zweitens überhaupt nicht mit Menschen. Aber als sie im Alleingang – und mit einem Hund als Zeugen – einen Fall löst, wird klar: Kira Mauerfuchs ist ein Naturtalent! Und so nimmt das ungewöhnliche Ermittlerteam seine Arbeit auf …
Martin Heimberger
Der Keiler kam im Morgengrauen
»Hast du den Verstand verloren? Du wirst uns noch alle umbringen!« Egon Metzler stellte den Korb auf dem Waldboden ab, ging in die Knie und wühlte mit der Hand durch das rotbraun verfärbte Laub. Dann zog er den Pilz aus der weichen Erde und hielt ihn demonstrativ seinem Begleiter vor die Augen. »Pass jetzt mal gut auf, Bürschchen. Das, was du hier gefunden hast, ist kein Steinpilz, sondern ein Gallenröhrling. Verstehst du, was ich sage? Ein Gallenröhrling.« Metzler griff mit der anderen Hand in den Korb und holte einen Pilz heraus, den er einige Minuten zuvor gesammelt hatte. »So sieht ein Steinpilz aus. Erkennst du deinen Fehler? Der Hut ist viel flacher und nicht so stark gewölbt, klar? Und hier«, er drehte den Gallenröhrling auf den Kopf, »schau dir das schwammige Fleisch an. Das hat einen ganz zarten Rosa-Ton, der sich lila verfärbt, wenn man draufdrückt.« Er bohrte die Daumenspitze tief in den Pilz. »Außerdem kann man den Unterschied deutlich fühlen. Die Haut des Gallenröhrlings ist glatter und nicht so ledrig wie …«
»Komm schon, Egon. Hör auf damit«, wies ihn seine Frau Maria zurecht, die von hinten durch das Laub geraschelt kam. »Du weißt schon, dass du mit einem Hund sprichst? Der arme Pepper versteht doch kein Wort von dem, was du da erzählst. Er erkennt die Pilze an ihrem Geruch und nicht an der ledrigen Haut. Ansonsten würde er ja sogar dich mit einem Steinpilz verwechseln.«
Pepper, ein junger Border Terrier mit struppigem Fell, saß auf den Hinterläufen und warf seinem zerknitterten Herrchen einen treudoofen Blick zu. Dass er schon seit einer Stunde quer durch den herbstlichen Hardtwald geflitzt war, um den Korb seiner Besitzer mit Steinpilzen zu füllen, sah man ihm nicht an.
»So etwas darf nicht einreißen«, schimpfte sein Herrchen. »Ich habe ein ganzes Jahr investiert, um ihn auf Steinpilze zu konditionieren, und jetzt das.« Er schaute dem Hund grimmig in die Augen. »Nein, Pepper. Auch wenn du mich noch so erwartungsvoll anstarrst, du bekommst dieses Mal kein Leckerli.«
»Jetzt mach nicht so ein Drama draus«, beschwichtigte ihn Maria. »So schlimm ist das auch wieder nicht. Es gibt giftigere Pilze als Gallenröhrlinge. Die schmecken einfach nur bitter und das wars.«
Pepper stimmte seinem Frauchen zu, indem er zweimal kläffte.
Egon Metzler dagegen grunzte frustriert und schleuderte den Gallenröhrling in hohem Bogen davon. »Unsere Gäste würden das sicherlich anders sehen, wenn sie beim Mittagstisch grün anlaufen und dabei Gift und Galle spucken. Die Konkurrenz schläft nicht, Maria. Du weißt, dass unser Restaurant auf wackligen Beinen steht. Unsere Zahlen waren früher besser, und ein einziger Gallenröhrling kann uns in die Insolvenz stürzen.«
Seine Frau schüttelte genervt den Kopf und rollte mit den Augen. »Apropos Mittagstisch«, warf sie schließlich ein. »Hast du schon eine Idee, was wir heute auf die Tageskarte setzen?«
»Na sicher. Fettuccine mit Steinpilz-Ragout.«
»Fettuccine? Ragout?« Maria runzelte die Stirn. »Weißt du überhaupt, wie man das schreibt?«
»Ich bin Koch, kein Schriftsteller. Für die Aushang-Tafeln bist du zuständig.«
»Ist wohl auch besser so«, stimmte sie ihm zu. »Weißt du noch, als du die Wild-Bolognese mit Kräuter-Gnocchi auf die Karte gesetzt hast? Das sah aus wie eine Buchstaben-Suppe.«
»Ja, ja. Schon gut.«
Maria lachte. »Und vom Horsd’oeuvre mit den Tête-de-Moine-Canapés will ich gar nicht erst anfangen.«
»Jaha. Ich weiß, Schatz«, bekam sie schnippisch zurück. »Ohne dich gäbe es in der Wachtelstube nur Kartoffelsalat, weil es das Einzige ist, was ich fehlerfrei schreiben kann.«
Und damit lag Egon Metzler gar nicht mal so falsch. Seit fast dreißig Jahren führte er nun zusammen mit seiner Frau ein kleines, aber exklusives Restaurant in der Karlsruher Waldstadt, das sich mit seinen regionalen Spezialitäten und dem täglich wechselnden Mittagstisch eine treue Stammkundschaft aufgebaut hatte. Während Metzler sich auf die Küche konzentrierte, kümmerte sich seine Frau um das Geschäftliche. Denn das Finanzamt, so hatte er inzwischen festgestellt, ließ sich mit einem einfachen Amuse-Gueule nicht zufriedenstellen. Die Gäste dagegen schon, denn sie liebten vor allem die Tatsache, dass der Gastwirt seine Zutaten täglich frisch aus dem Hardtwald nördlich von Karlsruhe bezog. Im Frühling den Bärlauch, im Sommer die Kräuter, und im Herbst die Pilze. Es gab für Egon Metzler nichts Vergnüglicheres, als kurz nach Sonnenaufgang abseits der öffentlichen Wege mit Frau und Hund durch den Wald zu streifen, kulinarische Köstlichkeiten zu ersinnen und sich beim Zwitschern der Vögel zu entspannen, bis wieder ein harter Tag in der Küche auf ihn wartete.
»Hast du das gehört, Egon?«, fragte Maria plötzlich und sah sich erschrocken um. »Da hat doch jemand gehustet.«
Metzler erhob sich und lauschte. Zunächst hörte er nichts. Eine Totenstille hatte sich über den Wald gelegt, sogar die Vögel waren verstummt. Dann raschelten irgendwo Blätter. Zweige knackten, zwischen zwei Bäumen neigte sich ein Strauch zur Seite. Wieder ertönte in der Ferne ein dumpfes Husten.
Die Metzlers waren nicht allein.
Und auf einmal sprang Pepper auf. Er kläffte wütend in die Richtung, aus der die Geräusche kamen, bevor er, wie von der Tarantel gestochen, losstürmte.
»Pepper! Bei Fuß! Komm zurück!«, rief Egon Metzler.
Doch der Hund war nicht mehr zu bremsen. Nach nur wenigen Sekunden verschmolz sein rotbraunes Fell mit der Farbe des Laubes, das knöcheltief den Boden bedeckte, und nur das ununterbrochene Kläffen deutete darauf hin, wo sich der Vierbeiner gerade befand.
»Vielleicht wittert er einen Steinpilz?«, vermutete Maria.
Ihr Mann kniff die Augen zusammen. »Ich weiß nicht. Dem Husten nach zu urteilen, klingt das eher nach einem Pilz mit Bronchitis. Vielleicht ein Gelber Schleimkopf.« Dann schnappte er sich den Pilzkorb und nahm die Verfolgung auf.
»Nein, Egon. Hier stimmt was nicht«, rief Maria ihm nach. »Bleib doch hier! Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.« Als er nicht auf sie reagierte, zuckte sie resigniert mit den Schultern und heftete sich an seine Fersen.
»Pepper! Bei Fuß!«, rief Egon Metzler immer wieder. Schnellen Schrittes kämpfte er sich durch das Dickicht, zwängte sich an dornigen Brombeerbüschen vorbei und wühlte sich wie ein Schneepflug durch das herbstliche Laub.
Und dann drang ihm plötzlich ein sonderbarer Geruch in die Nase. Völlig außer Atem blieb er stehen und verzog angewidert das Gesicht.
»Egon, was ist los?«, fragte Maria, die inzwischen zu ihm aufgeschlossen hatte.
»Dieser Geruch«, antwortete er. »Der kommt mir bekannt vor, findest du nicht? Er erinnert mich irgendwie an …«
»Maggi«, ergänzte seine Frau. »Genau. Davon verwendest du leider viel zu viel. Und sieh mal. Dort ist ja Pepper.« Sie zeigte auf eine alte Buche, neben der ein rotbrauner Fellhaufen hockte und völlig aufgelöst eine knorrige, aus einem Schlammloch ragende Wurzel anbellte. »Was hat er denn dort entdeckt?«
»Einen Pilz jedenfalls nicht«, meinte Metzler und näherte sich dem Hund. »Na, was hast du denn Feines gefunden?«, fragte er, während er dem hechelnden Pepper liebevoll den Kopf tätschelte. Dabei ließ er seinen Blick über den stinkenden Morast schweifen. Der Boden war völlig zerfurcht und aufgewühlt, als ob ein Bagger mitten im Wald die Erde umgegraben hätte. Wie ein kleiner Tümpel grenzte die mehrere Quadratmeter große Grube direkt an die Buche.
Als Egon Metzler sich aufrichtete und näher an das Schlammloch herantrat, stockte ihm der Atem. Was da aus dem knietiefen Matsch ragte, war keine knorrige Wurzel, sondern eine Menschenhand. Die Leiche, die völlig verkrümmt im Dreck steckte, sah übel zugerichtet aus. Die Stellen auf der Haut, an denen kein Morast klebte, waren übersät mit Schürfwunden und blauen Flecken. Trotzdem konnte Metzler das bleiche Gesicht des Toten, das wie ein zerknülltes Stück Papier aus dem schwarzen Schlamm herausleuchtete, gut erkennen. »Ach du Scheiße!«, stieß er aus. »Schatz, komm bloß nicht her!«
Doch zu spät. Maria stand bereits direkt hinter ihm und linste über seine Schulter. Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund. »Oh mein Gott, den kenne ich. Ist das nicht …?«
»Ja, ich fürchte, er ist es«, bestätigte ihr Mann.
»Aber was ist passiert? Wie kommt er hierher?«
Metzler deutete auf einen prall gefüllten Stoffbeutel, der unmittelbar neben der Grube lag. »Schau doch. Er hat wohl Pilze gesammelt, genau wie wir.«
Pepper ging in Habachtstellung und begann wieder zu kläffen. Noch immer war kein Vogel zu hören, dafür ein Scharren und Rascheln im Gebüsch. Huschte da hinter der Buche nicht ein Schatten vorbei?
Tiefe Sorgenfalten breiteten sich auf Marias Stirn aus. »Oh Gottogott, was machen wir denn jetzt?«, fragte sie mit zitternder Stimme, woraufhin Egon sie in den Arm nahm und fest an sich drückte.
»Na, wie vorhin besprochen. Die Fettuccine«, erwiderte er. »Los, schnell. Schnapp dir die Pilze aus dem Beutel und pack sie in unseren Korb. Sobald die Polizei da ist, werden wir wohl kaum noch Zeit zum Sammeln haben. Aber unseren Mittagstisch lasse ich unter keinen Umständen ausfallen. Nicht wegen einer Ratte wie dieser da.«
Er warf dem Toten einen abschätzigen Blick zu, dann zog er das Handy aus der Tasche und wählte den Notruf.
Sebastian Schwartz, Auszubildender zum Tierpfleger im Zoologischen Stadtgarten Karlsruhe, der sehr erfahren im Umgang mit aggressiven Mardern, launischen Flusspferden und anderem bissigen Getier war, steckte mal wieder in einer heiklen Situation: Kira Mauerfuchs stand neben ihm, rümpfte die Nase und stemmte die Hände in die Hüften. Eine Drohgebärde, mit der sie ihre Mitmenschen bereits aus sicherer Entfernung davor warnte, sich nicht mit ihr anzulegen.
»Rosa? Warum ausgerechnet rosa?«, fauchte sie ihn an. »Eine furchtbare Farbe. Viel zu langweilig, und vor allem stereotyp. So etwas kann sich doch nur ein Mann ausgedacht haben.«
»Was ist dein Problem?«, fragte er. Trotz allem zählte er zu den wenigen Menschen, die es sich erlauben durften, Kira zu widersprechen. »Du färbst dir doch selbst die Haare. Schau hier: rot, blau, ein Ansatz von grün.« Mehrmals versuchte er, mit dem Zeigefinger eine der bunten Strähnen zu berühren, doch Kira wich ihm mit geschickten Kopfbewegungen aus, als ob jemand Dartpfeile auf sie werfen würde.
»Ja, aber nicht rosa«, protestierte sie. »Und ich habe mich freiwillig dafür entschieden. Im Gegensatz zu denen.«
Sebastian seufzte, dann öffnete er das Gatter zum Flamingo-Gehege. Ein Dutzend Vögel, die zuvor noch die Morgenruhe genossen und entspannt ihre langen Hälse in den Himmel gestreckt hatten, kamen nun mit grazilen Schritten auf ihn zugelaufen. »Siehst du? Sie machen das auch freiwillig«, meinte er, während er aus dem Beutel, der über seiner Schulter hing, eine Handvoll brauner Pellets holte und in einen mit Wasser gefüllten Bottich warf.
Kira antwortete mit angewidertem Blick: »Ich verstehe dich nicht. Du selbst kritisierst ständig, dass Tieren künstliche Zusätze ins Futter gemischt werden, und dann machst du so etwas. Flamingos sind von Natur aus weiß, und das soll auch so bleiben.«
»Ja, aber in ihrer Heimat tragen sie trotzdem alle rosa«, widersprach Sebastian. »Sie färben sich ihre Federn selbst, weil sie eine spezielle Krebsart fressen, die sehr viel Carotin enthält. Und die Leute wollen nun mal rosa Flamingos sehen. Aber ich kann dich beruhigen, Schmetterling, dieser Stoff in den Pellets«, Sebastian warf einen Blick auf die Zutatenliste des Beutels, »Canthaxanthin – er ist völlig harmlos, der kommt sogar in Pfifferlingen vor. Früher hat man versucht, die Federn mit Paprikapulver und Möhren zu färben, aber die Flamingos haben das nicht gefressen. Diese Pellets allerdings sind beliebt, die Flamingos verwechseln sie mit Krebsen, weil sie auf dem Wasser schwimmen. Außerdem enthält das Zeug wichtige Proteine, Kohlenhydrate, und nur ganz wenig Farbstoff. Ich habe da keine Bauchschmerzen, und die Flamingos ebenfalls nicht.«
»Ich schon.« Kira verschränkte die Arme und drippelte mit dem Fuß. »Hey, Fledermaus. Klartext: Ich will in unserem Zoo nur noch weiße Flamingos sehen. Was hältst du davon, wenn wir ab jetzt diese Pellets einfach mal weglassen?«
Sebastian starrte sie kopfschüttelnd an. »Dr. Gimpel wird das aber nicht gutheißen.«
»Der Zoodirektor heißt alles gut, was ich ihm empfehle. Los, komm schon, nimm die Hand aus dem Beutel. Tu es für mich.«
Sebastian zögerte. Immerhin stand hier auch sein Job auf dem Spiel. Der Abschluss seiner Ausbildung war nur noch drei Monate entfernt, und Dr. Gimpel hatte ihm bereits die Übernahme in eine unbefristete Stelle angeboten, was er auf keinen Fall vergeigen durfte. Andererseits war es aber auch keine gute Idee, Kira einen Gefallen abzuschlagen, wenn er sie davon überzeugen wollte, bei ihm im Zoo zu bleiben. »Also gut, Schmetterling«, stimmte er schließlich schweren Herzens zu. »Aber du trägst die Verantwortung. Und falls es Ärger gibt: Ich habe damit nichts zu tun, okay?«
Kira nickte stumm, dann brach Sebastian mit ihr auf, um noch weitere hungrige Mäuler zu stopfen. Mindestens zweimal in der Woche unternahm er mit ihr früh am Morgen einen Rundgang durch den Zoo. Dabei erklärte er, wie sie das Futter vorbereiten und korrekt dosieren musste, und überprüfte mit ihr, ob in den Gehegen alle Sicherheitsvorschriften eingehalten wurden.
»Hast du dich endlich entschieden?«, fragte er, als Kira einem Elefanten einen Apfel ins Maul steckte.
»Was passiert eigentlich, wenn man den Elefanten diese Flamingo-Pellets verfüttert?«, wich sie ihm aus.
»Oh Mann, bitte lenk nicht ab. Dein Volontariat dauert nicht ewig, und ich mache mir langsam Sorgen, weil ich dich schon seit zwei Monaten nicht mehr in der Berufsschule gesehen habe.«
»Was soll ich denn dort?«, antwortete Kira schnippisch. »Ich bin zurzeit in keinem Ausbildungsverhältnis. Meine alte Praxis ist immer noch geschlossen, weil es keinen Nachfolger gibt. Und bei anderen Tierärzten werde ich mich nicht bewerben, weil ich genau weiß, welches Chaos dort herrscht. Mein Ex-Chef hat mir oft genug von der Konkurrenz erzählt. Alles Stümper.«
»Ja, und genau deswegen solltest du hier im Zoo bleiben«, schlug Sebastian vor. »Bei unserem Direktor hast du einen Stein im Brett, und je schneller du mit der neuen Ausbildung anfängst, desto besser. Wenn du unbedingt den Ablauf der zwölf Monate abwarten willst, okay. Aber bitte brich nicht die Berufsschule ab. Du kannst die theoretische Ausbildung unabhängig von einer Lehrstelle weiterführen. Glaub mir: Alles wieder von vorn zu beginnen, wird unheimlich schwierig werden. Bitte, Schmetterling. Du bist jetzt fast fünfundzwanzig. Schmeiß nicht leichtfertig alles hin. Die meisten, die von der Schule abgesprungen sind, habe ich danach nie wieder gesehen. Denk doch zum Beispiel nur mal an Leon. Erinnerst du dich?«
»Leon, der Profi?«, erwiderte sie entsetzt. Sogar der Elefant stoppte das Kauen und blickte Sebastian entgeistert an. »Ist das dein Ernst? Du vergleichst mich mit dem?«
»Zumindest hat er nach der Insolvenz seines Malermeisters keine neue Stelle gesucht und sofort die Schule abgebrochen. Seitdem munkelt man, dass er aus Frust im Baumarkt die rote Malerfarbe mit umetikettierter Tomatensoße vertauscht.«
»Fledermaus, der Typ war selten blöd«, schnaubte Kira. »Er hat am Fahrplan der Bushaltestelle die Abfahrtszeiten immer mit den Ticketpreisen verwechselt.«
Nachdem Sebastian die Zäune auf Schwachstellen überprüft hatte, kletterte er im Zentrum des Elefanten-Geheges einen etwa fünf Meter hohen Baumstumpf hinauf. »Und den Luke, kennst du den noch?«, fragte er, während er an einem schwarzen Kasten herumhantierte, den Kira bisher noch nie wahrgenommen hatte.
»Du meinst Lucky Luke?«
»Richtig. Er hat sich innerhalb kürzester Zeit zweimal das Handgelenk gebrochen, und musste dann jedes Mal den Ausbilder wechseln, weil er für den Job nicht mehr geeignet war. Und irgendwann ist er dann einfach nicht mehr in der Schule aufgetaucht. Man vermutet, dass er inzwischen auf die schiefe Bahn geraten ist und Gras vertickt. Unter der Hand natürlich.« Sebastian wackelte mit den fünf Fingern der einen Hand, während er sich mit der anderen am Baum festklammerte.
Kira verzog keine Miene. »Hey, was willst du mir mit dem Gefasel eigentlich sagen?«
»Was ich sagen will: Schulabbruch lohnt sich nicht. Komm wieder in den Unterricht und nimm die Stelle im Zoo an.«
Kira tätschelte den Elefanten sanft am Hals und reichte ihm einen weiteren Apfel, doch ihr Blick ging ins Leere. »Ach, ich weiß nicht«, erwiderte sie leise.
»Du weißt nicht?«
»Nein, ich weiß nicht, ob ich das will.«
Sebastian wischte den schwarzen Kasten mit einem Tuch ab, dann hangelte er sich frustriert vom Baumstamm zurück auf den sandigen Boden. Mit traurigem Blick näherte er sich Kira. »Sehnst du dich so sehr nach deiner alten Praxis? Oder warum fällt dir die Entscheidung so schwer? Wo liegt das Problem? Bin ich es? Sag es, wenn es an mir liegt.«
Kira schüttelte den Kopf. »Du bist nicht mein Problem.«
Sebastian atmete erleichtert auf. Dass es nicht an ihm lag, zauberte ihm für einen Moment ein Lächeln auf die Lippen. Doch so richtig freuen konnte er sich nicht, denn er wusste: Die Last auf Kiras Schultern wog so schwer, dass auch er an seine Grenzen stieß. »Du kannst die Vergangenheit nicht ruhen lassen. Du willst die Dinge wieder geraderücken, Rache am Tod deiner Mutter üben. Und solange das nicht erledigt ist, gibt es nichts auf der Welt, das dich glücklich macht. Und ich schaffe es einfach nicht, dir dabei zu helfen.«
»Fledermaus, ich war so nah dran«, sagte sie. »Ich weiß, dass die Tierpension meiner Mutter als illegales Versuchslabor missbraucht wurde. Das Implantat aus deinem Kater, das Geständnis meines Ex-Chefs, und die Daten auf seinem Computer sind eindeutig. Dieser feige Mörder, Dr. Kaltblum, hat das Labor abgefackelt und meine Mutter umgebracht, weil er das Projekt einstellen und alle Beweise beseitigen musste. Aber selbst heute, nach fünfzehn Jahren, ist diese Firma immer noch aktiv, entführt weiterhin Haustiere und pflanzt ihnen verdammte Chips ins Bein. Und wir schauen einfach nur zu.«
»Schmetterling, bitte«, versuchte Sebastian sie zu beruhigen. Doch Kira war nicht mehr zu bremsen. Selbst der Elefant wandte sich erschrocken von ihr ab und trottete in Richtung Dickhäuter-Haus davon.
»Aber es kommt noch besser«, wetterte sie weiter. »Ich weiß, dass dieser Schornsteinfeger, dem du aufgelauert hast, ein Handlanger ist, der schon von Anfang an die Drecksarbeit erledigt und die Versuchstiere für sie beschafft. Und das Allerschlimmste: Wir haben nichts gegen ihn in der Hand.«
»Schmetterling, ich habe wirklich alles versucht«, rechtfertigte sich Sebastian. »Die Tierpension in Rüppurr, wo er seine Katze abgeliefert hat, ist sauber. Ich habe mich als Kunde ausgegeben, der seinen Vierbeiner dort unterbringen will, und mir die Räumlichkeiten angesehen. Nachts bin ich durch den Garten geschlichen. Nichts. Siehst du diesen schwarzen Kasten dort oben am Baumstumpf? Das ist eine der Überwachungskameras, die hier überall in den Gehegen hängen. So eine habe ich auch an der Platane direkt vor der Tierpension versteckt. Und weißt du was? Es ist jetzt zwei Monate her, aber der Kaminkehrer war kein einziges Mal mehr dort. Nur Besucher, die ihre Lieblinge abgeben und nach einigen Tagen wieder abholen.«
Kira stieß entrüstet die Luft aus. »Und ist dir auch bewusst, warum?«, tobte sie. »Weil wir aufgeflogen sind. Du bist vorgeprescht und hast den Schornsteinfeger zur Rede gestellt. Damit haben wir uns zu erkennen gegeben, und jetzt haben sie aufgeräumt, damit wir nichts finden. Alles ist weg.« Sie machte eine Pause, kniff die Augen zusammen, atmete tief ein und meinte schließlich. »Bis auf die Implantate. Die konnten sie nicht beseitigen.«
»Die du auch nur vermutest«, bemerkte Sebastian vorsichtig.
»Nein, ich habe den Chip gespürt. Am Bein dieses Katers. Aber der ist jetzt in Stuttgart bei der Ex-Frau des Polizisten. Und an die anderen entführten Tiere, die wieder aufgetaucht sind, komme ich nicht ran. Ansonsten würde ich selbst ein Skalpell in die Hand nehmen und …«
Sebastian riss die Augen auf. »Schmetterling, ich bitte dich. Unternimm nichts Unüberlegtes. Ohne die sterile Umgebung einer Praxis würdest du die Tiere umbringen. Außerdem können wir mit den Implantaten sowieso nichts anfangen. Der Chip, den dein Chef aus Plutos Bein operiert hat, ist nicht auslesbar. Ich versuche wirklich alles, aber ich bekomme es nicht hin und kenne auch sonst niemanden mit dem passenden Know-how.«
»Hast du den Chip noch bei dir?«, fragte Kira.
»Na klar. Was denkst du denn?« Sebastian wühlte in der Hosentasche seiner Tierpfleger-Uniform herum und zog das Clip-Tütchen heraus. »Ich habe dir doch fest versprochen, dass ich ihn niemals aus den Augen lasse. Ich trage ihn immer bei mir und beschütze ihn rund um die Uhr wie mein …«
Ratsch. Mit nur einem Griff riss Kira ihm das Tütchen aus den Fingern. Noch bevor er protestieren konnte, legte sie die Hand auf seine Schultern. »Hey, Fledermaus. Schon gut. Ich weiß deine Hilfe sehr zu schätzen, und ich danke dir dafür. Aber um dieses Problem werde ich mich nun selbst kümmern.«
In diesem Augenblick hörte Sebastian gar nicht, was sie sagte. Er spürte nur, wie sie ihn berührte. Kein Ellbogen, der sich in seine Rippen bohrte. Kein Fuß, der sein Schienbein traf. Nein, eine Hand, die sanft auf seiner Schulter lag.
Zum ersten Mal, seit er Kira kannte.
»Hey, hörst du mir überhaupt zu?« Sie hielt ihm das Clip-Tütchen direkt vor die Nase. »Dieser Chip ist das Einzige, was wir noch in der Hinterhand haben. Wenn wir ihn auslesen, wissen wir vielleicht mehr über seinen Zweck und damit, welchen teuflischen Plan diese Firma verfolgt. Ich werde das Ding nicht in deiner Hose vergammeln lassen.« Dann stopfte sie das Tütchen in die Känguru-Tasche ihres Langarm-Hoodies.
»Aber Schmetterling …«
In diesem Moment vibrierte Kiras Handy. »Was, so früh am Morgen?«, warf sie dem Anrufer entgegen. Immerhin hörte sie sich seine Erklärungen an, bevor sie ihn ankeifte: »Mitten im Matsch? Sind Sie noch ganz bei Trost?«, gefolgt von einem unleidlichen »Also gut. Aber nur, weil Sie es sind. Ich komme.« Nach dem Telefonat raunte sie: »Pech gehabt, Fledermaus. Du musst deinen Rundflug allein beenden. Der Polizist sieht mal wieder den Wald vor lauter Bäumen nicht.«
Während sie Hals über Kopf davonstürmte, winkte Sebastian ihr wortlos hinterher, dann rieb er sich die Schulter. Es kribbelte immer noch, als ob ihn ein Blitz getroffen hätte. Als er später wieder auf einen Baum kletterte, um die Linse der Überwachungskamera zu reinigen, fühlte er sich seltsam schwerelos, als ob er auf einer Wolke den Stamm hinauf schweben würde.
Vielleicht war es aber auch nur die Erleichterung, diesen unheilvollen Chip nicht mehr länger mit sich herumschleppen zu müssen.