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Folge 2: Ein gewissenloser Marder treibt sein Unwesen in Karlsruhe! Die Anwältin Birgit Lochner rast in den Tod - die Bremsschläuche waren durchgebissen. Kommissar Schiemann geht von einem tragischen Unfall aus. Doch dann trifft es auch seine Ex-Frau Anne: Sie kracht an ihrem ersten Arbeitstag als Farbberaterin ins Schaufenster einer Boutique - wieder ein Marderbiss! Kann das mit rechten Dingen zugehen? Der Kommissar bittet Kira Mauerfuchs um Hilfe - und gemeinsam mit der Tierflüsterin kommt er dem Geheimnis des Serienmarders auf die Schliche ...
Über die Serie:
Kommissar Schiemanns Leben steht Kopf: Der gemütliche Genießer und Gartenfreund blickt auf eine jahrzehntelange, makellose Karriere bei der Karlsruher Kriminalpolizei zurück - bis Kira Mauerfuchs in sein Leben tritt. Diese junge Frau hat zwei besondere Eigenschaften: Erstens versteht sie sich sehr gut mit Tieren. Zweitens überhaupt nicht mit Menschen. Aber als sie im Alleingang - und mit einem Hund als Zeugen - einen Fall löst, wird klar: Kira Mauerfuchs ist ein Naturtalent! Und so nimmt das ungewöhnliche Ermittlerteam seine Arbeit auf ...
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Ein gewissenloser Marder treibt sein Unwesen in Karlsruhe! Die Anwältin Birgit Lochner rast in den Tod – die Bremsschläuche waren durchgebissen. Kommissar Schiemann geht von einem tragischen Unfall aus. Doch dann trifft es auch seine Ex-Frau Anne: Sie kracht an ihrem ersten Arbeitstag als Farbberaterin ins Schaufenster einer Boutique – wieder ein Marderbiss! Kann das mit rechten Dingen zugehen? Der Kommissar bittet Kira Mauerfuchs um Hilfe – und gemeinsam mit der Tierflüsterin kommt er dem Geheimnis des Serienmarders auf die Schliche …
Kommissar Schiemanns Leben steht Kopf: Der gemütliche Genießer und Gartenfreund blickt auf eine jahrzehntelange, makellose Karriere bei der Karlsruher Kriminalpolizei zurück – bis Kira Mauerfuchs in sein Leben tritt. Diese junge Frau hat zwei besondere Eigenschaften: Erstens versteht sie sich sehr gut mit Tieren. Zweitens überhaupt nicht mit Menschen. Aber als sie im Alleingang – und mit einem Hund als Zeugen – einen Fall löst, wird klar: Kira Mauerfuchs ist ein Naturtalent! Und so nimmt das ungewöhnliche Ermittlerteam seine Arbeit auf …
Martin Heimberger
Der Marder geht um
Niemand weiß so genau, welche Gedanken Birgit Lochner durch den Kopf jagten, als mitten auf der Schnellstraße ihre Bremsen versagten.
Vielleicht rauschten die Szenen ihres Lebens wie in einem Film an ihr vorbei. Die großen und kleinen Glücksmomente, ebenso wie verpasste Chancen und falsche Entscheidungen.
Womöglich überlegte sie auch, wie sie am besten die Werkstatt verklagen konnte, bei der sie vor einer Woche noch zur Inspektion gewesen war. Als Rechtsanwältin wäre das für sie ein leichtes Spiel gewesen.
Vielleicht aber, und das hätte am ehesten zu ihr gepasst, fiel es ihr gar nicht auf. In der Welt von Birgit Lochner gab es nämlich keine Bremsen, sondern nur das Gaspedal.
Ein Leben auf der Überholspur.
Wer später bremst, ist länger schnell.
Das Ziel, das sie an diesem Morgen in ihr Navi programmiert hatte, war die Kanzlei Faust & Klopp, ein Zusammenschluss von berüchtigten Anwälten, die mit dem Slogan warben: »Hauen Sie rein, wir boxen Sie raus!«
Um rechtzeitig anzukommen, musste sie nur schnellstmöglich über die Karlsruher Südtangente rasen, einen Sprint über die Rheinbrücke hinlegen und dann auf der A 65 ins südpfälzische Kandel brettern. Für Birgit Lochner ein Katzensprung, denn heute war es nicht nur das Benzin, das sie antrieb. In ihren Adern pulsierte kochendes Blut, angereichert mit einer explosiven Mischung aus Koffein und Adrenalin.
Die Bremslichter, die aus unerfindlichem Grund vor ihr aufblitzten, kümmerten sie nicht, sie wechselte einfach die Spur und zog rechts an dem Lieferwagen vorbei.
»Verdammter Sonntagsfahrer!«, schimpfte sie.
Das Navi berechnete für die Strecke dreiundzwanzig Minuten. Die Zeit war knapp, doch zu spät zu kommen stand nicht zur Debatte. Die Tatsache, nach einem langwierigen Auswahlverfahren unter den besten Bewerbern gelandet zu sein, war das Risiko wert, die Straßenverkehrsordnung heute nicht ganz so streng auszulegen. Sie brauchte diesen Job unbedingt. Allein schon, um ihrem Sturkopf von Ehemann ein für alle Mal zu beweisen, aus welchem Holz sie geschnitzt war.
Die ewige Streiterei musste endlich ein Ende nehmen.
Ohne es zu bemerken, trat sie beim Bremsen ein weiteres Mal ins Leere. Ein schrottreifer Laster trödelte im Schneckentempo vor ihr her. Da auch auf der linken Spur der Verkehr stockte, wich sie kurzerhand auf den Standstreifen aus und düste, begleitet von einem wütenden Hupkonzert, an drei anderen Lastern vorbei, bis die Straße wieder frei war.
»Verdammte Saftkutschen!«, fluchte sie vor sich hin.
Das Navi antwortete mit einem lauten Piepton. Ein Warnsignal machte darauf aufmerksam, dass eine Geschwindigkeit von einhundertzwanzig Stundenkilometern in einer Achtziger-Zone nicht angemessen war.
Birgit Lochner drückte das Signal kurzerhand weg, woraufhin das Navi die berechnete Ankunftszeit von dreiundzwanzig auf nur noch fünfzehn Minuten herunterkorrigierte. Dabei übersah sie das Symbol mit dem roten Dreieck, das vor einer scharfen Linkskurve mitten auf der Albhäusle-Brücke warnte. Stattdessen hörte sie nach wenigen Sekunden ein weiteres Piepen, dieses Mal kam es nicht vom Navi, sondern vom Cockpit ihres Autos. Das Kühlwasser-Warnsymbol blinkte hektisch vor sich hin.
Nur kurz war sie abgelenkt, jedoch lange genug, um das Ende des Staus zu übersehen, der sich gleich hinter der Kurve wegen einer Tagesbaustelle gebildet hatte. Und dies war auch der Augenblick, als sie endgültig realisierte, dass ihre Bremsen nicht funktionierten. Immer wieder trat sie das Pedal bis zum Anschlag durch, während sie mit gleichbleibender Geschwindigkeit auf das Stauende zuraste. In einem letzten Akt der Verzweiflung zerrte sie an der Handbremse, dann riss sie mit einem Ruck das Lenkrad herum. Sie verlor die Kontrolle, der Wagen scherte aus und durchschlug mit einem ohrenbetäubenden Knall die Lärmschutzwand, die seit einigen Jahren den Stadtteil Knielingen vor dem dröhnenden Berufsverkehr abschirmte.
Das Letzte, was Birgit Lochner in ihrem Leben hörte, war die Stimme ihres Navigationsgeräts, während sie von der Brücke geradewegs in die Tiefe stürzte: »Wenn möglich, bitte wenden.«
Ein gut gemeinter Ratschlag, den sie auch für ihre Ehe hätte beherzigen sollen.
Doch dafür war es längst zu spät.
Das Feuer tobte überall. Kira kniete auf dem Boden des langen Flurs und starrte voller Entsetzen in das Inferno. Dicke Flocken aus Asche wirbelten durch die Luft und blieben an ihren Haaren hängen, die Tränen auf ihrer Wange glänzten im Licht der gleißenden Flammen. Hinter den verschlossenen Türen, die auf beiden Seiten vom Gang abzweigten, erklang das verzweifelte Jaulen und Bellen von Hunden in Todesangst.
Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das gesamte Gebäude einstürzen würde, doch Kira konnte sich nicht bewegen. Sie wollte aufstehen, den Tieren helfen, aber ihre Beine fühlten sich taub an. Sie war zum Zuschauen verdammt.
Die Tür direkt vor ihr stand einen Spalt breit offen. Eine Flamme züngelte heraus, kurz darauf drückte sich eine pechschwarze Katze mühsam durch den Schlitz. Sie miaute und fauchte vor Schmerzen, Panik spiegelte sich in ihren tiefblauen Augen. Kira blinzelte, schaute genauer hin. Die spitzen Ohren, der keilförmige Kopf. Kein Zweifel, sie kannte diese Katze, die eigentlich ein Kater namens Pluto war. Er lief zielstrebig auf sie zu, sah sie neugierig an, dann rieb er sich an ihren Hosen den Ruß vom Fell, bevor er durch den Gang huschte und im dunklen Rauch verschwand.
Kira war wieder alleine. Ihre Lungen rasselten, das Atmen wurde zunehmend schwerer. Die rechte Hand war verkrampft. Als sie den Arm hob, wusste sie auch warum. Ihre Finger umschlossen mit aller Kraft ein kleines silbernes Feuerzeug.
Oh nein. Bitte nicht.
Und auf einmal hörte sie wieder die Stimme in ihrem Kopf. »Du bist schuld«, flüsterte sie vorwurfsvoll. Schlagartig wurde es kalt. Kira zitterte am ganzen Leib, obwohl sie innerlich glühte. Alles um sie herum verbrannte, alles, was ihr jemals wichtig war, ging für immer verloren. Ein letzter Atemzug, die Welt drehte sich im Kreis und die Sicht verschwamm in einem dichten Nebel. »Du bist schuld. Nur du allein.«
Plötzlich spürte sie, wie jemand von hinten an sie herantrat, die Hände unter ihre Arme schob, sie packte und rückwärts durch den Gang zog. Hilflos sah sie dabei zu, wie ihre tauben Füße über den Boden schleiften, wie jemand sie durch eine enge Tür zwängte, und im selben Moment fühlte sie das Kribbeln von frischer Luft auf ihrer Haut. Irgendwo erklang das Martinshorn der Feuerwehr, in der Ferne knatterten die Rotoren eines Hubschraubers.
»Kira!«, rief jemand. »Kira, aufstehen!«
Dann riss sie die Augen auf.
»Hey, was soll das?«, schrie sie. »Du hast hier nichts zu suchen!« Mit angewidertem Gesicht rieb sie sich die Schulter, an der ihr Vater sie eben wachgerüttelt hatte.
Er stand neben der Liege wie ein Zinnsoldat, mit perfekt gebügeltem Hemd und knitterfreier Cordhose. Seine zusammengezogenen Augenbrauen leuchteten weiß, genau wie seine zerzauste Frisur, die nur selten mit einem Kamm in Kontakt kam. Rasiert war er jedoch perfekt, so wie jeden Morgen. Vielleicht lag es auch daran, dass die Barthaare an seinen herunterhängenden Mundwinkel keinen Halt fanden. »Du hast schlecht geträumt«, sagte er mit griesgrämiger Stimme.
»Ja, von dir!«, keifte sie ihn an. »Du weißt schon, dass du in der verbotenen Zone bist?«
So bezeichnete sie die siebzehn Quadratmeter heiligen Boden hinter dem großen Reißverschluss. Wahrscheinlich war es einfacher, eine Zutrittsgenehmigung zur Area 51 in Nevada zu ergattern als zu Kiras Jurte.
»Tut mir ja leid, Euer Durchlaucht, aber es handelt sich um einen Notfall«, stichelte ihr Vater. »Da Ihr es ja nicht für nötig haltet, ans Telefon zu gehen, wenn Euer Meister nach Euch verlangt, musste ich eben auf diesem Wege Eure Aufmerksamkeit erhaschen.«
»Hä? Ich habe heute Spätschicht.« Kira fuhr sich mit der Hand durch die verschwitzten Haare, dann kletterte sie von der Liege, um mit verschlafenen Augen nach dem Handy zu sehen. Tatsächlich. Drei verpasste Anrufe von Dr. Bärnighausen.
»Dein Chef konnte dich nicht erreichen, deshalb hat er bei mir angerufen. Du sollst sofort in die Praxis kommen, weil deine sogenannten Fähigkeiten dringend benötigt werden.« Das Wort Fähigkeiten betonte ihr Vater mit spürbarer Missbilligung.
Kira runzelte die Stirn. Warum bitte war das Handy stummgeschaltet? Dann fiel es ihr wieder ein: Sebastian hatte gestern an den Sicherheitseinstellungen herumgeschraubt, um die Standortverfolgung zu deaktivieren. Dabei hatte er wohl auch noch den Ton abgestellt. Na klar, dachte sie. Ein Handy, das man nicht hört, kann auch niemand finden. Sie fluchte leise in sich hinein und nahm sich vor, der Fledermaus mal wieder gehörig die Ohren lang zu ziehen.
»Okay, ein Notfall«, sagte sie. »Aber in Ruhe anziehen darf ich mich noch? Also ich meine: ganz ohne väterlichen Beistand?«
Ihr alter Herr verdrehte die Augen. »Ja, ja. Bin schon weg.« Gerade als er das Zelt verlassen wollte, fiel ihm ein Berg Schmutzwäsche neben einem Haufen zusammengeknüllter Handtücher ins Auge. »Übrigens, Frollein, wir haben eine Waschmaschine. Du willst doch sicherlich nicht, dass hier Schimmel ansetzt?«
»Ach ja? Und wie bitte soll das gehen? Du blockierst doch die Waschmaschine schon seit drei Tagen mit deinen Gardinen«, wehrte sie sich. »An jedem Fenster hängen tonnenweise Gardinen. Wer hat das denn heute noch?«
»Die hat deine Mutter damals aufgehängt, und die bleiben, wo sie sind«, bläffte ihr Vater zurück. »Du darfst gerne alles vergessen, wenn dir das gefällt. Aber lass mir meine Erinnerungen.«
Jetzt fing das wieder an. Schmutzige Wäsche waschen und Salz in die Wunde streuen, das konnte er gut. Vorwürfe zwischen den Zeilen und Schuldzuweisungen unter dem Deckmantel der Hauswirtschaft. Wie sollten so jemals die Albträume enden? Aber Kira wusste genau: Wenn sie sich jetzt provozieren ließ, herrschte wieder tagelang dicke Luft im Hause Mauerfuchs.
»Und überhaupt«, legte er nach, »könntest du mal wieder anständig lüften. Kochst du Eier ab, oder was riecht hier so?«
Kira grunzte wortlos, dann flüchtete sie durch den großen Reißverschluss. Als sie hinaus in den Garten trat, hörte sie die Sirenen von Polizei und Feuerwehr, in der Ferne kreiste ein Hubschrauber am Morgenhimmel, und zu allem Überdruss zogen am Horizont auch noch dunkle Regenwolken auf. »Willkommen in Karlsruhe. Willkommen in meiner Welt«, sagte sie leise.
»Kjää, kjää, kjää«, bekam sie als Antwort.
Und dann sah sie ihn auch schon: Gierschnabel, die wohlgenährte Elster, die unter der Rosskastanie am anderen Ende des Gartens auf der Wiese saß. Etwas Silbriges glänzte in ihrem Schnabel, während sie geduldig auf eine Belohnung wartete.
Kiras Vater kam nun auch aus dem Zelt. Er schüttelte verständnislos den Kopf.
»Hast du genug herumgeschnüffelt?«, fragte sie. »Dann scher dich weg! Ich habe wichtigen Besuch.«
»Frollein, nicht in diesem Ton!«, gab Herr Mauerfuchs zurück. »Der Strom- und der Wasserzähler laufen immer noch auf meinen Namen. Komm endlich mal in der Wirklichkeit an. Du lebst seit Jahren in einer anderen Welt, unterhältst dich nur noch mit Tieren und kümmerst dich um nichts. Kira, du bist vierundzwanzig, dieses Zelt ist eine Traumblase. Eines Tages, wenn ich mal nicht mehr hier bin, wird sie platzen. Und was dann? Andere in deinem Alter sind schon verheiratet und haben Kinder.«
Kira verschränkte die Arme. »Sagt der, der erst mit fünfundvierzig Vater wurde.«
Plötzlich rauschte es in den Blättern der Rosskastanie, die Äste bogen sich im Wind. Ein Rettungshubschrauber flog in niedriger Höhe über den Garten, Gierschnabel flatterte vor Schreck davon.
Na toll, dachte Kira. Mal wieder ein Unfall auf der Südtangente. Dank der Dauerbaustelle wurde das langsam zur Gewohnheit. Wahrscheinlich hatte sich schon ein Rückstau bis zur Autobahnauffahrt gebildet, vom Chaos in der Innenstadt ganz zu schweigen.
Und obendrein war auch noch der Deal mit Gierschnabel geplatzt.
»Pass auf, Kira«, sagte ihr Vater. »Nachher sind noch die Küchenvorhänge und meine Hemden dran, aber heute Abend darfst du an die Maschine. Wenn du es irgendwann auf die Reihe bekommen würdest, so etwas wie einen regelmäßigen Waschtag zu organisieren, gäbe es diese Diskussion nicht. Es kann doch nicht so schwierig sein, ein wenig Ordnung in dein Leben zu bringen.«
Kira antwortete nicht. Sie ließ ihren Vater stehen, verschwand im Zelt und zog den Reißverschluss hinter sich zu. Während sie auf der elektrischen Heizplatte ein Ei abkochte, schlüpfte sie in ihre Lieblingsklamotten, die ebenfalls schon längst auf den Berg der Schmutzwäsche gehörten. Für den Langarm-Hoodie war es im Juni sogar schon viel zu warm, doch mit hochgekrempelten Ärmeln ließ es sich aushalten. Und dank des orangebraunen Stoffes sah auch niemand den Dreck, der schon seit Wochen daran klebte. Dreiviertel-Jogginghosen hatte sie mehrere. Sie waren zwar alle gelb, aber unterschieden sich durch die Anzahl der ausgefransten Löcher.
Zum Duschen war heute keine Zeit. Kira träufelte etwas Wasser über eine Bürste, um ihre langen dunkelblonden Haare zumindest ansatzweise in Form zu bringen. Die farbigen Strähnen wirkten trotzdem zerknittert, was heute allerdings hervorragend zu ihrer Stimmung passte.
Nach Beendigung der Katzenwäsche legte sie das abgekochte Ei ins Gras neben dem Zelteingang, damit Gierschnabel, falls er es sich noch anders überlegte, sein Tauschgeschäft später abschließen konnte, dann schwang sie sich auf ihren Drahtesel, um sich auf den Weg in Richtung Innenstadt zu machen.
Wie erwartet, war halb Karlsruhe schon so verstopft, dass selbst die Radfahrer kaum vorwärtskamen. Jeder versuchte, den Stau auf der Südtangente zu umgehen, indem er sich durch enge Seitenstraßen quetschte und dabei sämtliche Verkehrsregeln missachtete. An jeder Kreuzung stockte es, die rote Welle an den Ampeln tat ihr Übriges.
Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, entlud sich unterwegs auch noch ein kräftiges Gewitter.
Kira fluchte. Manchmal war es besser, morgens nicht aufzuwachen. Selbst wenn man in einem Albtraum steckte.
Nass bis auf die Knochen und kochend vor Wut schleuderte Kira die Tür zur Tierarztpraxis auf. Sie stampfte wortlos am Empfang vorbei bis ins Wartezimmer, wo sie demonstrativ ihren vor Wasser triefenden Hoodie auf einen Bügel hängte. Dass der Wartebereich schon ziemlich gut gefüllt war, interessierte sie nicht. Mit durchgeweichter Hose und einem ärmellosen Trägershirt bekleidet, warf sie allen Anwesenden einen grimmigen Blick zu, bis das konsternierte Getuschel verstummte, dann betrat sie, weiterhin ohne jemanden zu grüßen, das Büro ihres Chefs.
Dr. Bärnighausen saß am Schreibtisch und empfing sie mit einem Lächeln. »Guten Morgen, Frau Mauerfuchs«, trällerte er. Kira war über seine Warmherzigkeit jeden Tag aufs Neue erstaunt. Da er sie als Auszubildende nun schon im dritten Lehrjahr betreute und alle ihre Macken kannte, war das für sie keine Selbstverständlichkeit. Von jeder anderen Auszubildenden mit einem derartigen Verhalten hätte er sich wahrscheinlich schon längst getrennt, doch an sie hatte er noch nie ein böses Wort verloren. Vielleicht, so vermutete sie, traute er sich auch einfach nicht, sie zu kritisieren, da er genau wusste, in welcher Katastrophe das für ihn enden würde. Sie war für seine Praxis inzwischen unentbehrlich geworden. Dass er sich trotz ihres desaströsen Lebenslaufs aus einer Vielzahl von Bewerberinnen ausgerechnet für sie entschieden hatte, war, wie er einmal zu ihr gesagt hatte, ein tierischer Glücksgriff gewesen. Ihre einzigartige empathische Fähigkeit, mit der sie sich in die Gefühlswelt von Tieren hineinversetzen konnte, war auch der Grund, warum sich die Anzahl von Bärnighausens Patienten innerhalb kürzester Zeit verdoppelt hatte. Die Praxis genoss in Karlsruhe eine Beliebtheit wie keine andere und sorgte dafür, dass ihr Chef rund um die Uhr im Einsatz war.
»Mal wieder das große ›S‹?«, fragte er mit einem Augenzwinkern.
Das große »S« stand für Scheißtag, ein Code, den sie mit ihm vereinbart hatte, um niemanden zu verschrecken.
»Heute sind es sogar drei große ›S‹«, antwortete sie. »Scheißtag, Stau und Sauwetter.« Dann ging sie zu dem Waschbecken, das eigentlich zum Desinfizieren der Hände vorgesehen war, und drückte ihre nassen Haare aus.
»Es tut mir sehr leid«, meinte Bärnighausen. »Aber ich muss wohl noch ein viertes ›S‹ hinzufügen.«
Nachdem Kira die Haare mit einem Handtuch trockengerubbelt hatte, schlüpfte sie in einen übergroßen Ärztekittel. »Welches ›S‹ kann denn so schlimm sein, dass Sie sogar meinen Vater in Aufregung versetzen?«
»Stegmeyer.«
»Wie bitte? Wer soll das denn sein?«, wunderte sie sich.
»Aber Frau Mauerfuchs, Sie kennen doch wohl den Karlsruher Oberbürgermeister? Nun ja, er ist nicht persönlich hier, aber immerhin seine Frau. Also die aktuelle, glaube ich.«