Der Bulle und der Schmetterling - Im Auge des Schwans - Martin Heimberger - E-Book

Der Bulle und der Schmetterling - Im Auge des Schwans E-Book

Martin Heimberger

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Beschreibung

Karlsruhe im Morgengrauen: Ein toter Feuerwehrmann liegt auf dem Deich am Rheinufer. Der verlässlichste Zeuge ist ein Schwan mit verletztem Flügel. Ein klarer Fall für Tierflüsterin Kira Mauerfuchs! Doch die Ereignisse überschlagen sich: Bei den Ermittlungen am Deich werden die Polizisten Zeugen einer Explosion - in einem Bau von invasiven Biberratten wurde ein Sprengsatz deponiert. Schlimmer noch: Die Stadt wird erpresst. Der Täter droht, die Deiche zu sprengen - eine Katastrophe! Ein Verdächtiger für beide Taten ist schnell gefunden. Doch dem Kommissar Schiemann schwant, dass dieser Fall noch nicht abgeschlossen ist ...

Über die Serie:

Kommissar Schiemanns Leben steht Kopf: Der gemütliche Genießer und Gartenfreund blickt auf eine jahrzehntelange, makellose Karriere bei der Karlsruher Kriminalpolizei zurück - bis Kira Mauerfuchs in sein Leben tritt. Diese junge Frau hat zwei besondere Eigenschaften: Erstens versteht sie sich sehr gut mit Tieren. Zweitens überhaupt nicht mit Menschen. Aber als sie im Alleingang - und mit einem Hund als Zeugen - einen Fall löst, wird klar: Kira Mauerfuchs ist ein Naturtalent! Und so nimmt das ungewöhnliche Ermittlerteam seine Arbeit auf ...

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Inhalt

CoverGrußwort des VerlagsÜber diese FolgeDer Bulle und der Schmetterling – Die SerieTitel1234567891011121314151617181920Über den AutorImpressum

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Über diese Folge

Karlsruhe im Morgengrauen: Ein toter Feuerwehrmann liegt auf dem Deich am Rheinufer. Der verlässlichste Zeuge ist ein Schwan mit verletztem Flügel. Ein klarer Fall für Tierflüsterin Kira Mauerfuchs! Doch die Ereignisse überschlagen sich: Bei den Ermittlungen am Deich werden die Polizisten Zeugen einer Explosion – in einem Bau von invasiven Biberratten wurde ein Sprengsatz deponiert. Schlimmer noch: Die Stadt wird erpresst. Der Täter droht, die Deiche zu sprengen – eine Katastrophe! Ein Verdächtiger für beide Taten ist schnell gefunden. Doch dem Kommissar Schiemann schwant, dass dieser Fall noch nicht abgeschlossen ist …

Der Bulle und der Schmetterling – Die Serie

Kommissar Schiemanns Leben steht Kopf: Der gemütliche Genießer und Gartenfreund blickt auf eine jahrzehntelange, makellose Karriere bei der Karlsruher Kriminalpolizei zurück – bis Kira Mauerfuchs in sein Leben tritt. Diese junge Frau hat zwei besondere Eigenschaften: Erstens versteht sie sich sehr gut mit Tieren. Zweitens überhaupt nicht mit Menschen. Aber als sie im Alleingang – und mit einem Hund als Zeugen – einen Fall löst, wird klar: Kira Mauerfuchs ist ein Naturtalent! Und so nimmt das ungewöhnliche Ermittlerteam seine Arbeit auf …

Martin Heimberger

Im Auge des Schwans

1

Die Natur war in Aufruhr. Zwei Kormorane flatterten kreischend durch das Blätterdach einer Silberweide. Ein Graureiher stieß einen kehlig-krächzenden Warnruf aus. Mehrere Blässhühner flüchteten ins dunkelgrüne Wasser eines brackigen Tümpels. Schon seit Tagen versetzte ein Furcht einflößendes Heulen die Tierwelt der Karlsruher Rheinauen in Angst und Schrecken.

»Sag mal. Hast du das eben auch gehört?«, fragte Silke Scherrer, während sie ihre Nordic Walking Stöcke in den weichen Waldboden rammte. »War das schon wieder das Martinshorn der Feuerwehr?«

Ilka Schwab schaute sie mit großen Augen an und schnippte gegen das Hörgerät in ihrem rechten Ohr. »Nee, ich höre nix. Ich glaub, da müssen neue Batterien rein. Aber das kann schon sein. Der Rhein schwappt bald über, deswegen bewachen die den Deich rund um die Uhr. Der letzte Schnee in den Alpen schmilzt, und wenn es in der Schweiz weiter so viel regnet, steht uns das Wasser bald bis zum Hals.«

»Du hast doch gar keinen Hals«, widersprach Silke mit einem gehässigen Grinsen. »Schau doch mal in den Spiegel.«

»Ja, was glaubst du denn, warum ich jeden Morgen mit dir hier unterwegs bin? Bald purzeln die Pfunde. Du wirst schon sehen.« Ilka stoppte und streckte einen ihrer Stöcke stolz in die Luft. »Ha! Mein Emil würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass ich in meinem Alter noch mal Sport mache.«

»Dein Emil? Der liegt doch gar nicht mehr in seinem Grab. Der zieht mit meinem Eddie längst durchs Land, wo Gin und Whiskey fließen. Davon haben die beiden doch immer geträumt. Gott hab sie selig!«

»Ja, Gott hab sie selig«, stimmte Ilka zu.

Plötzlich zuckte Silke zusammen. Erschrocken riss sie die Augen auf. »Psst«, zischte sie, dann rückte sie sich die Brille zurecht. »Da hinten hat sich was bewegt.« Aufgeregt zog sie ihr Handy aus der Tasche. Ihr suchender Blick wühlte sich durch das Dickicht des badischen Urwalds und blieb schließlich am wulstigen Stamm einer krumm gewachsenen Schwarzpappel haften. »Schau doch. Dort an dem Baum kriecht etwas herum. Ich muss es fotografieren. Meine Sammlung ist fast vollständig.«

Ilka schüttelte nur den Kopf. »Ach, Silke. Mach dich nicht lächerlich! Du und deine bedrohten Arten. Das einzige Tier in deiner Sammlung ist der Graue Star.«

»Was redest du da?«, protestierte Silke. Sie hielt Ilka das Handy vor die Nase. »Jetzt bist du baff, was? Den habe ich gestern fotografiert. Die blauen Federn, der lange Schnabel. Eindeutig ein Eisvogel. Von denen gibt’s nicht mehr viele.«

Ilka lachte. »Ein Eisvogel? Was für ein Unsinn. Das ist ein Stück blaues Stanniolpapier, das sich in einem Baum verfangen hat. Da hat jemand einen Schokoriegel gegessen.«

Doch dann bemerkte sie es auch.

Ein geheimnisvoller Schemen huschte durchs Gestrüpp, ein Busch neigte sich zur Seite.

Aus dem Schatten erhob sich ein mysteriöses Wesen.

»Himmel, was ist das?« Ilka zeigte mit dem Finger zum Fuß der Schwarzpappel. »Siehst du auch, was ich sehe?«

Silke wackelte an ihrer Brille und kniff die Augen zusammen. »Na klar, das ist ein Biber. Die siedeln sich hier entlang des Rheins wieder an. Stand neulich in der Zeitung.« Blitzschnell schoss sie ein paar Schnappschüsse.

»Ein Biber?« Ilka schüttelte den Kopf. »Nee. Nie und nimmer.« Entsetzt starrte sie ins Halbdunkel des Auwalds. Das Tier, das sie erspäht hatte, glotzte genauso entsetzt zurück. Es sah aus wie ein kleiner Hund mit dem Kopf einer Ratte. Doch das Fell war strahlend weiß und die Augen leuchteten rot wie loderndes Feuer. »Das ist ein Geisterbiber«, verkündete sie mit zitternder Stimme.

Silke blinzelte und schoss ein weiteres Foto. »Ernsthaft? Ein Geisterbiber? Und ich dachte immer, ich bin diejenige, die schlecht sieht.«

»Ach ja?«, protestierte Ilka lauthals. »Und was bitte soll das für eine Kreatur sein? Schneehasen gibt es nicht am Rhein. Und auch keine Polarfüchse. Schon gar nicht im Mai.«

Es raschelte. Schatten legten sich über das weiße Fell. Die rot glühenden Augen zogen sich in die Dunkelheit zurück.

»Mensch, Ilka«, schnaubte Silke. »Jetzt hast du ihn mit deinem Gebrüll verscheucht. Komm schon, ich vermute, er flüchtet in Richtung Fluss. Ihm nach!«

Wenig später spurteten vier Nordic Walking Stöcke wie die Beine eines Jagdhunds im Stechschritt quer durch das sumpfige, von einem Altrheinarm umgebene Gebiet des Naturschutzzentrums Karlsruhe-Rappenwört. Wie viele seltene Tier- und Pflanzenarten dabei zu Schaden kamen, interessierte die beiden Geisterjägerinnen nicht. Erst vor dem großen Hauptdeich, der das Gebiet im Westen begrenzte und als letztes Bollwerk die Stadt vor den zerstörerischen Fluten des Rheins beschützte, machten sie Halt.

»Denkst du, das Ungetüm ist in den Fluss gesprungen?«, fragte Silke.

Ilka hielt sich mit einer Hand den Rücken. »Keine Ahnung«, stöhnte sie erschöpft. »Aber lass uns mal oben Ausschau halten. Dann sehen wir auch gleich, wie hoch das Wasser steht. Ich mach mir echt Sorgen. Angeblich sind die Deiche voller Risse.«

Silke winkte ab. »Unsere Deiche halten. Wir hatten hier noch nie Probleme. Das Dammsystem ist bombensicher. Dafür sorgt auch die Feuerwehr.« Sie zeigte mit ihrem Stock auf einen Mann mit Helm und Feuerwehruniform, der oben auf der Dammkrone herumtänzelte und dabei ständig mit dem Bein nach etwas kickte.

»Was macht der Idiot denn da?«, wunderte sich Ilka. »Ist der etwa besoffen?«

»Überraschen würde mich das nicht«, erwiderte Silke. »Mein Eddie war ja früher auch bei der Feuerwehr. Der ist dort nur hingegangen, um seinen Durst zu löschen. Gott hab ihn selig.«

»Verschwinde endlich, du Miststück!«, schallte es vom Deich herunter, gefolgt von einem wilden Fauchen. Der Feuerwehrmann sprang umher, als ob er einen Schuhplattler aufführen würde. Er schlug wild um sich, trat mit den Füßen und schimpfte.

Erst dann bemerkten Ilka und Silke, dass der vermeintlich Betrunkene mit einem Schwan kämpfte. Der große Vogel im prächtig weißen Federkleid war stinksauer, daran bestand kein Zweifel. Fuchsteufelswild attackierte er den Feuerwehrmann und ließ sich von seinen Schmerzensschreien nicht beeindrucken. Die beiden Damen zuckten jedes Mal zusammen, wenn der Schnabel auf eine Kniescheibe traf oder sich in ein Schienbein bohrte.

»Hallo? Was veranstalten Sie denn da für einen Veitstanz?«, rief Ilka hinauf. »Lassen Sie den armen Schwan in Ruhe!«

Als der unfreiwillige Tänzer seine beiden Zuschauerinnen bemerkte, stieß er einen Fluch aus, dann versetzte er dem Vogel einen letzten Tritt und stieg rasch vom Deich herunter. Seine Laune besserte sich jedoch nicht. Während er sich mit der einen Hand den Helm tiefer ins Gesicht zog, hob er mit der anderen mahnend den Zeigefinger. »Entschuldigung, aber was bitte haben Sie vor? Wollen Sie etwa auf dem Deich herumspazieren?«

Ilka tippte auf ihr Hörgerät. »Wie bitte? Was für ein Teich? Ich dachte, das ist der Rhein?«

Silke wackelte an ihrer Brille. »Wo ist er eigentlich, der Rhein? Ich sehe hier nur diesen grünen Hügel.«

Ilka legte ihr die Hand auf die Schulter. »Der Rhein ist auf der anderen Seite, meine Liebe.«

»Die andere Seite?«, wunderte sich Silke. »Du meinst dort, wo Eddie und Emil sind?«

»Eddie und Emil?«, rätselte der Feuerwehrmann. »Da laufen noch mehr auf dem Deich herum? Hören Sie: Es ist streng verboten, während des Hochwassers die Deiche zu betreten. Ich fordere Sie hiermit auf, dieses Gebiet zu meiden. Der kleinste Riss im Boden kann zu einer Katastrophe führen.«

Ilka nickte zustimmend. »Ja, das ist eine Katastrophe mit diesen Booten. Die verscheuchen die ganzen Vögel. Nicht wahr, meine Liebe? Wissen Sie, wir kommen immer an den Rhein, um die Enten und Schwäne zu füttern.«

Der Feuerwehrmann stieß frustriert die Luft aus. Er wollte schon zu einer weiteren Mahnung ansetzen, da bemerkte er, wie Silke mit einem Tüchlein die Brillengläser putzte und Ilka mit zusammengekniffenen Augen gegen ihr Ohr klopfte.

Resigniert schüttelte er den Kopf und stapfte genervt davon.

Die beiden Damen dagegen zwinkerten sich verschmitzt zu, gaben sich ein klatschendes High Five, dann bohrten sie ihre Nordic Walking Stöcke in den Deich und stiegen entschlossen die Böschung hinauf.

»Dem haben wir’s aber gezeigt«, meinte Silke völlig außer Atem. »Wollte der uns wirklich Vorschriften machen?« Sie reichte ihrer Freundin die Hand, um ihr den letzten Schritt auf die Deichkrone zu erleichtern.

»Wenn du mich fragst«, meinte Ilka schweißgebadet, »war dieser Rüpel völlig betrunken. Der hat doch ausgesehen, als ob er die ganze Nacht durchgezecht hätte. Und überhaupt: Wieso hat der hier draußen eigentlich einen Helm …« Als sie den Blick über die reißende Strömung des Flusses und schließlich über den fast überspülten Deich schweifen ließ, verschlug es ihr die Sprache. »Ach, du lieber Himmel! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Komm, das musst du dir unbedingt anschauen!«

»Was ist denn los?« Silke nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. »Oh, du hast recht. So hoch war der Rhein noch nie. Seit gestern hat der einen gewaltigen Sprung gemacht. Bist du sicher, dass wir hier nicht am Meer stehen? Ich erkenne ja kaum das andere Ufer.«

»Nein, das meine ich doch gar nicht.« Ilka stupste sie in die Seite. »Dort drüben. Siehst du das nicht? Dort, wo die vielen Enten herumlaufen. Auf dem Boden.«

Silke setzte ihre Brille wieder auf. »Hm. Ich weiß nicht recht. Sitzt dort nicht eine Rohrdommel? Die sind äußerst selten. Lass uns hingehen, ich muss ein Foto machen.«

Als sich die beiden Frauen der verdächtigen Stelle näherten, begannen die zehn Enten, die sich auf dem Deich versammelt hatten, lauthals zu schnattern, dann watschelten sie aufgeregt davon und sprangen von der Böschung in den Rhein. Eine Rohrdommel war weit und breit nirgendwo zu sehen, dafür ein Mann in Feuerwehr-Uniform, der dieses Mal keinen Helm trug und auch keinen Platzverweis aussprach.

Stattdessen lag er reglos auf dem Rücken.

Ilka schüttelte entsetzt den Kopf. »Die Feuerwehr soll doch den Deich bewachen und nicht hier faul im Gras herumlungern. Was ist denn das für eine Disziplin?«

Silke zuckte mit den Achseln. »Ich sag dir doch, dass die nur saufen. Der hat sich mit seinem Kameraden heute Nacht die Kante gegeben und kuriert jetzt seinen Rausch aus. Kein Wunder, dass der andere uns nicht hier rauflassen wollte. Der holt ihm eine Flasche Wasser, um den Brand zu löschen.«

»Die könnte ich jetzt auch gebrauchen«, sagte Silke und streckte ihre schweißnasse Stirn in den kühlen Morgenwind. Dann rümpfte sie die Nase. Etwas roch unangenehm. Beinahe modrig. Verstört schaute sie sich in alle Richtungen um, bevor sie mit einem ihrer Stöcke gegen ein Bein des Feuerwehrmanns stieß. »Der ist völlig blau«, stellte sie fest.

»Natürlich ist er blau«, erwiderte Silke.

»Nee, ich meine sein Gesicht. Schau es dir doch mal aus der Nähe an.«

Vorsichtig beugte sich Silke über den Körper des Mannes, zögerte für einen Moment, doch dann piekte auch sie mit einem Stock fest in sein Bein.

Keine Reaktion.

»Du, ich glaube, der ist tot«, flüsterte sie. Als Ilka ihr nicht widersprach, zog sie das Handy aus der Tasche.

Allerdings nicht, um eine seltene Rohrdommel zu fotografieren.

»Gott hab ihn selig«, sprach sie.

Dann wählte sie die Nummer des Notrufs.

2

Kriminalhauptkommissar Jens Schiemann schwankte. Seine Knie fühlten sich butterweich an. Für einen Moment kam es ihm vor, als ob er an Bord eines sturmgebeutelten Schiffes das Gleichgewicht verlor. Dabei stand er mit beiden Füßen fest auf dem Hauptdeich des Rheins und beobachtete nur die wogende Strömung des Flusses.

»Wie geht’s? Alles in Ordnung?«, fragte der Mann von der Spurensicherung, dessen gut durchblutetes Gesicht wie eine Salamischeibe aus dem weißen Einweg-Overall herausleuchtete.

»Grenzwertig«, erwiderte Schiemann. »Kann man eigentlich auch an Land seekrank werden?«

»Wenn Sie’s im Wasserbett zu bunt treiben«, bekam er als Antwort.

Der Kommissar lachte. »Das scheidet bei mir derzeit aus. Ich fürchte, dann steckt wohl die Pizza von gestern Abend irgendwo quer.« Und das war nicht einmal gelogen. Dank des gestörten Mikrobioms in seinem Darm hatte sich ein Großteil des letzten Pizza-Exzesses im Café Gelbfüssler in Alkohol verwandelt, mit dem seine Leber heillos überfordert war.

Natürlich hätte er gestern nach der ersten Pizza aufhören können. Auch das Dessert, ein Flammkuchen Calvados mit gezuckerten Apfelscheiben, wäre nicht unbedingt nötig gewesen.

Aber was hätte er denn tun sollen? Einfach nur vor einem abgestandenen Bier auf sie warten und trübsinnig Löcher in die Luft starren?

Schon seit Wochen versuchte er jeden Dienstag um zwanzig Uhr in der Happy Hour sein Glück, in der Hoffnung, dass Mirjam das Café betrat und sich an seinen Tisch setzte, um sich mit ihm zur Versöhnung einen Wurstsalat zu teilen.

Doch sie kam einfach nicht.

Seit er Mirjam wegen eines Überraschungsbesuchs seiner Ex-Frau Anne schamlos versetzt und vor den Kopf gestoßen hatte, schmollte sie, reagierte nicht mehr auf seine Anrufe und zeigte ihm die kalte Schulter. Bei dem Versuch, sie in der Metzgerei mit einem Blumenstrauß zu besänftigen, hatte sie ihm sogar einen Wilden Zungenkuss verweigert, weil angeblich ihr Ofen nicht mehr richtig heiß wurde. Ganz anders als ihr Gemüt. Mit hochrotem Kopf hatte sie ihm unmissverständlich deutlich gemacht, dass sie kein Lückenfüller war und er sich zuerst über seine Gefühle klar werden sollte, bevor sie wieder mit ihm ausgehen würde.

Tja, aber das mit den Gefühlen war gar nicht so einfach, wenn man sein Herz gleich an zwei Frauen verloren hatte.

»Ich habe das Gefühl, dass wir hier bald alle absaufen«, meinte der Mann von der Spurensicherung. »Schauen Sie sich das an! Der Pegel steht bei 8,64 Metern, nur zwanzig Zentimeter unter dem historischen Höchststand von 1999. Auch die Strömung ist beachtlich. Das könnte für uns kritisch werden.«

»Der Schiffsverkehr ist komplett eingestellt?«, wollte Schiemann wissen.

»Klar. Aber sehen Sie das Treibholz? Da werden ganze Baumstämme aus den Altrheinarmen gespült, und weil unser Hochwasserschutz-System schon in die Jahre gekommen ist, genügt ein kleiner Riss, um bei einer Kollision den Deich zum Einsturz zu bringen. Ohne das wachsame Auge der Feuerwehr wäre hier schon längst Land unter.«

Der Kommissar deutete auf den Leichnam, der einige Meter entfernt lag. Um ihn herum scharten sich nicht nur weitere Beamte mit weißen Schutzanzügen, sondern auch eine Horde Enten. »Denken Sie, der Tote wurde angespült? So wie einer der Baumstämme?«, fragte er.

»Unwahrscheinlich«, antwortete der Kollege mit dem Salamigesicht. »Er liegt mitten auf der Deichkrone. Das Wasser müsste komplett übergeschwappt sein, um ihn hier heraufzutragen, aber dafür ist der Rhein nicht hoch genug. Glücklicherweise fehlen noch einige Zentimeter. Und ohne Schiffe gibt es auch keine großen Wellen.«

»Aber Sie behaupten, der Mann sei ertrunken?«

Der Mitarbeiter der Spurensicherung hob abwehrend beide Hände. »Wir vermuten es. Klären wird das die Obduktion. Allerdings weiß ich recht gut, wie ein Ertrunkener aussieht. Der Tote, ich schätze ihn um die sechzig, zeigt eindeutige Anzeichen einer Zyanose, der Mund ist voller Schaum, und auch seine Kleidung ist völlig durchnässt. Schauen Sie doch selbst.«

Als sich Schiemann der Leiche näherte, spürte er jede kleine Unebenheit der Grasnarbe unter seinen Füßen. Sein Kreislauf war auf einen morgendlichen Spaziergang auf einem Deich nicht vorbereitet, und auch in seinem Kopf fühlte es sich an, als ob darin ganze Baumstämme umherschwammen und ständig mit seiner Schädeldecke kollidierten. Die ersten, die ihn begrüßten und denen die Anwesenheit eines Ertrunkenen wenig beeindruckte, waren die Enten. Schnatternd liefen sie auf den Kommissar zu, hoben ihr Köpfchen und blickten ihn erwartungsvoll an. Eigentlich mochte er Enten und beschloss daher, ihre Anwesenheit einfach zu ignorieren, doch sein steril-weißer Kollege zischte genervt »Ksch, ksch«, um sie vom Einsatzort zu vertreiben. Als sich dann auch noch einer der Störenfriede auf einem Bein der Leiche gemütlich machte, klatschte er aggressiv in die Hände und brüllte: »Hau endlich ab! Verschwinde!«

Ja, auch du bist jetzt fort, schoss es Schiemann durch den Kopf. Dabei dachte er jedoch nicht an die verscheuchte Ente, sondern an Anne. Sie war ebenfalls Anfang des Jahres schnatternd davongeflattert, ohne sich jemals wieder zu melden. Dabei hatte er sich so über ihren unerwarteten Besuch gefreut. Nach ihrem Umzug nach Stuttgart war er schon beinahe über sie hinweg gewesen. Bereit für einen neuen Lebensabschnitt mit Mirjam, doch dann hatte Anne wieder überraschend vor ihm gestanden. Ein Design-Festival wollte sie besuchen, und nur für ein paar Tage bei ihm übernachten. Es brauchte nicht viel an jenem Abend. Ein verführerisches Lächeln, zwei Gläser Rotwein, und einen Sauerbraten mit handgeschabten Spätzle, schon waren seine Gefühle für sie neu entflammt. Das einzige Problem war ihr Kater Pinky, der sich nicht mit seinem Beagle Timmy vertrug. Es kostete Schiemann viel Fingerspitzengefühl, Anne davon zu überzeugen, Pinky vorübergehend in die Obhut von Tierflüsterin Kira Mauerfuchs zu geben. Einer Person, auf die seine Ex-Frau keine großen Stücke hielt. Was für Schiemann zunächst als die perfekte Idee erschien, stellte sich zwei Tage später als großer Fehler heraus. Kira klingelte plötzlich völlig aufgelöst an seiner Haustür, in ihren Armen hielt sie Pinky, der einen dicken Verband um ein Hinterbein trug. Er hatte sich angeblich in einem unachtsamen Moment beim Spielen verletzt. Anne fiel aus allen Wolken und überschüttete ihren Jens mit Vorwürfen. Er interessiere sich mehr für seinen Beagle als für sie, hatte sie ihm an den Kopf geworfen. Er solle doch lieber seine kleine Kollegin bei sich aufnehmen. Dann müsse diese nicht mehr in einem Zelt leben, und sowieso könne sie mit Hunden sicherlich viel besser umgehen als mit Katzen. Danach hatte Anne ihre Sachen gepackt und den nächstbesten Zug nach Stuttgart genommen.

Bis heute rätselte Schiemann, warum ausgerechnet die Tierexpertin Kira Pinky so vernachlässigt hatte, und er fragte sich, was damals wirklich mit dem Kater vorgefallen war.

»Er weist Spuren von Gewalteinwirkung auf«, riss ihn der Kollege aus den Gedanken. »Auf den ersten Blick sehen wir Blutergüsse an den Händen, am Genick und am Hinterkopf.«

»Dann könnte er also ertränkt worden sein?«, mutmaßte Schiemann.

»Durchaus. Womöglich direkt hier am Rhein, oder der Täter hat die Leiche hier nur entsorgt. So wie der Körper da liegt, flach auf dem Rücken und mit seitlich ausgestreckten Armen, wurde er aber nicht einfach nur hingeworfen und zurückgelassen. Nein, er wurde sauber ausgelegt und zur Schau gestellt.«

Schiemann kratzte sich nachdenklich an der Stirn. »Der Tote ist Mitglied der Feuerwehr?«

»Auf seiner Jacke steht Freiwillige Feuerwehr Daxlanden. Das Naturschutzzentrum Rappenwört, wo wir uns gerade aufhalten, gehört zu diesem Stadtteil. Ich nehme an, seine Einheit ist für diesen Abschnitt des Deichs zuständig.«

»Wer hat die Leiche gefunden?«, fragte Schiemann.

»Die beiden.« Der Kollege deutete auf die grauhaarigen Spaziergängerinnen, die einige Meter entfernt schon seit einer Stunde auf ihre Befragung warteten. »Sie sind allerdings, wenn ich Sie vorwarnen darf, na ja, ein bisschen schwierig.«

Schiemanns Magen grummelte. Das Schnattern der Enten schmerzte in seinen Ohren, als ob sich ihre Schnäbel durch seinen Kopf bohren würden.

Na prima, dachte er. Schon wieder zwei schwierige Frauen. Er war gespannt, welche von beiden zuerst Reißaus nehmen würde.

3

»Dauert das noch lange? Dürfen wir jetzt endlich nach Hause?«, fragte Silke Scherrer, als Schiemann die Hand zum Gruß ausstreckte. Die beiden alten Damen standen mitten auf der Deichkrone etwas außerhalb des mit rot-weißem Flatterband abgesperrten Bereichs und stützten sich gelangweilt auf ihre Nordic-Walking-Stöcke, die sich bereits mehrere Zentimeter tief in die Erde gebohrt hatten. »Mein Zacharias wartet schon auf sein Frühstück«, fügte sie hinzu.

Schiemann lächelte. »Ist das Ihr Mann?«

»Ach was, der ist doch schon längst von uns gegangen«, protestierte sie. »Gott hab ihn selig! Zacharias ist ein grüner Blaulatzsittich. Diese Vögel sind sehr selten, müssen Sie wissen. Die brauchen ein geregeltes Frühstück.«

»Unsinn. Das ist ein ganz normaler Papagei«, fiel ihr Ilka Schwab ins Wort. »An dem ist überhaupt nichts selten.« Dann wandte sie sich dem Kommissar zu. »Wundern Sie sich nicht. Silke sieht nicht mehr gut. Neulich hat sie einem Vogel Brot zugeworfen, weil sie ihn für einen seltenen Pirol gehalten hat, und dann war es doch nur eine leere Bierdose.«

»Pah! Du brauchst hier keine großen Töne zu schwingen«, beschwerte sich Silke. Du bist taub wie eine Nuss. Und ständig ist bei dir im Ohr die Batterie leer, dann hörst du nur noch piep, piep, piep.«

»Wie bitte?«, staunte Ilka.

»Piep, piep, piep«, wiederholte Silke. Sie holte mit einem ihrer Nordic-Walking-Stöcke so schwungvoll aus, dass der Kommissar sich erschrocken wegduckte. Dann klopfte sie Ilka freundschaftlich auf den Rücken.

»Ähm, nun gut, die Damen«, unterbrach Schiemann die Schäkerei. »Sie beide haben also den Toten entdeckt?«

»Na, sicher doch. Der war ja selbst für mich nicht zu übersehen. So, wie der Mann daliegt, dachten wir, der ist betrunken«, erklärte Silke. »Bei der Feuerwehr saufen sie wie die Löcher.« Sie rückte ihre Brille zurecht. »Aber das kennen Sie ja. Ist bei der Polizei wohl auch nicht anders, wenn ich mir Sie so ansehe.«

»Ähm«, grummelte Schiemann, entschied sich aber, nicht zu widersprechen. Dafür hatte er an diesem Morgen keinen Nerv, außerdem konnte er den beiden tütteligen Damen einfach nicht böse sein. »Ist Ihnen irgendetwas Verdächtiges aufgefallen, das uns weiterhelfen könnte? Vielleicht während Ihres Spaziergangs oder während Sie auf den Deich gestiegen sind?«

»Lassen Sie mich nachdenken«, meinte Silke. »Nein, nichts.«

»Ach, rede doch keinen Unsinn«, widersprach ihr Ilka. »Natürlich haben wir etwas gesehen. Erinnerst du dich nicht an den Geisterbiber? Ich habe dir doch gleich gesagt, dass da etwas nicht stimmt. So eine Kreatur habe ich noch nie im Leben gesehen. Das war kein gutes Omen.«

Silke schlug sich an die Stirn. »Ja, natürlich. Ich habe ihn doch fotografiert. Für meine Sammlung.« Stolz hielt sie Schiemann das Handy vor die Nase.

Erkennen konnte er nicht viel. »Hm, könnte auch eine weiße Katze sein«, schlug er vor. »Oder eine Gans.«

Ilka wedelte mit dem Zeigefinger. »Nee. Der hatte Schnurrhaare. Und eine Nase wie ein Schwein. Sein Fell war übernatürlich weiß, und seine Augen leuchteten feuerrot, wie es sich für einen anständigen Geist gehört.«

»Hör schon auf«, ergriff Silke das Wort. »Du jagst dem Kommissar noch Angst ein. Jedenfalls ist der Biber in Richtung Rhein gerannt. Wir sind ihm sofort hinterher. So ein seltenes Tier bekommt man ja nicht oft vor die Linse. Und wissen Sie was? Wir hätten ihn auch eingeholt, wenn uns dieser freche Rüpel nicht aufgehalten hätte.«

»Rüpel? Welcher Rüpel?«, rätselte Schiemann.