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Kommissar Schiemanns Leben steht Kopf: Der gemütliche Genießer und Gartenfreund blickt auf eine jahrzehntelange, makellose Karriere bei der Karlsruher Kriminalpolizei zurück - bis Kira Mauerfuchs in sein Leben tritt. Diese junge Frau hat zwei besondere Eigenschaften: Erstens versteht sie sich sehr gut mit Tieren. Zweitens überhaupt nicht mit Menschen. Aber als sie im Alleingang - und mit einem Hund als Zeugen - einen Fall löst, wird klar: Kira Mauerfuchs ist ein Naturtalent! Und so nimmt das ungewöhnliche Ermittlerteam seine Arbeit auf ...
Folge 1:
Für Kommissar Schiemann sieht es nicht gut aus: Nicht nur, dass er wegen haltloser Vorwürfe - für die er Kira Mauerfuchs verantwortlich macht - ein Disziplinarverfahren am Hals hat. Nein, nun wird auch noch sein Nachbar tot aufgefunden - erschlagen, mit Schiemanns Schaufel! Wer könnte den Katzenhasser auf dem Gewissen haben? Die Katzen der Nachbarschaft werden es ja wohl kaum getan haben! Doch warum versammeln sie sich um die im Gartenteich treibende Leiche? Schiemann hat keine Wahl: Nur mit Kiras Hilfe kann er diesen Fall lösen ...
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Kommissar Schiemanns Leben steht Kopf: Der gemütliche Genießer und Gartenfreund blickt auf eine jahrzehntelange, makellose Karriere bei der Karlsruher Kriminalpolizei zurück – bis Kira Mauerfuchs in sein Leben tritt. Diese junge Frau hat zwei besondere Eigenschaften: Erstens versteht sie sich sehr gut mit Tieren. Zweitens überhaupt nicht mit Menschen. Aber als sie im Alleingang – und mit einem Hund als Zeugen – einen Fall löst, wird klar: Kira Mauerfuchs ist ein Naturtalent! Und so nimmt das ungewöhnliche Ermittlerteam seine Arbeit auf …
Für Kommissar Schiemann sieht es nicht gut aus: Nicht nur, dass er wegen haltloser Vorwürfe – für die er Kira Mauerfuchs verantwortlich macht – ein Disziplinarverfahren am Hals hat. Nein, nun wird auch noch sein Nachbar tot aufgefunden – erschlagen, mit Schiemanns Schaufel! Wer könnte den Katzenhasser auf dem Gewissen haben? Die Katzen der Nachbarschaft werden es ja wohl kaum getan haben! Doch warum versammeln sie sich um die im Gartenteich treibende Leiche? Schiemann hat keine Wahl: Nur mit Kiras Hilfe kann er diesen Fall lösen …
Martin Heimberger
Tote Nachbarn beißen nicht
Hundegebell, Hilfeschreie und jetzt auch noch das Heulen des Martinshorns. Drei gute Gründe, sich den Mittagsschlaf aus dem Kopf zu schlagen.
Frau Gütlich hämmerte im Treppenhaus gegen die Tür der Nachbarswohnung. Und das völlig zu Recht. Der nette Herr König von nebenan schrie wie am Spieß. Er war blind, Anfang achtzig und wurde zweifellos vom eigenen Hund bedroht.
»Herr König, hallo?«
Keine Antwort. Nur der Hund kläffte im Sekundentakt.
»Geht es Ihnen gut? So melden Sie sich doch!« Sie rief nun so laut, dass selbst die anderen Nachbarn im Haus es kaum überhören konnten.
Wieder nichts.
Der Hund dagegen bellte sich immer weiter in Rage. Schon seit Tagen drang sein markerschütterndes Jaulen durch die Wände. Dabei war er doch immer so ein braver Kerl gewesen.
»Das ist nur eine Phase«, hatte Herr König neulich noch gesagt, als Frau Gütlich ihm beim Spazieren begegnet war. »Auch mein Charly hat doch hin und wieder ein Recht auf Unpässlichkeit. Und wie Sie sehen, ist er hier draußen so friedlich wie ein Lamm.«
Dann hatte Charly mit dem Schwanz gewackelt, Frau Gütlichs Schuhe abgeleckt und sein Herrchen sicher über die Straße geleitet, wie es sich für einen pflichtbewussten Blindenhund gehörte.
Zurück in der Wohnung war er jedoch sofort wieder in den Angriffsmodus verfallen, und seit heute Nachmittag hatten sich unter das Gekläffe auch noch Schreie gemischt.
Was soll das?
Womit hab ich das verdient?
Und das war kein Grönemeyer-Song aus dem Radio, sondern eindeutig Herrn Königs Stimme gewesen. Als sich dann auch noch Klagelaute wie ›Argh!‹ und Kraftausdrücke wie ›Scheiße!‹ und ›Du Miststück!‹ hinzugesellt hatten, war Frau Gütlich nichts anderes übrig geblieben, als den Notruf zu wählen.
Noch ein letztes Mal klopfte sie vergeblich gegen Herrn Königs Tür, dann setzte sie sich auf die Treppen und wartete. Während die Sirene des Einsatzwagens und Charlys Heulen zu einem betörenden Klangteppich miteinander verschmolzen, wäre sie beinahe doch noch eingenickt, als plötzlich ein bedrohliches Hecheln sie aus dem Halbschlaf riss.
Charly?
War der verrückte Hund aus der Wohnung entkommen?
Erleichtert atmete sie auf, als sie erkannte, dass sich nur zwei Polizeibeamte mühsam in den fünften Stock kämpften.
Zwanzig Minuten später waren aus den beiden Polizisten zehn geworden. Einen farblichen Kontrast bot die Feuerwehr, da Herrn Königs Tür aufgebrochen werden musste. Am Gehsteig stand das Auto eines Notarztes, ein Leichenwagen bog eben in die Straße ein.
Hauptkommissar Jens Schiemann, kriminalistisches Schwergewicht des Polizeireviers Karlsruhe-West, beugte sich über Herrn Königs Körper, der völlig verkrümmt und mausetot auf dem Asphalt des Hinterhofs lag. Er musterte zuerst das zerrissene Hosenbein und die klaffende Wunde an der Wade, dann wanderte sein Blick die Hausfassade hinauf. »Ist das der Balkon?«, fragte er und deutete nach oben.
»Ja genau, von dort ist er runtergefallen«, antwortete der Kollege von der Spurensicherung. »Wir vermuten, dass ihn sein Hund angegriffen und in die Enge getrieben hat. Da sind überall Kampfspuren in der Wohnung. Entweder ist er nach der Flucht auf den Balkon über das Geländer gestürzt, oder vor Panik gesprungen.«
»So sieht’s aus«, bestätigte der Kommissar.
»Ja, so sieht’s aus.«
Schiemann rieb sich die roten Augen, dann die blasse Stirn. Ein Anflug von Übelkeit bohrte sich durch seinen wohlbeleibten Bauch. Gestern Abend war mal wieder alles aus dem Ruder gelaufen, und das, obwohl er genau wusste, wie seine Eskapaden jedes Mal endeten. Selbst heute Nachmittag steckten ihm die Nachwirkungen noch tief in den Knochen.
Warum passierte ihm das immer wieder?
War es der Ärger mit seiner Ex-Frau? Der Streit mit dem Nachbarn? Vielleicht auch nur eine Midlife-Crisis?
Aber war man mit zweiundfünfzig dafür nicht schon zu alt?
Wenigstens näherte sich der Feierabend mit großen Schritten, und dieser Einsatz schien so gut wie beendet. Kein Selbstmord. Kein Verbrechen. Alles deutete auf einen banalen Unfall hin.
»Die Wohnungstür war verschlossen?«, fragte der Kommissar. »Keine Hinweise auf einen Einbruch? Oder auf die Anwesenheit einer weiteren Person?«
»Nein. Nichts dergleichen«, erwiderte der Mann von der Spurensicherung. »Die Tür war zu. Keine Einbruchsspuren feststellbar. Wenn noch jemand drin war, hatte derjenige einen Schlüssel oder wurde reingelassen.«
»Was ist mit dem Hund?«
»Der ist immer noch auf hundertachtzig und hält unsere Leute auf Trab. Wir haben es inzwischen geschafft, ihn mit der Hilfe von zwei Feuerwehrmännern in die Küche zu sperren, aber sein Gejaule ist unerträglich.«
»Irgendwelche Zeugen?«
»Die Nachbarin. Ebenfalls Rentnerin und alleinstehend.«
»Na gut. Ich will noch mit ihr reden, dann kümmern wir uns um den Hund.«
Nach einem schweißtreibenden Aufstieg in den fünften Stock traf Schiemann im Treppenhaus auf eine kleine, aber immer noch sehr rüstig wirkende Grauhaarige, die zitternd vor Herrn Königs aufgebrochener Wohnungstür stand. »Kommissar Jens Schiemann. Kriminalpolizei«, stellte er sich vor. »Und Sie sind Frau …?«
»Gütlich«, ergänzte sie und reichte ihm die Hand. »Dora Gütlich. Sagen Sie, Herr Kommissar, ist es so, wie ich befürchtet habe? War es der Charly? Hat der Hund ihm das angetan? Ist er wegen ihm in den Tod gesprungen?«
Schiemann nickte. »So sieht’s aus.« Dabei wischte er sich mit einem Taschentuch die Stirn trocken. »Kannten Sie Herrn König?«
Gütlich winkte ab. »Ach, nur flüchtig. Aber wir haben uns jeden Tag hier im Treppenhaus gesehen. Und manchmal im Park. Also, genau genommen konnte nur ich ihn sehen, Herr Kommissar. Der Herr König war blind, wissen Sie? Ein einziges Mal hat er mein Gesicht abgetastet, um sich ein Bild von mir zu machen, aber das war auch schon alles. Vielleicht hat ihm die Frau nicht gefallen, die da vor seinem inneren Auge erschienen ist, vielleicht wollte er auch einfach nur für sich bleiben. Wissen Sie, er war sehr selbstständig, und das ist vor allem dem Charly zu verdanken.«
»Aha. Können Sie mir sagen, wie lange Charly schon sein Blindenhund war?«
»Ach, lassen Sie mich überlegen. Zwölf Jahre. Mindestens. In meinem Alter vergeht die Zeit so schnell, dass man sich leicht verschätzt. Ich bin auch bald achtzig, wissen Sie? Kaum hat man den Kaffee gekocht, schon muss wieder das Kalenderblatt weg. Können Sie sich das vorstellen? Sie haben bestimmt jede Menge Kalender. Gerade bei der Polizei.«
Schiemann gelang es kaum, ein Gähnen zu unterdrücken. Das Kläffen hielt ihn jedoch wach. »Ähm, Frau Gütlich. Noch mal wegen Charly. Ist Ihnen an dem Hund in letzter Zeit etwas aufgefallen?«
»Ach, der Charly war immer so ein lieber Kerl. Hat mir jedes Mal die Schuhe abgeleckt, wenn wir uns getroffen haben. Ich weiß auch nicht, vielleicht lag es am Imprägnierspray, das ihm so geschmeckt hat. Und zuverlässig war er. Bis zum Gehtnichtmehr. Er hat sein Herrchen überall hingeführt. Zum Arzt. Zum Einkaufen. Zur Fußmassage. Zielsicher und ohne Umweg. Ich verstehe gar nicht, woher so ein Tier weiß, in welche Richtung es laufen muss. Es ist ja nicht so, dass ein Hund vorher den Stadtplan studiert, nicht wahr?«
»Und warum hat er sein Herrchen angegriffen und gebissen? Für einen Blindenhund ist das sehr ungewöhnlich.«
»Keine Ahnung, was auf einmal in ihn gefahren ist. Seit Tagen bellt und knurrt der Charly rund um die Uhr. Das ganze Haus hat sich schon beschwert. Sie können ja mal die anderen Nachbarn fragen, da herrscht überall dicke Luft wegen des Lärms.« Dora Gütlich schaute bestürzt zu Boden. »Die ganze Zeit war mir angst und bange. Der arme Herr König hatte den Charly kaum noch unter Kontrolle. Wenn ich gewusst hätte, dass so etwas passiert, hätte ich schon viel früher die Polizei gerufen und nicht abgewartet, bis dieser Hund ihm etwas antut. Denken Sie, er ist krank? Vielleicht die Tollwut? Oder eine Psychose? Wissen Sie, heutzutage haben sogar Hunde psychische Probleme.«
»Frau Gütlich, könnte vorhin noch jemand in der Wohnung gewesen sein? Haben Sie noch eine andere Stimme gehört?«
»Nein, Herr Kommissar. Ganz sicher nicht.« Gütlich runzelte die Stirn. »Wieso? Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich will nur alle Eventualitäten ausschließen. Welche Kontakte hat Herr König gepflegt? Was ist mit Angehörigen? Wissen Sie vielleicht, wer alles einen Schlüssel zu seiner Wohnung hat?«
»Ach, der Herr König lebt allein. Da gibt es niemanden. Absolut niemanden. Also gut. Bis auf diese Haushaltshilfe mit dem seltsamen Akzent. Keine Ahnung, wo die herkommt.« Die Rentnerin verdrehte die Augen. »So ein junges Ding eben. Sie besitzt einen Schlüssel und wischt bei Herrn König jeden Dienstag ordentlich durch. Auf die eine oder andere Weise, wenn Sie wissen, was ich meine?« Dora Gütlich zuckte seltsam mit den Augenbrauen, zügelte sich aber rasch wieder. »Und dann ist da noch unser Vermieter, Herr Miesbauer. Er hat sicherlich einen Generalschlüssel.«
»Sonst niemand?«
»Nein. Niemand. Nicht, dass ich wüsste.« Dann schlug sie sich mit der Hand gegen die Stirn. »Ach, natürlich! Da wäre noch sein Sohn, fällt mir gerade ein. Der treibt sich seit Neuestem wieder in Karlsruhe herum. Frisch geschieden und vor die Tür gesetzt, obwohl er zwei kleine Kinder hat. Vor dem Rauswurf hat er unten in München gewohnt und sich nur alle paar Monate blicken lassen. Hauptsächlich zum Streiten.«
»Zum Streiten?«
»Der Junior wollte seinen Alten ins Heim stecken, weil es unverantwortlich sei, mit zweiundachtzig allein zu wohnen. Erst recht, wenn man kein Augenlicht hat.«
»Haben Sie die beiden belauscht?«
»Was? Nein, nein.« Gütlich hob abwehrend beide Hände. »Das habe ich rein zufällig mitbekommen, als ich vom Keller kam. Laut genug ging es ja zu.«
»Und Herr König hat abgelehnt, in ein Heim zu ziehen?«
»Natürlich. Er hat seinem Sohn sogar mit Enterbung gedroht.«
»Aha? Gibt es denn etwas zu erben?«
»Also da fragen Sie mich jetzt wirklich zu viel, Herr Kommissar. Wie ich bereits gesagt habe, kannte ich den Herrn König nur flüchtig.« Dora Gütlich machte zwei Sekunden Pause, fuhr dann aber ungebremst fort. »Allerdings habe ich mit einem Ohr gehört, wie er einmal angekündigt hat, sein ganzes Geld von der Bank abheben und verprassen zu wollen, bevor sein Taugenichts von Sohn ihn entmündigt und ins Heim steckt.«
»Das ist ja mal interessant«, sagte Schiemann. »Sonst noch irgendwelche Gerüchte?«
»Nein, nichts.« Die alte Dame schüttelte den Kopf. »Das geht mich ja auch alles nichts an.«
»Nun gut, dann vielen Dank für Ihre Aussage. Ich bitte Sie allerdings, uns für Rückfragen zur Verfügung zu stehen.«
Dann wandte Schiemann sich einem Kollegen zu: »Versuchen Sie, die Haushaltshilfe und den Vermieter aufzutreiben. Und auch Herrn Königs Sohn, falls er sich noch hier in der Gegend aufhält.« Er zögerte kurz und fügte dann hinzu: »Ach ja, schaffen Sie außerdem einen Tierarzt herbei. Wenn wir die Bestie da drin nicht bändigen können, muss sie jemand betäuben.«
Umgekippte Stühle, zerrissene Kissen auf der Couch und Kratzspuren an den Türen. Charly hatte ganze Arbeit geleistet, dachte Schiemann, als er Herrn Königs Wohnung begutachtete. Die Balkontür stand weit offen, ein Bistrotisch und ein Hocker lagen vor dem Geländer. Herr König musste nach draußen geflüchtet sein, wo er von seinem Hund derart in die Zange genommen wurde, dass er letztendlich in die Tiefe gestürzt war.
Aber warum nur? Blindenhunde galten als die friedfertigsten und intelligentesten Tiere überhaupt, und die soziale Bindung, die sie zu ihrem Besitzer aufbauen, sei beispiellos.
So viel wusste Schiemann.
Was also hatte Charly in den Wahnsinn getrieben?
Eine halbe Stunde später betrat der Veterinär Dr. Bärnighausen Herrn Königs Wohnung. »Sodele, wo steckt denn der Teufelskerl?«, fragte er. Bärnighausen war sowohl akustisch als auch optisch zweifelsfrei Schwabe. Spätzlebauch, Wurstfinger und Maultaschengesicht. Vielleicht trug er auch deswegen einen Safarihut, um über fünfundsechzig Jahre körperlichen Raubbau hinwegzutäuschen und, zumindest aus der Entfernung betrachtet, das Flair eines verwegenen Großwildjägers zu versprühen. Im Schlepptau hatte der Tierarzt eine junge Assistentin, die seine Tasche trug und eine Grimasse schnitt wie drei Tage Regenwetter.
Kommissar Schiemann führte die beiden zu der geschlossenen Küchentür, wo hinter der Milchglasscheibe der Umriss eines stattlichen Hundes zu erkennen war, der unentwegt bellte und jaulte.
»Vielleicht Tollwut?«, mutmaßte Schiemann. »Bis vor wenigen Tagen war das angeblich noch der bravste Hund der Welt.«
Charly sprang nun mit solch einer Wucht gegen die Innenseite der Tür, dass es nur so krachte.
»Heiligs Blächle, der ist viel zu wild für die Spritze«, stellte Bärnighausen fest. »Der lässt keinen an sich ran.« Dann winkte er seiner Assistentin zu. »Frau Mauerfuchs, wir müssen blasen. Können Sie bitte mein Rohr vorbereiten?«
Ohne die Miene zu verziehen, trabte Frau Mauerfuchs herbei und wühlte in der Tasche herum. Dabei sprach sie kein Wort.
»Unsere Frau Mauerfuchs«, stellte der Tierarzt sie vor, »absolviert bei mir eine Ausbildung zur tiermedizinischen Fachangestellten.«
Schiemann lächelte. Wahrscheinlich war das ihr erster Polizeieinsatz. Mit Kommentaren wie »Das ist aber ein interessanter Beruf«, oder »Bereitet Ihnen die Arbeit mit Tieren Freude?«, versuchte er, die junge Frau aus der Reserve zu locken.
Alles, was er erntete, war ein verächtliches Grunzen.
Bärnighausen flüsterte ihm ins Ohr: »Am besten, Sie stören sie nicht, wenn sie sich konzentriert. Sie ist zweifellos talentiert, aber auch etwas speziell.«
Und speziell sah sie tatsächlich aus. Nicht wirklich wie eine typische Auszubildende, und schon gar nicht wie die Assistentin eines Veterinärs. Sie wirkte diffus und unausgereift, wie eine Frau, die ihren eigenen Stil noch nicht gefunden hatte. Ihre Kleidung bestand aus einem orangebraunen Langarm-Hoodie in Übergröße und einer gelben schlabbrigen Dreiviertel-Jogginghose mit ausgefranzten Löchern. Aus der Ferne erschien sie wie eine Jugendliche, beinahe schon kindlich, aus der Nähe betrachtet, wenn man in ihr mürrisches und ungeschminktes Gesicht schaute, hätte man sie auch zwanzig Jahre älter schätzen können.
Während sie vor der Tasche kniete und das Blasrohr mit dem Betäubungspfeil präparierte, bewunderte Schiemann ihre Frisur. Lange dunkelblonde Haare, die weit über die Schultern reichten und mit farbigen Strähnen durchsetzt waren. Links rot, rechts blau, in der Mitte ein Ansatz von lila. Auch hier: diffus, verwirrend und ohne klare Richtung. Der Kommissar rätselte, ob der jungen Frau beim Färben ein Missgeschick passiert war, oder ob sie beim Streichen der Wohnung die Kontrolle über den Pinsel verloren hatte.
Dr. Bärnighausen nahm dankend das Blasrohr entgegen, dann erklärte er: »Dieser Pfeil ist eigentlich eine Spritze mit Widerhaken und Luftdruckkammer. Als Betäubungsmittel nehmen wir ein Gemisch aus Ketamin und Xylazin, die sogenannte ›Hellabrunner Mischung‹. Ich werde jetzt die Tür ganz vorsichtig einen Spalt weit öffnen, mit dem Blasrohr auf den Oberschenkel des Hundes zielen und den Pfeil verschießen. Dann haben wir ungefähr dreißig Sekunden Zeit, bis …«
Ein Knall brachte Dr. Bärnighausen zum Schweigen.
Dann ein schmerzhaftes Jaulen.
Frau Mauerfuchs hatte die Küchentür aufgetreten, und zwar mit solch einer Kraft, dass Charly gut zwei Meter nach hinten gegen den Herd geschleudert wurde. Sie streckte eine Hand in Richtung ihres Chefs, um ihn am Einsatz des Blasrohrs zu hindern, die andere hielt sie offen dem Hund entgegen.
Schiemann war vor Schreck zurückgesprungen. »Was macht sie denn da?«, rief er. »Los, schießen Sie!«
Doch Dr. Bärnighausen senkte das Blasrohr, hielt sich stattdessen einen Finger an die Lippen. »Psst. Lassen Sie Frau Mauerfuchs für einen Moment gewähren. Sie scheint etwas zu spüren. Wie gesagt, sie ist sehr speziell.«
Die Auszubildende ging in die Hocke und streckte nun beide Hände dem Hund entgegen, dabei vermied sie den direkten Blickkontakt und schaute verlegen zu Boden. Kurz darauf holte sie tief Luft, um mit tiefer Stimme zu summen. Es klang diffus, wie eine scheinbar zufällige Abfolge von Tönen, ohne erkennbare Melodie.
Doch Charly gefiel, was er hörte. Er unterbrach das Jaulen, schaute neugierig und setzte sich hechelnd auf seine Hinterbeine.
»Ich spüre eine große Angst in ihm«, flüsterte die junge Frau. »Etwas ist hier, was ihm durch Mark und Bein geht.«
»Er heißt übrigens Charly, falls das hilft«, rief Schiemann ihr zu.
Mauerfuchs drehte sich um und verschoss einen Blick, der einem Betäubungspfeil gleichkam. »Sind Sie bescheuert?«, kläffte sie ihn an. Auch der Hund bellte zweimal. »Sein Name interessiert mich nicht. Oder glauben Sie, es kümmert ihn, wie ich heiße?«
Schiemann grummelte vor sich hin. Er war es nicht gewohnt, dass ihm jemand über den Mund fuhr.
Dr. Bärnighausen zwinkerte ihm verlegen zu, dabei hielt er sich wieder den Finger an die Lippen. »Psst! Ich glaube, sie kriegt’s hin. Es funktioniert.«
Die Auszubildende mit den farbigen Strähnen neigte ihren Kopf und blickte dem Hund tief in die Augen. Immer noch in der Hocke sitzend, bewegte sie sich vorsichtig rückwärts, atmete langsam durch die Nase ein und blies die Luft durch den Mund wieder aus. Immer begleitet von einem durchdringenden Summen.