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Folge 6: Ein unerwarteter Wintereinbruch - Karlsruhe versinkt im Schnee! Die beiden Frischverliebten Fabienne und Moritz spazieren im winterlichen Tierpark Oberwald durch das romantische Wildgehege. Zwischen Hirschen und Elchen wird Fabienne von einer unheimlichen Krähe angegriffen. Am nächsten Morgen findet ein Tierpfleger im Gehege eine Frauenleiche - Fabienne! Kommissar Schiemann erkennt schnell, dass es sich um ein Verbrechen mit Tierbezug handelt und bittet die Tierflüsterin Kira Mauerfuchs um Hilfe.
Über die Serie:
Kommissar Schiemanns Leben steht Kopf: Der gemütliche Genießer und Gartenfreund blickt auf eine jahrzehntelange, makellose Karriere bei der Karlsruher Kriminalpolizei zurück - bis Kira Mauerfuchs in sein Leben tritt. Diese junge Frau hat zwei besondere Eigenschaften: Erstens versteht sie sich sehr gut mit Tieren. Zweitens überhaupt nicht mit Menschen. Aber als sie im Alleingang - und mit einem Hund als Zeugen - einen Fall löst, wird klar: Kira Mauerfuchs ist ein Naturtalent! Und so nimmt das ungewöhnliche Ermittlerteam seine Arbeit auf ...
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Ein unerwarteter Wintereinbruch – Karlsruhe versinkt im Schnee! Die beiden Frischverliebten Fabienne und Moritz spazieren im winterlichen Tierpark Oberwald durch das romantische Wildgehege. Zwischen Hirschen und Elchen wird Fabienne von einer unheimlichen Krähe angegriffen. Am nächsten Morgen findet ein Tierpfleger im Gehege eine Frauenleiche – Fabienne! Kommissar Schiemann erkennt schnell, dass es sich um ein Verbrechen mit Tierbezug handelt und bittet die Tierflüsterin Kira Mauerfuchs um Hilfe.
Kommissar Schiemanns Leben steht Kopf: Der gemütliche Genießer und Gartenfreund blickt auf eine jahrzehntelange, makellose Karriere bei der Karlsruher Kriminalpolizei zurück – bis Kira Mauerfuchs in sein Leben tritt. Diese junge Frau hat zwei besondere Eigenschaften: Erstens versteht sie sich sehr gut mit Tieren. Zweitens überhaupt nicht mit Menschen. Aber als sie im Alleingang – und mit einem Hund als Zeugen – einen Fall löst, wird klar: Kira Mauerfuchs ist ein Naturtalent! Und so nimmt das ungewöhnliche Ermittlerteam seine Arbeit auf …
Martin Heimberger
Leise mordetder Schnee
Der Krähe entfuhr ein schmerzhaftes Krächzen, als der Schneeball sie mit voller Wucht traf. Sie schlug panisch mit den Flügeln, verlor beinahe das Gleichgewicht, doch es gelang ihr gerade noch, sich mit einem Bein am knorrigen Ast festzukrallen. Mit ihren dunklen Augen warf sie dem Liebespärchen unter dem Baum einen eiskalten Blick zu, dann flatterte sie durch den weißen Winterwald davon.
»Verschwinde!«, brüllte Fabienne ihr hinterher. »Lass mich endlich in Ruhe!«
»Was soll denn das?«, schimpfte Moritz. »Der arme Vogel. Er hat nur darauf gewartet, dass du ihm etwas Futter abgibst.«
Fabienne drückte die Tüte mit den Pellets fest an ihre Brust. »Auf gar keinen Fall! Das ist einzig und allein nur für Wotan. Er wartet schon auf mich. Außerdem jagt mir dieses Biest Angst ein. Solche Vögel sind Todesboten. Die bringen doch nur Unglück.«
»Ach ja? So wie jetzt?«, fragte Moritz, bevor er mit einem Schneeball Fabiennes Pudelmütze vom Kopf fegte und dadurch ihre strohblonden Locken entblößte. Noch bevor er sich bücken konnte, um weitere Munition zu formen, kam auch schon das Gegenfeuer. Nur um Haaresbreite verfehlte ihn das Geschoss, das direkt neben ihm gegen einen Baumstamm klatschte. Die rasante Schneeballschlacht, die daraufhin losbrach, sorgte bei den anderen Spaziergängern, die an diesem Nachmittag durch den Karlsruher Tierpark Oberwald spazierten, für entrüstetes Kopfschütteln. Insbesondere in dem Moment, als sich die beiden Turteltäubchen eng umschlungen durch den Schnee wälzten und gegenseitig heiße Küsse auf die Lippen drückten.
»Ich bin so glücklich mit dir«, säuselte Fabienne. »Und mit achtundzwanzig Jahren die erste Schneeballschlacht meines Lebens zu gewinnen, ist einfach der Knaller.«
»Du hast überhaupt nicht gewonnen!«, entrüstete sich Moritz. »Schau dich doch mal an! Du bist weiß wie eine Schneegans, von oben bis unten eingeseift. Aber stimmt. Ich kann mich nicht daran erinnern, in Karlsruhe jemals so viel Schnee gesehen zu haben. Weißt du noch, wie warm es im letzten Winter war?«
»Oh ja«, erinnerte sich Fabienne. »Wenn wir uns damals schon verabredet hätten, wären wir mit kurzen Hosen durch den Wald gejoggt und hätten an einem Eis geschleckt.«
Moritz drehte sich auf den Rücken und betrachtete ehrfurchtsvoll das weiße Blätterdach. »So ein Wintereinbruch hat aber auch seine Schattenseiten. Sei froh, dass du hier studierst und kein Auto brauchst. In Karlsruhe geht es zu, als ob das Ende der Menschheit bevorsteht. Alle Straßen sind verstopft, am Bahnhof fallen die Züge aus. Überall scharrt und kratzt es auf den Gehwegen. Man könnte meinen, das ist kein gewöhnlicher Schnee, sondern die Asche eines Vulkans.«
Fabienne kicherte. Sie schmiegte sich eng an Moritz und streichelte seine kalte Wange. »Also mir gefällt so ein Vulkanausbruch. Zumindest ist mir gerade genauso warm, und ich könnte die ganze Nacht hier im Schnee liegen.« Sie platzierte einen letzten Kuss auf der Nasenspitze ihres Freundes, dann stand sie auf und streckte ihm die Hand entgegen. »Aber wir müssen los. Auf geht’s! Es wird bald dunkel und ich will dir doch noch meinen Wotan vorstellen. Mal sehen, was er von diesem Wetter hält.«
Der Oberwald war trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit noch gut besucht. Kinder tollten zwischen den Gehegen umher, bauten Schneemänner oder schüttelten die weiße Pracht von den Bäumen. Aber auch viele Erwachsene schnappten hier nach einem muffigen Bürotag frische Luft oder führten ihre Vierbeiner aus, die goldene Muster in den Schnee zauberten. Dazwischen schaufelten immer wieder Tierpfleger die Zugangswege zu den Ställen und Futterstationen frei, um danach die Tröge mit Heu und Pellets zu befüllen. Arbeit gab es hier genug, denn in den stadtnahen Erholungswald südlich des Karlsruher Hauptbahnhofs war ein sechzehn Hektar großer Tierpark eingebettet, eine eintrittsfreie und ganzjährig zugängliche Außenstelle des zoologischen Stadtgartens, wo in riesigen Freigehegen über einhundert wetterunempfindliche Wildtiere wie Antilopen, Gämsen und Wisente auf natürlichem Waldboden lebten.
»Darf ich vorstellen? Wotan.« Fabienne zog die Handschuhe aus und steckte ihre mit Futterpellets gefüllte Hand durch das Gitter. »Siehst du ihn dort hinten? Er hat sich schon an meinen Geruch gewöhnt. Er wird gleich hier sein.«
Alles, was Moritz sah, waren drei Elche, die neugierig zum Zaun getrottet kamen. »Welcher von denen ist es?«
»Die doch nicht«, schnaubte Fabienne und zog ihre Hand zurück. »Die nerven mich jedes Mal mit ihrer Unverfrorenheit. Verfressene Flegel. Schau, dort neben dem leeren Futtertrog. Das ist Wotan.«
Moritz runzelte die Stirn, dann musterte er das Schild am Zaun. Mesopotamische Damhirsche stand dort, darunter befand sich eine Skizze von zwei Hirschen mit rotbraunem Fell, das mit weißen Flecken übersät war.
»Lass dich von dem Bild nicht täuschen«, meinte Fabienne. »Sein Winterfell ist grau. Aber du erkennst ihn am Geweih. Elche werfen ihres im Winter ab, während Damhirsche damit bis zum Frühjahr warten. Wotan ist scheu, was Menschen angeht. Er hat außerdem so seine Probleme, sich gegen die freche Elch-Gang durchzusetzen. Ich kann ihn aber verstehen, denn er ist einer der Letzten seiner Art.«
»Hast du deshalb die Patenschaft übernommen?«, fragte Moritz.
»Na klar. Ich wollte so etwas schon immer machen. Das ist eine feine Sache, und dafür leiste ich gern einen jährlichen Beitrag. Ich habe dir doch schon erzählt, dass ich jeden Morgen gegen elf Uhr hierherkomme. Vor allem nach der Vorlesung über Opernlibretti ist das eine Wohltat. Der Mesopotamische Damhirsch gehört zu den seltensten Hirscharten überhaupt, es gibt nur noch tausend von ihnen in dreißig Zoos und Reservaten auf der Welt. Wotan lebt hier zusammen mit Fricka. Er ist liebevoll, stark und total unkompliziert. Genau wie du, Liebling. Und ich hoffe auf Nachwuchs, der vielleicht irgendwann ausgewildert wird.«
»Aha. Und wo willst du unsere Kinder aussetzen?«, rätselte Moritz mit einem Schmunzeln. »Im Schwarzwald?«
Fabienne lachte. Sie warf einige Pellets ins Gehege, woraufhin die drei Elche gierig den Schnee durchwühlten und sich beinahe die Köpfe einschlugen. »Jetzt überstürz mal nichts«, sagte sie. »Du weißt, dass ich mein Solisten-Examen angehen will. Baby-Geschrei kommt an der Musik-Hochschule nicht gut an.« Wieder steckte sie ihre Hand durch das Gitter. »Wotan!«, rief sie. »Komm her! Fein, fein. Fressi, Fressi!«
Dieses Mal hatte sie Erfolg. Während das Elch-Trio abgelenkt war, stolzierte Wotan mit erhabenen Schritten auf den Zaun zu. Er wippte elegant mit dem Kopf und trug sein prächtiges Geweih wie eine Krone zur Schau. Er wirkte größer als die einheimischen Hirsche, und auch um einiges hungriger.
»Siehst du?«, sagte Fabienne. »Er hat keine Angst vor mir. Er weiß ganz genau, wer ich bin. Mach jetzt bloß keine hektischen Bewegungen.«
Moritz trat sicherheitshalber einen Schritt zurück, als Wotan kurz vor dem Gitter stehenblieb. Eine halbe Ewigkeit fixierten die bernsteinfarbenen Augen Fabiennes Handteller mit den Pellets, bis sich schließlich eine feuchte, rosafarbene Zunge dem leckeren Snack näherte.
Plötzlich entfuhr Fabienne ein Schrei.
Etwas flatterte an ihrem Gesicht vorbei, ein Krächzen ertönte. Die Studentin taumelte zurück, ihre Tüte mit den Pellets flog meterweit durch die Luft. Wotan schnaubte, bäumte sich auf. Dann fuhr er herum und sprang durch den Schnee davon, ohne noch einmal zu seiner Patentante zurückzuschauen.
»So eine Scheiße«, fluchte Fabienne. Sie hielt sich die Hand und blickte wutentbrannt hinauf zu dem Ast, auf dem die Krähe saß. Ein Pellet klemmte in ihrem Schnabel. »Ich wusste, dieses Biest bringt nur Unglück. Beinahe hätte sie mir noch ein Auge ausgepickt.«
»Die hat gedacht, dass du sie füttern willst«, vermutete Moritz. »Na warte, der werde ich’s zeigen.« Dieses Mal war er es, der einen Schneeball knetete und auf den Vogel zielte. Er verfehlte die Krähe nur um Federbreite, doch das schien sie nicht zu kümmern. Das Krächzen, das sie von sich gab, klang wie ein spöttisches »Ätsch, bätsch!«
Erst jetzt erkannte Fabienne das Blut an ihren Fingern. »Komm, lass uns gehen«, forderte sie Moritz auf.
»Soll ich dich zu einem Arzt bringen?«, fragte er.
»Nein, schon gut«, erwiderte seine Freundin. »Ist doch nur ein Kratzer. Davon werde ich schon nicht sterben. Aber lass uns jetzt von hier verschwinden. Ich muss heute Abend noch meine Stimme trainieren. Du weißt schon: die verflixte Aufnahmeprüfung.«
Moritz umarmte Fabienne und küsste sie auf den Mund. »Du zitterst ja am ganzen Leib. Mach dir bitte keine Sorgen. Du bist so talentiert. Du rockst das Ding.«
Während die beiden eng umschlungen davonspazierten, sah sich Fabienne noch einmal mit ängstlichen Augen um. Die drei frechen Elche stöberten immer noch im Schnee auf der Suche nach Pellets. Wotan stand wieder neben dem leeren Futtertrog, dieses Mal jedoch zusammen mit Fricka, die sich an seine Seite kuschelte. Die Krähe jedoch war verschwunden. Irgendwo im Wald glaubte Fabienne, ihr höhnisches Krächzen zu hören, vielleicht war es aber auch nur das Knarzen eines Baumes, dessen Ast dem Gewicht des Schnees nicht länger standhielt.
Als am nächsten Morgen das erste Tageslicht durch die Bäume des Tierparks Oberwald funkelte, pflügte ein kleiner Pritschenwagen durch den in der Nacht gefallenen Neuschnee. Vor dem Haupttor des Geheges der Elche und Damhirsche machte er halt. Siegfried Häusler, Urgestein des Karlsruher Stadtgartens, stieg aus dem Wagen, öffnete den Kofferraum und hievte einen fünfundzwanzig Kilogramm schweren Sack mit pelletiertem Elchfutter über die Schulter. Der Tierpfleger kümmerte sich nun schon seit über dreißig Jahren um die morgendliche Fütterung im Park und hatte schon viele Karlsruher Winter erlebt.
Doch noch nie so einen wie diesen.
Und das lag nicht unbedingt am Schnee, durch den er schon seit Tagen mit seinen gelben Gummistiefeln stapfte.
Es hatte auch nichts mit dem aufgebrochenen Vorhängeschloss am Tor zu tun, denn Vandalismus war in einem frei zugänglichen Park wie diesem keine Seltenheit. Immer wieder hatten die Tierpfleger mit vollgeschmierten Infotafeln, eingetretenen Zäunen und umgeworfenen Futterstationen zu kämpfen.
Nein, der Grund, warum Siegfried Häusler diesen Winter niemals vergessen würde, war ein anderer.
Schon von Weitem überkam ihn ein mulmiges Gefühl, als er anstatt hungriger Elche eine riesige Krähe direkt neben dem Futtertrog im Schnee herumwühlen sah. Verwundert blieb er stehen und musterte den Vogel. Er hatte schon viele Krähen in diesem Wald beobachtet, aber noch nie eine so große. Sie ließ sich durch seine Anwesenheit kaum stören, auch nicht, als er sich dem Trog näherte und mit einem Taschenmesser den Sack aufschlitzte. Erst als das Futter rauschend in die blecherne Schale glitt, ergriff der Vogel die Flucht und verschwand mit einem Krächzen zwischen den Bäumen.
Und dann sah Häusler, woran die Krähe herumgepickt hatte.
Die fünf Finger, die aus dem Schnee ragten, hielt er zunächst für Pellets, die über den Rand des Trogs gefallen waren. Während er mit dem Fuß den Schnee ein Stück weit zur Seite schob und dabei zuerst den Arm und als Nächstes den Oberkörper einer blondgelockten Frau freilegte, gefror ihm das Blut in den Adern. Die Ankunft von drei Elchen, die sich respektlos an ihm vorbeizwängten und gierig über das Futter im Trog hermachten, befreite ihn aus der Schockstarre.
Mit zitternden Fingern und begleitet vom unmanierlichen Schmatzen der Elche wählte Häusler schließlich den Notruf.
Auch Kriminalhauptkommissar Jens Schiemann hatte schon viele Karlsruher Winter erlebt. Inzwischen dreiundfünfzig, um genau zu sein. Lange und frostige, aber sehr trockene Winter. Ebenso stürmische und nasse Winter, die so warm waren, dass sogar schon die Obstbäume geblüht hatten. Und manchmal auch sehr einsame Winter, vor allem wie der im letzten Jahr, nachdem sich seine Anne von ihm hatte scheiden lassen. Aber an einen Winter mit einem solchen Schneechaos wie in dieser Woche konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern.
»Das ist Wahnsinn! Es schneit jetzt schon den fünften Tag in Folge!«, rief er und rammte die Schaufel in den Schnee. Sein Rücken protestierte, und unter der dicken Winterjacke war die Kleidung bereits völlig durchgeschwitzt. Doch es half nichts. Wie jeden Morgen musste der Gehsteig von der weißen Pracht befreit werden, damit niemand zu Schaden kam, der im Schneegestöber mit Flip-Flops am Haus vorbeispazierte.
»Normal ist das nicht«, erwiderte Alois Krautscheid, sein Nachbar, der auf dem Grundstück nebenan ebenfalls seiner Schneeräumpflicht nachkam. »Kaum hat man sich bis zum Ende durchgeschuftet, ist vorn schon wieder alles weiß. Bis wann nochmals sollte der Gehweg frei sein?«
»Werktags bis sieben Uhr dreißig«, antwortete Schiemann und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wir sind also schon eine Stunde zu spät dran. Aber ich bin heute einfach nicht aus den Federn gekommen.« Dass er gestern Abend zur Happy Hour im Café Gelbfüssler gewesen war, verschwieg er. Wegen des Schneefalls war er an diesem Morgen noch nicht einmal dazu fähig gewesen, seinen Beagle Timmy Gassi zu führen. Er hatte ihn stattdessen seine Notdurft im Garten verrichten lassen.
»Geht mir ähnlich«, meinte Krautscheid. »Wer quält sich bei dem Wetter schon gern aus den Federn?« Er untermauerte seine Aussage mit einem herzhaften Gähnen. »Welche Strafe erhält man denn, wenn man nicht rechtzeitig räumt?«
»Einen frisch gebrühten Kaffee?«, fragte eine weibliche Stimme. Marion Krautscheid schaute mit zerzausten Haaren aus dem Fenster im Erdgeschoss und streckte Alois eine Thermoskanne und zwei Becher entgegen. Mit einem Grinsen fügte sie hinzu: »Für dich und unseren netten Nachbarn. Damit er ein Auge zudrückt, wenn wir mit dem Schippen mal nachlässig sind.«
Schiemann nahm die Koffeinspritze dankend entgegen. »Dich schickt der Himmel, Marion. Aber ich muss dich leider enttäuschen: Für die Einhaltung des Winterdienstes ist das Ordnungsamt zuständig, nicht die Kriminalpolizei.« Als er sich die Finger am Becher wärmte, blendete ihn plötzlich ein grelles Blinklicht, begleitet von einem ohrenbetäubenden Dröhnen. Ein städtisches Räum- und Streufahrzeug kroch im Schneckentempo an den Häusern vorbei und schob dabei den Schnee von der Straße. Der Streuteller am Heck schleuderte das Salz so hoch durch die Gegend, dass sich der Kommissar und sein Nachbar für einen Moment die Augen zuhielten. Die Karawane von Autos, die dem Winterdienst in sicherem Abstand folgte, schien endlos zu sein, und das Fluchen der Insassen konnte man trotz des röhrenden Räumfahrzeugs deutlich hören.
Alois Krautscheid stöhnte. »Das darf doch wohl nicht wahr sein. Jens, dreh dich bloß nicht um.«
Schiemann rührte beinahe der Schlag. Der Räumdienst hatte ganze Arbeit geleistet und einen Großteil des Schnees von der Straße über seinem bereits frei geschaufelten Gehweg verteilt.
Alois legte ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter. »Nimm’s locker, Jens. Hauptsache, der Verkehr rollt wieder. Und bei so viel Tonnen Salz, wie die rausblasen, bleibt hier die nächsten hundert Jahre kein Schnee mehr liegen.«
Schiemann schüttelte nur den Kopf. »Und wenn unsereins es wagt, bei Glatteis ein paar Körnchen Salz anstatt Splitt zu streuen, droht gleich ein Bußgeld.«
Im selben Moment vibrierte es unter seiner Winterjacke. Er hatte so seine liebe Not, sich durch das Gewirr von Knöpfen und Reißverschlüssen zu kämpfen, ohne dabei seinen Kaffee zu verschütten. Als er das Handy endlich erreicht hatte, verbesserte sich seine Laune nicht. Im Gegenteil. »Ausgerechnet heute«, grunzte er nach dem Gespräch die Krautscheids an. »Eine tote Frau im Oberwald.«
»Mord im Tierpark?«, rief Marion durchs Fenster.
»So sieht’s aus. Aber Genaueres erfahre ich nur, wenn es mir gelingt, den Tatort noch vor Einbruch des Frühlings zu erreichen.« Der Kommissar trank den Kaffee in einem Zug leer, dann verabschiedete er sich von seinen Nachbarn. Immerhin hatte er bereits die Hofeinfahrt grob vom Schnee befreit, und das Eiskratzen war hinfällig, da das Auto in der Garage stand.
Kaum hatte Schiemann zurückgesetzt und das Garagentor passiert, bildete sich blitzartig auf der Innenseite der Windschutzscheibe eine dünne Eisschicht. »Verdammt!«, fluchte er und versuchte mit dem Schaber, ein kleines Guckloch freizulegen. Doch so schnell, wie die Lücke wieder zufror, konnte er gar nicht kratzen. Frustriert drehte er das Gebläse auf Maximum und wartete ab.
Plötzlich klopfte jemand an die Seitenscheibe. Nach dem Herunterkurbeln des Fensters traf ihn Alois Krautscheids mahnender Blick. »Jens, du weißt doch: Den Motor im Stand warmlaufen zu lassen, ist streng verboten. Wenn zufällig das Ordnungsamt vorbeifährt, hast du ein Problem.«
»Ich habe jetzt schon ein Problem«, schimpfte Schiemann. »Ich muss dringend zu einem Tatort.«
»Hast du denn kein Anti-Eis-Spray?«, fragte Alois.
Der Kommissar rollte mit den Augen. »Ist das nicht auch verboten, so wie alles, was einem das Leben erleichtert?«
Kurz darauf kam auch noch Marion zum Auto. Sie trug Flip-Flops und unter ihrem provisorisch übergehängten Wintermantel schaute noch das Nachthemd heraus. Stolz reichte sie Schiemann eine halbe Zwiebel durchs Fenster. »Versuch es mal damit.«
Alois hob den Daumen. »Das funktioniert. Einfach fest die Scheibe einreiben. In deinem Auto stinkt es danach wie im Dönerladen, aber dafür hast du absolut klare Sicht.«
Zehn Minuten später war Schiemanns Windschutzscheibe zwar vollständig vom Eis befreit, viel mehr sehen konnte er trotzdem nicht, da ihm die Tränen in Strömen aus den Augen liefen. Aber egal, er hatte keine Wahl. Neben der Leiche war er die Hauptperson am Tatort, und er konnte es sich nicht erlauben, noch länger herumzutrödeln.
Kaum hatte er den Rückwärtsgang eingelegt, trat er schon wieder auf die Bremse. Was war das denn jetzt?
Hatte er eben durch den Rückspiegel nicht einen Schatten durch den Hof huschen sehen?
Ein Vogel? Eine Maus?
Nein, dafür war das Tier zu groß gewesen.
Vielleicht eine Katze, die zwischen den Reifen hindurch in die noch offene Garage schlüpfen wollte?
Sicherheitshalber stieg er aus und schaute unters Auto.
Nichts war zu sehen.
Dafür hörte er ein zischendes Schnaufen und Fauchen, das sich deutlich vom Scharren der Schaufeln aus der Nachbarschaft abhob. Schiemann rieb sich die Augen und sah sich um.
Und tatsächlich.
Da hockte etwas im Schnee und zwängte sich in die schmale Lücke zwischen dem Nachbarzaun und dem geöffneten Hoftor.
Vorsichtig beugte er sich nach vorn, schon sah er die spitze Schnauze. Zwei kleine schwarze Knopfaugen schauten ihn ängstlich an. Doch dann: Zack! Mit einem Schlag rollte sich das mysteriöse Tier zu einer Kugel mit einem dichten graubraunen Stachelkleid zusammen. »Alois! Hier ist ein Igel«, rief er zum Nachbarn. »Halten die nicht Winterschlaf?«
»Der ist wahrscheinlich aufgewacht«, kam als Antwort. »Das passiert manchmal. Wie sieht er aus? Abgemagert?«
»Ziemlich. Er schnauft wie eine Lokomotive.«
»Dann wird er das nicht überleben. Du musst ihn mit Futter aufpäppeln und ihm ein neues Winterquartier suchen.«
Schiemann schüttelte den Kopf. Niemals, dachte er. Die einzig richtige Entscheidung wäre, den Igel einfach links liegen zu lassen und ihn seinem Schicksal zu überlassen.
Stattdessen rief er: »Was mach ich denn jetzt?«
Alois zuckte nur mit den Schultern.
»Könnt ihr ihn nicht nehmen?«, schlug Schiemann vor.
Marion streckte ihren Kopf durchs Fenster. »Auf gar keinen Fall! Seit der Sache mit Söckchen kommen mir keine Wildtiere mehr ins Haus.«
Dafür zeigte Schiemann Verständnis. Schließlich war er es gewesen, der die Krautscheids letztes Jahr wegen eines pflegebedürftigen Fuchses in Erklärungsnot gebracht hatte.
»Bring ihn doch in eine Wildtierauffangstation«, schlug Marion vor. »Die sind für so etwas zuständig.«
Schiemann seufzte. Doch dann ging er in die Garage, räumte den Hochdruckreiniger, mit dem er jeden Sommer die Terrasse abstrahlte, aus der Verpackung und drückte einige Luftlöcher in den Deckel. Nachdem er sich wieder seine Winterhandschuhe angezogen hatte, hob er den Igel hoch und legte ihn behutsam in den Karton, den er anschließend im Kofferraum verstaute.
Er winkte den Krautscheids verhalten zu, dann stürzte er sich mitten ins winterliche Chaos der Karlsruher Innenstadt.
Mit dem Auto in Schrittgeschwindigkeit durch den eingeschneiten Tierpark Oberwald zu einem Einsatz zu schlittern, gehörte nicht unbedingt zu Schiemanns bevorzugter Morgenroutine. Jedenfalls nicht, wenn diese dazu dienen sollte, um gut gelaunt in den neuen Tag zu starten. Wegen eines querstehenden Lasters zwei Stunden zu spät zu kommen, hatte jedoch durchaus seine Vorteile. Fast alle Hauptwege im Wald waren bereits geräumt, außerdem hatten der Krankenwagen und die Fahrzeuge der Spurensicherung den Schnee bis zum Elchgehege plattgewalzt, sodass Schiemann sein Auto direkt neben dem Tor abstellen konnte. Mit den Stiefeln, die er schon beim Schneeräumen getragen hatte, stapfte er auf die Einsatzkräfte zu, die ratlos um einen Futtertrog herumstanden. Ein Mitarbeiter der Spurensicherung winkte ihn zu sich. Aus der Ferne sah er aus wie einer dieser Weißkopf-Makaken, einer Affenart mit hellem Fell und rotem Gesicht, die man immer wieder in Zoos antraf. Wahrscheinlich lag es daran, dass er unter seinem weißen Kunststoff-Overall heftig schwitzte.
»Herr Schiemann. Na endlich«, beschwerte er sich. »Wo bleiben Sie denn so lang? Wir sind schon bald fertig.«
Der Kommissar kratzte sich am Kopf. »Wie sind Sie eigentlich so schnell hierhergekommen? Die Innenstadt ist völlig dicht.«
Der Weißkittel grinste. »Sie wissen doch: Wir sind die Spurensicherung. Wir finden immer eine Überholspur.«
Schiemann verkniff sich ein Lachen. »Was ist der Stand der Ermittlungen?«
»Herr Häusler, der Tierpfleger, der dort drüben gerade den Hirsch füttert, hat auf seinem morgendlichen Rundgang eine weibliche Leiche direkt hier neben dem Futtertrog gefunden. Sie war vollständig mit Schnee bedeckt. Deshalb gehen wir davon aus, dass sie schon die ganze Nacht hier lag.«
»Was weiß man über die Tote?«, informierte sich Schiemann.
»Gut aussehend, um die dreißig, und steifgefroren wie eine Tiefkühlpizza.«
»Tiefkühlpizza?«
»Oder ein Tiefkühlhähnchen. Was Ihnen lieber ist.«
»Das heißt, sie ist erfroren?«
»Können wir noch nicht mit Gewissheit sagen. Auf jeden Fall ist sie knochenhart und einschließlich ihrer Kleidung schockgefrostet. Wir hatten heute Nacht zwar viel Schnee, aber nur minus zwei Grad. Dass ein menschlicher Körper unter diesen Bedingungen derart durchfriert, ist sehr ungewöhnlich.«
»Weist sie sonst irgendwelche Verletzungen auf?«
»Wir müssen sie erst antauen, um sie ausziehen zu können. Sichtbar ist bisher nur ein blutverkrustetes Pflaster an der Oberseite der rechten Hand, außerdem frische Kratzspuren im Gesicht. Herr Häusler behauptet, eine Krähe verscheucht zu haben, die hier im Schnee Leichenfledderei betrieben habe.«
Schiemann schaute hinüber zu dem Tierpfleger, der inzwischen schon zwei Hirsche verköstigte, indem er ihnen Futter ins Maul schob. »Ein Sexualdelikt können wir somit ausschließen«, schlussfolgerte er. »Gibt es Hinweise auf einen Raubmord?«
»Gute Frage. Wir haben schon versucht, die Jacke leicht anzuheben, der Reißverschluss ist nicht ganz geschlossen. Ein Handy oder einen Geldbeutel konnten wir in den Innentaschen nicht finden. Sie trägt jedoch noch ihre Ohrringe, eine Halskette und einen Ring am Finger der linken Hand.«
»Also könnte es auch ein Unfall gewesen sein?«, spekulierte Schiemann. »Wäre es möglich, dass sie gestern Abend das Bewusstsein verloren und die Nacht nicht überlebt hat?«
»Möglich ist alles«, erwiderte der Mann mit dem roten Gesicht. »Aber wie gesagt: Ganz so kalt war es nicht. Außerdem dürfen Besucher dieses Gehege nicht betreten, und das Tor, durch das Sie gerade gekommen sind, wurde aufgebrochen. Laut Herrn Häusler war es gestern noch intakt. Ob die Tote etwas damit zu tun hat, wissen wir nicht. Zumindest haben wir in ihrer Nähe keine Brechstange oder dergleichen gefunden. Kommen Sie mit, ich führe Sie zur Leiche. Und sprechen Sie mit Herrn Häusler. Er scheint die Frau zu kennen.«
Der Mitarbeiter der Spurensicherung begleitete den Kommissar zu dem Futtertrog, neben dem die Tote lag. Die junge Frau, die von den Einsatzkräften bereits vollständig vom Schnee befreit worden war, hatte blonde Locken, trug eine rote Jacke und Winterstiefel. Sie lag ausgestreckt auf dem Rücken, die Augen waren geschlossen, und in ihren sanften Gesichtszügen zeigten sich keinerlei Anzeichen von Schmerz. Ganz so, als ob sie friedlich eingeschlafen wäre.
Nichts deutete auf ein Gewaltverbrechen hin.
Schiemann atmete tief die Winterluft des Oberwalds ein. Diese Frische war er nicht gewohnt. Wenn er am Morgen das Haus verließ, stank es immer nur nach Kaminrauch, Abgasen und seit heute auch nach Zwiebeln. Obwohl Schnee eigentlich geruchlos war, lag in diesem Park ein herber, kristallklarer Duft, der sich wie Balsam in seinen Lungenflügeln ausbreitete und ihn die Rückenschmerzen für einen Moment vergessen ließ. Es herrschte absolute Windstille und abgesehen vom Krächzen einiger Krähen und dem Gemurmel der Spurensicherung war kein Geräusch zu hören. Inzwischen schneite es auch nicht mehr, nur gelegentlich verirrte sich eine einsame Schneeflocke auf seine Nasenspitze. Er warf einen letzten Blick auf die Leiche, schaute nachdenklich zum aufgebrochenen Tor, dann beschloss er, den Tierpfleger genauer unter die Lupe zu nehmen.
Bereits während er auf Herrn Häusler zulief, hoben die beiden Hirsche, die ihm aus der Hand fraßen, ängstlich den Kopf, und schon einen Moment später trabten sie davon. »Wunderschöne Tiere«, lobte Schiemann sie. »Aber sie flüchten vor der Polizei. Ich hoffe, die haben nichts auf dem Kerbholz.«
»Wotan und Fricka«, erklärte Häusler. »Mesopotamische Damhirsche. Sehr wertvoll. Gibt nur noch wenige. Sterben aus.«
Der schlanke, unrasierte Mann mit Glatze und wettergegerbter Haut sprach leise und in kurzen Sätzen, aber das war bei einem Menschen, der sein Leben lang im Wald arbeitete und fast nur mit Tieren kommunizierte, auch nicht anders zu erwarten.
Schiemann versuchte, ihn aus der Reserve zu locken. »Wenn die beiden sich paaren, besteht doch noch Hoffnung für diese Tierart, oder?«
Häusler schüttelte den Kopf.