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Die Bankangestellte Viktoria Specht wird im Homeoffice erschlagen. Während der Untersuchung des Tatorts fallen merkwürdige Details auf: Ein wütender Kakadu, der immer wieder "Litschi" ruft, ein vereinsamtes und verwirrtes Chinchilla, sowie die Tatsache, dass Viktoria an diesem Tag mehrere unerwartete Besucher hatte. Kommissar Schiemann und die Tierflüsterin Kira Mauerfuchs folgen den Hinweisen von Spechts Tieren und erleben eine Überraschung. Dabei ist Kira abgelenkt, denn am selben Tag deckt sie neue Untaten der Pharmafirma auf, die sie für den Tod ihrer Mutter verantwortlich macht. Doch durch Kiras Ermittlungen gerät ausgerechnet ihr Freund Sebastian in ernsthafte Schwierigkeiten ...
Über die Serie:
Kommissar Schiemanns Leben steht Kopf: Der gemütliche Genießer und Gartenfreund blickt auf eine jahrzehntelange, makellose Karriere bei der Karlsruher Kriminalpolizei zurück - bis Kira Mauerfuchs in sein Leben tritt. Diese junge Frau hat zwei besondere Eigenschaften: Erstens versteht sie sich sehr gut mit Tieren. Zweitens überhaupt nicht mit Menschen. Aber als sie im Alleingang - und mit einem Hund als Zeugen - einen Fall löst, wird klar: Kira Mauerfuchs ist ein Naturtalent! Und so nimmt das ungewöhnliche Ermittlerteam seine Arbeit auf ...
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Seitenzahl: 201
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Die Bankangestellte Viktoria Specht wird im Homeoffice erschlagen. Während der Untersuchung des Tatorts fallen merkwürdige Details auf: Ein wütender Kakadu, der immer wieder »Litschi« ruft, ein vereinsamtes und verwirrtes Chinchilla, sowie die Tatsache, dass Viktoria an diesem Tag mehrere unerwartete Besucher hatte. Kommissar Schiemann und die Tierflüsterin Kira Mauerfuchs folgen den Hinweisen von Spechts Tieren und erleben eine Überraschung. Dabei ist Kira abgelenkt, denn am selben Tag deckt sie neue Untaten der Pharmafirma auf, die sie für den Tod ihrer Mutter verantwortlich macht. Doch durch Kiras Ermittlungen gerät ausgerechnet ihr Freund Sebastian in ernsthafte Schwierigkeiten …
Kommissar Schiemanns Leben steht Kopf: Der gemütliche Genießer und Gartenfreund blickt auf eine jahrzehntelange, makellose Karriere bei der Karlsruher Kriminalpolizei zurück – bis Kira Mauerfuchs in sein Leben tritt. Diese junge Frau hat zwei besondere Eigenschaften: Erstens versteht sie sich sehr gut mit Tieren. Zweitens überhaupt nicht mit Menschen. Aber als sie im Alleingang – und mit einem Hund als Zeugen – einen Fall löst, wird klar: Kira Mauerfuchs ist ein Naturtalent! Und so nimmt das ungewöhnliche Ermittlerteam seine Arbeit auf …
Martin Heimberger
Der Killer und ein Chinchilla
Wie heißt es doch gleich wieder?
Trautes Heim, Glück allein.
Zu Hause ist es immer noch am schönsten.
Viktoria Specht, die sich an diesem Morgen schon zum dritten Mal schwarzen Kaffee nachschenkte, hatte da so ihre Zweifel. »Ich weiß nicht, ob ich den heutigen Tag überlebe«, meinte sie etwas verschlafen zu ihrem fertig herausgeputzten Ehemann, der ihr am Frühstückstisch gegenübersaß. »Ich bin nicht gemacht für das Homeoffice. Gut, es gibt Vorteile. Ich muss mich nicht stylen, spare mir das Geld fürs Make-up und kann die ungewaschenen Haare einfach hochstecken. Aber trotzdem. Der Fernseher ist nur wenige Meter entfernt, das Bett steht gleich nebenan, und der Schrank quillt über vor ungelesenen Büchern. Wie kann man da nicht in Versuchung geraten? Im Büro hat man gar keine andere Wahl, als sich nur auf die Arbeit zu konzentrieren. Aber hier zu Hause? Wie soll das funktionieren?«
Michael Specht senkte die Tageszeitung, die er sich eben noch schützend vors Gesicht gehalten hatte. »Mach dir keinen Kopf, Schnäbelchen. Das kriegst du hin. Natürlich ist es eine Umstellung, aber zieh dir einfach dein Headset auf und bleib fokussiert. Und denk daran: Heute ist dein erstes Mal. Die große Nagelprobe. Wenn es dir heute gelingt, dich nicht ablenken zu lassen, dann schaffst du das auch an jedem anderen Tag.«
»Ich weiß nicht, ob ich das durchhalte«, zweifelte sie.
Ihr Mann faltete die Zeitung zusammen und warf sie auf den Tisch. »Sieh es doch mal positiv: Du hast den ganzen Tag deine Ruhe, kannst dich super konzentrieren. Ich bin weit weg in der Firma, unsere Tochter ist endlich aus dem Haus. Es gibt absolut niemanden, der wie im Büro einfach so hereinplatzen und dich stören könnte.«
»Na ja, bestimmt hast du recht. Vielleicht sollte ich …«
»Silly will Schlecki!«, schallte es durch den Raum. »Schlecki, Schlecki, Schlecki!«
Viktoria fuhr herum. »So viel dazu«, meinte sie. »Du hast die Allüren unserer kleinen Königin vergessen.« Dann lief sie in die Küche, wo sie ein Tütchen aus einer Schublade holte. In einer Ecke stand ein wuchtiger Käfig mit vier Rollen, der sogar den Kühlschrank um das Doppelte überragte.
Die kleine Königin war ein stattlicher Kakadu mit strahlend weißem Gefieder und gelben, nach vorn gebogenen Haubenfedern, die den Kopf wie eine flammende Krone zierten. Der grauschwarze und vorlaute Schnabel schlug gierig gegen die Gitterstäbe, als Viktoria eine Pistazie aus dem Tütchen zog. »Nussi, Nussi«, krächzte die Vogeldame. »Silly will Nussi. Schlecki, Schlecki.« Blitzschnell zog sie ihrem Frauchen den Leckerbissen aus den Fingern und knabberte genüsslich darauf herum.
»Na, bist du jetzt zufrieden?«, fragte Viktoria.
»Silly will Bussi!«, kam als Antwort. »Bussi, Bussi.«
»Auch das noch.« Genervt beugte sich Viktoria zum Käfiggitter und drückte Silly einen Schmatzer auf den Schnabel.
»Sei bloß vorsichtig«, warnte Michael sie. »Eines Tages hackt dir das Viech den Mund blutig und verstümmelt dir die Lippen. Erklär das mal deinen Kunden.«
»Ist doch jetzt völlig egal«, erwiderte sie. »Im Homeoffice spielt sich sowieso alles nur noch am Telefon ab.« Sie seufzte. »Oje, ich vermisse den persönlichen Kontakt schon jetzt. Gerade bei Bankgeschäften sollte man sich doch gegenseitig in die Augen schauen. Das schafft Vertrauen, findest du nicht? Was haben die sich nur dabei gedacht? Umstrukturierung. Pah!«
»Du weißt, was dahintersteckt«, erklärte Michael. »Die Banken schließen immer mehr Filialen, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen können. Sei froh, dass sie dich nicht auf die Straße setzen. Mit Ende vierzig noch einen neuen Job zu finden, ist nicht ohne. Mach einfach das Beste daraus. So kannst du wenigstens unsere Silly öfter aus dem Käfig lassen. Dadurch wird sie ausgeglichener und schreit nicht mehr so herum. Dann kannst du dich voll und ganz auf die Kunden konzentrieren und sie mit deiner verführerischen Stimme einlullen.«
Ein schrilles Fiepen drang aus dem Wohnzimmer.
Viktoria warf ihrem Gatten ein gehässiges Grinsen zu. »Du hast unseren Speedy vergessen. Selbst wenn Silly Pause macht, wird mich der kleine Racker ständig auf Trab halten.« Dann ging sie in die Küche, nahm eine Handvoll Heu aus einem Beutel und streute getrocknete Dillspitzen aus einer Gewürzdose darüber. »Das wird ihm schmecken. Und die Kräuter beruhigen ihn.«
In einer Ecke des Wohnzimmers öffnete sie die Klappe auf der Oberseite eines klobigen Käfigs, dessen Bewohner sie bereits mit Freudensprüngen begrüßte. Speedy war eine etwa dreißig Zentimeter große Mischung aus Meerschweinchen und Kaninchen mit länglichen Ohren, einem buschigen Schwanz und einem dichten graumelierten Fell mit weißem Bauch. Nachdem Viktoria das Heu in den Käfig gestopft hatte, reagierte der Nager mit einem zufriedenen Grunzen, bevor er sich gierig auf das Festmahl stürzte. Während er fraß, strich sein Frauchen ihm mit dem Finger sanft über den Kopf. »Du bist ja so süß. Mit dir würde ich am liebsten den ganzen Tag nur kuscheln.«
»Ich wünschte, du würdest mit mir so reden wie mit dem Chinchilla«, beschwerte sich Michael, der nun schmunzelnd neben ihr stand. »Machen wir uns heute Abend eine Flasche Rotwein auf? Um deinen Einstand im Homeoffice zu feiern?«
»Speedy stinki!«, krächzte der Kakadu. »Stinki, stinki.«
Viktoria lachte. »Das hast du ihm beigebracht, stimmt’s? Kakadus können doch kaum riechen. Die haben ja noch nicht einmal eine richtige Nase.«
»Im Gegensatz zu dir und deinem dicken Rüssel«, scherzte Michael. Dann nahm er Viktoria in den Arm und küsste sie zärtlich auf die Nasenspitze. »So, Schnäbelchen. Ich muss dringend los. Kann ich dich mit gutem Gewissen allein lassen, oder brauchst du noch Hilfe?«
Viktoria überlegte. »Hast du das Internet eingeschaltet?«
»Da muss man nichts einschalten. Dein Laptop von der Bank verbindet sich beim Hochfahren automatisch mit unserem WLAN.«
»Und das Programm mit den Kundendaten funktioniert?«
»Ich habe das ganze System gecheckt«, versicherte Michael. »Es läuft alles genau wie in deinem alten Büro.«
»Hast du den Frühstückstisch abgeräumt?«
»Was? Ähm, also …«
»Im Keller die Wäsche abgehängt? Den Müll hinausgebracht, und das Geschirr von gestern Abend gespült?«
Ihr Ehemann zog den Knoten seiner Krawatte fest und blickte auf seine Armbanduhr. »Das ist doch jetzt zweitrangig«, brummelte er, bevor er in den Flur lief und in die Jacke schlüpfte. »Wie ich schon sagte, Schnäbelchen: Fokussieren ist das magische Wort. Du darfst dich nur auf deinen Job konzentrieren, alles andere musst du ausblenden.«
»Nicht schlecht, Herr Specht. Aber die Hausarbeit macht sich nicht von allein«, stellte Viktoria klar. »Das magische Wort heißt wohl eher Disziplin.«
Michael zeigte auf den Router, der im Flur an der Wand hing. »Schau doch mal im Internet. Da gibt es Onlinekurse zum Thema Zeitmanagement. Die Pomodoro-Technik wäre für dich interessant. Das ist übrigens Italienisch. Du teilst dir den Tag in halbstündige Abschnitte ein, so als ob du eine Tomate in Scheiben schneidest. Nach jedem Abschnitt unterbrichst du die Arbeit für fünf Minuten, und wenn du das vier Mal durchziehst, darfst du dir etwas länger Ruhe gönnen. In der Pause solltest du Dinge tun, die dich entspannen und dir den Kopf durchpusten. Zum Beispiel die Wäsche waschen, die Käfige ausmisten, oder Kaffeetassen spülen. Du wirst sehen, das wirkt Wunder. Danach strotzt du nur so vor Energie.«
»Silly will Bussi!«, kam aus der Küche.
Im Wohnzimmer fiepte es. Gitterstäbe klapperten.
Und dann klingelte auch noch das Telefon.
»Es ist neun Uhr«, bemerkte Viktoria. »Der erste Kunde ruft an. Ich muss dann mal. Bis später!«
Während sie zum Arbeitszimmer lief, beobachtete sie noch, wie ihr Göttergatte für einen Moment zögerte und einen letzten Blick auf den unaufgeräumten Frühstückstisch warf. Dann schnappte er sich jedoch seine Aktentasche und verschwand.
Als Michael Specht am späten Nachmittag von der Arbeit zurückkehrte und die Haustür aufschloss, war er noch guter Dinge. Er freute sich auf das leckere Abendessen, das bestimmt schon auf dem Herd vor sich hin brutzelte, ebenso auf die Flasche Rotwein, die er gleich entkorken würde. Er hatte heute extra früher Feierabend gemacht, um seiner Frau vielleicht doch noch unter die Arme greifen zu können, falls von der Hausarbeit ausnahmsweise etwas liegen geblieben war.
»Schnäbelchen, ich bin wieder da!«, rief er, während er im Flur die Jacke auszog. »Wie schlimm war es? Hast du den Tag überlebt?«
Keine Antwort.
Vorsichtig öffnete er die Tür zum Arbeitszimmer. Viktoria war nicht da. Das Headset lag auf dem Tisch, auf dem Display des Laptops flimmerte der Bildschirmschoner – eine Collage aus Bildern von Speedy und Silly. Michael war enttäuscht.
Ein Foto von ihm wäre auch mal schön gewesen.
Dann betrat er das Esszimmer. Erleichterung machte sich in ihm breit. Wenigstens war der Tisch abgeräumt, und auch der Geschirrhaufen in der Küche gehörte der Vergangenheit an.
Plötzlich fiepte es. Etwas huschte um seine Füße herum.
Speedy! Was sollte das?
Michael stieß wütend die Luft aus. Dass Viktoria den Nager frei in der Wohnung herumlaufen ließ, war zwar schön und gut, aber in der Küche hatte er nun wirklich nichts zu suchen. Er ging in die Hocke, um ihn aufzuheben, zog seine Hand jedoch vor Schreck zurück. Das Fell des Chinchillas sah aus wie gerupft, und an seiner Schnauze klebte dunkelrote Farbe.
War das etwa Blut?
Erst jetzt fiel Michael auf, dass die Klappe von Sillys Käfig offenstand. Der Kakadu war jedoch nirgendwo zu sehen.
Michael fand ihn schließlich im Wohnzimmer. Er saß mitten auf dem Tisch und wippte mit dem Kopf merkwürdig hin und her. Es schien, als ob er mit dem Gleichgewicht kämpfte.
Sein Schnabel war ebenfalls blutrot verfärbt.
Was zum Teufel war hier geschehen?
Michael lief es eiskalt den Rücken hinunter, sein Puls raste, doch als er schließlich den Blick auf den Boden richtete, blieb sein Herz für einen Moment stehen.
Viktorias lebloser Körper lag ausgestreckt vor dem Tisch, ihr Gesicht vergraben in der weißen Wolle des mit roten Flecken gesäumten Flokati-Teppichs. Ihre blonden Haare, die sie heute Morgen noch hochgesteckt hatte, waren geöffnet und von Blut getränkt.
Michael taumelte zurück, bis er an die Vitrine mit den Weingläsern stieß. Das Klirren bohrte sich in seine Ohren wie tausend Nadelstiche. Voller Panik schaute er sich um. Das Sofa, der Tisch, die Fernbedienung, überall klebten Blutspritzer.
Erschrocken wurde ihm bewusst, dass er mit den Füßen selbst in einer Blutlache stand.
»Litschi!«, brüllte Silly plötzlich. »Litschi, Schlecki, Schlecki!«
Michael runzelte die Stirn, dann rümpfte er die Nase.
Dieser Geruch. Er war ihm schon aufgefallen, als er vorhin die Haustür geöffnet hatte. Hier roch es doch eindeutig nach …
Er beugte sich hinunter, steckte den Zeigefinger tief in die rote Flüssigkeit. Dann leckte er sie vorsichtig ab.
Nein, das war definitiv kein Blut.
Das schmeckte zweifellos nach einem ganz hervorragenden Rotwein.
Wie betrunken stapfte er zum Telefon und wählte die Nummer der Polizei.
Für Kriminalhauptkommissar Jens Schiemann war dieser Mord ein Fall von Heimarbeit. Das Verbrechen hatte sich zwar nicht in seinen eigenen vier Wänden abgespielt, der Tatort befand sich jedoch in der Waldstadt, dem Karlsruher Stadtteil, in dem auch er schon seit vielen Jahren lebte. Er erinnerte sich, diese Straße im Neubaugebiet das ein oder andere Mal auf dem Weg zum nahe gelegenen Hardtwald durchquert zu haben. Vor allem, wenn er seinen Beagle Timmy ausgeführt hatte.
Obwohl er die Familie Specht nicht kannte, überkam Schiemann ein mulmiges Gefühl, als er in die Hofeinfahrt trat und auf die Eingangstür zulief. Die Bauart des Gebäudes, der Schnitt des Grundstücks und die Beschaffenheit des Gartens ähnelten sehr seinem eigenen idyllischen Zuhause, und die Gewissheit, dass ein brutaler Mörder in dieser Gegend sein Unwesen trieb, dämpfte die Freude auf einen wohlverdienten Feierabend.
»Hereinspaziert, aber achten Sie bitte darauf, wo Sie hintreten«, empfing ihn der Mann von der Spurensicherung, bevor er den Hauptkommissar durch den Flur in das von Einsatzkräften belagerte Wohnzimmer führte. Die Handschuhe des Kollegen waren rot verschmiert, ebenso die Beine seines weißen Einweg-Overalls. »Hier liegt sie«, erklärte er. »Viktoria Specht, siebenundvierzig Jahre, Mutter einer neunzehnjährigen Tochter und verheiratet mit Michael Specht, der sie vorhin auch gefunden hat. Er sitzt nebenan im Arbeitszimmer. Seiner Aussage nach hatte seine Frau heute ihren ersten Tag im Homeoffice.«
»Was genau war sie von Beruf?«, erkundigte sich Schiemann.
»Sie arbeitete in Vollzeit als Geschäftskundenberaterin bei der Badischen Monetia, eine Tochterbank der Knauser & Piepen Holding GmbH. Also ein Kreditinstitut.«
Schiemann nickte. »Kenne ich. Meine Ex-Frau hat dort ein Konto eröffnet, als sie sich selbstständig gemacht hat.« Er trat direkt vor die Leiche und schaute sich aufmerksam um. Das Wohnzimmer strahlte eine heimelige Atmosphäre aus. Eine Fototapete mit dem Motiv eines sonnendurchfluteten Waldes. Ein runder Glastisch, umgeben von einem gemütlichen Ecksofa. Ein gigantischer Fernseher an der Wand, und daneben ein Schrank voller Bücher. Ein Raum zum Wohlfühlen, wenn nicht die zahllosen Blutspritzer das Gesamtbild getrübt hätten. »Ziemliches Schlachtfeld«, stellte er fest. »Die Tatwaffe war vermutlich ein Messer?«
»Der Schein trügt«, erwiderte der Kollege. »Der Leichnam weist außer einer Platzwunde am Hinterkopf keinerlei Verletzungen auf. Was Sie hier überall sehen, sind keine Blut-, sondern Rotweinflecken.«
»Wie bitte? Das ist Rotwein?«, staunte Schiemann. »Wo kommt der denn her?«
»Die Kollegen sind sich nicht ganz einig, aber wir vermuten Italien. Er riecht sehr würzig. Wahrscheinlich ein Chianti, für einen Primitivo ist die Farbe viel zu …«
»Nein, ich meinte: Was ist hier passiert? Wurde Frau Specht mit einer Rotweinflasche erschlagen?«
Der Kollege von der Spurensicherung hob den Zeigefinger. »Da liegen Sie gar nicht mal so daneben.« Dann deutete er auf den Flokati-Teppich vor dem Tisch. »Sehen Sie diese Scherben? Das sind die Teile eines Glasgefäßes, augenscheinlich einer Weinkaraffe. Man erkennt es an dem größten Bruchstück. Das ist der Boden des Gefäßes, der beim Aufprall vollständig weggebrochen ist. Höchstwahrscheinlich hat der Täter das Opfer von hinten mit der noch gefüllten Karaffe niedergestreckt.«
Schiemann betrachtete die Scherben, danach das mit Wein getränkte Oberteil der auf dem Bauch liegenden Toten. »Zeigen sich in der Wohnung noch weitere Spuren von Gewalt?«
»Nein, nichts dergleichen. Außer der Karaffe und Frau Specht sieht hier alles unbeschädigt aus.«
Der Kommissar beäugte die Schubladen und Türen der Schränke. Sie waren alle geschlossen. »Wurde etwas gestohlen?«, fragte er. »Hat sich der Ehemann dazu schon geäußert?«
Der Kollege zuckte mit den Schultern. »Bei einer ersten Befragung verneinte er das. Schmuck, Bargeld, alles noch da. Sogar ihr Handy und der Geldbeutel liegen im Arbeitszimmer offen auf dem Tisch herum. Einen Raubmord können wir mit Gewissheit ausschließen.«
Schiemann rieb sich grübelnd das Kinn. »Frau Specht scheint also ihren Mörder freiwillig ins Haus gelassen zu haben«, überlegte er laut. »Vielleicht hatte sie Besuch. Wenn Wein in der Karaffe war, müssten doch auch irgendwo benutzte Gläser herumstehen.«
Der Mann von der Spurensicherung lächelte. »Danach haben wir längst gesucht. Aber nein, alle Weingläser stehen gespült und blitzblank poliert in der Kommode hinter Ihnen.«
»Nun gut, nehmen Sie trotzdem Fingerabdrücke von sämtlichen Gläsern und natürlich von den Scherben der Karaffe«, verlangte Schiemann. »Ich werde jetzt mit dem Ehemann sprechen.«
In dem Moment, als er sich umdrehte, um das Wohnzimmer zu verlassen, fiel ihm etwas auf. »In der Ecke dort drüben«, wunderte er sich. »Was liegt denn da auf dem Boden? Das sieht aus wie Heu.«
»Dort stand ein Käfig«, bekam er als Antwort. »Die Spechts halten sich ein Enchilada als Haustier.«
»Ein Chinchilla«, korrigierte ihn ein anderer Kollege, der gerade die Leiche aus allen Winkeln fotografierte.
»Wie auch immer. Jedenfalls hat Herr Specht den Käfig sicherheitshalber in die Küche geschoben, damit das Viech wegen der vielen Menschen keinen Herzinfarkt bekommt. Diese Biester sind wohl sehr schreckhaft.«
»Verstehe«, erwiderte Schiemann kurz und knapp, obwohl er nicht einmal ansatzweise wusste, wie ein Chinchilla überhaupt aussah. Dass dieses Tier ein wertvoller Zeuge sein konnte, behielt er vorerst noch für sich.
Dann machte er sich auf den Weg ins Arbeitszimmer.
Michael Specht stand unter Schock. Er kauerte heulend und mit gesenktem Kopf auf einem Bürostuhl, versteckt hinter einer wuchtigen Yuccapalme. Als er zum Kommissar aufsah, offenbarte sich ein kantiges und glatt rasiertes, aber blasses Gesicht mit rot unterlaufenen Augen. Seine dunklen mittellangen Haare standen zerzaust in alle Richtungen und unterstrichen deutlich, in welchem psychischen Zustand er sich befand. Er hob die zitternde Hand zum Gruß, ließ sie aber gleich wieder leblos auf den Schoß fallen. Auf Schiemann wirkten seine Emotionen echt, trotzdem war der Specht der bisher einzige Verdächtige. Dass er seine Ehefrau im Affekt mit einer Weinkaraffe erschlagen haben könnte, erschien nicht abwegig. Aber wären dann nicht nur seine Schuhsohlen, sondern auch das weiße Hemd und die Krawatte mit Rotwein befleckt gewesen? Gut, er hätte sich vor Eintreffen der Polizei umziehen können. Aber wäre er dann nicht auch so clever gewesen, seine Schuhe zu wechseln, anstatt Rotweinspuren in der gesamten Wohnung zu verteilen?
»Herr Specht«, begann der Kommissar. »Mein Name ist Schiemann und ich spreche Ihnen mein aufrichtiges Beileid aus. Ich weiß, in welcher Verfassung Sie sich momentan befinden. Um die Ermittlungen voranzutreiben, möchte ich Sie jedoch bitten, mir trotzdem vorab einige Fragen zu beantworten. Wären Sie dazu in der Lage?«
Michael Specht nickte schwerfällig. »Viel kann ich Ihnen sowieso nicht erzählen. Ich weiß nicht, was hier geschehen ist. Viktoria hat keine Besucher erwartet und ich kann mir auch nicht vorstellen, warum ihr jemand so etwas antun sollte. Sie war ein geselliger Mensch und überall beliebt.«
»Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Viktoria beschreiben?«, fragte Schiemann. »Waren Sie glücklich, oder gab es Unstimmigkeiten?« Er behielt Spechts Reaktionen genau im Blick.
»Alles war perfekt«, antwortete er mit einem Lächeln auf den Lippen. »Anders kann man das nicht sagen. Wir sind jetzt neunzehn Jahre glücklich verheiratet. Seit unsere Tochter aus dem Haus ist, lief es sogar noch besser. Wir hatten nun viel mehr Raum für uns selbst.«
»Ist sie ausgezogen?«
»Ja. Lisa hat dieses Jahr ihr Abitur gemacht und wohnt seit September in England. Sie absolviert dort ein Auslandspraktikum im Hotelgewerbe.« Specht hielt sich beide Hände vor die Augen, um die Tränen zu verbergen. »Ich werde sie nachher kontaktieren und ihr die schreckliche Nachricht überbringen.«
»Speedy stinki«, krächzte es plötzlich durch die Wohnung. »Stinki, stinki.«
»Was war das denn jetzt?«, wunderte sich Schiemann.
»Oh, das ist Silly«, erklärte Specht. »Unsere Kakadu-Dame. Sie ist eifersüchtig auf Speedy, unser zweites Haustier. Ein Chinchilla-Männchen. Viktoria lässt die Tiere immer frei, wenn sie zu Hause ist. Als ich vorhin zurückkam, habe ich die beiden völlig verstört in der Wohnung gefunden und dann eingefangen. Den Chinchilla-Käfig habe ich in die Küche geschoben, damit er die Polizei nicht bei den Ermittlungen behindert.«
»Nun gut«, fuhr Schiemann fort. »Herr Specht, wann haben Sie Ihre Frau heute zum letzten Mal lebend gesehen?«
»Heute Morgen, bevor ich zur Arbeit gefahren bin. Ich arbeite etwas weiter weg in Waghäusel als Projektmanager in einem Softwareunternehmen. Viktoria hatte ihren ersten Tag als Kundenberaterin im Homeoffice, weil ihre Bank die örtliche Filiale schließt. Sie hatte etwas Bedenken, ob das mit dem Internet funktioniert, daher habe ich sie gegen zwölf mit dem Handy angerufen. Da war noch alles in bester Ordnung. Aber vorhin, als ich dann die Tür aufgeschlossen habe …«
»Micki, Micki«, kam es nun aus der Küche. »Silly will Schlecki.«
Specht rollte genervt mit den Augen. »Entschuldigen Sie bitte. Micki ist mein Spitzname«, erklärte er. »Viktoria hat mich manchmal so genannt. Silly weiß genau, dass ich hier bin. Sie will unbedingt gefüttert werden.«
Schiemann konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Vielleicht sollten Sie das auch tun, Herr Specht, um Silly zu beruhigen. Allerdings hätte ich vorher noch eine Frage: Sie sagten, Ihre Frau war Bankberaterin. Kann es sein, dass sie heute Besuch von einem Kunden hatte? Bei Finanzangelegenheiten kann es schnell zu Meinungsverschiedenheiten kommen.«
»Hm, sie hat mir zumindest nichts von einem persönlichen Treffen erzählt.« Specht kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Aber ganz sicher bin ich mir nicht. Vielleicht hat ein Kunde sie unangekündigt aufgesucht. Aber woher sollte er unsere private Adresse haben? Viktoria verfügte über Zugriffsrechte für sämtliche Konten, außerdem hatte sie die Entscheidungsgewalt über Kredite. Sie sollten auf jeden Fall ihr Geschäftshandy und den Laptop unter die Lupe nehmen. Im System können Sie nachvollziehen, mit welchen Kunden sie heute Kontakt hatte.«
»Ficki, ficki, ficki«, krakeelte es nun durchs Haus.
Schiemann runzelte die Stirn. »Was höre ich da?«
»Micki will ficki«, ging es weiter. »Ficki, ficki, ficki.«
Specht presste peinlich berührt die Lippen zusammen, dann stellte er klar: »Also, äh, Silly meint natürlich Vicky. Vicky ist der Spitzname von Viktoria. Der Kakadu hat uns wohl so manches Mal beim Küssen beobachtet.«
»Gut zu wissen«, erwiderte Schiemann mit einem Schmunzeln. »Man könnte leicht etwas Falsches verstehen. Also schön. Jetzt mal etwas ganz anderes. Wie Sie vielleicht schon wissen, haben wir eine zerbrochene Karaffe gefunden. Können Sie mir sagen, ob diese heute Morgen schon mit Wein befüllt war?«
»So genau kann ich mich da nicht erinnern«, antwortete Specht. »Wir trinken öfter mal einen. Auch heute Abend wollten wir zusammen eine Flasche köpfen. Vielleicht hat Viktoria den Wein schon vorbereitet, damit er atmen kann. Oder sie hat sich selbst ein Gläschen gegönnt. Wäre ihr zumindest zuzutrauen. Im Homeoffice merkt das ja keiner.«
»Herr Specht, wären Sie bereit, sich einem Alkoholtest zu unterziehen? Keine Angst, ist nur eine reine Routinemaßnahme.«
»Selbstverständlich«, stimmte er zu. »Aber ich hoffe doch schwer, Sie denken nicht, dass ich es war, der Viktoria …«
»Litschi, Litschi«, unterbrach ihn der Kakadu aus der Küche. »Vicky will Litschi!«
»Was ruft Silly jetzt?«, rätselte Schiemann. »Das klingt für mich schwer nach Litschi, finden Sie nicht?«
Specht winkte ab. »Silly plappert heute nur wirres Zeug. Bei so vielen fremden Menschen ist sie natürlich aufgeregt. Wobei Viktoria Litschis mochte, und sie hat Silly auch gelegentlich eine abgegeben. Kakadus fressen exotische Früchte sehr gern, und ich glaube, im Kühlschrank sind noch welche.«
»Litschi stinki, stinki!«
Schiemann stieß frustriert die Luft aus. Das Verhör hatte ihn bisher kaum weitergebracht. Das Motiv für einen Mord fehlte, und es gab auch keine ersichtlichen Anzeichen dafür, dass Michael Specht seine Frau umgebracht hatte. Aber völlig ausschließen konnte der Kommissar das nicht. Blieb noch die Theorie mit dem verprellten Bankkunden, oder der geheimnisvolle Unbekannte, den bisher noch niemand ins Spiel gebracht hatte.
Wie auch immer. Die Einzigen, die den Mord mit eigenen Augen beobachtet hatten, waren Silly und Speedy. Vom Chinchilla, was auch immer das für ein Tier war, gab es garantiert nicht viel zu erwarten. Aber der Kakadu war in Plauderlaune.
Wäre doch gelacht, wenn man nicht die ein oder andere Information aus dem Vogel herauskitzeln konnte.