Der Engel von Sophienlust - Patricia Vandenberg - E-Book

Der Engel von Sophienlust E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. In Sophienlust hatte das Stimmungsbarometer den Tiefpunkt erreicht. So etwas war noch nie da gewesen, aber Grund genug war dafür vorhanden. Denise von Schoenecker hatte bei ihrem ersten Ausritt nach langer Zeit Pech gehabt. Soeben hatte Alexander von Schoenecker den versammelten Angestellten und Kindern eröffnet, dass sie sich den Arm gebrochen habe und einige Tage in der Klinik bleiben müsse. Danach würde noch eine längere Schonzeit nötig sein. Und das vierzehn Tage vor Carolas Hochzeit! Alle blickten betroffen drein. »Dann werden wir die Hochzeit halt noch mal verschieben müssen«, sagte Carola Dahm sehr gefasst zu ihrem Verlobten Wolfgang Rennert. Er nickte stumm, aber unwillkürlich blickte er zu dem schmucken Häus­chen hinüber, das nun schon einige Wochen auf sie wartete. Mit viel Liebe und der großzügigen Hilfe aller, die ihnen von Herzen zugetan waren, hatten sie es eingerichtet. »Es tut mir leid«, sagte Alexander von Schoenecker deprimiert. Er hatte nun auch einige Sorgen, mit denen er fertig werden musste. Die drei großen Kinder Sascha, Andrea und Dominik, zeigten sich gefasst, aber der kleine Henrik, der sich gerade im Trotzalter befand, schrie unentwegt nach seiner Mutti. Alexander machte sich bittere Vorwürfe. Er hatte Denise zu diesem Ausritt überredet. Tapfer und zuversichtlich wie immer, hatte sie ihn nach dem Sturz zu trösten versucht. »Es ist ja nicht so schlimm«, hatte sie gemeint, aber für sie alle war es doch schlimm genug.

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Sophienlust Bestseller – 82 –

Der Engel von Sophienlust

Caroline kannte keinen Eigennutz

Patricia Vandenberg

In Sophienlust hatte das Stimmungsbarometer den Tiefpunkt erreicht. So etwas war noch nie da gewesen, aber Grund genug war dafür vorhanden. Denise von Schoenecker hatte bei ihrem ersten Ausritt nach langer Zeit Pech gehabt. Soeben hatte Alexander von Schoenecker den versammelten Angestellten und Kindern eröffnet, dass sie sich den Arm gebrochen habe und einige Tage in der Klinik bleiben müsse. Danach würde noch eine längere Schonzeit nötig sein.

Und das vierzehn Tage vor Carolas Hochzeit! Alle blickten betroffen drein.

»Dann werden wir die Hochzeit halt noch mal verschieben müssen«, sagte Carola Dahm sehr gefasst zu ihrem Verlobten Wolfgang Rennert.

Er nickte stumm, aber unwillkürlich blickte er zu dem schmucken Häus­chen hinüber, das nun schon einige Wochen auf sie wartete. Mit viel Liebe und der großzügigen Hilfe aller, die ihnen von Herzen zugetan waren, hatten sie es eingerichtet.

»Es tut mir leid«, sagte Alexander von Schoenecker deprimiert. Er hatte nun auch einige Sorgen, mit denen er fertig werden musste. Die drei großen Kinder Sascha, Andrea und Dominik, zeigten sich gefasst, aber der kleine Henrik, der sich gerade im Trotzalter befand, schrie unentwegt nach seiner Mutti.

Alexander machte sich bittere Vorwürfe. Er hatte Denise zu diesem Ausritt überredet. Tapfer und zuversichtlich wie immer, hatte sie ihn nach dem Sturz zu trösten versucht. »Es ist ja nicht so schlimm«, hatte sie gemeint, aber für sie alle war es doch schlimm genug.

Alexander nahm Henrik auf den Arm und redete beschwichtigend auf ihn ein. »Wir fahren ja zu Mutti, und bald ist sie wieder bei uns.«

»Gleich soll sie kommen«, schluchzte der Kleine. »Alle Pferde bös!«

Als sie dann in der Klinik an Denises Bett saßen, starrte er, plötzlich verstummt, mit tränenfeuchten Augen auf den geschienten Arm.

»Sie werden die Hochzeit verschieben«, sagte Alexander beklommen.

»Das kommt gar nicht infrage«, begehrte Denise auf. »Zweimal verschieben ist genug, ein drittes Mal wird sie nicht verschoben. In vierzehn Tagen bin ich längst wieder in Ordnung. Carola und Wolfgang sollen ihre Hochzeit mit allem Drum und Dran feiern und anschließend eine schöne Hochzeitsreise machen. Sie haben es sich redlich verdient.«

Alexander hatte befürchtet, dass sie so reagieren würde. Er kannte seine Frau. Selbst in einer solchen Situation ließ sie sich nicht so leicht etwas ausreden.

»Nun lass nicht gleich den Kopf hängen, Alexander!«, tröstete sie ihn. »Und mach dir keine Vorwürfe! Es war eben Pech. Es ist ja nur ein glatter Bruch. Und unser Henrik ist auch schön lieb, sonst dauert es nur länger, bis Mutti wieder daheim ist.«

Das verstand der Kleine. Die Tränen versiegten. Liebevoll streichelte er Denises Wange und versprach: »Henrik ist ganz lieb. Dann kommt Mutti schnell wieder heim.«

Wie sie es nur immer verstand, die aufgeregten Gemüter zu beruhigen und Ruhe zu stiften! Zärtlich und bewundernd küsste Alexander seine Frau.

»Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.« Sie lächelte. »Du weißt es doch, Liebster!«

Doch diesmal nützte der Glaube allein nichts. Diesmal musste schon etwas geschehen, sollte alles wie gewohnt weiterlaufen. Denise konnte ihre Arbeit mit dem gebrochenen Arm unmöglich bewältigen.

Kurz entschlossen gab Alexander eine Annonce auf.

*

Weit entfernt von Sophienlust, von dem sie noch nie etwas gehört hatte, saß Caroline Ruprecht vor ihrer Schreibmaschine in der Kanzlei des Rechtsanwaltes Dr. Wend. Mit schnellen, geübten Fingern schrieb sie das Diktat, das er auf Band gesprochen hatte. Immer wieder ertappte sie sich dabei, dass sie viel zu intensiv seiner Stimme nachlauschte.

Caroline war ein schüchternes Mädchen mit dichtem braunem Haar und schönen braunen Augen. Aber sie hatte wenig Selbstbewusstsein. Oft hatte sie sich schon gesagt, dass ein Mann wie Gerhard Wend unerreichbar für sie sei. Doch was nützte ihr diese Erkenntnis, da sie zum ersten Mal bis über beide Ohren verliebt war? Die Tatsache, dass es auch noch eine Carmen Gebhard gab, die schön, elegant und ungemein selbstbewusst war, schmerzte nur zusätzlich.

Dunkle Glut schoss in Carolines Wangen, als sich die Tür auftat und der Anwalt, von dem sie träumte, eintrat.

Dr. Gerhard Wend hatte schon mehr als ein Frauenherz betört. Er war der Typ, dem keine Frau widerstehen konnte, und er wusste das auch.

Caroline wurde von einem Lächeln irritiert, wie er es ihr noch niemals geschenkt hatte. Ihre Verwirrung vertiefte sich, als er ganz dicht zu ihr herantrat und seine Hand auf ihre Schulter legte.

»So viel Fleiß muss belohnt werden«, sagte er leichthin, obgleich er gar nicht auf die Maschine schaute, sondern in ihre Augen. »Haben Sie heute etwas vor, Caroline?«

Er nannte sie beim Vornamen. Er sah sie so an, dass der Boden unter ihr zu schwanken begann. Er fragte, ob sie etwas vorhätte! Sie konnte nur den Kopf schütteln. Das tat sie zwar unbewusst, aber er nahm es als Antwort auf seine Frage.

»Darf ich Sie dann zum Essen einladen?«, fragte er ohne Umschweife.

»Mich?«, erwiderte sie fassungslos.

»Sonst ist doch wohl niemand hier«, entgegnete er charmant. »Oder täusche ich mich? Nun, bekomme ich einen Korb?«

Wieder schüttelte Caroline unbewusst den Kopf. Sie war viel zu verstört, als dass sie seine Worte für bare Münze genommen hätte.

»Ich hole Sie gegen sieben Uhr ab«, erklärte er. »Für heute ist die Arbeit beendet, Caroline.«

Sie wusste nicht, wie ihr geschah. Die Tür hatte sich schon wieder hinter ihm geschlossen, doch sie vermeinte noch immer den Druck seiner Hand auf ihrer Schulter zu verspüren.

Das konnte doch nur ein Traum und niemals Wirklichkeit sein! Er hatte sie zum Essen eingeladen. Er wollte sie abholen. Der Mann ihrer Träume hatte Notiz von ihr genommen!

Benommen erhob sich Caroline und blickte in den Spiegel. Dr. Gerhard Wend wollte mit ihr ausgehen. Es war einfach nicht zu begreifen.

Wie spät war es? Schon fünf Uhr! Ob sie beim Friseur noch angenommen wurde? Und was sollte sie anziehen? Sie war so aufgeregt, wie es nur ein Mädchen sein konnte, dessen heimliche Wünsche plötzlich in Erfüllung gingen.

*

So übel ist sie gar nicht, dachte Gerhard Wend, als er Caroline gegenübersaß. Man kann sich an sie gewöhnen. Was ihn bewegte, verbarg er hinter einer lächelnden Miene.

Caroline hielt den Blick gesenkt. Sie dachte: Er ist tatsächlich gekommen. Er hat sich nicht nur einen Scherz mit mir erlaubt. Pünktlich ist er auch gewesen. Niemals werde ich den Blick vergessen, mit dem Frau Hübner uns nachgeschaut hat!

Das elegante Lokal, in das er sie geführt hatte, schüchterte Caroline ein. Doch schon nach dem ersten Schluck Wein fühlte sie sich wie im siebten Himmel.

Vielleicht war sie gar nicht so hässlich, wie sie immer geglaubt hatte, vielleicht bedeuteten ihm Äußerlichkeiten gar nicht so viel? Jedenfalls war er so liebenswürdig, wie sie es sich selbst in ihren kühnsten Träumen nicht vorzustellen gewagt hätte.

»Sie sind reizend, Caroline«, hörte sie ihn sagen, doch ausgerechnet da brachte der Ober das Essen. Es war delikat, aber das war ihr augenblicklich ziemlich gleichgültig. Immer wieder musste sie ihn ansehen. Sie hoffte nur, dass es nicht auffiel.

Sie ist in mich verliebt, dachte Gerhard Wend zufrieden. Etwas Bessseres konnte mir gar nicht passieren. Komisch, dass ich das vorher nie bemerkt habe. Aber wie sollte ich auch. Sie war doch für mich bis zum heutigen Tag nur ein Fräulein Niemand.

Carolines Glück war vollkommen, als Dr. Wend sie später noch in ein Tanzlokal führte. Sie vergaß die Welt, die elegant gekleideten Frauen, ja, selbst Carmen Gebhard, denn er hielt sie im Arm und flüsterte ihr zärtliche Worte ins Ohr.

Als sie dann in seinem Wagen saß, der lautlos dahinglitt, fragte er mit

belegter Stimme: »Könnten Sie sich vorstellen, mich zu heiraten, Caroline?«

Ihr wäre es lieber gewesen, wenn er diese Frage zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort gestellt hätte. Aber wozu sollte sie darüber nachdenken? Das Glück, das sie empfand, sprengte ihr fast die Brust. Natürlich brachte sie kein Wort über die Lippen.

»Es kommt dir sicher überraschend, kleine Caroline«, flüsterte er ihr zu. »Aber irgendwann hättest du ja spüren müssen, was du mir bedeutest.«

Wann hätte sie es spüren sollen, hätte sie sich fragen müssen. Wenn Carmen anrief oder wenn sie schmerz­erfüllt mitansehen musste, dass sie ihn abholte? Wenn er durch sie Blumen für diese schöne Frau bestellen ließ?

»Und Carmen Gebhard?«, fragte sie gepresst.

»Schäfchen«, lachte er leise, »sie ist eine alte Freundin, sonst nichts. Sie wird sich freuen, dass ich eine so reizende Frau bekomme. Du wirst mir doch keinen Korb geben, Caroline?«

Sie waren schon bei ihrer Wohnung angelangt. Er ließ den Wagen ausrollen und legte den Arm um sie. Nicht der leiseste Argwohn kam ihr, als er sie küsste. Ihr erster Kuss! Dabei war sie bereits einundzwanzig Jahre alt. Sie hatte keine Ahnung von Männern und keine davon, wie Männer küssten, die eben einem Mädchen einen Heiratsantrag gemacht hatten. Für sie war dieser Kuss eine Offenbarung.

»Ich kann es noch nicht glauben, dass du mich liebst«, flüsterte sie scheu.

»Dann wirst du dich ganz schnell daran gewöhnen müssen, mein Schatz«, lächelte er. »Ich will nämlich nicht lange warten.«

Wie auf Wolken schritt sie dahin, ein glückliches Lächeln auf ihrem jungen Gesicht, als er sich schnell von ihr verabschiedete, damit sie nur ja nicht zu spät ins Bett käme. Denn morgen früh wollte er sie frisch und munter vor sich sehen.

»Was soll ich ohne dich machen«, hatte er gesagt, und diese Worte klangen in ihren Ohren noch immer wie Musik.

*

»Sie sehen heute aber hübsch aus«, stellte Frau Hübner fest, als Caroline mit einem freundlichen Gruß an ihr vorbeieilte.

Caroline mochte ihre Wirtin wegen dieses Komplimentes an diesem Tag doppelt gern. Ich bin glücklich, dachte sie. Man sagt doch, dass Liebe jede Frau verschönt. Und Gerhard Wend liebte sie. Er wollte sie heiraten. Mehr Glück gab es gar nicht. Der Himmel schien das ebenfalls zu wissen. Hell strahlte die Morgensonne auf Caroline herab. Sie war viel früher als sonst. Aber sie wollte ja auch noch ein paar Blumen für seinen Schreibtisch besorgen. Irgendwie musste sie ihm doch zeigen, wie glücklich sie war.

»Drei rote Rosen, ein zarter Kuss.« Onkel Heinrich hatte es früher immer gesungen. Komisch, dass sie heute ausgerechnet an ihn denken musste, obgleich sie doch schon so lange nichts mehr von ihm gehört hatte. Aber wenn man verliebt war, kamen einem wohl die seltsamsten Gedanken.

Sie kaufte drei rote Rosen und dachte dabei, wie gut es doch war, dass sie immer so gespart hatte. Ganz arm brauchte sie nun auch nicht in die Ehe zu gehen. Für eine kleine Aussteuer reichte ihr Bankkonto schon.

Sie wunderte sich nicht, dass die Tür zur Kanzlei unverschlossen war, denn die Zugehfrau vergaß das Zuschließen oft. Sehr gewissenhaft verschloss Caroline deswegen immer die Schränke. Eigentlich hätte Dr. Wend doch einmal ein ernstes Wörtchen mit der guten Frau reden müssen, überlegte sie. Aber dann wurde ihr bewusst, dass er nun nicht mehr Dr. Wend für sie war, sondern Gerhard, ihr zukünftiger Mann.

Jäh wurde Caroline diesem berauschenden Gedanken entrissen, als sie eine tiefe Männerstimme vernahm, die sie nicht kannte.

»Du musst es ihr sagen, Gerd!«, hörte sie erregt eine Stimme sagen. »Ich habe meine Verpflichtungen einzuhalten.«

»Aber versteh mich doch!«, antwortete nun die vertraute Stimme von Gerhard Wend. »Caroline würde glauben, dass ich sie nur wegen dieser Erbschaft heiraten will. Sie ist ein sehr empfindsames Mädchen.«

»Ich wusste gar nicht, dass du so altmodisch bist«, erwiderte die ihr unbekannte Stimme. »Geld beruhigt. Es wird auch für sie eine freudige Überraschung sein, dass sie eine reiche Erbin ist. Aber was ist eigentlich mit Carmen? Du bist doch sehr eng liiert mit ihr. Sei mir nicht böse, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du einem unbedeutenden kleinen Mädchen den Vorzug gibst. Du hast dich doch nicht etwa erst gestern für sie entschieden, nachdem ich dir sagte, wie reich sie sein wird?«

Es klang sehr misstrauisch, und um Caroline begann sich alles zu drehen. Es war in ihr Bewusstsein gedrungen, dass sie eine reiche Erbin sein sollte, und plötzlich war ihr Traum vom großen Glück und der wahren Liebe vorbei.

Gerhard Wend hatte sie zum Narren gehalten, weil er vor ihr gewusst hatte, dass sie viel Geld geerbt hatte. Die Rosen fielen Caroline aus der Hand, direkt in den Papierkorb. Es war fast symbolisch.

Nicht eine einzige Sekunde überlegte sie noch. Wie gehetzt lief sie davon. Der Himmel schien sich verdunkelt zu haben, als sie auf der Straße stand.

Fort, nur fort, war ihr einziger Gedanke. Nie mehr wollte sie diesem Mann begegnen, der ihr Liebe vorgetäuscht hatte. Warum war sie nur so dumm gewesen, ihm auch nur einen Augenblick zu glauben?

Frau Hübner war zu Tode erschrocken, als sie an ihr vorbei in ihr Zimmer lief, in dieses bescheidene Zimmer, in dem sie ein Jahr gewohnt hatte.

Mit bebenden Händen packte sie ein paar Sachen ein. Kaum ihrer Sinne mächtig, erklärte sie, als Frau Hübner an ihre Tür klopfte: »Ich muss dringend verreisen. Ich gebe Ihnen Nachricht, sobald es möglich ist.«

»Aber wie sehen Sie denn aus, Kindchen?«

Caroline gab keine Antwort. Hart schlug die Tür hinter ihr ins Schloss. Sie hatte das Gefühl, dass alles nur ein böser Traum sei, dennoch trieb sie eine zwingende Kraft vorwärts. Vom nächsten Taxistand ließ sie sich zum Bahnhof fahren. Völlig erschöpft erreichte sie einen Zug, für den eben das Abfahrtssignal gegeben wurde, ohne dass sie dessen Ziel kannte.

Mutlos sank sie auf den Sitz. Sie war ganz allein in diesem Abteil, und als ihr dies bewusst wurde, kam sie wieder zu sich.

Es war alles Lüge, dachte sie, und die wallenden Nebel vor ihren Augen lichteten sich. Was bedeutete ihr jetzt eine Erbschaft, da sie aller Illusionen beraubt worden war? Was bedeutete ihr Geld? Aber ihm musste es etwas bedeutet haben.

Auf dem gegenüberliegenden Sitz lag eine Zeitung. Eine fettgedruckte Annonce erregte Carolines Interesse. Sie las:

Perfekte Bürokraft dringendst gesucht. Persönliche Vorstellung im Kinderheim Sophienlust erbeten.

»Die Fahrkarte, bitte!«, sagte im gleichen Augenblick jemand zu ihr.

Erschrocken blickte Caroline den Mann in der blauen Uniform an. »Ich habe keine«, stammelte sie. »Es ging so rasch.«

»Und wohin wollen Sie?«

Wohin wollte sie? Wusste sie es?

»Nach Sophienlust«, erwiderte sie mechanisch.

Hilfe suchend nahm Caroline die Zeitung zur Hand. »Dahin will ich«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme und deutete auf die Annonce.

*

Mit väterlichen Ermahnungen, die Station nicht zu verpassen, hatte der freundliche Schaffner ihr die Fahrkarte ausgehändigt.

Verrückt war das, was sie so impulsiv beschlossen hatte. Alles war verrückt. Ihre Welt war aus den Fugen geraten.

Caroline presste ihre Fingernägel in die Handfläche. Ganz fest. Der Schmerz machte ihr bewusst, dass sie nicht mehr träumte. Der Traum war zu Ende, seit ihr die schmerzhafte Wahrheit bewusst geworden war.

Die sechste Station, hatte der Schaffner gesagt. Fünfmal hatte der Zug bereits gehalten. Caroline hatte es im Unterbewusstsein registriert. Noch fuhr er ratternd durch den Wald, dann tauchten Häuser auf und rauchende Schornsteine. Caroline stand auf. Ein harter Ruck warf sie auf die Bank zurück. Der Zug hielt. Sie brauchte einige Sekunden, bis sie es begriffen hatte.

Ein schriller Pfeifton zerriss die Stille, als sie ausstieg. Ein vorwurfsvoller Blick traf sie, als sie schwankend auf dem Bahnsteig stand.

»Nächstes Mal etwas schneller bitte, Fräulein!«, ermahnte sie eine ihr fremde Stimme, dann setzte sich der Zug wieder in Bewegung.

Caroline trat ins Freie.

Autobusse und Personenwagen standen auf dem Bahnhofsplatz. Ein älterer Herr lief ihr in den Weg.

»Können Sie mir bitte sagen, wie ich zum Kinderheim Sophienlust komme?«, hörte Caroline sich mit fremder Stimme fragen.

Der Mann zuckte die Schultern und ging an ihr vorbei. Dafür stand ein kleiner Junge plötzlich an ihrer Seite.

»Sie wollen auch nach Sophienlust?«, fragte er. »Mein Papi will mich dorthin bringen. Ist es schön dort?«

Caroline wusste es nicht. Es war ihr auch völlig gleichgültig. Man suchte eine Bürokraft, und vielleicht bekam sie die Stellung. Aber die klaren Kinderaugen blickten sie erwartungsvoll an, und plötzlich fühlte sie sich nicht mehr so entsetzlich einsam. Es war ein Kinderheim. Kinder waren nicht verlogen.

»Wie heißt du?«, fragte sie wie unter einem Zwang.

»Felix«, erwiderte der Junge. »Felix Niklas. Dort kommt mein Vati. Wollen Sie mit uns fahren?«

Bevor Caroline noch etwas erwidern konnte, stand der Vater des Jungen vor ihr. Sie sah in ein ernstes, markantes Männergesicht, in helle, forschende Augen, die die gleiche Farbe hatten wie die des Jungen.

»Die Dame möchte auch nach Sophienlust, Papi«, hörte sie wie von weit entfernt.

»Entschuldigen Sie, bitte«, wandte sie sich dem Herrn zu. »Ich will nicht aufdringlich sein, aber ich weiß nicht, wie ich nach Sophienlust komme.«

Noch ein abschätzender Blick umfing sie, dann erwiderte der Herr: »Sie können gern mit uns fahren.«

Er steuerte auf einen großen grauen Wagen zu. Caroline folgte ihm. Der Junge trippelte neben ihr her. Als der Mann die Wagentür öffnete, setzte sich der Junge neben sie.

»Haben Sie auch ein Kind in Sophienlust?«, fragte er.

Caroline schüttelte den Kopf. »Ich suche eine Stellung«, erwiderte sie tonlos.

»Dann bleiben Sie immer dort?«, fragte der Junge interessiert.

»Wenn ich die Stellung bekomme, ja«, antwortete sie.

»Was ist das für eine Stellung?«, wollte er wissen.

»Sei doch nicht so neugierig, Felix!«, mischte sich der Vater des Jungen in das Gespräch ein.

»Wenn ich es aber doch gern wissen möchte«, beharrte er. »Dann kenne ich wenigstens schon jemanden. Es ist gar nicht schön, wenn man wohin kommt, wo man niemanden kennt.«

»Sophienlust hat einen ausgezeichneten Ruf«, sagte die dunkle Stimme, die Caroline so beruhigend empfand.

»Kennen Sie es?«, fragte sie leise.

»Sie nicht?«, fragte er erstaunt zurück.

»Ich habe nur die Annonce gelesen«, entgegnete sie.

»Aber Sie mögen Kinder, nicht wahr?«, mischte sich Felix ein. »Sie sehen so aus.«

»Ja, ich mag Kinder sehr«, erwiderte Caroline. »Ich wäre sehr froh, wenn ich die Stellung bekommen würde.«

»Ich wäre auch froh«, meinte Felix. »Papi muss nämlich nach Japan. Er muss dort Vorlesungen halten. Wo doch gleich, Papi? Ich habe es schon wieder vergessen.«

»In Tokio«, erwiderte sein Vater zögernd. »Aber das interessiert die junge Dame doch gar nicht, Felix.«

Caroline interessierte es schon, aber das wagte sie nicht auszusprechen, und Prof. Niklas schien an der Unterhaltung auch nicht teilnehmen zu wollen. So wurde diese zu einem langen Monolog von Felix.

Der achtjährige Junge war sehr aufgeweckt. Er erzählte, dass er nun bereits ins dritte Schuljahr käme, und kam vom Hundertsten zum Tausendsten.

Dann aber hielt er plötzlich inne und sah Caroline an. »Ich weiß noch gar nicht, wie du heißt«, murmelte

er.

Caroline wurde sich dieser Unterlassungssünde bewusst, entschuldigte sich verlegen und nannte ihren Namen.

»Du darfst aber nicht einfach du zu der jungen Dame sagen, Felix«, wurde der Junge von seinem Vater ermahnt.

»Ist mir so herausgerutscht.« Felix warf Caroline einen prüfenden Blick zu. »Ist es denn schlimm, wenn ich du sage?«, fragte er kleinlaut.

Unwillkürlich ergriff sie seine Hand. »Nein, Felix«, flüsterte sie, »aber ich weiß ja gar nicht, ob sie mich nehmen.«

Es klang so niedergeschlagen, dass der Mann am Steuer aufhorchte. Eberhard Niklas hatte ein feines Gespür für seelische Nöte, weil er selbst eine große Sorgenlast mit sich herumschleppte.

Er sah Carolines Gesicht im Rückspiegel. Ein junges Gesicht, in dessen Augen Verzweiflung stand. Caroline Ruprecht … Er musste plötzlich lächeln. Niklas und Ruprecht. Ein komisches Zusammentreffen war das.

Auch Felix schien bereits darüber nachgedacht zu haben. Er kicherte in sich hinein. »Wenn wir noch ein U im Namen hätten, wären wir Niklaus, und du bist der Ruprecht«, meinte er schelmisch. »Ist das nicht nett, Papi?«

»Du sprichst von einer jungen Dame, Felix«, ermahnte ihn sein Vater wieder, da er nicht zugeben wollte, dass er eben einen ähnlichen Gedanken gehabt hatte.

»Sie ist jedenfalls nicht so eingebildet wie Frau Helm«, erklärte Felix.

Wer diese Frau Helm war, erfuhr Caroline nicht. Prof. Niklas schwieg sich aus, und auch von Felix kam nicht mehr dazu. Und da waren sie auch schon in Sophienlust angelangt.

Caroline war viel zu sehr mit ihren Sorgen beschäftigt gewesen, als dass sie der Landschaft, durch die sie gefahren waren, Beachtung geschenkt hätte. Aber jetzt konnte sie einen Ausruf des Entzückens nicht unterdrücken. Etwas Schöneres als Sophienlust hatte sie noch nicht gesehen. Trotz seines Ausmaßes bot das Gutshaus einen anmutigen, heimeligen Anblick. Hier zu leben musste wunderbar sein. Caroline schickte ein heißes Stoßgebet zum Himmel, dass sie diese Stellung bekommen möge.

Auch Felix schaute sich mit großen Augen um. »Ich sehe keine Kinder«, meinte er betrübt.

»Die wirst du schon noch kennenlernen«, tröstete ihn sein Vater. Sein Gesicht war überschattet, und Caroline fragte sich, ob es daran lag, dass ihm die Trennung von seinem Sohn schwerfiel. Sekundenlang trafen sich ihre Augen, die hellen des Mannes und ihre dunklen. Es war ihr, als wolle er den Grund ihrer Seele erforschen.

Ein hübsches blondes Mädchen kam auf sie zu. »Ich bin Carola Dahm«, sagte sie. »Herr Professor Niklas? Herr von Schoenecker erwartet Sie.«

Carolas fragender Blick ging zu Caroline. Diese errötete. »Ich komme wegen der Annonce«, sagte sie rasch. »Herr Prof. Niklas war nur so freundlich, mich mitzunehmen.« Dann nannte sie ihren Namen.

Carolas freundliches Lächeln vertiefte sich. »Caroline und Carola«, sagte sie gedankenvoll, »sollte das nicht ein gutes Omen sein?«

Das ist wirklich merkwürdig, dachte Eberhard Niklas. Vielleicht ist es tatsächlich ein gutes Omen. »Komm, Felix«, forderte er seinen Sohn auf.

»Ich möchte lieber bei Caroline bleiben«, sagte der Junge. Dann ging er aber doch zu seinem Vater und raunte ihm etwas ins Ohr.

Prof. Niklas streichelte ihm flüchtig die Wange. »Mal sehen, was sich machen lässt, mein Junge«, hörte ihn Caroline sagen.

Felix kam wieder zu ihr und ergriff ihre Hand. »Schauen wir uns ein bisschen um?«, fragte er.

Caroline zögerte. Erst jetzt wurde ihr so recht bewusst, welche überstürzte Entscheidung sie getroffen hatte. Bekam sie die Stellung nicht, hatte sie das Fahrgeld umsonst ausgegeben, und gerade jetzt hatte sie jeden Cent nötig. An die Erbschaft, die ihr zugefallen sein sollte, dachte sie nicht.

*

Während Caroline solchen Gedanken nachhing, hatte sich Dr. Gerhard Wend angeschickt, nach Carolines Verbleib zu forschen. Die immer Überpünktliche war heute Morgen nicht im Büro erschienen. Zuerst hatte er angenommen, sie habe verschlafen. Dann hatte er verärgert die Überzeugung gewonnen, dass sie es nicht mehr für nötig halte, ihrer Arbeit nachzugehen, nachdem er ihr gestern den Heiratsantrag gemacht hatte. Seine Meinung von den Frauen war nicht die beste.

Nachdem jedoch zwei Stunden vergangen waren, wurde er unruhig. Sollte sein Kollege Dr. Rosen Caroline aufgesucht und sie von der Erbschaft unterrichtet haben? War dies der Grund für ihr Fernbleiben? Dem übermäßig korrekten Dr. Rosen war es schon zuzutrauen, dass er ihm in den Rücken fiel.

Doch vorerst tröstete sich Gerhard Wend noch mit dem Gedanken, dass er seine Rolle glaubwürdig gespielt habe. Als Dr. Rosen gestern in seine Kanzlei gekommen war, um sich über Carolines genaue Personalien zu informieren, hatte er den genialen Einfall gehabt, ihm dieses Märchen zu erzählen, dass er Caroline heiraten wolle.

Ja, genial war diese Idee gewesen, denn eine reiche Erbin kam ihm gerade recht, um ihm aus allen finanziellen Nöten herauszuhelfen. Er dachte nicht daran, sich diese fantastische Gelegenheit entgehen zu lassen. Niemand sollte ihn daran hindern, nicht Dr. Rosen und auch nicht Carmen.

Frau Hübner öffnete ihm, als er vor Carolines Wohnung erschien. Sofort erkannte sie in ihm den Mann, mit dem Caroline gestern Abend so glückstrahlend das Haus verlassen hatte.

Dr. Wend stellte sich vor. »Ich bin Carolines Chef und zugleich auch ihr zukünftiger Mann«, erklärte er mit seinem charmantesten Lächeln. »Sie ist doch nicht etwa erkrankt?«

Frau Hübner betrachtete ihn genau. Sie war zwar eine schlichte Frau, aber an Menschenkenntnis mangelte es ihr nicht. Als Vermieterin hatte sie in vielen Jahren einige Erfahrungen gesammelt. Irgendetwas stimmte da doch nicht. Glücklich war Caroline Ruprecht heute Morgen aus dem Haus gegangen, völlig verstört war sie zurückgekommen, um dann mit einem Koffer zu verschwinden, als wäre der Teufel hinter ihr her.

»Frau Ruprecht ist verreist«, erwiderte sie zurückhaltend.

»Verreist?«, fragte er gedehnt. Sein Gesicht verdüsterte sich. »Hat sie eine Nachricht bekommen oder einen Besuch?«, fragte er drängend. »Verstehen Sie doch, ich mache mir Sorgen.«

Wütend ist er, dachte Frau Hübner, von Sorgen steht nichts in seinem Gesicht.

»Niemand war da, und Post bekam sie nie«, brummte sie.

»Und wohin ist sie gefahren? Können Sie mir das wenigstens sagen?«

Frau Hübner zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Sie hatte es sehr eilig.«

Nun stand er wieder auf der Straße, nicht klüger als zuvor. Sollte Carmen dahinterstecken? Warum hatte er sie nur eingeweiht? Zum Teufel, es musste sich doch klären lassen! Dieses kleine Unschuldslamm musste doch zu überzeugen sein, falls es wirklich misstrauisch geworden sein sollte.

Dr. Wend fuhr zu Dr. Rosen. Der fiel aus allen Wolken, als er erfuhr, dass Caroline verschwunden sei.

»Das ist sehr fatal«, meinte er verärgert. »Es kann mich in Schwierigkeiten bringen. Ich war nicht berechtigt, zu jemandem darüber zu sprechen. Auch zu einem Freund nicht. Stimmt auch, was du mir erzählt hast?«, fragte er skeptisch.

»Warum zweifelst du daran?«, fuhr Gerhard Wend auf. »Es kann einfach nicht mit mir zusammenhängen. Es muss etwas anderes geschehen sein. Vielleicht hatte noch jemand Kenntnis von der Erbschaft und hat Caroline fortgelockt.«

Dr. Wend gelang es, das Misstrauen des anderen zu zerstreuen, aber beruhigt waren sie beide nicht.

Vielleicht ist sie längst im Büro, dachte Gerhard Wend. Vielleicht wollte sie sich nur neue Sachen kaufen, um mir zu gefallen. Alle Frauen sind schließlich eitel.

Doch Caroline war nicht im Büro, und Dr. Wend sah den Traum vom großen Geld entschwinden. Die welkenden Rosen im Papierkorb sah er nicht. Er überlegte angestrengt, ob er nicht doch einen Fehler gemacht habe.

*

»Da wäre noch etwas, Herr von Schoenecker«, sagte Prof. Niklas nachdenklich. »Ich habe eine junge Dame vom Bahnhof aus mitgenommen, die sich um eine Stellung bewerben will. Eine sehr sympathische junge Dame. Wobei ich jedoch bemerken möchte, dass ich mehr für meinen Sohn spreche, dem sie sehr zu gefallen scheint. Ich kann mich zwar nicht für sie verbürgen, da ich nichts über sie weiß, aber wenn Sie sich noch nicht entschieden haben, wäre es nett, wenn Sie sie in die engere Wahl ziehen würden. Felix hat mich so eindringlich darum gebeten, ein gutes Wort für sie einzulegen.«

»Der rettende Engel!«, antwortete Alexander von Schoenecker unwillkürlich. »Wenn sie sich ihrer Aufgabe gewachsen zeigt, nehme ich sie mit Kusshand. In einem solchen Heim braucht man nicht nur eine perfekte Kraft, sondern auch einen zuverlässigen Menschen.«

»Ich glaube, dass Sie mit ihr einen guten Griff tun«, urteilte Prof. Niklas. »Mir scheint, dass sie einen Kummer mit sich herumträgt.«

Diesen Eindruck gewann auch Alexander, als Caroline Ruprecht ihm gegenübersaß, wenngleich sie nicht über diesen Kummer sprach. Dankbar sah sie ihn an, als er ihr sagte, dass sie bleiben könne. Wieder einmal wurde Sophienlust Zuflucht für einen verzweifelten jungen Menschen. Und wieder hielt ein Kind Einzug, das niemanden mehr besaß als seinen Vater.

Für Felix war der Abschied von ihm nicht ganz so schmerzlich, da er nun wusste, dass Caroline bleiben würde. Fest hielt er ihre Hand, als der Wagen seines Vaters seinen Augen entschwand.

»Ich bin so froh, dass du da bist. Nun bin ich doch nicht ganz allein«, sagte er dankbar.

*

Dominik hatte den »Neuen« hinlänglich begutachtet, und sein Urteil fiel zu Felix’ Gunsten aus.

»Er ist kein Langweiler«, äußerte er sich zu Pünktchen, die ihn erwartungsvoll anblickte. »Er ist ein Schlauer. Du kannst ruhig nett zu ihm sein.«

In letzter Zeit wachte Dominik eifersüchtig drüber, dass Pünktchen ihre Gunst nicht an Unwürdige verschwendete. Pünktchen ihrerseits war, seit er seine innige Zuneigung zu ihr durch ein goldenes Armband besiegelt hatte, noch mehr als früher darauf bedacht, ja nicht seinen Unwillen zu erregen.

»Nun können Carola und Wolfgang wenigstens heiraten«, fuhr Dominik fort. »Da wird Mutti froh sein.«

»Sie aber auch«, nickte Pünktchen. »Nun haben wir eine Carola und eine Caroline. Ist sie nett?«

»Nett schon, aber ruhig«, meinte Dominik. »Aber Vati ist zufrieden. Das ist die Hauptsache.«

Alexander von Schoenecker konnte sehr zufrieden sein. Erleichtert berichtete er seiner Frau, dass Caroline ein Juwel sei. Natürlich wollte Denise genauer über alles informiert werden, was sich während ihrer Abwesenheit in Sophienlust tat. Für sie war es schlimm, zur Untätigkeit verdammt zu sein.

Über Mangel an Abwechslung brauchte sie sich nicht zu beklagen. Die Besucher gaben sich die Klinke in die Hand. Man wollte ihr die Zeit vertreiben, aber manchmal wurde es ihr fast zu viel. Sie sehnte sich nach ihrem gemütlichen Heim, nach den Kindern, und auch nach Sophienlust. Von dem rettenden Engel Caroline konnte sie sich keine rechte Vorstellung machen, aber es beruhigte sie doch, dass alles seinen gewohnten Gang ging und Carolas Hochzeit nicht gefährdet war.

Die Hochzeit war im Augenblick das Wichtigste für die Kinder. Waren auch schon manche Hochzeiten in Sophienlust gefeiert worden, diese war doch etwas Besonderes, denn Carola war einst als Waisenkind hierhergekommen und von Sophienlust nicht mehr wegzudenken. Alle rechneten ihr ihre Treue hoch an, denn als begabte Malerin, die ihre hübschen Bilder gut verkaufte, hätte sie auch eigene Wege gehen können.

Doch Carola war hier daheim. Anderswo zu leben, konnte sie sich nicht vorstellen, und an Wolfgang Rennerts Seite wollte sie auch in aller Zukunft diesem Heim der glücklichen Kinder dienen.

Aus allen Teilen der Welt trafen schon Geschenke ein. Kinder und Eltern, die sich dankbar an Sophienlust erinnerten, wollten der beliebten Carola eine Freude bereiten. Es war erstaunlich, was für schöne Sachen für das junge Paar ausgewählt worden waren.

Dazu, dass die Hochzeit zu einem unvergesslichen Erlebnis werden sollte, wollten natürlich auch die Kinder beitragen, und da es eine Überraschung für Carola und Wolfgang werden sollte, mussten die Vorbereitungen in aller Heimlichkeit getroffen werden.

Es war gut, dass Caroline da war, zu der man gehen konnte, wenn man Fragen hatte. Sie war verschwiegen. Und sie war glücklich, dass die Kinder so schnell Vertrauen zu ihr gefasst hatten.

Ja, Caroline war so glücklich, wie sie in ihrer Herzensnot nur sein konnte. Sie war nicht allein. Felix hatte ihr Glück gebracht, so wie sein Name gedeutet wurde.

Was bedeutet Geld im Vergleich zu beglückender Zuneigung eines Kindes, die ohne Falsch war. Von ihrer törichten Verliebtheit war sie schnell geheilt worden. Sie fühlte nur noch Verachtung für den Mann, der so schamlos mit ihren Gefühlen gespielt hatte, um sich zu bereichern. Nein, Geld brachte kein Glück.

*

Gerhard Wend war da anderer Meinung. Ihm stand das Wasser bis an den Hals. Er konnte nicht verwinden, dass ihm der Goldfisch im letzten Moment entschlüpft war.

Die anspruchsvolle Carmen Gebhard hatte ihn restlos pleite gemacht. Ihrem verführerischen Zauber erlegen, hatte er gedankenlos in den Tag hineingelebt. Übrig geblieben war ein Fiasko. Das hatte er Carmen eben mit harten Worten erläutert.

»Aus, Amen«, knurrte er nun. »Bei mir gibt es nichts mehr zu holen, meine Teure.«

Ja, teuer war sie ihm zu stehen gekommen diese verführerische Frau, die er nicht verlieren wollte. Um sie zu halten, um ihre Unersättlichkeit zu befriedigen, hätte er Caroline geheiratet. Doch Caroline war verschwunden. Nirgends hatte er ihre Spur finden können.

»Du warst doch so fest überzeugt, deine Millionenerbin zum Traualtar führen zu können«, höhnte Carmen. »Wo ist sie denn geblieben?«

»Das frage ich dich«, herrschte er sie an.

»Mich?«, fragte sie gedehnt.

»Es gibt doch gar keine andere Erklärung. Du mit deiner maßlosen Eifersucht musst sie vertrieben haben.«

Er brauchte einen Menschen, an dem er seine Wut abreagieren konnte. Carmen kam ihm gerade recht.

»Mach dich nicht lächerlich«, lachte sie ihn aus. »Diese unscheinbare Gans wird von selbst darauf gekommen sein, dass du ein Blender bist. Sie konnte es sich wohl an ihren Fingern abzählen, dass du nicht plötzlich in heißer Liebe zu ihr entbrannt bist.«

Das war eben die Frage, auf die er noch immer keine Antwort wusste. Aber Caroline war so verliebt in ihn gewesen, so voller Seligkeit, als er sie küsste, dass er nach einer anderen Erklärung suchen musste.

Carmen Gebhard fand, dass sie ihre Zeit unnütz vergeudete. Lässig zog sie ihre kostbare Nerzjacke um die Schultern.

»Machen wir es kurz, lieber Gerd!«, verabschiedete sie sich. »Wenn du mal wieder bei Kasse bist, kannst du dich melden.«

Er machte keine Anstalten, sie zurückzuhalten. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er ihr nach. Sie war er los, aber damit kam Caroline nicht zurück. Nicht die Millionen und nicht die Sekretärin! Gerhard Wend stützte den Kopf in die Hand und überlegte.

*

Von Prof. Niklas war ein Luftpostbrief für Felix gekommen, und das war für diesen ein Anlass zu einem langen Plausch mit Caroline, die zu seinem Kummer viel zu sehr beschäftigt war. Zwar verbrachte sie jede freie Minute mit ihrem kleinen Freund, aber Felix war das viel zu wenig.

»Schau mal, Caroline«, sagte er, »Papi hat ein Bild von sich mitgeschickt, damit ich ihn nicht vergesse.«

Erwartungsvoll sah er sie an, als sie einen langen Blick auf die Fotografie warf. Das war ein anderer Mann als Gerhard Wend, ging es ihr durch den Sinn. Das war kein Charmeur, dem die Lügen leicht über die Lippen kamen. Wenn sie sich doch nicht so hätte täuschen lassen! Sie seufzte schwer.

»Warum seufzst du?«, fragte Felix. »Gefällt dir mein Papi nicht?« Seine fragenden Augen waren bekümmert auf sie gerichtet. »Mir gefällt er sehr«, fügte er mit großem Nachdruck hinzu.

Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Doch, er gefällt mir auch«, erwiderte sie. »Er ist ein sehr gescheiter Mann.«

»Nur weil er gescheit ist, gefällt er dir?«, fragte Felix. »Er ist auch sehr lieb.«

»Er hat ja auch einen lieben Sohn«, sagte sie mit weicher Stimme. »Wo warst du eigentlich früher, wenn dein Papi verreisen musste, Felix?«

Caroline hoffte, dass die Frage unverfänglich klang. So viel Felix ihr auch sonst zu sagen hatte, über früher hatte er nie gesprochen.

Eine kleine steile Falte erschien auf seiner Stirn. »Früher war Frau Helm bei mir«, erwiderte er wegwerfend, »die Gouvernante. Aber sie hat immer nur Papi schöne Augen gemacht. Um mich hat sie sich nicht viel gekümmert. Aber das wollte ich auch gar nicht. Ich konnte sie nie leiden.«

Caroline wusste nicht recht, was sie dazu sagen sollte. Doch da fuhr Felix auch schon fort.

»Was nun für eine kommt, wenn Papi wieder da ist, weiß ich nicht. Willst du eigentlich immer hierbleiben, Caroline?« Es klang fast so, als wollte er sie vor eine Alternative stellen.

»Wenn man mich behält«, erwiderte sie ausweichend.

»Wenn du aber selbst gehen willst?«, fragte er weiter. »Ist es nicht schöner, wenn man sich nur um ein Kind zu kümmern braucht?«