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Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Es hatte wieder einmal gehörig gekracht auf der Autobahn, und in mehreren naheliegenden Kliniken war man in Alarmbereitschaft versetzt worden. Auch die Behnisch-Klinik bekam zu tun, zwei Schwerverletzte und ein leichter verletztes Kind wurden eingeliefert. Anscheinend gehörten sie aber nicht zusammen, denn das kleine Mädchen rief jammernd nach der Mami, und die beiden Schwerverletzten waren Männer. Dr. Jenny Behnisch kümmerte sich um das Kind, und sie erfuhr wenigstens den Vornamen, bevor die Beruhigungsinjektion wirkte. Jill! Acht bis zehn Jahre mochte sie sein, ein schlankes, aber kräftiges Kind, gepflegt und sehr gut gekleidet. Über den Unfallvorgang wurden sie durch das Radio informiert. Ein Tankwagen hatte eine Ölspur hinterlassen, ein Kleintransporter war ins Schleudern gekommen, als er noch bremsen wollte, und vier Personenwagen waren aufgefahren. Als erster, der von der Choreographin Denise Dernell, die noch an der Unfallstelle ihren schweren Verletzungen erlegen war. Gleich darauf erfuhr man in der Behnisch-Klinik, daß es sich bei Jill um die zehnjährige Tochter von Denise handelte. Sie war jetzt Waise geworden. Von der Ehe ihrer schönen Mutter erfuhr man aber erst aus den Zeitungen, denn Denise Dernell war eine bekannte Frau gewesen, und ihre Lebensgeschichte war schon einer großaufgemachten Reportage wert. Sie selbst hatte über ihre Vergangenheit nie geredet, aber findige Reporter brachten schnell allerhand heraus, und solche Geschichten las man ja gar zu gern in den Boulevardblättern und Illustrierten. Wie man alles ausschmückte und was noch dazugedichtet wurde, hätte die temperamentvolle Denise zu Wutausbrüchen veranlaßt, aber sie konnte sich nicht mehr wehren, und der kleinen Jill wurden die Zeitungen vorenthalten. Jedenfalls mutete Denise Dernells Leben wie ein Roman an. Vor fünfunddreißig Jahren kam sie als Tochter des Uhrenfabrikanten Simon Gregorius zur Welt, der die Existenz der Tochter angeblich ignorierte, als zwei Jahre später sein Sohn und Erbe Philipp geboren wurde. Dennoch wuchs Denise im Wohlstand auf und bekam jeden Wunsch von ihrer Mutter erfüllt, die selbst sehr vermögend war. Sie durfte auch Ballettunterricht nehmen, weil das ihr sehnlichster Wunsch war. Aber als sie dann erklärte, Tänzerin werden zu wollen, wurde sie von ihrem Vater vor die Alternative gestellt, entweder darauf zu verzichten, oder auf ihr Erbe.
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Es hatte wieder einmal gehörig gekracht auf der Autobahn, und in mehreren naheliegenden Kliniken war man in Alarmbereitschaft versetzt worden. Auch die Behnisch-Klinik bekam zu tun, zwei Schwerverletzte und ein leichter verletztes Kind wurden eingeliefert. Anscheinend gehörten sie aber nicht zusammen, denn das kleine Mädchen rief jammernd nach der Mami, und die beiden Schwerverletzten waren Männer.
Dr. Jenny Behnisch kümmerte sich um das Kind, und sie erfuhr wenigstens den Vornamen, bevor die Beruhigungsinjektion wirkte. Jill! Acht bis zehn Jahre mochte sie sein, ein schlankes, aber kräftiges Kind, gepflegt und sehr gut gekleidet.
Über den Unfallvorgang wurden sie durch das Radio informiert. Ein Tankwagen hatte eine Ölspur hinterlassen, ein Kleintransporter war ins Schleudern gekommen, als er noch bremsen wollte, und vier Personenwagen waren aufgefahren. Als erster, der von der Choreographin Denise Dernell, die noch an der Unfallstelle ihren schweren Verletzungen erlegen war.
Gleich darauf erfuhr man in der Behnisch-Klinik, daß es sich bei Jill um die zehnjährige Tochter von Denise handelte. Sie war jetzt Waise geworden.
Von der Ehe ihrer schönen Mutter erfuhr man aber erst aus den Zeitungen, denn Denise Dernell war eine bekannte Frau gewesen, und ihre Lebensgeschichte war schon einer großaufgemachten Reportage wert. Sie selbst hatte über ihre Vergangenheit nie geredet, aber findige Reporter brachten schnell allerhand heraus, und solche Geschichten las man ja gar zu gern in den Boulevardblättern und Illustrierten.
Wie man alles ausschmückte und was noch dazugedichtet wurde, hätte die temperamentvolle Denise zu Wutausbrüchen veranlaßt, aber sie konnte sich nicht mehr wehren, und der kleinen Jill wurden die Zeitungen vorenthalten.
Jedenfalls mutete Denise Dernells Leben wie ein Roman an. Vor fünfunddreißig Jahren kam sie als Tochter des Uhrenfabrikanten Simon Gregorius zur Welt, der die Existenz der Tochter angeblich ignorierte, als zwei Jahre später sein Sohn und Erbe Philipp geboren wurde.
Dennoch wuchs Denise im Wohlstand auf und bekam jeden Wunsch von ihrer Mutter erfüllt, die selbst sehr vermögend war. Sie durfte auch Ballettunterricht nehmen, weil das ihr sehnlichster Wunsch war. Aber als sie dann erklärte, Tänzerin werden zu wollen, wurde sie von ihrem Vater vor die Alternative gestellt, entweder darauf zu verzichten, oder auf ihr Erbe. Sie könne dann ihrer Wege gehen, aber er würde nicht dulden, daß sein guter Name beim Tingeltangel durch den Schmutz gezogen wurde.
Die Mutter kränkelte zu dieser Zeit schon, und Denise blieb, aber als die Mutter bald darauf starb, zog Denise die Konsequenzen und verließ ihr Elternhaus, als es nochmals zu einer schweren Auseinandersetzung mit ihrem Vater gekommen war.
Sie wurde Tänzerin, und was für eine! Sie filmte in Amerika und lernte den Millionär Gary Dernell kennen. Es war eine stürmische Liebe zwischen zwei eigenwilligen Menschen, aber während Denise ernsthaft an ihrer Karriere arbeitete mit dem Ziel, als Choreographin tätig sein zu können, wenn sie für die Bühne zu alt geworden sei, verfiel Gary in ein haltloses Leben, wohl schon manchmal von Schmerz- und Angstzuständen geplagt, hinter denen er selbst noch keine schwere Krankheit vermutete, aber er tyrannisierte Denise und zeigte sich oft so brutal in maßloser und dazu unbegründeter Eifersucht, daß sie kurzerhand die Scheidung einreichte. Sie stellte keine Ansprüche, sie vermied alles, damit keine schmutzige Wäsche gewaschen wurde, und Garys Familie, die Denise nie gemocht hatte, war zufrieden. Jill war zwei Jahre alt, als die Scheidung vollzogen war, Denise verzichtete auch für sie auf Unterhalt, und niemand legte Wert darauf, das Kind zu behalten, auch Gary selbst nicht, der dann zusehends verfiel und bald darauf an Leberkrebs starb.
Denise erfuhr es erst Wochen später durch Bekannte, die aus Amerika kamen. Sie hatte schon ein Engagement in Paris und konnte sich für Jill ein Kindermädchen leisten.
Auf ihrem Weg nach oben ließ sie sich nicht beirren, und mit dreißig Jahren hatte sie es geschafft, eine der bekanntesten Choreographinnen in Europa zu sein. In Amerika hätte sie auch große Chancen gehabt, aber sie wollte nicht mehr dorthin, um ja nicht wieder mit Garys Familie in Berührung zu kommen, denn mittlerweile hatte sie erfahren, daß Gary mehr Schulden als Geld hinterlassen hatte und die Familie das Gerücht verbreitete, Denise hätte ihn ruiniert.
Große Sprünge konnte sie jetzt noch nicht machen, aber eines Tages nahm ihr Bruder Philipp Verbindung zu ihr auf.
Er hatte schon mehrmals versucht, einen ständigen Kontakt herzustellen, aber Denise hatte nicht gewollt, daß er dadurch mit seinem Vater über Kreuz kommen würde.
Philipp besuchte sie in Paris, und die kleine Jill wurde rasch mit ihm vertraut. Denise erfuhr, daß ihre Mutter ihr zwei Drittel ihres persönlichen Vermögens hinterlassen hatte, das ihr am dreißigsten Geburtstag ausgezahlt werden sollte, und nun konnte sie ihren Anspruch darauf geltend machen.
Denise sagte, daß sie davon keine Ahnung hätte, und Philipp meinte, daß der Vater dies, kraft seiner Beziehungen, wohl verhindert hätte.
Denise dachte jetzt auch an ihr Kind, und sie dachte auch daran, daß ihr ja auch mal etwas passieren könnte, und sie machte ihren Anspruch geltend. Es war das letzte Mal, daß sie ihren Vater sah, einen engstirnigen überheblichen Mann, der seiner Enkelin keinen Blick schenkte, so daß Jill danach fragte, wer der böse Mann denn gewesen sei. Es war hart für Denise, aber es machte sie noch härter den Männern gegenüber, die um sie warben. Affären konnte man ihr wahrlich nicht nachsagen, die wurden ihr schäbigerweise nach ihrem schrecklichen Tod noch angedichtet, weil solche Frau eben doch Beziehungen zu Männern haben müsse, oder gar zu Frauen?
Ihr Anwalt, der auch ihr Vermögen verwaltete, verklagte ein paar Reporter, die es besonders toll getrieben hatten, und erreichte dann, daß tatsächlich wieder eisiges Schweigen herrschte, wenigstens über Denise, die ihr Grab nun schon auf dem Waldfriedhof gefunden hatte. Aber dann war ja da auch noch Jill, die Waise, die jetzt nicht nur das Vermögen ihrer Großmutter und Mutter erben sollte, sondern auch noch eine Lebensversicherung, die Denise für sie abgeschlossen hatte, über eine Million, bei Unfall das Doppelte.
Aber wer sollte nun die Vormundschaft für Jill übernehmen? Es waren ja Verwandte väterlicherseits und mütterlicherseits vorhanden, und für das Gericht spielte es da keine Rolle, daß Denise all die Jahre allein für ihr Kind gesorgt hatte. Wie es um Jills kindliche Seele stand, das interessierte die Gesetzgeber auch nicht. Das wußten nur die Ärzte, die Jill immer noch betreuten, und dazu gehörte nun auch Dr. Daniel Norden.
Jill glaubte es noch immer nicht, daß ihre Mami nicht wiederkommen würde. Sie war sogar in der Lage, die Schrecksekunden zu schildern, auch die ganze Fahrt, die sie mit Denise von Düsseldorf bis zu dem Unfall zürückgelegt hatte.
Sie wußte genau, wo sie Pausen gemacht, was sie unterwegs gegessen hatten.
»Und dann sind wir plötzlich gerutscht, und Mami hat gesagt, ich soll mich zusammenkauern wie im Flugzeug, aber da hat es schon gekracht. Ich glaube nicht, daß sie tot ist, sie war doch noch so lustig.«
Und wie sollte man dieses Kind trösten, ein Kind, das mit der Mutter, obgleich sie so im Beruf angespannt war, doch so verbunden war?
Die Norden-Kinder sollten mithelfen. Aber es dauerte geraume Zeit, bis Jill bereit war, mit ihnen zu spielen, bis sich dieser Krampf löste, der ihr Kinderherz zusammenpreßte. Dr. Norden und seine Frau Fee wußten bereits, daß nun der Kampf um die reiche kleine Erbin beginnen würde, denn da waren sich auch die amerikanischen Verwandten nicht zu fein, die sich bisher nie um Gary Dernells Tochter gekümmert hatten. Als sie erfuhren, daß Denise tödlich verunglückt war, und das erfuhren sie durch ein amtliches Schreiben, hatten sie sich erst abwartend verhalten. Erst als Garys Kusine Ethel, die Beziehungen nach München hatte und auch immer mal mit Informationen über Denise gespeist worden war, erfuhr, daß die kleine Jill eine reiche Erbin war, da schmiedete man bereits Pläne, wie man die Vormundschaft bekommen könnte.
Das war die Vorgeschichte mit Wahrheitsgehalt, während sonst wieder die wildesten Märchen produziert wurden, die auch Simon Gregorius nicht vorenthalten wurden. Aber er lernte seinen Sohn Philipp nun von einer Seite kennen, die ihm doch den Wind aus den Segeln nahm.
»Ich will dir mal etwas klipp und klar sagen, Vater«, erklärte Philipp, »Jill ist Denises Kind, und sie hat es allein aufgezogen. Sie hat dich nie um eine Hilfe gebeten, und sie hat bewiesen, daß sie nicht auf einen reichen Mann angewiesen ist, wie du damals sagtest, als sie Gary Dernell geheiratet hat. Sie hat Erfolge zu verzeichnen und genug Geld verdient, um mich, deinen Sohn, in den Schatten zu stellen, obgleich du immer tönst, daß ich ja dein Erbe bin. Aber was habe ich davon? Ich muß mehr arbeiten als jeder Angestellte und habe letztlich nicht die Freiheiten wie diese.«
»Sonst noch etwas?« fiel ihm der Senior scharf ins Wort.
»O ja, noch eine ganze Menge! Du kannst nämlich deinen Betrieb allein führen, ich werde mich bemühen, die Vormundschaft für meine Nichte zu bekommen. Ich werde nicht zulassen, daß dieses habgierige Pack, das doch nur scharf auf ihr Erbe ist, sie zugesprochen bekommt.«
»Jedenfalls war deine Schwester mit einem Dernell verheiratet, der zu diesem habgierigen Pack gehörte.«
»Sie hat nach der Scheidung nichts von ihm genommen.«
»Heirat, Scheidung, so was gibt es in unserer Familie nicht, und dann so ein Beruf…«
»Hör damit endlich auf, Vater. Denise war eine erfolgreiche Künstlerin, aber für dich gibt es ja nur Uhren und immer wieder Uhren.«
»Die zu den schönsten und teuersten der Welt gehören«, sagte Simon Gregorius herrisch. »Aber wieso ist dieses Kind eine reiche Erbin, was kann sie denn schon erben, ihr Vater hat ihr doch nichts hinterlassen?«
»Aber ihre Mutter hinterläßt ihr drei Millionen.«
»Übertreib nicht so schamlos.«
»Du kannst es ja einsehen. Ja, jetzt werden deine Augen auch schon wieder gierig, aber ich werde dieses Kind vor Aasgeiern bewahren.«
»Wie redest du überhaupt mit mir?« fauchte der Ältere.
Philipp sah seinen Vater verächtlich an. »Du hast dich auf ein Podest gestellt, du bist der Größte, der Edelste, ich höre es ja dauernd, was du geleistet hast und wovon ich profitiere, aber ich habe es satt, das noch länger zu hören. Mir tut es weh, daß Denise so sterben mußte, daß das Kind eine Waise ist, dessen Großvater nicht mal den Anstand besaß, wenigstens am Grab seiner Tochter um Vergebung dafür zu bitten, was er ihr in seiner Hartherzigkeit angetan hat. Ich hatte eine großartige Schwester, die ich leider nur aus der Ferne bewundern durfte, weil sie es so wollte, damit der Vater seinen Sohn und Erben nicht auch noch verstößt.«
»Das hatte ich nie im Sinn«, stieß Simon Gregorius hervor.
»Nicht etwa, wenn ich mich zu Denise bekannt hätte? Jetzt ist sie ja tot, jetzt könntest du auch den Großzügigen spielen, aber ich würde es dir trotzdem nicht abnehmen, weil du nicht einmal eine Blume für die tote Tochter hattest, weil du nicht ein einziges Mal nach ihrem Kind fragtest, das erst jetzt für dich interessant ist, weil drei Millionen hinter ihm stehen, die sich im Laufe der nächsten acht Jahre noch deutlich vermehren werden, bis Jill mal selber darüber verfügen könnte, aber es gibt einige Aasgeier, die schon auf der Lauer liegen, sich selbst zu bereichern.«
»Habe ich das etwa nötig?« fragte Simon erregt.
»Hattest du es etwa nötig, es so lange wie nur möglich hinauszuschieben, damit Denise das Erbe ihrer Mutter bekommt?«
»Ich fand es ungerecht, daß sie mehr bekommen sollte als du, das war der Grund. Ich wollte eine gerichtliche Klärung.«
»Mein Gott, bist du schäbig! Denise ist um so vieles betrogen worden, aber ich denke, daß ich genug gesagt habe. Ich werde dieses Haus verlassen und darum kämpfen, daß meine Nichte zu mir kommt.«
Simon schnappte nach Luft. »Da wirst du dich aber hart tun. Du bist nicht verheiratet, du hast nicht mal eine Wohnung, und von mir bekommst du keine Mark.«
»Das habe ich auch nicht erwartet. Aber ich habe ja auch etwas von Mutter geerbt und es gut angelegt. Ich habe ein hübsches Häuschen – ja, da staunst du, und eine Frau finde ich schneller, als du meinst, dazu brauche ich deine Vermittlung nicht.«
Er hatte sich in Zorn geredet. Er bewies, daß er im Temperament Denise noch ähnlicher war, als man annehmen konnte: Er war kein Streithans. Er wollte sich immer gütlich mit den Mitmenschen auseinandersetzen, aber jetzt war ihm die Galle übergelaufen. Und Simon Gregorius erlebte es zum erstenmal, daß sein Sohn die Tür zuknallte und dann das Haus verließ.
»Und jetzt wird der Alte seine Wut an uns auslassen«, sagte Anni, das Hausmädchen.
»Dann gehen wir auch«, erklärte Marie, die Haushälterin. »Und ich wüßte auch schon, wohin. Was meinst du, was der für einen Schock kriegt, wenn wir das wahrmachen.«
Aber aus dem Arbeitszimmer des »alten« Gregorius kam kein Laut. Es herrschte eine nahezu unheimliche Stille im Haus.
Zwei Stunden später ging Simon, ohne ein Wort mit Marie und Anni gewechselt zu haben.
*
Dr. Behnisch und seine Frau Jenny hatten es mit Unterstützung von Daniel und Fee Norden fertiggebracht, daß Jill, obgleich genesen, noch in der Obhut der Behnisch-Klinik bleiben durfte, wenn sie auch die meiste Zeit jetzt schon bei den Nordens war. Sie war ein intelligentes Kind, und Fee Norden hatte es mit ihrem großen Einfühlungsvermögen fertiggebracht, Jill zu erklären, daß jetzt ein Verfahren im Gange war, bei wem sie künftig leben sollte.
»Wieso?« fragte Jill. »Ich habe doch niemanden mehr, ich kenne nur Phil, das ist Mamis Bruder. Er hat uns ein paarmal besucht. Aber Mami hat gesagt, daß mein Großvater ein sehr strenger Mann ist, der es ihr nicht verziehen hat, daß sie Tänzerin wurde. So wird er mich doch auch nicht mögen. Ich habe ihn ja nie gesehen.«
Fee Norden wußte ja nun schon einiges, und sie war auch überzeugt, daß Jill von ihrem Großvater nichts zu erwarten hatte.
»Es wäre doch vielleicht möglich, daß das Vormundschaftsgericht bestimmt, daß du in ein Internat kommst, bis du selbst über dein Leben entscheiden kannst, und ich denke, daß dies das Beste wäre in Anbetracht der Umstände.«
Jill sah sie mit traurigen Augen an. »Wenn Sie das meinen, ist es sicher richtig«, sagte sie, »aber es wird alles so schrecklich fremd sein, und Mami fehlt mir so sehr.«
»Aber würdest du denn gern nach Amerika gehen?« fragte Fee.
»Nein, sicher nicht. Mami wollte auch nie mehr hin, und mein Vater ist ja tot. Ich war eine Baby, als er starb, und ich habe an ihn keine Erinnerung, an niemanden.«
»Wir wollen das Beste für dich, Jill, wir wollen dir helfen«, sagte Fee.
»Aber wie denn?« schluchzte das Kind auf. »Warum konnte ich denn nicht auch sterben, mit Mami zusammen?«
Fee war erschüttert, aber insgeheim hatte sie ja gefürchtet, daß es mal zu einem solchen Ausbruch kommen würde.
Sie nahm Jill in die Arme. »Wenn du älter wirst, wirst du dich freuen, daß du leben darfst«, sagte sie weich. »Es ist jetzt eine schlimme Zeit, ich weiß das.«
»Aber was wird denn mit unserer schönen Wohnung, mit allen meinen Sachen?« fragte Jill. »Sie können es mir doch nicht wegnehmen.«
»Nein, es gehört alles dir, Jill«
»Aber dann kann ich doch auch bestimmen, wo ich wohnen will.«
»Das ist eben nicht möglich, weil du noch ein Kind bist, Jill. Du brauchst einen Vormund, bis du mündig bist.«
»Und wann bin ich das?«
»Wenn du achtzehn Jahre alt bist, also volljährig.«
»Das dauert aber noch lange«, seufzte Jill. »Aber ich werde doch sagen dürfen, bei wem ich wohnen will.«
»Und bei wem würdest du am liebsten wohnen?«
Jill senkte den Kopf. »Am liebsten bei euch«, sagte sie, »aber ich weiß ja, daß das nicht geht. Und ich weiß auch nicht, ob Phil mich überhaupt nehmen würde. Er hat mich zweimal in der Klinik besucht und auch mit Dr. Behnisch hat er gesprochen. Er war sehr lieb zu mir, aber auch traurig, weil Mami tot ist.«
Fee war in die Probleme eingeweiht. Sie wußte, wie unversöhnlich Simon Gregorius gewesen war, sie wußte auch, daß Philipp Junggeselle war. Und letztlich ging es auch mit darum, daß Jill in Amerika geboren war und die amerikanische Staatsbürgerschaft neben der deutschen besaß. Es war alles kompliziert in ihrem Fall, aber Fee wußte auch, daß sich wohl niemand um das Kind reißen würde, wenn es arm wäre, ausgenommen vielleicht Philipp Gregorius. Aber ihn kannte sie nicht persönlich, und so war sie vorsichtig mit ihren Prognosen.
Fee hätte sich leichter getan, wenn sie Denise Dernell vorher gekannt hätte und ein paar Leute aus ihrem Bekanntenkreis, aber es war gar nicht publik gemacht worden, daß Jill in der Behnisch-Klinik lag, weil man ihr ersparen wollte, von allzu vielen Fragen belästigt zu werden, denn die Reporter hätten ja auch davor nicht halt gemacht und sich womöglich als Freunde eingeschlichen. Und Jill hatte auch nach niemandem gefragt.
Jetzt aber fragte Fee ganz vorsichtig, ob Denise denn keine Freundin gehabt hätte.
»Was für eine Freundin?« fragte das Kind. »Mami hatte ja nie viel Zeit. Sie ist auch mit niemand ausgegangen, auch mit keinem Mann, wenn du das meinst. Sie hat sich sehr gut mit Lisanne verstanden, aber die ist ja noch mit auf Tournee in Japan und so.«
»Sie ist Tänzerin?« fragte Fee.