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Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Als Nanette Bürck die Praxis von Dr. Norden betrat, wäre sie am liebsten sofort wieder umgekehrt. Aber da waren diese Schmerzen, ihr ganzes Gesicht war geschwollen und die Augen schon ganz schmal. Sie wusste nicht, wie es geschehen war. Im Morgengrauen war sie aus dem Schlaf emporgeschreckt, weil plötzlich etwas auf ihrem Gesicht war, und sie hatte wohl instinktiv danach geschlagen. Sie hatte, wie immer, bei offenem Fenster geschlafen und einen tiefen gesunden Schlaf. Die Schwellung war auch langsam gekommen. Sie hatte ihren drei Kindern noch, es waren bereits erwachsene Kinder, wie jeden Morgen das Frühstück zubereitet. Die schienen nichts bemerkt zu haben, nur Sandra hatte gefragt, ob sie Zahnschmerzen hätte. Sie hatte abgewinkt und auch nicht gedacht, dass es so schlimm werden würde. Aber nun sah sie das Mädchen vor Lonis Schreibtisch stehen. Es war Isabella Gramann, mit der Christoph, Nanettes ältester Sohn, seit ein paar Monaten befreundet war. Bella wurde sie genannt, und sie bildete sich viel auf ihr hübsches Gesicht ein. Jetzt lachte sie schallend auf. Es gellte in Nanettes Ohren, denn es war ein höhnisches Lachen. »Zum Lachen ist das wirklich nicht, Fräulein Gramann«, sagte Loni empört und sah das Mädchen missbilligend an. »Sie werden jetzt warten müssen, das ist ein Notfall. Bitte, kommen Sie, Frau Bürck.« Isabella zog einen Schmollmund. »Was haben Sie denn eigentlich gemacht?«, fragte sie mit ihrer hellen Stimme, die immer einen Kickser hatte, der Nanettes Ohren weh tat, aber Nanette war gar nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Sie griff sich an die Kehle, und für Loni
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Seitenzahl: 134
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Als Nanette Bürck die Praxis von Dr. Norden betrat, wäre sie am liebsten sofort wieder umgekehrt. Aber da waren diese Schmerzen, ihr ganzes Gesicht war geschwollen und die Augen schon ganz schmal.
Sie wusste nicht, wie es geschehen war. Im Morgengrauen war sie aus dem Schlaf emporgeschreckt, weil plötzlich etwas auf ihrem Gesicht war, und sie hatte wohl instinktiv danach geschlagen. Sie hatte, wie immer, bei offenem Fenster geschlafen und einen tiefen gesunden Schlaf. Die Schwellung war auch langsam gekommen.
Sie hatte ihren drei Kindern noch, es waren bereits erwachsene Kinder, wie jeden Morgen das Frühstück zubereitet. Die schienen nichts bemerkt zu haben, nur Sandra hatte gefragt, ob sie Zahnschmerzen hätte.
Sie hatte abgewinkt und auch nicht gedacht, dass es so schlimm werden würde.
Aber nun sah sie das Mädchen vor Lonis Schreibtisch stehen. Es war Isabella Gramann, mit der Christoph, Nanettes ältester Sohn, seit ein paar Monaten befreundet war.
Bella wurde sie genannt, und sie bildete sich viel auf ihr hübsches Gesicht ein.
Jetzt lachte sie schallend auf. Es gellte in Nanettes Ohren, denn es war ein höhnisches Lachen.
»Zum Lachen ist das wirklich nicht, Fräulein Gramann«, sagte Loni empört und sah das Mädchen missbilligend an. »Sie werden jetzt warten müssen, das ist ein Notfall. Bitte, kommen Sie, Frau Bürck.«
Isabella zog einen Schmollmund. »Was haben Sie denn eigentlich gemacht?«, fragte sie mit ihrer hellen Stimme, die immer einen Kickser hatte, der Nanettes Ohren weh tat, aber Nanette war gar nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Sie griff sich an die Kehle, und für Loni war das ein Zeichen, sie sofort ins Behandlungszimmer zu führen.
Dr. Daniel Norden war sehr erschrocken. »Warum haben Sie nicht sofort angerufen, Frau Bürck?«, fragte er, während er bemüht war, ihr zu helfen.
Sie deutete auf ihre Lippen. Sie brachte nur ein leises Stöhnen hervor. Dr. Norden zögerte nicht mehr.
»Rufen Sie einen Rettungswagen, Loni. Sofort zur Behnisch-Klinik.«
Loni tat es, und dann warf sie Bella wieder einen missbilligenden Blick zu. »Und Sie können lachen«, sagte sie gereizt.
»Liebe Güte, das konnte ich ja wirklich nicht ahnen«, sagte Bella herablassend. Mit diesem Ton hatte sie Loni schon manchmal auf die Palme gebracht. »Sie sieht doch wahrlich zum Kichern aus, wo sie sich doch sonst so viel auf ihr jugendliches Aussehen einbildet.«
»Frau Bürck bildet sich gar nichts ein«, sagte Loni barsch. »Sie ist eine tüchtige, bewundernswerte Frau, und jetzt habe ich etwas anderes zu tun.«
»Vergessen Sie nicht, dass wir gut zahlende Privatpatienten sind«, sagte Bella anzüglich.
Gut zahlende, dachte Loni später, jetzt mit ausgeprägtem Widerwillen. Nach dreimaligen Mahnungen wurde da gezahlt und immer nur das, was die Krankenkasse ersetzte, aber Dr. Norden nahm das gelassen mit den Worten hin: »Das gehört eben bei manchen zum guten Ton, Loni. Ich kann es verkraften.«
Aber diese Isabella Gramann, obgleich erst neunzehn Jahre alt, hatte eine derart überhebliche Art, dass er an diesem Morgen fast grob geworden wäre.
Sie kam wieder mal, um sich die Antibabypille verschreiben zu lassen, und sie zeigte dabei auch keine Spur von Schüchternheit.
Er betrachtete sie kritisch. »Aber machen Sie mich bitte nicht dafür verantwortlich, wenn Sie noch mehr zunehmen«, sagte er.
Ihre Augen begannen zu funkeln. Ihre Stimme klang schrill und überschlug sich fast, als sie sagte: »Ich habe doch eine tolle Figur, das sagt jeder.«
Die Figur war nicht übel, aber zu üppig für ein so junges Mädchen, das hatte Dr. Norden schon mehrmals festgestellt. Aber Isabellas Mutter, noch einige Jahre jünger als Nanette Bürck, platzte bereits aus allen Nähten, und da mochte es wohl doch einige Komplexe geben und auch gekränkte Eitelkeiten.
Isabella litt jedenfalls nicht an Komplexen, ganz im Gegenteil. Sie schätzte sich hoch ein, und man musste es ihr lassen, dass sie ein gewisses Etwas hatte, das verführerisch wirkte.
Dr. Norden hatte Isabellas Überheblichkeit immer sehr nachsichtig belächelt, doch an diesem Tag konnte er nur sehr schwer seine Zunge im Zaum halten.
Sie versuchte an diesem Tag auch gar nicht, ihn mit einem verführerischen Lächeln und lockenden Blicken zu betören, was sonst auch zu ihrem Repertoire gehörte. Sie zog beleidigt von dannen, als Dr. Norden sagte, dass es wohl besser wäre, sie würde einen Gynäkologen konsultieren, der ihr möglicherweise andere Pillen verordnen könnte.
»Hoffentlich werden Sie die endlich los, Chef«, sagte Loni seufzend. »Heute war sie besonders unverschämt. Sie hat richtig schadenfroh gelacht, als Frau Bürck mit dem geschwollenen Gesicht kam.«
»Hoffentlich merkt Christoph es bald, was er da für eine Biene am Hals hat«, sagte Dr. Norden trocken. »Er scheint Tomaten auf den Augen zu haben.«
Aber er hatte jetzt keine Zeit mehr, noch darüber zu diskutieren, er wollte seinen Freund und Kollegen Dr. Behnisch anrufen, um zu fragen, was sich bei Frau Bürck herausgestellt hatte.
Dieter Behnisch hatte da allerdings auch rätseln müssen, aber seine Frau Jenny hatte wieder mal die richtige Eingebung gehabt.
»Das muss eine Spinne oder eine Bremse gewesen sein«, erklärte sie. »Und dieses Biest hat vorher noch ein Pflanzengift oder so was getankt. Jetzt wollen wir nur froh sein, dass der Kreislaufkollaps nicht früher eintrat. Sie ist zum Glück ja organisch völlig gesund.«
Und nun schlief Nanette Bürck und hatte keine Schmerzen mehr. Die Schwellung war behandelt worden. Jenny Behnisch hatte sich im Toxikologischen Institut gleich erkundigt, welches Mittel in solchen Fällen am schnellsten Hilfe bringen könnte. Sie waren schließlich Chirurgen und konnten nicht alles wissen, obgleich sie sich bemühten, immer auf dem laufenden zu bleiben.
*
Im Hause Bürck ging es am Mittag hektisch zu. Zuerst war Fabian von der Uni gekommen, und er rief nach seiner Mutter.
Es kam keine Antwort.
»Mami, wo steckst du?«, rief er schallend und lief durch das ganze Haus. Keine Mami war da, wie er es gewohnt war, kein Essen war vorbereitet. Aber der Wagen seiner Mutter hatte vor der Garage gestanden.
Nanette war allerdings mit einem Taxi gefahren. Selbst zu fahren hatte sie sich nicht getraut. Das aber wusste Fabian nicht. Aber dann kam seine Schwester Sandra, die als Volontärin in einem Verlag arbeitete und an diesem Tag ihren freien Nachmittag hatte.
»Mami ist nicht da und auch keine Nachricht«, sagte Fabian besorgt. »Was mag da los sein?«
»Vielleicht ist sie beim Zahnarzt, sie hatte heute Morgen eine geschwollene Wange, als ich ging. Ziemlich geschwollen. Ich rufe mal bei Dr. Reindl an.«
Bei Dr. Reindl meldete sich eine weibliche Stimme. Ob sie den Senior oder den Junior sprechen wollte, wurde Sandra höflich gefragt. Sandra war verdutzt, sie hatte keine Ahnung, dass es auch einen Junior in der Praxis gab.
»Ich wollte eigentlich nur wissen, ob meine Mutter bei Dr. Reindl ist«, sagte sie.
»Nein, heute nicht, aber ich frage noch einmal nach.«
Dann vernahm Sandra eine dunkle Männerstimme. »Hallo, Sandra, kennst du mich nicht mehr? Marc Reindl spricht.«
»Marc?«, fragte sie stockend. »Bist du etwa schon fertig?«
»Den Doktor habe ich noch nicht, aber wenn du Zahnschmerzen hast, könnte ich dir schon helfen.«
Im Augenblick fehlten ihr die Worte, und ihre Gedanken überstürzten sich.
»Es geht um Mami«, sagte sie. »Sie hatte heute Morgen eine geschwollene Wange, und jetzt ist sie immer noch nicht im Hause. Wir machen uns Sorgen.«
»Vielleicht war es kein Zahn. Ruf doch mal Dr. Norden an, das ist doch euer Hausarzt.«
»Danke für den Hinweis, Marc. Zahnschmerzen habe ich nicht, aber ich wünsche dir einen guten Start!«
»Ganz verbindlichen Dank! Vielleicht treffen wir uns mal im Club«, erwiderte er.
Marc Reindl, ging es ihr durch den Sinn, er war viel mit Christoph zusammen gewesen, und nun war er schon mit dem Studium fertig. Aber länger konnte sie darüber nicht nachdenken. Sie wollte wissen, was mit ihrer Mami war.
Sie rief Dr. Norden an. Er war nicht mehr in der Praxis, aber Loni sagte ihr, was passiert war, und nun begann Sandra zu flattern. »Mami ist in der Behnisch-Klinik, Fabian!«, rief sie ihrem Bruder zu. »Mach den Wagen flott, ich packe nur schnell noch ein paar Sachen für Mami ein.«
»Was ist denn los?«, fragte Fabian erschrocken.
»Erzähle ich dir später. Hopp-hopp.«
Sie war fix, aber Fabian zögerte auch nicht mehr. Der Motor lief, als Sandra mit einem kleinen Koffer aus dem Haus kam.
»Ich habe schnell noch einen Zettel für Chris geschrieben«, erklärte sie.
»Der kommt heute bestimmt nicht nach Hause. Die schöne Bella hat doch Geburtstag und macht eine Riesenfete. Hat sie dich nicht eingeladen?«
»Keine Ahnung, dass sie Geburtstag hat, und Chris hat auch nichts gesagt. Komisch. Aber mich kann sie ja sowieso nicht leiden.«
»Mich hat sie wahrscheinlich nicht eingeladen, weil sie Bébé auch nicht leiden kann. Was soll’s, Hauptsache, Chris kommt mit ihr zurecht. Man darf das alles wirklich nicht so eng sehen.«
»Mir sträuben sich schon die Haare, wenn ich ihr Kichern höre«, sagte Sandra. »Aber auf zu Mami, alles andere ist unwichtig!«
Sandra hatte den Führerschein zwar auch schon, aber sie traute sich nicht, mit dem Wagen ihrer Mutter zu fahren, und Fabian hatte mit seinem alten Volkswagen gerade Pech gehabt und musste sich ansonsten auch auf die öffentlichen Verkehrsmittel stützen.
Aber nun fuhren sie in Nanettes Wagen zur Klinik, und da kam auch schon Dr. Norden, der wenigstens noch ein schnelles Mittagessen zu Hause einnehmen wollte.
»Es geht schon ein bisschen besser«, sagte er beruhigend, als Sandra ihn ängstlich anschaute. »Aber ein paar Tage muss eure Mutter liegen.
Mit einem solchen Stich ist nicht zu spaßen, daran ist schon manch einer gestorben.«
Er hatte es mit ernstem Nachdruck gesagt, denn der schien ihm angebracht, weil er nicht wusste, wie Fabian und Sandra zu Isabella standen. Und sie wurden blass.
»Aber Mami wird doch wieder gesund«, stammelte Sandra.
»Ja, sie wird gesund. Aber zum Lachen ist so etwas wirklich nicht, das können Sie Frau Gramann bei Gelegenheit mal unter die Nase reiben.«
»Was soll das bedeuten?«, fragte Fabian.
»Lassen Sie es sich von Loni erklären. Es fällt nicht unter die Schweigepflicht. Wir sind erbost.«
Und dann eilte er nach einem kurzen freundlichen Gruß zu seinem Wagen.
»Da stimmt was nicht«, sagte Fabian. »Wenn Dr. Norden erbost ist, steckt was Ernstes dahinter.«
»Was hinter Bella steckt, möchte ich lieber nicht bis ins Detail ergründen«, sagte Sandra. »Aber ich durfte meine Meinung ja nie laut sagen. Chris ist von dieser Sexbiene ja völlig chloroformiert. Er durchschaut diese falsche Schlange nicht.«
»Du kannst sie nicht leiden, okay. Aber für Chris ist sie eben was Besonderes. Jeder hat halt seinen Geschmack. Bébé ist zu mager, zu blass und zu kontaktarm.«
»So sehe ich sie nicht, Fabian, aber ich will darüber jetzt nicht mit dir diskutieren. Ich sage jetzt nur, dass Bellas Sprüche über andere Mädchen kein Gehör bei dir finden sollten. Bébé ist zehnmal so viel wert wie Bella. Und nun Schluss damit, wir können zu anderer Zeit diskutieren und auch streiten.«
*
Währenddessen war Christoph Bürck im Hause Gramann erschienen, mit einem großen Rosenstrauß und einer ganzen Anzahl Päckchen. Die Tochter des Hauses, Isabella, feierte ihren zwanzigsten Geburtstag, und man erwartete enge Freunde zum Sektfrühstück.
Christoph war ein sehr gut aussehender junger Mann. Er war zwar nicht geneigt, an einem so warmen Sommertag im dunklen Anzug mit Krawatte zu erscheinen. Aber immerhin hatte er keine Jeans und kein T-Shirt gewählt.
Vera Gramann tänzelte mit wackelnden Hüften in einem bunten Gewand, das zu viel von ihrem Busen preisgab, mit dem Gekicher umher, von dem sie glaubte, dass es Charme sei. Sie gefiel sich darin, immer wieder, wenn Bella ein Geschenk auspackte, in Entzückensrufe auszubrechen.
Fred Gramann schaute dem Treiben aus engen Augen zu. Sein Gesicht war grau und müde. Er trank ein Glas Sekt nach dem anderen.
»Du bist süß, du bist wirklich süß!«, rief Bella aus und fiel Christoph immer wieder um den Hals, wenn sie ein Päckchen nach dem anderen auspackte. Aber so ganz zufrieden schien sie doch nicht zu sein. Sie fiel auch anderen Gästen um den Hals, und die bildeten ein buntes Gemisch.
Bella trank auch ein Glas Sekt nach dem anderen wie ihr Vater, stieß mit ihm an, mit Chris, mit den anderen, drehte sich im Walzerschritt und fand alles herrlich und wunderbar, und dann sagte sie plötzlich: »Eigentlich wollte ich deine Mama ja auch einladen, Chris, aber sie sah zu komisch aus mit der dicken Backe, wirklich zu komisch«, kicherte sie.
»Wieso, wo hast du sie denn gesehen?«, fragte Christoph.
»Bei Dr. Norden, und der hat auch gleich noch den Rettungswagen holen lassen. Meine Güte, so ein Theater, nur wegen einer dicken Backe!«
Christoph drehte sich um. »Ich muss mich erkundigen«, sagte er dann heiser.
»Mein Gott, stell dich doch nicht so an, was kann das schon sein«, sagte Isabella. »Ich habe Geburtstag. Wer ist dir wichtiger, ich oder deine Mutter?«
»Im Augenblick ganz bestimmt meine Mutter«, erwiderte er. »Darf ich bitte telefonieren, Herr Gramann?«
»Nur zu, nur zu, darauf kommt es auch nicht mehr an«, murmelte Fred Gramann sektselig, oder war es etwas anderes, was ihn apathisch machte?
Christoph hatte schon manches Mal ein seltsames Gefühl, wenn er mit Isabellas Vater sprach, aber jetzt dachte auch er nur an seine Mutter.
Er rief zu Hause an, doch da meldete sich niemand. Dann rief er Dr. Norden an, da war wieder Loni am Telefon. Und von ihr erfuhr er auch, dass Nanette in der Behnisch-Klinik lag.
»Ich fahre jetzt mal zur Klinik und schaue nach Mama«, sagte er zu Bella.
Sie kniff die Augen zusammen. »Ich habe Geburtstag, verdirb mir den Tag nicht!«, stieß sie hervor.
»Du siehst das falsch, Bella, du musst das doch verstehen. Mama hat sich doch den Tag nicht ausgesucht.«
»Weiß man es, so wie sie gegen mich ist?«
Er starrte sie an. »Das kannst du doch nicht sagen. Sie ist nicht gegen dich, Bella.«
»Darüber können wir ja später mal reden«, sagte sie schnippisch. »Dann feiern wir eben ohne dich.«
»Ich komme wieder«, sagte er. »Versteh mich doch!«
»Komm nicht zu spät, Chris, es könnte zu spät sein, es gibt auch noch andere Männer«, sagte sie.
Er bekam das gar nicht richtig mit, das sollte ihm erst später wieder ins Gedächtnis kommen.
*
Nanette war aufgewacht, als ihre Kinder ihre Hände streichelten, vorerst allerdings nur Sandra und Fabian.
»Mami«, flüsterte Sandra, als Nanette ihre Augen aufschlug.
»Was machst du denn für Sachen?«, sagte Fabian.
»Ich doch nicht. Irgend so ein blödes Biest«, murmelte Nanette. »Aber ihr sagt doch immer, dass jedes Lebewesen seine Bedeutung und seine Berechtigung hat. Aber ich hätte wahrscheinlich gar nicht zuschlagen dürfen, sondern sagen müssen, dass es mich bitte nicht stechen solle.«
»Deinen Humor hast du wenigstens schon wieder«, sagte Sandra zärtlich. »Liebste Mami, es wird ja wieder gut.«
»Aber sicher. Vielleicht hat mir jemand so was an den Hals gewünscht.«
»Das solltest du aber nicht denken, Mami«, sagte Sandra leise.
»Ich werde Chris mal ordentlich Bescheid stoßen«, warf Fabian ein. »Du musst eben eine alberne Göre in ihr sehen, Mama.«
»Ihr wisst es?«, fragte Nanette leise.
»Dr. Norden hat es gesagt. Du hast wohl doch schon lange recht mit deiner Einstellung zu ihr.«
»Ich habe überhaupt keine Einstellung«, meinte Nanette gedankenvoll. »Sie kann machen, was sie will und sein, wie sie will. Ich will nur nicht, dass Chris dabei seelisch vor die Hunde geht.«
»Er kommt nicht von ihr los«, sagte Fabian düster.
»Reg mich jetzt nicht noch zusätzlich auf«, sagte Nanette.
»Wer und was regt dich so auf, Mama?«, tönte Christophs Stimme von der Tür her.
»Deine liebe Freundin Bella hat über Mami gelacht«, sagte Sandra aggressiv.
»Sie hat es bestimmt nicht so gemeint, wie ihr es jetzt auffasst.«
»Sie ist oberflächlich und herzlos. Nimm sie jetzt nicht noch in Schutz«, sagte Sandra zornig.
»Sie wird sich entschuldigen. Es war ein Ausrutscher, das hat sie schon eingesehen.«
»Also, Chris, das kannst du uns wahrhaftig nicht weismachen«, sagte Fabian. »Sie ist weit entfernt, etwas einzusehen. Sie kann austeilen, aber einstecken kann sie nichts.«
»Ihr sollt nicht streiten, ihr wisst, dass ich das nicht mag«, sagte Nanette. »Für mich ist diese Angelegenheit erledigt, ich möchte schlafen.«
Sie hatte die Augen geschlossen, und ihre Kinder gingen leise hinaus.