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Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Gold Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. »Gehen wir am Samstag in den Tierpark, Mami?« fragte Anneka ihre Mutter bittend. »Da sind so süße junge Eisbären, hat Marilli erzählt.« »Am Samstag sind wir bei den Wiesners eingeladen, Anneka«, erwiderte Fee Norden. »Sie weihen ihr neues Haus am Starnberger See ein mit einer Grillparty.« »Ist ja toll«, sagte Felix sofort, denn Essen spielte für ihn bei Einladungen die Hauptrolle. »Sind wenigstens noch andere Kinder da?« fragte Anneka. »Die von den Wiesners sind ja schon groß.« »Sicher sind auch noch andere Kinder da«, erwiderte Fee, »und in den Tierpark gehen wir am Dienstag, da ist nicht gar soviel los.« Es waren noch Ferien, und Fee war darauf bedacht, daß sie in der verbleibenden Zeit den Kindern noch gerecht wurde. Aber sie freute sich auf die Grillparty. Die Wiesners waren ein sehr nettes Ehepaar mit zwei Kindern im Teenageralter. Heidi Wiesner war lange bei Dr. Norden in Behandlung gewesen wegen ihrer Neuralgien, und er hatte mit seiner Behandlung so gute Erfolge erzielt, daß ihm die ganze Familie Wiesner samt Großeltern und Urgroßmutter zutiefst dankbar waren. Heidi Wiesner wurde von allen sehr geliebt, und sie war auch ein so herzenswarmer Mensch, daß man ihr ein schmerzfreies Leben wünschte. Lerne leiden ohne zu klagen, war ihre Devise, als sie zu Dr.
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Seitenzahl: 228
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»Gehen wir am Samstag in den Tierpark, Mami?« fragte Anneka ihre Mutter bittend. »Da sind so süße junge Eisbären, hat Marilli erzählt.«
»Am Samstag sind wir bei den Wiesners eingeladen, Anneka«, erwiderte Fee Norden. »Sie weihen ihr neues Haus am Starnberger See ein mit einer Grillparty.«
»Ist ja toll«, sagte Felix sofort, denn Essen spielte für ihn bei Einladungen die Hauptrolle.
»Sind wenigstens noch andere Kinder da?« fragte Anneka. »Die von den Wiesners sind ja schon groß.«
»Sicher sind auch noch andere Kinder da«, erwiderte Fee, »und in den Tierpark gehen wir am Dienstag, da ist nicht gar soviel los.«
Es waren noch Ferien, und Fee war darauf bedacht, daß sie in der verbleibenden Zeit den Kindern noch gerecht wurde. Aber sie freute sich auf die Grillparty. Die Wiesners waren ein sehr nettes Ehepaar mit zwei Kindern im Teenageralter.
Heidi Wiesner war lange bei Dr. Norden in Behandlung gewesen wegen ihrer Neuralgien, und er hatte mit seiner Behandlung so gute Erfolge erzielt, daß ihm die ganze Familie Wiesner samt Großeltern und Urgroßmutter zutiefst dankbar waren. Heidi Wiesner wurde von allen sehr geliebt, und sie war auch ein so herzenswarmer Mensch, daß man ihr ein schmerzfreies Leben wünschte.
Lerne leiden ohne zu klagen, war ihre Devise, als sie zu Dr. Norden kam, und sie war trotz ihrer Beschwerden immer bereit gewesen, anderen zu helfen. Die Familie brauchte sie, und ihre Tapferkeit war auch Beispiel für die ältere Generation, die auch mit ihren Wehwehchen zu kämpfen hatte.
Sie hatten ein größeres Haus gebraucht, damit alle Platz hatten unter einem Dach, denn die Uri, wie die Ahnin Alisa Wiesner genannt wurde, mußte versorgt werden, und Leni Wiesner, die Schwiegertochter der Uri schaffte es nicht mehr allein.
Sie hatten ein altes Häuschen am Starnberger See besessen, das zwar in einem schönen großen Garten stand, aber doch klein und renovierungsbedürftig war. Da hatten sie beschlossen, ein neues größeres Haus zu bauen, und dafür legten alle zusammen.
Nun waren sie eingezogen, und das sollte gefeiert werden mit guten Freunden, zu denen auch die Nordens gezählt wurden. Auch Daniel Norden hatte nichts gegen diesen Ausflug an den See, und sie hofften nur auf gutes Wetter.
Das ließ sie auch nicht im Stich. Die Zwillinge blieben bei Lenni, sie hatten solchen Betrieb auch gar nicht so gern, und mit Lenni verstanden sie sich prächtig.
Auf die Größeren, Danny, Felix und Anneka, mußte man auch nicht mehr so aufpassen. Sie waren selbständig und wußten auch genau, was besser unterlassen wurde, und so fuhren sie in bester Stimmung zu den Wiesners.
Es war viel Betrieb am See. Die Ausflügler tummelten sich am Strand und im Wasser, froh, der stickigen Stadt entflohen zu sein. Den Kindern, wie auch ihren Eltern, war das zuviel Betrieb.
»Wir brauchen auch nicht fortfahren, weil wir es schön zu Hause und in unserm Garten haben«, sagte Anneka, »aber die armen Leute in ihren Hochhäusern möchten halt auch mal bessere Luft haben.«
Auch am Golfplatz kamen sie vorbei. »Das soll aber teuer sein, wenn man hier Mitglied werden will«, sagte Danny. »Der Lenk-Peter protzt damit, weil sie sich so was leisten können.«
»Soll er doch protzen«, meinte Felix, »dafür ist er doof.«
Zu solchen Bemerkungen äußerten sich Daniel und Fee nur selten, und nur dann, wenn sie wirklich aggressiv waren. Aber die Kinder sollten sich auch ruhig schon eine eigene Meinung bilden und sich Gedanken machen, und daß Peter Lenk in der Intelligenz weit hinter seiner Angeberei her hinkte, wußten sie auch. Aber er konnte ja nichts dafür, da er es von seinen Eltern nicht anders hörte und lernte.
Sie waren bald am Ziel und standen dann vor einem sehr anheimelnd wirkenden Haus im oberbayerischen Stil, mit einem blumengeschmückten Balkon, der über die ganze Hausbreite ging, und drumherum ein Garten, dem man anmerkte, daß er mit Liebe angepflanzt worden war.
Sie wurden von Hans und Heidi Wiesner herzlich begrüßt und mit anderen Gästen bekannt gemacht. Die Wiesner-Kinder Andy und Dorle heizten schon den Grill an.
Die Großeltern Wiesner und die Uri saßen auf der Terrasse und schauten dem fröhlichen Treiben zu, aber als die Nordens zum Grüß Gott sagen kamen, galt ihre ganze Aufmerksamkeit ihnen. Heidis Eltern kamen eine halbe Stunde später aus dem Allgäu und erzählten, daß drei Unfälle auf der Straße gewesen wären. Deshalb waren sie so spät dran. Aber nun waren sie alle zusammen, und launige Ansprachen wurden gehalten, von dem Architekten und von einem Kollegen von Hans Wiesner, die auch zum Freundeskreis gehörten. Insgesamt waren acht Kinder anwesend, und schnell fanden sie sich zu fröhlichen Spielen zusammen. Bei den Erwachsenen ging es auch heiter zu und ganz ungezwungen, so wie Daniel und Fee es auch mochten.
Da verging die Zeit schnell, und zuerst nahmen sie es nur nebenbei zur Kenntnis, daß sich der Himmel verdunkelte. Aber wie so oft an den Seen zog blitzschnell ein Gewitter auf, blitzschnell im wahrsten Sinn des Wortes. Die Sturmwarnung war zwar vorher gekommen, aber das Gewitter doch zu schnell.
Man konnte vom Haus aus auf einen Teil des Sees blicken, und vor allem die Kinder verfolgten gespannt, wie die Boote und die Surfer ans Ufer zurückkehrten.
»Wir sollten lieber heimfahren«, sagte Fee. »Lenni ist mit den Zwillingen allein, und die fürchten sich.«
Auch Wiesners Hund Bazi fürchtete sich. Er jaulte und zitterte und verkroch sich in der äußersten Ecke der geräumigen Diele. Anneka drückte sich enger an ihre Mami.
»Im Auto soll man sicher sein, Mami«, flüsterte sie. »Ich möchte heim zu unseren Kleinen.«
Dafür hatten die Wiesners schon Verständnis, aber sie meinten doch, man solle lieber warten, bis sich das Gewitter verzogen hätte.
»Neulich hat es Stunden gedauert, bis endlich wieder Ruhe einkehrte«, sagte Danny. »Es ist doch auch schon ziemlich spät.«
Eigentlich hatten sie ja höchstens bis neunzehn Uhr bleiben wollen, aber mittlerweile war schon zwanzig Uhr vorbei. Gemütlich war das Wetter jetzt wahrhaftig nicht mehr.
Sie sollten aber doch bald wiederkommen, sagte auch die Uri, und die anderen schlossen sich an. Aber sie wußten auch, daß der vielgefragte Arzt selten Zeit hatte.
*
Der Regen prasselte recht heftig herunter, als sie die Straße am See entlangfuhren, und dann wurden sie auch noch gestoppt.
Ein triefnasser junger Mann war es, und er war sehr aufgeregt.
»Wir haben gerade eine Ohnmächtige gefunden«, stieß er atemlos hervor. »Würden Sie bitte den Notarzt und die Polizei verständigen?«
»Ich bin Arzt, ich kann Erste Hilfe leisten«, sagte Daniel sofort. »Wo ist die Patientin?«
»Ich habe sie mit meinem Freund in mein Boot gelegt, damit sie nicht wieder ins Wasser getrieben wird.«
Daniel folgte ihm, als er zum See eilte. Daß er dabei auch naß wurde, kümmerte ihn nicht. Es galt, einem Menschen zu helfen.
Es war eine sehr schlanke junge Frau, bekleidet mit weißen Bermudas und hellblauem Polohemd. Dr. Norden fühlte den Puls und horchte das Herz ab. Dann tastete er den Kopf ab, der von kurzem dunklem Haar umgeben war. Am Hinterkopf war eine dicke Beule.
»Sie muß sofort in die Klinik«, erklärte er. »Haben Sie eine Decke? Ich nehme sie gleich in meinem Wagen mit. Allerdings wird es da ziemlich eng werden.«
»Wenn Sie meinen, daß wir sie gleich mitnehmen sollen, hole ich meinen Wagen«, erklärte der junge Mann. »Mein Name ist Ebeling.«
»Ich bin Tommy Bloch«, sagte der andere. »Eine mysteriöse Geschichte. Sie kann doch nicht mit den Klamotten gebadet haben.«
Daniel meinte, es sei jetzt keine Zeit zum Reden. Tommy Bloch bot sich an, den Wagen zu holen, während Daniel und Claudius Ebeling die junge Frau in eine Decke hüllten und sie in dieser wie in einer Hängematte zur Straße hinauftrugen.
Fee und die Kinder warteten schon ganz aufgeregt, und Fee hatte schon Unheil geschwant. Aber es war selbstverständlich, daß schleunigst geholfen werden mußte.
Sie setzte sich ans Steuer, als Daniel meinte, es sei wohl besser, wenn er mit Ebeling und der Bewußtlosen fahren würde. Claudius Ebeling war das auch lieber. Tommy Bloch sollte sich um das Boot kümmern, das jetzt nicht zu seinem Liegeplatz gebracht werden konnte.
Während Daniel Norden die junge Frau nicht aus den Augen ließ, erzählte Claudius, daß es ein purer Zufall gewesen sei, daß sie an die Stelle getrieben wurden, wo die Fremde lag. »Wir wollten schnell an Land«, sagte er. »Wir waren ziemlich weit draußen, und wahrscheinlich hätten wir sie gar nicht entdeckt, wenn sie nicht die weiße Hose angehabt hätte. Es war ja alles sonst grau in grau, und es kommen ja immer noch wahre Sturzbäche herunter.«
Sie fuhren Fee nach zur Behnisch-Klinik. Sie kannte den Weg. Aber wo vorhin noch Trubel geherrscht hatte, sahen sie keinen Menschen mehr. Alle waren vor dem Gewitter geflüchtet, nur in Starnberg selbst fuhren ein paar Autos.
Daniel überlegte blitzschnell, ob er es verantworten könnte, die Bewußtlose mitzunehmen, oder ob er sie doch lieber ins Krankenhaus bringen sollte, aber er kannte ja den Betrieb und noch dazu am Samstagabend. Eine Fremde, von der man nichts wußte – man hatte ja schließlich seine Bestimmungen, und Notaufnahmen konnten nur von dem behandelnden Arzt veranlaßt werden. Es ging ja auch ums Bezahlen, denn die Kosten waren hoch.
In der Behnisch-Klinik war das nicht so. Da wurde nicht lange gefragt, wenn Hilfe nottat, ganz gleich, was für ein Tag es war.
Claudius Ebeling kannte sich auch recht gut aus. Er kannte auch die Behnisch-Klinik. Dort wäre sein Vater mal an der Galle operiert worden, erzählte er nichtsahnend, daß dies von großem Vorteil für ihn sein sollte, als das große Rätselraten um die namenlose Fremde begann.
Die Behnisch-Klinik war erreicht. Fee fuhr mit den Kindern heim. Daniel wollte sich noch um seinen Schützling kümmern, und Claudius Ebeling wollte auch bleiben, um zu erfahren, was festgestellt wurde. Sein Freund Tommy würde im Jachtclub schon jemanden finden, der ihn mit nach München nehmen würde, meinte er.
Er war ein sehr sympathischer und gebildeter junger Mann, wie Jenny Behnisch bald feststellte, als sie sich mit ihm unterhielt, während Daniel und Dieter Behnisch die junge Frau gründlich untersuchten.
Die Kopfverletzung gab zu denken. »Es sieht nach einem gezielten Schlag aus«, meinte Dr. Behnisch. »Das muß genau untersucht werden.«
Später stellten sie fest, daß sie kürzlich ein Kind geboren haben mußte, oder eine Fehlgeburt gehabt hatte.
»Wie heißt sie?« fragte Dieter.
»Keine Ahnung, Ebeling weiß es auch nicht. Sie haben die Frau gefunden, und sie hatte nichts bei sich. Ebeling hat gesagt, daß du seinen Vater mal an der Galle operiert hättest.«
»Den Ebeling, guter Gott. Ferdinand Ebeling, Professor für Physik, von dem hast du doch bestimmt auch schon gehört.«
»Von dem schon, aber es gibt mehr Ebelings.«
»Er ist jedenfalls ein Mann, der es durchaus nicht liebt, wenn jemand aus seiner Familie ins Rampenlicht gerät. Das war der Fall, als eine Tochter mit einem Jazzmusiker durchgebrannt war.«
»Liebe Güte –, eine Tochter, sagtest du? Hat er mehrere?«
»Insgesamt drei, und den einen Sohn, sein ganzer Stolz, schon mit fünfundzwanzig Jahren Doktor und Entwicklungsingenieur, um den man sich auch im Ausland reißt.«
»Was du nicht sagst, er sieht noch sehr jung aus.«
»Jetzt wird er siebenundzwanzig sein.«
Das hatte Jenny Behnisch inzwischen auch erfahren, und sie fand Claudius sogar ungewöhnlich nett. Es machte ihn noch sympathischer, daß er sich um die Unbekannte sorgte.
»Ich werde mich darum kümmern, daß ihre Personalien bald festgestellt werden«, erklärte er. »Ich werde morgen mit meinem Freund das Ufer absuchen. Vielleicht hat sie sich verirrt, als das Gewitter losbrach und dabei ihre Tasche verloren. Und schließlich wird sie doch jemand vermissen.«
Die Unbekannte war bestens versorgt worden, aber die schwere Kopfverletzung gab zur Sorge Anlaß. Momentan konnte man jedoch nicht mehr für sie tun.
Das sagten die Ärzte auch Claudius Ebeling, der auch ihnen versprach, sich darum zu bemühen, etwas in Erfahrung zu bringen, da er auch morgen den ganzen Tag am See sein würde.
»Wie geht es Ihrem Vater?« erkundigte sich Dr. Behnisch dann noch bei ihm.
»Sehr gut, und seit er die Gallensteine los ist, wird er auch toleranter«, erwiderte Claudius lächelnd.
»Grüßen Sie ihn bitte«, sagte Dr. Behnisch.
»Das werde ich, aber ich denke, er wird nicht gerade erfreut sein, wenn ich ihm erzähle, welcher Anlaß mich in die Behnisch-Klinik führte.«
»Er kann stolz sein, daß er einen so hilfsbereiten Sohn hat«, meinte Dr. Behnisch.
»Dagegen hat er auch nichts, aber die Umstände werden ihn stören. Er ist halt sehr konservativ.«
Aber das sagte er nicht abfällig, und Daniel Norden spürte, daß er dem Vater Respekt zollte.
Auch ihm gefiel dieser junge Mann jetzt noch mehr, und sie verabschiedeten sich mit einem festen Händedruck und dem Versprechen, bald wieder zusammenzukommen.
*
Als Daniel heimkam, waren die Kinder noch auf. Sie hatten Lenni natürlich ausführlich erzählt, was sie erlebt hatten, und nun wollten sie auch wissen, was mit der jungen Frau war.
Dazu konnte Daniel freilich nicht viel sagen, und er ahnte auch nicht, daß Claudius’ Bemühen am nächsten Tag erfolglos bleiben würde, irgend etwas von der Unbekannten zu finden. Fee sagte er dann, daß es eine schwere Kopfverletzung sei, und daß möglicherweise vor kurzer Zeit eine Schwangerschaft bestanden hätte.
»Eine Verzweiflungstat?« überlegte Fee.
»Sie kann sich nicht selbst bewußtlos geschlagen haben, mein Schatz.«
»Daran hatte ich eben nicht gedacht. Vielleicht war sie doch auf einem Boot. Wir müssen den morgigen Polizeibericht abwarten. Es könnte ja sein, daß wieder mal ein Boot bei dem Sturm gekentert ist.«
Solche Vermutungen stellten Claudius und sein Freund Thomas nicht an. Claudius war zum Jachtclub zurückgefahren und fand Thomas im Kreise einer großen Clique vor.
Der Regen hatte nachgelassen, aber Donnergrollen und Blitze ließen ahnen, daß es noch einmal losgehen könnte.
Eine junge Dame kam schnell auf Claudius zu. Obgleich sie
Jeans und einen lockeren Pulli trug, paßte das Prädikat junge Dame zu ihr. Lady Dei wurde Delia Markgraf auch scherzhaft genannt. Ein bescheiden wirkendes Mädchen beobachtete mit trauriger Miene, wie Delia ihre Arme um den Hals von Claudius legte.
»Ritter ohne Furcht und Tadel«, sagte Delia schmeichelnd. »Hoffentlich hast du dir keine Unannehmlichkeiten eingehandelt, Claudius.«
»Wieso denn das?« fragte er ironisch, nach ihren Handgelenken greifend und ihre Arme sacht, aber doch energisch von seinem Hals nehmend.
»Hast du sie gekannt?« fragte Delia anzüglich.
»Woher denn? Überlegt man hier etwa, daß wir etwas mit dieser Frau zu schaffen haben? Tommy war ja schließlich auch dabei.«
»Tommy ergeht sich in rätselhaften Vermutungen, und ich meine, es wäre besser, sich da weitgehend herauszuhalten.«
»Überlaß das bitte mir, Delia« sagte er. »Momentan habe ich Durst und Hunger, und außerdem möchte ich Nathalie begrüßen.«
Eine steile Falte erschien zwischen Delias Augenbrauen. »Der liebe Claudius kann es nicht sehen, wenn ein Mädchen in der Ecke sitzt«, sagte sie spöttisch. Ein herablassender Blick wanderte zu Nathalie zurück, deren Miene sich aufhellte, als Claudius nun auf sie zukam.
»Ist alles gutgegangen?« fragte sie leise. »Ich habe mir Sorgen gemacht.«
»Aber doch nicht um mich«, meinte er lächelnd.
»Tommy hat gesagt, daß das vielleicht ein Mordversuch gewesen sein könnte.«
»Er soll nicht übertreiben, und sich nicht in Vermutungen ergehen. Du kennst ihn doch. Er macht aus dem kleinsten seltsamen Erlebnis einen ganzen Krimi. Er ist allerdings sehr talentiert auf diesem Gebiet«, fügte Claudius mit einem verschmitzten Seitenblick zu Tommy hinzu.
Der stand jetzt auf und kam zu ihm. »Setz dich doch zu uns, oder willst du gleich wieder gehen? Was haben Sie denn in der Klinik gesagt? Dieser Dr. Norden ist hier sehr bekannt, das habe ich schon erfahren.«
»Und in der Behnisch-Klinik sind sie auch nett«, erwiderte Claudius zurückhaltend. »Sie behalten die Frau, obgleich sie nicht wissen, wer dafür aufkommt.«
»Es würde dir ähnlich sehen, wenn du eine Hilfsaktion ins Leben rufen würdest«, meinte Tommy.
»Wenn ich mich hier umschaue, würde da nicht viel zusammenkommen«, sagte er ironisch. »Man ißt und trinkt lieber gut.«
»Du wirst ja wohl auch Hunger haben«, meinte Tommy.
»Du sagst es, aber ich möchte in Ruhe essen. Leistest du mir Gesellschaft, Nathalie?«
»Ich glaube nicht, daß Delia das gerne sehen würde.«
»Was geht mich Delia an? Du solltest sie doch auch kennen, Nathalie. Sie setzt voraus, daß sie hofiert wird. Aber ich bin dafür nicht geschaffen.«
Tommy hatte für Delias vornehmes Getue erst recht nichts übrig, aber er war diesbezüglich auch drastischer und trat so auch oft genug ins Fettnäpfchen.
Aber jetzt sagte er, daß alle doch mehr hören wollten von Claudius.
»Ich bin auch nicht schlauer als vorher. Ich kann nur sagen, daß eine unbekannte Frau jetzt in der Behnisch-Klinik liegt und morgen wahrscheinlich schon die Zeitungen darüber berichten werden.«
»Morgen ist Sonntag«, sagte Tommy.
»Es ist bereits seit zwei Minuten Sonntag, lieber Tommy, und ich muß schauen, ob ich wenigstens noch eine Gulaschsuppe bekomme.«
»Die ganz bestimmt, und du brauchst auch nicht zu fürchten, sie mit Dei teilen zu müssen«, sagte Tommy neckend, »sie haßt Gulaschsuppen.«
Lady Dei hatte sich auch entschlossen, sich nicht mit Nathalie an einen Tisch zu setzen. Das wäre unter ihrer Würde gewesen, denn Nathalies Vater war ein Angestellter in der Markgrafschen Firma, und man pflegte keine gesellschaftlichen Kontakte. Ihr war es ohnehin ein Dorn im Auge, daß Nathalie hier geduldet wurde, aber andere sahen es eben anders, denn sie war eine ausgezeichnete Seglerin und sehr kameradschaftlich.
Nathalie drängte sich nie auf. Sie war ein sehr natürliches und sportliches Mädchen, sie konnte anpacken, und was sie sagte, hatte Hand und Fuß.
Claudius, der überhaupt noch nicht an eine feste Bindung dachte, unterhielt sich gern mit ihr, weil sie sehr vielseitig interessiert war, und zudem auch eine gute Zuhörerin, und in beidem war Delia das Gegenteil. Außerdem war Claudius ihr gegenüber doppelt vorsichtig, weil er wußte, daß die Firma Markgraf an ihm sehr interessiert war und Delia buchstäblich auf ihn angesetzt worden war.
Aber sie hatte hartnäckige Verehrer, die ihrerseits sehr an der Firma und an dem Vermögen interessiert waren, das hinter Delia stand. Wenn sie allerdings meinte, daß sie Claudius eifersüchtig machen könnte, indem sie jetzt mit Sascha Marcus flirtete, hatte sie sich getäuscht.
Er verließ gemeinsam mit Tommy und Nathalie den Club. Sie war im eigenen Wagen hier und wohnte auch nicht weit. Als sie sich verabschiedeten, sagte Claudius, daß sie das Ufer absuchen wollten am nächsten Tag, wenn das Wetter einigermaßen sein würde, und Nathalie sagte sofort, daß sie sich gern beteiligen wolle.
»Fein«, sagte Claudius, »sechs Augen sehen mehr als zwei. Bis morgen dann, Nathalie. Paß auf das Aquaplaning auf.«
Sie fuhren gleich zur Autobahn Richtung München. Zum Reden waren sie nicht aufgelegt, dazu waren sie zu müde. Sie wohnten in einem Haus, aber jeder hatte seine eigene Zweizimmerwohnung. Sie stammten beide aus gutsituierten Familien, und natürlich hatte auch Tommy einen Wagen, aber er verdiente noch nicht so gut wie Claudius, und so ließ er sich gern mitnehmen, um Benzin zu sparen. Ein eigenes Boot konnte er sich auch nicht leisten, aber da die beiden blendend miteinander auskamen, auch beruflich, da Tommy auch Ingenieur war, gab es keine Frage, daß sie viel gemeinsam unternahmen, da sie beide noch ungebunden waren.
»Nehmen wir noch einen Schlummertrunk auf den Schrecken hin, Tommy«, schlug Claudius vor. »Ich habe einen guten Rotwein.«
»Da kann ich nicht nein sagen. Ich habe schon meine Überlegungen angestellt.«
»Und dir wieder mal einen Krimi zusammengereimt, wie Delia schon angedeutet hat. Sie sieht ja schon Schreckliches auf uns zukommen.«
»Ich habe logisch überlegt. So dicht am Ufer führt kein Weg lang, und ins Wasser gefallen kann sie nicht sein, denn bewußtlos hätte sie sich ja nicht ans Ufer retten können. Durch den Guß war sie so durchnäßt, als wäre sie aus dem Wasser gezogen worden. Vielleicht wollte man sie ins Wasser werfen und wurde gestört, weil wir mit dem Boot dorthin trieben. Ist das logisch?«
»Es könnte möglich sein, Tommy, aber vielleicht ist doch etwas ganz anderes geschehen. Wir sollten am besten gar nicht darüber reden. Es wird schon jemand nach ihr suchen.«
»Und vielleicht finden wir morgen ihre Klamotten. Aber es könnte doch auch sein, daß sie ein Rendezvous hatte, daß man sich erst an diesem lauschigen Plätzchen sonnte, und dann kam es zu einem Streit. Allerdings könnte es ja auch sein, daß sie ganz bewußt an diesen Ort gelockt wurde, um sie umzubringen.«
»Deine Phantasie ist kaum zu überbieten, Tommy, aber warten wir doch mal ab. Vielleicht ist morgen schon alles aufgeklärt.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Tommy, und damit sollte er recht behalten.
*
Trotz der vergangenen Aufregung wurde es eine ruhige Nacht in der Behnisch-Klinik. Die Unbekannte lag still da, kein Wimpernzucken, kein Laut war zu vernehmen.
Es war ein tiefes Koma, und Jenny Behnisch fürchtete schon, daß sie den Morgen nicht mehr erleben würde, da auch der Herzschlag manchmal auszusetzen schien. Die zweite Infusion machte ihn etwas stabiler. Das Gesicht bekam einen etwas anderen Ausdruck. Es war ein apartes Gesicht mit reiner, glatter Haut. Jenny schätzte ihr Alter auf etwa fünfundzwanzig. Sie hatte schlanke, schmalfingrige Hände, die sicher noch keine schwere Arbeit geleistet hatten. Ein etwas fremdländischer Typ war sie wohl, ein slawischer Einschlag mochte da mitwirken. Aber es war dennoch ein feines Gesicht.
Sie war schlank, sehr gut gebaut, hatte lange wohlgeformte Beine, und wenn sie tatsächlich schon ein Kind zur Welt gebracht hatte, war es keine operative Entbindung gewesen, denn ihr Körper war makellos und wies keine Narbe auf.
Dies alles hatte Jenny registriert, und sie fragte sich, welches Schicksal diese junge Frau wohl mit sich trug, da noch niemand nach ihr gefragt hatte, denn diese Meldung hätten sie sofort bekommen, da sie die Polizei benachrichtigt hatten.
Jenny Behnisch hatte vor ihrer Heirat mit Dieter selbst viel durchgemacht, und sie war voller Mitgefühl mit dieser jungen Frau, die ein Geheimnis umgab, das man ergründen mußte, um ihr zu helfen.
Mit diesen Gedanken schlief Jenny dann auch für ein paar Stunden ein.
Der Morgen kam mit strahlendem Sonnenschein, so als wäre nichts gewesen in dieser Nacht, an dem vergangenen Abend.
Schnell herrschte in der Behnisch-Klinik wieder munteres Treiben. Die Schwestern hatten alle Hände voll zu tun, und die wenigsten wußten noch von dieser neuen Patientin.
Schwester Lore schlug gleich die Hände zusammen und sagte, daß sie wohl schon zu lange keine Aufregung mehr gehabt hätten, aber sie war es dann auch, die sich besonders liebevoll um die Fremde bemühte, die noch immer still und bewegungslos in ihrem Bett lag, in dem kleinen Krankenzimmer, das immer für Notfälle bereit sein mußte. Dort sollte sie auch bleiben, bis sie wieder bei Bewußtsein war.
Irgendwann wird sich schon jemand um sie kümmern von den Angehörigen, meinte Dieter Behnisch.
»Und wenn sie keine hat?« sagte Jenny nachdenklich.
»Es wird schon nachgeforscht werden. Der junge Ebeling will heute das Ufer absuchen, vielleicht findet er etwas.«
*
Bei den Nordens herrschte auch bald Trubel. Heute wollten die Zwillinge bei Papi und Mami zu ihrem Recht kommen, und Fee wollte, daß Lenni auch mal einen Tag faulenzen sollte. Aber damit kam sie bei Lenni nicht an, die meinte, sie würde sich ja doch nur langweilen.
Für Lenni war es das Glück ihres Lebens geworden, nach dem Leid, das sie hatte erleben müssen, als ihr Mann und ihre Mutter tödlich verunglückt waren. Da hatte ihr das Leben auch nichts mehr bedeutet, aber als die Nordens sie dann zu sich genommen hatten, da hatte sie erfahren, daß man sich von Kummer und Leid nicht niederzwingen lassen durfte, und nun freute sie sich des Lebens in diesem Hause, mit den Kindern, in dieser herzlichen Atmosphäre. Und ihr wurde nichts zuviel. Sie war ein Juwel, sie erntete Dank und Liebe.
Fee rief in der Behnisch-Klinik an und erkundigte sich nach Daniels Schützling. Sie hörte nur, daß man noch nichts erfahren hätte. Inspektor Färber, der ihnen wohlbekannt war, wollte am Vormittag kommen. Anscheinend meinte man nicht, daß es Eile hätte.
Claudius war um halb neun Uhr vom Telefon geweckt worden. Es war seine Mutter, die ziemlich beleidigt war, weil er ein paar Tage nicht angerufen hatte.
Claudius hatte einen Schrecken bekommen, weil er fürchtete, daß die Polizei ihn vielleicht in seinem Elternhaus hatte aufsuchen wollen, aber er konnte beruhigt sein, dem war nicht so. Seine Mutter wollte wissen, ob er zum Essen kommen würde.
»Geht leider nicht, Mutti«, sagte er, »ich muß mich um mein Boot kümmern. Wir sind gestern ins Gewitter geraten.«
»Das Boot ist auch wichtiger als wir«, sagte sie vorwurfsvoll.
»Sei doch nicht gleich böse, du hast doch mit der übrigen Familie genug zu tun.«
»Du scheinst aber völlig vergessen zu haben, daß Bille heute Geburtstag hat.«
»Liebe Güte, ich schäme mich. Genügt es, wenn ich zum Kaffee komme?«
»Besser als gar nicht«, meinte seine Mutter versöhnt. »Bille wünscht sich sowieso bloß Geld.«
»Fein, dann bin ich ja aus dem Schneider. Danke, daß du mich erinnert hast, aber wenn man drei Schwestern hat, na ja, ich will mich nicht entschuldigen.«
»Hast du vielleicht eine neue Freundin?« fragte sie neugierig.
»Eine neue? Hatte ich schon mal eine?«
»Ich bin gespannt, wann du mal vernünftig wirst.«
»Na hör mal, du hast einen beruflich erfolgreichen Sohn.«
Und dagegen konnte sie wahrhaftig nichts sagen.
Gleich darauf kam Tommy. »Na, wie ist es, Sportsfreund, starten wir? Es ist herrliches Wetter.«
»Nachmittags muß ich zur Familie. Meine Schwester hat Geburtstag. Ich hatte es fast vergessen.«
»Bille?« fragte Tommy.
»Ja, Bille, wieso kommst du gleich auf sie?«
»Weil sie die einzige ist, die ich kenne«, grinste Tommy. »Nettes Mädchen, was schenkst du ihr?«
»Geld, sie will nichts anderes.«
»Sie ist doch gar nicht so besitzgierig, wie ich meine.«
»Sie braucht ein anderes Auto, und da zieht unser alter Herr nur teilweise mit, solange wir studieren. Bei mir war das auch so.«
»Eine vernünftige Erziehung«, meinte Tommy. »Ich durfte ab und zu nur mal mit Mamas Wagen fahren, bis der fast schrottreif war, dann bekam ich ihn. Weißt du, die antiautoritäre Erziehung hat sich überholt. Das sehen manche Eltern zu spät ein.«
»Du weißt aber gut Bescheid.«
Tommy lächelte wieder breit. »Bei uns herrschte noch Zucht und Ordnung, das darfst du glauben.«
»Dann passen unsere Eltern ja zusammen.«
»Schade, daß meine in Göttingen wohnen. Los, Claudius. Kaffee trinken können wir draußen.«
Obgleich so schönes Wetter war, war am See noch nicht viel los. Er war noch aufgewühlt vom Sturm, und der Boden am Ufer war auch durchweicht.
Sie frühstückten im Club. Gut, daß sie nicht verwöhnt waren als Junggesellen, denn der Kaffee war mäßig und ebenso das Frühstück selbst.
Eine war aber früher draußen gewesen. Nathalie Brück. Und sie war entsprechend gekleidet mit Gummistiefeln und Parka.
»Hallo, ihr beiden!« rief sie munter. »Ich habe schon etwas gefunden, aber das gehört keiner Frau. Es ist eine Kreditkarte.«
»Zeig mal her, ob sie neu ist«, sagte Tommy.
Sie war abgelaufen, aber sie lautete auf einen Namen, den man leicht merken konnte, nämlich Westen.
»Wenn das die ganze Ausbeute sein soll, wäre es kärglich«, meinte Claudius. »Dann haben wir einen Arzt Dr. Norden und eine ungültige Kreditkarte auf den Namen Westen.«
»Aber ich meine, daß wir alles, was wir noch finden, der Polizei geben«, warf Nathalie ein. »Man kann nie wissen, ob es doch ein Hinweis sein könnte auf jemanden. Vielleicht wurde die Karte mal gestohlen.«
»Du kannst dir mit Tommy die Hand geben, Nathalie«, meinte Claudius nachsichtig. »Er dichtet sich auch einen Krimi zusammen.«
»Mysteriös ist das schon. Vermißt wird sie anscheinend nicht«, sagte Nathalie.
»Es könnte ja sein, daß sie hier Urlaub macht und Opfer eines Sittlichkeitsverbrechers wurde«, meinte Tommy.
»Wieder eine neue Version, aber auch noch nicht von der Hand zu weisen«, erklärte Claudius. »Also kriechen wir mal herum, vielleicht kommt was dabei raus, wenn wir in die Büsche gehen.«