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Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Dr. Norden begleitete Hedwig von Danell in die Behnisch-Klinik, an das Krankenbett ihres sterbenden Mannes. Die alte Dame war fünfundsiebzig und hatte gerade erst eine Hüftgelenkoperation überstanden. Dennoch besaß sie einen eisernen Willen. »Ich weiß, daß mein guter Fred sterben wird«, sagte sie. »Achtzig Lebensjahre sind ein gesegnetes Alter, und er hat sich selbst immer gewünscht, daß ihm ein langes Leiden erspart bleibt, so wie ich es mir auch wünsche. Fünfundvierzig glückliche Ehejahre zählen und entschädigen für vieles, was vorher war.« Dr. Norden horchte erstaunt auf. Was vorher war? Er hatte immer geglaubt, daß sie, diese Hedwig von Danell, ein stets zufriedenes, ja, sorgloses Leben geführt hätte, so voller Humor und Lebensfreude war sie stets gewesen, so harmonisch verlief das Leben in der schönen alten Villa, in der auch ihre Tochter Ilsabe mit ihrem Mann, Jonathan Marlow und dem Enkel Markus lebten. Eine wirklich vollkommene Familie, wie er gemeint hatte. »Mein guter Fred«, sagte die alte Dame wieder, »er wird mir sehr fehlen, aber eines Tages werden wir wieder vereint sein. Vielleicht erlebe ich es noch, daß Markus eine liebe Frau findet, mit der er so glücklich wird, wie meine Ilsabe mit Jan, wie ich es mit Fred war. Solch ein Glück ist nicht jedem beschieden. Ich mußte leider die Erfahrung machen, daß es auch anders kommen kann«, fügte sie gedankenverloren hinzu. Sie waren bei der Behnisch-Klinik angekommen. Dr. Norden half der alten Dame aus dem Wagen und geleitete sie zu dem Krankenzimmer. Sie mußte sich auf ihn stützen und zusätzlich noch auf einen Stock.
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Seitenzahl: 137
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Dr. Norden begleitete Hedwig von Danell in die Behnisch-Klinik, an das Krankenbett ihres sterbenden Mannes. Die alte Dame war fünfundsiebzig und hatte gerade erst eine Hüftgelenkoperation überstanden. Dennoch besaß sie einen eisernen Willen.
»Ich weiß, daß mein guter Fred sterben wird«, sagte sie.
»Achtzig Lebensjahre sind ein gesegnetes Alter, und er hat sich selbst immer gewünscht, daß ihm ein langes Leiden erspart bleibt, so wie ich es mir auch wünsche. Fünfundvierzig glückliche Ehejahre zählen und entschädigen für vieles, was vorher war.«
Dr. Norden horchte erstaunt auf. Was vorher war? Er hatte immer geglaubt, daß sie, diese Hedwig von Danell, ein stets zufriedenes, ja, sorgloses Leben geführt hätte, so voller Humor und Lebensfreude war sie stets gewesen, so harmonisch verlief das Leben in der schönen alten Villa, in der auch ihre Tochter Ilsabe mit ihrem Mann, Jonathan Marlow und dem Enkel Markus lebten. Eine wirklich vollkommene Familie, wie er gemeint hatte.
»Mein guter Fred«, sagte die alte Dame wieder, »er wird mir sehr fehlen, aber eines Tages werden wir wieder vereint sein. Vielleicht erlebe ich es noch, daß Markus eine liebe Frau findet, mit der er so glücklich wird, wie meine Ilsabe mit Jan, wie ich es mit Fred war. Solch ein Glück ist nicht jedem beschieden. Ich mußte leider die Erfahrung machen, daß es auch anders kommen kann«, fügte sie gedankenverloren hinzu.
Sie waren bei der Behnisch-Klinik angekommen. Dr. Norden half der alten Dame aus dem Wagen und geleitete sie zu dem Krankenzimmer. Sie mußte sich auf ihn stützen und zusätzlich noch auf einen Stock. Ihre Haltung war dennoch bewundernswert.
»Ich danke Ihnen für Ihre Fürsorge, lieber Dr. Norden, für alles, was Sie für meinen Mann und für mich getan haben, und daß Sie mich hierher begleitet haben, doch jetzt möchte ich mit meinem guten Fred allein sein.«
Dr. Norden neigte sich über ihre feine Hand. »Bleiben Sie weiterhin so tapfer, liebe gnädige Frau«, sagte er.
Sie nickte.
»Er soll mein Lächeln mit hinübernehmen in die andere Welt«, flüsterte sie.
*
Frederic von Danell war sehr schwach, aber sein Geist war noch immer rege. Er wußte, daß die Stunde des Abschieds von dieser Welt nahe war, aber seine müden Augen suchten den Blick seiner Frau, und seine hageren Hände umschlossen ihre Finger.
»Mein Liebstes«, murmelte er. »Du bist bei mir. Du mußt dich doch noch schonen.«
»Dr. Norden hat mich hergebracht. Ich möchte so gern mit dir plaudern, Fred. Weißt du noch, wie wir uns zum erstenmal trafen? Ich habe soviel daran denken müssen, als ich in der Klinik lag.«
»Du warst so traurig, Hedy«, murmelte er. »Und ich dachte, wie schön du erst sein müßtest, wenn du lachen würdest.«
»Und du hast mich das Lachen wieder gelehrt, mein liebster Fred«, sagte sie weich. »Du hast mich vergessen lassen, was ich zurückließ in diesem andern Leben, das die Hölle war.«
»Aber du weißt, daß ich Wolf gern zu uns genommen hätte«, flüsterte er.
»Sie hätten es niemals zugelassen. Sie sagten ihm, daß seine Mutter tot sei, und dabei durfte ich endlich ohne Angst leben. Ja, so war es, Fred. Dir, nur dir habe ich ein zweites, glückliches Leben zu verdanken. Ich hätte dir so gern einen Sohn geschenkt.«
»Ich wollte doch immer eine Tochter haben, Hedy, eine, die dir ähnlich wird, und so ist es gekommen. Es war ein wundervolles Leben mit dir, aber nun müssen wir uns für eine Zeit trennen. Dir bleibt noch Zeit, Ilsabe alles zu erzählen, meine Liebe, meine große Liebe.«
Die Kräfte verließen ihn, doch seine Augen hingen noch immer an ihrem Gesicht, und sie lächelte, wie sie es sich vorgenommen hatte.
Seine Lippen bewegten sich, aber sie konnte keinen Laut mehr vernehmen, seine Lider senkten sich, und dann schlummerte Frederic von Danell ein, um nicht mehr aufzuwachen.
Hedwig blieb an seinem Bett sitzen, bis sein Herz den letzten Schlag tat. Sie faltete seine Hände und drückte ihre Lippen darauf, und dann zündete sie eine Kerze an. Sie nahm Abschied von dem Mann, den sie über alles geliebt hatte, aber sie mußte auch daran denken, daß sie auf den Tag genau vor fünfzig Jahren einem Sohn das Leben geschenkt hatte, dessen Vater ein anderer Mann gewesen war. Und die kurze Ehe mit ihm, die nur vier Jahre gewährt hatte, war eine Hölle gewesen.
Sie blickte in das stille, friedliche Gesicht ihres Mannes, dem allein sie es zu verdanken hatte, daß sie die Verzweiflung überwand und glücklich werden konnte.
Nun drückte sie auf die Klingel, und Dr. Jenny Behnisch erschien.
»Mein Fred ist eingeschlafen«, sagte Hedwig von Danell mit bebender Stimme. »Ich muß die Kinder benachrichtigen.«
*
»Die Kinder«, das waren Ilsabe Marlow, fünfundvierzig Jahre alt, Jonathan, achtundvierzig, und der Enkel Markus, der gerade vor drei Tagen seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert hatte.
Sie kamen. Ilsabe kniete nieder und weinte, Jon streichelte tröstend ihre Schultern, und Markus fragte seine Großmutter: »Warum bist du allein gefahren, Mommi?«
»Dr. Norden hat mich gebracht. Wir hatten uns noch soviel zu sagen, Markus. Ich wußte, daß wir nicht mehr viel Zeit haben würden.« Sie nahm die Hand ihrer Tochter. »Weine nicht, Ilsabe, er ist so friedlich eingeschlummert.«
»Er war der beste Vater«, schluchzte Ilsabe.
»Tot sind nur die, die vergessen sind«, murmelte Jon.
Markus neigte sich tief über den Toten. »Adieu, Großpapa, wir behalten dich lieb«, sagte er leise.
Dann legte er den Arm um seine zierliche Großmutter. »Du mußt jetzt ruhen, Mommi«, sagte er. »Papa wird alles regeln. Ich bringe dich heim.«
»Ja, danke, mein Junge, ich kann nichts mehr für ihn tun«, sagte sie leise.
Dr. Jenny Behnisch begleitete sie hinaus. »Wir fühlen mit Ihnen, Frau von Danell«, sagte sie.
Sie ging dann zu ihrem Mann. »Eine so lange, glückliche Ehe«, sagte sie gepreßt, »es ist nur gut, daß sie nicht allein ist.«
Allein war sie nicht, und dennoch fühlte sie sich einsam.
»Ich will ein wenig ruhen, Markus«, sagte sie zu ihrem Enkel.
»Ja, das wird gut sein, Mommi«, nickte er, und zärtlich streichelte er ihre Wange. »Ich werde dir den Tee bringen.«
Josefa, die betagte Haushälterin, wäre dazu nicht fähig gewesen. Sie saß in der Küche und schluchzte. »Der gute Herr«, murmelte sie.
Ja, Frederic von Danell war ein guter Mensch gewesen. Sein Tod erfüllte viele Menschen mit tiefer Trauer, denen er mit Herzensgüte, Verständnis und Großzügigkeit geholfen hatte.
An diesem Tag empfand es Hedwig noch intensiver als je zuvor, wie gnädig das Schicksal ihr gesonnen war, als es ihr diesen Mann in den Weg führte, an jenem Tag, an dem eine Welt für sie zusammengebrochen war.
Vor dreiundfünfzig Jahren, an ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag, war sie die Frau von Hubertus Westhoff geworden, und damals war sie eine strahlende Braut gewesen. Ein riesiges Rittergut in Pommern gehörte dem sehr gut aussehenden Hubertus, dessen Vater zwei Jahre zuvor bei einem Reitturnier so unglücklich gestürzt war, daß er an den schweren Verletzungen starb. Hubertus war sechsundzwanzig, als die Ehe mit Hedwig geschlossen wurde.
Erst drei Monate vorher hatte er die junge Baronesse Lettkow, aus verarmtem baltischem Adel stammend, kennengelernt. Hedwig war eine Schulfreundin von Hubertus’ jüngster Schwester Viktoria. Sie hatten das gleiche Internat besucht und anläßlich ihrer Verlobung mit dem Grafen Collman hatte Viktoria die Freundin eingeladen. Deren ältere Schwester Camilla war keineswegs begeistert, von der jungen Schönheit in den Schatten gestellt zu werden, aber gerade sie war es dann, die ihren zögernden Bruder zu der Heirat gedrängt hatte.
Das wußte Hedwig nicht, und den Grund sollte sie erst später erfahren. Camilla gab den Ton auf Gut Westhoff an. Sie führte das Regiment über die Bediensteten. Hubertus kümmerte sich fast ausschließlich um die Pferdezucht und ließ Camilla freie Hand.
Hedwig erkannte bald, daß Hubertus nicht der strahlende Held war, den sie in ihm gesehen hatte. Er war zudem launisch, leicht aufbrausend, dann wieder deprimiert und häufig kränkelnd.
Viktoria hatte geheiratet und war mit ihrem Mann nach Berlin gegangen, da er im diplomatischen Dienst tätig war. Die zartbesaitete Hedwig hatte keine Chance, sich gegen die herrschsüchtige Camilla zu behaupten, und sie fand auch keinen Rückhalt bei ihrem Mann. Als sie dann ein Kind erwartete, zeigte sich Camilla von einer freundlicheren Seite, und als sie einen Sohn zur Welt brachte, schien auch Hubertus überglücklich.
Aber schon bald mußte Hedwig zu ihrem Entsetzen feststellen, daß seine Stimmungen unberechenbar wurden, daß er manchmal gar Tobsuchtsanfälle bekam.
Hedwig suchte Rat bei dem alten Landarzt, mit dem sie sich gut verstand. Und er sagte ihr vorsichtig, daß es sich um Psychosen handeln würde. Sie versuchte, Camilla zu überreden, Hubertus zu einer gründlichen Untersuchung und Behandlung nach Berlin zu bringen, doch von diesem Tage an bereitete ihr Camilla die Hölle auf Erden. Die schlimmsten Vorwürfe prasselten auf sie hernieder. Und ganz schlimm wurde es dann, als ein Manöver stattfand und Offiziere einquartiert wurden. Einer von ihnen war Frederic von Danell.
Er wurde Zeuge, wie Hubertus, aufgehetzt von Camilla, in maßloser Wut mit einem Messer auf Hedwig losging. Er rettete sie vor dem Tobsüchtigen. Und er brachte sie zu seiner Schwester Anna.
Was darauf folgte, war die schlimmste Erniedrigung für Hedwig. Umsonst hatte sie gehofft, bei Viktoria Verständnis zu finden, nirgendwo wurde ihr Glauben geschenkt, wie es sich wirklich verhalten hatte. Hubertus Westhoff reichte die Scheidung ein, Hedwig wurde des Ehebruchs beschuldigt, der Sohn wurde ihm zugesprochen, und sie bekam nicht einmal Erlaubnis, ihn zu sehen.
Damals war Wolf Westhoff drei Jahre.
*
An diesem Tage, an dem in Hedwigs Gedanken die Vergangenheit wieder gegenwärtig geworden war, feierte Wolf Westhof seinen fünfzigsten Geburtstag im Kreis der Familie – und seiner Freunde. Und dies gar nicht so weit entfernt von Hedwig, die davon jedoch keine Ahnung hatte.
Wolf Westhoff, Generaldirektor eines weltweiten Konzerns, lebte mit seiner Familie seit zwei Jahren in München, nachdem er fast dreißig Jahre in Amerika und England verbracht hatte. Seit zwanzig Jahren war er verheiratet, und seine bildschöne Frau Ina, neun Jahre jünger als er, erwies sich an diesem Tag als eine charmante Gastgeberin.
Sabrina, die neunzehnjährige Tochter, hielt sich abseits, naschte vom exklusiven Büfett und wies jeden, der sie zum Tanzen auffordern wollte, mit der Bemerkung zurück, daß sie sich den Fuß verstaucht hätte.
Anwesend waren auch Viktoria von Collman, die fünfundsiebzigjährige Tante von Wolf Westhoff, und ihr Ehemann, der Botschafter im Ruhestand, Siegfried von Collman.
Sabrina hatte die bejahrten Verwandten erst an diesem Tage kennengelernt.
Sie war ein sehr kritisches Mädchen und wußte mit dem Ehepaar nicht viel anzufangen.
So schrak sie leicht zusammen, als Viktoria plötzlich neben ihr stand und sagte: »Setz dich doch zu mir, Sabrina. Wenn dir dein Fuß zu schaffen macht, könnten wir uns doch ein wenig unterhalten.«
»Wenn du es wünschst, Tante Viktoria«, sagte Sabrina nicht sonderlich begeistert.
»Wie schade, daß du nicht tanzen kannst, Kleines. So ein reizendes Mädchen…«
»Ach, das macht nichts«, erwiderte Sabrina. »Ich tanze nicht gern, und außerdem bekomme ich dann wieder eine Allergie, wenn so eine schwitzende Hand auf meinem Rücken liegt.«
Viktoria zog die Augenbrauen leicht empor. »Eine Allergie?« fragte sie erstaunt.
»Ich kann auch nichts dafür«, sagte Sabrina leichthin. »Dagegen ist nichts zu machen.«
»Ist das nicht ein Vorurteil? Nicht jede Hand schwitzt«, erklärte Viktoria irritiert.
»Man weiß es ja nicht vorher«, sagte Sabrina. »Übermorgen nehme ich an einem Schwimmwettbewerb teil, und da wäre es scheußlich, wenn ich eine Allergie hätte.«
»An einem Schwimmwettbewerb, mit dem schlimmen Fuß?« fragte Viktoria.
»Beim Schwimmen merkt man das nicht. Möchtest du nicht auch etwas essen? Ich hole dir gern etwas.«
»Nein, danke, mein Kind, in meinen Jahren braucht man nicht viel, und man sollte auch maßhalten. Ich bin sehr glücklich, daß ich dich endlich auch kennenlerne, und noch glücklicher, daß Wolf eine so bezaubernde Frau gefunden hat. Ich habe schon gefürchtet, er würde überhaupt nicht heiraten.«
»Dreißig Jahre ist doch kein Alter zum Heiraten«, sagte Sabrina. »Ich finde es blöd, wenn sich ein Mann schon jung in die Ehe stürzt.«
»Es kann auch gutgehen«, sagte Viktoria. »Unsere Ehe ist der Beweis. Siegfried war fünfundzwanzig und ich dreiundzwanzig, als wir geheiratet haben.«
»Und den Krieg habt ihr auch gut überstanden«, entfuhr es Sabrina. »Ich befasse mich gerade mit Geschichte.«
»Wir haben im Krieg viel verloren, Sabrina«, sagte Viktoria mit leisem Vorwurf. »Unseren Besitz in Pommern, unser herrliches Haus in Berlin.«
»Andere, Millionen, haben ihr Leben verloren, und euch geht es gut«, sagte Sabrina, »darüber könnt ihr euch doch freuen.«
Viktorias Miene versteinerte. »Viel Geschichtsbewußtsein scheinst du nicht zu haben«, sagte sie.
»Wieso nicht? Ich bin in Amerika geboren, in England zur Schule gegangen, und ich finde München herrlich. Ich habe überall Freunde, wie auch Daddy. Du siehst doch, daß viele Nationen vertreten sind. Und wie schön wäre es, wenn alle Menschen in der Welt in Frieden leben könnten.«
Wolf Westhoff gesellte sich zu ihnen.
»Na, was führt ihr denn für ernsthafte Gespräche?« fragte er.
»Sabrina interessiert sich für Geschichte, sagte sie mir, doch von der Tradition unserer Familie scheint sie nichts zu wissen, nichts von dem, was uns genommen wurde, Wolf.«
Seine Augenbrauen schoben sich zusammen. »Ich habe keine Erinnerung daran«, sagte er. »Es ist Vergangenheit, Tante Viktoria.«
»Mami winkt mir«, sagte Sabrina, »entschuldigt mich bitte.«
Viktoria blickte ihr nach. »Ihr habt Sabrina sehr modern erzogen«, stellte sie fest.
»Wie sonst?« fragte er belustigt. »Sie wächst in einer anderen Generation auf. Und warum sollte sie sich Gedanken über etwas machen, was ich hinter mir gelassen habe, Tante Viktoria?«
»Über manches sollten wir einmal sprechen, Wolf«, sagte sie. »Du bist der letzte Westhoff, und du hast nur eine Tochter.«
»Glücklicherweise«, erwiderte er. »Ich weiß mehr, als du denkst, Tante Viktoria, aber warum sollten wir uns damit den Tag verderben?«
*
»Gott sei Dank, daß du mich weggelotst hast, Mami«, sagte Sabrina. »Tante Viktoria scheint doch schon ein bißchen verkalkt zu sein.«
»Sei nicht gar so kritisch, Sabrina. Es ist eine andere Generation. Warum tanzt du nicht? So schlimm ist doch dein Fuß gar nicht.«
»Mir gefällt keiner«, erwiderte Sabrina schelmisch. »Dir kann ich es ja sagen. Warum soll ich mich da erst in etwas einlassen, was mir nicht behagt.«
»Daddy hätte gern mit seiner hübschen Tochter getanzt, aber nun kann er das nicht mehr.«
»Wir können ja tanzen, wenn wir allein sind«, sagte Sabrina. »Das Büfett ist köstlich. Du solltest dich auch mal stärken, aber geh Tante Viktoria aus dem Weg. Die zerrt die Familientradition hervor. Hoffentlich hält sie nicht noch eine feierliche Reminiszenz.«
»Das würde Daddy schon verhüten«, sagte Ina lächelnd. »Unterhalten kannst du dich doch wenigstens mit den Gästen.«
Sabrina runzelte die Stirn. »Mir wäre es am liebsten gewesen, wir hätten Daddys Geburtstag allein gefeiert, in den Bergen. Ich liebe die Berge, Mami.«
»Du bist heute aber nicht die Hauptperson, mein Kind.«
»Will ich doch gar nicht sein. Daddy ist auch froh, wenn er wieder seine Ruhe hat.«
Und so war es auch. Die Gäste verabschiedeten sich. Nur Viktoria und ihr Mann blieben, aber sie hatten sich dann schon früher in den Gästezimmern niedergelegt. Sie wollten erst am nächsten Tag zurückfahren zu ihrem Haus am Zürich-See, wo sie ihren Lebensabend verbrachten.
*
Das Frühstück wurde noch gemeinsam eingenommen, und zu später Stunde.
»Wir hoffen, daß ihr uns bald einmal besucht«, sagte Siegfried von Collman beim Abschied. Viel geredet hatte er nicht, aber das war vor allem Sabrina lieber gewesen, als Tante Viktorias ständige Andeutungen über die Vergangenheit. Auch beim Frühstück hatte sie das nicht lassen können. Und dann übergab sie auch noch Sabrina eine pralle Ledertasche.
»Damit du dich auch mal mit der Familiengeschichte befassen kannst, mein Kind«, sagte sie. »Es ist auch wert, über unser zerrissenes Vaterland nachzudenken.«
»Du liebe Güte«, sagte Sabrina, als sie fortfuhren, »wenn sie so patriotisch sind, warum haben sie sich dann in der Schweiz niedergelassen? Warum sind sie nicht in Berlin geblieben?«
Wolf blickte mit gerunzelter Stirn die Tasche an.
»Befasse dich damit lieber nicht, Sabrina«, sagte er.
»Warum denn nicht, Daddy? Es kann doch ganz interessant sein«, erwiderte sie. »Vielleicht verstehe ich sie dann besser. Hatten sie nie Kinder?«
»Doch. Eins ist früh gestorben, bald nach der Geburt, und der Sohn kam in den letzten Kriegstagen ums Leben, bei einem Bombenangriff.«
»Das ist traurig«, sagte Sabrina. »Ich habe jetzt mehr Verständnis für Tante Viktoria. Du hast ja nie viel über die Familie gesprochen.«
»Ich war ein Kind, als ich nach England gebracht wurde«, erwiderte Wolf.
»Warum?« fragte Sabrina.
»Weil meine Mutter gestorben war. Bitte, frage nicht. Ich kann mich daran nicht erinnern, ich war zu klein.«
»Und dein Vater, Daddy, wann ist der gestorben?« fragte Sabrina.