Leid unter falschem Verdacht - Patricia Vandenberg - E-Book

Leid unter falschem Verdacht E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Es regnete in Strömen. In den Wasserpfützen, die sich im Hof angesammelt hatten, tummelten sich die Spatzen. Denise von Schoenecker stand am Fenster. Immer wieder spähte sie zur Einfahrt hinüber. Und als jetzt ein Wagen sichtbar wurde, ging sie eilig hinaus. »Seien Sie mir herzlich willkommen, Frau Bergmeister. Und auch, du Charlotte.« Mitleidig sah Denise von Schoenecker in das blasse, erschöpft wirkende Gesicht von Susanne Bergmeister. Auch Charlotte, deren Tochter, die ihr jetzt die Hand reichte und einem Knicks machte, wirkte verhärmt. »Bitte, wir wollen gleich hineingehen und alles besprechen.« Denise von Schoenecker ließ ihren Gästen den Vortritt. Lena kam heran und nahm Frau Bergmeister und deren Tochter die Regenmäntel ab. Denise von Schoenecker führte die beiden Damen in ihr Biedermeierzimmer. »Bitte, machen Sie es sich gemütlich. Ich habe mir den Nachmittag für Sie freigehalten.« »Danke, Frau von Schoenecker. Sie sind sehr freundlich. Es ist eine große Erleichterung für meinen Mann und mich, dass ich Charlotte zu Ihnen bringen darf.« Denise wandte sich dem jungen Mädchen zu. »Wenn du Lust hast, Charlotte, dann kannst du dir inzwischen schon die Zimmer ansehen, die unsere Kinder bewohnen.

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Seitenzahl: 160

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Sophienlust Bestseller – 87 –

Leid unter falschem Verdacht

Patricia Vandenberg

Es regnete in Strömen. In den Wasserpfützen, die sich im Hof angesammelt hatten, tummelten sich die Spatzen. Denise von Schoenecker stand am Fenster. Immer wieder spähte sie zur Einfahrt hinüber. Und als jetzt ein Wagen sichtbar wurde, ging sie eilig hinaus.

»Seien Sie mir herzlich willkommen, Frau Bergmeister. Und auch, du Charlotte.«

Mitleidig sah Denise von Schoenecker in das blasse, erschöpft wirkende Gesicht von Susanne Bergmeister. Auch Charlotte, deren Tochter, die ihr jetzt die Hand reichte und einem Knicks machte, wirkte verhärmt.

»Bitte, wir wollen gleich hineingehen und alles besprechen.«

Denise von Schoenecker ließ ihren Gästen den Vortritt. Lena kam heran und nahm Frau Bergmeister und deren Tochter die Regenmäntel ab. Denise von Schoenecker führte die beiden Damen in ihr Biedermeierzimmer.

»Bitte, machen Sie es sich gemütlich. Ich habe mir den Nachmittag für Sie freigehalten.«

»Danke, Frau von Schoenecker. Sie sind sehr freundlich. Es ist eine große Erleichterung für meinen Mann und mich, dass ich Charlotte zu Ihnen bringen darf.«

Denise wandte sich dem jungen Mädchen zu. »Wenn du Lust hast, Charlotte, dann kannst du dir inzwischen schon die Zimmer ansehen, die unsere Kinder bewohnen. Du wirst dort auch einen kleinen Jungen finden, der erst seit einiger Zeit bei uns ist. Er ist sehr traurig. Vielleicht kannst du dich ein wenig mit ihm unterhalten und ihn trösten.«

Charlotte nickte. »Ja, sehr gern, Frau von Schoenecker. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass ich zu Ihnen kommen darf.«

Denise hatte nach Carola gerufen. Die junge Frau war kurze Zeit später zur Stelle. Denise machte sie bekannt und bat sie, sich um Charlotte zu kümmern. Carola und Charlotte verließen das Zimmer.

»So, liebe Frau Bergmeister, jetzt bin ich ganz für Sie da und bereit, Sie anzuhören.«

Susanne Bergmeister strich ihr Haar zurück. Ihre blauen Augen waren mit einem traurigen Ausdruck auf Denise gerichtet. Um ihren Mund zuckte es schmerzlich, als sie nun zu sprechen begann.

»Obwohl ich genau weiß, dass alles Wirklichkeit ist, erscheint es mir doch immer wieder wie ein böser Spuk. Wir lebten so glücklich und zufrieden. Und plötzlich dies …« Sie brach ab und tupfte sich die Tränen aus den Augen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich so weit beruhigt hatte, dass sie weitersprechen konnte.

Denise betrachtete sie mit Teilnahme. Sie hatte schon oft erfahren, wie grausam das Schicksal zuschlagen konnte, und wusste auch, was Verzweiflung hieß.

»Mein Mann arbeitet als Prokurist in einer Bank«, fuhr Susanne Bergmeister fort. »Er hat sich mit Fleiß und Ausdauer hochgearbeitet. Wir besitzen ein kleines Haus und führen ein glückliches Familienleben. Das heißt, wir führten ein glückliches Leben. Denn vor einigen Wochen, sicher haben Sie davon in der Zeitung gelesen, wurde in der Bank, in der mein Mann arbeitet, eingebrochen. Einige Tage später erhielt die Polizei einen anonymen Brief. Darin wurde mein Mann beschuldigt, an dem Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Der anonyme Briefschreiber schilderte genau, dass er meinen Mann aus dem Hinterausgang der Bank habe herauskommen sehen und dass er einen Koffer bei sich getragen habe. Zugleich mit dem anonymen Brief scheint auch noch das Gerücht ausgestreut worden zu sein, dass mein Mann an dem Einbruch beteiligt war. Sie ahnen sicher, Frau von Schoenecker, wie sich so etwas in einer Kleinstadt auswirkt. Die Leute meiden uns, als seien wir aussätzig. Niemand grüßt uns mehr, abgesehen von einigen guten Freunden, die auch weiter zu uns halten. Aber am schlimmsten ist es für Charlotte. Die Kinder in der Schule beschimpfen sie. Alle rücken von ihr ab. Sie muss allein in einer Bank sitzen. Und es nutzte wenig, dass ich den Lehrer aufsuchte und ihn bat, dagegen einzuschreiten.«

Susanne Bergmeister zuckte hilflos die Achseln. Wieder schossen ihr die Tränen in die Augen.

»Ich weiß nicht, ob sich jemals alles klären lassen wird. Und ich bewundere meinen Mann, der wie immer seiner Arbeit nachgeht. Dabei weiß ich genau, dass es ihm sehr schwer fällt, so gelassen und ruhig zu erscheinen. Denn ihn bedrückte die Sorge um uns. Und wir beide sind sicher, dass wir noch nicht einmal sehr viel gegen den anonymen Denunzianten tun können.«

»Das möchte ich nicht sagen, Frau Bergmeister. Wenn Sie sich mit einem tüchtigen Anwalt in Verbindung setzen, ist es vielleicht doch möglich, den Dingen auf die Spur zu kommen. Ich bin sehr gern bereit, Ihnen die Sorge um Charlotte einstweilen abzunehmen. Es ist für das junge Mädchen sicherlich besser, hier in Sophienlust zu leben. Niemand ahnt, warum sie hier ist. Und ich versprechen Ihnen, dass es auch niemand erfährt. Es wäre gut, wenn Sie Charlotte so oft wie möglich besuchen würden. Gewiss wird es auch für Sie und Ihren Gatten angenehm sein, die Ruhe von Sophienlust auf sich einwirken zu lassen. Sie können gern auch über Nacht bleiben, wenn es in Ihre Pläne passt.«

»Danke, Frau von Schoenecker, danke! Sie sind wirklich sehr liebenswürdig. Ich bin glücklich, dass mir Malus Tante, Frau Walters, geraten hat, Charlotte zu Ihnen zu bringen.« Mit einer raschen Bewegung fasste sie nach Denises Händen und drückte sie herzlich.

»Nur Mut, Frau Bergmeister, eines Tages wird alles wieder gut sein. Mir kommt gerade ein Gedanke. Ein Freund von uns ist Rechtsanwalt. Wenn Sie ein bisschen warten, werde ich ihn anrufen und ihn fragen, was man in Ihrem Fall tun kann.«

Denise war aufgestanden und zum Telefon hinübergegangen. Sie wählte Lutz Brachmanns Nummer.

»Guten Tag, Claudi. Ich bin etwas eilig, ich habe einen Besuch hier. Glaubst du, dass Lutz eine Sekunde Zeit für mich hat?«

»Ja, Denise. Ich werde ihn gleich rufen. Auf Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen, Claudi. Guten Tag, Lutz.« Denise erzählte Dr. Brachmann, was sie von Frau Bergmeister erfahren hatte. »Was glaubst du, kann man dagegen unternehmen, Lutz?«

»Herzlich wenig, Denise. Leider ist hier in unserem Gesetz eine Lücke. Gegen Rufmord ist nichts zu tun. Vor allem dann nicht, wenn man nicht weiß, wer der Übeltäter ist. Am besten sollte sich Frau Bergmeister mit einem Anwalt in Verbindung setzen. Vielleicht lässt sich irgendetwas erfahren.«

»Vielen Dank, Lutz. Ich hoffe, wir sehen euch bald mal auf Schoeneich. Auf Wiedersehen.«

Denise legte den Hörer auf die Gabel zurück. Sie wandte sich wieder an die Besucherin.

»Unser Freund ist sehr skeptisch, Frau Bergmeister. Vor allem, weil man nicht weiß, wer Ihrem Mann so etwas unterstellt hat. Trotz allem hält auch er es für besser, wenn Sie sich mit einem Anwalt in der Stadt in Verbindung setzen.«

»Ja, das werden wir tun. Ich werde meinen Mann dazu überreden. Denn schließlich möchte er genausowenig wie ich, dass Charlotte für alle Zukunft in Sophienlust bleiben muss. Und bis sich das Gerede wieder legt, können Jahre vergehen. Sie wissen ja, wie die Leute sind.« Sie sah auf ihre Uhr. »Ich werde mich verabschieden müssen, damit ich meinen Zug noch erreiche.«

Denise erhob sich. »Wenn Sie wollen, können wir noch schnell das Haus besichtigen, damit Sie auch ganz genau wissen, in welcher Umgebung sich Charlotte künftig aufhalten wird.«

*

Carola hatte Charlotte bereits das ganze Haus gezeigt. Nun ließ sie das junge Mädchen bei Habakuk zurück. Der Papagei wackelte neugierig mit dem Kopf. Er flatterte mit den Flügeln.

»Habakuk brav, Habakuk brav …«

Sein drolliges Gehabe veranlasste Charlotte zu einem kleinen Lachen. Der Papagei war wirklich allerliebst.

»Er ist immer so lustig«, klang eine Stimme neben ihr auf. »Ich wollte, ich könnte auch wieder richtig von Herzen lachen.«

Charlotte wandte sich zur Seite. Sie sah einen kleinen Jungen. Das schmale Gesicht unter dem blonden Haar war blass. Und die Augen sahen verweint aus. Er hatte beide Hände in die Taschen seiner Lederhose gebohrt.

»Guten Tag«, sagte Charlotte und streckte dem Jungen die Hand hin. »Wie heißt du denn? Ich heiße Charlotte.«

»Ich heiße Rainer Gerwin. Bleibst du denn jetzt auch hier? Du bist doch schon so groß. Hast du auch keine Eltern mehr?«

»Doch, Rainer«, erwiderte Charlotte. »Gott sei Dank, ich habe meine Eltern noch. Doch leider … ist es nicht möglich, dass ich zu Hause bleibe. Wenigstens vorläufig nicht. Bitte, frag’ mich nicht, ich kann nichts darüber sagen. Und du hast deine Eltern verloren?«

»Ja«, nickte Rainer. Seine Augen schimmerten wieder feucht. »Ein wahnsinniger Sportwagenfahrer hat sie überfahren. Sie gingen über die Straße. Auf dem Zebrastreifen. Er hat überhaupt nicht gebremst und ist einfach auf sie zugerast.« Jetzt klangen die Tränen auch durch seine Stimme. »Kannst du dir vorstellen, wie verlassen ich mir vorkomme? Ich wünschte, ich wäre bei ihnen gewesen. Dann wären wir doch alle beisammen geblieben.«

Charlotte legte den Arm um die Schultern des Jungen und drückte ihn herzlich an sich.

»Das ist sehr schlimm, Rainer. Da geht es mir ja noch besser, auch wenn ich sehr traurig bin, dass ich von meinen Eltern fort muss. Aber sie sind wenigstens noch da. Ich kann sie sehen, wenn ich will. Hast du denn gar keine Verwandten, die sich um dich kümmern könnten?«

Rainer schüttelte den Kopf. Er wischte sich die Tränen mit den Händen aus den Augen. »Nein, ich hab’ keine. Ich hatte schon Angst, dass ich in ein Waisenhaus müsste. Doch Freunde von Vati und Mutti haben mich hierhergebracht, nach Sophienlust. Hier ist es schön. Es wird dir auch gefallen. Aber wenn man so traurig ist wie ich, dann gefällt es einem wohl nirgendwo richtig.«

»Wollen wir beide Freunde werden, Rainer?« Charlotte sah den Kleinen herzlich an.

»Meinst du das im Ernst? Du bist doch viel älter als ich. Und junge Mädchen, die gehen doch lieber mit jungen Burschen als mit Kindern.«

»Wenn ich es sage, dann meine ich es auch so. Also, willst du?« Charlotte hielt ihm die Hand hin.

Rainer schlug sofort ein. »Das ist fein. Danke, dass du so lieb zu mir bist, Charlotte.«

Die Tür war geöffnet worden. Denise und Susanne Bergmeister standen auf der Schwelle. Charlotte nahm den kleinen Rainer bei der Hand.

»Mutti schau, das ist mein neuer kleiner Freund. Er heißt Rainer.«

Susanne Bergmeister schüttelte Rainer die Hand.

»Das ist aber sehr schön, Charlotte, dass du dich um unseren kleinen Rainer kümmerst«, meinte Denise. »Er ist noch nicht lange bei uns. Und es fällt ihm noch immer ein wenig schwer, sich bei uns einzugewöhnen. Aber das kommt sicher noch, Rainer, nicht wahr?«

»Ja, ich gebe mir alle Mühe, Tante Isi.«

Charlotte brachte ihre Mutter noch bis zur der Taxe, die gewartet hatte. Mutter und Tochter umarmten sich. Sie küssten einander und versuchten beide tapfer, die Tränen zu unterdrücken, die ihnen in die Augen steigen wollten.

»Grüß bitte Vati, Mutti, und schreibt mir recht bald. Und komm’ gut heim.«

»Und dir wünsche ich, Charlottchen, dass du dich bald hier wie zu Hause fühlst. Auf Wiedersehen, mein Kind.«

Charlotte winkte dem davonfahrenden Wagen nach. Dann kehrte sie niedergeschlagen in das Gutshaus zurück.

»Nun sei mal nicht so traurig, Charlotte. Die Zeit hier wird auch vergehen. Ich bin sicher, dass du schon bald wieder mit deinen Eltern vereint bist. Wie gefällt dir dein Zimmer? Hast du schon deinen Koffer ausgepackt?«

»Nein, Frau von Schoenecker. Carola hatte mir zuerst das Haus gezeigt, und dann traf ich Rainer. Wenn Sie erlauben, dann werde ich jetzt den Koffer auspacken.«

Denise von Schoenecker sah dem jungen Mädchen gedankenvoll nach. Nun hatte sie wieder ein neues Kind auf Sophienlust. Kind war schon fast nicht mehr richtig. Denn Charlotte war mit ihren sechzehn Jahren bereits eine angehende junge Dame. Denise war froh, dass im Augenblick keines der Kinder hier war. Sie musste sich noch überlegen, was sie den Kindern und vor allem ihrem wissbegierigen Sohn Nick als Grund für Charlottes Anwesenheit angeben sollte.

*

Alexander von Schoenecker stand oben an der Freitreppe, als der Wagen, der Denise und Nick nach Hause brachte, vorfuhr. Er ging eilig die wenigen Stufen hinunter und kam gerade zurecht, um den Wagenschlag vor Denise zu öffnen.

»Wie schön, Denise, dass ich dich heute so früh habe.« Er neigte sich vor und küsste sie herzlich. Dann wandte er sich Nick zu. »Und das ist wohl etwas ganz Besonderes, dass du auch mal wieder nach Schoeneich kommst, Nick. Hat dich Pünktchen denn weggelassen?«

»Ach, die Mädchen! Manchmal kann man wirklich nichts mit ihnen anfangen. Jetzt ist eine alte Freundin von Malu nach Sophienlust gekommen, und schon ist Pünktchen gleich mit von der Partie.«

Er ging an seinem Vater vorbei ins Haus. Alexander und Denise warfen sich einen Blick zu. Dann lächelten sie.

»Pünktchen muss ihn schwer gekränkt haben, wenn er so böse auf sie ist«, meinte Alexander nachdenklich. »Was ist denn das für eine Freundin von Malu, die in Sophienlust angekommen ist?«

»Das ist es ja, was ich dir später erzählen muss. Doch ich möchte nicht, dass eines der Kinder erfährt, warum Charlotte Bergmeister bei uns ist. Wo sind denn unsere anderen Kinder?«

»Die sind alle im Gartenzimmer. Sascha und Andrea spielen für unseren kleinen Henrik Kasperltheater. Sie machen das sehr geschickt.

Denise hing sich am Arm ihres Gatten ein. »Ach, es ist gut, dass es Schoeneich gibt, und vor allem, dass es dich gibt, Alexander. Hätte ich euch nicht, ich glaube, ich wäre trotz meiner vielen Kinder oftmals sehr allein.«

»Danke, dass du das sagst, Denise.«

Sie hörten schon von fern das Lachen des kleinen Henrik. Leise öffneten sie die Tür zum Gartenzimmer. Eben schnappte sich das Krokodil den armen Kaspar und zerrte ihn in die Tiefe. Die Vorstellung war zu Ende.

»Eigentlich macht ihr das ja ganz ordentlich«, ließ sich Nick vernehmen. Sein Gesicht war immer noch ein wenig betrübt.«

»Vielen Dank, Kleiner, dass du so großmütig bist.« Sascha lachte. Er kam hinter dem Puppenhaus zum Vorschein.

»Sag’ nicht immer Kleiner zu mir, Sascha. Ich bin kein Kleiner mehr. Bald bin ich so groß wie du.«

Nick erhob sich und verließ das Zimmer. Die Zurückbleibenden sahen sich ein bisschen betroffen an.

»Was hat er denn nur? Warum ist er denn so sauer?«, sagte Andrea ein wenig ratlos, Kein Mensch hat ihm etwas getan. Wenn er schlechte Laune hat, dann hätte er lieber in Sophienlust bleiben sollen.«

»Ich glaube, er hat sich über Pünktchen geärgert«, warf Denise ein. »Er wird schon wieder zu sich kommen. Wir nehmen einfach keine Notiz von seinem Groll.«

Nicks schlechte Laune hatte sich auch später noch nicht gebessert. Schweigend saß er mit den anderen beim Abendessen. Danach murmelte er eine Entschuldigung und zog sich zurück. Er lief ein Stück durch den Park, kehrte aber bald wieder um. Am besten würde es sein, mal mit Mutti zu sprechen. Es tat ihm ja leid, dass er so unwirsch gewesen war. Und er konnte sich auch eigentlich gar nicht erklären, warum das so war. In der letzten Zeit hatte er öfter solche Stimmungen.

Durch die Hintertür kehrte Nick ins Haus zurück. Er machte sich auf die Suche nach Denise. Doch überall suchte er vergebens. Jetzt war er auf dem Weg in das Arbeitszimmer seines Vaters. Er wollte eben die Hand nach der Türklinke ausstrecken, als er feststellte, dass die Tür nur angelehnt war. Und nun hörte er auch Stimmen. Es war nur der Name, der ihn stutzig machte und ihn dazu bewog, stehenzubleiben und zu lauschen.

Seine Mutter sprach über Charlotte, und Nick erfuhr jetzt, warum Charlotte nach Sophienlust gekommen war. Das war eine schlimme Sache. Hoffentlich hatte sich Mutti da nicht durch ihre Gutherzigkeit zu etwas verleiten lassen, überlegte er. Denn wer konnte schließlich wissen, ob Charlottes Vater nicht wirklich an diesem Banküberfall beteiligt gewesen war? Mutti kannte doch die Leute gar nicht. Da musste er auf eigene Faust Nachforschungen anstellen. Er wusste auch schon, wie er das machen würde.

Nick zog sich lautlos von seinem Horchposten zurück, verließ durch die Hintertür das Gutshaus und kam vorn wieder herein. Es gab einen kleinen Knall, als er die Tür ins Schloss fallen ließ. Seine Schritte klangen laut, als er jetzt wieder auf das Arbeitszimmer zuging. Er klopfte an die Tür.

»Komm nur, Nick«, rief Denise. »Wir haben schon gehört, dass nur du es sein kannst, der gerade hereingekommen ist. Wann wirst du dir endlich angewöhnen, die Türen manierlich zuzumachen?«

»Bitte entschuldige, Mutti. Die Tür ist mir aus der Hand gerutscht. Ich wollte euch auch noch bitten zu übersehen, dass ich vorhin ein bisschen eklig war. Ich weiß selbst nicht, wie das kommt. Ich hab’ das in letzter Zeit öfters. Vielleicht sollte ich mal zu Onkel Werner gehen deswegen.«

Denise wurde es warm ums Herz, als sie ihren Sohn Nick so reden hörte. Er war doch ein gutes Kind. Er sah seine Fehler immer bald ein. Und dass er sogar zum Arzt gehen wollte, fand sie direkt rührend.

»Du wirst wirklich allmählich erwachsen, Nick. Und das wird wohl auch der Grund sein, weshalb du jetzt so häufig Stimmungen unterworfen bist. Aber deshalb brauchst du nicht zu Onkel Werner zu gehen. Das gibt sich ganz von selbst wieder. Frage nur Vati. Ich bin sicher, dass er sich genauso verhalten hat wie du, als er noch jung war.«

Alexander nickte. »So ist es, Nick. Deine Mutter hat, wie immer, den Nagel auf den Kopf getroffen. Und nun denke ich, dass es höchste Zeit ist, dass du zu Bett kommst.«

»Ja, ich wollte ja gerade gute Nacht sagen.«

Nick verabschiedete sich von Mutter und Vater mit einem Kuss. Dann ging er hinaus.

Denise sah ihrem Sohn gedankenvoll nach. »Er ist doch wirklich ein guter Kerl, Alexander«, meinte sie. »Bist du nicht auch der Meinung?«

»Er ist ja auch dein Sohn, Denise.«

Denise sah ihren Mann nachdenklich an. »Du müsstest einmal mit ihm reden, Alexander. Er kommt jetzt in die Entwicklungsjahre. Ich kann mich entsinnen, dass ich als junges Mädchen so ähnlich reagiert habe wie er. Den einen Tag himmelhoch jauchzend, den anderen zu Tode betrübt. Vielleicht kann man ihm ein bisschen helfen.«

»Das tu ich gern, Denise. Ich werde mal ein Gespräch von Mann zu Mann mit ihm führen. Vielleicht sieht er dann die Welt wieder mit richtigen Augen. Um noch einmal auf den Fall zurückzukommen, von dem du vorhin gesprochen hast. Bist du sicher, dass du dir damit keine Unannehmlichkeiten auflädst?«

»Ich vertraue Frau Bergmeister. Wenn du sie gesehen hättest, Alexander, dann würdest du ebenfalls so denken wie ich. Sie wirkte ehrlich und aufrichtig. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mich belogen hat. Sie hätte mir schließlich auch eine andere Geschichte oder gar keine erzählen können.«

»Womit du natürlich wieder vollkommen recht hast. Was hältst du davon, wenn wir schlafen gehen?«

Schon kurze Zeit später lag das Herrenhaus von Schoeneich im Dunkeln.

*

Entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten, Pünktchen alles, was er wusste, anzuvertrauen, schwieg Nick diesmal auch Pünktchen gegenüber eisern über das, was er über Charlotte erfahren hatte. Er sah es geradezu als einen Wink des Himmels an, dass er an diesem Tag erst am Nachmittag Schule hatte. So hatte er Gelegenheit das zu tun, was er sich am Abend zuvor ausgedacht hatte.

Nick achtete darauf, dass ihm niemand begegnete, als er sich in Charlottes Zimmer schlich. An der Tür blieb er stehen und sah sich suchend um. Ein Lächeln der Erleichterung lag um seinen Mund, als er die Fotografien auf dem Nachttisch entdeckte. Er nahm das Bild von Charlottes Vater und sah es lange an. Eigentlich sah dieser Herr Bergmeister sehr lieb und nett aus. Ob er es aber auch wirklich war? Nick versteckte das Bild in seiner Jackentasche und verließ Charlottes Zimmer rasch wieder.