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Rom, Nabel der Welt und Millionenstadt am Tiber, ist in heller Aufregung. Ein epochaler Triumphzug für die Rückkehr der erfolgreichen Feldherren wird vorbereitet. Aus der ganzen bekannten Welt kommen Menschen an, darunter auch eine Schauspieltruppe, zu denen die junge Korinna gehört. Ihr kommen Gerüchte über ein bevorstehendes Attentat auf Kaiser Marc Aurel zu Ohren. Kurz darauf verschwindet ein Bote mit einer wichtigen Nachricht für den Kaiser. Pacuvius, ein Offizier des Kaiserlichen Geheimdienstes, untersucht den Fall und wird den Verdacht nicht los, dass er von seinen Vorgesetzten bewusst in die Irre geführt wird. Bei seinen Ermittlungen lernt er Korinna kennen, und gemeinsam versuchen sie, das Netz aus Intrigen und Anschlägen zu zerreißen, das bedrohlich über Rom liegt.
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Seitenzahl: 728
Kaiser Marc Aurel droht im betriebsamen Rom zum Opfer dunkler politischer Machenschaften zu werden. Der jungen Korinna kommen Gerüchte eines Attentats zu Ohren, doch der Offizier Pacuvius wandelt bei seinen Nachforschungen auf Irrwegen. Gemeinsam stoßen sie auf eine Verschwörung, in die die mächtigsten Männer des Kaiserreichs verwickelt scheinen.
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Gisbert Haefs (*1950) ist Autor und Übersetzer. Er hat u. a. die Erfolgsromane Alexander und Hannibal verfasst und ist Übersetzer der Werke von Rudyard Kipling, Ambrose Bierce, Jorge Luis Borges, Sir Arthur Conan Doyle u. a. Zudem ist er Autor von Funkfeatures, Hörspielen und Kriminalromanen.
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Gisbert Haefs
Der erste Tod des Marc Aurel
Historischer Roman
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Unionsverlag
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© by Gisbert Haefs 2001
© by Unionsverlag, Zürich 2024
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Umschlag: Lorbeerkranz – Oleksandr Kharchenko (Alamy Stock Photo); Rom – North Wind Picture Archives (Alamy Stock Photo)
Umschlaggestaltung: Sven Schrape
ISBN 978-3-293-31098-8
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Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
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Inhaltsverzeichnis
DER ERSTE TOD DES MARC AUREL
Der Hafen der KaiserNachtgeschichtenGründe und ZweckeDer Weg ins LabyrinthMisstrauen und FragenLose FädenDas Verfahren des Iunius RusticusIn der UnterweltSchwerter und BilcheIm KerkerDas Archiv des EtruskersAbfälle und ZufälleBlutiger MorgenIn Caesars GärtenMarkt der TräumePostscriptumMehr über dieses Buch
Über Gisbert Haefs
Gisbert Haefs: »Mehr als ein plausibles Bild ist nicht möglich, weder für Historiker noch für Autoren historischer Romane.«
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Früh, wenn es dir leidtut, schon aufgewacht zu sein, sage dir gleich, du seist erwacht, um dich menschlich zu betätigen. Um der Tätigkeit willen bist du geboren und in die Welt gekommen, und da willst du verdrießlich sein, dass du ans Werk gehen sollst? Oder bist du geschaffen, dich in den Federn liegend zu pflegen? Dies ist wohl angenehmer; aber bist du denn um des Vergnügens willen da oder vielmehr, um etwas zu schaffen und dich anzustrengen?
MARCUS AURELIUS V 1
Sie saß nicht weit vom Leuchtturm, das Gesicht zum Meer, und wartete auf den Jungen mit dem Kormoran. Aber es war spät, viel später als gewöhnlich. Das kleine Boot lag an der gewohnten Stelle; vielleicht war er längst ausgefahren und heimgekehrt, oder er wollte heute nicht aufs Meer. Vielleicht hatte er sie gesehen, sagte sie sich, und blieb deshalb fort. Sechzig Tage, seit sie zuletzt am Hafen gewesen war – viel Zeit, um eine misstrauische Freundschaft verfallen zu lassen.
Sie hatte nicht eher kommen können, nicht in den vergangenen Monden und nicht an diesem Tag. In den stickigen Zeiten des Sommers verließen alle, die es sich leisten konnten, die Stadt und zogen sich auf Landgüter zurück. Alle, die es sich leisten konnten, waren genau jene, die sich hin und wieder die »Mimen des Mopsos« leisten mochten. Die Truppe war den Reichen gefolgt, hatte in kleinen Städten der Albaner Berge gespielt, in den Höfen der Landgüter, für die Herren und ihre Sippen, für die Diener und Sklaven, manchmal auch für die einfachen Leute der Ortschaften. Beifall, Münzen, Brot, ein Nachtlager … nicht viel, aber genug zum Leben.
Dann kam der Herbst, und die Leute kehrten zurück nach Rom. Manche wollten vielleicht hören, wie sich der Krieg gegen die Parther entwickelte oder welche neuen Anordnungen der Kaiser in den leeren Sommertagen ausgeheckt hatte. Die meisten würden sich wieder den Geschäften widmen, dem Brot, und fast alle warteten auf die Spiele.
Im Sommer zogen regelmäßig Kundschafter der Pferdezüchter und der Wettgemeinschaften durch die Lande, gingen Gerüchten über besonders gute Tiere nach und beobachteten auf den Rennbahnen der Provinzstädte Wagenlenker. Pferde und Männer, die in Massilia, Athen, Alexandria, Tarraco oder anderswo auf sich aufmerksam gemacht hatten, wurden gekauft oder angeheuert. Auch die Herren der Kampfspiele, immer auf der Suche nach Gladiatoren, waren entweder selbst unterwegs oder ließen ihre »Augen« genannten Leute schweifen.
Für die Mimen gab es im Frühherbst wenig zu tun; bei Stadtteilfesten auf den Plätzen und in Hinterhöfen konnten sie Neues erproben oder Altes wieder aufnehmen, zur Bewahrung der Beweglichkeit und für die wenigen kleinen Münzen, die die einfachen Leute in den Topf warfen. Andere Schauspieltruppen mochten, wie Mopsos sagte, »die Provinz verheeren, um von den Alpen bis Sizilien festzustellen, dass im Sommer und Herbst auch dort nichts läuft«. Richtige Auftritte für gutes Geld würde es, in der Provinz wie in Rom, erst wieder geben, wenn die Wohlhabenden zurückgekehrt waren. Reiche Kunstliebhaber und jene, die Gäste zu unterhalten hatten.
Eigentlich war dies die beste Zeit, um abgenutzte Gewänder zu flicken oder Masken zu erneuern. Mopsos hatte bei einem der billigen Buchhändler am Südrand des Forums zerlesene, fleckige Rollen gefunden: zwei Stücke des Puniers Terentius, eines von Herondas, eine Antigone. Also machten sie sich ans Abschreiben, damit jeder eine Rolle hatte, ehe die gekauften endgültig zerfielen. Korinna schrieb schnell und leserlich, Mopsos langsam und gründlich, Thesion so, dass er später selbst rätseln musste; die Zeichen von Markos und Bagoas brachten alle anderen zum Weinen. Myrina und Sulpicius, vor allem für Gaukelei und Musik zuständig, schrieben gar nicht.
Korinna verbrachte drei stickige Tage damit, die Stücke für sich abzuschreiben. In dem verfallenden Haus, dessen Besitzer auf bessere Kaufangebote wartete und die Schauspieler so lange gegen wenig Geld dort hausen ließ, suchte sie sich einen möglichst schattigen Winkel. Es gelang ihr, Tinte und Schweiß nicht allzu innig zu mischen und auf dem billigsten Papyrus – Pergament konnten sie sich nicht leisten – mehr Zeichen als Kleckse zu erzeugen.
Seit sie sich in Rom aufhielten, kauften die Mimen des Mopsos ihren Fisch bei Manlius. Er verlangte keine höheren Preise als andere, hatte sein Haus samt Laden gleich neben dem halb verfallenen Obdach der Schauspieler, und seine Tiere waren meistens frisch. Oder beinahe frisch. Zweimal hatten die Mimen für ihn und seinen Haushalt – Frau, Kinder, Sklaven – etwas aufgeführt und dafür je fünf Tage lang Fisch und Brot bekommen.
Vor zwei Tagen hatte Manlius mit einem Reichen verhandelt, ihn »Herr« genannt und sich vor ihm beim Feilschen immer wieder verbeugt. Es ging wohl um eine größere Feier; allerdings war Korinna, die in der Nähe gesessen und gedöst hatte, ein wenig erstaunt gewesen, dass ein Mann mit den breiten Purpurstreifen des Senators an der Toga selbst mit einem Fischhändler sprach, statt derlei niedrige Dinge seinen Abhängigen zu überlassen. Jedenfalls sollte Manlius Fisch, garum und andere Dinge liefern, und als er später an seinem Karren herumkratzte und etwas über eine Fahrt nach Portus murmelte, hatte Korinna sich schnell entschlossen und ihn gebeten, sie mitzunehmen.
So waren sie an diesem Tag, da sie sich nicht sechsundzwanzig, sondern zweiundfünfzig Jahre alt fühlte, über die verstopfte Via Portuensis von Rom zum Hafen der Kaiser gefahren.
Auch der Hafen war verstopft. Ein paar Tage vor dem Äquinoktium drängelten sich die Schiffe, um ihre Fracht zu löschen, ehe die Herbststürme begannen. Nur wenige Seeleute würden dann noch aufs Meer fahren, und wer Güter für Rom zu liefern hatte, musste zusehen, dass er sie beizeiten an Land brachte. Sie sah Getreidefrachter aus Hispanien und Ägypten, die gewöhnlich Puteoli anliefen, aber der größte Kornhafen des Reichs war vermutlich ebenso voll wie Portus Augusti, sodass die Kapitäne in falscher Hoffnung nach Norden gefahren waren.
Die knielange, ärmellose Tunika war besudelt. Vor einer Fischbraterei war Korinna mit einem eiligen Esser zusammengestoßen, und bei einer anderen Garküche hatte jemand sich im Gedränge die von einer bräunlichen Tunke verschmierten Finger an ihrem Gewand abgewischt. Ein junger Mann, eher Händler als Matrose, und er hatte gelacht, als sie ihn beschimpfte.
»Nichts Arges, o Holde«, hatte er gesagt. »Nur Flüssigkeit von einem köstlichen Braten. Ich würde bei dir gern andere Flüssigkeiten lassen, aber die Eile, o ihr Götter, diese Eile!«
Dann war er grinsend in der Menge verschwunden, zwischen Stauern, Händlern, Arbeitern. Sie hatte ein paar Augenblicke vor einem Stand mit gebratenem Geflügel gezögert und an die kleine Ausbeulung gefasst, wo unter dem Gewand, am Gurt des Leibschurzes, der Beutel hing. Münzen, genug Münzen, um großen Hunger billig zu stillen, aber längst nicht ausreichend, um der Lust nachzugeben und einen Hühnerschenkel zu kaufen. Vielleicht konnte sie sich an dem Geruch sättigen, den Hände und Dünste in dem Wollstoff zurückgelassen hatten. Aber sie wusste zu gut, dass der Duft den Hunger vermehren würde.
Fisch, Tunke, Schweiß. Sie rümpfte die Nase und lockerte den Gürtel, mit dem sie die Tunika hochgebunden hatte. Der Fischfleck war kaum eine Handbreit weiter von ihrer Nase entfernt, als sie das Gewand nach unten gezupft hatte, aber sie bildete sich ein, dass nun alles nicht mehr so streng röche. So streng und so hungrig.
Etwas stimmte nicht – etwas, das sie aus den Augenwinkeln sah. Erneut zupfte sie an der Tunika. Da gab es noch einen Fleck, an einer gewöhnlich für sie nicht sichtbaren Stelle des Gewands, hinter der linken Hüfte. Sie zog den Stoff weiter nach vorn.
»Gah«, sagte sie leise. Es war Blut, geronnen oder fast geronnen. Und – Haare? Mit spitzen Fingern fasste sie danach.
Es sah aus wie Menschenhaar mit einem Klümpchen geronnenen Bluts. Aber das konnte nicht sein. Natürlich konnte es nicht sein. Oder doch? Und wenn – wo? Korinna schloss die Augen und versuchte, sich an jeden Schritt des Wegs zu erinnern.
Manlius hatte den Karren neben einer Schenke auf dem kleinen Platz angehalten, der nur wenige Schritte östlich des »Hexagon« genannten sechseckigen Hafenbeckens lag. Zur einen Seite erstreckten sich die Reihen der Verkaufsstände und Garküchen, auf der anderen begann das Labyrinth der Schuppen und Werkstätten. Am Geländer vor der Schenke, an das man Pferde binden konnte, lehnten drei Männer. Einer hatte ein schmieriges Tuch um den Schopf gewickelt, und als er den Mund verzog, sah Korinna, dass ihm die beiden oberen Schneidezähne fehlten. Der Zweite war schwarz, vielleicht ein Nubier oder Angehöriger eines Volks im südlichen Mauretanien. Der Dritte trug eine fast handtellergroße Silberschlange im linken Ohr. Sie schienen – wirklich alle drei? – Blicke mit Manlius zu wechseln, bewegten sich aber nicht, solange Korinna sie sehen konnte. Ein paar Schritte auf dem Kai, dann hatte sie sich umgedreht, und die drei Männer waren hinter dem langsam nach Norden fahrenden Karren des Fischhändlers hergegangen.
Nun fragte sie sich, warum sie die Männer so gründlich betrachtet hatte. Aber eigentlich hatte sie gar nicht bewusst beobachtet; es war wohl nur die Gewohnheit der Schauspielerin, Menschen wahrzunehmen, um sie besser darstellen zu können, und die Gewohnheit der Schreibenden, alles aufzufangen, was irgendwann einmal verwendet werden könnte.
Weiter. Die Garküchen. Brotstände. Obst. Das Gedränge der Leute. Der flüchtige Gruß – eine Art Winken – der Herrin eines Standes, an dem süßes Gebäck feilgeboten wurde. Die Männer, die ein großes Schiff verließen, dessen Tau am Steinring auf dem Kai mit einer großen Schleife festgebunden war, fast wie ein Schmetterling. Männer mit Augen, die zu viel Weite gesehen hatten, Augen der Ferne, wie sie es bei sich nannte; zwei von ihnen hatten schmale Augen, wie geschlitzt, in denen sie nicht lesen konnte, und gelbliche Haut. Mehr Gedränge. Der Mann mit den schmierigen Fingern. Eine nicht genau gesehene Bewegung von links – andere Männer, die etwas trugen? Die vielleicht einen Betrunkenen stützten? Der Mann war getorkelt, gefallen; konnte es sein, dass er mit dem Kopf ihre Hüfte berührt hatte? Aber warum sollte ein Betrunkener Haare und Blut verlieren?
Sie erinnerte sich an andere Rempeleien auf dem langen Weg, den sie an der Südseite des Hexagons zurückgelegt hatte, und auch am äußeren Hafen, auf der südlichen Mole. Ein Arm, der ins Meer griff und nach Norden bog, wie angewinkelt, um dann im Leuchtturm zu enden. Viele Arme, die gefuchtelt und sich erhoben hatten und gereckt waren und wieder fielen. Aber kein blutiges Rinderviertel, kein geschlachtetes Schaf, nicht einmal ein abgezogener Hase. Und die Haare sahen nach Mensch aus, nicht nach einem beliebigen Tier.
Was immer es war: Korinna zupfte es von der Tunika; mit gerümpfter Nase musterte sie es ein paar Atemzüge lang. Dann warf sie es zwischen die Steine und schaute aufs Meer hinaus.
Zum zehnten Mal zählte sie die Schiffe, die darauf warteten, ins große vordere Becken einfahren zu können. Vierundfünfzig. Zwei weniger, dann wären es so viele, wie sie heute an Jahren zu schleppen glaubte. So viele Schiffe, Wellen, Möwen, Tage.
Sie versuchte, sich zu erinnern, wie oft sie hier gesessen und gewartet hatte. Meistens mit dem Rücken zum Meer, um sich an den Schiffen im großen Hafen sattzusehen.
Auf dem milden Seewind ruderten Möwen. Zerstreut betrachtete sie einen Vogel, der sich bewegte, als wolle er sich gleich auf den Rücken drehen.
Sie gluckste leise. Mit den Zehen rupfte sie einen Halm aus, der im Zement der Mole gesprossen war. Die Zehen, fand sie, sahen jünger aus, als sie sich fühlte. Vielleicht war der Junge mit dem Kormoran nicht weggeblieben, weil sie ihm zu alt war – falls er sie überhaupt gesehen hatte. Vielleicht war er krank, oder er war so viel früher hinausgefahren, wie sie später gekommen war. Wenn sie so viel später gekommen war, wie sie sich zu alt fühlte, mochte er so viel früher hinausgefahren sein, wie er jünger war. Sie lachte leise über die wirren Gedanken und beschloss, dass sie wohl müde sei.
Müde von sechzig Tagen des Herumziehens, von Musik und Liedern und anstrengendem Unsinn, von neu verknüpften Fetzen alter Komödien und vom Seiltanz und anderen Einlagen zwischen den Mimus-Teilen. Von der Hitze, von den mühsam abgewiesenen Männern, die alle Schauspielerinnen für Dirnen hielten und alle Schauspieler für Lustknaben …
Einen hatte es gegeben, mit dem sie nicht ungern im Gesträuch verschwunden wäre, aber die Dörfler hatten sie gewarnt: Er sei der Sohn eines Senators, und der Senator sei von altertümlicher Tugendhaftigkeit, ein wahrer Cato. Man wusste nie, ob solch ein Mann sein Missfallen nicht durch das Erwirken eines Auftrittsverbots bekunden würde, deshalb hatte sie dem jungen Mann zu regem Gebrauch der eigenen (gepflegten) Hände geraten.
Als sie Schritte hörte, wandte sie sich vom Meer dem äußeren Hafenbecken zu. Aber es war nicht der Junge mit dem Kormoran, sondern einer der Soldaten, die auf den Molen für Ordnung sorgen sollten und den Leuchtturm bewachen und bedienen mussten. Er musterte sie, dann lächelte er und hob die Schultern. Mit einem zahnbesetzten Stift öffnete er den Riegel des Gittertors vor dem brückenähnlichen Steg, der zur künstlichen Insel und dem Leuchtturm führte.
»Wenn du«, sagte er über die Schulter, »nichts Besseres zu tun hast – ah, sagen wir, nichts Schlechteres –, darfst du mir gern beim Drehen der Spiegelflächen helfen.«
»O tapferer Krieger, ich habe anderes zu tun. Aber welche seltsamen Körperteile plagen dich so, dass ich dir helfen soll, sie zu drehen?«
Er lachte. »Zapfen, die sich in Drehgelenke schmiegen möchten, aber was soll ich dir erzählen? Du kennst das doch alles.«
»Die Annehmlichkeiten ebenso wie das andere. Aber sag mir, da du dich hier auskennst: Hast du den Jungen mit dem Kormoran gesehen?«
»Den kleinen Schuft? Bist du seine ältere Schwester?«
»Nein; warum?«
Der Mann schüttelte den Kopf; etwas wie milder Tadel lag in seiner Stimme, als er sagte: »Der Junge sollte jeden Tag mindestens dreimal geprügelt werden, damit er nicht immer jene Fremden bestiehlt, die dann den lautesten Ärger machen.«
»Ich will es ihm sagen, wenn ich ihn sehe – aber hast du ihn heute gesehen?«
»Heute früh.«
»Ah, gut; ich hatte schon Angst, er könnte krank sein.«
»Angst? Für mich wäre es lustvolle Hoffnung.«
»Dann ist also nicht nur dein Tun, sondern auch dein Hoffen auf Lust gerichtet.«
Der Krieger steckte den gezahnten Stift in den Beutel an seinem Gürtel und kam zu ihr. »Ist deine Zunge auch bei anderen Verrichtungen so flink? Hübsch bist du, muss ich sagen; willst du mir wirklich nicht helfen, den Turm zum Schwanken zu bringen?«
Sie erhob sich, die Sandalen in der linken Hand, und lachte ihm ins Gesicht.
»Verwegener Krieger – Centurio – Tribun – Hüter des nächtlichen Leuchtens – ich hätte Angst, dass der Turm kippt.«
»Das Schiff da unten« – er stampfte auf den Boden – »ist gut gefüllt, beschwert und verankert; es wird nicht kippen.« Er streckte die Hand aus und berührte ihre Wange.
»Schiff? Wieso Schiff?« Sie kannte die Geschichte, aber da er nun ihren Arm festhielt, wollte sie ihn ablenken.
»Das Schiff, mit dem Caligula – die Herren der Unterwelt mögen ihm erlesene Qualen bereiten, aber wahrscheinlich ehren sie ihn als ihresgleichen –, also, mit dem Caligula einen Obelisken, größeres wiewohl minderes Abbild seines göttlichen Phallus, aus Ägypten holen ließ. Claudius hat es später mit Zement füllen und hier versenken lassen, an der Nordspitze der Mole, als Sockel für den Leuchtturm.« Er hielt noch immer ihren Arm fest, mit kräftigem Griff, und zog sie näher.
»Kluger Krieger«, sagte sie halblaut; dabei betrachtete sie sein Gesicht. Ein junges, offenes, helles Gesicht mit Augen, die gern zwinkerten und in denen Spott leuchtete. »Für einen einfachen Krieger redest du zu gut.«
»Es gibt andere Dinge, die ich auch beherrsche. Der einfache Krieger ist ein Befehlshaber und heißt Gaius Pacuvius.«
Der Griff war fest, nicht schmerzhaft, und sie fand weder die Berührung noch die Nähe unangenehm. Trotzdem, sagte sie sich, ist eine Nacht im Leuchtturm nicht das Ziel dieser Reise …
»Was macht Pacuvius der Befehlshaber auf dem Turm am Hafen der Kaiser?«, sagte sie mit übertrieben weicher Stimme und einem Augenaufschlag.
»Pacuvius will auf gewisse Dinge achten, die den gewöhnlichen Leuchtturmwärter überfordern könnten. Allzu viele Schiffe, zum Beispiel. Und …«
»Und dabei sollte ich das Verbrechen begehen, dich abzulenken?«
»Manche Verbrechen ergänzen die Pflichterfüllung vortrefflich. Außerdem wird der Leuchtturmwärter wie üblich das lodernde Feuer entzünden; nicht alle Aufmerksamkeit geht von mir aus.«
»Wird er nicht bittere Tränen weinen, wenn du während seiner Arbeitszeit ersprießliche Dinge begehst?«
»Wen kümmern die Tränen eines Türmers? Ist nicht die Lust des Befehlshabers mehr als …«
Sie sah an ihm vorbei, zum offenen Gitter vor dem Steg, und unterbrach ihn. »He, du darfst da nicht rein!«
Pacuvius fuhr herum; dabei ließ er sie beinahe los. Sie riss den Arm ganz aus seinem Griff und lief leichtfüßig über die Mole nach Süden.
»Ein schäbiger Scherz«, rief er hinter ihr her, aber er klang eher belustigt denn erbost.
Sie blieb kurz stehen, wandte sich halb um, lachte und sagte: »Gaius ist ein Dummkopf.« Dann ging sie weiter.
Zwei Jahre zuvor hatte sie den Jungen mit dem Kormoran zum ersten Mal gesehen. Die Mimen des Mopsos waren nach Ostia gekommen, um den Reichen, die sich in der verlandeten Hafenstadt an Seewind und Mücken erbauten, ein wenig Zerstreuung zu bieten. Ablenkung von der mühseligen Beaufsichtigung der Sklaven, die in den Salinen arbeiteten, Ablenkung vom kargen Leben in ärmlichen Palästen. Ostia war Sommerfrische und Zuflucht, nah bei Rom und doch fernab, als Ort der Genesung und des Ausheilens empfohlen von Ärzten, die sich auf Krankheiten der Wohlhabenden verstanden.
Jemand hatte damals die Truppe angeheuert, um »die Öde des Provinzlebens durch den Trübsinn der Kunst zu vertiefen«. Für den Mann – sie erinnerte sich an das Gesicht, konnte sich aber nicht auf den Namen besinnen – und seine Sippe sowie Nachbarn und sonstige Schaulustige hatten sie Teile aus mehreren Plautus-Stücken aufgeführt, einen halben Menandros, laute derbe Volksszenen nach Art der atellischen Komödie, unterbrochen oder verbunden durch Lieder und Gaukelei.
Ein greiser Händler wünschte sich Die Vögel des Aristophanes auf Griechisch. Mopsos besaß eine Rolle; nach zwei Tagen flüchtigen Probens zwischen anderen Aufführungen brachten sie das Stück eher schlecht als recht zustande. An diesem dritten Abend, kurz bevor der Sonnenuntergang die Darbietungen beendete, war Korinna in der Maske des Wiedehopfs von der behelfsmäßigen Bühne gegangen – ein paar bemalte Bretter vor einer Hauswand – und hatte gemeint, im Beutel eines Zuschauers eine Schlange verschwinden zu sehen. Später, als die Haushaltssklaven des greisen Händlers Mimen und Gäste mit Brot, Fisch und Wein versorgten, hörte sie den Mann mit dem Beutel das Verschwinden von Geldstücken beklagen und »Diebsgesindel und Mimen« beschimpfen.
Mit dem Rest des gerollten Fladens und einer Lederflasche ging sie zum Flussufer, um sich vom Lärm und von der Arbeit zu erholen. Neben einer Anlegestelle, die wenige Schritte in den Tiber ragte, fand sie den Jungen. Er nestelte gerade an der winzigen Öse, um den Schlangenhals des Kormorans vom Ring zu befreien. Im Zwielicht nach Sonnenuntergang konnte sie die Bewegungen nicht sehen, nur ahnen; es war ihr auch nicht möglich zu sagen, ob der Hals des Vogels an den Seiten weiße oder graue Federn hatte.
»Gibt man geflügelten Räubern Namen?«
Der Junge verzog keine Miene – oder wenn, dann so geringfügig, dass die zunehmende Dunkelheit alles verbarg.
»Epulo«, sagte er.
»Der Fresser?« Sie lachte leise. »Wie treffend. Hat er genug gefressen?«
»Nicht von euch. Das wäre … ehrlos.«
Schweigend biss sie in die gefüllte Fladenrolle. Sie war erstaunt über dieses Wort im Mund eines kaum Achtjährigen; und sie sagte sich, dass diese mutmaßliche Ehre etwas mit der Zugehörigkeit zur gleichen Zunft zu tun haben musste – Räuber, Dirnen, Schauspieler. Und Kormorane.
»Hast du Hunger?«
Als der Junge nickte, gab sie ihm den Rest des Fladens. Sie wartete, bis alles vertilgt war, dann reichte sie ihm die Lederflasche, die verdünnten Wein enthielt; dabei sagte sie: »Und du? Hast du auch einen Namen?«
Er trank, wischte sich den Mund und schaute auf den dunklen Fluss hinaus, wo Epulo badete, fischte oder andere Dinge tat. Sie wusste nicht, was Kormorane nachts trieben und ob sie im Dunkel sehen konnten.
»Batrax.«
»Batrax? Was für ein Name ist das?«
»Die ihn mir gab, war eine Griechin. In Portus.« Er wies über den Fluss, nach Norden; dann stand er auf und gab ihr die Lederflasche zurück. Er trug nur einen Leibschurz mit einer grob aufgenähten Tasche, in der etwas klirrte, als er sich bewegte. Sogar im zunehmenden Dunkel bildete sie sich ein, seine Rippen zählen zu können, und als er ihr den Rücken zuwandte, sah sie die Spur einer Wunde auf der linken Schulter. Es mochte ein schlecht verheilter Peitschenhieb sein.
»Deine Mutter?«
Er antwortete nicht; mit einer fließenden Bewegung glitt er in den Tiber und verschwand in der Nacht. Sie hörte einen seltsamen Pfiff – Klagelaut einer liebeskranken Sirene, sagte sie sich – und ein Plätschern, dann nichts mehr.
Sie grübelte ein wenig, bis sie eine Erklärung für den Namen fand. Wenn »die ihn mir gab« Griechin gewesen war, mochte es sich um eine Abwandlung von batrakos handeln, Frosch, ein Kosename, wie man ihn kleinen Kindern gab. Und sicher angenehmer zu tragen als die lateinische Entsprechung rana. Die außerdem hier, wo immer noch viele Etrusker lebten, als etruskischer Mädchenname einem Jungen das Leben schwer machen konnte.
Sie hatte ihn fast vergessen, als sie drei Monate danach, im Winter, eines Morgens Rom verließ, um die fünfzehn Meilen zum Hafen der Kaiser zurückzulegen. Sie wollte ans Meer, salzige Luft atmen und Wellen sehen, und in den nächsten sechs Tagen gab es für die Mimen nichts zu tun. Es war schon fast Abend, als sie die Stadt erreichte und bald wieder verließ, um nächtlichen Dieben und Totschlägern zu entgehen. Sie verbrachte die Nacht hinter einem der zahllosen Schuppen am Kanal, durch den Kaiser Traianus das auf seinen Befehl angelegte innere Hafenbecken mit dem Tiber hatte verbinden lassen. Am folgenden Morgen wanderte sie durch die besseren Straßen, an denen Wohn- und Handelshäuser standen, bewunderte das sechseckige Hafenbecken und die für den Winter oder jedenfalls für die nächsten Tage vertäuten Schiffe. Bei einem Stand kaufte sie für ein paar As Brot und Fisch; dann setzte sie sich auf die Kaimauer, ließ die Beine baumeln und aß. Plötzlich sagte hinter ihr eine Stimme: »Nicht meine Mutter. Sie hat mich irgendwo gefunden und aufgezogen. Vor zwei Jahren ist sie gestorben.«
Epulo hockte auf der Schulter von Batrax, der auch an diesem kühlen Tag nichts außer dem Leibschurz trug. Allerdings hatte der Junge eine zusammengerollte grobe Wolldecke unter dem Arm.
»Hast du Hunger?« Korinna war beinahe froh, Brot und Fisch mit dem Jungen teilen zu können; sie hätte nicht gewusst, wie sie auf die Wiederaufnahme des Dialogs antworten sollte.
Batrax schüttelte den Kopf. »Man sollte nicht öfter als einmal am Tag essen. Man gewöhnt sich sonst daran.«
»Hast du schon gegessen?«
»Nein. Es ist noch zu früh.«
»Wo und wie lebst du denn, seit die Griechin gestorben ist?«
Der Junge legte einen Finger an den Schnabel des Kormorans. Epulo wackelte mit dem Kopf und stieß ein Geräusch aus, das Korinna nur als »Schnaufen« bezeichnen konnte.
»Wir fangen Fische«, sagte Batrax. Er berührte den Ring am Hals des Vogels.
»Und wo?«
»Ah, hier und da. Soll ich es dir zeigen?«
Und er zeigte ihr Portus, vom Kanal des Traianus im Süden bis zu den Salinen weit nördlich, jenseits der Strandhütten der armen Fischerfamilien. Er führte sie durch das Labyrinth der Schuppen und Lagerhäuser, zeigte ihr die besten Schenken und die weniger guten, deren Preise erschwinglicher waren; er machte sie bekannt mit einem blinden Freigelassenen, der davon lebte, dass er eine Art Harfe spielte und dazu zotige Verse sang, und mit einer Menge von Stauern, Hafendirnen, Fischern, Segelmachern und Schanksklavinnen. Sie alle schienen irgendwie mit ihm verwandt zu sein. Er zeigte ihr die üppigen Häuser der Reichen, der großen Händler und Schiffseigner östlich des inneren Hafens, und erklärte ihr, wie die Hebebäume bedient wurden, die auf dem Kai und weiter draußen, am Außenhafen, auf den beiden Molen standen.
Natürlich nicht alles auf einmal; es dauerte viele Monate und zahlreiche Besuche. Korinna kam immer wieder zum Hafen, meistens zu Fuß, manchmal mit dem Karren des einen oder anderen Händlers aus Rom. Nach und nach erfuhr sie mehr über das bisherige Leben des Jungen, ohne je sagen zu können, wieso ihr an ihm überhaupt etwas lag. Vielleicht war es die verblasste Erinnerung an die beiden jüngeren Brüder.
Batrax war wortkarg und geschwätzig, mürrisch und witzig, grob und sanft, je nach dem Stand des Mondes, der Richtung des Windes oder der Laune der Fische. Nach Korinnas Geschichte fragte er nie, vielleicht aus Scheu, vielleicht weil er selbst so verschlossen war und nur Auskünfte gab, wenn Korinna bohrte. Falls überhaupt.
Einmal war er ein wenig gesprächiger; so erfuhr sie mehr über seine Kindheit. Nicht viel, aber immerhin. Die Griechin, sagte er, habe ihn ausgesetzt in Rom gefunden, wenige Tage nach dem Tod ihres eigenen einzigen Kinds, und sie habe ihn mitgenommen. Eine Freigelassene, vielleicht aber auch Entflohene, die eine Weile mit einem Fischer in einer der Schilfhütten nördlich des Hafens lebte und nach dessen Tod ihren Körper an die fremden Seeleute verkaufte. Einer der Männer, ein bärtiger Hispanier, hatte ihm nach einer lauten Nacht in der Hütte den jungen Kormoran geschenkt. Oder er war froh gewesen, ein nutzloses Tier abgeben zu können. Bald darauf kam die Frau bei einem nächtlichen Handgemenge ums Leben.
»Und seitdem?«
»Seitdem all das.« Batrax machte eine Armbewegung, die den Hafen und die Stadt und das Hinterland einschloss.
Einer der besten Schlafplätze, die der Junge ihr gezeigt hatte, befand sich zwischen zwei großen Lagerhäusern am Kanal. Dort gab es eine mit weichem Gras bestandene Senke, einen winzigen, aber sauberen Wasserlauf, verwilderte Obstbäume und kriechendes Gesträuch mit allerlei essbaren Beeren. Und es gab die beiden Gebäude, die den Seewind abhielten.
Aber an diesem Abend, als sie den Mann namens Gaius Pacuvius am Leuchtturm zurückließ und den Jungen mit dem Kormoran nicht finden konnte, war die Senke belegt. Mindestens drei Paare tummelten sich dort; Korinna verzog sich geräuschlos und suchte im Gewirr der Werkstätten und Schuppen am inneren Hafen die Hütte des Etruskers mit dem unhandlichen Namen Larth, an dem sie sich in Gedanken entweder die Zunge verknäuelte oder den Rachen aufriss. Der Fischhändler, der sie mitgenommen hatte, kannte den alten Segelmacher und hatte ihr gesagt, wenn sie seinen Namen erwähnte, werde Larth sie ohne Zweifel auf einem Haufen Tuchfetzen schlafen lassen.
Sie brauchte nicht viel zu reden. Der Segelmacher musste an die sechzig Jahre alt sein und saß gründlich betrunken vor seinem Schuppen, wo er die Sterne am Boden einer Amphore zu zählen und den Nachthimmel leer zu trinken beabsichtigte, wie er sagte. Sie erwähnte Manlius, und Larth ließ sie aus dem Gefäß trinken. Plötzlich fiel er um und begann zu schnarchen.
Korinna deckte ihn mit ein paar Segelfetzen zu, trug dann weitere alte, löchrige, nach Fisch und Pech stinkende Tücher zur Rückseite des Schuppens und kroch in den Haufen aus Lumpen. Eigentlich wollte sie denken, drei oder vier würzige Reden, die sie am Hafen gehört hatte, in eine Art Versform bringen und zu einem Dialog erweitern, aber dann schlief sie ein, ehe sie auch nur zur Hälfte der Gedanken gediehen war.
Sie hatte Häfen immer geliebt. Vielleicht, weil Häfen überall gleich riechen und ebenso verlorene Heimat sind wie lockende Fremde. Vielleicht, weil sie sich mit ihrer Hilfe in den kleinen Hafen zurückdenken konnte, in dem sie so oft den Vater verabschiedet und erwartet hatte – bis das Schiff mit ihm und den anderen eines Tages nicht heimkehrte.
»Vielleicht«, dachte sie, »höre ich jetzt auf, Unsinn zu träumen, und erwache«. Die alten Segelfetzen, die als Decke und Lager gedient hatten, kratzten und stanken, und hinter dem Schuppen stieg die Sonne; die Schattenkante erreichte schon ihre Füße.
Aber sie schloss die Augen wieder und blieb liegen. Ein paar Atemzüge lang, sagte sie sich; lang genug, um die Erleichterung zu genießen und den lebhaften Traum zu bewahren. Das Lächeln des Vaters, der mit den vier anderen zum Fischen hinausfuhr. Der Geruch des kleinen rhodischen Hafens. Die seltsame Erleichterung, in diesem Teil des Traums erwacht zu sein.
Etwas musste sie geweckt haben, denn gewöhnlich – drei- oder viermal im Jahr – schloss der Traum anders. Mit dem wahren Ende.
Das Boot, das nicht zurückkam. Die Familien der verschwundenen, zweifellos toten Fischer. Das neue Boot, noch nicht abbezahlt.
Bei den anderen gab es mehr Verwandte; irgendwie gelang es den Familien, die Schulden zu tilgen, indem Onkel und Großeltern und Vettern dritten Grades und Freunde ihrerseits Schulden machten oder Besitztümer verkauften … Aber Korinnas Eltern kamen aus Miletos, und auf Rhodos hatten sie keine Verwandten.
Das Boot war in einer kleinen Werft gebaut worden; an der Werft beteiligt waren zwei Tempel und eine Bank. Der Schiffbauer trat seine Ansprüche an die Bank ab, da er nicht in die Versklavung von Schuldnern verwickelt werden wollte. Korinnas Mutter wurde von einem samischen Händler gekauft, die beiden kleinen Brüder nahm ein Ägypter, und ein Römer erwarb Korinna. Das Letzte, was sie von einem der Brüder sah, dem Vierjährigen, war das später im Traum immer riesenhaft vergrößerte Mal auf der linken Hinterbacke. Etwas in der Form einer großen Muschel. Die Brüder hatten es, der Großvater hatte es gehabt – aber den hatte sie nicht gekannt – und ebenso der Vater. Es kam wohl nur bei den Männern der Familie vor, denn sie hatte es nicht. Und der Vater hatte dies Muschelmal den Fischen und Muscheln zurückerstattet.
Mit verquerer Befriedigung stellte sie fest, dass es ihr gelungen war, die Erleichterung über das Erwachen durch beflissenes Erinnern in Trübsinn zu verwandeln. Den sie bald weiter verfinstern würde durch die Schreie der Mutter bei der Trennung und die Scheußlichkeiten, denen der Römer die Neunjährige unterzog – bis sie dreizehn war und er sie einem anderen verkaufte, der nicht nur mit Kindern –
Sie setzte sich auf, als der Lärm sie erreichte. Ein ungeheuerliches Schnaufen, Grunzen und Splittern; als ob der Minotaurus wütend die Kiste zerbeißen wollte, in der er ein schmackhaftes athenisches Mädchen vermutete. Der Lärm, der sie aus den peinigenden Erinnerungen riss, wie er sie zuvor aus dem Traum geholt hatte. Sie nahm dies jedenfalls an; denn nicht einmal der Hafen der Kaiser war groß genug für zwei verschiedene Arten solch unsäglichen Lärms.
Ihr Magen knurrte – nicht sehr laut, aber ausreichend, um sie zu einem schnellen Kichern zu bringen. Vielleicht hatte das Ungeheuer – der Minotaurus – ja gar nicht gebrüllt, sondern war nur hungrig.
Sie bedachte ihre gestrigen Speisen. Morgens ein wenig Obst und warmes verdünntes Bier, dann ein zwei Tage alter Brotfladen, an dem sie auf der langen Fahrt über die Via Portuensis geknabbert hatte – nicht mehr? Aber hier stank alles nach Fisch und Pech; wahrscheinlich hatte der jeden Gedanken an Speise tötende Ruch dafür gesorgt, dass sie nicht längst vor Hunger erwacht war.
War ihr – ein kurzer, unbehaglicher Gedanke, der gleich wieder verging – Hunger tötend das Menschenblut mit Haaren in den Schlummer gesickert? Ob sie die Erinnerung an Gerüche mitgenommen hatte in den Schlaf? Oder hatten die Gerüche sie in den Traum gezerrt? Ob es so etwas wie das Echo eines Geruchs gab? Ohne wirklich wach zu sein, konnte sie nicht zielgerichtet denken, aber sie bemerkte, dass etwas – irgendein Es – in ihr dachte, werkelte; der nie ganz zu betäubende Teil entwarf einen Dialog zwischen einem Duftmischer und einem Kitharisten, die von Stimmungen und Widerhall, von Duftsaiten und stinkenden Klängen sprachen. Und vom Geräusch geronnenen Bluts mit Haaren.
Wieder dieser Lärm. Nein, kein Minotaurus. Knirschen und Splittern und Getrampel, kein Knurren oder Gebrüll, irgendetwas dazwischen. Als habe ein trunkener oder brünstiger Elefant die Füße durch Tritte gegen eine Lagerwand entstaubt und dabei versucht, den Chor der Frösche des Aristophanes zu furzen. Und ein brüchiges Hebegerät zu besteigen, als Ersatz für eine Elefantenkuh. Dann Gejohle und Stimmengewirr; offenbar hatte das Ungeheuer Zuschauer.
Sie rieb sich die Augen und atmete tief. Salz, nasses Salz, Wasser; und erbärmlich stinkender Fisch. Morgengedanken, zähflüssig wie Fischsud; sie sagte sich, dass sie sich von den Fetzen des Nachtlagers entfernen und erst dann die Nase öffnen sollte. Nasenlider und die Feststellung des Mangels.
Sie ging zur Vorderseite des Schuppens, um dem Segelmacher zu danken, aber Larth war nirgends zu finden. Die Segelfetzen, auf und unter denen er geruht hatte, waren verschwunden, die Tür des Schuppens mit einem großen Schloss versperrt.
Alles roch nach altem Fisch. Greiser Fisch, in unruhigem Totenstand befindlich und immer noch nicht begraben. Was hatte Manlius gesagt? Unterwegs, als er von den Schwierigkeiten erzählte, in Rom gute Geschäfte mit schlechtem Fisch zu machen, und sie ihn mit Geschichten über misslungene Aufführungen tröstete – »Es gibt also kaum einen Unterschied zwischen dem Versuch, ein albernes Stück vor Leuten aufzuführen, die zufällig ernst gestimmt sind, und dem Versuch, alten Aal zu verkaufen, wenn der Käufer frischen Barsch möchte«. Sie hatte leise gelacht und gesagt: »Ich werde darüber nachdenken, ob Menandros ranziger Aal ist und Plautus duftender Schwertfisch.«
»Vielleicht sind beide – die ich nicht kenne – beides; jeder ist alles für den, der genau das sucht. Für die anderen ist alles nichts. Oder garum. Wie man aus Teilen aller Fische die scharfe Tunke zusammenkochen kann, lässt sich doch sicher auch mit Dramatikern verfahren.«
Der Fischhändler mochte, ohne es zu wissen, etwas sehr Kluges gesagt haben. Vielleicht war Korinna zum Hafen gefahren, um Bilder und Wörter und Gerüche für eine Mimus-Tunke zu finden. Aber Tunke war Beigabe; eigentlich suchte sie das wirkliche Essen.
Sie hob die Schultern; dann sagte sie leise »au«. Das linke Gelenk schmerzte immer noch, seit dem Sturz vor zehn Tagen, als sie bei einem Überschlag vom Seil gerutscht war.
Wieder schwappte wie eine mehrfach gebrochene Brandung der ungeheuerliche Lärm über die Gassen und Schuppen. Aber je weiter sie ging, desto stiller schien die unmittelbare Umgebung zu sein. Sie fürchtete schon, sich verirrt zu haben im Gewirr der Gebäude und herumliegenden Gerätschaften. Irgendwie erschien es geziemend, wenn nicht gar unabdingbar, dass der wichtigste Hafen der wichtigsten Stadt des bewohnbaren Erdkreises ein Labyrinth sei; aber dann erreichte sie endlich den kleinen Platz, an dem Manlius sie am Vortag abgesetzt hatte.
Vor der Schenke war es ebenso still wie zwischen den Schuppen. Sie begann, sich zu fragen, ob es vielleicht doch viel früher sei als angenommen; aber da hörte sie erneut das unbeschreibliche Tosen des Lärms, diesmal gefolgt von Gejohle und vielen Stimmen, die offenbar Meinungen äußerten oder jemanden – etwas? – anfeuerten.
Unter dem Geländer des Schwertfisch, wo gestern die seltsamen Männer gelehnt hatten, mit denen Manlius wohl verabredet gewesen war, kauerte ein kleines Mädchen mit einem winzigen Tier in der Hand. Bilch, Haselmaus, Lurch?
Korinna überlegte noch, ob das winzige Tier in einer anderen Gegenwart, einer fantastischen Reisegeschichte nach Art des großen Lukianos, Mittelpunkt des Labyrinths und Quell des fürchterlichen Lärms sein könnte, als sie das Hexagon des inneren Hafens erreichte. Wo die beiden für sie nächsten Seiten des Beckens zusammenstießen, stand ein Pfosten; manchmal brachten dort Leute, die etwas zu verkaufen hatten oder jemanden suchten, Schrifttäfelchen an. Dort blieb sie stehen.
Der Himmel über dem Hafen und dem Meer war blau; vermutlich hatte ein kräftiger Morgenwind alle Wolken landeinwärts geweht, als sie noch schlief. Nun ging nur eine leichte Brise, die an den wenigen nicht gerefften Segeln der Schiffe im Becken rupfte. Hier und da knirschten wahrscheinlich Bordwände aneinander, aber im Hexagon blieb kaum Platz für Bewegungen oder gar Zusammenstöße. Die Schiffe lagen so eng, dass man von einer Seite des Hafens zur anderen hätte gehen können, ohne nasse Füße zu bekommen.
Sie sah Boote mit Marmorblöcken aus den Steinbrüchen an der Küste im Norden Etruriens und mindestens zwei Schiffe, deren eingerollte Segel rötlich waren und deren Bugverzierungen sie als Besitz eines hispanischen Großhändlers auswiesen, der Weizen und Oliven nach Rom lieferte. Sie sah Schiffe, die Krieger irgendeiner fernen Legion für den Winter heim ans italische Gestade gebracht hatten und noch nicht anlegen konnten, weil die Kais voll waren. Sie sah Berge von Käfigen, zu ihrer Linken aufgetürmt zwischen einer Garküche und dem festgemachten Frachtschiff, und in den Käfigen saßen oder zappelten bunte Vögel und kleine Affen. Daneben lag ein Schiff, aus dem kleine spitzbödige Gefäße zu Gestellen getragen wurden, die auf niedrigen Karren standen – Duftwässer vielleicht oder kostbare Öle. Ungläubig sah sie mehrere Dutzend kleiner Krokodile mit Lederkragen, an denen dünne Ketten befestigt waren; die halb nackten Männer, die mit Geschrei und Gefuchtel für die Tiere einen Weg durch die Menge bahnten, mussten wärmeren Gegenden entstammen und froren wahrscheinlich. Sie sah Bottiche mit Seewasser, in dem vielfarbige Fische schwammen, für die Gartenbecken der Reichen bestimmt oder für Kästen aus Glas, die sie in ihren Häusern aufstellten. Sie sah Körbe mit Bernstein und Amphoren, in denen stinkendes Steinöl aus den Ödländern Arabiens zur Verbrennung nach Rom gebracht wurde. An einer der Seiten des Hexagons sah sie Männer der Wachkohorte, die mit gesenkten Speeren ein Schiff am Festmachen hinderten, und sie sagte sich, dass man dort wahrscheinlich einen Gesandten oder hohen Offizier erwartete, für den dieser Abschnitt frei gehalten werden sollte. (»Vorgestern einer aus Syrien, gestern der Legat aus Narbo, heute der Statthalter der Baetica, morgen ein hochmögendes Tier aus Numidien«, sagte einer der Männer laut, als jemand fragte.) Sie sah wippende bräunliche Flecken an Bord eines Frachters, der im Gedränge mitten im Becken steckte, und es dauerte einige Atemzüge, bis sie aus den sichtbaren Umrissen auf Kamele schloss, deren restliche Körper durch Bordwände und Aufbauten verdeckt waren.
Sie hörte die Stimmen der Tausende, die befahlen und forderten, Waren feilboten, fluchten, fragten oder sich möglichst laut unterhielten. Sie hörte das Geschrei der Möwen, knirschendes Holz, schwappendes leckendes Wasser, vom anderen Ende des Beckens den rhythmischen Arbeitsgesang einer Gruppe von Seeleuten, die schwere Lasten aus einem Schiffsrumpf hievten, das Singen und Peitschen eines allzu straffen Taus, das belastet und berührt wurde und riss.
Sie roch sardischen Schafskäse und korsischen Honig, getrocknete Feigen und Datteln aus Afrika, den Essig eines gebrochenen Gefäßes und den Wein einer berstenden Amphore, das säuerliche Gemenge, das entstand, als die beiden Flüssigkeiten sich vermählten, den süßlichen Hauch eines nicht ausreichend verstöpselten Krugs mit Sesamöl, den Schweiß und das Salz und die Abfälle im brackigen Wasser, die seltsame Ausdünstung der jungen Krokodile, den stechenden Ruch eines Panthers, den sechs Männer mit seinem Käfig auf einen Wagen stemmten, Melonen, frischen Fisch, Salzfisch, Bratensaft aus einer Garküche, in der Rinderviertel sich über glimmenden Buchenscheiten drehten, und den Hauch von Bratfisch aus einer anderen Stube, vermengt und verschwistert und verzahnt mit dem steilen, düsteren Duft vom Bäckerstand daneben, dessen Besitzer einige Fladen hatte anbrennen lassen.
Und während sie dort stand und die halb nackten Lastträger sah und den roten Helmbusch eines Offiziers, der zu den wartenden Kriegern ging und auf etwas im Becken deutete, und die Dirne mit hochgebundener weißer Tunika, roter Hüftschärpe und fast bläulich schimmerndem schwarzen Haar, erblickte sie plötzlich die dicht gedrängte Gruppe von Schaulustigen vor einem großen Frachtschiff weiter rechts und sagte sich, dass dort vielleicht das Ungeheuer lauerte, auf dessen nächstes Getöse sie wartete.
Es war ein riesiges Frachtschiff, das dort am Hauptkai lag, mit seltsamen Aufbauten und einer Brücke am Bug. Nein, keine Brücke, dachte sie, als sie näher kam und auf einen Befestigungsblock stieg, um über die gaffenden, johlenden Männer hinwegsehen zu können. Es war eher eine große Klappe; offenbar ließ sich der ganze Bug oberhalb der Wasserlinie öffnen, indem man mit Seilwinden das Oberteil anhob. Darunter führte eine Art Brücke aus Holz auf den Kai; und über diese Brücke sollte das Tier gehen. Das Tier, das schnaubte und grunzte und rechts wie links gegen die Schiffsplanken trat. Ein mächtiges, gepanzertes Tier mit zwei Hörnern auf der Nase.
Sie hatte Bilder gesehen und den Namen gehört; sie wusste, dass hin und wieder solch ein Ungeheuer in eine der Arenen des Kaisers gebracht wurde, um dort langwierige und blutige Kämpfe mit berauschten Elefanten oder todgeweihten Gladiatoren auszutragen. Aber gesehen hatte sie noch keines dieser Tiere, die man Rhinozeros nannte; und eigentlich war sie überzeugt davon, dass es sich doch um den Minotaurus handelte. Oder dass der Minotaurus der Geschichten ein Rhinozeros gewesen sein musste. Was war schon eine Missgeburt, Ergebnis der Kreuzung eines – vielleicht nicht einmal göttlichen – Stiers und einer beklagenswerten Frau, verglichen mit diesem Erzeugnis einer wüsten, gleichzeitig epischen und wahnsinnigen Natur?
Seeleute oder Tierpfleger – falls man ein Ungeheuer pflegen konnte – versuchten mit langen Stangen, Speeren, Knüppeln und Geschrei, das Rhinozeros aus dem Schiff an Land zu treiben. Aber das Tier regte sich nicht, oder jedenfalls nicht nach vorn. Seitlich, ja, und immer wieder ein wenig zurück; dorthin, wo noch Holz war, das splittern konnte, wo es Männer gab, die schreiend zurückwichen oder an Tauen und Planken emporkletterten. Nur nicht vorwärts. Als ob das Schiff (und Korinna stellte sich vor, mit welcher Mühe das Tier vom festen Land ins Schiff getrieben worden war) einzige vorstellbare Heimat sei, als ob das Rhinozeros beschlossen hätte, nie wieder langweiliges, festes, trockenes Land zu betreten, das nicht schaukelte und wo es nichts zu zertrümmern gab.
Einer der Seeleute war über die hochgeklappte Bugöffnung auf den Kai geklommen; nun stand er dort und fuchtelte mit etwas. Ein Brot? Eine große Frucht? Korinna war nicht nah genug, um es genau sehen zu können; es musste sich aber um etwas handeln, das das Tier schätzte. Oder vielleicht auch etwas, das es hasste, auf das es gleich brüllend losgehen würde. Was mochte es dort, wo es herkam, gegessen haben, und wie musste es für die Seeleute sein, endlose Tage an Bord eines Schiffes mit einem Nashorn, einem Elefanten oder einem Dutzend kleiner Krokodile zu verbringen, sie zu füttern, ihre Gehege zu reinigen und ihre Ausdünstungen zu atmen? Und: Wer hatte das Tier bestellt, wohin sollte es gebracht werden, wie wollte man das Ungeheuer auf dem Land befördern?
Aus der Menge der Zuschauer schälte sich ein Gesicht heraus; das breite Grinsen, sagte sie sich, schien von den Zügen losgelöst, gleichsam als gehe oder schwebe es dem Gesicht voraus. Der Mann, der dem Grinsen folgte und dabei heftig winkte, nannte sich Titus Iulius Catulus, behauptete, sowohl der iulischen als auch der catulischen Familie zu entstammen – »Nebenlinien, natürlich, sonst dürfte ich ja nicht spielen; aber immerhin« –, und leitete eine wandernde Mimengruppe. Die »Mimystiker« waren nicht schlecht, aber für Korinnas Geschmack ein wenig zu sehr auf derbe, volkstümliche Aufführungen bedacht. Die Antigone durfte man bei ihnen nicht erwarten. Catulus hatte schon einige Male versucht, Korinna zu seiner Truppe zu holen, und im Geiste suchte sie sich zu wappnen.
»Fürstin der Schreibenden!«, schrie er, als er noch gut zwanzig Schritte entfernt war. »Herrliche Mimin! Welch ein göttliches Gnadengeschenk, dich hier zu treffen!«
»Edler Mimystagoge – was treibt dich nach Portus?«
»Die Geschäfte, und die Neugier. Ein kleiner Auftritt im Haus eines Reichen.« Er rieb sich die Hände und strahlte Korinna an. »Nettes Tierchen, nicht wahr? Ich frage mich nur, was Marcus Aurelius damit anfangen will. Reiten, vielleicht?«
»Ach, ist das Nashorn für den Kaiser?«
»Beinahe. Es ist für Marcus Aurelius den Pontifex Maximus, und er wird es wohl in den alten Gärten Caesars unterbringen – du weißt schon, am Hang des Ianiculum. Die Gärten des Pontifex. Er hält da auch Löwen und Kamele.«
»Du scheinst schon länger hier zu sein und dich gründlich umgehört zu haben, nicht wahr?«
»Was bleibt mir anderes übrig?« Er reckte die Arme gen Himmel, und sein Gesicht wurde zu einer tragischen Maske. »Wir können nicht spielen, wir haben unseren Besten verloren. Arkesilaos ist nicht mehr.«
Korinna dachte an den großen fetten Mann, einen Sikelioten aus Syrakus, der unter seinen Wülsten eine bemerkenswerte Gabe verbarg: Er konnte die Stimmen, die Gebärden, den Gang aller Großen nachahmen, vom Kaiser über Senatoren bis zum Verwalter der jeweiligen Stadt oder Befehlshaber des nächsten Kriegerlagers. Man sagte, wenn er ein wenig abnähme, werde er Cicero ähneln, wenn er viel abnähme, dem Marcus Aurelius, und wenn er sich dem Hungern ergäbe, könnte er sogar den Gaius Iulius Caesar spielen.
»Ach, das tut mir leid. Wie ist es denn geschehen? Ist er geplatzt?«
Catulus blies die Wangen auf. »Schlimmer. Er hat sich kaufen lassen.«
»Ah. Dann lebt er also noch.«
»Nein, er ist gestorben – für mich, für uns. Und …«
»Wer hat ihn denn gekauft?«
»Das ist es ja.« Er schüttelte langsam den Kopf, ein Leidtragender, vergrämt und untröstlich. »Wenn es denn eine gute Truppe wäre, aber ausgerechnet die Bande von Tolmides!«
»Die Agoraphonier?« Korinna verzog den Mund. Ein bunter Haufen aus schlechten Musikern, Gauklern, Stelzenläufern und Deklamierern. »Ich wusste gar nicht, dass die genug Geld haben, um ihn abzuwerben.«
»Die wollen sogar einen ruhmreichen ehemaligen Gladiator und andere Schwertkämpfer anheuern, um Schaukämpfe auf Bühnen und Plätzen zu machen. Und sie haben einen neuen Mann dabei, der den Zuschauern in die Augen schaut und sie in Schlaf versetzt. Oder eine Art Schlaf, und dabei tun sie dann scheußliche oder zotige Dinge, und hinterher erinnern sie sich nicht daran. Ein Ägypter, glaube ich; wahrscheinlich bringt er die Leute dazu, ihr ganzes Geld an Tolmides zu verschenken. Aber da wir gerade von Geld reden …« Er setzte ein gewinnendes Lächeln auf.
Korinna seufzte lautlos. Catulus konnte innerhalb weniger Lidschläge tragisch und heiter und hysterisch und gescheit und versonnen blicken und noch ein Dutzend andere Ausdrücke aufsetzen, alle gleich überzeugend; was geschäftliche Besprechungen mit ihm schwierig machte, da man nie wissen konnte, wie ernst er etwas meinte und wie zuverlässig seine Angebote waren. »Ja?«, sagte sie, eher aus Neugier, wobei sie sich bemühte, ihm nicht durch Haltung oder Miene zu zeigen, dass sie nichts glauben und nichts annehmen würde. Was immer er bieten mochte – Mopsos zahlte zweifellos weniger, gab ihr aber mehr Möglichkeiten des Spielens und Schreibens.
»Was zahlt Mopsos dir? Euch?«
»Das Leben, die Unterkunft und ein paar Münzen, wenn wir etwas brauchen.«
»Karg, wie?« Catulus stülpte die Lippen vor. »Und das für eine Künstlerin, die nicht nur wunderbar spielt, sondern auch turnt und tanzt und schreibt?« Er zwinkerte. »Was hältst du von … eh, sagen wir, vier Sesterzen am Tag? Und Verteilung des Überschusses am Ende des Jahres? Leben und Unterkunft sowieso.«
Verlockend. Wenn sie ehrlich war, sogar sehr verlockend. Einen Sesterz und ein paar halbe und Viertel-As hatte sie im Beutel, und mehr als höchstens zwei Sesterzen hatte sie von Mopsos nie bekommen. Aber … die Truppe war Familie, und bei Mopsos konnte sie Antigone und Deianeira und Medea sein und Bauerntrampel und Sklavin und Magd; bei Catulus …
»Du ehrst mich«, sagte sie. »Aber die Treue, weißt du? Ich habe Mopsos und den anderen versprochen, sie mindestens noch ein Jahr zu verstärken. Oder zu schwächen, wie man’s nimmt.«
Catulus ächzte theatralisch. »Sechs Sesterzen – eineinhalb Denare am Tag?«
»Wenn ich demnächst hungern muss, werde ich mich daran erinnern, dass ich dein großmütiges Angebot abgelehnt habe; und dann werde ich weinen.«
Catulus hob die Hände, schüttelte den Kopf und wandte sich zum Gehen. Über die Schulter sagte er mit gehässiger Stimme: »Wenn du auf ein besseres Angebot versessen bist – die Agoraphonier samt Arkesilaos und diesem Schwertfuchtler Philippus sind nicht weit weg, auf einem Gut irgendwo in den Hügeln zwischen hier und Rom. Wenn du Tolmides morgens und abends einen lutschst, lässt er dich wahrscheinlich zwischen den Vorführungen auf Händen gehen. Für ein paar As. Aber erwarte nie wieder etwas von mir. Bah.«
Korinna stand eine Weile da und schaute blicklos auf den Hafen und in die Menge, die immer noch auf einen Wutanfall des Rhinozeros zu warten schien. Sie versuchte, nicht an Münzen zu denken. An Catulus, der bei der nächsten Begegnung wieder Angebote machen würde, oder an die Truppe des Tolmides. Ägyptische Zauberer? Arkesilaos? Der gerühmte Philippus? Angeblich Spross einer edlen Familie, der Ruhm als Wagenlenker und größeren Ruhm als Schwertkämpfer errungen hatte und nun zweierlei Ruhm zu verlieren bemüht war, indem er das Theater verheerte … Was für eine Art Truppe stellte Tolmides da zusammen? Aber dann sagte sie sich, dass nichts Vernünftiges herauskommen konnte, solange Tolmides dabei war.
Plötzlich spürte sie an der rechten Hand eine beinahe zaghafte Berührung und hörte Batrax sagen: »Außerdem hatte ich gestern keine Lust.«
Sie brauchte nicht zu fragen, was der erste Grund neben Unlust gewesen war; die Stimme des Jungen war die eines Kranken, die Hand war heiß, und seine Stirn glühte. Der Kormoran hockte auf der linken Schulter und blickte drein, als ob er sagen wollte: Tu etwas; wenn es ihm nicht bald besser geht, geht es mir bald schlechter.
»Komm.« Sie hielt die Hand des Jungen fest und zog ihn vom Kai zu den Ständen. Es gab wichtigere Dinge als die Reise- und Essgewohnheiten von Nashörnern oder die Münzen von Catulus.
Batrax machte keinen Versuch, sich ihr zu entziehen. So lange, wie sie ihn nun an der Hand hielt, hatte sie ihn noch nie berührt. »Misstrauische Freundschaft«, dachte sie, »kein Streicheln. Er muss wirklich krank sein.«
Abgesehen von diesem einen ersten Satz schwieg er. Widerspruchslos ließ er sich von Korinna zum Stand einer jungen Obstbäuerin bringen, mit der sie gelegentlich ein paar Scherzworte gewechselt hatte. Die Frauen betteten ihn hinter dem Stand auf den Umhang der Verkäuferin und breiteten eine Wolldecke über ihn.
»Ich werde ihm ein wenig Kräutersud beschaffen – aber was soll später aus ihm werden?«
Korinna überlegte nicht lange. »Am Nachmittag fahre ich mit einem Händlerkarren zurück nach Rom. Ich nehme ihn mit. Jemand muss sich um ihn kümmern.«
Die Bäuerin lachte. »Wie ich ihn kenne, lässt er das nur zu, wenn er ganz schwach ist. Und das sieht nicht wie ein gewöhnliches Herbstfieber aus. Kannst du dich denn um ihn kümmern?«
Korinna nickte. »Ich werde ihn einfach als meinen wiedergefundenen Sohn ausgeben. Die anderen werden mir nicht glauben, aber nichts dagegen tun.«
»Ich achte so lange auf ihn.« Sie wandte sich zu Batrax um. »Hörst du, kleiner Schurke? Ah, er schläft schon. Das ist wohl das Beste.«
Der Kormoran hockte neben dem Kopf des Jungen und trippelte ein wenig. Korinna beugte sich zu dem Tier hinab. Vorsichtig, um nicht gebissen zu werden – »auch dies misstrauische Freundschaft«, sagte sie sich –, löste sie die Öse des Halsrings. Epulo schnaufte leise, schüttelte sich und verschwand im Getümmel.
»Was, wenn er nicht zurückkommt?«, sagte die Bäuerin.
»Er kommt zurück.«
Als sie sicher war, Batrax bis zum Nachmittag dort lassen zu können, erinnerte sich Korinna an den eigenen Hunger. Im Geiste zählte sie ihre Münzen, verdrängte die Erinnerung an Catulus und beschloss, einen Tag der verantwortungslosen Üppigkeit einzulegen – vielleicht als Vorsorge gegen die Kargheit, die in der nächsten Zeit auf sie wartete, und zur Stärkung, falls Batrax länger Hilfe brauchen sollte.
Sie wanderte ein wenig an den Ständen vorbei und entschied sich schließlich für einen Napf mit säuerlich eingelegtem Lauch, auf den sie an einem anderen Stand einige Brocken Bratfisch legen ließ. Schließlich kaufte sie noch zwei Fladen Brot und sah sich nach einer guten Sitzgelegenheit um.
Dort, wo zwischen Hexagon und äußerem Becken der Kanal des Traianus abzweigte, befand sich eine Art Terrasse, ursprünglich wohl Aushub vom Kanalbau. Hier betrieb ein geschäftstüchtiger Wirt eine Schenke für jene, die gern mehr für ihr Essen bezahlten, wenn sie beim Verzehr aufs Meer und die Häfen schauen konnten. Es war ein flaches Holzgebäude mit rötlicher Bedeckung, die zu Kanal und Hafen hin so weit vorgezogen war, dass sie Tische, Bänke und Schemel auf der Terrasse beschirmte.
Unterhalb des Geländers ließ Korinna sich auf dem sandigen Boden nieder, aß und blickte auf den äußeren Hafen. Mit halbem Ohr lauschte sie den Rinnsalen der Gespräche, die von oben zu ihr herabrieselten. Ehe sie sich setzte, hatte sie gesehen, dass unter den Gästen jene Weitgereisten waren, von denen zwei solche seltsam schrägen Augen hatten. Die Männer unterhielten sich auf Griechisch über Geschäfte, aber auch über Belangloses; dem Tonfall entnahm sie, dass die Händler aus einer der asiatischen Provinzen kamen, vielleicht Kappadokien. Zwischendurch wechselten sie in eine andere Sprache, vermutlich die der Schrägäugigen; vergeblich versuchte Korinna, etwas davon zu erfassen. Es war eine Sprache mit vielen Tonhöhen, und sie schien nur aus kurzen Wörtern zu bestehen. Sie hatte derlei nie zuvor gehört und verstand nichts.
Dann setzten sich zwei andere Männer nah an den Rand der Terrasse, unmittelbar über ihr. Nachdem sie bei der Schankdienerin Braten, Brot und teuren Wein bestellt hatten, sagte einer von ihnen: »Wenn der Stadtpräfekt uns schon so weit reisen lässt, könnte er auch dafür sorgen, dass wir nicht bis zum Greisenalter hier sitzen und auf einen Wagen warten müssen.«
Es war eine kraftvolle, tiefe Stimme – die Stimme eines geübten Redners oder Vorträgers mit beinahe edler Aussprache. Der Mann musste, schätzte sie, um die vierzig sein; sein Griechisch war nicht die gewöhnliche koine, mit der man überall im östlichen Reich zurechtkam, sondern erlesenes Attisch ohne jeden hörbaren Ortseinschlag. Nicht das Attisch der Athener Märkte, sondern das der Akademie oder der alten Bühne.
Sein Gefährte besaß ebenfalls eine geschulte Stimme, wenn sie auch nicht so klangvoll war wie die des anderen.
»Ich staune immer noch über den Zufall, der uns beide gleichzeitig mit verschiedenen Schiffen hergebracht hat.«
Auch er sprach Attisch, aber da war ein seltsamer Nebenklang. Korinna bemühte sich, in allen ihr bekannten Sprachen nach ähnlichen Lauten zu suchen. Konnte der zweite Mann, der etwas jünger schien, aus Afrika stammen und gewöhnlich entweder Latein oder Punisch verwenden?
»Dieser Zufall«, sagte der Ältere, »ist nicht Gespinst der Olympier, sondern die römische Sorgfalt. Der Krieg gegen die Parther ist noch nicht zu Ende, aber sie machen sich schon Gedanken über den Triumph. Bis dahin?« Er kicherte leise. »Bis dahin fällt uns vielleicht etwas ein. Oder hast du dir etwa schon Gedanken gemacht, wie Lucius Verus und seine Unterfeldherren zu feiern sind?«
»Ich habe andere Dinge zu tun. Bessere. Aber wahrscheinlich wird auch Marcus Aurelius triumphieren; der Krieg wird ja in seinem Auftrag geführt. – Sag, ist diese Panthea wirklich so hinreißend, wie du sie beschrieben hast? So, als ob alle gebildeten Hetären der Vorzeit in ihr wiedergeboren wären?«
Korinna hätte beinahe den noch nicht ganz geleerten Napf fallen lassen. Zwei Männer, beide sprachen das Attisch der besten Dichter, einer hatte über die Beischläferin des Mitkaisers und Feldherrn Lucius Verus geschrieben … Nur einer hatte das getan, soweit sie wusste. Konnte es wirklich sein, dass sie hier zu Füßen des schon zu Lebzeiten unsterblichen Lukianos aus Samosata saß? Und wer war der andere?
»Sie ist klug und schön und zweifellos ein überwältigendes Erlebnis. Auch, wie ich annehme, zwischen den Decken; Verus schien oft übernächtigt.« Lukianos – wenn er es war – lachte flüchtig. »Aber du weißt ja, wie so etwas kommt. Warum man dies und das schreibt.«
»Hat man dir Geld geboten? Für diese Prosahymne auf eine schöne Frau?«
»Ah, wenn es das wäre, hätte ich kein Wort geschrieben. Nein, sie wollten, dass ich Lucius Verus preise. Er ist kein Mann, den ich zu preisen wünsche. Weder als Stratege – er überlässt alles seinen Leuten – noch als Mitkaiser oder als, nun ja, eben einfach als Mann.«
Nun lachte der andere. »Und da du nicht ablehnen kannst, ohne dich mit der Ungnade des Imperiums zu belasten, hast du beschlossen, nicht ihn unmittelbar, sondern die von ihm für sein Nachtlager Erwählte zu preisen. Und damit auch ihn, denn ihre Pracht lässt ihn glänzen, da er sie erwählt hat. War es so?«
»So war es, und es war … teuer. Sehr teuer. Vor allem, da sie sich zierlich gewehrt hat und ich eine zweite Schrift absondern musste. Doppelt teuer.«
»Und zu allem auch noch die gründlich bezahlte Reise nach Rom. Soll ich sagen, dass ich dich beneide?«
»Armer Mann!« Lukianos schnalzte. »Nachdem du dich bei den Isis-Verehrern so beliebt gemacht hast, wirst auch du nicht gerade hungern.«
»Jedenfalls – ein glücklicher Zufall, wenn es auch Fügung des praefectus urbanus ist. Ah, da kommt unser Wein.«
»Wohl gesprochen, mein Freund. Nach all den Jahren und Briefen endlich das Gesicht zu sehen und die gerühmte Stimme zu hören.«
»Und zu erfahren, dass du mir wirklich nicht zürnst, weil ich deinen Esel … gestohlen und neu gesattelt habe.«
Apuleius. Fast hätte Korinna den Namen gerufen. Apuleius aus Madaura: Verfasser der wundersamen und wunderlichen Metamorphosen, eines Buchs, das auch Der goldene Esel genannt wurde; scharfsinniger und witziger Prozessredner, der nicht nur eine Anklage wegen finsterer Magie überstanden, sondern die Ankläger auch noch vor der gesamten Oikumene lächerlich gemacht hatte. Und sie saß da, ungesehen, zu Füßen der größten Dichter – sie, kleine Schauspielerin, die hin und wieder zu schreiben wagte. Sollte sie aufstehen und sich als Angehörige der gleichen Zunft vorstellen? Ach, undenkbar.
Lukianos sagte eben: »Jetzt kann ich dich auch endlich fragen, ob du weißt, warum sie deine Metamorphosen auch Der goldene Esel nennen? Ich habe es zu ergründen versucht, bin aber zu keinem Schluss gekommen. Außer, natürlich, zu dem offensichtlichen, von dem ich aber nicht weiß, ob er stimmt.«
Apuleius klang zugleich erwartungsvoll und erheitert. »Was ist denn der für dich offensichtliche Schluss?«