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Die Geschichte von der netten älteren Dame, die im kalifornischen Sacramento eine mustergültige Seniorenpension betrieb – mit Komplettservice vom Begrüßungscocktail bis zur Bestattung im eigenen Garten.
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Seitenzahl: 33
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Christian Lunzer - Peter Hiess
Der Fall Dorothea Puente
Valium und Spitzenhäubchen
© 2016 cc-live
Kreittmayrstr. 26, 80335 München
Cover: cc-live
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95616-570-2
www.cc-live.net
Inhalt
Valium und Spitzenhäubchen
Quellen
Lust auf mehr?
Mütter, Töchter, Ehefrauen
Gift & Galle
Auf Messers Schneide
Weibliche Tugenden
Mörderische Arbeitsmarktverwaltung
Mord am Arbeitsplatz
Arbeitsplatz und Ausbildung
Die Autoren
Der Verlag
Impressum
Das Haus mit der Nummer 1426 in der F Street im viktorianischen Teil der Altstadt von Sacramento war sicher eines der hübschesten Gebäude der Straße, wenn nicht des ganzen Viertels. Es stand auf einem nach hinten abfallenden Grundstück, etwas zurückgesetzt vom Bürgersteig. Eine breite Freitreppe führte zu einer kleinen Veranda, von der man in die Bel-etage des ersten Stockwerks kam. Die Außenwände waren hellblau, die Fensterrahmen weiß gestrichen. Der kleine Vorplatz und der große Garten hinter dem Haus waren bestens gepflegt und voll mit Blumen und Ziersträuchern.
Dieses Schmuckstück war Dorothea Puentes Fremdenpension, weithin bekannt als gemütliche und dennoch kostengünstige Herberge. Am liebsten hatte die Pensionswirtin aber Dauergäste – und sie scheute auch keineswegs davor zurück, Mieter aufzunehmen, die ihr von der Wohlfahrt zugewiesen wurden: alte, oft kranke, immer aber schwierige Menschen, die niemanden mehr hatten, der sich um sie sorgte, und die von den Schecks der Fürsorge leben mussten. Gerade um sie kümmerte sich die Witwe Puente besonders rührend und beispielhaft.
Schon in aller Herrgottsfrühe putzte sie im Haus, bereitete dann ein reichhaltiges, im Pensionspreis inbegriffenes Frühstück aus Speck, Rühreiern und Ahornsirup-Pfannkuchen, brachte anschließend die Zimmer in Ordnung und arbeitete bis Mittag im Garten. Die Pension war einfach, aber sehr ordentlich eingerichtet und mit jeder Menge mexikanischer Nippes ausgestattet. Jedes Zimmer hatte Fernsehen und die Bettwäsche wurde einmal pro Woche gewechselt. Die meisten Gäste, die oft direkt von der Straße kamen, hatten seit Jahren nicht mehr in einer so gepflegten Umgebung gelebt. Dorothea Puente nahm sich auch im täglichen Leben fürsorglich ihrer Schutzbefohlenen an, verteilte Medikamente und überwachte deren Einnahme, besorgte die entsprechenden Rezepte vom Arzt, erledigte den oft komplizierten Verkehr mit den Ämtern und trug die Sozialhilfeschecks ihrer Mieter auf die Bank. Die kleine, zierliche Frau mit den schönen weißen Haaren, die wie die gute Oma aus der Kekswerbung aussah, steckte voll Energie und Fürsorglichkeit, sodass man ihr ihre beinahe 70 Lebensjahre nicht anmerkte.
Für die Sozialarbeiterin Judy Moise war es daher ein besonderer Glücksfall, als es ihr im Februar 1988 gelang, ihren Schützling Bert Montoya bei Dorothea unterzubringen. Bert war ein besonders schwieriger Fall. Er hatte weder Papiere noch Angehörige, aber dafür schwere psychische Probleme. Wahrscheinlich war er schizophren; er hörte permanent Stimmen böser Geister, mit denen er in der Öffentlichkeit laut stritt. Seit Jahren war er ohne Einkünfte und hatte von spärlichen Gelegenheitsarbeiten und Almosen auf der Straße und in Notunterkünften gelebt.
Witwe Puente nahm ihn mit der gewohnten Zielstrebigkeit unter ihre Fittiche und konnte bald einen sichtbaren Erfolg erzielen. Binnen kürzester Zeit war Bert wie verwandelt. Er schien sauber gewaschen und ordentlich angezogen, um Jahre verjüngt und nahm – wohl dank der Medikamente, die er jetzt regelmäßig bekam – mehr an seiner Umwelt teil. Mit seinen Geistern, deren Stimmen offenbar leiser geworden waren, führte er kaum noch Diskussionen.
Manchen von Berts alten Freunden aus dem Obdachlosenheim schien Frau Puentes Fürsorge allzu intensiv; sie hatten das Gefühl, als wollte die Pensionswirtin Bert besonders stark an sich binden. Demnächst, so erzählte sie im Viertel, würde der 52-Jährige sogar einen Ausflug in seine Heimat Costa Rica oder zu Verwandten nach Mexiko unternehmen. Den beiden Krankenschwestern, die ihn wegen seiner offenen Tuberkulose behandelten und einmal wöchentlich besuchten, kam dies seltsam vor, ebenso wie Judy Moise. Sie wussten genau, dass Bert wegen seiner Geisteskrankheit niemals zu solchen Reisen in der Lage sein würde. Als sie sich telefonisch bei Dorothea erkundigten, wurden sie barsch abgefertigt – eigenartig, wo die Frau doch ansonsten die Freundlichkeit und Fürsorglichkeit in Person gewesen war.