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Der Gott des Alten Testaments ist ein Problem. Denn der biblische Jahwe ist nicht der friedliebend barmherzige Vater, als den ihn die Kirchen gerne verkünden. Stattdessen tritt er – für Gläubige irritierend – immer wieder als Kriegsgott auf, als gnadenloser Rachegott und übler Ausländerfeind, ja sogar als Massenmörder oder sexueller Gewalttäter. Ein Gott mit fast schon faschistoiden Zügen. Bei seinen Expeditionen in die Untiefen des Alten Testaments und die moderne Forschungslage liefert Heinz-Werner Kubitza Antworten auf die Frage, wer diesen Gott so grausam gemacht hat. Und macht plausibel, dass die von den Kirchen wie Helden verehrten Propheten als die ersten historisch greifbaren Vertreter eines religiösen Extremismus gelten müssen. Kubitza zeigt: Kirchen und Gläubige blenden mit den dunklen Seiten ihres Gottes im Alten Testament auch die Anfänge des religiösen Extremismus aus.
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Seitenzahl: 562
Heinz-Werner Kubitza
Der Glaubenswahn
Heinz-Werner Kubitza
Der Glaubenswahn
Von den Anfängen des religiösen Extremismus im Alten Testament
Tectum
Heinz-Werner Kubitza
Der Glaubenswahn. Von den Anfängen des religiösen Extremismus im Alten Testament
© Tectum Verlag Marburg, 2017
ISBN: 978-3-8288-6632-4
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter
der ISBN 978-3-8288-3849-9 im Tectum Verlag erschienen.)
Umschlagabbildung: Der Prophet Elia tötet die Baalspropheten, Grafissimo | istockphoto.com
Korrektorat: Volker Manz
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Inhalt
Vorwort
Jahwe – Gott des Krieges und der Gewalt
Der Gott Jahwe und seine Morde an Fremdvölkern
Jahwes Gewalt gegen das eigene Volk
Jahwe als mitleidloser Zerstörer Jerusalems
Religiöse Phrasen und ein mordender Gott
Die üble Nachbarschaft frommer Sprüche
Gottes Gnade und Gewalt
Die Gründe für Jahwes Gewalttätigkeit
Die Geschichtsmythen des Alten Testaments
Jahwes Götterkollegen El, Baal und Aschera
Israel als polytheistische Gesellschaft
Der Salomonische Tempel
Die Könige Israels und der Polytheismus
Die Jahwe-allein-Bewegung und der Beginn des religiösen Extremismus
Der fanatische Prophet Elia
Jehu als Killer Jahwes
Die Propheten Hosea und Amos
König Josia und die gefälschte Schriftrolle
Der Sieg der radikalen Jahwe-Fanatiker im Exil
Warum ist das Alte Testament so gewalttätig?
Die Geschichtsfälschungen der Deuteronomisten
Die naive Beurteilung von Königen
Der Mythos vom Gottesbund
Die Erfindung des Sabbats und das Passafest
Die genitale Verstümmelung kleiner Jungen
Die Steigerung der Gewalt bei der Jahwe-allein-Bewegung
Fanatische Gläubige und fanatischer Gott
Jahwe als faschistoider Massenmörder?
Eine doppelte Entlastung Jahwes
Göttliche Gewalt als Problem der Theologie
Wie Theologen mit einem gewalttätigen Gott fertigwerden
Die fragwürdigen Eigenschaften Gottes
Jahwe als Ausländerfeind
Die Todesstrafen der Jahwe-allein-Fanatiker
Der eifersüchtige Gott
Der zornige Gott
Jahwes Rachsüchtigkeit
Die Mitleidlosigkeit Jahwes
Jahwes Schadenfreude
Exkurs: Ein persischer König als Messias
Jahwes Maßlosigkeit
Die Eitelkeit Jahwes
Ein Gott jammert
Gottes Unzuverlässigkeit
Gottes schwarze Pädagogik
Die Furcht als Haupteigenschaft der Gläubigen
Gehorsam als höchster Wert für servile Gläubige
Gott prügelt
Gott straft Unschuldige
Jahwe und die Kollektivschuld
Jahwe und die Individualschuld
Gott macht verstockt und straft dann
Gott vergiftet die sozialen Beziehungen
Der alttestamentliche Gott und sexuelle Gewalt
Frauen als minderwertig
Frauen als hochmütige Huren
Jahwe als apokalyptischer Zerstörergott
Der lächerliche Gott
Noch einmal: die Jahwe-allein-Bewegung
Die Propheten als religiöse Extremisten
Propheten als Lügner?
Propheten als Verrückte?
Die absurden Zeichenhandlungen des Propheten Ezechiel
Zeichenhandlungen bei anderen Propheten
Kranker Prophet Jeremia
Vernichtung beim Propheten Ezechiel
Die falschen Prophezeiungen der alttestamentlichen Propheten
Nicht eingetroffene Heilszusagen
Falschprophezeiungen bei Jesaja
Falschprophetie bei Jeremia
Falschprophetie beim Propheten Ezechiel
Messiasweissagungen im Alten Testament?
Alle Jahre wieder: Messiasweissagungen zur Weihnachtszeit
Theologische Illusionen
Das Alte Testament als fragwürdige Weltliteratur
Vom Scheitern eines frommen Plans
Jahwes Faible für Details
Göttliche Banalitäten
Langeweile im Wort Gottes
Erfundene Heilsgeschichten
Gefälschte Zahlen
Kleine Fehler und bewusste Lügen
Gott als Naturwissenschaftler
Urflut und Schöpfung
Gottes weise Gesetze
Blinde Flecke und Unzulänglichkeiten
Die Teilung der Welt in rein und unrein
Krankheit und Behinderung
Der primitive Opferkult des Alten Testaments
Die Opferarten
Opfer als Götterspeise
Kinderopfer im alten Israel
Biblische Opferkritik
Wertvolles im Alten Testament
Die Josephsnovelle
Das Buch Jona
Ester
Religionskritik bei Hiob
Nachwort
Endnoten
Literaturverzeichnis
Häufiger zitierte Titel zum Alten Testament
Weiterführende religionskritische Literatur
Vorwort
Viele Christen haben irgendwann in ihrem Leben eine fromme Idee: Es wäre doch schön, die Bibel einmal von Anfang bis Ende durchzulesen. Immerhin ist es für sie doch das »Wort Gottes«. Bei der Umsetzung dieses Plans erleben sie dann aber nicht selten unangenehme Überraschungen. Denn die so verehrte »Heilige Schrift« zeigt sich widerspenstiger und im Verstehen hinderlicher, als sie dies erwartet hatten. Zudem dürfte bei der Lektüre des Alten Testaments kaum etwas verstörender sein als der Eindruck, dass der alttestamentliche Gott Jahwe so häufig in Kriegshandlungen verstrickt ist. Wo ein vom Neuen Testament herkommendes friedliches (und meist auch kitschiges) Gottesbild bei Christen vorherrscht, wirkt es irritierend, dass das Alte Testament so wenig geeignet ist, die religiöse Wellness zu erzeugen, die der Gläubige von seinen heiligen Schriften doch erwartet. So mancher fromme Vorsatz, das »Wort Gottes« einmal komplett zu lesen, scheitert da schon nach kurzer Zeit nicht nur an sperrigen Geschichten, undurchsichtigen Zusammenhängen oder mangelnden Kenntnissen der Geschichte Israels, sondern auch an den vielen Akten der Gewalt, mit denen der Gläubige nicht gerechnet hat. Warum so viele Kriege? Warum so viel Blut?
Wie soll man das verstehen? In den Predigten der Kirchen war davon doch kaum die Rede? Denn obwohl der kirchliche Rhythmus immer wieder auch alttestamentliche Stellen im Predigtplan hat, ist für den Bibelleser eher das Gefühl der Fremdheit bestimmend, hat er sich erst einmal ohne kirchliche Anleitung in das Dickicht alttestamentlicher Erzähl- und Vorstellungswelten begeben. Und weil die nicht nur gewalthaltigen, sondern oft auch sehr spröden heiligen Texte nicht die erhofften warmen Gedanken heimeliger Erbaulichkeit liefern können, ist nachvollziehbar, dass der Plan einer vollständigen Bibellektüre schon bald wieder aufgegeben wird. Stattdessen beginnt der Gläubige, ohne dass es ihm wohl selbst bewusst wird, im Gotteswort zu springen, und er sucht die Stellen auf, die ihm das religiöse Wohlgefühl liefern können. Dazu eignen sich die in manchen Bibelausgaben bereits fett hervorgehobenen besonders erbaulichen Stellen. Oder die Psalmen, von denen sich viele für eine religiöse Bedürfnisbefriedigung anbieten, weshalb sie auch in den Kirchen sehr beliebt sind.
Doch gerade hier finden sich abseits der ausgetretenen religiösen Pfade auch ausgesprochen unangenehme Psalmen, die der gesunden religiösen Verdauung Probleme bereiten. Es ist ein Glücksspiel, ob man unter den 150 Psalmen gerade einen solchen erwischt (die Chancen stehen bestenfalls 50 : 50), der nicht ebenfalls diese irritierende Nähe zu Gewaltvorstellungen hat. In seiner Verzweiflung eilt der Gläubige weiter, vielleicht zu den Propheten, die ebenfalls in den Kirchen in hohem Ansehen stehen. Doch wenn er Pech hat, gerät er hier in eine Gruppe von Fremdvölkersprüchen, wie sie bei allen Propheten zu finden sind und wo über viele Seiten hinweg den Nachbarstaaten Israels Vernichtung und Untergang prophezeit werden. Vollends verwirrt verlässt der Bibelleser das Alte Testament und flüchtet dorthin, wo die religiöse Erbauung, die ihm doch zusteht, sich am sichersten destillieren lässt: zu Paulus, zu den Evangelien, besonders ins Johannesevangelium. Hier endlich findet die Seele Ruh. Hier kann sie sich erfreuen und erbauen an den altbewährten Sprüchen und der bekannten Strategie, nur das Freundliche an Gott und Bibel zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen.
Der Gott des Alten Testaments bleibt damit aber letztlich für die Gläubigen ein unbekannter Gott. Was sie über ihn zu wissen meinen, leiten sie vom Neuen Testament her. Die Kirchen haben es ihnen vorgemacht. Weil Jesus und Paulus als geniale Interpreten des göttlichen Wesens gelten und nach altkirchlicher Dogmatik Jesus ja selbst Teil der unteilbaren Einheit der Dreifaltigkeit ist, kann sich der alttestamentliche Gott anstrengen, wie er will: Im Zweifelsfall wird er nicht ernst genommen, seine Worte werden ignoriert, und dies selbst dann, wenn sie mit dem Anspruch auf ewige Gültigkeit daherkommen. Vom Neuen Testament her wird der alttestamentliche Gott zurechtgestutzt, ja regelrecht liquidiert und der neuen »Offenbarung in Christus« angepasst. Und wenn dem neutestamentlichen Gott dann positive Charakterzüge wie Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zugeschrieben werden, bekommt der alttestamentliche Gott einen Teil davon ab.
Kirchen und Christentum leben davon, dass geschätzt 80 bis 90 Prozent der biblischen Texte faktisch ignoriert und nur ein kleiner Teil und ausgewählte Stellen, ja oft nur einzelne Verse rezipiert werden. Obwohl die Gläubigen und ihre Kirchen stets Gegenteiliges behaupten, findet subjektiv wie objektiv eine heimliche Entmündigung und Abwertung nicht frömmigkeitskompatibler Stellen der sogenannten »Heiligen Schrift« statt. Und dabei bleibt auch der alttestamentliche Gott mit seinen spezifischen Charakterzügen weitgehend auf der Strecke. Er wird zurechtgedeutet und uminterpretiert; »im Lichte des Neuen Testaments neu gesehen«, wird er dabei seinem vermeintlichen Sohn derart angepasst, dass er selbst nicht weiß, wie ihm geschieht.
Fast mag man Mitleid haben mit jenem alttestamentlichen Gott, der von seinen christlichen Kindern zwar verbal geehrt, in Wahrheit aber von ihnen aufs Altenteil gesetzt worden ist. Aber verdient der alttestamentliche Gott unser Mitgefühl? Hierzu ein klares Nein. Nicht alles, was alt ist, ist auch ehrwürdig, und ein positives Andenken sollte nur denjenigen gewährt werden, die dies auch verdient haben. Der alttestamentliche Gott Jahwe jedoch ist in fast keiner Hinsicht eines solches Andenkens würdig. Dies detailliert aufzuzeigen ist Sinn und Hauptabsicht dieses Buches. Gläubige tun recht daran – wenn es ihnen auch meist nicht bewusst ist und sie dies auch nicht zugeben könnten –, sich vom Gott des Alten Testaments verabschiedet und sein gewalttägiges und ethisch fragwürdiges Erscheinungsbild mit neutestamentlichen Vorstellungen domestiziert zu haben. Denn dieser Gott Jahwe vereinigt in sich ein derart hohes Maß an negativen Eigenschaften, Verhaltensweisen, niederen Instinkten und primitiven Rachefantasien, dass er für eine moderne und freiheitliche Gesellschaft, ja auch für eine sich (inzwischen) als modern und tolerant verstehende christliche Religion einfach nicht mehr zu verwenden ist.
Diese dunklen und hässlichen Seiten Gottes aufzuzeigen, den Finger genau auf die wunden Stellen zu legen, über die Gläubige in ihrer »Heiligen Schrift« in der Regel schnell hinweglesen und die in den Kirchen konsequent ignoriert werden – dies soll im Folgenden unternommen werden. Denn immer noch hält sich unter Gläubigen, ja sogar in Teilen der säkularen Gesellschaft hartnäckig die Meinung, das Alte Testament und sein Gott verträten eine werthafte bzw. wertvolle Ethik und seien deshalb wichtig und bewahrenswert.
Nun, bewahrenswert sind die Texte des Alten Testaments auf jeden Fall. Weil sie über einen Zeitraum von fast 1.000 Jahren entstanden sind, sind sie eine wahre Fundgrube für die kritische historische Forschung und im Prinzip viel interessanter als die wesentlich dünnere Bandbreite der neutestamentlichen Texte. Sie sind ein herrliches Explorationsgebiet für noch so manches lustvolle Forscherleben. Aber Kirchen und Gläubigen reicht das ja nicht. Sie sprechen den alten Texten auch noch eine Dignität und Wichtigkeit für unser heutiges Leben zu, für heutiges menschliches Zusammenleben in kleinen wie großen Zusammenhängen. In über 2.000 Jahre alten Texten soll sich eine Ethik spiegeln, die auch für unsere heutige Zeit vorbildlich und wertvoll ist.
Im Prinzip wäre auch dies nicht unmöglich, lassen sich doch in antiken Texten zum Beispiel der Stoiker, bei Seneca oder Marc Aurel, tatsächlich auch heute noch bedenkenswerte und wertvolle Stellen finden. Und natürlich ist nie alles schlecht an einer Sache. Doch aus den alttestamentlichen Texten sprechen eben nicht die Gelassenheit eines Seneca oder die Weitsicht eines Marc Aurel, sondern leider allzu oft die primitiven Rache- und Gewaltfantasien eines orientalischen Gottes und seiner Anhänger. Und dieser fremde und unangenehme Gott hat uns heute, hat selbst seinen christlichen Gläubigen eigentlich nichts mehr zu sagen. Dennoch beharren Kirchen und Gläubige hartnäckig auf der ethischen Relevanz auch des alttestamentlichen Gottes, und fromme Christen werden nicht müde dazu aufzufordern, das eigene Leben und gleich die ganze Gesellschaft an biblischen Grundsätzen auszurichten.
Im Folgenden werden wir die alttestamentlichen Texte aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten: aus einer wissenschaftlichen Sicht, die versucht, den Lesern die Erkenntnisse der alttestamentlichen Forschung zu vermitteln, und daneben oft auch aus einer im Prinzip unwissenschaftlichen religiösen Sicht, aus Sicht der Gläubigen. Wir wollen an vielen Stellen die Gläubigen einfach einmal beim Wort nehmen. Ignorieren wir, dass auch der alttestamentliche Gott wie alle Götter ein Geschöpf seiner Gläubigen ist. Tun wir einfach einmal so, als fänden sich im »Wort Gottes« tatsächlich Worte Gottes. Als seien die biblischen Gottesworte mehr als nur Literatur, Erfindungen von Gläubigen und einer des Lesens und Schreibens kundigen Priesterschaft. Tun wir so, als hätten biblische Gottes- und Prophetenworte tatsächlich so etwas wie einen realen Hintergrund. Und indem wir dies tun, fragen wir: Welcher Gott tritt uns dann entgegen? Was erfahren wir über ihn? Was hat er uns zu sagen, was sagt er über sich?
Im Folgenden werden deshalb viele Stellen aus dem Alten Testament zitiert, was fromme Seelen zunächst freuen könnte. Doch es werden eben genau solche Worte sein, die Christen sonst so gerne überlesen. Für Gläubige wird dieses Buch eine schwere Kost, denn die dunklen Seiten ihres Gottes werden ungeschminkt aufgezeigt. Gott wird geschildert als Schürer und Anstifter von Gewalt und Vernichtung, als Mörder an fremden Völkern und ebenso am eigenen Volk. Wir werden einen Gott kennenlernen mit unverhohlenem Blutdurst, einen Brandstifter, launisch, unberechenbar, einen Verursacher von Krieg, Krankheit und Hunger. Einen Vergifter sozialer Beziehungen, einen notorischen Ausländerfeind und Verfechter von Intoleranz als Tugendmodell. Wir werden Jahwes niedere Instinkte kennenlernen, seinen Zorn und seine Wut, seine Mitleidlosigkeit und Schadenfreude, seine Eitelkeit und Launenhaftigkeit, sein Großmachtdenken wie auch seine Provinzialität. Und alles wird durch Bibelzitate1 illustriert und belegt werden. Die Leser brauchen wahrlich starke Nerven, denn es wird über weite Strecken ein Waten in Blut und Gewalt sein, und zwar besonders da, wo Gott selbst zu reden vorgibt. Für Kinder nicht geeignet und eine Anfechtung für Gläubige, die das alles, was hier beschrieben wird, lieber nicht so genau wissen wollen und lieber wieder die Flucht in die religiösen Wellnesszonen antreten werden. Doch wer durchhält, der versteht den alttestamentlichen Gott und auch heutige Gläubige vielleicht besser.
Das vorliegende Buch »Der Glaubenswahn«, das sich schwerpunktmäßig mit dem alttestamentlichen Gott beschäftigt (Gott Vater), ist der Abschluss einer »Wahn-Trilogie« in drei Bänden.2 Im Buch »Der Jesuswahn«3 war der neutestamentliche Gott bzw. der zu einem Gott hochgeglaubte Mensch Jesus von Nazareth (Gott Sohn) das Thema. Wer bemängelt, dass das Neue Testament in den vorliegenden Ausführungen kaum erwähnt wird, sei auf dieses Buch verwiesen. Was die Kirchen und Theologen immer wieder findig und fantasievoll aus dem alt- und neutestamentlichen Gott gemacht haben und immer noch machen, wurde im Buch »Der Dogmenwahn« (Gott Heiliger Geist) beschrieben.4
Das vorliegende Buch erscheint im Lutherjahr 2017. Die protestantischen Kirchen werden es nicht versäumen, halb kritisch auch auf die negativen Seiten des sogenannten Reformators einzugehen, etwa auf seinen Judenhass und seine zweifelhafte Rolle in den Bauernkriegen. Daneben aber werden sie die »bleibenden Verdienste« rühmen, die mit ihm angeblich verbunden sind. Und darunter wird als einer der ersten Punkte die Neuentdeckung der Bibel sein. Es waren ja Luther und seine Nachfolger, die die biblischen Schriften zum Mittelpunkt des religiösen »Denkens« machten – was dann bisweilen zu einer regelrechten Bibelvergötzung geführt hat, die bei heutigen evangelikalen und pietistischen Gruppen noch virulent ist.
Es wird die Frage zu stellen sein, ob die Bibel es wirklich wert war, so hoch gestellt worden zu sein. Ob sie ihre ethische Erhöhung und Wertschätzung wirklich verdient hat. Oder ob sie stattdessen nicht eher mitgeholfen hat, dass absurde religiöse Vorstellungen und fragwürdige Werte, die längst auf den Müllhaufen der Geschichte gehören, wieder salonfähig geworden sind. Was uns Luther mit der Wiederentdeckung der Bibel hinterlassen hat – auch das will dieses Buch zeigen – war kein Segen, sondern ein Übel. Wie auch die sogenannte »Reformation« ein Übel war, nämlich ein nach hoffnungsvollen Aufbrüchen in Renaissance und Humanismus erfolgter Rückfall in mittelalterliche Scholastik und religiöse Rechthaberei – mit all den negativen Begleiterscheinungen einer Spaltung Europas und mit Religionskriegen bis hin zum Dreißigjährigen Krieg. Selbst ernannte Propheten werden von ihren Gläubigen gerne bejubelt, haben der Welt aber selten gutgetan.
Jahwe – Gott des Krieges und der Gewalt
»Jahwe ist ein Kriegsmann, Jahwe ist sein Name!« (Ex 15,3) Das sogenannte Moselied, wo sich diese Zeile findet, geht zwar nicht auf Mose zurück, dennoch ist man sich in der Forschung einig, dass es sich um sehr altes Überlieferungsgut handelt. Besungen wird die bekannte wundersame Rettung Israels vor den Ägyptern am Schilfmeer. Doch Jahwe ein Kriegsmann? Heutigen Christen ist dieser Gedanke fremd. Dennoch hat offenbar das frühe Israel seinen Gott »zunächst und am eindrücklichsten im kriegerischen Handeln Jahwes sinnenfällig zu erleben geglaubt. Daher besang man sie [die kriegerische Macht Jahwes] in den älteren Liedern (Ex 15,21; Ri 5) und legte Jahwe entsprechende Attribute bei: ein Kriegsheld, gewaltig und hoch erhaben, furchtbar und herrlich in Heiligkeit, machtvoll und ein Wundertäter.«5 So der Alttestamentler Georg Fohrer. Auch sein Kollege Rainer Albertz bestätigt wie viele andere die »enge Verquickung Jahwes mit dem Krieg«. Dies sei »der Ort, an dem in dieser Zeit das Handeln Jahwes am direktesten erfahren wurde; sie werden regelrecht Jahwekriege genannt (1 Sam 18,17; 25,28; vgl. Num 21,14).«6 Dem entspricht auch die Bezeichnung des Volks Isra-El, was übersetzt heißt »Gott streitet« bzw. »El streitet«. Das Volk Israel bekennt sich also schon in seinem Namen zu seinem streitenden Gott, seinem Kriegsgott.7 Und offenbar existierte sogar einst ein Buch der »Kriege des Herrn« (Num 21,14).
Was von diesem Gott erwartet wurde, war klar: »Eine Zuflucht ist der alte Gott, und unten hat er mit ewigen Armen den Feind vor dir vertrieben und gesprochen: Vernichte!« (Dt 33,27) Jahwe ist es, von dem berichtet wird: »Ross und Reiter hat er ins Meer geschleudert« (Ex 15,1+21), und den man rühmt: »Wer ist der König der Herrlichkeit? Jahwe, der Starke und Held, Jahwe, der Held im Kampf […]. Wer ist der Herr der Herrlichkeit? Der Jahwe der Heerscharen, er ist der König der Herrlichkeit.« (Ps 24,8+10) Und wo Christen gerne »himmlische Heerscharen« sehen möchten, handelt es sich hier wie anderswo um höchst irdische Streitscharen. Jahwe wird an solchen Stellen eindeutig als Kriegsgott beschrieben.
Jahwe ist es, der sich »mit Krieg, mit starker Hand und mit ausgestrecktem Arm, mit großen und furchtbaren Taten« zeigt (Dt 4,34). Das Volk soll gewiss sein: »Wenn du in den Krieg ziehst gegen deine Feinde […] Jahwe, dein Gott, ist mit dir.« (Dt 20,1) Noch deutlicher: »Denn Jahwe, euer Gott, zieht mit euch, um für euch mit euren Feinden zu kämpfen.« (Dt 20,4) In seiner Abschiedsrede nach der Eroberung Kanaans stellt Josua klar, dass es nicht das Volk war, das die Siege errungen hat: »Denn Jahwe, euer Gott, er hat für euch gekämpft« (Jos 23,3), er hat die anderen Völker »ausgerottet«. Und für die Zukunft gilt: »Jahwe, eurer Gott, er wird sie vor auch verjagen und vor euch vertreiben, und ihr werdet das Land in Besitz nehmen.« (Jos 23,5)
Dass der alttestamentliche Gott (auch) ein Kriegsgott war, diesen Gedanken müssen friedensbewegte Gläubige erst einmal akzeptieren und verarbeiten. Doch militärische Begrifflichkeit findet sich zuhauf, wenn man nur darauf achtet. Mose errichtet einen Altar und nennt Jahwe »mein Feldzeichen« (Ex 17,15). Die Israeliten werden beim Exodus von Jahwe höchstselbst als »meine Heerscharen« bezeichnet (Ex 7,4), sie werden wie Krieger gemustert (Num 1), die wehrfähigen Männer versammeln sich unter Feldzeichen (Num 2,2). Der ganze Exodus geschieht quasi in Kampfaufstellung mit Jahwe als Oberbefehlshaber, der in Wolke und Feuersäule voranzieht. Und Israel weiß: »Der Herr, euer Gott, der vor euch zieht, er wird für euch kämpfen« (Dt 1,30).
Auch in anderen Zusammenhängen begegnen militärische Bilder, die höchst real gemeint sind. Im legendären Kampf Davids gegen Goliath beleidigt Goliath »die Schlachtreihen[!] des lebendigen Gottes« (1 Sam 17,26). Und David seinerseits kommt zu Goliath »mit dem Namen Jahwes der Heerscharen, des Gottes der Schlachtreihen Israels« (1 Sam 17,45) – Jahwe, ein Gott der Schlachtreihen. Früher schon war David von Saul aufgefordert worden: »Führe die Kriege des Herrn« (1 Sam 18,17). Der Prophet Jeremia kann Jahwe als Kriegsgott gegen Babel rühmen: »Ein Hammer bist du [Jahwe] mir, Waffen für den Krieg. Und mit dir zerschlage ich Völker, und mit dir vernichte ich Königreiche. Und mit dir zerschlage ich das Pferd und seinen Reiter […]. Und mit dir zerschlage ich Mann und Frau, und mit dir zerschlage ich Alt und Jung […]. Und mit dir zerschlage ich den Hirt und seine Herde.« (Jer 51,20+23) Jahwe ist ein Gott, der die Vernichtung des Feindes gewährleistet.
Sogar im vermeintlich friedlichen Symbol des Regenbogens aus der Sintflutgeschichte finden sich militärische Anklänge. Nach der Vernichtung der Menschheit und der Tierwelt spricht Jahwe: »Meinen Bogen stelle ich in die Wolken. Der soll ein Zeichen des Bundes zwischen mir und der Erde sein.« (Gen 9,13) Der Alttestamentler Gerhard von Rad meinte dazu in seinem Kommentar zum Buch Genesis: »Das hebräische Wort, das wir mit Regenbogen übersetzen, bedeutet sonst im Alten Testament den Kriegsbogen […]. Gott zeigt der Welt, dass er seinen Bogen beiseitegestellt hat [also wieder friedlich geworden ist].«8 Man liest diese Geschichte anders, wenn man diesen Hintergrund kennt.
Götter, die für ihre Völker in den Krieg ziehen, gab es in der Antike viele. Parallelen sind vor allem aus dem Zweistromland bekannt. Grimmige Kriegsgötter sind heute für Gläubige Ausdruck primitiven Aberglaubens. Eben deshalb hätten sie dies dem eigenen Gott Jahwe niemals zugetraut und sind verwirrt. Wie soll man das erklären, wie Jahwe entschuldigen? Handelte es sich um Jugendsünden? War er »noch jung und brauchte das Geld«? Doch auch in relativ späten Texten werden Jahwes Qualitäten als Kriegsgott noch gelobt: »Gepriesen sei Jahwe, mein Fels, der meine Hände den Kampf lehrt und meine Finger den Krieg.« (Ps 144,1) Die Vorstellung eines Krieg führenden Jahwe ist im Alten Testament fast durchgängig präsent. Wenn man das Alte Testament einmal ohne dogmatische Scheuklappen liest, findet man Hunderte von Stellen, wo Jahwe mit Krieg droht, als Kriegsgott kämpft, zum Krieg anstachelt oder an massiver Gewalt beteiligt ist. Doch in den Predigten der Kirchen hört man davon nichts. Das Alte Testament konterkariert das meist sehr kitschige Gerede vom guten und liebenden Gott. Die Christen haben den alttestamentlichen Gott de facto liquidiert.
Die Hoffnungen Israels ruhen auf dem Kriegsgott Jahwe: »Mit Gott werden wir Machttaten vollbringen, er ist es, der unsere Feinde zertritt.« (Ps 60,14) Gott soll die Feinde »zu Dünger für den Acker« machen (Ps 83,11). Jahwe gibt Kraft für den Krieg: »Mit dir erstürme ich Wälle, mit meinem Gott überspringe ich Mauern.« Evangelikale Kreise haben aus diesem Vers von Ps 18 ein munteres Lobpreislied gemacht: »Mit meinem Gott kann ich Wälle zerschlagen, mit meinem Gott über Wälle springen.« Sie sind sich gar nicht bewusst, dass sie hier eigentlich ein Kriegslied singen. In frommer Einfalt halten sie das reale Geschehen für eine Metapher, so wie sie sonst gerne Metaphern für reales Geschehen halten. Der Sinn wird umgebogen, obwohl Ps 18 noch viel deutlicher wird: »Gott ist es […], der meine Hände den Kampf lehrt, dass meine Arme den ehernen Bogen spannen […]. Ich verfolge meine Feinde und hole sie ein, kehre nicht um, bis ich sie vernichtet habe. Ich schlage sie nieder, und sie können sich nicht mehr erheben.« (Ps 18,38–39a) »Du hast mich zum Kampf mit Kraft gegürtet, du zwingst unter mich in die Knie, die sich gegen mich erheben. Den Nacken meiner Feinde gibst du mir preis, und die mich hassen, vernichte ich. Sie schreien, doch da ist kein Retter, zu Jahwe [d. h., sie schreien zu Jahwe um Hilfe!], doch er erhört sie nicht. Ich zerreibe sie wie Staub vor dem Wind, wie Unrat schütte ich sie auf die Gassen […]. Jahwe lebt. Gepriesen ist mein Fels […] der Gott, der mir Rache gewährt.« (Ps 18,38–48)
Der fromme Wille der gläubigen Psalmbeter ist gewalttätig, sie halten sich nicht lange auf mit modernen Gefühlsduseleien wie Barmherzigkeit oder dem Willen zur Überzeugung anderer Menschen. Unverblümt wird Gott mitgeteilt, was man von ihm erwartet: »Deine Hand wird alle deine Feinde treffen […]. Wie einen Ofen lässt Du sie glühen […]. In seinem Zorn wird er sie verschlingen, und das Feuer wird sie verzehren. Ihr Geschlecht wirst du von der Erde vertilgen und ihre Nachkommen aus der Gemeinschaft der Menschen […]. Denn du schlägst sie in die Flucht, mit deinem Bogen zielst du auf ihr Gesicht.« (Ps 21,9–13) Und auch hier ist wieder kein Regenbogen gemeint. Unmissverständlich heißt es in Ex 15,6: »Deine Rechte, Jahwe, herrlich in Kraft, deine Rechte, Jahwe, zerschmettert den Feind.«
Zerschmettern und zerschlagen, töten und vernichten: Christen müssen hinzulernen. Sie werden mit Eigenschaften ihres Gottes konfrontiert, die für sie schwer zu begreifen sind. Wie will man da zu einem Gott der Liebe kommen, wenn die Bibel selbst so oft einen ganz anderen Gott präsentiert?
Doch Gott ist nicht nur eine Art »Schirmherr« des Krieges. Nein, er selbst kämpft mit. Wiederholt wird Jahwe im Alten Testament als Krieger geschildert, sogar bei dem bei Frommen so beliebten Deuterojesaja: »Jahwe zieht aus wie ein Held, wie ein Kriegsmann weckt er die Kampfeslust, stimmt den Schlachtruf an, stößt das Feldgeschrei aus, gegen seine Feinde erweist er sich als Held.« (Jes 42,13)
Für militärische Siege zeichnet Jahwe höchstpersönlich verantwortlich. Die Israeliten sollen sich ja nicht rühmen, sie hätten die Feinde alleine umgebracht. Um dies deutlich zu machen, kommt es in Ri 7 zu einer Heeresreduktion. Beim Sieg des »Richters« Gideon über die Midianiter werden 32.000 Krieger in zwei Schritten auf nur noch 300 (Leonidas lässt grüßen!) reduziert. Damit will Gott klarmachen: »Israel soll sich nicht gegen mich rühmen können und sagen: Meine eigene Hand hat mir geholfen« (Ri 7,7). Dies sagen fromme Christen heute noch gerne; sie freilich meinen damit alles Positive, was ihnen im Leben so wiederfährt. Aber in diesem Fall hilft ihr Gott bei der Vernichtung, denn Jahwe tötet in dieser Geschichte 120.000 Männer (Ri 8,10), und offenbar noch weitere 15.000, die zunächst fliehen konnten. Das hätten die Israeliten in der Tat schwerlich alleine schaffen können. In die Schlacht ziehen die Männer mit dem Ruf »Das Schwert für Jahwe und Gideon!« (Ri 7,20).9 Ganz nebenbei wird also auch ein kleiner Massenmord geschildert. Viele weitere werden noch folgen.
Friedensbewegte Christen zitieren gerne das Wort vom Umschmieden der Schwerter zu Pflugscharen (Mi 4,3). Dabei wird gerne übersehen – denn das passt wieder nicht ins friedliche Gottesbild –, dass an anderer Stelle auch zum Umschmieden von Pflugscharen in Schwerter aufgefordert wird (Jo 4,10). Und Jahwe selbst nimmt für sich in Anspruch, überhaupt erst ermöglicht zu haben, dass Schwerter für den Krieg zur Verfügung stehen: »Siehe, ich selbst habe den Schmied geschaffen, der das Kohlenfeuer anfacht und eine Waffe hervorbringt zu ihrem Zweck. Und ich selbst habe den Zerstörer geschaffen, damit er Verderben bringt.« (Jes 54,16) Jahwe also gewissermaßen ein Schutzheiliger der Waffenschmiede? Das Alte Testament ist voller Überraschungen. Da kann man fromme Christen schon verstehen, wenn sie aufgescheucht die Flucht ins Neue Testament antreten. Die kriegerischen Seiten Jahwes im Alten Testament aber werden uns begleiten bis in dessen jüngste Texte hinein. »Jahwe ist ein Kriegsmann, Jahwe ist sein Name!«
Der Gott Jahwe und seine Morde an Fremdvölkern
Während viele Christen heute durchaus aufrichtig für eine friedliche Welt und eine Zurückdrängung von Gewalt eintreten, hätte der Gott des Alten Testaments so etwas wie Feindesliebe oder auch nur friedliche Koexistenz noch als romantisches Geschwätz abgetan. Der Segen, den dieser Gott versprach, zeigte sich doch gerade in blutigen Kriegen, in der Vernichtung der Feinde und der Aneignung von deren Land und Besitz. Im Erzählduktus der Bibel bedeutet die sogenannte Landnahme der Israeliten, wie sie besonders im Josuabuch erzählt wird, einen Vernichtungsfeldzug gegen die rechtmäßigen Besitzer des Landes Kanaan und seine Nachbarn.10 Gemäß Völkerrecht (das es damals freilich noch nicht gab) waren es Eroberungskriege, die hier von Israel berichtet werden.
Doch halt: Hatte nicht Gott dem Abraham schon dieses Land »verheißen«? Gläubige neigen dazu, sich von solchen nachträglichen Erklärungen beschwichtigen zu lassen. Doch die Erzväter, an die die Landverheißungen ergangen sein sollen, sind ebenso wie die Landverheißungen selbst vermutlich rein legendär. Es spricht historisch viel dafür, dass es weder einen Abraham noch einen Isaak, noch einen Jakob als historische Personen je gegeben hat. Allerdings gab es Erzählkränze, die sich an fiktive Erzvätergestalten anlehnten und mit ihnen in Verbindung gebracht wurden. Aber alles verschwindet in einer legendären und halbmythischen Vergangenheit. Historisch ist nichts greifbar. Dennoch dient die alttestamentliche Propaganda von der Verheißung des gelobten Landes sogar heute noch beispielsweise ultraorthodoxen Juden dazu, Gebietsansprüche gegenüber den Palästinensern zu rechtfertigen. Im Alten Testament wird die Frage nach der Gerechtigkeit solcher Angriffs- und Vernichtungskriege gar nicht erst gestellt. Denn Gott selbst hat ja alles so befohlen, und er kämpft auch selbst mit.
Wie ein solcher Krieg aussieht, dazu gibt Dt 20 Auskunft. Israel soll zunächst Frieden anbieten. Wenn eine Stadt sich sogleich ergibt, soll sie »Frondienst leisten und dir Untertan sein« (Dt 20,11). Will sie sich aber, was ja mehr als verständlich ist, nicht den eindringenden Eroberern unterwerfen, »dann sollst du sie belagern. Und Jahwe, dein Gott, wird sie in deine Hand geben, und alles, was darin männlich ist, sollst du mit der Schärfe des Schwertes schlagen. Nur die Frauen und Kinder und das Vieh und alles, was sich in der Stadt an Beute findet, darfst du als Plündergut für dich behalten« (Dt 20,12–14). Für antike Ohren mag dies noch relativ normal geklungen haben. Doch diese Regelung gilt nur für Völker, die vom israelitischen Siedlungsgebiet weit entfernt sind. Für die Völker Kanaans aber, die unmittelbaren Nachbarn Israels, gilt: »Doch in den Städten dieser Völker […] sollst du nichts am Leben lassen, was Atem hat, sondern du sollst sie der Vernichtung weihen« (Dt 20,16–17).11
Es geht in den Jahwekriegen, den heiligen Kriegen des alttestamentlichen Gottes, eben nicht nur um Eroberung. Es sind Vernichtungsfeldzüge. Die Bevölkerung, auch die wehrlosen Frauen, Kinder und Alten sollen physisch vernichtet werden. Sie werden dem Bann unterzogen, der Vernichtungsweihe. Die Texte verstehen dies so, dass, indem alles getötet und vernichtet wird, Israel nichts für sich behält, sondern gleichsam alle Kriegsbeute Jahwe übereignet wird. Er ist der eigentliche Profiteur der Kriege und Massaker an der wehrlosen Bevölkerung. Schon während der Wüstenwanderung verspricht Israel seinem Gott als Dank die völlige Vernichtung des Feindes: »Da legte Israel Jahwe ein Gelübde ab und sprach: Wenn du dieses Volk [hier das Volk von Arad] in meine Hände gibst, werde ich ihre Städte der Vernichtung weihen. Und Jahwe hörte auf die Stimme Israels und gab die Kanaaniter preis, und Israel vernichtete sie und ihre Städte.« (Num 21,2–3) Man muss sich diese perverse Vernichtungslogik einmal klarmachen: Weil Jahwe den Sieg gibt, wird er mit der Vernichtung der Bevölkerung belohnt. Und Jahwe ist keineswegs entsetzt über die Grausamkeit, sondern nimmt die Massaker als Zeichen des Dankes gerne an.
Im Kampf gegen Sichon und die Amoriter heißt es: »Aber Jahwe, unser Gott, gab ihn uns preis, und wir schlugen ihn und seine Söhne und sein ganzes Volk. Und damals eroberten wir all seine Städte und weihten jede Stadt der Vernichtung, die Männer, die Frauen und die Kinder, niemanden ließen wir überleben. Nur das Vieh behielten wir für uns als Beute und das Raubgut aus den Städten.« (Dt 2,33–35)12 Über den König Og von Baschan liest man: »Und wir schlugen ihn und ließen niemanden von ihm überleben […]. Und wir weihten sie der Vernichtung […] jede Stadt, die Männer, die Frauen und die Kinder.« (Dt 3,3–6)
Vor dem »Einzug« ins »gelobte Land« gibt es eine regelrechte Ermahnung zur Vernichtung anderer Völker. Vorbereitet werden die Israeliten auf »sieben Völker, die größer und stärker sind als du, und wenn Jahwe, dein Gott, sie dir preisgibt und du sie schlägst, sollst du sie der Vernichtung weihen. Du sollst keinen Bund mit ihnen schließen und sie nicht verschonen.« (Dt 7,1–2) Für diese Vernichtungstaten soll Israel dann sogar »gesegnet« sein mit Nachkommenschaft, fruchtbaren Äckern und Viehbestand. »Und du wirst alle Völker vertilgen, die Jahwe, dein Gott, dir preisgibt. Du sollst sie nicht schonen und ihren Göttern nicht dienen.« (Dt 7,14–16) Keine Gnade kennt dieser Jahwe mit den Besiegten, und er verfolgt noch diejenigen, die fliehen, mit perverser Lust: »Und auch die Hornissen wird Jahwe, dein Gott, auf sie loslassen, bis auch die vernichtet sind, die übriggeblieben sind und sich vor dir versteckt halten. Du sollst keine Angst vor ihnen haben, denn Jahwe, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein großer und furchtbarer Gott.« (Dt 7,20–21) Zumindest das Wort »furchtbar« trifft die Sache ziemlich gut.
Josua, der Nachfolger des Mose, wird zum Volkshelden, weil nach biblischer Erzählung er es war, unter dem die einheimische Bevölkerung ausgerottet wurde. Das Alte Testament rühmt seine Taten, die heute einen Kriegsverbrecherprozess rechtfertigen würden, in den höchsten Tönen. Er erobert die Städte Jericho und Ai13 und weitere Städte, so Makkeda: »Er weihte die Stadt und alles Lebendige in ihr der Vernichtung, niemanden ließ er am Leben.« (Jos 10,28) Libna: »Und er schlug sie und alles Lebende in ihr mit der Schärfe des Schwerts, niemanden ließ er überleben.« (Jos 10,30) Laschisch: »Und er schlug die Stadt und alles Lebende in ihr mit der Schärfe des Schwerts.« (Jos 10,32) Geser: dito. Eglon: »Und an jenem Tag weihten sie alles Lebende in ihr der Vernichtung.« (Jos 10,35) Chebron: »Niemanden ließ er überleben […] und weihte die Stadt und alles Lebende in ihr der Vernichtung.« (Jos 10,37) Debir: »Und alles Lebendige, das darin war, weihten sie der Vernichtung, niemanden ließ er überleben.« (Jos 10,39) Um noch mehr Menschen töten zu können, betet Josua sogar zu Gott, auf dass er die Sonne stillstehen lassen möge (es also länger hell bleibe). Und was macht Jahwe? Er erfüllt ihm diesen Wunsch gern: »Und die Sonne blieb am Himmel stehen und beeilte sich nicht unterzugehen, fast einen ganzen Tag lang.« (Jos 10,12-13) Und auch sonst ist Gott gerne behilflich beim Morden. Im gleichen Kapitel Jos 10, als es gegen eine Koalition von fünf Königen geht, bleibt Jahwe nicht untätig. Der Herr ließ »große Steine vom Himmel auf sie [die Feinde] fallen bis nach Aseka, und sie starben. Durch die Hagelsteine starben mehr, als die Israeliten mit dem Schwert umbrachten.« (Jos 10,11)
Alle diese Geschichten werden gänzlich ohne Rücksicht auf moderne Wertmaßstäbe wie Menschenrechte und Vermeidung von Grausamkeit erzählt. Christen, die immer wieder behaupten, dass sich in der Bibel eine bewahrenswerte Ethik findet, wissen, wenn man solche wie viele andere Stellen betrachtet, nicht, wovon sie reden. Denn diese biblischen Geschichten werden in der Bibel nicht nur nicht ethisch hinterfragt und problematisiert. Genau das Gegenteil ist der Fall: Die Kriege der Frühzeit schildern geradezu ein Idealbild des Krieges, rühmen den Krieg, zeigen, wie er idealerweise sein soll.
In reinster Form findet sich dieser heilige Jahwekrieg im Kampf gegen die Midianiter Num 31. Dieser ideale Krieg findet auf Anweisung Jahwes statt. Es gibt einen Priester als Heerführer. Beim Gegner gibt es unglaublich viele Tote, während es keinerlei Verluste aufseiten Israels gibt. Nach dem Kampf wird der Bann vollzogen, also die kriegsgefangenen Frauen, Männer und Kinder getötet. Die (aus heutiger Sicht) Mörder unterziehen sich anschließend einer Sühnehandlung, die jedoch nicht dazu dient, moralische Schuld abzuwaschen, sondern dem Umstand geschuldet ist, dass man mit Blut in Berührung gekommen ist, was (wie bei einer Menstruation) immer Unreinheit bedeutet. Anschließend wird noch eine Steuer für Jahwe entrichtet und dem Heiligtum werden Gaben dargebracht. So ändern sich die Zeiten: Während heutige Christen das Ideal einer friedlichen Welt propagieren, bestand für zumindest einen einflussreichen Teil der alttestamentlichen Überlieferung das Ideal in genau solch einem nach allen Regeln des Gotteskrieges durchgeführten blutrünstigen und exterminatorischen Feldzug.
Dies wird deutlicher, wenn beispielsweise gegen die heilige Pflicht zum Morden verstoßen wurde. Die Bibel bringt hierzu zwei anschauliche Beispiele. In 1 Sam 15 wird König Saul übel getadelt, weil er den Bann an den Amalekitern nicht vollständig vollzogen hat. Jahwe hatte ihm über Samuel doch ausdrücklich aufgetragen: »Nun geh und schlage Amalek. Und alles, was ihm [Jahwe] gehört, sollt ihr der Vernichtung weihen, und nichts sollst du verschonen, sondern du sollst Mann und Frau, Kind und Säugling [!], Rind und Schaf, Kamel und Esel töten.« (1 Sam 15,3) Saul bringt daraufhin zwar die Menschen einschließlich der Kinder und Säuglinge um, verschont aber die besten Schafe und Rinder. Das trägt ihm eine schwere Rüge durch Samuel ein, der ihm mit Recht vorwirft, den Vernichtungsbefehl nicht vollständig ausgeführt zu haben. Saul versucht sich damit herauszureden, er habe die besten Tiere Gott opfern wollen. Aber Samuel meint: »Sieh, Gehorsam ist besser als Schlachtopfer.« (1 Sam 15,22) Hätte Saul die Säuglinge am Leben gelassen (weil er vielleicht selbst Kinder mochte), wäre das Scheltwort Samuels wohl ähnlich deutlich ausgefallen.
Interessant ist an den Worten »Gehorsam ist besser als Schlacht(opfer)«, dass es zu den vielzitierten Worten des Alten Testaments gehört und darüber auch häufig in den Kirchen gepredigt, und zwar positiv gepredigt wird. Der Tenor ist dann: Es komme auf Gehorsam gegenüber Gott an, rituelle Dinge (wie Opfer) spielten eine untergeordnete Rolle. Der Kontext, in dem diese Worte sich finden, wird dabei in der Regel komplett verschwiegen. Dies ist nicht nur an dieser Stelle so. Wir werden noch sehen, dass vermeintlich »gute Regeln« sich in unmittelbarer Nähe von völlig inhumanen Bestimmungen finden. Über die einen wird erbaulich gepredigt, bei den anderen aber tut man so, als gäbe es sie nicht.
Auch die Rolle Samuels erfährt diese Behandlung. Für den Bibelleser ist er eine positiv besetzte Figur, der fast der Rang eines Propheten zukommt. Als treuer Diener Jahwes begegnet auch er häufig in Sonntagspredigten. Ständig ermahnt er dazu, sich an das Wort Gottes zu halten, erfüllt brav die Vorgaben Jahwes, salbt Könige und setzt sie wieder ab. Er ist eine Art Aufseher über den göttlichen Willen und seine Erfüllung. So etwas kommt bei den Gläubigen gut an. Dass der göttliche Wille hier Vernichtung und Mord an Unschuldigen und Hilflosen bedeutet, realisieren Gläubige in der Regel nicht.
Nicht nur die besten Schafe und Rinder hatte Saul verschont, sondern ebenso den gefangenen König der Amalekiter. Der fromme Mahner Samuel schlägt ihn eigenhändig in Stücke »vor dem Herrn«. (1 Sam 15,33)14 Und noch aus dem Totenreich heraus, als Saul bei einer Totenbeschwörerin Kontakt zum toten Samuel aufnimmt, macht dieser religiöse Fanatiker Saul schwere Vorwürfe, »weil du nicht auf die Stimme Jahwes gehört hast und seinen glühenden Zorn an Amalek nicht vollstreckt hast.« (1 Sam 28,18)
Die zweite Geschichte eines von Gott zwar befohlenen, aber nicht vollzogenen Vernichtungsbanns findet sich bei König Achab (Ahab, 871–852 v. Chr.) in 1 Kön 20. Achab war offenbar ein vergleichsweise fortschrittlicher und toleranter Herrscher, jedenfalls wenn man die Zeitumstände berücksichtigt. Er unterhielt besonders freundschaftliche Kontakte zu den Phöniziern. Doch bei Jahwe und seinem Propheten Elia – auch dieser wie Samuel ein religiöser Fanatiker und Glaubensheld gleichermaßen – ist er schlecht angesehen, denn er hat sich erlaubt, eine Ausländerin zu heiraten. Und das geht für den notorischen Ausländerfeind Jahwe15 gar nicht. Achabs Frau Isebel hat in Samaria, der Hauptstadt des Nordreichs Israel, einen Baal-Tempel bauen lassen. So etwas war durchaus üblich in einer polytheistischen Umgebung. Heiligtümer dienten dabei oft nicht nur einem Gott, sondern waren auch offen für die Verehrung anderer Götter. Mit dem Sieg des Polytheismus ist diese Toleranz leider verloren gegangen. Das Alte Testament aber macht König Achab zu einem der schlimmsten Könige überhaupt.
Dennoch kann man noch erkennen, dass sein Ansehen einst besser war. Als König Achab gegen die Aramäer kämpft, vollzieht er den Bann nicht, sondern schließt stattdessen lieber Frieden mit dem Feind. Der schon geflüchtete König der Aramäer ergibt sich und fleht um Gnade. Und König Achab zeigt sich mehr als großzügig: »Er lebt noch? Er ist mein Bruder!«, und lässt ihn in seinem Wagen mitfahren. Dann erstattet er ihm sogar einige Städte zurück, die Achabs Vater ihm einst abgenommen hatte, schließt einen Bund (wohl eine Art Wirtschaftsvertrag) mit ihm und lässt ihn in Frieden ziehen (1 Kön 20,32–34). Der fromme Leser ist erstaunt und hocherfreut. Ist hier etwa so etwas wie Feindesliebe im Sinne Jesu verwirklicht worden?16
Doch wer ist unzufrieden? Wieder einmal Jahwe, der darauf pocht, dass er die Vernichtungsweihe doch eindeutig befohlen hat. Freundlichkeit war fehl am Platz, Achab hätte den Aramäerkönig töten müssen. Der Prophet Elia liest Achab die Leviten: »So spricht Jahwe: Weil du den Mann aus der Hand gegeben hast, der mir zur Vernichtung geweiht war, haftest du mit deinem Leben für sein Leben, und dein Volk für sein Volk.« (1 Kön 20,42) König Achab aber ist »missmutig und wütend«, sicher auch über solch göttliche oder zumindest prophetische Borniertheit. Man kann noch erkennen, dass diese Geschichte einst positiv ausging und wohl die Großzügigkeit Achabs rühmen sollte. Spätere Redaktoren17 aber haben dann mehr schlecht als recht einen negativen Schluss angehängt.
Achab hat menschlich gehandelt, aber damit gegen den Willen Jahwes verstoßen. Abraham, der bereit ist, seinen Sohn auf göttlichen Befehl zu töten (Gen 22), war gehorsam, hat aber aus heutiger Sicht unmenschlich gehandelt. Weil in beiden Fällen die Deutung des Geschehens im Alten Testament gleich mitgeliefert wird (Achab schlecht, Abraham hingegen gut), sind Gläubige geneigt, gar nicht mehr selbst über das gerade Gelesene nachzudenken. Sie loben Abraham, der beinahe zum Kindermörder geworden ist, und verdammen den »Menschenfreund« Achab, ganz wie sie auch sonst geneigt sind, biblische moralische Wertungen unhinterfragt zu übernehmen.
Hier liegt eine zentrale Gefahr des Alten Testaments und heiliger Schriften überhaupt. Gläubige neigen dazu, moralisch äußerst fragwürdige Gestalten zu religiösen Helden hochzujubeln. Und das Alte Testament ist voller solcher Gestalten. Der Gläubige, der sich der »Heiligen Schrift anvertraut«, toleriert und akzeptiert dann unbewusst selbst die Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten, die erzählt werden. Eine kritische Auseinandersetzung über die Frage, ob diese Texte denn wirklich eine Moral mit Vorbildfunktion haben, findet nicht mehr statt. Stattdessen werden fragwürdige Werte vermittelt, in diesem Fall ein (Kadaver)Gehorsam. »Gehorsam ist besser als Opfer«, wir hörten es bereits. Doch ist er das wirklich? Wäre nicht Ungehorsam geboten, wenn ein Gott Verbrechen und Unmenschliches befiehlt? Darf ein Gott sich alles erlauben? Doch solche Gewissensfragen kennt das Alte Testament nicht, es kennt nicht mal das Wort »Gewissen«. Im Alten Testament sind in der Beziehung zu Gott, so kann man es an vielen Stellen lesen, Furcht und Gehorsam die angemessene Haltung.
Auch eine andere Geschichte schärft Gehorsam als höchste Tugend ein. Man muss Gott gehorchen, auch wenn er Unsinniges zu befehlen scheint. Vorgestellt ist eine Gruppe von Prophetenjüngern: »Auf das Wort Jahwes hin aber sprach einer von den Jüngern der Propheten zu seinem Gefährten: Schlag mich! Dieser aber weigerte sich, ihn zu schlagen. Da sprach er zu ihm: Weil du nicht auf die Stimme Jahwes gehört hast, sieh, deshalb wird ein Löwe dich erschlagen, wenn du fortgegangen bist von mir. Und er ging fort von ihm, und der Löwe fand ihn und erschlug ihn.« (1 Kön 20,35–36) Diese etwas sperrige Geschichte erzählt von einem Gott, der den sinnlosen Befehl erteilt, einen anderen grundlos zu schlagen. Und die Weigerung, einen anderen grundlos zu schlagen, wird mit dem Tode bestraft. Gehorsam steht höher als Denken und Moral. Es ist nicht das einzige Beispiel dafür, dass die Bibel eine Umwertung der Werte vornimmt bzw. Werte vorlebt und fordert, die heute eher Unwerte sind. Aus ethischer Sicht fasst man die Bibel besser mit spitzen Fingern an.
Auch Mose legt starken Wert auf Gehorsam. Im Krieg gegen die Midianiter – Kriegsgrund ist lediglich die angebliche Verführung der Israeliten zu Fremdkulten durch midianitische bzw. moabitische Frauen – erhält Mose den Befehl: »Nimm Rache für die Israeliten an den Midianitern.« Es soll Moses Abschiedskrieg werden, sein Nachfolger ist schon bestimmt, und so tut Mose gehorsam, was er kann, um »die Rache Jahwes an Midian zu vollstrecken.« (Num 31,3) »Und sie führten Krieg gegen Midian, wie Jahwe es Mose geboten hatte, und töteten alle Knaben und Männer.« (Num 31,7)18 Nachdem alle Städte und alle Zeltlager des Feindes verbrannt sind, muss Mose leider feststellen, dass die ausländischen Frauen gegen seinen Befehl immer noch am Leben sind. »Und Mose sprach zu ihnen: Habt ihr etwa alle Frauen am Leben gelassen? Gerade sie brachten doch […] die Israeliten dazu, von Jahwe abzufallen.« (Num 31,15) Also befiehlt Mose, auch er für die Gläubigen ein religiöser Held, vielleicht ihr größter: »So tötet nun alle Knaben, und tötet jede Frau, die mit einem Mann verkehrt hat. Alle Mädchen aber, die noch nicht mit einem Mann verkehrt haben, lasst für euch am Leben.« (Num 31,17–18) So geht diese Geschichte doch noch »gut« aus, denn Mose hat seinen Auftrag ja erfüllt. Modere moralische Bedenken stellt der Text deswegen nicht an. Im Gegenteil: Im Sinne des Textes bestand die Unmoral ja gerade darin, die ausländischen Frauen nicht zu töten. Das Töten ist hier eine Art Gottesdienst, Nicht-Töten ist dagegen Sünde. Solche Geschichten sollten eigentlich die Koordinatensysteme moderner Gläubiger etwas ins Wanken bringen. Doch das tun sie offenbar nicht.
Diese Legende – denn es handelt sich um eine Legende gänzlich ohne historischen Anhalt – geht weiter mit heftigen Übertreibungen. Erbeutet werden 72.000 Rinder und 61.000 Esel. Die Zahl der »erbeuteten Jungfrauen« wird mit 32.000 angegeben. Geht man dann von geschätzt 60.000 Ehefrauen aus (die ja getötet worden sind), muss man mindestens 300.000 Kinder annehmen, von denen 150.000 Knaben waren, die Mose ebenfalls auf Geheiß Jahwes hat umbringen lassen.19 Kein Kirchgänger dürfte wohl jemals eine Predigt darüber gehört haben, dass Gott 150.000 Kinder und deren 60.000 Mütter hat umbringen lassen. Und die Väter natürlich ohnehin.
Die Jahwekriege sind Vernichtungskriege. Es geht nicht um militärische Siege, sondern um die physische Vernichtung fremder Völker ohne Rücksicht auf Frauen, Kinder und Alte. Die Völker sollen regelrecht ausgerottet werden, so will es der Herr. »Wenn Jahwe, dein Gott, vor dir die Völker ausrottet, in deren Gebiet du ziehst« (Dt 12,29), dann ist Jahwe selbst aktiv an der Ausrottung beteiligt. Er steht nicht nur tatenlos dabei, sondern ist Mittäter, ja der eigentliche Haupttäter: »So wisse denn heute, dass Jahwe, dein Gott, vor dir herzieht wie ein verzehrendes Feuer. Er wird sie [die Kanaanäer, das heißt die rechtmäßigen Bewohner des Landes!] vernichten, und er wird sie vor dir niederwerfen, und du wirst sie vertreiben und sie rasch vernichten, wie Jahwe es dir verheißen hat.« (Dt 9,3) Das Deuteronomium rühmt ausdrücklich »die großen Taten« Jahwes (Dt 11,7) und meint damit die Vernichtung anderer Völker. »Niemand wird euch standhalten können. Schrecken und Furcht vor euch wird Jahwe, euer Gott, auf das ganze Land legen, das ihr betretet, wie er es euch verheißen hat.« (Dt 11,2)
Nach heutigen Maßstäben ist Jahwe, der Gott des Alten Testaments, man wird dies an dieser Stelle wohl sagen müssen (weitere schlimme Bibelstellen stehen uns noch bevor), nicht nur ein Kriegsgott, sondern auch ein Kriegsverbrecher. Und zwar einer von der übelsten Sorte. Er betreibt in großem Stil Vernichtungskriege und ethnische Säuberungen. Er verstößt aus heutiger Sicht in erheblichem Umfang gegen Völker- und Menschenrechte, ist rücksichtslos und ohne Mitleid mit seinen Opfern. So jedenfalls die biblische Darstellung, wenn man die geschilderten Kriege und die Erzählungen einmal nüchtern daraufhin befragt, was hier eigentlich geschildert wird. Gläubige sind in der Regel zu einer solchen Analyse kaum fähig, weil sie sich, ohne tiefer nachzudenken, natürlich auf die Seite ihres Gottes gestellt haben und selbst schlimmste und menschenverachtendste Erzählungen glaubenskompatibel umdeuten, nur in Teilaspekten wahrnehmen oder gleich gänzlich ignorieren. Sie glauben an dieser und anderen Stellen lieber der Dogmatik und der kirchlichen Tradition, die ihnen einen liebenden und barmherzigen Gott anbietet. Die kirchliche Interpretationshilfe nimmt man gerne an, auch wenn die biblischen Texte noch so sehr dem verkitschten Gottesbild der Kirchen widersprechen. Der Wortlaut der biblischen Texte ist dann auch gläubigen Protestanten, die doch zuweilen einen regelrechten Kult um das »Wort Gottes« veranstalten, reichlich egal.
Die Gewaltexzesse sind bei der Wüstenwanderung und der sogenannten Landnahme besonders grausam geschildert. Zur Entlastung und Verteidigung des alttestamentlichen Gottes (und vielleicht zur Enttäuschung von Religionskritikern, für die die biblischen Texte ja ein gefundenes Fressen sind) kann beitragen, dass die geschilderten Kriege in wirklich fast allen Fällen reine Erfindungen späterer Jahrhunderte sind. Es gab aus historischer und archäologischer Sicht weder einen Exodus in großem Stil noch eine Wüstenwanderung des Volkes Israel, noch eine kriegerische »Landnahme«, wie sie das Josuabuch erzählt. Die Geschichten darüber sind im Wesentlichen erfunden. Mit einem Abstand von ca. 500–700 Jahren hat eine spätere Zeit für das eigene Volk Israel eine Art Goldenes Zeitalter geschaffen, die Idealzeit einer segensvollen Gottesgemeinschaft. Dabei wurde der Segen Gottes nicht spirituell, sondern höchst irdisch als militärische Erfolge und entsprechender Landgewinn verstanden. Die Kriege sind erfunden, und auch der kriegerische Gott ist erfunden, so die Kurzfassung der Erträge der Forschung zu dieser Frage.20
Historiker und Archäologen können dieses Faktum in wissenschaftlicher Nüchternheit zur Kenntnis nehmen. Aber können diese Ergebnisse der Forschung die Christen wirklich freuen? Ihr kriegerischer Gott ist zwar eine Erfindung, aber die sogenannte »Heilsgeschichte« mit wichtigen Glaubenstraditionen eben gleich mit. Und im Rahmen dieses Buches wollen wir zwar immer auch historische Erkenntnisse der Forschung vermitteln, aber mit den Gläubigen auch erst einmal so tun, als verdiene die Bibel Vertrauen und als sei der Gott des Alten Testaments tatsächlich so, wie er geschildert wird. Und da haben wir es eben mit einem moralisch höchst fragwürdigen Gott zu tun.
Es ist schwer möglich, im Rahmen dieses Buches alle Kriege und militärischen Auseinandersetzungen daraufhin zu untersuchen, ob und welche unrühmliche Rolle Jahwe in ihnen spielt. Vieles muss deshalb hier weggelassen werden. Denn leider enden die Szenen der Gewalt nicht mit der fiktiven Eroberung des Landes. Auch in der Zeit der »Richter« (ca. 1200–1000 v. Chr.) ist Jahwe zuständig für Kriegserfolge. Nachdem er angekündigt hat, die Feinde »in eure Hand« zu geben, zieht der Richter Ehud gegen Moab, einen Nachbar Israels: »Und sie schlugen Moab zu jener Zeit, gegen zehntausend Mann, alles kräftige und tüchtige Männer, und niemand entkam.« (Ri 3,29) Der Richter Schamgar erschlägt 600 Philister. Die Ammoniter, ebenfalls Nachbarn, beklagen sich mit Recht, weil ihnen Israel Land weggenommen hat, und fordern es zurück. Doch der Richter Jiftach stellt klar: »Alles, was Jahwe, unser Gott, vor uns enteignet hat, das nehmen wir in Besitz.« Religiöser Wahn führt damals wie heute zu absurden Landansprüchen. So heißt es, »der Geist Jahwes war auf Jiftach«, was aber auch hier wieder nicht modern-spirituell gemeint ist, sondern ausdrücken will, dass Jahwe militärisch auf seiner Seite steht. Jiftach bringt den Ammonitern eine schwere Niederlage bei: »So wurden die Ammoniter von den Israeliten gedemütigt.« (Ri 11,33)
Auch im Neuen Testament finden sich widerliche Gewaltfantasien. So ist das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, eine wahre Ausgeburt primitiven Rachedenkens, weil hier die kranke Fantasie des unbekannten Autors nicht nur einzelne Völker tot sehen will, sondern gleich den weitaus größten Teil der Menschheit. Christen dürften die Massaker, die hier teilweise sogar von Jesus selbst (Apk 19,11–16) begangen werden, ebenso unbekannt sein wie die Massaker des Alten Testaments. Dabei steht alles in ihren heiligen Schriften, sie müssten sie nur einmal kritisch lesen.
Die Apokalypse, der große Endkampf der Geschichte, ist eine wahrhaft perverse Vorstellung, die sich im Alten Testament nur am Rande findet. Dennoch gibt es sie auch dort. Beim Propheten Ezechiel finden sich Sprüche über die Völker Gog und Magog, die das (natürlich) friedliche und unbewaffnete Israel am Ende der Zeiten angreifen werden. Sie rücken an mit sieben Verbündeten, darunter Kusch (Sudan), Äthiopien, Libyen, Anatolien und Armenien. Es ist Jahwe selbst, der sie nach Israel heraufziehen lässt, um sich an ihnen »als heilig zu erweisen«, das heißt, um sie zu vernichten (Ez 38,16). »Ich gehe gegen dich vor, Gog […]. Und ich werde dich herausreißen und Haken in deinen Kiefer schlagen«, hört man Jahwe wüten (Ez 38,3). Jahwe will viele seiner klassischen Plagen senden: »Und mit Pest und mit Blut werde ich mit ihm ins Gericht gehen. Und Regenflut und Hagelsteine, Feuer und Schwefel lasse ich auf ihn regnen […]. Und ich werde mich als groß und heilig erweisen.« (Ez 38,22–23) In Ez 39 wird dann die Vernichtung der Fremdvölker geschildert. Sie werden den Raubvögeln zum Fraß vorgeworfen, Jahwe sendet Feuer und tönt: »Meinen heiligen Namen mache ich bekannt« (Ez 39,7) – Offenbarung und Vernichtung sind hier eins. In einem Tal wird ein riesiges Grab für die Fremdvölker ausgehoben. Gedacht ist offenbar an das Nachbarland Moab, und es geht wohl darum, das Land Israel von der Menge der vielen Toten rein zu halten. Ganze sieben Monate soll es dauern, die Toten zu begraben (Ez 39,12). Doch damit noch nicht genug: Jahwe lädt die Vögel und die anderen Tiere zu einem Schlachtopfer ein, einem großen Festmahl mit Menschenfleisch: »Von ringsum kommt zusammen zu meinem Schlachtopfer, das ich für euch schlachte […]. Und ihr werdet Fleisch fressen und Blut trinken […]. Und ihr werdet Fett essen, bis ihr satt seid, und Blut trinken, bis ihr betrunken seid von meinem Schlachtopfer, das ich für euch schlachte. Und an meinem Tisch werdet ihr euch satt essen an Pferden und Reitern, an Helden und allen möglichen Kriegern. Und ich werde meine Herrlichkeit unter die Nationen bringen.« (Ez 39,17–21)
In die halbmythische Vergangenheit des Exodus und in die ferne Zukunft kann die fromme Vorstellungskraft besonders energisch hineinfantasieren. Hier muss sie am wenigsten Rücksicht auf die Wirklichkeit nehmen, den natürlichen Feind aller Religionen. Dennoch sind gegen die Gräuel, die das Neue Testament in der Offenbarung des Johannes malt, alle Massaker des Alten Testaments nur ein Kindergeburtstag. Die perversen Vernichtungsfantasien des Offenbarers Johannes sind der Abschluss der Bibel, Gipfel und Höhepunkt einer religiösen Raserei, die man nur kopfschüttelnd als pathologisch bezeichnen kann, wenn man sich erst einmal klargemacht hat, was da eigentlich beschrieben und erhofft wird. Sie sind Ausdruck des kranken, unbändigen und auf Gott und Jesus projizierten Wunsches, dass alle, die anders denken und glauben, und alle, die anders sind als die Christen, nicht nur getötet, sondern erbarmungslos zu Tode gequält werden – vom gleichen Gott, der in den Evangelien und den Verlautbarungen der Kirchen als Menschenfreund und Vater Jesu Christi bezeugt wird. »Gott ist die Liebe«, hieß es noch in 1 Joh 4,16. Doch am Ende der Bibel vernichtet dieser Gott rücksichtslos alle, die ihn nicht lieben wollen.
Jahwes Gewalt gegen das eigene Volk
Doch das Neue Testament ist nicht unser Thema. Kehren wir zurück zum gewalttätigen Gott des Alten Testaments. Die biblischen Schriftsteller, die es für eine gute Idee gehalten haben, ihren eigenen Gott in einem für heutige Augen derart schlechten Licht zu zeichnen, schrecken auch vor hemmungsloser Gewalt gegen das eigene Volk nicht zurück. Gott geht gewaltsam auch gegen sein eigenes Volk vor. Israel selbst wird zum Feind Jahwes erklärt. Und zwar immer dann, wenn Israel sich nicht so verhält, wie Jahwe es von ihm erwartet, nicht den hündischen Gehorsam zeigt, den er sehen will. »Sie aber waren widerspenstig und kränkten seinen heiligen Geist. Da verwandelte er sich in ihren Feind, er selbst bekämpfte sie.« (Jes 63,10) Und beim Propheten Micha heißt es: »Aber längst schon erhebt sich mein Volk als Feind.« (Mi 2,8)
Wegen kleinster Vergehen kann Jahwe Menschen töten. Als Kundschafter ausgesandt werden, um das Land Kanaan auszuforschen, und Gerüchte streuen über die Unannehmlichkeiten des Landes, also eher warnen vor einem Einzug, werden 22 Männer von Gott umgebracht (Num 14,37). Als zwei Söhne Aarons falsch opfern, kennt Jahwe keine Gnade: »Da ging Feuer aus von Jahwe und verzehrte sie, und sie starben vor Jahwe.« (Lev 10,2) Die Brüder der beiden Getöteten dürfen auf Befehl Jahwes die Toten nicht begraben und nicht einmal bei der Beerdigung anwesend sein. Ja, Aaron und den anderen Brüdern wird von Jahwe sogar das Trauern (!) um die toten Brüder verboten, unter Androhung der Todesstrafe und weiteren Unheils für die anderen Israeliten. Wie ein leiser Protest klingt es da fast, wenn Mose spricht: »Eure Brüder aber, das ganze Haus Israel soll weinen über den Brand, den Jahwe entfacht hat.« (Lev 10,6)
Bekannt ist die Geschichte aus Num 16 von der sogenannten »Rotte Korach«, die in der Wüste als eine Art Prototyp der Abweichung von Jahwe dargestellt wird. Sie hatte offenbar die Alleinführerschaft des Mose infrage gestellt und darauf gedrungen, dass man nicht Mose, sondern Gott Untertan sei: »Die ganze Gemeinde, sie alle sind heilig, und in ihrer Mitte ist Jahwe.« (Num 16,3) In Ex 19,6 und Num 11,20 hatte auch Jahwe selbst es genauso gesehen. Die Korachiten sind also gar nicht so »unfromm«, wie man denken könnte, denn sie bringen offenbar ein altes Gottesrecht gegen die Alleinführerschaft des Mose in Stellung. Doch Jahwe weiß nichts mehr von seinen früheren Worten und schlägt sich auf die Seite des Mose. Seine Absicht ist wieder eindeutig: »Ich will sie auf einen Schlag vernichten.« Mose kündigt ihnen daraufhin an, dass die Erde sich unter ihnen öffnen und die Korachiten verschlingen werde. Und so lässt es Jahwe geschehen: Es »spaltete sich der Ackerboden unter ihnen. Und die Erde tat ihren Mund auf und verschlang sie und ihre Häuser und alle Menschen, die zu Korach gehörten, und ihre gesamte Habe. Und sie fuhren mit allem, was ihnen gehörte, lebendig hinab ins Totenreich.« (Num 16,31–33). Unter Jahwes Opfern befinden sich, wie ausdrücklich vermerkt wird, auch die Frauen, die Söhne und die kleinen Kinder der Korachiten (Num 16,27). Und als wäre das noch nicht genug, werden auch noch zweihundertfünfzig Männer, »Fürsten der Gemeinde, Berufene der Versammlung, namhafte Männer« (Num 16,2), bei einem zweiten Gottesurteil getötet. Ja mehr noch: nicht nur getötet, sie werden von Gott höchstpersönlich verbrannt: »Ein Feuer ging aus von Jahwe, und es verzehrte die zweihundertfünfzig Männer.« (Num 16,35)21
Ein Kapitel weiter bleibt es nicht bei so »wenigen« Toten. Erneut gibt es ein »Murren gegen Mose« und seinen alleinigen Führungsanspruch, und erneut lässt Jahwe vernehmen: »Entfernt euch aus dieser Gemeinde [der Murrenden], dann will ich sie auf einen Schlag vernichten.« (Num 17,10) Mose, der Schlimmes ahnt, trägt Aaron auf, seine Räucherpfanne in Betrieb zu nehmen und eilends zu den Israeliten zu tragen, um »Sühne« zu erwirken. Aaron läuft los und tut, wie ihm gesagt wurde. Aber es ist schon zu spät, »denn der Zorn ist von Jahwe ausgegangen, die Plage hat begonnen.« (Num 17,11) Fast auf magische Weise bringt das Eintreffen Aarons und seiner Räucherpfanne die Plage zum Stoppen. Doch der Herr hat bereits ganze Arbeit geleistet: »14.700 Menschen waren an der Plage gestorben.« (Num 17,14). Hier ist es Mose, der, an anderer Stelle selbst als Mörder geschildert, verzweifelt versucht, die Strafe Jahwes noch zu verhindern, die Folgen der göttlichen Gewaltbereitschaft noch abzumildern.22
Das Motiv, den göttlichen Zorn zu verhindern, begegnet noch öfter. Als das Volk in der Wüste erneut murrt (ein Standardmotiv), sendet Jahwe Feuerschlangen (Sarafschlangen), »und sie bissen das Volk, und viel Volk aus Israel starb.« (Num 21,6) Mose jedoch erschafft eine bronzene Schlange, zu der die Menschen aufsehen können, und sie bleiben am Leben.23 Auch hier wird mit Mitteln der Magie der göttliche Zorn abgemildert – Mose verteidigt das Volk gegen einen wütenden Gott.
In Num 24 werden 24.000 Menschen umgebracht, aber auch hier wieder nicht einfach nur getötet. Man mag es kaum lesen, doch sie werden auf Gottes Befehl hin durch Pfählen zu Tode gequält. »Und Jahwe sprach zu Mose: Nimm alle Häupter des Volks und pfähle sie im Angesicht der Sonne für Jahwe [die Einheitsübersetzung lautet: und spieße sie für den Herrn im Angesicht der Sonne auf Pfähle; Luther spricht nur vom Aufhängen], damit der glühende Zorn Jahwes von Israel ablässt. Und Mose sprach zu den Richtern Israels: Es töte jeder diejenigen von seinen Leuten, die sich an den Baal von Peor gehängt haben.« (Num 25,4–5) Denn eben das war die Schuld der Gemordeten, die Verehrung eines fremden Gottes. Religionsfreiheit kennt der alttestamentliche Gott natürlich nicht, und der Abfall von ihm ist schlimmer, als wäre man überhaupt nie sein Anhänger gewesen. Dass Apostaten mit unbarmherziger Härte verfolgt werden, kennt man heute besonders vom Islam. Doch Jahwe lebt es hier auf grausame Weise vor.
Eine sehr bekannte Geschichte ist die vom Goldenen Kalb. Während Mose auf dem heiligen Berg ist und die Gesetze Gottes entgegennimmt, erschafft sich das Volk ein goldenes Kalb und betet es an. Jahwe ist erwartungsgemäß wieder höchst pikiert und denkt gleich wieder an Vernichtung: »Und Jahwe sprach zu mir [Mose]: Ich sehe nun, dass dieses Volk ein halsstarriges Volk ist. Lass mich sie vernichten.« (Dt 9,13–14) Und wieder ist es Mose, der die latente Gewalttätigkeit Jahwes abmildern will. Er geht in die Wüste, um vierzig Tage und vierzig Nächte nichts zu essen und zu trinken und so Gottes Zorn und seinen Grimm (wörtlich: »sein Schnauben und seine Hitze« – Jahwe ist Choleriker) zu besänftigen. Und es gelingt ihm tatsächlich, Jahwe von einem weiteren Massenmord am eigenen Volk abzuhalten.
Diese wegen ihrer Bildhaftigkeit so bekannte Geschichte ist, wie die vorigen auch, eine Erfindung. In der alttestamentlichen Forschung geht man davon aus, dass hier eine Polemik gegen die Nordreichsheiligtümer Beth-El und Dan vorliegt, wo der Nordreichskönig Jerobeam I. (927–907 v. Chr.) Stierbilder hat aufstellen lassen, die offenbar Jahwe symbolisierten. Stiere waren alte Symboltiere der Götter El und Baal, und auch Jahwe war in früher Zeit wohl als Stier symbolisiert worden. In seiner Zeit hätte Jerobeam damit eigentlich im Sinne der Jahweverehrung gehandelt, aber für die spätere deuteronomistische Redaktion (um 650–600 v. Chr. und später) wurde er unter anderem dadurch zum Inbegriff des abtrünnigen Herrschers überhaupt. Die Samuel- und Königsbücher sprechen formelhaft geradezu von der »Sünde Jerobeams«. Die Polemik gegen die Nordreichsheiligtümer Beth-El und Dan, die ja mit ihrem Kult in Konkurrenz zum Heiligtum in Jerusalem standen, wurde literarisch einfach in die Wüstenzeit zurückdatiert und die Stierfiguren wurden als bloße »Kälber« lächerlich gemacht. Alle Gottesworte und auch das göttliche »Schnauben und seine Hitze« sind demnach ebenfalls Erfindungen.24