Der Gott der Rache - Judith Parker - E-Book

Der Gott der Rache E-Book

Judith Parker

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Beschreibung

In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! Ich stand auf einer kleinen Insel, die von hochschlagenden Wellen allmählich von allen Seiten überflutet wurde. Plötzlich tauchten Schlangen auf mit gefiederten Rücken. Zischend schlängelten sie auf mich zu, züngelten und starrten mich mit funkelnden, kleinen stechenden Augen an, kamen näher und näher. Und dann sprang ein Löwe auf mich zu, mit aufgerissenem Maul und riesigen Zähnen. Seine gelben Augen wurden größer und größer ... Den Namen Jeremy Brook hörte ich zum erstenmal auf meinem Flug von New York nach Dallas. Noch war er für mich ein gesichtsloser Mann, der aber, wie ich erfuhr, einen Mittelpunkt in der Schickeria von Dallas bildete – als Bildhauer. »Ah ja«, sagte ich nur und sah den Mann neben mir mit gespieltem Interesse an. Inzwischen hatte ich erfahren, daß der Passagier, der ebenfalls in New York den Jet bestiegen hatte, Timothy Raynes hieß. Und kurz bevor die Maschine landete, fragte ich: »Kennen Sie zufällig Joe Shelton? Wie Sie vorhin erwähnten, haben Sie auch etwas mit Öl zu tun.« »Joe? Joe Shelton? Aber ja, ich kenne ihn. Wer kennt diesen Ölmillionär denn nicht? Natürlich ist unsere Bekanntschaft rein geschäftlich. Das Kartell der Ölmagnaten ist weit verbreitet.« Timothy Raynes musterte mich voller Freude. »Gehören Sie auch dazu?«

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Gaslicht – 67 –

Der Gott der Rache

Judith Parker

Ich stand auf einer kleinen Insel, die von hochschlagenden Wellen allmählich von allen Seiten überflutet wurde. Plötzlich tauchten Schlangen auf mit gefiederten Rücken. Zischend schlängelten sie auf mich zu, züngelten und starrten mich mit funkelnden, kleinen stechenden Augen an, kamen näher und näher. Und dann sprang ein Löwe auf mich zu, mit aufgerissenem Maul und riesigen Zähnen. Seine gelben Augen wurden größer und größer ...

Den Namen Jeremy Brook hörte ich zum erstenmal auf meinem Flug von New York nach Dallas. Noch war er für mich ein gesichtsloser Mann, der aber, wie ich erfuhr, einen Mittelpunkt in der Schickeria von Dallas bildete – als Bildhauer.

»Ah ja«, sagte ich nur und sah den Mann neben mir mit gespieltem Interesse an. Inzwischen hatte ich erfahren, daß der Passagier, der ebenfalls in New York den Jet bestiegen hatte, Timothy Raynes hieß. Und kurz bevor die Maschine landete, fragte ich: »Kennen Sie zufällig Joe Shelton? Wie Sie vorhin erwähnten, haben Sie auch etwas mit Öl zu tun.«

»Joe? Joe Shelton? Aber ja, ich kenne ihn. Wer kennt diesen Ölmillionär denn nicht? Natürlich ist unsere Bekanntschaft rein geschäftlich. Das Kartell der Ölmagnaten ist weit verbreitet.« Timothy Raynes musterte mich voller Freude. »Gehören Sie auch dazu?«

Unwillkürlich mußte ich lachen. »Nein, Mr. Raynes, bestimmt nicht. Aber meine Freundin ist mit Joe verheiratet. Ich werde einige Wochen in Dallas bleiben.«

»Wirklich?« Wieder sah er mich prüfend an. »Ich halte Sie für eine Engländerin.«

»Womit Sie den Nagel auf den Kopf getroffen haben.« Mehr wollte ich dem Mann nicht von mir erzählen. Warum auch? Wenn wir den Jet verließen, würden sich unsere Wege trennen.

Timothy Raynes schien da anderer Meinung zu sein. »Miß Rogers, ich bleibe einige Tage in Dallas. Ich würde...« Er lachte jungenhaft. »Ja, es würde mich freuen, wenn wir uns wiedersehen könnten.«

Ich zögerte. Der Mann sah mir zu gut aus. Während unseres Beisammenseins hatte ich Zeit genug gehabt, mich davon zu überzeugen. Wenn er lachte, sah ich seine kräftigen weißen Zähne und auch das Grübchen auf seiner linken Wange. Sonnengebleichte Strähnen durchzogen sein dunkelblondes Haar, und die Lachfältchen an den äußeren Augen deuteten darauf hin, daß er auf der Sonnenseite des Lebens stand. Er war braungebrannt und wirkte sehr sportlich. Die saloppe Eleganz seiner Kleidung verlieh ihm das gewisse Etwas, das Frauen gefiel. Mir leider auch. Aber ich hatte nicht vor, mich kopfüber in ein kurzes Abenteuer zu stürzen, denn daraufhin würde eine engere Beziehung mit ihm hinauslaufen.

»Sie wollen nicht?« fragte er leise.

»Sollten wir das nicht dem Zufall überlassen?« entzog ich mich einer direkten Antwort.

»Einverstanden, Miß Susan Rogers.«

Überrascht sah ich ihn an. »Sie kennen meinen Vornamen?«

»Ist das schlimm?« Wieder dieses umwerfende charmante Lächeln eines Mannes, der bestimmt nicht unter Minderwertigkeitskomplexen litt. »Ich fliege diese Strecke oft und kenne die meisten Stewardessen. Bevor ich meinen Platz neben Ihnen einnahm, wollte ich unbedingt wissen, wie Sie heißen. So erfuhr ich auch, daß Sie Britin sind.«

»Dann wissen Sie ja alles über mich«, erwiderte ich trocken.

Die Maschine setzte zur Landung an, rollte über die Landebahn und blieb stehen. Wir öffneten die Sicherheitsgurte, blieben aber noch sitzen, um die anderen Passagiere vorbeigehen zu lassen, die dem Ausgang zustrebten.

Timothy Raynes erhob sich. Sein Lächeln verwirrte mich nicht zum erstenmal. Er nahm meine Reisetasche aus dem Gepäckfach.

»Danke«, sagte ich.

»Nicht der Rede wert, Miß Rogers. Finden Sie nicht, daß das sehr steif klingt?«

»Ich verstehe Sie nicht, Mr. Ray-nes.«

»Bei uns redet man sich mit dem Vornamen an, wenn man sich länger als eine Stunde kennt.«

»Tatsächlich?« Ich nahm meine Tasche, hängte sie mir über die Schulter und ergriff die große Reisetasche. »Wir Briten sind darin konservativer.«

»Das ist mir bekannt. Ich war einige Male in London.«

Timothy Raynes wechselte einige freundliche Worte mit den Stewardessen, dann folgte er mir. Die Stewardeß am Ausgang wünschte mir einen guten Aufenthalt in Dallas. »Und Ihnen auch, Tim«, sagte sie und schenkte ihm ein verführerisches Lächeln.

»Danke, Pam. Wir sehen uns ja bald wieder.«

»Okay, Tim.«

Nebeneinander stiegen wir die Gangway hinab.

»Darf ich Sie anrufen? Wenn Sie eine Freundin von Joe Sheltons Frau sind, kann ich Sie bestimmt auf der Shelton Ranch erreichen.«

»Wahrscheinlich.« Ich erwiderte sein Lächeln mit klopfendem Herzen.

»Dann rufe ich Sie an. Bis dahin alles Gute.«

Unsere Wege trennten sich. Noch einmal sahen wir uns kurz an der Gepäckausgabe. Doch da war er in Begleitung einer bildhübschen Blondine, die lebhaft auf ihn einredete.

Dann entdeckte ich Sally. Wir hatten uns mehr als vier Jahre nicht mehr gesehen. Sie hatte sich verändert, aber zu ihrem Vorteil. Ihre hellgrauen Augen leuchteten auf, als sie mich sah. Das volle schwarze Haar trug sie offen. Ihr Anblick warf mich fast um. In London, wo wir ein Apartment geteilt hatten, war Sally völlig uninteressiert an ihrer äußeren Erscheinung gewesen. Sie hatte eine scheußliche Brille getragen und ihr strähniges Haar straff nach hinten gebürstet. Nun fiel es in weichen Wellen auf ihre Schultern. Sie trug eine rosa Bluse und eine lange weiße Hose, dazu einen weitfallenden weißen Mantel.

»Susan!« rief sie und kam mir entgegen. Wir umarmten uns, glücklich über unser Wiedersehen. »Ach, Susan, ich freue mich schrecklich, daß du gekommen bist.« Sie schnupperte an mir herum.

»Ist was?« fragte ich erstaunt.

»Aber nein, Susan, ich wollte nur die Luft von London riechen«, erwiderte sie lachend. »Ein bißchen davon hast du mitgebracht. Manchmal habe ich richtiges Heimweh nach unserer Bude.«

»Aber du hast doch das große Los gezogen«, meinte ich.

»O ja. Ich liebe Joe leidenschaftlich. Er hat nur einen einzigen Fehler.«

»Und der wäre?« Ich richtete meinen Blick auf das Fließband der Gepäckausgabe. »Da ist mein Koffer!« rief ich und angelte ihn heraus. Sally hatte sich schon um einen Kofferträger gekümmert.

»Joe hat nie Zeit für mich«, sagte meine Freundin. »Das ist sein Fehler. Aber sonst gehöre ich zu den wenigen Frauen, die trotz vier Ehejahren noch als glücklich zu bezeichnen sind.«

»Du bist beneidenswert.«

»Und du? Wie geht es dir? Bist du mit deiner Stellung in London zufrieden?«

»Ja, die Arbeit macht mir Spaß.«

»Ich stelle es mir irrsinnig interessant vor, bei einem Psychoanalytiker zu arbeiten.«

»Na ja, manchmal ist es interessant, aber hin und wieder wird man mit Schicksalen konfrontiert, die einen sehr nachdenklich stimmen. Sally, hier möchte ich all das vergessen. Ich habe mich riesig über deine Einladung gefreut.«

»Und ich war so froh, als du sie angenommen hast, Susan. Heute abend gebe ich dir zu Ehren eine Party. Meine besten Freunde werden dasein.« Auf ihren hohen Absätzen stöckelte meine Freundin neben mir her.

Wir verstauten mein Gepäck im Kofferaum ihres Autos und stiegen dann ein.

»Wir wohnen außerhalb von Dallas. Die Shelton Ranch hat eine herrliche Lage, und das Haus ist ein Märchen. Joes Vater hat es bauen lassen. Meine Schwiegermutter Anne lebt mit uns dort, auch Joes Bruder Ray. Ray kümmert sich um die Ranch. Er wird bald heiraten. Du wirst seine Verlobte Isabel heute abend kennenlernen. Ihr Vater besitzt mehrere Maschinenfabriken. Doch das wirst du alles noch früh genug erfahren. Nicht wahr, du bleibst doch vier Wochen hier?«

»Glaub mir, Sally, ich würde noch viel länger hierbleiben, wenn ich es könnte.«

»Du wirst vielleicht hier den Mann deines Lebens kennenlernen«, meinte sie lächelnd. »Es gibt genügend Junggesellen, die dich liebend gern heiraten würden.«

»Sally, du übertreibst!« rief ich. Dabei dachte ich an Timothy Raynes. Ob Sally ihn kannte? Warum frage ich sie nicht einfach? Vielleicht später, nahm ich mir vor.

Wir fuhren durch die Innenstadt, und ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Was ich sah, überwältigte mich, führte mir vor Augen, daß ich bisher einiges versäumt hatte. Der Flug in die Staaten war meine erste Reise in einen anderen Erdteil. Bereits während meines fünfstündigen Aufenthalts in New York hatte mein Herz höher geschlagen, obwohl ich kaum etwas von der Stadt gesehen hatte. Von Filmen her kannte ich natürlich Manhattan und auch die Freiheitsstatue. Doch es ist etwas anderes, das alles in Wirklichkeit zu sehen.

In Dallas würde ich mehrere Wochen bleiben und zu der Schickeria gehören. Ich konnte mich an dem bunten Durcheinander auf den Straßen und den Wolkenkratzern mit ihren schimmernden Fassaden nicht satt sehen. Elegante Frauen und Männer, die Stetsons und Jeans trugen, bevölkerten die City. Grünanlagen, Springbrunnen und Geschäfte mit luxuriösen Auslagen verliehen der Stadt einen Flair von Reichtum und Sorglosigkeit.

Sally steuerte den Wagen durch den Verkehr, sah mich hin und wieder mit einem zufriedenen Lächeln an und meinte: »Wie ich feststelle, gefällt es dir hier. Doch um dieses Bild nach außen zu erhalten, rauchen die Köpfe der Magnaten in den unzähligen Büros. Da ist ein einziges Kommen und Gehen, ein Feilschen um jeden Dollar, wenn die Summen sich auch meist in Millionenhöhe bewegen. Natürlich nicht überall. Es gibt auch Armut, Kummer und Leid, wie in jeder Stadt, in der mehr als eine Million Menschen leben.«

*

Wir verließen die City, fuhren durch ärmere Viertel und erreichten eine breite Straße, über der sich die Äste von alten Bäumen zu einem Tunnel schlossen und ein grüngoldenes Licht hervorzauberten.

Ich überließ mich meinen träumerischen Gedanken und dachte auch an Timothy Raynes, der mich wiedersehen wollte. Auch ich würde ihn gern wiedersehen, obwohl...

Ich verbot mir, weiter an den Mann zu denken, der von einer bildschönen Blondine am Flugplatz abgeholt worden war. Dann fiel mir der Name des Künstlers ein, der ein Mittelpunkt in der Schickeria von Dallas sein sollte. Timothy hatte mir erzählt, er wäre Bildhauer.

»Ist dir der Name Jeremy Brook bekannt, fragte ich?«

Überrascht sah mich Sally an. »Jerry? Aber ja. Woher kennst du seinen Namen?«

»Ein gewisser Timothy Raynes erwähnte ihn im Jet. Er soll Künstler sein.«

»O ja, er ist ein begnadeter Künstler, ein bißchen verrückt, mehrmals geschieden und ein Verehrer von schönen Frauen. Sei vor ihm auf der Hut«, warnte mich Sally scherzend.

»Schöne Frau? Du meinst doch nicht mich damit? Daß ich nicht lache! Ich bin ein glatter Durchschnitt, Sally. Du dagegen...«

»Erinnerst du dich nicht mehr an London, wo ich einer grauen Maus glich?« unterbrach sie mich lebhaft. »Joe hat mich sozusagen von der Straße aufgelesen. Später sagte er mir, er hätte sofort meine Schönheit erkannt. Er schleifte mich in Kosmetiksalons, zu Friseuren und in Boutiquen, in denen ich die Haute Cou-
ture kennenlernte. Du bist schön, Susan. Das werde ich dir beweisen. Wir haben fast die gleiche Figur. Schon am heutigen Abend werde ich dafür sorgen, daß du deinen Typ betonst. Du wirst schon sehen.«

Ich sah sie ungläubig an. »Deine Worte in Gottes Ohr«, spottete ich

»Laß mich nur machen.« Meine Freundin bog in einen schmalen Weg ein, der von Pferdekoppeln gesäumt wurde. Prachtvolle Pferde bevölkerten die großen Weideflächen. Ein Fohlen kam ans Gatter gelaufen und wieherte vergnügt. Der Weg mündete in einen Parkplatz.

»Wie schön«, stellte ich fest und bewunderte das einstöckige Haus, dann fiel mein Blick auf den herzförmigen Swimming-pool mit dem aquamarinblau schimmernden Wasser. Liegestühle, gruppiert um kleine Tische, beschattet von großen Sonnenschirmen, vollendeten das Bild einer gemütlichen Atmosphäre.

Eine ungefähr fünfzigjährige Frau in einem langärmeligen Sommerkleid trat aus dem Haus. Das mittelblonde Haar war kurz geschnitten und verlieh ihr ein fast mädchenhaftes Aussehen. Auf Anhieb war sie mir sympathisch.

Sally und ich stiegen aus.

»Hallo, Anne!« rief meine Freundin. »Das ist Susan Rogers. Susan, und das ist meine Schwiegermutter Anne Shelton.«

»Herzlich willkommen«, sagte die Frau und musterte mich neugierig. »Sally konnte Ihre Ankunft kaum erwarten. Sie hat viel von Ihnen erzählt, Susan.« Sie reichte mir die Hand.

»Ich danke Ihnen für die Einladung, Mrs. Shelton.«

»Nennen Sie mich Anne – wie alle meine guten Freunde, die auch die meiner Söhne und meiner Schwiegertochter sind.«

»Komm, Susan!« rief Sally. »Um dein Gepäck brauchst du dich nicht zu kümmern. Das macht Larry. Er ist unser Diener. In England würde man ihn als Butler bezeichnen. Und Kitty, ein Hausmädchen, wird dir beim Auspacken helfen. Aber erst mußt du etwas mit uns trinken. Einen sogenannten Willkommenstrunk. Einverstanden?«

»Natürlich, Sally.« Bevor ich Anne Shelton ins Haus folgte, sah ich mich noch einmal um. Die Pferde, die auf der Koppel standen, fand ich wunderschön. Sally war meinem Blick gefolgt. »Du kannst doch reiten, Susan?«

»O ja, Sally. Aber ich bin aus der Übung.«

»So etwas verlernt man nie. So wie das Schwimmen und das Autofahren. Gleich morgen früh werden wir zusammen mit Ray ausreiten. Er wird Isa-bel im nächsten Monat heiraten. Auf alle Fälle bleibst du bis zu seiner Hochzeit da.«

»Das würde ich gern«, erwiderte ich und ging mit ihr ins Haus.

Die kleine Diele war mit antiken Möbeln ausgestattet. Ein venezianischer Spiegel hing über einer uralten Truhe mit Eisenbeschlägen. Eine Schiebetür öffnete sich in ein Wohnzimmer, von dem eine Treppe mit
einem polierten Mahagonigeländer nach oben führte.

Was für ein Prunk, konnte ich nur noch denken, als ich die luxuriöse Austattung des großen Raumes bewunderte. Die Wände waren mit Seidentapeten bespannt. Goldgerahmte Gemälde schmückten sie. Zwei Polstergarnituren, gruppiert um niedrige Tische mit Marmorplatten, standen auf Orientteppichen in leuchtenden Farben. Wunderschöne antike Möbel aus verschiedenen Erdteilen vervollständigten das Bild von einem für mich noch unvorstellbaren Reichtum, gepaart mit gutem Geschmack. Auch die Lampen waren liebevoll auf den Raum abgestimmt. Wandleuchter mit Bernsteinschirmen und ein großer Kristallüster, der wie eine riesige Traube von der Holzdecke hing, waren auf die Tischlampen abgestimmt.

Sally schob eine Glastür auf. »Das ist das Eßzimmer, und dort sind die Bibliothek und zwei Salons. Heute hat das Personal alle Hände voll zu tun. Susan, du wirst müde sein. Aber du kannst dich bis zum Abend ausruhen. Die Zeitverschiebung wird dir zu schaffen machen.«

»Überhaupt nicht«, erwiderte ich. »Ich war müde, aber nun bin ich putzmunter. Ich könnte jetzt gar nicht schlafen.«

Ein ungefähr dreißigjähriger Mann mit dunklen, leichtgewellten Haaren und braunen Augen betrat das Wohnzimmer. Er trug ein buntkariertes Hemd und Jeans, deren Beine in wadenhohen Stiefeln steckten. In der Hand hielt er einen Stetson.

»Sie sind bestimmt Susan«, sagte er freundlich. »Herzlich willkommen. Ich bin Ray Shelton, Sallys Schwager.« Er sah mich lächelnd an.

Wir begrüßten uns, und Ray kümmerte sich um die Getränke. Er pries mir irgendeinen Cocktail an, und ich nickte.

Etwas später stießen wir an, dann sagte Sally: »So, und nun bringe ich dich hinauf in dein Zimmer. Larry und Kitty haben das Gepäck bestimmt schon nach oben getragen, durch den Hintereingang.«

Noch einmal bedankte ich mich für den Drink und den freundlichen Empfang auf der Shelton Ranch, dann folgte ich meiner Freundin die mit einem roten Treppenläufer ausgelegten Stufen hinauf.

Überall hingen prachtvolle Gemälde und Stiche. Ein Läufer mit Orientmuster bedeckte den honiggelben Parkettboden des Korridors im ersten Stock. Die Türen zu beiden Seiten waren lindgrün und mit vergoldeten Girlanden verziert.

Sally öffnete eine der Türen. »So, das ist für die nächsten Wochen dein Reich«, sagte sie stolz. »Gefällt es dir?«

»Es ist wunderschön«, entgegnete ich, entzückt über den Luxus.

Das breite Bett war mit hellblauer Seide gepolstert. Eine Überdecke aus dem gleichen Material war darübergebreitet. Meine Füße versanken in einem dicken weißen Teppich, und der Kristallspiegel warf mein Bild zurück. Ich sah eine zierliche junge Frau mit rotbraunen Locken. Die großen dunklen Augen zeigten einen nachdenklichen Ausdruck. An mir war nichts Auffallendes. Wie billig mein Kostüm im Vergleich zur Kleidung meiner Freundin wirkte, die nun neben mich trat.

Seufzend wandte ich mich zu ihr um. Im selben Augenblick erschien ein Mädchen mit hohen Backenknochen und schmalen braunen Augen. Sie trug ein schwarzes Kleid, darüber ein weißes Schürzchen.

»Das ist Kitty«, erklärte Sally. »Und da kommt Larry auch schon mit dem Gepäck. Susan, Kitty macht das schon allein. Komm mit mir.«

Die Verlockung war zu groß, um abzulehnen. In London mußte ich alles selbst machen, doch hier wurde ich anscheinend von vorn bis hinten bedient.

»Gut«, sagte ich und händigte dem freundlichen Hausmädchen die Kofferschlüssel aus. Ich hoffte nur, daß sie über meine Sachen nicht die Nase rümpfen würde – und wenn, dann sah ich es wenigstens nicht.

»Sie können sich auf mich verlassen, Miß Rogers«, versichert Kitty und machte sich an die Arbeit.

»Später kannst du baden und dich ausruhen«, schlug Sally vor, die mich im Korridor erwartete.

»Ich bin nicht müde, Sally. Das Haus ist prachtvoll. So einen Luxus habe ich bisher nur in Filmen gesehen, zum Besipiel in dem Denver-Clan oder in...« Unwillkürlich kicherte ich. »Ja, und in Dallas. Und nun bin ich hier. Eure Ranch dürfte ganz in der Nähe von Southfork liegen, dem Haus, in dem die Filmaufnahmen für diese Fernsehserie immer gemacht werden.

»Ja, Susan, Southfork ist nicht weit von uns entfernt. Um Dallas gibt es viele Ranches. Das Land ist für Viehzucht und auch Pferdegestüte ideal. Ein Glück, daß Ray der geborene Rancher ist. Er beschäftigt viele Cowboys. Die Familie Shelton hat eine große Rinderherde.«

»Und viele Pferde. Ich finde das phantastisch.«

Sally öffnete die Tür. »So, und das ist mein Reich. Ich nehme an, du wirst dich wundern, weil Joe und ich getrennte Schlafzimmer haben, doch das hat nichts zu bedeuten. Die Verbindungstür steht meist offen.«

Das Gästezimmer, in dem Sally mich untergebracht hatte, war für mich schon der höchste Luxus, doch dieser Raum überbot ihn bei weitem. Das Schlafzimmer war in hellem Grün und Silber gehalten. Das französische Bett glich einer riesigen Muschel. Die eine Wand bestand aus Spiegeln. Es waren verschiebbare Spiegeltüren, hinter denen Sallys reichhaltige Garderobe untergebracht war. Pelzmäntel, Jacken, Abendroben, Cocktailkleider, sportliche Bekleidung und eine Anzahl von Blusen und Pullis.

»Dieses Kleid wäre das richtige für dich.« Sie nahm eine leuchtendrote Robe von einem Bügel. »Dieses Rot steht dir gut.«

»Sally, ich kann doch nicht...«

»Was kannst du nicht?« unterbrach sie mich. »Natürlich kannst du es tragen. Es ist brandneu, also kennt es niemand. Probier es nachher an.« Sie gab mir das hübsche Kleid.

»Sally, du bist sehr lieb«, sagte ich gerührt, dann hielt ich die Robe an meinen Körper und blickte in den Spiegel. »Du hast recht, Sally, dieses Rot kleidet mich.«

»Das wußte ich doch, Susan. In London hattest du mal einen Pulli in derselben Farbe. Er stand dir von all deinen Sachen am besten.«

»Viel hatten wir damals wirklich nicht«, erwiderte ich.

Gemeinsam verließen wir wieder das Zimmer, und Sally brachte mich in meines. Kitty hatte meine Sachen schon ausgepackt und in den Schrank und die Kommode eingeräumt. Mit einem freundlichen Lächeln zog sich das Hausmädchen zurück, während meine Freundin eine Tapetentür öffnete. »Das ist dein Badezimmer.«

»Ein Bad für mich allein?«

»Aber ja. Jedes Schlafzimmer hier hat ein eigenes Bad.«

Wie schnell man sich doch an den Luxus gewöhnt, dachte ich und sah Sally an. Ob sie sich noch an das Badezimmer in London erinnerte, das wir uns zu fünft hatten teilen müssen.«