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Kurt ist Grenzschützer der DDR - ein Mann, der seine Aufgabe als letzte Bastion gegen den Feind im Westen sieht. In einem Leben geprägt von unerschütterlicher Loyalität und bedingungslosem Gehorsam hat er alles Persönliche aufgegeben, um die Ideale des Sozialismus zu verteidigen. Die Grenze, die er bewacht, ist nicht nur eine Linie im Boden, sondern das Symbol seines Glaubens an ein System, das ihn formt und fest im Griff hält. Doch je mehr Jahre vergehen, desto tiefer verstrickt er sich in ein Netz aus Misstrauen, Härte und zunehmender Isolation. Begegnungen mit Flüchtlingen, denen er erbarmungslos gegenübersteht, sowie das wachsende Gefühl einer existenziellen Leere, lassen ihn allmählich an der eigenen Identität und den Idealen seines Lebens zweifeln. Stück für Stück wird aus seiner Pflicht eine Besessenheit - und aus einem unerschütterlichen Wächter ein Mann, der an den Grenzen seiner eigenen Überzeugungen zerbricht.
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Seitenzahl: 79
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Vorwort
Kapitel 1: Geburt und Kindheit
Die ersten Jahre
Der erste Dorfausflug und die Wochentage
Alltag und erste sozialistische Rituale
Die Lehren der Eltern
Die Grundsteinlegung der Loyalität
Kapitel 2: Schulzeit
Erste Ideale und das Halstuch
Das Leben als junger Pionier
Die Feinde des Sozialismus
Wettbewerbe und sozialistische Erziehung
Die Vorbereitung auf die FDJ
Die Nähe zur Partei
Ein sozialistischer Traum
Die Feiern zur Republikgründung
Der Weg in die Freie Deutsche Jugend (FDJ)
Die Pflicht zur Wachsamkeit
Der Traum von der Volksarmee
Kapitel 3: Ausbildung zum Agrotechniker
Der Beginn der Ausbildung
Theorie und Praxis
Die Rolle der Partei in der Ausbildung
Der Alltag als Lehrling und die Gemeinschaft
Die erste Begegnung mit Propaganda in der Praxis
Abschluss und neue Verantwortung
Kapitel 4: Zeit bei der Nationalen Volksarmee
Die harte Disziplin der Ausbildung
Die Bedeutung der Kameradschaft
Die Feindbilder der NVA
Die Übungen an der Grenze
Die Beförderung und die Zukunft
Der Abschied von der Armee
Kapitel 5: Erste Liebe und Verlust
Die aufblühende Liebe
Der Bruch
Der tragische Abschied
Die Rückkehr zur Pflicht
Die Entscheidung, Grenzschützer zu werden
Kapitel 6: Die Entscheidung zum Grenzschutz und eine Vernunftehe
Der Alltag als Grenzschützer
Die erste Begegnung mit einem Flüchtigen
Die Ehe mit Birgit
Der Drang, mehr zu leisten
Die eiserne Pflicht
Kapitel 7: Der erste tödliche Schuss
Der Moment des Schusses
Die Rückkehr zum Stützpunkt
Rechtfertigung und Überzeugung
Der Stolz der Einheit
Eine verstärkte Wachsamkeit
Die Entschlossenheit, alles zu geben
Kapitel 8: Die Besessenheit des Schutzes
Die Isolation und das wachsende Misstrauen
Die wachsende Dunkelheit und die Härte
Die Vorfälle häufen sich
Das wachsende Bedürfnis nach Kontrolle
Die Grenze als heilige Pflicht
Die Verhärtung der Seele
Kapitel 9: Der Abgrund der Pflicht
Der Weg in die Paranoia
Der Vorfall mit einem Grenzkollegen
Die Entfremdung von der Realität
Die innere Verhärtung
Der Moment der Entscheidung
Die endgültige Verhärtung
Kapitel 10: Die Einsamkeit des Wächters
Der Gedanke an Flucht
Die Zweifel an der Ideologie
Der Zusammenbruch
Der Abschied von der Grenze
Die letzte Reise
Dieses Buch ist den Menschen gewidmet, die für ihren Glauben, für ihre Hingabe und für ihre Ideale lebten und sich dabei selbst verloren haben. Die Geschichte von Kurt, einem Mann, der sein Leben in den Dienst der Grenze und der Ideale der DDR stellte, führt uns an die dunkelsten und kältesten Orte eines Lebens, das von Gehorsam und Pflicht geprägt ist. Sie zeigt, wie Überzeugungen, so kraftvoll sie auch sein mögen, einen Menschen gefangen nehmen können – bis nichts mehr übrig bleibt als der Dienst selbst und ein Schatten des eigenen Wesens.
Martin H. und Kati M., dieses Buch gehört euch. Es ist eine Hommage an all jene, die auf ihrem Weg mehr geopfert haben, als sie es jemals ahnten – und an die schmerzhafte Schönheit von Überzeugungen, die auch dann weiterleben, wenn die Menschen, die sie tragen, bereits zu verblassen beginnen. Mögen eure Geschichten und Erfahrungen in diesen Seiten ihren Widerhall finden und uns alle daran erinnern, wie kostbar das Gleichgewicht zwischen Pflicht und Menschlichkeit ist.
Es war ein kühler Morgen im Oktober 1953, als Kurt in einem kleinen Haus am Rande von Wittenförden das Licht der Welt erblickte. Der Herbst hatte sich schon längst über das Land gelegt, und der Nebel hing wie ein stummer Wächter über den Feldern, wo die Ernte der letzten Wochen noch in geordneten Strohballen lag. Die Luft roch nach Erde und feuchtem Laub, und ein feiner Regen fiel auf das Dach des Hauses, das aus roten Ziegeln bestand und schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Ein Ort, einfach und ohne Luxus, aber erfüllt von dem Stolz, den seine Eltern empfanden, Teil dieses neuen Staates zu sein, der ein Leben in Gemeinschaft und Gleichheit versprach.
Kurt wurde in einer einfachen Bauernfamilie geboren. Sein Vater war ein fester Bestandteil der LPG „Roter Stern“ und arbeitete hart auf den Feldern, von frühmorgens bis spätabends, ohne zu klagen. Die LPG war sein Leben, und er erzählte oft von den glorreichen Tagen, als die Kollektivierung begann und man Seite an Seite arbeitete, um eine sozialistische Zukunft aufzubauen. Diese Zukunft versprach ein Ende der Unterdrückung und eine Gesellschaft, in der jeder eine Rolle spielte – ob jung oder alt, Bauer oder Lehrer.
Schon in den ersten Jahren seines Lebens lernte Kurt das Gemeinschaftsgefühl kennen, das in der DDR herrschte. Es war mehr als ein bloßes Zusammenleben; es war eine Lebensweise, in der die Bedürfnisse des Einzelnen dem Wohl der Gesellschaft untergeordnet wurden. Seine Eltern erzählten ihm oft, dass das Wichtigste im Leben die Fähigkeit sei, dem Staat zu dienen, denn nur so würde das große Ganze gedeihen. Diese Lehre begleitete Kurt vom ersten Moment an, und sie wurde zu einer stillen, unausgesprochenen Regel in seinem Leben.
In der kleinen Wohnung der Familie war Platz Mangelware, doch sie lebten bescheiden und waren dankbar für das, was sie hatten. Der Wohnraum war mit einfachen Möbeln ausgestattet – einem hölzernen Küchentisch, ein paar Stühlen, einem kleinen Kachelofen, der im Winter das ganze Haus beheizte, und einem kleinen Radio, das die Nachrichten des Tages und die Reden der Partei übertrug. Das Radio war ein kostbares Gut, und wenn es ertönte, versammelte sich die ganze Familie, um die Durchsagen und die Musik zu hören, die die Errungenschaften des Sozialismus lobte.
Für Kurt gab es nichts Schöneres als die Abende, an denen sein Vater mit ernster Miene die „Junge Welt“ aufschlug, die Zeitung, die wie eine Stimme des Staates auf den Tisch fiel. Die Berichte über Fortschritte in der Landwirtschaft und die Erfolge des Sozialismus waren wie Geschichten, die eine bessere Welt versprachen, und Kurts Vater las mit fester, fast zeremonieller Stimme vor. Jeder Satz klang wie ein Versprechen, dass all die Mühen des Alltags eines Tages Früchte tragen würden.
Als Kurt laufen lernte, begann er die Gegend um das Haus zu erkunden. Überall begegnete ihm die rote Fahne, das Symbol der DDR, das an Wänden, Zäunen und Plakaten hing und den Sozialismus als das Licht der Zukunft verkündete.
Es war das erste Symbol, das Kurt bewusst wahrnahm, und er verband damit eine Sicherheit, eine Beständigkeit, die sein junges Leben prägte. Die Menschen im Dorf sprachen oft von „unserem Staat“ oder „unserem großen Vorbild“, und Kurt hörte zu, wenn sie über den Kommunismus und das sozialistische Brudervolk in der Sowjetunion redeten. Er begriff damals nicht alles, doch er fühlte sich als Teil von etwas Großem, etwas, das über seine Familie und das Dorf hinausging.
Eines seiner prägendsten Erlebnisse als Kind war ein Ausflug zum nahegelegenen Schweriner See, organisiert von der LPG. Im Sommer wurde dort ein Tag für die Genossen und ihre Familien veranstaltet, an dem alle zusammenkamen, um die Gemeinschaft zu feiern. Die Felder waren bestellt, und ein Gefühl der Ruhe breitete sich aus, während die Familien sich am Ufer des Sees niederließen. Die Sonne spiegelte sich im Wasser, und die Männer trugen stolz ihre FDJ-Hemden, während die Frauen in einfachen Kleidern und Kopftüchern den Tisch deckten.
Die Kinder, Kurt unter ihnen, liefen mit kleinen, roten Wimpeln umher, die ihnen als Zeichen der Zugehörigkeit verliehen worden waren. Sie waren so stolz darauf, diese Symbole zu tragen, dass sie kaum wagten, sie aus den Händen zu legen. Es gab Lieder über den Sozialismus, und einige ältere Genossen sangen mit tiefer Stimme Hymnen, die von der Einheit des Volkes und der Stärke der Arbeiterklasse handelten. Für Kurt war dies ein magischer Tag, ein Tag, an dem er spürte, dass er zu einer großen Familie gehörte.
Die Wochentage folgten stets einem strikten, geordneten Rhythmus, der Sicherheit und Struktur gab. Montags bis samstags gingen sein Vater und die anderen Männer auf die Felder, arbeiteten Seite an Seite mit den Traktoren, die der Staat zur Verfügung gestellt hatte. Kurt beobachtete oft, wie die riesigen Maschinen die Erde pflügten, und er verspürte eine tiefe Ehrfurcht vor der Technik und der Organisation, die der Staat möglich machte. Alles, was in der LPG passierte, stand in Verbindung mit der Partei, die das Dorf und das Leben in Wittenförden lenkte und überwachte.
Sonntags besuchte die Familie oft die Versammlungen im Dorfhaus, wo die Parteimitglieder Berichte über die Fortschritte des Sozialismus hörten und sich gegenseitig motivierten, weiterzumachen. Diese Treffen hatten etwas Feierliches, und Kurt saß immer ruhig neben seinen Eltern, lauschte den Reden der älteren Genossen und saugte jedes Wort in sich auf. Es gab Berichte über den „Klassenfeind“ im Westen, den Kapitalismus, der als Bedrohung dargestellt wurde, und Kurt lernte früh, dass es Menschen gab, die gegen das standen, was ihm heilig war. Diese Erzählungen verstärkten in ihm das Gefühl, dass die DDR beschützt werden musste – dass seine Heimat ein Bollwerk gegen eine Welt war, die ihre Werte zerstören wollte.