Der Grenzschützer von Wittenförden - Herold zu Moschdehner - E-Book

Der Grenzschützer von Wittenförden E-Book

Herold zu Moschdehner

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Beschreibung

Kurt ist Grenzschützer der DDR - ein Mann, der seine Aufgabe als letzte Bastion gegen den Feind im Westen sieht. In einem Leben geprägt von unerschütterlicher Loyalität und bedingungslosem Gehorsam hat er alles Persönliche aufgegeben, um die Ideale des Sozialismus zu verteidigen. Die Grenze, die er bewacht, ist nicht nur eine Linie im Boden, sondern das Symbol seines Glaubens an ein System, das ihn formt und fest im Griff hält. Doch je mehr Jahre vergehen, desto tiefer verstrickt er sich in ein Netz aus Misstrauen, Härte und zunehmender Isolation. Begegnungen mit Flüchtlingen, denen er erbarmungslos gegenübersteht, sowie das wachsende Gefühl einer existenziellen Leere, lassen ihn allmählich an der eigenen Identität und den Idealen seines Lebens zweifeln. Stück für Stück wird aus seiner Pflicht eine Besessenheit - und aus einem unerschütterlichen Wächter ein Mann, der an den Grenzen seiner eigenen Überzeugungen zerbricht.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1: Geburt und Kindheit

Die ersten Jahre

Der erste Dorfausflug und die Wochentage

Alltag und erste sozialistische Rituale

Die Lehren der Eltern

Die Grundsteinlegung der Loyalität

Kapitel 2: Schulzeit

Erste Ideale und das Halstuch

Das Leben als junger Pionier

Die Feinde des Sozialismus

Wettbewerbe und sozialistische Erziehung

Die Vorbereitung auf die FDJ

Die Nähe zur Partei

Ein sozialistischer Traum

Die Feiern zur Republikgründung

Der Weg in die Freie Deutsche Jugend (FDJ)

Die Pflicht zur Wachsamkeit

Der Traum von der Volksarmee

Kapitel 3: Ausbildung zum Agrotechniker

Der Beginn der Ausbildung

Theorie und Praxis

Die Rolle der Partei in der Ausbildung

Der Alltag als Lehrling und die Gemeinschaft

Die erste Begegnung mit Propaganda in der Praxis

Abschluss und neue Verantwortung

Kapitel 4: Zeit bei der Nationalen Volksarmee

Die harte Disziplin der Ausbildung

Die Bedeutung der Kameradschaft

Die Feindbilder der NVA

Die Übungen an der Grenze

Die Beförderung und die Zukunft

Der Abschied von der Armee

Kapitel 5: Erste Liebe und Verlust

Die aufblühende Liebe

Der Bruch

Der tragische Abschied

Die Rückkehr zur Pflicht

Die Entscheidung, Grenzschützer zu werden

Kapitel 6: Die Entscheidung zum Grenzschutz und eine Vernunftehe

Der Alltag als Grenzschützer

Die erste Begegnung mit einem Flüchtigen

Die Ehe mit Birgit

Der Drang, mehr zu leisten

Die eiserne Pflicht

Kapitel 7: Der erste tödliche Schuss

Der Moment des Schusses

Die Rückkehr zum Stützpunkt

Rechtfertigung und Überzeugung

Der Stolz der Einheit

Eine verstärkte Wachsamkeit

Die Entschlossenheit, alles zu geben

Kapitel 8: Die Besessenheit des Schutzes

Die Isolation und das wachsende Misstrauen

Die wachsende Dunkelheit und die Härte

Die Vorfälle häufen sich

Das wachsende Bedürfnis nach Kontrolle

Die Grenze als heilige Pflicht

Die Verhärtung der Seele

Kapitel 9: Der Abgrund der Pflicht

Der Weg in die Paranoia

Der Vorfall mit einem Grenzkollegen

Die Entfremdung von der Realität

Die innere Verhärtung

Der Moment der Entscheidung

Die endgültige Verhärtung

Kapitel 10: Die Einsamkeit des Wächters

Der Gedanke an Flucht

Die Zweifel an der Ideologie

Der Zusammenbruch

Der Abschied von der Grenze

Die letzte Reise

Vorwort

Dieses Buch ist den Menschen gewidmet, die für ihren Glauben, für ihre Hingabe und für ihre Ideale lebten und sich dabei selbst verloren haben. Die Geschichte von Kurt, einem Mann, der sein Leben in den Dienst der Grenze und der Ideale der DDR stellte, führt uns an die dunkelsten und kältesten Orte eines Lebens, das von Gehorsam und Pflicht geprägt ist. Sie zeigt, wie Überzeugungen, so kraftvoll sie auch sein mögen, einen Menschen gefangen nehmen können – bis nichts mehr übrig bleibt als der Dienst selbst und ein Schatten des eigenen Wesens.

Martin H. und Kati M., dieses Buch gehört euch. Es ist eine Hommage an all jene, die auf ihrem Weg mehr geopfert haben, als sie es jemals ahnten – und an die schmerzhafte Schönheit von Überzeugungen, die auch dann weiterleben, wenn die Menschen, die sie tragen, bereits zu verblassen beginnen. Mögen eure Geschichten und Erfahrungen in diesen Seiten ihren Widerhall finden und uns alle daran erinnern, wie kostbar das Gleichgewicht zwischen Pflicht und Menschlichkeit ist.

Kapitel 1: Geburt und Kindheit

Es war ein kühler Morgen im Oktober 1953, als Kurt in einem kleinen Haus am Rande von Wittenförden das Licht der Welt erblickte. Der Herbst hatte sich schon längst über das Land gelegt, und der Nebel hing wie ein stummer Wächter über den Feldern, wo die Ernte der letzten Wochen noch in geordneten Strohballen lag. Die Luft roch nach Erde und feuchtem Laub, und ein feiner Regen fiel auf das Dach des Hauses, das aus roten Ziegeln bestand und schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Ein Ort, einfach und ohne Luxus, aber erfüllt von dem Stolz, den seine Eltern empfanden, Teil dieses neuen Staates zu sein, der ein Leben in Gemeinschaft und Gleichheit versprach.

Kurt wurde in einer einfachen Bauernfamilie geboren. Sein Vater war ein fester Bestandteil der LPG „Roter Stern“ und arbeitete hart auf den Feldern, von frühmorgens bis spätabends, ohne zu klagen. Die LPG war sein Leben, und er erzählte oft von den glorreichen Tagen, als die Kollektivierung begann und man Seite an Seite arbeitete, um eine sozialistische Zukunft aufzubauen. Diese Zukunft versprach ein Ende der Unterdrückung und eine Gesellschaft, in der jeder eine Rolle spielte – ob jung oder alt, Bauer oder Lehrer.

Schon in den ersten Jahren seines Lebens lernte Kurt das Gemeinschaftsgefühl kennen, das in der DDR herrschte. Es war mehr als ein bloßes Zusammenleben; es war eine Lebensweise, in der die Bedürfnisse des Einzelnen dem Wohl der Gesellschaft untergeordnet wurden. Seine Eltern erzählten ihm oft, dass das Wichtigste im Leben die Fähigkeit sei, dem Staat zu dienen, denn nur so würde das große Ganze gedeihen. Diese Lehre begleitete Kurt vom ersten Moment an, und sie wurde zu einer stillen, unausgesprochenen Regel in seinem Leben.

Die ersten Jahre

In der kleinen Wohnung der Familie war Platz Mangelware, doch sie lebten bescheiden und waren dankbar für das, was sie hatten. Der Wohnraum war mit einfachen Möbeln ausgestattet – einem hölzernen Küchentisch, ein paar Stühlen, einem kleinen Kachelofen, der im Winter das ganze Haus beheizte, und einem kleinen Radio, das die Nachrichten des Tages und die Reden der Partei übertrug. Das Radio war ein kostbares Gut, und wenn es ertönte, versammelte sich die ganze Familie, um die Durchsagen und die Musik zu hören, die die Errungenschaften des Sozialismus lobte.

Für Kurt gab es nichts Schöneres als die Abende, an denen sein Vater mit ernster Miene die „Junge Welt“ aufschlug, die Zeitung, die wie eine Stimme des Staates auf den Tisch fiel. Die Berichte über Fortschritte in der Landwirtschaft und die Erfolge des Sozialismus waren wie Geschichten, die eine bessere Welt versprachen, und Kurts Vater las mit fester, fast zeremonieller Stimme vor. Jeder Satz klang wie ein Versprechen, dass all die Mühen des Alltags eines Tages Früchte tragen würden.

Als Kurt laufen lernte, begann er die Gegend um das Haus zu erkunden. Überall begegnete ihm die rote Fahne, das Symbol der DDR, das an Wänden, Zäunen und Plakaten hing und den Sozialismus als das Licht der Zukunft verkündete.

Es war das erste Symbol, das Kurt bewusst wahrnahm, und er verband damit eine Sicherheit, eine Beständigkeit, die sein junges Leben prägte. Die Menschen im Dorf sprachen oft von „unserem Staat“ oder „unserem großen Vorbild“, und Kurt hörte zu, wenn sie über den Kommunismus und das sozialistische Brudervolk in der Sowjetunion redeten. Er begriff damals nicht alles, doch er fühlte sich als Teil von etwas Großem, etwas, das über seine Familie und das Dorf hinausging.

Der erste Dorfausflug und die Wochentage

Eines seiner prägendsten Erlebnisse als Kind war ein Ausflug zum nahegelegenen Schweriner See, organisiert von der LPG. Im Sommer wurde dort ein Tag für die Genossen und ihre Familien veranstaltet, an dem alle zusammenkamen, um die Gemeinschaft zu feiern. Die Felder waren bestellt, und ein Gefühl der Ruhe breitete sich aus, während die Familien sich am Ufer des Sees niederließen. Die Sonne spiegelte sich im Wasser, und die Männer trugen stolz ihre FDJ-Hemden, während die Frauen in einfachen Kleidern und Kopftüchern den Tisch deckten.

Die Kinder, Kurt unter ihnen, liefen mit kleinen, roten Wimpeln umher, die ihnen als Zeichen der Zugehörigkeit verliehen worden waren. Sie waren so stolz darauf, diese Symbole zu tragen, dass sie kaum wagten, sie aus den Händen zu legen. Es gab Lieder über den Sozialismus, und einige ältere Genossen sangen mit tiefer Stimme Hymnen, die von der Einheit des Volkes und der Stärke der Arbeiterklasse handelten. Für Kurt war dies ein magischer Tag, ein Tag, an dem er spürte, dass er zu einer großen Familie gehörte.

Die Wochentage folgten stets einem strikten, geordneten Rhythmus, der Sicherheit und Struktur gab. Montags bis samstags gingen sein Vater und die anderen Männer auf die Felder, arbeiteten Seite an Seite mit den Traktoren, die der Staat zur Verfügung gestellt hatte. Kurt beobachtete oft, wie die riesigen Maschinen die Erde pflügten, und er verspürte eine tiefe Ehrfurcht vor der Technik und der Organisation, die der Staat möglich machte. Alles, was in der LPG passierte, stand in Verbindung mit der Partei, die das Dorf und das Leben in Wittenförden lenkte und überwachte.

Sonntags besuchte die Familie oft die Versammlungen im Dorfhaus, wo die Parteimitglieder Berichte über die Fortschritte des Sozialismus hörten und sich gegenseitig motivierten, weiterzumachen. Diese Treffen hatten etwas Feierliches, und Kurt saß immer ruhig neben seinen Eltern, lauschte den Reden der älteren Genossen und saugte jedes Wort in sich auf. Es gab Berichte über den „Klassenfeind“ im Westen, den Kapitalismus, der als Bedrohung dargestellt wurde, und Kurt lernte früh, dass es Menschen gab, die gegen das standen, was ihm heilig war. Diese Erzählungen verstärkten in ihm das Gefühl, dass die DDR beschützt werden musste – dass seine Heimat ein Bollwerk gegen eine Welt war, die ihre Werte zerstören wollte.

Alltag und erste sozialistische Rituale