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Hinter den Mauern der JVA Neustrelitz verbirgt sich eine Geschichte voller Sehnsucht und Wagnis. Ursprünglich ein gefürchtetes Stasi-Gefängnis, wo politische Gefangene unter strengster Überwachung standen, wandelte sich die Anstalt mit den Jahren zur modernen Hochsicherheits-JVA. Doch eines hat sich nie geändert: Der Freiheitsdrang derer, die darin eingesperrt sind. Ob der verwegene Plan eines Häftlings, mit dressierten Ratten die Schlüssel eines Wärters zu stehlen, der Versuch, über alte Lüftungsschächte in die Freiheit zu kriechen, oder ein IT-Genie, das das Überwachungssystem manipulieren wollte - jede Flucht erzählt von Mut und Verzweiflung, von cleveren Täuschungen und riskanten Manövern. "Die Ausbruchsversuche des Gefängnisses Neustrelitz" nimmt Sie mit auf eine atemlose Reise durch die spannendsten und unterschiedlichsten Fluchtmethoden aus den letzten Jahrzehnten. Entdecken Sie, was Menschen antreibt, alles aufs Spiel zu setzen - in einem Gefängnis, das sich nie ganz dem Geist der Freiheit entziehen konnte.
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Seitenzahl: 73
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Vorwort
Kapitel 1: Der Fluchtversuch des Jacob Holden, 1950
Kapitel 2: Der Fluchtversuch von Peter Menzel, 1953
Kapitel 3: Der Fluchtversuch von Karl Drews, 1957
Kapitel 4: Der Ausbruchsversuch von Heinz Ludewig, 1961
Kapitel 5: Der Fluchtversuch von Wilhelm „Willi“ Meyer, 1964
Kapitel 6: Der Ausbruchsversuch von Günter Richter, 1968
Kapitel 7: Der Ausbruchsversuch von Manfred Thiel, 1971
Kapitel 8: Der Ausbruchsversuch von Klaus Berger, 1974
Kapitel 9: Der Fluchtversuch von Rolf Steiner, 1976
Kapitel 10: Der Ausbruchsversuch von Ernst Köhler, 1979
Kapitel 11: Der Ausbruchsversuch von Andreas Faber, 1981
Kapitel 12: Der Ausbruchsversuch von Walter "Willi" Kramer, 1984
Kapitel 13: Der Ausbruchsversuch von Robert Zobel, 1987
Kapitel 14: Der Ausbruchsversuch von Helmut Kraus und seinen „Rattengehilfen“, 1989
Kapitel 15: Der Ausbruchsversuch von Vincent Hohne, 1992
Kapitel 16: Der Fluchtversuch von Jens „der Gelehrte“ Berger, 1995
Kapitel 17: Der Fluchtversuch von Marko Weber, 2002
Kapitel 18: Der Fluchtversuch von Enrico Fuchs, 2008
Kapitel 19: Der letzte Fluchtversuch von Sascha Blume, 2022
Kapitel 20: Die Legende der Fluchtversuche und die moderne JVA Neustrelitz, 2023
Die JVA Neustrelitz ist heute eine der modernsten und sichersten Haftanstalten Deutschlands, ausgestattet mit Technologie, die nahezu jeden Fluchtversuch vereiteln kann. Doch diese Mauern, Wachtürme und Überwachungssysteme sind nicht nur Symbole der Sicherung – sie tragen auch die Spuren von Jahrzehnten, in denen Häftlinge das Unmögliche versuchten: zu fliehen, ihre Freiheit zurückzuerlangen und den Grenzen zu entkommen, die ihnen gesetzt wurden.
Dieses Buch ist eine Reise durch diese Versuche.
Von den frühen Tagen der Stasi-Anstalt, als politische Gefangene unter strengster Überwachung standen, bis hin zur heutigen JVA, die technologische Wunder wie Drohnen und
GPS-Überwachung einsetzt – die Fluchtgedanken und der Freiheitswille waren stets stärker als die Barrieren, die ihnen entgegengesetzt wurden. Die Insassen, die von Hierarchie und Alltagszwang eingeschlossen waren, träumten dennoch und schöpften aus den Erzählungen ihrer Vorgänger neuen Mut, neue Pläne.
„Die Ausbruchsversuche des Gefängnisses Neustrelitz“ ist nicht nur eine Sammlung von Fluchtgeschichten. Es ist eine Chronik des Drangs nach Freiheit und ein Zeugnis des menschlichen Geistes, der sich selbst den unnachgiebigsten Mauern entgegenstellt. Dieses Buch zeigt, dass die Sehnsucht nach Freiheit eine universelle Kraft ist – ein Funke, der über Generationen und Sicherheitsmaßnahmen hinweg weiterlebt.
Im Jahr 1950 war die Untersuchungshaftanstalt in Neustrelitz ein düsterer Ort, dessen Mauern die Schrecken der frühen DDR-Zeit widerspiegelten.
Diese Haftanstalt, die zunehmend von der Stasi genutzt wurde, lag am Rand der Kleinstadt, von hohen Mauern und Stacheldraht umgeben, Wachtürme an den Ecken, und ständig patrouillierende Wächter. Das Gebäude selbst war karg, funktional, und von einem System der Kontrolle durchzogen, das jeden Gedanken an Flucht oder Widerstand im Keim ersticken sollte.
Jacob Holden, ein Mechaniker aus Schwerin, war hier inhaftiert, weil er das DDR-Regime in seiner Werkstatt lautstark kritisiert hatte. Unachtsam hatte er seine Zweifel an der Parteiführung und den sich verhärtenden Machtstrukturen geäußert
– Worte, die ihn, wie so viele andere, direkt in den Fokus der Stasi gerückt hatten. Nun saß er im kalten Beton der Untersuchungshaftanstalt, eingesperrt in eine Zelle, die nur ein schmales Bett, einen Tisch und ein kleines Fenster besaß.
Die Fensteröffnung war zu hoch, um hindurchsehen zu können, und das Licht, das hereinfiel, wirkte kalt und unerreichbar.
Doch Jacob Holden war kein Mann, der sich leicht beugen ließ. Seit Wochen plante er einen Fluchtversuch, nutzte jede Gelegenheit, um in den Werkstätten der Anstalt kleine Gegenstände zu sammeln, die ihm helfen könnten. Mit einem verbogenen Löffel, etwas Draht und einem abgebrochenen Metallstück versuchte er, eine primitive Art Dietrich zusammenzubauen. Die Stunden verstrichen zäh, doch seine Entschlossenheit wuchs.
An einem kalten Abend im Februar, als der Frost den Atem der Wachen in die Luft zeichnete und die wenigen Bewohner von Neustrelitz sich hinter ihren Fenstern zurückzogen, begann Holden seinen Plan umzusetzen. Er wartete, bis der Wachmann, der zu dieser Stunde immer den Korridor entlangging, an seiner Zelle vorüber war, und begann dann, das Schloss seiner Zellentür mit seinem improvisierten Werkzeug zu bearbeiten.
Das Schloss gab schließlich nach, und Holden schlüpfte in den Korridor, sein Herz pochte in seiner Brust wie das Schlagen eines Trommelrhythmus.
Der Korridor führte in eine Reihe weiterer Flure, die Holden nicht kannte, doch er hatte während seiner Zeit in der Werkstatt Gerüchte gehört: Es hieß, es gebe einen Kellerabgang, der zu einem alten Lüftungsschacht führte. Wenn er dorthin gelangen konnte, bestand vielleicht eine Chance, sich durch die Schächte nach draußen zu bewegen. Holden schlich durch die kalten, stillen Flure der Anstalt, die im spärlichen Licht der Notbeleuchtung bedrohlich wirkten. Doch gerade als er den Abgang zum Keller erreichte, hörte er das Knurren von Wachhunden, das von draußen in die Gänge drang – sie hatten seine Flucht bemerkt.
Seine Schritte wurden schneller, die Angst saß ihm im Nacken, doch er wusste, dass er keine Zeit zum Zögern hatte. Er rannte die letzten Treppenstufen hinab in den Keller, wo sich der Zugang zu den alten, nur teilweise verschlossenen Lüftungsschächten befand. Holden drückte die rostige Tür zum Schacht auf, die sich widerwillig öffnete und ihm den Blick auf das Dunkel jenseits der Kellerwände bot. Der Schacht war eng, feucht und kalt, doch er sah darin seinen einzigen Weg in die Freiheit.
Doch kaum hatte er einen Fuß in den Schacht gesetzt, heulten die Sirenen auf. Wachhunde wurden ins Gebäude geholt, und die Schritte der Wachen hallten durch die engen Flure. Holden kauerte sich in die Dunkelheit des Schachts und hielt die Luft an, hoffend, dass die Wachen an ihm vorbeigehen würden. Doch ihre Schritte kamen näher, und der Lichtschein der Taschenlampen tanzte über die Wände, bis sie ihn fanden.
Sein Fluchtversuch war gescheitert. Die Wachen packten ihn mit kaltem Griff und brachten ihn in eine der schärfer gesicherten Zellen, weitab von den Werkstätten und den Kellerräumen. Holden wurde nun rund um die Uhr bewacht, und jede Bewegung in seiner Zelle wurde beobachtet. Die Tage in Einzelhaft zogen sich zäh und grausam, und der Gedanke an die Freiheit, die er für einen kurzen Moment gespürt hatte, verfolgte ihn in seinen Träumen.
Unter den anderen Insassen jedoch machte sein Fluchtversuch die Runde. Jacob Holden wurde zu einer Art Symbol für Hoffnung und Widerstand.
Die anderen Gefangenen, die von seiner Geschichte hörten, flüsterten über seine Tat, und für viele wurde sein Name zu einer Inspiration, ein Zeichen, dass es selbst in der düsteren Welt des Stasi-Gefängnisses eine Möglichkeit gab, die Fesseln zu brechen, wenn auch nur für einen Augenblick. Holdens Versuch, dem System zu entkommen, ließ einen Funken Hoffnung aufleben – ein Funken, der in den Jahren, die folgen sollten, weitere Männer und Frauen dazu brachte, nach ihrer eigenen Freiheit zu streben.
Drei Jahre nach Jacob Holdens gescheitertem Fluchtversuch waren die Sicherheitsvorkehrungen in der Untersuchungshaftanstalt Neustrelitz weiter verstärkt worden. Nach außen hin blieb das Gefängnis unverändert, ein massiver, grauer Klotz mit Stacheldraht und erhöhten Wachtürmen.
Doch im Inneren hatten sich die Zeiten geändert: die DDR-Regierung hatte die Anstalt inzwischen stärker in das System der politischen Kontrolle integriert, und die Stasi nutzte die Anstalt regelmäßig für die Inhaftierung und Befragung mutmaßlicher Staatsgegner.
Einer dieser neuen Häftlinge war Peter Menzel, ein junger Mann aus Rostock, der wegen seiner politischen Haltung aufgefallen war. Im Sommer
1953 hatte er sich an den Aufständen beteiligt, die in der DDR gegen die schlechten Arbeitsbedingungen und die drakonische Erhöhung der Arbeitsnormen ausgebrochen waren. Die Unruhen des 17. Juni waren brutal niedergeschlagen worden, doch die Erinnerung daran hallte in den Köpfen der Bevölkerung nach
– vor allem in den Gefängnissen, wo Männer wie Peter Menzel nun für ihre Teilnahme an den Protesten bestraft wurden.
Die Haftbedingungen waren in jenen Jahren besonders hart: zusätzliche Wachhunde, verschärfte Kontrollen und regelmäßige Zelleninspektionen. Die Wachen waren misstrauisch und wachsam, denn die politischen Spannungen hatten die Stimmung der Häftlinge angeheizt, und man befürchtete, dass weitere Unruhen auch innerhalb der Anstalt ausbrechen könnten. Doch Peter Menzel war entschlossen, seiner Situation zu entkommen. Die Erinnerungen an den Protest und die wenigen Tage der Freiheit, die er erlebt hatte, gaben ihm den Mut, einen Fluchtversuch zu planen.
Peter Menzel hatte in seiner Zelle keinen Zugang zu den Werkstätten wie Holden damals. Doch er entdeckte eine Möglichkeit, die ihm die regelmäßigen Außeninspektionen boten. Alle paar Tage wurden die Häftlinge in den kleinen Innenhof geführt, wo sie für kurze Zeit frische Luft schnappen durften, unter strenger Aufsicht und immer in Gruppen. Der Hof war von einer hohen Mauer umgeben, gesichert durch mehrere Reihen Stacheldraht, doch es gab eine kleine Wartungsluke, die nur von den Wächtern benutzt wurde, um die Wasserversorgung des Hofes zu überprüfen.