Der Griff in die Kasse - Hans Herbert Arnim - E-Book

Der Griff in die Kasse E-Book

Hans Herbert Arnim

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Aufdeckung eines politischen Skandals von seltener Dreistigkeit!
Wer wünscht sich das nicht: eine Gehaltserhöhung um 58 Prozent! Das Berliner Abgeordnetenhaus macht es möglich – allerdings nur für seine eigenen Mitglieder, die sich diese hemmungslose Aufstockung ihrer Bezüge zum 1. Januar 2020 genehmigt haben.
Wie dieser Griff in die Staatskasse eingefädelt und alle Kontrollen ausgehebelt wurden, das zeichnet der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim präzise nach. Um Recht und Gesetz haben sich die Betreiber dieser als »Parlamentsreform« bezeichneten aberwitzigen Bereicherung dabei wenig geschert – stattdessen haben sie die weitreichenden Folgen der Neuregelung vor der Öffentlichkeit verschleiert.
Doch es gibt Möglichkeiten, das Gesetz zu stoppen und die Abgeordneten in ihre Schranken zu weisen: Mit den Mitteln der direkten Demokratie, mit Volksbegehren und Volksentscheid, können Bürger und Verbände selber die Initiative ergreifen und das Abgeordnetenhaus zum Rückzug zwingen. Höchste Zeit, eine öffentliche Debatte darüber in Gang zu bringen!

»Es sind missbräuchliche Gesetze wie das Berliner Abgeordnetengesetz, die die parlamentarische Demokratie (und die Zustimmung der Menschen zu diesem System) in Verruf zu bringen drohen – nicht die notwendige Kritik daran.« Hans Herbert von Arnim

»Niemand außer dem Bundesverfassungsgericht hat schon so viele Gesetze aus den Angeln gehoben wie diese Einmann-Instanz namens Hans Herbert von Arnim.« Robert Leicht in »Die Zeit«

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 101

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



HANS HERBERT

VON ARNIM

DER GRIFF IN DIE

KASSE

Wie das Abgeordnetenhaus von Berlin seine Bezüge maßlos erhöht – und wie die Selbstbereicherung noch gestoppt werden kann

Ein Stück aus dem Tollhaus

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Autor

Hans Herbert von Arnim, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler, früherer Rektor der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und Verfassungsrichter in Brandenburg, hat als einer der Ersten Machtmissbrauch, Inkompetenz und Opportunismus in den politischen Parteien angeprangert. Der Autor zahlreicher Bestseller, u.a. »Staat ohne Diener«, »Fetter Bauch regiert nicht gern«, »Die Deutschlandakte«, »Die Selbstbediener« und »Die Hebel der Macht und wer sie bedient«, gehört zu den versiertesten Kennern unserer Wahlsysteme und Parteienstrukturen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe 04/2020

Copyright © 2020 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie, Zürich

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-26669-1V001

www.heyne.de

Inhalt

Vorbemerkung: Ein kaum beachteter Coup

1. Das Landesparlament ist viel zu groß

Parlamentarier, demonstriert Handlungsfähigkeit!

Wie viele Bürger vertritt ein Abgeordneter?

Sind mehr Abgeordnete gleichbedeutend mit mehr Demokratie?

Illegitime Abgeordnete?

2. Massive Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung

Rechtswidrig: Gesetzentwurf ohne Begründung

Rechtfertigungsversuche gescheitert

Irreführend: Durchschnittliche Entschädigung in den Ländern als Maßstab

Vorzeitiges Inkrafttreten der Neuregelung

Durch verlängerte Sitzungszeiten gerechtfertigt?

Vordergründige Rechtfertigungsversuche

3. Vorsatz und Begierde: Die »Betreiber« des Gesetzes

Denn sie wussten, was sie tun: Fraktionsvorsitzende und Parlamentarische Geschäftsführer

»Missbrauch um finanzieller Vorteile willen«

4. Die finanziellen Auswirkungen der Neuregelung

Das Gehalt der Abgeordneten: die Entschädigung

Das Übergangsgeld

Abgeordnete

Präsident und Vizepräsidenten

Die Altersentschädigung

Mehrfach privilegiert: ehemalige Senatoren im Abgeordnetenhaus

Gewaltenteilung ade?

Senatsmitglieder sollten ihr Abgeordnetenmandat niederlegen

Was geboten wäre: Streichung oder Kürzung der Abgeordnetenentschädigung samt Versorgung

Zusatzgehalt Funktionszulagen

Die rückwirkende Erhöhung der Versorgung: völlig unangemessen und verfassungswidrig

Übergangsgeld

Altersentschädigung

Grob unangemessen und verfassungswidrig

Widerspruch zum Parteiprogramm

5. Wer erhält wie viel? – Musterrechnungen

Der Präsident des Abgeordnetenhauses und seine Stellvertreterinnen

Ralf Wieland

Die Vizepräsidentinnen

Senatsmitglieder im Abgeordnetenhaus

Michael Müller, Regierender Bürgermeister

Bürgermeisterin und Senatorin

Die Vorsitzenden der Fraktion Die Linke

Udo Wolf

Carola Bluhm

Weitere Fälle

Ülker Radziwill (SPD)

Karin Halsch (SPD)

Frank Henkel (CDU), ehemaliger Bürgermeister

6. Ein Mehrwert von zig Millionen für 160 Abgeordnete

Mehr an Entschädigung allein in der laufenden Wahlperiode: 7,7 Millionen Euro

Mehr an Übergangsgeld: 3,7 Millionen Euro

Mehrwert der Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenanwartschaft der 160 Abgeordneten: 40 Millionen Euro

7. »Ein Stück aus dem Tollhaus«

8. Entscheidungen in eigener Sache

Kontrollen sind unerlässlich

Ausschaltung der Kontrollen

Ausschaltung der Öffentlichkeit

Irreführung durch Verlagerung der Diskussion

9. Abhilfe durch direkte Demokratie?

Mitentscheidung durch die Vertretenen als Alternative zur Selbstbewilligung der Vertreter

Direkte Demokratie in Berlin

10. Zusammenfassung

Anhang

Tabelle 1: Einwohner pro Abgeordnete in den Ländern

Tabelle 2: Entschädigung der Abgeordneten in den Landesparlamenten

Tabelle 3: Statistische Lebenserwartung

Vorbemerkung:1

Ein kaum beachteter Coup

Am 26. September 2019 beschloss das Abgeordnetenhaus von Berlin auf Initiative von fünf Fraktionen (SPD, Grüne, Linke, CDU und FDP), die Diäten seiner Mitglieder auf einen Schlag gewaltig zu erhöhen.2 Mit Wirkung ab 1. Januar 2020 stockten die Abgeordneten ihre Entschädigung um 58 Prozent auf: von 3 944 Euro auf 6 250 Euro.3 Damit steigerten sie automatisch auch ihre Versorgung (Übergangsgeld, Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung) um denselben Prozentsatz,4 und dies geschah auch noch mit Rückwirkung.5 Zugleich lehnte das Abgeordnetenhaus eine Verkleinerung des durch Überhang- und Ausgleichsmandate auf 160 Mitglieder angeschwollenen Abgeordnetenhauses ab.6

Die Berliner Medien haben die Anhebung zwar kritisiert, ohne aber – angesichts der Kürze der Zeit, der Kompliziertheit der Materie, der Fülle an nationalen und internationalen Problemen und der gezielten Undurchschaubarkeit des Gesetzes – die besonders problematischen Punkte der ungeheuren Selbstbedienung in allen Details zu durchschauen und thematisieren zu können. Unbeachtet blieben bisher:

die mehrfache bewusste Täuschung der Öffentlichkeit,die vorsätzliche Verletzung von Geschäftsordnung und Verfassung,die unzutreffende oder ganz fehlende Begründung,die weittragenden Auswirkungen der Neuregelungund ihr Wirksamwerden nicht nur mitten in der Wahlperiode, sondern sogar bis zu zwanzig Jahre zurück.

Die ganze Tragweite dieser maßlosen Selbstversorgung aus der Staatskasse aufzudecken und ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen ist Gegenstand und Ziel dieses schmalen Buches. Es hiermit bewenden zu lassen wäre jedoch zu kurz gegriffen. Deshalb geht es auch darum, mögliche Gegenmaßnahmen aufzuzeigen, mit denen das Abgeordnetenhaus den erforderlichen Kontrollen unterworfen werden kann.

1. Das Landesparlament ist viel zu groß

Parlamentarier, demonstriert Handlungsfähigkeit!

Das Abgeordnetenhaus von Berlin liefert ein schockierendes Beispiel für die Selbstherrlichkeit einer Volksvertretung. Überhang- und Ausgleichsmandate lassen das Parlament aus allen Nähten platzen. Das steigert die Kosten und hat entdemokratisierende Effekte, aber es erhöht eben auch die Wiederwahlchancen der Mandatsinhaber. Das dürfte ihre Bereitschaft, das Wahlrecht zu reformieren und die überzähligen Mandate zu beseitigen, stark gedämpft haben. Stattdessen stockte das Abgeordnetenhaus seine Diäten und Versorgungen gewaltig auf und nannte das »Parlamentsreform«. Dabei agierte das Parlament in eigener Sache. So macht die politische Klasse sich aus Eigeninteresse gleich in doppelter Hinsicht breit – zulasten des Vertrauens der Bürger in die Gemeinwohlorientierung der Politik.

Die Mindestgröße des Abgeordnetenhauses beträgt laut Berliner Verfassung 130 Mitglieder.7 Tatsächlich ist das Abgeordnetenhaus aufgrund von Überhang- und Ausgleichsmandaten derzeit aber auf 160 Abgeordnete angewachsen.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat wiederholt an den ebenfalls übergroßen Bundestag appelliert und mahnte ihn unter anderem im Herbst 2019, endlich politische Handlungsfähigkeit zu zeigen: »Wir kennen doch alle die Klage, dass wir keine Entscheidung mehr zustande bringen. Und jeder von uns spürt, dass es unerträglich ist, wenn vor der Wahl offenbleibt, wie groß der nächste Bundestag sein wird. […] Deswegen müssen wir es jetzt endlich angehen. Um zu zeigen, dass wir es in diesem System zustande bringen. Sonst wächst am Ende die Überzeugung bei immer mehr Bürgern, dass das System nichts taugt.«8

Das gilt gleichermaßen auch für das Berliner Abgeordnetenhaus. Da der Glaube an die Leistungsfähigkeit unseres demokratischen Systems in letzter Zeit bei vielen Betrachtern unübersehbar schwindet,9 sollten gerade die höchsten gewählten Instanzen unserer Demokratie nicht noch Öl ins Feuer gießen.

Wie viele Bürger vertritt ein Abgeordneter?

Um zu belegen, dass, bezogen auf die repräsentierte Bevölkerung, keine Notwendigkeit bestehe, das Abgeordnetenhaus auf 130 Mitglieder zu verkleinern, haben die Parlamentarischen Geschäftsführer der fünf Fraktionen, die gemeinsam den Antrag zur Änderung des Abgeordnetengesetzes eingebracht haben, einen Vergleich mit anderen Bundesländern angestellt. Das Ziel: prüfen, wie viele Menschen der oder die einzelne Abgeordnete10 dort jeweils zu vertreten hat. Sie wollten damit belegen, dass die 160 Mitglieder des Abgeordnetenhauses ganz normal seien. Dabei macht es aber gar keinen Sinn, sämtliche Landesparlamente zum Vergleich heranzuziehen, wie das die Geschäftsführer getan haben.

So führte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Torsten Schneider, aus: »29 000 Einwohner werden von einem Berliner Parlamentarier vertreten. Das ist Platz acht, und damit genau die Mitte der Landesparlamente. Deshalb gibt es gar keine Veranlassung, sein Licht unter den Scheffel zu stellen.«11

Und Daniel Wesener, der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, ergänzte: »Hinsichtlich der Relation von Abgeordnetenzahl und der Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner, die sie repräsentieren sollen, hat Berlin das siebt- bzw. achtgrößte von 16 Länderparlamenten, liegt also auch hier im Bundesländerdurchschnitt.«12

Doch diese Behauptungen sind bereits in sich unrichtig und beruhen auf einem groben Schnitzer. Denn nicht 29 000 Einwohner werden von jedem der 160 Berliner Abgeordneten vertreten, sondern 22 780. Damit nimmt Berlin nicht Platz acht ein, wie die Geschäftsführer behaupten, sondern Platz zwölf (siehe Tabelle 1 im Anhang). Auf knapp 29 000 käme man nur, wenn man von 130 Abgeordneten ausginge. Dies tun die Geschäftsführer aber gerade nicht. Sie müssten deshalb beweisen, dass Berlin bei 160 Abgeordneten in der »Mitte der Landesparlamente« liegt, was eben definitiv nicht der Fall ist.

Im Übrigen ist es von vornherein unzulässig, die besonders kleinen Länder in den Vergleich mit einzubeziehen. Die Geschäftsführer tun das aber und ignorieren, dass die Parlamente selbstverständlich nicht proportional zu ihrer Bevölkerung abnehmen, weshalb in kleinen Ländern naturgemäß relativ wenige Einwohner auf einen Abgeordneten kommen. Lässt man die vier Bundesländer mit weniger als 2 Millionen Einwohnern außen vor, hat Berlin die kleinste Zahl von Einwohnern pro Abgeordneten. In Betracht kommen deshalb für einen Vergleich mit Berlin nur Länder mit ähnlich großer Bevölkerung.

Berlin hat bei 3,64 Millionen Einwohnern (Stand: 31.12.2018) 160 Abgeordnete, die nach der Diätenerhöhung (siehe dazu Kapitel 2) ähnlich vollalimentiert werden wie ihre Kollegen in den Vergleichsländern. Auf jeden Abgeordneten entfallen, wie schon erwähnt, 22 780 Einwohner (siehe Tabelle 1). Bei einer Verkleinerung des Abgeordnetenhauses auf 130 Mitglieder kämen auf jeden Abgeordneten 28 037 Einwohner.

Sachsen kommt bei 4,08 Millionen Einwohnern und 119 Abgeordneten auf 34 268 Einwohner pro Abgeordneten.

Rheinland-Pfalz hat 4,08 Millionen Einwohner und 101 Abgeordnete, also 40 444 Einwohner pro Abgeordneten (siehe Tabelle 1).

In diesen beiden Ländern, die sich deshalb gut mit Berlin vergleichen lassen, weil sie eine ähnlich große Einwohnerzahl haben, kommen auf jeden Parlamentarier also deutlich mehr Einwohner als in Berlin. Das gilt selbst noch im Falle einer Verkleinerung des Abgeordnetenhauses auf 130 Mitglieder. An der Übergröße des Berliner Abgeordnetenhauses festzuhalten ist also nicht gerechtfertigt. Das bestätigen auch folgende Feststellungen:

Berlin hat das drittgrößte Landesparlament, obwohl es, bezogen auf die Einwohnerzahl, nur das achtgrößte Bundesland ist.Selbst die viel größeren Bundesländer Baden-Württemberg (11,1 Millionen Einwohner) und Niedersachsen (8 Millionen) haben weniger Abgeordnete als Berlin.

Dass ihr Vergleich hinkt und sie Äpfel mit Birnen gleichsetzen, muss natürlich auch den Parlamentarischen Geschäftsführern der fünf Fraktionen klar gewesen sein, die das Projekt betrieben. Mehrfach betonten sie in den Plenardebatten, sie hätten die Regelungen in allen anderen Ländern sorgfältig angesehen.13 Dass sie dennoch auch die nicht vergleichbaren kleinen Länder zum Maßstab heranzogen und auch noch unwahr behaupteten, Berlin nehme hinsichtlich der Relation Bevölkerungszahl / Abgeordnete die Mitte unter den Landesparlamenten ein, kann vor diesem Hintergrund nur als bewusste Täuschung gewertet werden (siehe auch Kapitel 2, hier).

Sind mehr Abgeordnete gleichbedeutend mit mehr Demokratie?

Die fatale Zweckgemeinschaft der fünf Fraktionen, die das im September beschlossene Abgeordnetengesetz in eigener Sache initiiert und durchgesetzt hat, begründet das Festhalten an der derzeitigen Größe des Abgeordnetenhauses auch damit, eine Verkleinerung würde eine »Verzwergung des Parlamentes«14 bewirken, wäre der Kontrolle der Regierung und der Gewaltenteilung abträglich und würde »zu einer Schwächung des Parlamentarismus in diesem Land führen«.15

Je mehr Abgeordnete also, desto besser die Regierungskontrolle und desto stärker der Parlamentarismus? Erwarten die Betreiber des Projekts wirklich, dass die Öffentlichkeit diese These ernst nimmt? Wäre es ihnen wirklich um die Verbesserung der Kontrolle gegangen, hätten sie endlich den Missstand beseitigt, dass der Regierende Bürgermeister und andere Mitglieder des Senats gleichzeitig dem Abgeordnetenhaus angehören können, was dem Grundsatz der Gewaltenteilung geradezu ins Gesicht schlägt (siehe Kapitel 4, hier). In Wahrheit ist das Gegenteil richtig: Ein zu großes Parlament schwächt dessen Funktionsfähigkeit und verursacht unnötige Kosten. So sehen es, bezogen auf den Bund, übrigens auch über 100 Staatsrechtslehrerinnen und Staatsrechtslehrer, die im September 2019 in einem offenen Brief an den Bundestag appellierten, noch in dieser Wahlperiode eine Verkleinerung des Bundestages einzuleiten.

Nicht zuletzt geht auch die Verfassung von Berlin davon aus, dass 130 Abgeordnete ausreichen. Wer die derzeitige Übergröße des Abgeordnetenhauses verteidigt, übersieht, dass sich hier – unabhängig von der Höhe der Kosten – die Frage der Handlungsfähigkeit der Demokratie und damit die Systemfrage überhaupt stellt, wie auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble im oben angeführten Zitat betont hat. In Wahrheit geht es um die Kontrolle des Abgeordnetenhauses selbst, das über seine Größe und die Bezüge seiner Mitglieder in eigener Sache entscheidet und deshalb besonders dringend der Kontrolle bedarf.16 Diese hatten die das Gesetz betreibenden Fraktionen aber gezielt geschwächt, indem sie im einschlägigen Gesetzentwurf die Begründung wegließen17 und das Gesetz mitten in der Wahlperiode und damit an den Wählern vorbei in Kraft setzten.18