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Bis Star Trek zum weltweit erfolgreichen Science-Fiction-Phänomen wurde, musste Erfinder Gene Roddenberry einen langen Atem beweisen. 1987, fast zwei Dekaden nach der Absetzung seiner Originalserie, hob eine neue Enterprise ab, diesmal mit bahnbrechendem Erfolg. The Next Generation ebnete den Weg für ein langlebiges Franchise, das inzwischen halb Mythos, halb Realität geworden ist. Dieses Buch taucht tief ab in die Star Trek-Serien von 1987 bis 2005 - von Jean-Luc Picard bis Jonathan Archer. Es liefert eine Vielzahl von Gedanken, Übersichten und Interpretationen.
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Seitenzahl: 810
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„Der Erwerb von Reichtum ist nicht mehr die treibende Kraft in unserem Leben. Wir arbeiten, um uns selbst zu verbessern – und den Rest der Menschheit.“
- Jean-Luc Picardin Star Trek: Der Erste Kontakt
Vorwort:
Die Magie einer kühnen Vision
– The Next Generation –
Kurze Würdigung: Ein fruchtbarer Boden
Geburt und Genese von TNG
Pilotfilm
Der Mächtige
/
Mission Farpoint
Season 1 & 2: Aller Anfang ist schwer
Season 3: Die Selbstfindung beginnt
Season 4 - 6: Die Blüte der neuen Ära
Season 7: Das verflixte siebte Jahr?
Die
Top-15
unter 178 Episoden
Die Hauptfiguren
Wiederkehrende Gastcharaktere
Kommandotandem: Picard - Riker
Beziehungskisten:
Top-10
„Größe und Komplexität“: Die
U.S.S. Enterprise-D
Ikonische Raumschiffe in TNG
Was will Q? – Der allmächtige Quälgeist in wechselnden Rollen
Künstliche Intelligenz am Beispiel des Androiden Data –Wo endet die Maschine, wo beginnt der Mensch?
Zerrspiegel der Utopie: Das Borg-Kollektiv
Mehr Spektakel wagen: Die TNG-Kinofilme
Forschen war gestern: Der TNG-Relaunch
Nummer Eins wird flügge: Die
U.S.S. Titan
legt ab
– Deep Space Nine –
Geburt und Genese von
Deep Space Nine
Trek with an edge: Das Besondere an
Deep Space Nine
Pilotfilm
Der Abgesandte
Besprechung: Die sieben Staffeln
Die
Top-15
unter 176 Episoden
Die Hauptfiguren
Wiederkehrende Gastcharaktere
Kommandotandem: Sisko - Kira
Beziehungskisten:
Top-10
„Hier liegen unsere Hoffnungen“: DS9 im Wandel der Zeit
„Tapferes, kleines Schiff“: Die
U.S.S. Defiant
Dunkel, tragisch, glaubwürdig: Die Cardassianer
Fremde Gestade: Der Gamma-Quadrant
Anti-Föderation aus der Dunkelheit: Das Dominion
Das, was noch vor Dir liegt: Der DS9-Relaunch
– Voyager –
Geburt und Genese von
Voyager
Pilotfilm
Der Fürsorger
Season 1 - 3: Ein großes Versprechen und viele verpasste Chancen
Season 4 - 7: Späte Kurskorrekturen und neue Horizonte
Die
Top-15
unter 172 Episoden
Die Hauptfiguren
Wiederkehrende Gastcharaktere
Kommandotandem: Janeway - Chakotay
Beziehungskisten:
Top-10
„Auf die Reise“: Die
U.S.S. Voyager
Die
Voyager
-Mission: Eckdaten im Überblick
Revolutionäre fern der Heimat: Der Maquis in
Voyager
Heimkehren, um aufzubrechen: Der
Voyager
-Relaunch
– Enterprise –
Geburt und Genese von
Enterprise
Pilotfilm
Aufbruch ins Unbekannte
Season 1: Hinter jedem Stern etwas Wundervolles
Season 2: Kein Wind mehr in den Segeln
Season 3: Grenzüberschreitung und (Selbst-)Verletzung
Season 4: Heimkehr nach langer Irrfahrt
Die
Top-15
unter 98 Episoden
Die Hauptfiguren
Wiederkehrende Gastcharaktere
Kommandotandem: Archer - T'Pol
Beziehungskisten:
Top-10
„It‘s been a long road“: Der weite Weg zur
Enterprise NX-01
Warum wurde
Enterprise
abgesetzt? –Dis-kussionspunkte im Blick
Zurück von den Toten: Der
Enterprise
-Relaunch
Nachwort: Die Reise endet nie
Loyalität
Courage
Gerechtigkeit
Haltung
Urteilsvermögen
Redlichkeit
Initiative
Anstand
Ausdauer
Stärke
„Auf diesem Schiff ist alles möglich.“
Es war einer dieser Sätze, die im Verlauf eines der inzwischen zahlreichen Star Trek-Filme gesagt wurden. Ein Satz, der kurz war und der mir dennoch das Herz wärmte. Denn er machte mir einmal mehr klar, weshalb ich Star Trek immer so sehr geliebt habe. Es ging stets um die Möglichkeiten. Schon Spock dachte gern an die „Chance einer Möglichkeit“, gemäß dem vulkanischen Leitsatz ‚Unendliche Möglichkeiten in unendlicher Kombination‘.
Heute, Jahrzehnte nach meinem ersten Rendezvous mit fremden Galaxien und neuen Zivilisationen, blicke ich zurück und stelle fest, dass ich mich für Science-Fiction begeistere, solange ich denken kann. Doch wenn es eine eigenständige und zutiefst besondere Marke innerhalb dieses großen und heterogenen Genres gibt, dann ist es Star Trek. Das Star Trek, wie es von Gene Roddenberry erdacht und dann später unter Rick Berman, Michael Piller, Ira Steven Behr, Ronald D. Moore und Brannon Braga weitergeführt wurde, begleitet mich nun schon sehr lange. Wie viele andere hat es mich dazu inspiriert, von einem besseren Morgen zu träumen und mich auch in düsteren Zeiten daran zu wärmen.
Die heldenhaften Captains und ihre bunt gemischten Crews waren einfach immer da, in allen Lebenslagen. Sie und die Abenteuer, bei denen man sie beobachten durfte, haben mir geholfen, Niederlagen und Tiefs zu verkraften, mich wieder aufzurappeln, niemals den Mut zu verlieren. Und vor allem haben sie mich angeregt, mich selbst schriftstellerisch im Bereich der Science-Fiction zu betätigen. Im Rückblick denke ich gerne, dass Star Trek und die vielfältigen Themen, die es verhandelte (mal besser, mal schlechter), viel zu meiner persönlichen Reife beigetragen haben.
Ich würde noch weiter gehen: Star Trek ist ein beträchtlicher Teil dessen, was ich als geistige Heimat empfinde. Nicht wegen irgendwelcher wissenschaftlicher und technischer Erklärungen oder opulenter Raumschiffe und auch nicht weil es immer frei von Widersprüchen gewesen wäre (das war und ist es nicht). Sondern deshalb, weil Star Trek – wenn es seine überragenden Stunden hatte – den Horizont für das weitete, was denkbar ist, was erreicht werden kann, wenn wir es nur wollen und über neue Möglichkeiten nachzudenken bereit sind. Wie steinig der Weg zu diesem Ziel auch sein mag.
Im Laufe der Jahre habe ich sehr viel über Star Trek geschrieben, bin viel im Geist auf Reisen gegangen. In diesem Buch habe ich einige meiner Eindrücke, Gedanken und Interpretationen zu dem niedergeschrieben, was ‚mein‘ persönliches Star Trek ausmacht: die Serien von 1987 bis 2005. Diese Serien, die mit dem frühen The Next Generation noch unter Roddenberry ihren Ausgang nahmen, repräsentieren meiner Auffassung nach ein großes Ganzes und auch einen weltanschaulichen Bogen, welcher im Fernsehen mit dem Ende von Enterprise seinen Abschluss fand. Das Schöne ist, dass diese Aberhunderte von Episoden im Weltraum sich am Ende nicht über ihre schwachen Momente oder gar Ausrutscher definieren, sondern über das, was in ihren Sternstunden möglich wurde. Dort, wo es wirklich um neue Welten, um Würde, Mut, Erkenntnis und Humanismus ging. Eben um neue „Möglichkeiten der Existenz“ (Q). Star Trek ist deshalb eine Allegorie auf uns als Menschen, und obwohl es eine dezidiert säkulare Show ist, hat es – im Unterschied zu den vielen Horrorvisionen und Zukunftsdystopien im Gegenwartsfernsehen – nie den Glauben daran verloren, was wir vollbringen können.
- Der Autor
Anmerkung zur 2. Auflage:
In der 2. Auflage wurde das gesamte Buch gründlich überarbeitet. Zumeist habe ich die Besprechungen der einzelnen Serien deutlich erweitert und manchmal einige Kapitel gegen andere ausgetauscht. Ich hoffe, dass sich somit ein noch dichterer und interessanterer Eindruck bei der Diskussion der ST-Shows ergibt.
- Herbst 2022
Anmerkung zur 3. Auflage:
In der 3. Auflage wurde das Buch nochmals grundlegend verbessert. Da es eine Art Best-of meiner bisherigen Sachbücher zu den einzelnen Star Trek-Serien darstellt, habe ich mich dazu entschlossen, es als hochwertiges Hardcover zu veröffentlichen.
- Herbst 2024
Anmerkung: Dieses Buch ist nicht im Auftrag oder durch Unterstützung bzw. Veranlassung von Produzenten der Star Trek-Serien oder zusammenhängenden Merchandise-Artikeln entstanden. Es handelt sich ausschließlich um Meinungen und Interpretationen des Autors. Star Trek™ und sämtliche verwandten Markennamen sind eingetragene Warenzeichen von CBS Studios Inc. und Paramount Pictures.
Abkürzungen
TOS
The Original Series
TNG
The Next Generation
DS9
Deep Space Nine
VOY
Voyager
ENT
Enterprise
Ich gehöre dem Jahrgang 1985 an. Das heißt, zu jener Zeit, als die ursprüngliche Star Trek-Serie erstmals lief, war ich noch lange irgendwo in der Milchstraße unterwegs. Ich bin in den 1990er Jahren TV- und Kino-sozialisiert worden, mit allen Höhen und Tiefen, die dazu gehören. Das bedeutet, eine emotionale Beziehung zu The Original Series – kurz: TOS – hatte ich nie.
Gleichwohl habe ich mich im Laufe der Zeit intensiv mit den abwechslungsreichen Abenteuern von Kirk, Spock und ‚Pille‘ befasst, weil sie schlicht und ergreifend ein zentraler Bestandteil des Canon geworden sind. Wer sich ernsthaft mit Star Trek beschäftigt, kommt an Classic nicht vorbei. Diese Serie, die in den 1970er Jahren im Zuge diverser Wiederholungen Kultstatus erlangen sollte, hat die definierenden Grundlagen gelegt. Die Serie wurde von Gene Roddenberry erdacht, einem ehemaligen Polizisten, der vorher Drehbücher für Kriminal- und Westernserien geschrieben hatte – eine Grundfärbung, die sich auch in TOS widerspiegeln sollte. Obwohl ich einige Dinge in TOS als das erkenne, was später mal die ‚Roddenberry-Box‘ genannt werden sollte (gemeint sind Dogmen wie der Zwang zu nicht-zusammenhängenden Episoden alias die große Unverbindlichkeit, den weitgehenden Verzicht auf crewinterne Konflikte, eine etwas überhöhte Darstellung des geläuterten Zukunftsmenschen oder auch eine Verballhornung alles Religiösen, vom eher rückständigen Frauenbild ganz zu schweigen), sehe ich sehr wohl die Samen, die damals gesät worden und in jenen späteren ST-Serien, die viele so sehr zu lieben gelernt haben, zu blütenreichen Gewächsen gesprossen sind.
Gemeint sind Geschichten, die wie Parabeln auf zeitgenössische Themen und Entwicklungen daherkommen. Die Autoren verarbeiteten den Kalten Krieg und seine explosiven Stellvertreterkonflikte wie insbesondere den Vietnamkrieg, die Rassenkonflikte der 1950er und 1960er Jahre, die Zeit der Verbrechersyndikate in den USA, die aufkommende Computerisierung, Eugenie und andere Zeitbezüge – manchmal auch im amüsanten, bunten Trashformat, etwa wenn Kirk und seine Besatzung auf eine Gruppe von Weltraumhippies stießen. Genregrenzen gab es dabei nicht, und hier betrat Star Trek Neuland. Es machte sich im wahrsten Sinne des Wortes locker. Aus diesem inhaltlichen Potpourri konnten spätere Serien reichhaltig schöpfen und sich breit aufstellen.
Herausragend war, dass Star Trek zu all den Themen, die es aufgriff, eine eigene moralische Message mitbrachte. Man denke z.B. an die Absurdität ethnischer Konflikte, wie es die Folge Bele jagt Lokai nahelegt. Ähnlich absurd-genial sind verschiedene Darstellungen, wie Zerstörungswut und Kriegslust vernichtende Computer bzw. Massenvernichtungswaffen hervorbringen, die sich dann vollständig verselbstständigen und den Menschen mehr oder weniger ihren Willen aufzwingen (Krieg der Computer; Landru und die Ewigkeit; Ich heiße Nomad; Planeten-Killer). Manchmal kam die Botschaft zwar ein wenig mit dem Holzhammer, aber hier zählt der Versuch, einen ethischen Kompass mitbringen zu wollen, was teilweise zu grandiosen Geschichten führte. Während die meisten generischen Unterhaltungsformate dieser Zeit dem Zuschauer unmissverständliche Gut-Böse-Konstellationen (blütenweiße Helden, abgrundtiefe Widersacher!) präsentierten, zeichnete sich Star Trek in seinen besseren Folgen dadurch aus, dass es nicht bloß schnurbartzwirbelnde Schurken darbot, sondern die Perspektive des Gegners einnahm, sich in ihn hineinversetzte. Musste man diesen auch bekämpfen (wie etwa im großen Raumkampf zwischen Kirk und dem namenlosen romulanischen Commander, gespielt von Mark Lenard, in Spock unter Verdacht), wurden die Kontrahenten beleuchtet und auch mit Würde ausgestattet. Im Zuge dessen lernten wir, dass auch der Feind innere Konflikte mit sich austrägt und von daher ein mehrdimensionales Wesen aus Fleisch und Blut ist.
Star Trek machte es sich niemals leicht, sondern war schon damals emsig darum bemüht, die Gegenwart zu verarbeiten und durch das Prisma seines eigenen imaginären Kosmos zu spiegeln. So erhielten wir Geschichten von schillernder Reichhaltigkeit, die mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrer Erfindung nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. Was in TOS eher beiläufig angelegt war – die U.S.S. Enterprise als Repräsentantin einer multikulturellen, moralisch-humanistisch orientierten Planetenföderation – sollte ein Proprium späterer Star Trek-Shows werden, ein spezielles Identitätsmerkmal und Markenzeichen des Franchise. In den 1980er Jahren würde eine gewisse Neuauflage namens The Next Generation das Wesen der weiter entwickelten Menschheit und der Föderation verstärkt beleuchten und damit die idealisierte, zuversichtliche Utopie mehr in den Vordergrund rücken. Vor allem würde TNG, noch mehr aber wohl Deep Space Nine, zeigen, was es in Grenzsituationen bedeutet, zu seinen Prinzipien und rechtschaffenen Grundsätzen zu stehen (courage under fire).
Ähnlich wegweisend war Star Trek mit Blick auf das (schauspielerisch perfekt besetzte!) Triumvirat Kirk, Spock und McCoy – gewissermaßen das Salz in der Suppe von TOS, vielleicht sogar jenes Lebenselixier, das die Serie schließlich populär machte und ihr auf längere Sicht sechs erfolgreiche Kinofilme bescherte. Natürlich ist die Figur des Captain Kirk ein Kind ihrer Zeit und aus heutiger Sicht vielleicht zu sehr das, was man einen nervenstarken Draufgänger in Wildwest-Manier nennen könnte. Kirks Ambitionen als großer Schürzenjäger und Shatners gelegentliche Tendenz zum Overacting mögen diesen Eindruck noch verstärken. Allerdings muss man Kirk zugute halten, dass er nur an der Oberfläche dem Klischee des Männlichkeitsprotzes entspricht – nicht wenige Episoden zeigen ihn auch von einer abwägenden, nachdenklichen und zerbrechlichen Seite. Und seine Entscheidungen zur Lösung von Krisen sind oft erstaunlich differenziert und durchdacht. Hinzu kommt seine ausgeprägte freundschaftliche Bindung an seine ‚Flügelmänner‘ Spock und McCoy. Kirks ‚Verpackung‘ als eher klasssiche Heldenfigur und sein wahrer Kern sind also zwei verschiedene Paar Schuhe.
Obwohl Kirk der starke Anführer sein soll, ist es nicht verwunderlich, dass sein Erster Offizier Spock (Leonard Nimoy) schnell zum überragenden Publikumsliebling und Ikone der Serie avancierte. Der abseits der menschlichen Gemeinschaft stehende Halbvulkanier war damals eine exotische Natur; sein stark kontrolliertes, akkurates Auftreten, seine brillante Intelligenz und Analytik, seine zu jeder Zeit wohl überlegten Ratschläge und Handlungsweisen stehen für einen geradezu Zen-artigen Charakter aus einer besseren Zukunft. In Kombination mit seinem teils unfreiwilligen Sparringspartner McCoy wurde Spock darüber hinaus zum Zentrum ausgesprochen humorvoller Szenen, die etwas von Don Camillo und Peppone haben. Spocks Figur wurde in den drei Staffeln immer mehr ausgeleuchtet, wobei seine latente innere Zerrissenheit zum Vorschein kam, die seiner halb-menschlichen, halb-vulkanischen Identität, aber auch den ‚wilden‘ Genen seiner Vorfahren geschuldet waren (Episode Weltraumfieber). In Summe all seiner Attribute wurde er stil- und inhaltsprägend für das gesamte ST-Universum – man denke an in späteren Serien nachfolgende Grenzgänger wie den Androiden Data, den unter Menschen aufgewachsenen Klingonen Worf, den Formwandler Odo, die von den Borg befreite Seven of Nine oder Subcommander T’Pol. Ohne Zweifel war Spock die Kultfigur der Serie und damals, in den Sechzigern, ein echtes Novum im TV.
Der Charakter des Doktor McCoy, von Kirk mit dem Spitznamen ‚Pille‘ versehen, ist ein Phänomen. Obwohl er oftmals gar nicht viel zur Handlung beiträgt, ist er in seiner Bedeutung so gut wie immer einer der drei Hauptcharaktere. Seine persönliche Verbindung zu Kirk und die häufigen Kontroversen mit Spock schufen erst das, was ich als Wundermischung von TOS bezeichnen würde. Dies wäre jedoch nicht möglich gewesen ohne die brillante Leistung von De-Forest Kelley, der den Schiffsarzt zugleich kauzig und etwas ruppig darstellen konnte, ohne je einen Zweifel an seiner tiefen Menschlichkeit und Kompetenz aufkommen zu lassen.
Ganz ohne Frage ist es Roddenberry gelungen, ein heterogenes, liebenswürdiges und ineinander greifendes Trio zu bilden, das ganze Folgen mit seiner pikanten Chemie tragen konnte: Captain James T. Kirk als der charismatische Anführer mit den beiden Taktgebern ‚Pille‘ McCoy (= moralisches Gewissen und Gefühl) und Spock (= Verstand und Logik). Der Arzt und der spitzohrige Wissenschaftsoffizier traten häufig als argumentative Antipoden und heuristische Grundkategorien auf. Je nach Situation und Szenario musste der Captain neu abwägen und entscheiden. Kommende Serien haben sich hier mit eigenen Akzentsetzungen viel abgeguckt (insbesondere was den konsultierenden und beratenden Aspekt der Serie sowie das Ringen um das beste Argument angeht).
Auch das Thema Multikulturalität und Pluralismus war von vorneherein ein entscheidendes Element von Star Trek, das ihm eine gesellschaftliche Vorreiterrolle verschaffte. Der Umstand, dass in der Hochphase des Kalten Kriegs eine Führungscrew auf der Enterprise agierte, zu der ein Russe (Pavel A. Chekov) ebenso wie eine dunkelhäutige Frau (Nyota Uhura) oder auch ein Japaner (Hikaru Sulu) zählen, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Den weiterführenden Integrationsaspekt verkörperte zudem der bereits erwähnte Spock mit seiner teils extraterrestrischen Abstammung – nicht nur der Feind, sondern auch das Unbekannte wurde auf diesem Schiff eingemeindet, was die Serie auch in ihrem Innerkosmos wahrhaft in die Zukunft katapultierte. Schon auf der Enterprise der 1960er Jahre wurde das Prinzip ‚Einheit in Vielfalt‘, wie es später zum Föderationsideal schlechthin werden sollte, aktiv gelebt.
Trotz der schweren Themen, die es teilweise behandelte, blieb Star Trek stets eine ausgesprochen leichtfüßige und optimistische Serie, die die tief sitzende Überzeugung ihres Schöpfers ausstrahlte: Die Menschheit ist in der Lage, ihre derzeitigen Probleme hinter sich zu lassen und sich entscheidend zum Guten weiterzuentwickeln, wenn sie dies nur wirklich will. Roddenberry sah die Segnungen der Aufklärung, der Rationalität und vor allem der Wissenschaft als Vehikel, um den Erdlingen zu einem nicht nur technologischen, sondern vor allem geistigen und moralischen Sprung nach vorn zu verhelfen. Dieser selbstermächtigende Spirit, der Star Trek intensiv mitgegeben wurde, überdauerte die Jahrzehnte.
Vieles, was am ST-Franchise so einzigartig ist, hat also seine Wurzeln unzweifelhaft in TOS. Insofern kann ich der Schöpfung Gene Roddenberrys nur meine Hochachtung entgegenbringen, war es damals doch ein echtes Wagnis, unter Low-Budget-Bedingungen ein Experiment ohne Blaupause und gegen alle in den 1960er Jahren vorherrschenden Sehgewohnheiten und Vorstellungen von der Zukunft. Selbst wenn es anfangs nicht den Erfolg zu haben schien, den Roddenberry sich erhoffte, so sieht man, wie TOS über die Jahre wie ein guter Wein reifte und mehr und mehr bei den Zuschauern Anklang fand. Es war erst der Beginn von etwas Großem, nämlich einem sprichwörtlichen Wagenzug zu den Sternen…
Danke dafür, Gene Roddenberry.
Besonders empfehlenswerte TOS-Episoden
2x17: Epigonen
Durchweg schmissig: Kirk, Spock und McCoy tauchen in eine Gangsterwelt ein, die an das Chicago der 1920er Jahre erinnert – und liefern uns komödienreife Szenen, ohne den ernsten Bezug darüber zu vergessen.
1x13: Kodos, der Henker
Kriminalgeschichte mit Charakterdrama: Die Episode liefert tiefe Einblicke in Kirks Figur, der durch die schrecklichen Ereignisse auf Tarsus IV stark geprägt wurde.
2x04: Ein Parallel-Universum
Durch den Spiegel: Die Ur-Episode, die eine ganze Reihe von Folgen im bei Fans so beliebten Paralleluniversum begründete. Schillernd und erfrischend, auch wenn die Idee eigentlich von Philip K. Dick übernommen wurde.
1x23: Krieg der Computer
Plädoyer gegen den Krieg: Ein Szenario, das eindrücklich vor Augen führt, wohin Hass und Feindschaft führen und wie sie sich dauerhaft verfestigen können. Und ein Captain, der eine der beeindruckendsten Lösungen präsentiert.
1x22: Der schlafende Tiger
Schablone für einen der besten Kinofilme: Die Enterprise stößt auf die von der Erde geflohenen Augments rund um den früheren Herrscher Khan Noonien Singh, Kirks großem und ikonischem Gegner.
3x07: Gleichgewicht der Kräfte
Mein Feind, mein Verbündeter: Die Enterprise muss mit Klingonen zusammenarbeiten – die Erzrivalen beginnen zu erkennen, dass sie gar nicht so grundverschieden sind.
1x26: Kampf um Organia
Wegweisend für die Geschichte: Die pazifistischen Organier sind nicht das, was sie zu sein scheinen, und erzwingen einen Frieden zwischen Föderation und Klingonen.
1x14: Spock unter Verdacht
Die Enterprise hat eine historisch einschneidende Begegnung mit den Romulanern – es entbrennt ein Raumkampf, dessen bedrückende Intensität an ein U-Boot-Gefecht erinnert. Dramaturgisch sticht hervor, wie prägnant und unerwartet der romulanische Commander charakterisiert wird. Nachdenkliche Fragen kommen auf, was ihn möglicherweise mit Kirk, der ihn zur Strecke bringt, verbindet.
1x28: Griff in die Geschichte
Komplex und berührend: Ein durchgedrehter McCoy, eine ungewöhnliche Zeitreise mit allen Komplikationen und eine tiefgehende Romanze machen die Episode zu etwas ganz Besonderem.
2x15: Kennen Sie Tribbles?
Einfach ikonisch: Klingonen, eine kultige Raumstation und ein Haufen Pelzviecher, gesalzen mit deftigem Humor. Zu Ehren des 30-jährigen Jubiläums griff DS9 die Folge auf und dockte mit einer eigenen Inkarnation an.
Als Mitte der 1960er Jahre die Originalserie von Star Trek ausgestrahlt wurde, fand sie kein ausreichend breites Publikum. Daher entschied sich der (Science-Fiction-Serien gegenüber ohnehin eher skeptisch eingestellte) Sender NBC dafür, das futuristische Experiment als gescheitert anzusehen, und setzte die stets auf wackeligen Beinen stehende Show rund um Captain James Kirk, den Vulkanier Spock und Dr. Leonard McCoy nach dem dritten Jahr bzw. 79 Episoden ab. Doch Gene Roddenberry wollte sich damit nicht geschlagen geben. Hartnäckig und mit ganzer Hingabe kämpfte er weiter dafür, dass seine Zukunftsvision eines Tages wieder auf die Fernsehschirme zurückkehrte. Über lange Jahre hinweg bewies er einen enorm langen Atem und ebenso viel Selbstdisziplin.
Der Traum lebt
Dem Serienschöpfer kam der weitere Gang der Geschichte durchaus entgegen. In dem Versuch, die eigenen Verluste zu kompensieren, verkaufte Paramount Television die Star Trek-Originalserie günstig an möglichst viele kleine Fernsehsender. Diese Entscheidung und die zahlreichen Wiederholungen führten ironischerweise dazu, dass die eigentlich abgesetzte Show im Laufe der 1970er Jahre einen enormen Popularitätsschub erfuhr, weltweit ausgestrahlt wurde und sogar Kultstatus erlangte. Diese überraschende Entwicklung veranlasste Paramount dazu, 1973 eine TOS-Zeichentrickserie produzieren zu lassen (The Animated Series), gewissermaßen einen Nachklapp zu den drei Staffeln der Enterprise-Abenteuer. Das war jedoch eher etwas für Liebhaber und Eingefleischte. 1975 gedachte man sogar, eine Neuauflage der Originalserie unter dem Arbeitstitel Star Trek: Phase Two in die Wege zu leiten – Roddenberry schien beinahe am Ziel seiner Hoffnungen auf eine zeitnahe Wiederbelebung seiner Schöpfung angelangt. Doch aus dem Projekt wurde schließlich nichts, zu groß waren die Bedenken und Zweifel in den Chefetagen des Studios. Lieber wollte Paramount es nun mit einem Kinofilm probieren. Weshalb gerade ein Streifen auf der großen Leinwand, mag man fragen. Nun, zum einen versprach solch ein einzelner Film eine bessere Risikokontrolle und konnte als effektiver Testballon fungieren. Zum anderen hatte der bahnbrechende Erfolg von Star Wars (1977) im Kino Begeisterung beim Studio geweckt, mit der eigenen Weltraummarke dem Pionier George Lucas hinterhereifern zu können.
Geschlagene zehn Jahre nach Einstellung der Originalserie und unter einem beträchtlichen Produktionschaos hinter den Kulissen wurde letztlich mit The Motion Picture 1979 der erste ST-Kinofilm realisiert. Gene Roddenberry kam zwar angesichts seines erratischen Führungsstils beim Management des Projekts nicht sonderlich gut weg (das Studio machte ihn u.a. für die dramatisch ausgeuferten Produktionskosten verantwortlich) und der Film mochte mehr unter inszenatorischen Gesichtspunkten bemerkenswert sein, doch zahlte sich die Anstrengung aus – The Motion Picture erwies sich als kommerzieller Erfolg, und die Zuschauer waren hungrig, die unendlichen Weiten des Alls zu entdecken. Diesem vielversprechenden Signal folgend, wurden bis 1986 (wenn auch ab Film zwei nicht mehr unter Roddenberrys, sondern Harve Bennetts Ägide) vier wirtschaftlich höchst lukrative Kinofilme mit der Classic-Crew produziert, die es neben ihren Schauwerten vollbrachten, die zentralen Figuren beachtlich weiterzuentwickeln. Mehr an Potenzial war in der Pipeline. In dieser Zeit hatte Paramount endgültig Blut geleckt und wollte Star Trek ins TV zurückbringen. Beinahe zwei Dekaden nach dem vorzeitigen Ende von TOS stand die umfassende Wiederbelebung des Science-Fiction-Phänomens in den heimischen Wohnzimmern tatsächlich in den Startlöchern. Es roch nach Aufbruch.
In der Chefetage setzte man sich in den Kopf, den Classic-Nachfolger in Syndication zu produzieren, also Episode für Episode an unabhängige und regionale Sender zu verkaufen (Mehrfachverwertungsprinzip). Zudem sollten die Einnahmen aus den TOS-Wiederholungen in die Produktion der neuen Show reinvestiert werden. Wegen des fortgeschrittenen Alters und den als zu hoch befürchteten Gagenforderungen von William Shatner und den anderen Darstellern aus der klassischen Serie plante das Studio frühzeitig mit einer neuen Besetzung. Spock-Darsteller und Filmregisseur Leonard Nimoy lehnte zugunsten seiner Kinolaufbahn die Anfrage Paramounts ab, als Kreativverantwortlicher für die anvisierte Serie zu fungieren. Obwohl Roddenberry selbst zunächst nicht unmittelbarer Teil dieser Findungsphase war – nach dem stressigen Durcheinander während der Produktion des ersten ST-Films war er mehr oder weniger entmachtet worden –, wurde er relativ rasch angesprochen, um die Konzipierung der neuen Inkarnation mit seiner Expertise zu unterstützen. Um ihm aber nicht die alleinige Verantwortung zu übertragen, teilte ihm Paramount Rick Berman, bis dahin stellvertretender Programmdirektor, als Aufsichtsperson zu. Berman, eigentlich Geschäftsmann und Zahlenmensch durch und durch, sollte bald schon eine tiefe Bewunderung für die Gedankenwelt und Überzeugungen des ST-Großmeisters entwickeln, was für die weitere Genese des Franchise nicht unwichtig werden würde. Roddenberry gefielen die ersten Ideen zum Serienvorhaben nicht und erschienen ihm zu weit weg von dem, was eine Neuauflage seiner Vision verkörpern sollte. Also lieferte der Franchisevater munter eigene Impulse und inhaltliche Vorschläge. Dies überzeugte Paramount, ihn in kreativer Hinsicht erheblich stärker einzubinden. Abgesehen davon war Roddenberry aufgrund seiner engen Verzahnung mit der inzwischen breit gesprossenen ST-Fangemeinde wichtig für das Studio, das ihn als glaubwürdigen Transmissionsriemen zu nutzen gedachte. Es sah alles nach einem Win-win-Szenario aus.
Großer Ehrgeiz, große Pläne
Über diese Rampe kehrte Roddenberry sozusagen in den Kommandosessel des verheißungsvollen Unterfangens zurück. Der gebürtige Texaner nutzte die Gunst der Stunde, um sich geradezu unverzichtbar für Paramount zu machen. Nachdem er sich bei der Produktion der Kinofilme zwei bis vier rund um die Originalcrew ein ständiges, wenngleich vergebliches Tauziehen mit dem Studio um die Ausrichtung des Franchise geliefert hatte, setzte er jetzt – auch unter Zuhilfenahme gewisser juristischer Finten – alles daran, die komplette kreative Kontrolle über TNG zu erhalten. Das Pokerspiel ging zugunsten Roddenberrys auf, und Paramount schlug ein. Daraufhin versammelte er ein handverlesenes Team von Autoren, mit denen er schon bei TOS zusammengearbeitet hatte, unter ihnen David Gerrold, Robert Justman und D.C. Fontana. Zusammen mit seinen Mitstreitern erstellte er eine lose Serienbibel, in der Umgebung, Figuren, Sets und Begrifflichkeiten für die neue Inkarnation umrissen wurden.
Roddenberry wollte den Kern der klassischen Serie und deren Botschaften beibehalten. Allerdings sah er die Notwendigkeit, eine Serie zu produzieren, die den späten Achtzigern angemessen war. Das galt längst nicht nur für die optisch-technische Seite. Seit dem Ende von TOS war in Roddenberrys Hinterkopf die Einsicht gereift, dass es im Fall einer Wiederbelebung von Star Trek einer Stärkung des utopischen Elements bedurfte, um eine wirklich fortgeschrittene Menschheit glaubwürdig und inspirierend vermitteln zu können. Die Zeichen hierfür schienen günstiger zu sein als in den von der Blockkonfrontation geprägten 1960er Jahren. Zudem war Roddenberry bei der Produktion von TOS immer wieder durch das Studio dazu gedrängt worden, Drehbücher actionreicher und mainstreamkonformer auszugestalten als ursprünglich von ihm vorgesehen. Dadurch hatte er bei seinen persönlichen Vorstellungen von einer kraftvollen, progressiven Zukunftsdarstellung Abstriche machen müssen. Dies bewies bereits der Wechsel vom ursprünglichen TOS-Pilotfilm Der Käfig mit einem in sich gekehrten, zweifelnden Captain Christopher Pike und einer Frau als Erstem Offizier hin zu Das Letzte seiner Art mit einem nun draufgängerischen Captain James Kirk und einer männlich dominierten Kommandocrew. Zwei Dekaden später aber sah Roddenberry die Gelegenheit gekommen, deutlich kühner aufzutreten und einige wichtige Gesetzmäßigkeiten an seinem neuen Anlauf nachzuschärfen.
Analog zum letztendlich gewählten Titel der Show, The Next Generation, wurde Star Trek in die Zukunft verlegt, um etwa 100 Jahre ins 24. Jahrhundert. Dort sollte eine brandneue Enterprise (fernes Nachfolgemodell von Kirks legendärem Schiff) mit einer ebenso frischen Besatzung auf Entdeckungsreise im Weltraum gehen. Zu den Missionen sollten – in angestammter Manier – der Kontakt mit bislang unbekannten Lebensformen, das Erforschen von fremden Kulturen und von allerhand Phänomenen im All, die Vermittlung und Schlichtung bei sozialen und interkulturellen Konflikten sowie die Hilfe bei technischen Problemen gehören. Mitunter geht es jedoch auch um politische und militärische Auseinandersetzungen mit anderen Mächten, was ebenfalls schon in der Originalserie angelegt gewesen war.
Roddenberrys Wunsch nach einer fortschrittlicheren, verwegeneren und optimistischeren Zukunftsdarstellung bezog sich zunächst maßgeblich auf das Schiff, das wesentlich größer, moderner und luxuriöser als Kirks Enterprise daherkommen sollte. Primär auf Forschungs- und diplomatische Missionen ausgelegt, sollte es einerseits in den Tiefen des Alls auf Forschungsexpedition gehen, andererseits im bekannten Raum tatkräftig im Sinne von Frieden und Völkerverständigung agieren. Anders als in TOS, das von einem durchgehend militärisch geprägten Duktus bestimmt gewesen war, sollten diesmal Zivilisten und sogar ganze Familien an Bord mitreisen. Auf der U.S.S. Enterprise NCC-1701-D sollten der über 1.000 Personen starken Mannschaft technologisch weit gediehene Erholungs- und Freizeiteinrichtungen zur Verfügung stehen, darunter ein extrem fortschrittlicher 3D-Umgebungssimulator (Holodeck). Der im Vergleich zu TOS progressivere Gestus sollte aber auch für den neuen Kommandanten gelten. Jean-Luc Picard wurde als eine im Vergleich zu Kirk reifere, ältere und stärker auf die Mittel der Diplomatie zurückgreifende Figur angelegt. Nicht zuletzt sollte laut Serienbibel nun nicht mehr der Captain, sondern standardmäßig der XO auf Außenmission gehen, um ein wenig von Kirks berühmter ‚Cowboy-Diplomatie‘ herunterzukommen. Der neue Mann an der Spitze des Unterfangens sollte umso mehr durch geistreiche Entscheidungen und Ansprachen überzeugen, weniger durch flinke, gut platzierte Fausthiebe.
Ein neues Ensemble entsteht
Das Casting bildete einen von vielen Spaltpilzen im langwierigen Vorbereitungsgeschehen. Nach einigem Vor und Zurück erhielt für die Figur des Captain Picard letztlich der britische Theaterschauspieler Patrick Stewart Roddenberrys Segen. In der Serie spielte er wohl gemerkt einen gebürtigen Franzosen. Abgesehen von diesem Kuriosum, das angesichts der offensichtlichen Wurzeln Stewarts sowie Jean-Luc Picards Earl-Grey-Vorliebe niemals wirklich Sinn ergab, würde sich der kahlköpfige Kommandant binnen weniger Serienjahre zu dem Aushängeschild der neuen Star Trek-Schöpfung mausern. Selbst wenn Picard in den (anfangs nicht immer fehlerfreien) Drehbüchern erst noch zu ganzer Form auflaufen musste, war es maßgeblich Stewarts besonnen-markantes Schauspiel, das in der Lage war, die inhaltlichen und dramaturgischen Schwächen der ersten beiden Staffeln wenigstens zum Teil auszugleichen.
Bis zum Ende der Serie und ihren vier anhängigen Kinofilmen sollte Stewart das zentrale Identitätsmerkmal von TNG bleiben. Picard war der Gegenentwurf zum etwas breitbeinig agierenden Wildwesthelden und allzu oft interventionistisch auftretenden Instinktmenschen Kirk: ein feinsinniger und gebildeter Verteidiger universeller Menschenrechte, ein Anwalt der Geschundenen und Benachteiligten, Bannerträger einer niemals verrutschenden oder relativierten Ethik. Picards bedachte, diplomatisch-konsultierende, weise, zuweilen strenge, aber immerzu humanen Prinzipien verpflichtete Art, auf Situationen wie Personen zuzugehen, prägte einen ikonischen Stil, der eindeutig besser zur geläuterten Menschheit der Zukunft passt als jener des Vorgänger-Captains. In der Populärkultur sollte Picard, v.a. wegen seiner in der Serie demonstrierten Fähigkeiten beim Lösen schwieriger Probleme, einen Vorbildcharakter erlangen.
An die Seite des neuen Captains stellte man mit dem jungen Schauspieler Jonathan Frakes den ehrgeizigen und leidenschaftlichen Commander William Riker, dessen Figur zweifellos Anleihen beim ersten Enterprise-Kommandanten machte. Während Picard einen Ruhepol auf der Brücke darstellen und die Dinge insgesamt im Auge behalten sollte, sah Roddenberry für Riker deutlich stärker Einsätze außerhalb der Schiffsumgebung und Actioneinlagen vor. Im Gegensatz zum Duo Kirk/Spock, bei dem eine fast schon familiär-reibungsvolle Atmosphäre vorherrschte, sollten die beiden TNG-Figuren an der Spitze der Kommandokette stärker professionelle Distanz zueinander halten. In Bezug auf die übrige Führungscrew lässt sich sagen, dass Roddenberry den Zuschauern Neues bieten wollte, das zugleich die Star Trek-Tradition pflegte und ehrte. Allem voran galt das für die Spock-Nachfolge: Die Figur des Androiden Data (letztlich mit Brent Spiner besetzt) beschrieb Roddenberry bereits frühzeitig als hoch entwickeltes menschenähnliches Maschinenwesen und als eine „Art von Pinocchio“, der sich danach sehnte, wie ein vollwertiger Mensch zu sein. Hinzu kam mit Geordi La Forge ein von Geburt an blinder Mann (LeVar Burton), der mithilfe einer postmodernen Sehhilfe (VISOR) sein Augenblicht erhielt. Damit war zum ersten Mal eine Person mit offensichtlicher Behinderung in einem ST-Cast vertreten. Passend zum nahenden Ende des Kalten Kriegs, sollte sogar ein Klingone auf der Brücke Dienst tun und für das weiterentwickelte Universum stehen, in dem alte Feinde nicht mehr aktuelle Feinde waren, selbst wenn die mit Michael Dorn besetzte Rolle eigentlich als wiederkehrender Gastcharakter angelegt worden war.
Im Hinblick auf die Besetzung weiblicher Castmitglieder machte TNG einen großen Sprung nach vorn: Nun gab es eine Sicherheitschefin (Denise Crosby alias Natasha Yar) und eine Chefärztin (Gates McFadden alias Beverly Crusher) sowie eine Schiffsberaterin (Marina Sirtis alias Deanna Troi). Allerdings wird man einräumen müssen, dass diese Rollen über die Serie hinweg eher begleitenden Charakter hatten und selten im Vordergrund standen. Nichtsdestoweniger war auch bei den prominenten Frauen in jeweils unterschiedlichem Maße eine Entwicklung zu beobachten. Dies würde die Rampe für kommende Star Trek-Inkarnationen sein, die mit Blick auf den weiblichen Teil des Casts richtig durchstarten würden. DS9 und VOY würden eine neue Generation starker, selbstbewusster Frauen hervorbringen, etwa die Figuren der Kira Nerys, Jadzia Dax oder Kathryn Janeway.
Von heiligen Grundsätzen und unheiligem Chaos
In seinen Anfängen dachte man bei TNG von Folge zu Folge, der Weg war das Ziel. Der Erfolg der Serie war nämlich alles andere denn ausgemachte Sache. Immerhin war der Mainstream-Sci-Fi-Markt gerade erst dabei, sich zu entwickeln, und abseits der Kinoerfolge war nicht wirklich absehbar, inwiefern das Fernsehen dauerhaft Platz für Star Trek bieten würde. Hinzu kamen interne Schwierigkeiten, die die junge Serie gerade in ihrem ersten Jahr durchaus erheblich belasteten: Immer wieder gab es schwere Friktionen zwischen Roddenberry und dem Autorenstab. Der ST-Übervater beharrte von Beginn an auf die Einhaltung verschiedener Prinzipien, die er sich seit dem Ende von TOS für eine aus seiner Sicht zukunftsgewandte Serie überlegt hatte, in welcher der berühmt-berüchtigte ‚Advanced human‘ in Erscheinung trat. Diese Grundsätze sollten als ‚Roddenberry-Box‘ Bekanntheit erlangen. Alles, was ihr widersprach, bekämpfte der Serienschöpfer entschieden und unnachgiebig (wenn auch nicht immer komplett widerspruchsfrei). Die wichtigsten dieser Prinzipien seien hier genannt:
Partout keine internen Konflikte:
Die drei Protagonisten der Originalserie – Kirk, Spock und McCoy – durften sich in den Sechzigern noch nach Herzenslust necken und zanken, doch ging es nach Roddenberry, durfte es so etwas im 24. Jahrhundert nicht mehr geben. Entsprechend schloss er persönliche Auseinandersetzungen jedweder Art zwischen den Hauptfiguren kategorisch aus. Banalitäten wie Streitigkeiten aufgrund von Interessengegensätzen, einem verletzten Ego oder Traumata waren unter den serientragenden Charakteren tabu, da dies Roddenberrys Vision einer aufgeklärterleuchteten Menschheit und Sternenflotte widersprach.
Ungemach kommt nur von außen:
Da zwischenmenschliche Reibereien und Dispute innerhalb der Besatzung unerwünscht waren, sollten Konfliktszenarien und Bedrohungen ausschließlich von extern kommen bzw. der
Enterprise
-Crew auf ihren Flügen begegnen. Den Stoff für Disharmonie und Streit lieferten damit exklusiv Aliens aus den Tiefen des Alls. Nichtsdestotrotz achtete Roddenberry akribisch darauf, dass Handlungen nicht zu kriegerisch oder gewalthaltig daherkamen. Aus diesem Grund lehnte er etwa diverse Vorschläge für Klingonenzentrierte Episoden ab.
Rollenverteilung zwischen Utopie und Gegenwartsbezügen:
Während die Föderation mit der Menschheit in ihrer Mitte den utopischen Raum verkörpert, sind andere Völker, auf die die
Enterprise
trifft, mit Facetten aufgeladen, die auf unsere gesellschaftliche Gegenwart mit ihren Problemen und Unzulänglichkeiten hindeuten. (Klingonen sind impulsiv und kampflüstern; Romulaner hochmütig, verschlagen und heimtückisch; Ferengi repräsentieren ausgemachte Habgier; Cardassianer fallen durch Komplexe auf, denn sie neiden anderen ihre Werte und Erfolge; die Borg sind konsumistisch, maßlos und uniformistisch.)
Selbstvergewisserung des Advanced human:
An der moralischen Erhabenheit und Gutartigkeit der Vertreter der modernen Menschheit durfte laut Roddenberry kein Zweifel aufkommen. Dies äußerte sich gerade in den ersten beiden Staffeln der Serie an verschiedenen Stellen in salbungsvollen Bekräftigungen der eigenen Fortschrittlichkeit (was jedoch zuweilen unfreiwillig komisch geriet und allerhand Fragen aufwarf).
Militärischer Duktus und Hierarchie als Regulatoren des Miteinanders:
Trotz seines Wunsches, TNG ein neues, wärmeres Antlitz zu verpassen und Zivilisten mitreisen zu lassen, hielt Roddenberry an der im Kern militärischen Ausrichtung seines
Star Trek
-Konzepts fest. Darin bestand also eine ausgemachte Gemeinsamkeit mit der Vorgängershow. Dem Beginn der Serie ist klar anzumerken, dass der ST-Schöpfer eine Vorstellung vom Miteinander an Bord eines Raumschiffes hatte, das von Dienstpflicht, Disziplin und zwischenmenschlicher Distanz bestimmt wurde. Dahinter stand sicherlich Roddenberrys eigene Sozialisation bei den US-amerikanischen Army Air Forces und später als Beamter beim Los Angeles Police Department. Dieser Grundsatz ist ambivalent zu betrachten: Einerseits trägt eine militärisch geprägte Ordnung eher zur Gleichberechtigung (z.B. der Geschlechter) bei, andererseits mag unter einer solchen Prämisse die Serie etwas schroff und steif wirken und die Charakterentwicklung behindert werden.
Konsequenzloser Einzelepisodenmodus:
Ebenfalls ganz in Tradition von TOS bestand ein weiterer wichtiger Grundsatz Roddenberrys darin, dass keine Episode auf eine andere Bezug nehmen sollte, um eine innere Geschlossenheit der jeweiligen Abenteuer und entsprechend eine leichte Zugänglichkeit der Serie zu gewährleisten. Das bedeutete, dass TNG seiner Anlage nach keine Kontinuitäten, Storybögen und nicht einmal dünne Ansätze horizontalen Erzählens aufweisen durfte. Dieser Grundsatz war eine von Roddenberry verinnerlichte Vermarktungslektion: Seit den 1960er Jahren war der Erfolg von TV-Produktionen immer mehr damit zusammengefallen, dass Geschichten und Charaktere möglichst gleichförmig waren, um Werbeeinnahmen zu sichern, deren Planbarkeit von der erzählerischen ‚Stabilität‘ einer Serie abhingen.
Der von Roddenberry bei der Wahrung seiner ehernen Prinzipien an den Tag gelegte Dogmatismus führte praktisch von Beginn an dazu, dass im kreativen Team eine angespannte Atmosphäre herrschte. Showrunner und Drehbuchautoren empfanden die Vorgaben des ST-Begründers als Korsett, das die kreative Freiheit einengte und dramatischere Erzählungen kaum möglich machte. Dies galt insbesondere für die Forderung strikter Konfliktfreiheit innerhalb der Raumschiffbesatzung. Viele in der kreativen Abteilung waren der Auffassung, dass zwischenmenschliche Konflikte mitnichten etwas Gestriges sind als vielmehr der Treibstoff für Verständigung, Annäherung und Fortschritt. Doch auch die erhabene Stellung der Föderationsgesellschaft/Menschheit und die inhaltliche Abgeschlossenheit sämtlicher Episoden stellten Herausforderungen dar, die mit den Vorstellungen manch eines Autoren von einer modernen Sci-Fi-Serie kollidierten. Um die Einhaltung seiner ‚heiligen Kühe‘ sicherzustellen, nahm Roddenberry ohne Rücksprache an vielen Drehbüchern nachträglich Änderungen vor, die teils gravierend waren, und verhinderte hartnäckig die Umsetzung etlicher Ideen und Vorschläge. Letzteres führte zu einem erheblichen Effizienzproblem, weil im Vergleich mit anderen TV-Serien unverhältnismäßig viele Skriptentwürfe in der ‚runden Ablage‘ landeten. Während der ersten Staffel ließ sich Roddenberry bei der Durchsetzung seiner Linie von dem Rechtsanwalt Leonard Maizlish helfen. Zum Beispiel wurde das Drehbuch zur Episode Die Verschwörung (erste Season), die eine Konspiration innerhalb der Sternenflotte thematisiert, auf Roddenberrys Betreiben so verändert, dass sich am Ende außerirdische Parasiten in den Körpern der betreffenden Offiziere als ursächlich für die Intrige herausstellen. Er lehnte die ursprüngliche Version ab, da ein solches Verhalten nicht seiner Vorstellung von den Angehörigen der Sternenflotte entsprach. Doch Roddenberrys Einmischungen reichten noch weiter und gingen bis in die Substanz der Skripte hinein. Oft waren die letztendlichen Episoden so das Ergebnis komplizierter und chaotischer Umwälzungsprozesse unmittelbar vor Drehbeginn, sodass nicht selten hölzerne Dramaturgie und ein Gefühl von ‚Nichts Ganzes und nichts Halbes‘ dabei herauskamen.
Wegen seines sprunghaften Verhaltens, das Stabsmitglieder als autoritär und kleinlich empfanden, verließen etliche Autoren unter Protest den Writers Room nach nur kurzer Zugehörigkeitsdauer. Sage und schreibe 24 Personen stießen in den ersten drei Staffeln zum Team und verließen es im selben Zeitraum wieder. Die Drehbuchautorengewerkschaft Writers Guild of America vertrat einige Autoren, die sich über nicht vereinbarte Änderungen beklagten, in Schiedsgerichtsverfahren gegen Paramount. Das Magazin Cinefantastique fasste die zahlreichen Ausstiege von Drehbuchautoren und Produzenten als einen „kreativen Exodus“ zusammen, der das Potenzial habe, eine ganze, groß aufgehängte TV-Serie zu ruinieren. Als Folge der Auseinandersetzungen mit der Gewerkschaft wurde Anwalt Maizlish nach der ersten Staffel von der weiteren Mitwirkung an der Serie ausgeschlossen. So mancher der TNG-Hauptdarsteller berichtet, zu diesem frühen Zeitpunkt nicht damit gerechnet zu haben, eine längere Zeit für Star Trek vor der Kamera zu stehen – aus einer Vielzahl von Gründen, aber ganz sicher auch wegen des Chaos hinter den Kulissen. Hierzu gibt die 2014 von William Shatner produzierte Dokumentation Chaos on the Bridge genauestens Auskunft.
Als Roddenberry sich im Laufe des zweiten Jahres dann aufgrund rapide schlechter werdender Gesundheit notgedrungen mehr und mehr aus dem operativen Tagesgeschäft zurückziehen musste, brachen Machtkämpfe unter den Drehbuchschreibern aus – abermals mit negativen Folgen für die Episodenentwicklung. Erst ab dem dritten Jahr kehrten mit dem neuen Führungstandem aus Rick Berman und dem frisch eingesetzten Showrunner Michael Piller Stabilität und ein stetiger Kurs ein, der sich massiv auf die Qualität der produzierten Folgen auswirkte. Bezeichnend ist, dass es in der Post-Roddenberry-Ära gelang, TNG sorgsam zu reformieren, ohne dass die Serie mit den zu Beginn aufgestellten Grundsätzen offen in Konflikt geriet. Dies hängt maßgeblich mit Berman zusammen, der seine Aufgabe darin sah, Roddenberrys grundlegende Vorstellungen weiterzutragen. Zugleich wurden jedoch gewisse Zügel gelockert, sodass begrenzte Handlungsbögen über mehrere Episoden hinweg möglich wurden. Auf diese Weise entstand z.B. für die verschiedenen Klingonenepisoden ab Season drei ein durchaus intensiver Zusammenhang, und es entwickelte sich ein gewisser Raum für wiederkehrende Gastfiguren. Auch sollte sich TNG im weiteren Verlauf zu einer sehr viel menschelnderen Serie weiterentwickeln, die dreidimensionale Charaktere präsentierte und eine nahezu familiäre Verbundenheit ihrer Protagonisten großschrieb. Im Rückblick sind die ersten beiden Staffeln daher als eine Mischung aus Testlabor und kontinuierlichem Entwicklungsprozess zu sehen, bis TNG die Selbstfindung gelang, begleitet von immer weiter steigenden Zuschauerzahlen.
Mag es bislang so erschienen sein, als hätte Gene Roddenberry mit seinem wenig taktvollen Stürmen und Drängen eine durchweg negative Rolle im Produktionsprozess gespielt, so sei an dieser Stelle eine Lanze für ihn gebrochen. Man muss bedenken: Star Trek war sein ‚Baby‘ und schon zum damaligen Zeitpunkt sein Vermächtnis. Dem Mann, der so lange auf eine Chance gewartet hatte, seine anfangs verschmähte Originalserie zu neuer Blüte reifen zu lassen, lagen die Show und die Botschaft, die sie aussandte, leidenschaftlich am Herzen. Unter dem Zuspruch der Fans machte er sich seit den TOS-Tagen Gedanken, wie man eine Zukunftsgesellschaft präsentieren konnte, die ein beflügelndes Vorbild abgab und sich von den Problemen unserer Gegenwart gelöst hat. Das Mindset des bekennenden Atheisten, Szientisten und Anhängers einer aufgeklärten sexuellen Revolution Roddenberry war dafür prädestiniert. Dieses Gedankengut hat bewusst und unbewusst seinen Weg in die Serie gefunden. Heraus kam ein Universum, das nach kritisch-rationalen und humanistischen Idealen funktioniert. Während die Originalserie noch ein unvollendetes Futurum mit zahlreichen Ecken und Kanten zeigte, hatte Roddenberry unter dem Eindruck fortwährender Zuschauerfeedbacks verschiedene Eckpfeiler herausgemendelt, um eine geschlossenere, konsequentere Utopie aus der Taufe zu heben. Er glaubte an ein verheißungsvolles Morgen, wo Elemente wie Nationalismus, Religion und die Sucht nach persönlicher Bereicherung – die in unserer Zeit für so viele Exzesse und Tragiken sorgen – keine Rolle mehr spielen. Hingegen sollte die vereinte Menschheit – repräsentiert durch Picard und seine Offiziere – sich den Mitteln von Vernunft und Wissenschaft bedienen, um ihre Weisheit zu mehren und Gutes zu bewirken. Roddenberry hatte den Mut, sich der Formulierung einer solchen Vision zu verschreiben, und wollte ein leuchtendes Beispiel abgeben. Dass er durch sein eigenes Vorgehen im Produktionsprozess genau dieses positive Beispiel offen konterkarierte, ist wohl einer der vielen Widersprüche, von denen der ebenso fehlbare wie streitbare ST-Schöpfer begleitet wurde.
‚Per aspera ad astra‘ lautet das Motto
TNGs Pfad zur überragenden ST-Erfolgsserie mit stetig wachsenden Quoten begann demnach steinig, doch der allgemeine Science-Fiction-Hunger war im Laufe der 1980er Jahre vollends erwacht. Trotz der holperigen Anfangsphase waren die Fans begierig auf mehr Star Trek. Stück für Stück schaffte es die Serie, die meisten klassischen Anhänger zu überzeugen und in der Folge eine Menge neuer zu gewinnen. Gerade innerhalb des ST-Franchise ist das durchaus eine hohe Kunst, denn alle späteren Spin-offs trugen eher zur Spaltung der Fangemeinde bei. TNG würde – mehr noch als das Original – zum Symbol für anspruchsvolle Allegorien auf real existierende Missstände und Dramen werden. Die Führungsfigur Picard würde einen Typus von idealisiertem Militärkommandanten prägen, der auf Grundlage von Prinzipientreue, Dialogfähigkeit und Humanismus demonstrierte, was eine bessere menschliche Gesellschaft im Kern ausmacht. So würde TNG nicht von irgendwoher zur Inspirationsquelle für viele Menschen werden, sich mit Wissenschaft, Politik, Ethik und sozialen Problemlagen auseinanderzusetzen oder auch eine bestimmte Berufung im Leben für sich zu entdecken, vom emanzipatorischen Charakter der Serie ganz zu schweigen (z.B. Frauen, die in bislang männlich dominierte Wissenschaftszweige gingen; Menschen mit Behinderung, die sich in der Vision einer inklusiven Gesellschaft bestärkt fühlten). TNG war jener große Wurf, der Star Trek endlich vollständig mainstreamkompatibel gemacht hatte, zum Erreichen dieses Erfolgs aber nie bequeme Wege wählte. In seiner Laufzeit erschloss die Serie nicht nur kreativ ein eigenes Universum, sondern griff auch gezielt verschiedenste Ideen aus der Sci-Fi-Szene auf und setzte diese in eigener Deutung um. Die Abenteuer von Picard und Co. luden zudem förmlich dazu ein, mit unterschiedlichen Genres zu experimentieren und so die Begrenzungen angestammter Formate ein Stück weit hinter sich zu lassen.
In den Vereinigten Staaten entwickelte sich die reüssierende Serie für Paramount Pictures zu einer äußerst lukrativen Einnahmequelle. Daher gilt sie heute als wohl erfolgreichste Science-Fiction-Serie, auf der eines der beständigsten Franchises Blüten trieb. Auch ist TNG unter den ganz wenigen langlebigen TV-Shows, die von Staffel zu Staffel ihr Publikum erweitern konnten, darunter etwa Emergency Room oder Friends. Sahen in den USA durchschnittlich mehr als 10 Millionen Zuschauer die erste, zweite und dritte Staffel, waren es im vierten Jahr bereits 11,3 Millionen und annähernd 13 Millionen in Staffel fünf, sechs und sieben. Zu den am meisten rezipierten Folgen gehörten neben dem Pilotfilm (15,7 Millionen Zuschauer) der Borg-Eventzweiteiler In den Händen der Borg/Angriffsziel Erde, die Doppelfolge Wiedervereinigung? mit Spocks Cameo (15,4 Millionen Zuschauer) und natürlich der Abschlussfilm Gestern, Heute, Morgen (17,4 Millionen Zuschauer). Diese und andere Episoden erreichten Spitzenquoten, die man abgesehen von singulären Ausnahmen bei künftigen ST-Produktionen nie wieder erzielen sollte. TNG wurde u.a. mit 18 Emmy- und zwei Hugo Awards ausgezeichnet. Auch im deutschsprachigen Raum, wo sie stets nur im Nachmittagsprogramm erstausgestrahlt wurde, war die Serie erfolgreich, insbesondere nachdem der private Sender Sat.1 1993 die Ausstrahlung vom ZDF übernahm. Eine um das Jahr 2000 unter circa 1.000 Mitgliedern des offiziellen Star Trek-Fanclubs durchgeführte Umfrage ergab, dass Zweidrittel der Befragten erst durch TNG ein tiefergehendes Interesse an Star Trek entwickelt haben; ein ähnlich hoher Anteil bekundete, die Serie sei die beste unter den ST-Inkarnationen.
Die Serie brachte es auf 178 Episoden. Just auf dem Höhepunkt des ungebrochenen Zuschauererfolgs wurde sie 1994 beendet, um die Handlung im Kino fortzusetzen. Hier war die klassische Besatzung mit dem letzten Film Das Unentdeckte Land 1991 an ihr glanzvolles Ende gelangt; nun sollte die nächste Generation übernehmen. Bis 2002 entstanden vier auf der Serie basierende TNG-Kinofilme, von denen drei ein klarer kommerzieller Erfolg waren. Auch der weitgehend geglückte Switch von TNG auf die große Leinwand verdeutlicht die herausgehobene Stellung der Serie im ST-Kosmos. Ohne den bahnbrechenden Erfolg der Show wären weitere ST-Ableger in den Folgejahren nicht vorstellbar gewesen. Aufbauend auf den von TNG gelegten Grundlagen entstanden Star Trek: Deep Space Nine (1993-1999), Star Trek: Voyager (1995-2001) und die Prequelserie Star Trek: Enterprise (2001-2005), deren Beendigung den Abschluss von fast zwei Dekaden ununterbrochener Star Trek-Fernsehproduktionen markierte. Trotz der teilweise beherzten Versuche, den Siegeszug von TNG in die Zukunft zu verlängern, würde es keiner der nachfolgenden Inkarnationen gelingen, die nahezu sagenhaften und stetig nach oben weisenden Quoten der Abenteuer von Picard, Riker, Data und Konsorten zu duplizieren.
Seiner Zeit voraus
Nun mag man darüber spekulieren, woran das liegt. Sicher war TNG seinerzeit ein Vorreiter seines Genres, an dessen Erfolg verschiedentliche Serienschöpfungen anknüpften (man denke z.B. an Babylon 5 oder seaQuest DSV). Hinzu kam, dass spätere ST-Produktionen wie DS9 und VOY es nicht nur mit einem umkämpfteren Markt zu tun hatten, sondern sich aufgrund paralleler Produktion gegenseitig Konkurrenz machten. Es mag aber auch an der angesprochenen Geschlossenheit der positiv-rationalen Zukunftsdarstellung von TNG liegen, dass sich viele Zuschauer besonders angezogen fühlten. Wenn es eine Grundaussage gibt, die die Serie hochhält, ist es das Kredo Immanuel Kants, den Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Picard und seiner Crew in all den Jahren über die Schulter zu schauen, hielt eine fundamentale Erkenntnis bereit: Alles ist grundsätzlich lösbar, wenn man nur gut genug nachdenkt, seinen Prinzipien treu bleibt und den Gemeinschaftssinn betont. TNG wurde so zu einer Aufforderung an die Selbstermächtigung des Menschen.
Ähnlich wie die Originalserie, aber erheblich kraftvoller, wurde die Serie zu einer bemerkenswerten Anomalie im hochkommerzialisierten US-Kulturbetrieb; nämlich einem Stück Fernsehunterhaltung, das streng genommen im Widerspruch zu den Bedingungen seiner Produktion und Vertreibung stand. In der patriotischen Herzkammer des freien Marktes, in der seit jeher erzkonservativ-evangelikale Strömungen ihren Einfluss ausüben, entstand mit TNG eine nachgerade antikapitalistische, antireligiöse, antinationalistische und antimilitaristische Popikone, die die Sehnsucht nach einer anderen, besseren Welt verkörperte. Verstärkt wurde diese kulturelle Attraktion durch die abrupte Epochenwende, die sich in der realen Welt mit dem Fall des Eisernen Vorhangs abspielte. Der Kalte Krieg endete, und Francis Fukuyama schrieb in seinem vielbeachteten Essay hoffnungsvoll vom Ende der Geschichte. Aus damaliger, jedenfalls westlicher Sicht schien die Tür aufgestoßen zum Erreichen einer nie dagewesenen Weltgesellschaft, die ihre Probleme fortan in Institutionen wie den Vereinten Nationen multilateral-diplomatisch und mit Vernunft löste und den langen Schatten von Krieg und Konflikt dauerhaft hinter sich ließ. Jean-Luc Picard verlieh mit seinem besonnenen, weltgewandten Handeln diesem Wind of Change (Scorpions) Ausdruck und avancierte zum Vorbild einer neuen Zeit, die womöglich wirklich anbrechen mochte.
TNG war insofern der Nukleus und der narrative Treibsatz, aus dem das Franchise in seiner heute kaum noch zu überschauenden Breite erwuchs; es begründete seinen langfristigen Siegeszug als Phänomen der Populärkultur mit eigenem Markenkern. Nicht ganz zu Unrecht sagen daher viele Fans und Kritiker, die Next Generation sei das eigentliche Erfolgsrezept des Star Trek-Kosmos. Auch wenn Gene Roddenberry der Show im Grunde nur im Hinblick auf ihr Setting und ihre Rahmenbedingungen sowie auf den ersten Metern ihrer Laufzeit so richtig den eigenen Stempel aufdrückte, hatte er es verstanden, das Vermächtnis der Urserie weiterzutragen und zugleich in eine zeitgemäßere Form zu überführen. Insoweit wird TNG immer mit dem schillernden Franchiseschöpfer verbunden bleiben, der so beständig und hart um die Neuauflage einer Star Trek-Fernsehserie gerungen hatte. Sein lang gehegter Traum war Wirklichkeit geworden, und verantwortliche Producer wie Rick Berman und Michael Piller würden als Treuhänder von Roddenberrys Zukunftsvision Acht darauf geben, dass Star Trek die Verbindung zu seinen Wurzeln wahrte.
Genuss in neuer Pracht
Zwischen 2012 und 2014 erfolgte anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Erstausstrahlungsstarts ein umfangreiches Remastering der Serie, wie es bis dato beispiellos für eine Star Trek-Serie ist. Die Verantwortung für die Restaurierung hatte die Firma CBS Digital; zusätzlich überwachte der langjährige künstlerische Leiter und wissenschaftliche Berater Michael Okuda den Prozess. Ähnlich wie bei TOS wurde eine vollständige Neubearbeitung in HD, also hochauflösendem Bild, vorgenommen. Die einfache Konvertierung der finalen Schnittfassungen war nicht möglich, weil sie auf Video in Standardauflösung gespeichert worden waren. Deshalb wurden die originalen Filmnegative mittels HD-Abtastung neu eingescannt. Dazu mussten zunächst die insgesamt über 25.000 Filmrollen mit den Originalnegativen aus den Paramount-Archiven ausgehoben und gereinigt werden. Weil die originalen visuellen Effekte für das Format 4:3 aufbereitet worden waren, entschieden die Macher, das Seitenverhältnis nicht zu verändern, zu groß wären die Herausforderungen für den Überarbeitungsprozess gewesen. Manche visuellen Effekte wie Phaserschüsse oder Beamvorgänge wurden neu generiert statt sie zu konvertieren. Zudem wurden perspektivische Fehler im Weltraum und fehlgeleitete Schatten korrigiert. Zusätzlich erstellte man manche Matte Paintings neu. Das Originalmaterial wurde hervorragend restauriert, was mit gestiegener Bildschärfe, satteren Farben und mehr Details einhergeht. Insbesondere das liebevoll gearbeitete Modell der Enterprise sowie andere Schiffe und Planeten kommen noch besser zur Geltung. Es ist ein wahrer Genuss, die Serie in diesem runderneuerten Zustand noch einmal zu erleben. Mit einer solchen Frischzellenkur ist der Ausnahmestatus von TNG unter den ST-Serien einmal mehr unterstrichen worden.
Wenn man versucht, es zu verdichten und auf den Punkt zu bringen: Was sind die wichtigsten Botschaften, die TNG seinem Publikum explizit und implizit vermittelt? Ein Versuch, die Metaebene der Serie und damit ihre Markenidentität einzufangen.
Eine bessere Zukunft ist möglich – doch sie verlangt uns eine Menge ab
Rassismus, Armut, Krankheit, Krieg – all das gehört bei Star Trek der Vergangenheit an. In der Vereinigten Föderation der Planeten gibt es keine politischen, sozialen und militärischen Konflikte mehr, die etwa durch den Kampf um Territorium oder Rohstoffe ausgelöst werden. Stattdessen präsentiert uns TNG eine politsoziale und technologische Utopie, in der jeder seinen Platz findet, in der Unterschiede umarmt werden. Sogar die künstliche Intelligenz Data wird eingemeindet und damit gestützt, gefördert, verteidigt. Roddenberrys Föderationsgesellschaft billigt grundsätzlich all ihren Mitgliedern – wie exotisch oder unorthodox sie auch sein mögen – eine eigene unveräußerliche Würde zu, denn sie bejaht Toleranz und Diversität als Nukleus ihrer Identität einer komplexen Planetenunion. Bezeichnend für diese bessere Welt ist jedoch, dass sie nicht lediglich einen tiefen Respekt vor dem Individuum und dessen Bedürfnissen hat, womit sie ihren Bürgern maximalen Entfaltungsspielraum gibt. Die andere Seite der Medaille ist, dass die Menschheit im 24. Jahrhundert vereint und geschlossen ist und sich gemeinsam der Erforschung des Weltraums verschrieben hat (bezeichnenderweise steht die im Intro anklingende ‚Final Frontier‘-Metaphorik selbst dafür, dass eine ehemals kolonialistisch-ausbeuterische Sicht auf die Eroberung von neuem Land auf eine neue, moralisch integre Stufe gehoben wurde).
Die elementare Utopie besteht also, wenn man so will, in der Verbindung von persönlicher Freiheit und kollektiver Kohäsion und Berufung – beides fließt bei Star Trek unmittelbar zusammen. Anders als heute gibt es kein Verlieren im Konsumieren und persönlichen Reichtum, keine Egomanie zum Selbstzweck. Stattdessen ist ein vitales Bewusstsein für das wirklich Wichtige im Leben gereift, für übergeordnete, nicht-materielle Werte und Erkenntnis(-mehrung) als fundamental bereichernde Erfahrung. Das ist im Kern eine postmaterialistische Vision, die propagiert, dass trotz der sagenhaften Überflussgesellschaft und technologischmedizinischen Möglichkeiten, die Star Trek nicht müde wird vorzuführen und zu betonen, der eigentliche Fortschritt im Selbstverständnis und dem Bekenntnis zu einem positiv besetzten, altruistischen Werte- und Lebenskanonen zu finden ist. Deshalb ersetzt Technologie im TNG-Kosmos niemals das (zwischen-)menschliche Miteinander, sondern ist lediglich ein nützliches Instrument. Roddenberry vertrat zweifellos einen humanistischen Existentialismus, der auch seiner Star Trek-Schöpfung abzulesen ist. Demzufolge ist uns der Sinn unseres Lebens nicht in die Wiege gelegt – wir müssen ihn trotz unserer Unzulänglichkeiten aktiv suchen und finden. Als denkende Wesen ist uns die Fähigkeit gegeben, uns selbst und v.a. miteinander wertvolle Ziele zu stecken und unserem Leben eine bestimmte Bedeutung zu verleihen.
Insofern können wir so weit gehen zu behaupten, dass die Star Trek-Zivilisation das einstmalige Versprechen der Französischen Revolution Liberté, Egalité, Fraternité (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) in umfassender Weise einlöst. Der ideelle Wegbereiter dieses Weltereignisses, Jean-Jacques Rousseau, sprach von einer volonté générale, einem auf das Gemeinwohl einer politischen Gemeinschaft gerichteten Willen. Modern könnte man es als eine Idealform des staatsbürgerlichen Grundverständnisses auffassen, das von allen geteilt wird und enorm weitreichend ist. Dieser von Rousseau postulierte innere Zusammenhalt einer Gesellschaft (die in unserer Gegenwart eher in Ansätzen gegeben ist) stiftet politische Geschlossenheit, einen Gemeinschaftssinn und Ideale, denen man sich Seite an Seite verschreibt. Die Star Trek-Gesellschaft ist folglich die ultimative Synthese aus individueller Autonomie und kollektiver Sinnfindung.
Zugleich sind sich Captain Picard und seine Offiziere der schwierigen und teils verheerenden Vergangenheit der Menschheit bewusst und übernehmen Verantwortung; daraus erwächst der beständige Wunsch, ein gutes Beispiel abzugeben. Drehbuchautor Brannon Braga charakterisierte einmal das 24. Jahrhundert als einen perfekten Ort, wo die Menschen Kleinlichkeit, Narzissmus, Gier oder Nationalismus überwunden haben, die zu abscheulichen Taten führen können, dass sie sich jedoch zugleich des langen Schattens im Rückspiegel der Geschichte bewusst sind, der ultimativ im verheerenden Dritten Weltkrieg kulminierte (siehe achter Kinofilm).
TNG zeigt folglich: Zu den Sternen fliegen und dem All seine Wunder entlocken, das alles ist schön und gut, und es raubt einem ab und an sogar den Atem. Doch die eigentliche Leistung besteht darin, dort draußen Haltung zu zeigen, denn es wirkt auf uns und unsere eigene Gesellschaft zurück. Una McCormack, eine äußerst begnadete Star Trek-Romanautorin, die ich vor geraumer Zeit interviewen durfte, sagte mir einmal ein paar Worte, die sich mir buchstäblich eingebrannt haben: „Utopia is a series of fundamental decisions and the determination to maintain those decisions.“ Eben das bedenkt Picard, wenn er seine Prinzipien hochhält, egal wie verlockend in schwierigen Situationen andere, einfachere Wege erscheinen mögen. Er verlangt sich selbst ab, in Taten umzusetzen, was seine Gesellschaft allenthalben vorgibt zu sein, denn ansonsten wären es nur scheinheilige Behauptungen vom Advanced human. Wenn es eine geläuterte Zivilisation der Zukunft gibt, dann ist sie nicht mit bequemen Lösungen und Abkürzungen zu erkaufen. Nein, wir müssen sie wirklich wollen und zu ihr stehen, wenn es hart auf hart kommt. Wir müssen sie Tag für Tag stets aufs Neue mit Leben füllen.
Bediene Dich Deines Verstandes, dann kommst Du weiter
Das Star Trek der späten 1980er und frühen 1990er Jahre ist zum idealtypischen Star Trek geworden, wie es bis heute im öffentlichen Gedächtnis verankert ist. Es ist die Vision einer Welt der größtmöglichen Aufklärung und Rationalität; eine Welt, in der in der Regel auf Basis wissenschaftlichuniversalistischer Grundsätze Erklärungen gesucht und gefunden werden. Und das bedeutet, dass es eine Welt ohne Religion ist, in der das Jenseits keine Rolle spielt. Brannon Braga ging einmal so weit zu behaupten, dass TNG eine Art „atheistische Mythologie“ begründet habe, weil es eine Gesellschaft ohne spirituelle Vormünder oder religiös fundierte Ideologien zeige. Die Menschheit im 24. Jahrhundert hat scheinbar all das hinter sich gelassen. Tatsächlich ist der Umgang Roddenberrys mit dem Thema Religion sehr deutlich und steht in einer Tradition der Originalserie (man denke an Apoll und Trelane). Diese strikt säkulare Grundhaltung wird jedoch gegenüber TOS facettenreicher und nuancierter ausgespielt.
In mehreren Episoden wie Der Pakt mit dem Teufel werden vermeintliche Götter oder mythologische Gestalten ihrer Falschheit überführt, ja als Betrüger und Hochstapler entlarvt. Das ist, wenn man so möchte, die stärkste Zurückweisung spiritueller Autoritäten, wie sie Vorbildern in der klassischen Serie entspricht. Zudem gibt es in den ersten Staffeln immer wieder versatzstückhafte Hinweise darauf, dass Picard und Co. Religion für archaisch halten und mit vielen Problemen und Irrwegen der irdischen Vergangenheit in Verbindung bringen. Am Beispiel des vermeintlich allmächtigen Q wird der Umgang mit dem Thema ‚Göttlichkeit‘ differenzierter, auch wenn dem regelmäßigen Kontinuumsstörenfried trotz seiner absoluten Fähigkeiten eindeutig abgesprochen wird, dass er ein erhabenes und fehlerfreies Wesen ist. Dennoch ist gerade Q es, der Jean-Luc Picards weitere Entwicklung mitprägt und Einfluss auf dessen (Selbst-)Erkenntnisse nimmt.
Letztlich mag die Menschheit eine atheistische, rein weltliche Zivilisation geworden sein, aber Picard und seine Leute haben dennoch mit verschiedenen Kulturen zu tun, in denen der Glaube eine wichtige Rolle spielt (man nehme die Klingonen, die an die Rückkehr des toten Kriegerkönigs Kahless und an die Totenreiche für die Ehrbaren und Entehrten glauben). Hier demonstriert die Enterprise-Crew die Fähigkeit eines großen Feingespürs; sie bewegt sich teilweise stark in den Koordinaten des Glaubenssystems anderer Völker und erweist diesen damit Respekt. Mit solchen Vorgehensweisen beweisen Picard und sein Team, dass die Menschheit zwar für sich genommen von Religiosität Abschied genommen haben mag, aber nicht in arroganter Überheblichkeit auf andere, spirituell geprägte Gesellschaften herabblickt. Was wir für uns als gut und richtig entschieden haben, muss nicht automatisch für andere gut und richtig sein.
Dennoch lässt die Serie nach meinem Dafürhalten am Ende des Tages keinen Zweifel daran, dass sie mit Blick auf den universellen zivilisatorischen Fortschritt Religion für etwas hält, das früher oder später überwunden werden wird. Probleme werden mit den Werkzeugen von Wissenschaft und Rationalität gelöst, mithilfe von Verstand, Abwägung und Vernunft. Diese tief verankerte rationale Grundhaltung lässt sich v.a. am Prozess von Picards Entscheidungsfindung und daraus abgeleiteten Entschlüssen beobachten. Letztere kommen durch ausgiebige Konsultation seiner Offiziere und anderer Personen zustande, sind ausgesprochen nüchtern, strikt faktenorientiert, mit Blick auf das Für und Wider wohl reflektiert und zielgerichtet. Picard, obgleich ein Mensch mit Gefühlen, verbietet es sich, sich einer Gestimmtheit des Augenblicks hinzugeben und damit womöglich nicht zu Ende gedachte oder einseitige Standpunkte zu vertreten. An sich selbst hat er den Anspruch, möglichst objektiv zu urteilen, also Irrationalitäten oder Sentimentalitäten außen vor zu lassen.
In manchen Folgen sagt er es expressis verbis: Er ist zutiefst von der Überzeugung getragen, dass es selbst für die schwierigsten Probleme eine Lösung gibt; nicht selten gibt es sogar mehrere Optionen, zwischen denen zu wählen ist. Und manchmal gibt es auch nur ein Dilemma – die Wahl zwischen zwei Übeln –, aber gerade dann ist kluges Abwägen erforderlich. Selbst inmitten einer Kalamität kann immer noch der bessere Weg gefunden werden. Die fortwährende Message von TNG ist somit klar: Bediene Dich Deines eigenen Verstandes, sei kritisch-rational und komme zu eigenen, fundierten Schlussfolgerungen – lasse Dich nicht von irgendwelchen Vormündern und Ideologien einengen oder (fremd-)bestimmen. Bedenkt man, dass die Serie aus einer US-amerikanischen Realität hervorgegangen ist, in der Religion immer noch eine wichtige und oft negativspaltende Rolle spielt, kann man TNG bescheinigen, dass es eine emanzipatorische Haltung vertritt, die auf die Besonnenheit und informierte Entscheidungsfähigkeit des Einzelnen ganz im Sinne Immanuel Kants baut.
Mit dieser umfassenden Rationalitätsüberzeugung geht im Übrigen auch die Darstellung und das Handeln im Star Trek-Universum einher. Mag es noch so sehr angefüllt sein mit Dingen, die wie Wunder und daher kaum erklär- oder begründbar anmuten, versucht Star Trek allenthalben genau das: Erklärungen und Entmystifizierungen zu erarbeiten. Auf diese Weise gelangen die Helden der Sternenreise in die Gunst, Wissen zu schaffen. Das viel gescholtene ‚Technobabble‘ nimmt in diesem Zusammenhang eine geradewegs symbolische Rolle ein. Denn so irritierend und hölzern das wissenschaftlich-physikalisch-technologische Gerede auf Zuschauer wirken mag, die Star Trek nicht kennen, beweist doch nichts mehr, dass die Informationsgewinnung und Entscheidungen von Picard und Co. auf rationalen Hypothesen über den Kosmos basieren. Diese Hypothesen müssen nicht stimmen, sondern können durch die Praxiserfahrung widerlegt werden. Eben das ist aber der Motor des Unterfangens, wie es die Enterprise auf ihren zahlreichen Missionen demonstriert. Die Folge sind Schritt für Schritt wachsende Einsichten und ein stetig reifendes Verständnis über die physikalisch-rationale Natur des Universums. Was heute noch nicht erklärbar ist, kann und wird womöglich in Zukunft zu verstehen sein. Das Erzählen von weitgehend vernunftbasierten Geschichten ist eine deutlich forderndere Übung als das ‚Möge die Macht mit Dir sein‘-Prinzip aus dem großen Konkurrenzfranchise, wo ebenso diffuse wie elementare Kräfte am Werk sind, die sich dem Verständnis und der Kontrolle der Protagonisten fortwährend entziehen. Solch metaphysische Romantik und erzählerische Beliebigkeit geht dem Star Trek, wie Roddenberry es ersonnen hat, nahezu vollends ab. Das Rationalitätsprinzip ist vielleicht der zentrale Dreh- und Angelpunkt der Serie, aus der sich weitere Konsequenzen und Aspekte ergeben.
Du hast Dein Schicksal in Deiner eigenen Hand