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Anfang der 2000er Jahre nahm der sogenannte Star Trek-Relaunch Fahrt auf - Fortsetzungen der ikonischen Serien The Next Generation, Deep Space Nine, Voyager und Enterprise in Romanform. Zwei Jahrzehnte lang hat dieses beispiellose literarische Projekt das Star Trek-Universum schöpferisch weiterentwickelt, die Fans auf wundersame neue Reisen mitgenommen, alte und neue Charaktere vor ungeahnte Herausforderungen gestellt und die Limitationen der TV-Vorlagen überwunden. Dieses Sachbuch bietet einen fundierten Überblick über sämtliche Relaunch-Reihen und diskutiert die Romane ausführlich und kritisch.
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Seitenzahl: 822
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„Das ist die Erforschung, die Sie anstreben sollten. Nicht das Kartografieren von Sternen oder das Studium von Nebeln. Verlegen Sie sich auf die Erkundung unbekannter Möglichkeiten der Existenz.”
– Q zu Jean-Luc Picard in Gestern, Heute, Morgen
Vorwort:
Der Weltraum, unendliche Seiten…
–
The Next Generation
‐Relaunch –
Forschen war gestern: Der
The Next Generation
‐Relaunch
Schwere Prüfungen stehen bevor: Die Charaktere des TNG‐Relaunch
Die TNG‐Relaunch‐Romane
–
Deep Space Nine
‐Relaunch –
Das, was noch vor Dir liegt: Der
Deep Space Nine
‐Relaunch
Alte, neue Crew: Die Charaktere des DS9‐Relaunch
Die DS9‐Relaunch‐Romane
–
Voyager
‐Relaunch –
Heimkehren, um aufzubrechen: Der
Voyager
‐Relaunch
Heldenreise: Die Charaktere des VOY‐Relaunch
Die VOY‐Relaunch‐Romane
– Crossover‐Reihen –
Der radikale Bruch: Vom Ende alter Tabus im Crossover‐Setting
–
Enterprise
‐Relaunch –
Zurück von den Toten: Der
Enterprise
‐Relaunch
Pioniere am Werk: Die Charaktere des ENT‐Relaunch
Die ENT‐Relaunch‐Romane
Nachwort:
Ein mutiger Aufbruch, ein beispiel‐loses Projekt
Nach dem Ende des letzten TNG‐Films Nemesis (2002) waren die Sternenflotten‐Abenteuer im 24. Jahrhundert erst einmal auserzählt. Im Fernsehen versuchte sich das Prequel Enterprise bis Mitte 2005 an Geschichten aus einer Prä‐Föderations‐Ära, ehe für Star Trek als Ganzes die Lichter ausgingen. Zwar gab es ab 2009 eine Neubelebung im Kino, doch diese betraf ausschließlich ein TOS‐Remake, und das auch noch – dank eines windigen Taschenspielertricks – in einem alternativen Universum. In den frühen 2000er Jahren war der Weg also frei, den ST‐Inkarnationen des 24. Jahrhunderts eine neue Bühne zu bereiten – und sie dort unter anderen Vorzeichen fortzuerzählen. Diese Bühne war die der Romane.
Den Anfang machte Deep Space Nine mit seiner achten Staffel, weil die komplexen Figuren und die dichte und an Handlungsbögen reiche Geschichte wunderbare Anknüpfungspunkte bot, um den Epos um die ehemalige cardassianische Raumstation weiterzuspinnen. Der TNG‐Relaunch stand ein wenig später in den Startlöchern. Im Jahr 2005 war es soweit: Herausgeber Pocket Books wandte sich den weiteren Abenteuern der Enterprise‐E nach den einschneidenden Ereignissen in Nemesis zu. Die sogenannte Second Decade nahm Fahrt auf. Wie verlief der Weg dorthin und welche Überlegungen trugen den TNG‐Relaunch?
Das verbindende Element für sieben Staffeln TNG war der Prozess der Q gegen die Menschheit gewesen, deren idealtypischer Vertreter Picard war. Picard erbrachte, wenn man so will, immer wieder den Beweis dafür, dass die Menschen eine andere, bessere Gesellschaft geworden waren. Es war letztlich auch kein Geringerer als Q persönlich, der am Ende der TV‐Reise von Picard und Co. die Prämisse in Worte fasste, die TNG im Kern ausgemacht hatte. In Gestern, Heute, Morgen riet er dem Captain: „Verlegen Sie sich auf das Erkunden unbekannter Möglichkeiten der Existenz.“ Damit hatte er dem zu diesem Zeitpunkt bereits vor Jahren verstorbenen Erschaffer Gene Roddenberry aus dem Herzen gesprochen. Das Finale von TNG spiegelte eine Serie, die im Großen und Ganzen eine konsequente Fortführung dessen gewesen war, was mit Roddenberrys Vision in den Sechzigern seinen Ausgang genommen hatte. Eine Serie, die eine geläuterte Menschheit zeigte, die mit einem festen und humanistischen Wertekorsett, Neugier und einer Menge Ideale zu den Sternen aufbrach. Ohne Götter, ohne Vormünder, ohne die Niederungen unserer eigenen Gegenwart.
Ab Mitte der 1990er Jahre begann sich das ST‐Franchise zu wandeln. Ein neuer Zeitgeist zog allmählich ein, der später durch den 11. September 2001 noch einmal massiv katalysiert wurde. Das, wofür TNG gestanden hatte, geriet – jedenfalls in den Etagen der Produzenten – langsam, aber sicher aus der Mode. Der Stern friedlicher Konfliktlösung und perfekter, geradliniger Helden, wie Jean‐Luc Picard mustergültig einer war, sank – die Zuschauer sollten mehr Konflikte, Action und Charaktere mit Ecken, Kanten, Makeln und dunklen Seiten zu sehen bekommen. Die kommenden Star Trek‐Erzeugnisse hielten der Roddenberry‐Vorlage in vielerlei Hinsicht die Treue, doch waren sie solchen stilistischen Wandlungsprozessen klar ausgesetzt. In DS9 tobte jahrelang der Dominion‐Krieg, im Laufe von VOY wurde Captain Janeway zusehends waghalsiger und risikoorientierter, und die dritte Staffel von ENT machte aus Captain Archer eine Art intergalaktischen Terrorbekämpfer.
Die Konsequenzen dieser allgemeinen Strömungsänderung, auf die Star Trek reagierte, zeigten sich am deutlichsten im Kino. Obwohl Der Aufstand im Sinne eines Intermezzos noch einmal mit dem früheren Prinzipien‐ und Idealistentum einer rechtschaffenen Sternenflotte jonglierte, wurden die Enterprise‐Mannen des nächsten Jahrhunderts auf eine neue Fährte geführt. Streifen Nummer acht, Der Erste Kontakt, experimentierte mit dem Charakter Picards und fügte ihm das Element der Verbitterung und Rachsucht hinzu, als die Borgkönigin wieder in seiner Nähe weilt und einen zweiten Invasionsversuch unternimmt. Dies war ein Erdrutsch für die Figur Picards und steht durchaus symbolisch für das Bestreben, TNG auf mehr Dramatik und Kampf zu trimmen. Nemesis setzte diese Linie fort.
Für ein TNG‐Sequel in Romanform stellten sich folglich ein paar entscheidende Fragen: Wie sollten jetzt die Abenteuer von Picard und Co. weiter gehen? Unter welchem neuen Leitthema sollten sie abgehandelt werden? Die Ausgangslage war nicht optimal: Einerseits eine an und für sich rund abgeschlossene und halbwegs auserzählte Serie, andererseits vier Filme, die in Story, Stil und Charakterarbeit ziemlich anders gewesen waren als ihre Basis. Zudem waren die TNG‐Blockbuster seit Treffen der Generationen punktuell durch die späteren Jahre gehuscht. Einige neue Charaktere waren gekommen, andere waren zurückgekehrt, manche hatten von Treffen der Generationen zu Der Erste Kontakt und von Der Aufstand zu Nemesis recht starke Veränderungen durchlaufen, ohne dass die Zuschauer wussten, was zwischendurch geschehen war. Wie kam Geordi La Forge eigentlich an seine neuen Technoaugen? Warum hat Data plötzlich keine Emotionen mehr? Wie fand Worf nach seiner Zeit auf DS9 zurück auf die Enterprise? Warum wollen Riker und Troi plötzlich heiraten? Was sucht Wesley auf ihrer Hochzeit? Warum wollen die ‚Imzadis‘ samt Dr. Crusher schließlich von Bord gehen und die Karriereleiter hochklettern? Warum hat Picard plötzlich Humor, und warum ist er nicht schon längst Admiral?
Fragen über Fragen, die offen geblieben waren und das lesebereite Publikum durchaus interessierten. Dies aufgreifend, entschied sich Pocket Books nicht sogleich für eine Post‐Nemesis‐Fortsetzung, sondern wollte zunächst einen Fanservice bieten, der bei den Kinofilmen ansetzte. Im Rahmen mehrerer Doppelromane der A Time To…‐Serie1 (2004; seit 2024 in deutscher Sprache als Zeit des Wandels erhältlich) konzentrierte man sich darauf, geschichtliche Lücken zwischen den Kinofilmen Der Aufstand und Nemesis zu füllen. Hier erfuhren wir sowohl Persönliches als auch Politisches, etwa mit Blick auf die äußere wie innere Situation der Föderation nach dem verheerenden Dominion‐Krieg und die Rolle der Enterprise inmitten dieser schwierigen Großwetterlage.
Hinsichtlich einer Weitererzählung im Anschluss an den zehnten Kinofilm war die zündende Idee aber noch nicht ganz gefunden. Die buchbasierten Relaunches von DS9 und VOY waren lanciert und entwickelten sich gut. Im Frühjahr 2005 brach dann auch Captain Rikers neuer Kahn, die Titan, zu seinem literarischen Jungfernflug auf. Für eine TNG‐Fortführung stellte Star Trek: Titan ein ausgemachtes Problem dar, denn diese Reihe reklamierte für sich, den Forschergeist der Sternenflotte – nach den harten Jahren des Dominion‐ und Borg‐Kriegs – wieder aufleben zu lassen. Eigentlich das klassische TNG‐Motto.
Was nun mit dem im Trockendock Staub ansetzenden Flaggschiff machen? Anders als bei DS9 und auch VOY, deren TV‐Finale zahlreiche Fragen offen ließen und damit Anknüpfungspunkte schufen, hingen bei TNG die Früchte zum Ernten nicht so niedrig. Und das v.a. aus einem Grund: Das Familiengefühl war zuletzt ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen worden. Während am Ende anderer Shows die Crew zusammenblieb oder zumindest ein funktionierender Rest, waren im Gefolge von Nemesis nur noch ein paar zerstreute Hauptcharaktere auf der Enterprise verblieben.
Irgendwann schafften Editor Marco Palmieri und seine Abteilung doch den Absprung. Ende 2005 veröffentlichte Pocket Books den TNG‐Titel Death in Winter (Tod im Winter), der unmittelbar an Nemesis anknüpft. Auch hier haben wir es mit einer weiteren Annäherung auf der Suche nach einem geeigneten Leitthema für das neue TNG zu tun. Tod im Winter konzentriert sich auf das Verhältnis zwischen Picard und Beverly Crusher – ein erster Ölzweig, denn diese Beziehung gehört zu den kaum bearbeiteten Baustellen der Serie. Die beiden Figuren sollten im TNG‐Relaunch gemeinsam richtig durchstarten.
Die damalige Co‐Editorin Margaret Clark, die federführend am TNG‐Sequel mitwirkte, merkte dazu in einem Interview, das ich im Jahr 2008 für das TrekZone Network mit ihr führte, an: „In TNG ging es um das Konsultieren vertrauter Personen. Es ging um die Familie und das Geschehen auf dem Schiff. Und deswegen sagte ich den beteiligten Autoren, dass neben Picard drei Kernfiguren auf jeden Fall Teil eines TNG‐Relaunches sein müssen: Geordi, Worf und Beverly.“ Weshalb gerade diese drei Personen? „Ganz einfach.“, meint Clark. „Sie sind Markenzeichen, Sympathieträger und Picards Bezugspersonen. Data ist ja nicht mehr da.“ Daher setzte sie sich durch, Beverly wieder auf die Enterprise zurückzuholen. „Ich hielt es für blöd, dass sich die Produzenten tatsächlich davor drückten, zu zeigen, wie man eine romantische Beziehung an Bord eines Raumschiffes entfacht und am Leben erhält.“ Beverlys Weggang ist für Picard der Anlass, sich bewusst zu werden, was ihm wirklich wichtig ist im Leben.
Indes: Es sollte noch Jahre dauern, bis der TNG‐Relaunch richtig Fahrt aufnahm. Neben eher privaten Themen kehrte Q in einem Intermezzo namens Q & A (Quintessenz) zurück. Dieses von Keith R.A. DeCandido verfasste Buch bindet die bisherigen Auftritte des allmächtigen Wesens zusammen und liefert somit eine Erklärung für vieles, was Q bislang getan hat. Spätestens mit dem vierten Buch, Before Dishonor (Heldentod), das 2007 erschien, stand endgültig fest, dass Pocket Books die alte Idee einer Verschmelzung von neuem und altem TNG aufgegeben hatte. Dennoch hielt man diese Entscheidung für richtig. So rückte das Borgkollektiv – Picards wahre Nemesis – plötzlich ins Zentrum der TNG‐Fortsetzung, die ihrerseits den Neuanfang einer Saga darstellt. Dass die Borg das dominierende Thema des Relaunch wurden, verteidigt Clark ehern und sieht in ihrem Wiedererscheinen mitnichten etwas Altbackenes. „Mir schienen die Borg in Voyager zahm gemacht worden zu sein. Ich wollte sie wieder so haben, wie wir sie zuerst sahen: furchteinflößend. Man muss den Tisch umstoßen und alle Regeln ändern, um die Borg wieder interessant zu machen.“
Das ließ sich wie eine kleine Revolution an. Dazu passte das Vorhaben, die Second Decade für Crossover mit anderen Romanserien und Gastrollen stärker zu öffnen. „Es ist toll, neue Leute an Bord zu nehmen – die finden nämlich nicht alles super, was der Captain sagt. Man braucht neue Offiziere, die noch nicht unter Picard gedient haben und die Dynamik verändern.“ Der Anspruch war, TNG stärker mit dem reichhaltig gewachsenen ST‐Kosmos zu verbinden. Wer bereit ist, sich auf eine Wiedergeburt von Next Generation unter veränderten Bedingungen und Konstellation einzulassen, wird belohnt. Jean‐Luc Picard und seine Mannschaft stehen in der literarischen Fortsetzung vor gewaltigen Herausforderungen. Mit der Destiny‐Trilogie aus der Feder von David Mack – einer wahren Borgapokalypse – steuert die Reihe auf einen absoluten Höhepunkt zu. Die Borg haben nach all ihren Rückschlägen entschieden, dass die Föderation eine nicht länger hinnehmbare Bedrohung für ihre Existenz ist – und setzen alles daran, sie auszulöschen. In Kürze sieht sich die Planetenallianz einem wahren Armageddon ausgeliefert, während aberhunderte von Kuben einen Angriff auf ihr Territorium starten. Doch es besteht Hoffnung, das Ende von allem abzuwenden.
Ach ja: Viel später würde im Streaming‐Zeitalter eine neue ST‐Serie namens Star Trek: PICARD (2020) auftauchen und die literarische TNG‐Fortführung durch eigene Forterzählungen in Frage stellen. Aber das ist ein Risiko, mit dem lizenzgeschützte Tie‐in‐Produkte immer leben müssen. Außerdem ist Star Trek bekanntlich reich an Möglichkeiten, sodass sich die Fans aussuchen können, welchem Zeitverlauf nach Nemesis sie folgen möchten.
1A Time to Be Born/A Time to Die, John Vornholt; A Time to Sow/A Time to Harvest, Dayton Ward & Kevin Dilmore; A Time to Love/A Time to Hate, Robert Greenberger; A Time to Kill/A Time to Heal, David Mack; A Time for War, A Time for Peace, Keith R.A. DeCandido
In Nemesis verabschieden sich William Riker und Deanna Troi auf ihr neues Schiff, die Titan. Im Shinzon‐Abenteuer hat die Enterprise ihren Stammandroiden Data verloren. Hört sich schwer nach Personalkarussell an – und ein paar neuen Figuren, die anstelle der alten Helden aufrücken. Welches sind die Protagonisten der TNG‐Abenteuer nach Nemesis?
In der TNG‐Serie durfte man Captain Jean‐Luc Picard, damals Kommandant der U.S.S. Enterprise‐D, als einen Würdenträger von Idealismus und Ethik kennenlernen, der geistes‐ und naturwissenschaftliche Standpunkte aufgrund großer kultureller Beflissenheit zu neuem Ausgleich bringen konnte. Dadurch war er seinerseits die fleischgewordene Utopie von Humanismus und Aufklärung, die Wissenschaft und Fortschritt nicht verklärt, sondern auf menschliche Maßstäbe zurückführt. Er war die Entsprechung des ‚Advanced human‘, des geläuterten und weiser gewordenen Menschen.
Diese unantastbare Aura erfährt in der Zeit der TNG‐Kinofilme, in denen Picard den Befehl über die Enterprise‐E übernimmt, eine radikale Zäsur. Es ist v.a. das ungebrochene Rachegelüst an seinen Peinigern, den Borg, das seine erhabene Persönlichkeit in die Niederungen der Wirklichkeit zurückreißt. Hierbei handelt es sich um eine Wirklichkeit, in der man sich in jenem reinen Gefühl zu verlieren droht, gegen das der rationale Picard immer stand. Picards Wunde ist bleibend und tief. Das wiederum ist seine wahre Nemesis (und, nebenbei bemerkt, nicht irgendein Shinzon von Remus), die sich in einem stetigen Spannungsverhältnis zu seiner übrigen Identität befindet.
Insofern knüpft der TNG‐Relaunch an dieses sehr zeitgemäße Leitmotiv an, bei dem es darum geht, auch die Schwächen eines Charakters herauszuarbeiten. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die literarische Fortsetzung nach Star Trek: Nemesis dominiert ist von Konfrontationen mit den Borg und – auch, aber längst nicht nur – von den düsteren Facetten der Figur Picards. Im Hinblick auf die Protagonistenkonstellation in der Second Decade ist weiter bemerkenswert, dass durch den Wegfall der Quasi‐Lehrerstellung Picards in Bezug auf den verstorbenen Androiden Data seine Figur deutlich selbstbezüglicher wird, der gleichzeitig der Fortgang der Zeit verstärkt bewusst wird.
Das hat jedoch nicht nur schlechte Auswirkungen; so bekennt sich der Captain beispielsweise nach 15 Jahren Kollegialität und Freundschaft endlich zu seinen Gefühlen für Beverly Crusher. Das wiederum wird die Grundlage für seine spätere Entscheidung sein, mit ihr eine Familie zu gründen.
Es kam für die Fans durchaus überraschend, als sie in den TNG‐Kinofilmen sahen, mit welcher (teils dem Zufall geschuldeten) Regelmäßigkeit Worf während und nach Abschluss seines Dienstes auf Deep Space Nine wieder auf der Enterprise einkehrte. Zwar gab es niemals explizite Szenen in den Filmen, aber die entsprechenden Kinofilm‐Romanadaptionen sowie die A Time To...‐Reihe haben Aufklärung dahingehend geschafft, dass der Klingone die Crew der Enterprise am ehesten als seine Heimat ansieht, ja ihr immer irgendwie hinterhertrauerte.
Man erinnere sich: Nach DS9 ging er nur, weil die Enterprise‐D zerstört worden und die Zukunft der Mannschaft unsicher war. Und so kommt es auch nicht anders, dass Worf, nachdem er sich entschied, seinen Posten als Föderationsbotschafter auf Qo’noS an den Nagel zu hängen, ab 2379 wieder unter Picard als Taktik‐ und Sicherheitschef dient. An dieser Stelle setzt die Second Decade ein und präsentiert uns Worf als jemanden, der aus weithin nostalgisch‐heimelig verklärten Gründen auf die Enterprise zurückkehrte (auf diesem Schiff nahm sein Lebensweg so richtig Fahrt auf!), nun aber erkennen muss, dass auch so einiges in Veränderung ist.
Nachdem Riker das Kommando der Titan übernommen hat, ist der Stuhl des Ersten Offiziers frei, und der Androide Data steht nicht mehr dafür zur Verfügung – Picard wünscht sich Worf als seinen neuen Ersten Offizier. Doch der Klingone droht in Melancholie zu verfallen: Zu sehr ist ihm eine wichtige Mission mit seiner verstorbenen Gattin Jadzia Dax in Erinnerung, bei der er ihr Leben rettete und den Auftrag als Sternenflotten‐Offizier ignorierte. Damit riskierte er sogar den Verlauf des einstigen Kriegs gegen das Dominion. Plötzlich zweifelt er an den eigenen Kompetenzen in einer dauerhaften Kommandoposition.
Das bleibt jedoch nur Episode: Alles in allem – abgesehen vielleicht von der Tatsache, dass Worf jetzt das Herrchen von Datas Katze ist – begegnet uns der mit allen Wassern gewaschene Zwischenweltler als ziemlich kontinuierlicher Faktor auch auf der neuen Enterprise. Aber eben auch als jemand, der allmählich einen subtilen Sinn für Humor entwickelt und ein gehöriges Stück weiser geworden ist. Er kann durchaus mit Leuten, der fortgeschrittene Worf – wenn man es versteht, seine harte Schale zu knacken.
Wir erinnern uns: Beverly Crusher war schon einmal Leiterin der medizinischen Sternenflotten‐Abteilung auf der Erde, das jedoch nur temporär. Mehr als ein Jahrzehnt später zieht es sie wieder auf diesen Posten, den sie nun dauerhaft zu übernehmen gedenkt. Da sich die jahrelang bestehende Enterprise‐Führungscrew – durch den Weggang von Riker und Troi auf die Titan und Datas Tod – auflöst, gibt es für sie einen Anlass, die Enterprise zu verlassen.
Unterschwellig ist aber auch ein anderer Grund entscheidend: ihr Verhältnis zu Jean‐Luc Picard. Trotz aller hoffnungsvollen Signale konnte es sich während ihrer gemeinsamen Dienstzeit niemals aus der Schwebe befreien. Es ist anzunehmen, dass die Ärztin zunehmend darunter litt. Die Second Decade gibt Picard und ihr eine zweite Chance und führt sie, im Gefolge eines Abenteuers auf einer romulanischen Grenzwelt, zurück auf die Enterprise (s. Roman Tod im Winter). Diesmal gelingt es Beiden, zu ihren Gefühlen füreinander zu stehen, und sie kommen zusammen, heiraten später sogar.
Für Beverly, die zuerst durch den Tod von Jack Crusher und Jahre später durch den Weggang ihres Sohns Wesley privat zunehmend vereinsamte, bedeutet dieser Schritt, nach so einigen kurzweiligen Affären, einen wichtigen Neuanfang. Er wird im weiteren Verlauf auch den Wunsch in ihr ebnen, neues Familienglück zu suchen. Die Seconde Decade auf der Enterprise wird für Beverly also viel mehr sein als nur ein Arbeitsplatz mit geschätzten Kollegen – hier wird das Zentrum ihrer neuen Familie entstehen.
Nemesis hat es eingeleitet: Nach 15 Jahren löst sich die altbekannte TNG‐Crew auf. Was ist nun mit dem Chefingenieur Geordi La Forge, der auf seine Weise so lange eine sichere Bank war? Kann er sich vorstellen, unter Picard weiterzumachen oder zieht es ihn hinaus zu neuen Herausforderungen?
Seinem Potenzial nach könnte er sehr viel höhere Weihen annehmen, z.B. eine leitende Position beim Ingenieurcorps der Sternenflotte. Doch mitnichten: Während um ihn herum der Wandel tobt, ist Geordi gewissermaßen das windstille Auge des Hurrikans. Riker bot ihm vor seinem Weggang sogar den Posten des Ersten Offiziers auf der Titan an, aber Geordis Wunsch, weiter unter seinem alten Captain zu dienen, überwog. Damit bildet er zusammen mit Worf sozusagen ein Picard‐Loyalitätsbollwerk auf der Enterprise.
Was tut sich also überhaupt mit dem Chefingenieur während der Second Decade? Zuerst einmal hat er den Tod seines androiden Freundes Data zu verschmerzen, der entgegen mancher Hoffnungen nicht zurückgekommen ist. Gleich zu Anfang der Erzählung steht Geordi vor einer besonders schweren Aufgabe, den entwicklungsunfähigen Soong‐Prototypen B‐4 für immer zu deaktivieren, um ihn für Studien zum Daystrom‐Institut zu schicken. Gleichzeitig intensiviert und verbessert sich sein Verhältnis zu Worf, da beide Männer nicht nur die Erinnerung an Data verbindet, sondern auch die Pflege einer übrig gebliebenen Katze.
Später, während der Borgkrisen, leistet Geordi durch sein technologisches Genie besondere Hilfe, die kybernetischen Invasoren zu bekämpfen. Obwohl grundsätzliche Neuanfänge für seine Figur bislang ausstehen, scheint sich auch der Ingenieur mittlerweile darüber im Klaren zu sein, dass sein unglückliches Singledasein ein Ende finden muss. Und das wird es. Gut Ding will eben nur Weile haben.
Zu einem der beständigen Gesichter in der neuen TNG‐Phase wird Commander Miranda Kadohata, Zweiter Offizier und direkte Nachfolgerin des verstorbenen Commander Data im OPS‐Bereich. Die auf Cestus III geborene japanischstämmige Kadohata hat seit dem Aufbruch der Enterprise‐D unter Captain Picard gedient und ist der Mannschaft loyal verbunden (ein Ausrutscher ergibt sich dann doch, als sie zu Beginn des TNG‐Relaunch in eine kleine Meuterei verwickelt ist). Data selbst sah sie, die sie mit ihm lange Zeit zusammengearbeitet hat, vor seinem Tod für eine Beförderung vor.
Kadohata selbst hat einen Ehemann und drei Kinder auf Cestus – das Thema ‚Vereinbarkeit von Familie und Beruf‘ spielt damit eine zentrale Rolle bei der Figur Kadohatas.
Als feste Größe in der Enterprise‐Crew etabliert sich die Nachfolgerin des vorübergehenden Sicherheitschefs Leybenzon, Lieutenant Jasminder Choudhury. Die taffe und versierte Taktik‐ und Sicherheitsexpertin muss all ihre Kräfte zusammennehmen, als die Borg 2381 ihre Heimatwelt Deneva in Schutt und Asche legen (s. Romanreihe Destiny).
Choudhury baut eine besondere, vertrauensvolle Beziehung zu Worf auf, mit dem sie regelmäßigem Kampftraining nachgeht. Und wie wir ja bekanntlich wissen, fühlte sich der Klingone schon immer angezogen von starken, selbstbewussten Frauen.
Mitte 2380 dient die halb‐vulkanische, halb‐menschliche T’Ryssa Chen an Bord der U.S.S. Rhea. In diesem Jahr wird die Rhea bei der Vermessung des Planeten NGC 6281 von einem Borgschiff angegriffen. Eine Begegnung zwischen Chen und einer in NGC 6281 lebenden Entität stoppt jedoch den Angriff und transportiert Chen unerklärlicherweise zum Planeten Maravel. Anschließend wird sie als Kontaktspezialistin auf die Enterprise‐E versetzt, als diese nach NGC 6281 entsandt wurde, um das Schicksal der Rhea zu untersuchen und die Borg davon abzuhalten, möglicherweise Quanten‐Slipstream‐Technologie zu erwerben. Chen hat maßgeblichen Anteil an der Lösung der Mission, als es ihr gelingt, mit der Entität zu kommunizieren und sie davon zu überzeugen, der Enterprise zu erlauben, die Borg zu stoppen (s. Roman Mehr als die Summe).
Die zunächst ungefestigte, charakterlich instabile Chen findet im Laufe ihrer Dienstjahre an Bord der Enterprise verschiedene Freunde und reift allmählich zu einer verantwortungsvollen und fähigen Offizierin heran, die Jean‐Luc Picard zum Kern seiner neuen Crew zählt.
Eine eng zusammenhaltende Führungscrew aufzubauen, ist keine so einfache Sache. Deshalb hielt Picard ja auch so lange an seinem eingeschworenen TNG‐Zirkel fest. Nach Nemesis muss er sich jedoch für Veränderungen öffnen. Nun ist es so, dass die seit 2379 in die Führungscrew der Enterprise hineinstoßenden Neuzugänge nicht immer mit den alten Offizieren harmonieren. Das beste Beispiel hierfür ist vermutlich die Vulkanierin T’Lana. Als Nachfolgerin Deanna Trois kommt sie kurz vor Ausbruch der ersten Borgzwischenfälle (s. Roman Widerstand) an Bord und sieht sich in der Situation, einen in Bezug auf seine kybernetische Nemesis nicht immer rational handelnden Picard kritisieren zu müssen. Picards mutwillige Missachtungen der Kommandokette gipfeln letztlich in dem Versuch T’Lanas, eine Meuterei auf der Enterprise anzuzetteln. Schließlich verlässt sie das Schiff wieder, und ihr Nachfolger auf dem Counselorposten wird Hegol Den.
Auch der vorübergehende Sicherheitschef Zelik Leybenzon ist in die Verschwörung gegen Picard verwickelt. Er zeigt sich sogar bereit, Beverly Crusher zu foltern, um den Captain zum Handeln zu bewegen. Einige Monate später bittet Leybenzon um Versetzung auf die U.S.S. Bhutto. Andere Figuren werden die Begegnungen mit Borg und anderen Bedrohungen nicht überstehen. So wird es eine Weile dauern, bis beim Posten des Sicherheitschefs Kontinuität einkehrt.
Eine wertvolle und kontinuierliche Stütze wird in jedem Fall Lieutenant Dina Elfiki sein. Im Jahr 2380 kommt sie als neue Wissenschaftsoffizierin an Bord der Enterprise. Die Ägypterin fügt sich rasch in das Team unter Captain Picard ein und wird mit ihrem brillanten Verstand ihren Teil zur Entdeckung und Rettung des Alls beitragen.
The Next Generation‐Relaunch
Tod im Winter (Death in Winter)
Autor: Michael Jan Friedman
Erscheinungsjahr: 2005; deutsche Übersetzung: 2009
Zeitraum: 11/2379
Jean‐Luc Picard scheint seine besten Tage als Captain hinter sich zu haben. Nach dem Shinzon‐Zwischenfall vor ein paar Wochen hat ein Großteil der Crew die nach wie vor im Dock liegende Enterprise‐E verlassen. Auch die meisten seiner Führungsoffiziere und engsten Freunde weilen nicht mehr an Bord, abgesehen von Geordi La Forge und dem Klingonen Worf, der sein heimatloses Heil vor einer Weile wieder auf der Enterprise fand. Der Verlust des Androiden Data bleibt eine zusätzliche schwere Hypothek.
Picard ist – verständlicherweise – in einer melancholischen Stimmung, seine Leute schließlich verloren zu haben; auch und v.a., was sein nie gänzlich geklärtes Verhältnis zu Beverly Crusher anbelangt, welche nun auf der Erde tätig ist. Nicht umsonst treiben ihn Erinnerungen an ihre gemeinsame Vergangenheit mit Jack Crusher um, an die Hochzeit von Jack und Beverly, auf die er als Trauzeuge mit einem tief vergrabenen Geheimnis eingeladen worden war.
Indes erfährt der Leser, dass das Romulanische Sternenimperium, so wenige Wochen nach dem Tode Shinzons, zwar mit Tal’Aura schon über eine neue Prätorin verfügt (sie unterstützte Shinzon einst und witterte schließlich selbst Oberwasser), aber innenpolitisch weit von stabilen Zuständen entfernt ist: Überall in imperialen Territorien, vornehmlich in den Randgebieten, brechen Aufstände und regelrechte Rebellionen aus, zurückgehend auf Separationsbewegungen unterdrückter Völker. Lange genug befanden sie sich im Würgegriff romulanischer Zentralgewalt und wittern nun die Chance auf Freiheit, vergleichbar vielleicht mit dem Zerfall der Sowjetunion.
Doch die Schneise des internen Konflikts zieht sich nicht nur durch koloniale Breitengrade des Imperiums, sondern auch geradewegs durch die romulanische Führung. Dabei stehen Tal’Aura und ihr gewiefter Stellvertreter Tomalak auf der einen, Commander Donatra und Admiral Suran als Vertreter eines nicht unerheblichen Teils der imperialen Flotte auf der anderen Seite. Donatra nämlich ist die stärkste Sympathisantin der Rebellen auf der romulanischen Grenzwelt Kevratas, mit deren Anführer Braeg sie eine geheime Liebesbeziehung verbindet. Auge um Auge, Zahn um Zahn: Wer sich zuerst bewegt im Imperium, ist tot.
Eines Tages schickt das Sternenflottenkommando Beverly Crusher undercover nach Kevratas, wo eine tödliche Seuche um sich greift. Sie soll im Rahmen ihrer verdeckten Mission ein Heilmittel finden. Das Oberkommando handelt dabei nicht nur aus reinem Gutmenschentum, sondern auch und v.a., weil es sich verspricht, die Sympathien der krisengebeutelten Kevratianer für die Föderation zu wecken. Kaum ist Beverly auf Kevratas eingetroffen, nimmt das Unheil seinen Lauf: Sie gerät in die Fänge romulanischer Truppen und wird als Spionin der Föderation festgesetzt – von keiner Geringeren als der durchtriebenen Sela.
An Bord der Enterprise wird Picard darüber in Kenntnis gesetzt, dass Beverly sich seit mehreren Tagen nicht mehr bei der Sternenflotte gemeldet hat und möglicherweise tot ist; diese Aussicht kann und will er nicht akzeptieren. Picard erhält vom Oberkommando den Auftrag, einen anderen Mediziner nach Kevratas einzuschleusen, der Crushers Arbeit fortsetzen soll. Man will ihm aber auch den Freiraum lassen, nach ihr zu suchen.
Da die Enterprise im Gefolge der zurückliegenden Schlacht im Bassen‐Bruch alles andere als einsatzfähig ist, gibt die Sternenflotte ihm ein alternatives Reisemittel: das zivile Frachtschiff Annabel Lee unter dem Kommando seines alten Stargazer‐Kameraden Pug Joseph. Begleitet wird er neben Joseph und dem benannten Arzt – Carter Greyhorse (ein nicht ganz sündenfreier Geselle!) – von einem Romulaner namens Decalon, der beizeiten zur Föderation übergelaufen ist und selbst eine Weile auf Kevratas gelebt hat.
Mit dem Abflug Richtung Neutrale Zone beginnt für Picard ein Wettlauf gegen die Zeit – und mit ihm die Erkenntnis, dass es dringender denn je ist, sich zu seinen wahren Gefühlen für Beverly Crusher zu bekennen…
Ein Buch von ganz eigenartiger Konsistenz hat Michael Jan Friedman da abgeliefert. Denn streng genommen ist Tod im Winter kein eindeutiger Auftakt für einen Relaunch, sondern eher so etwas wie ein Nachtrag zu TNG mit eigenem Kontext. Gleichzeitig ist es auch eine verkappte Fortsetzung von Friedmans Stargazer‐Reihe, sieht man einmal auf Picards Begleitung an Bord der Annabel Lee. In erster Linie aber ist es die Geschichte einer verschütteten Liebe. Und das macht den Roman, trotz manch erheblicher Mängel, zu etwas Besonderem. Es ist ein gutes Zeichen, dass man bei Pocket Books offenbar jenen Mut gefasst hat, den die Produzenten der TV‐Serie anno dazumal nicht aufbrachten: Picard und Beverly eine Zukunft zu geben, selbst, wenn es bedeutet, den in Nemesis angedeuteten Weggang der Ärztin wieder zurückdrehen zu müssen.
Damit setzt das Buch von vorneherein klare Prioritäten und verspielt sein Inspirationskapital nicht in Belanglosigkeit. Einerseits liegt der Charakterfokus ausschließlich auf der Konstellation Picard‐Beverly, was durch die Flashbacks trefflich untermauert wird, wo man so viel wie selten zuvor über die Vergangenheit dieser beiden Figuren erfahren darf. Andererseits wird die persönliche Problematik sehr schön in den Hintergrund der politischen Wirren im romulanischen Reich integriert, was abermals durch die Rückblenden vorbereitet wird.
Das Machtvakuum, das der Putschist Shinzon hinterließ, hat Intrigen, Mord und Todschlag freigesetzt: Verschiedene romulanische Fraktionen buhlen um die Macht. Nebenbei gesagt ist es schön, dass die Remaner diesmal außen vorbleiben. Die Auflösung des Romans in die sich gewahr werdende Liebe zwischen Picard und Beverly – ein lang überfälliger Prozess – lässt es einem richtig warm ums Herz werden (wobei ich mich doch zeitweilig fragte, was eigentlich aus Anij aus Der Aufstand geworden ist?) und die zuweilen kitschigen Anwandlungen verzeihen.
Speziell der Ausklang des Buches, als die Rebellen es schaffen, eine Seuche aus der Taufe zu heben, die Romulaner infizieren kann und die sich auf dem Weg nach Romulus befinden könnte, ist weitgehend geglückt. Hier winkt möglicherweise eine Fortsetzung, die Tod im Winter einen größeren Zusammenhang verleihen könnte. Demgegenüber ist der Verlauf der Kevratas‐Handlung zwar spannend und actionlastig, ganz sicher aber nicht überoriginell, da gravierende Schnitzer in der Story stecken. Die grundlegende Irrlogik, wieso Beverly sich erst vierzig Jahre später aufmacht, eine Seuche zu heilen, von der sie als Mädchen erfuhr, verpasst Tod im Winter einen ordentlichen Glaubwürdigkeitsdämpfer. Ebenso ist ganz und gar unverständlich, weshalb die Bewohner von Kevratas der offenbar schon so lange wütenden Seuche nicht erlegen sind. So schlimm kann sie dann doch nicht sein.
Ein paar der überhaupt sinnresistentesten Szenen darf man bestaunen, wenn es um Geordi und Worf geht. Während ihr Captain schon längst über alle interstellaren Berge ist, sitzen der Ingenieur und der Klingone auf der Enterprise und versuchen verzweifelt zu rekonstruieren, wo Picard hingeflogen sein könnte. Wie schade, dass sie niemanden kennen, der ihnen eine Auskunft erteilen will. Geordi und Worf scheinen nicht mehr ganz so gut angebunden zu sein wie früher. Und als sie Picards Aufenthaltsort schließlich doch herausfinden, macht ihnen Admiral Janeway einen Strich durch die Rechnung. Dumm gelaufen. So reißt dieser Handlungsbogen in der Mitte des Buches dann auch einfach ab. Der Verdacht liegt nahe, dass hier ein paar Seiten auf die Schnelle gefüllt werden wollten. Persönlich hätte ich es schöner gefunden, etwas daraus zu machen und die letzten Loyalen ihrem Captain zur Hilfe eilen zu lassen.
In der zweiten Hälfte des Buches büßen die Szenen merklich an Spannung ein, wirken mechanisch und sind vorhersehbar konstruiert. Da kann man die Zeilen regelrecht überfliegen. Auch merkt man, dass mit der Idee, in die Abgründe romulanischer Politik einzutauchen, in Tod im Winter bewusst gespielt wird. Doch am Ende bleibt dies Makulatur, weil man dem im selben Jahr erschienen Pilotroman von Star Trek: Titan (Eine neue Ära) wohl nicht die Show stehlen wollte. Trotz der Skizzierung politischer Hintergründe muss sich Tod im Winter damit begnügen, so wie Nemesis mit den Remanern einen Nebenkriegsschauplatz zu thematisieren und eher an der Oberfläche zu bleiben. Ebenfalls ein Manko ist Selas Rückkehr: Wer sich auf ein gefährliches Spiel mit der hybriden Antagonistin freut, wird enttäuscht werden. Sie scheint seit den letzten Begegnungen abgebaut zu haben.
Schwierig sind schließlich die Verweise in die (ausgesprochen erfolglose) Stargazer‐Reihe von Autor Friedman. Es wirkt beinahe wie eine kleine Selbstbeweihräucherung. Das Gros der TNG‐Fans, die zu diesem Buch greifen, wird mit Joseph Pug und Carter Greyhorse nur herzlich wenig anfangen können und sie als ablenkenden Ballast empfinden.
Unter dem Strich ist das alles aber zu verschmerzen, denn das Buch dreht sich, wie vom Cover bereits angedeutet, nur in zweiter Linie um Politisches. Tod im Winter sollte für das wertgeschätzt werden, worauf es von der ersten Seite aus ist: aufzuräumen mit einer totgeschwiegenen Liebe. Deshalb verteidige ich dieses Buch, weil ich finde, dass es aus der Masse der generischen Star Trek‐Romane hervorsticht. Und doch kann Tod im Winter die über allem schwebende Frage, wie es denn jetzt mit TNG weiter geht, nicht hinreichend beantworten. Zu schwer wiegt da noch der in großem Stil erfolgte Wegzug der Stammbelegschaft, für die erst einmal Ersatz aufgetrieben werden muss. Der Roman ist bestenfalls ein Vorlauf für künftige Bücher, denen es zufallen wird, TNG dauerhaft wiederzubeleben. Nichtsdestotrotz will ich nicht mit Vorschusslorbeeren geizen: Tod im Winter hat bei mir gewisse Erwartungen geweckt.
Autorin: J.M. Dillard
Erscheinungsjahr: 2007; deutsche Übersetzung: 2009
Zeitraum: 3/2380
Wie sagte Captain Kirk einst so melancholisch? – „Die Enterprise kommt mir vor wie ein Haus, das von allen Kindern verlassen worden ist.“ Und tatsächlich scheint sich die Geschichte zu wiederholen: Auch 100 Jahre später gibt es einen einsamen Enterprise‐Captain, der mit dem Weggang seines Ersten Offiziers erst noch klarkommen muss. Und wo wir schon dabei sind, auch mit dem Weggang der Counselor und dem Verlust seines androiden Wissenschaftsoffiziers. Einen Vorteil gegenüber Kirk hat Picard dann doch, wenn auch erst neuerdings: Er darf jetzt neben seiner Chefärztin aufwachen, zu der er sich schließlich bekannte und die zu ihm auf die Enterprise zurückkehrte.
Aber auch sie stößt an ihre Grenzen, als Picard eines Nachts unvermittelter Dinge schweißgebadet aus einem Albtraum hochschnellt – und hinter der Stirn die Stimmen seiner wahren Nemesis vernommen hat: Borg. Die folgenden Tage und Stunden, in denen Picard seine neuen Offiziere – u.a. einen vulkanischen Counselor – an Bord begrüßt, stehen mehr und mehr im Schatten dieser nächtlichen Anwandlung. Und als sich die visionsartigen Zustände wiederholen, ist sich der Captain schnell sicher: Die Borg sind hier, hier im Alpha‐Quadranten, gerade damit beschäftigt, eine neue Königin zu erschaffen. Und weil das Kollektiv durch die Taten Admiral Janeways an den Rand des Zusammenbruchs gedrängt wurde, soll es keine Assimilationsversuche mehr geben – stattdessen sollen Menschheit und Föderation ein für allemal ausgelöscht werden.
Es ist auch diese Veränderung im Selbstverständnis der Borg, die Picard wittert und die ihn mit Furcht umtreibt. Die seit seiner Deassimilation von Locutus niemals gänzlich verschwundene Intuition ob des Hive‐Bewusstseins lässt ihn im Gefolge ahnen, in welchem Sektor sich der entsprechende Borgkubus befindet – ein Schiff, das tatsächlich vom Kollektiv abgeschnitten wurde und bemüht ist, sich eine neue Identität zu stiften, nachdem alle seine Transwarp‐Verbindungen in den Delta‐Quadranten gekappt wurden. Schnell wendet sich Picard an die Sternenflotte, doch anfänglich glaubt ihm niemand, und er ist gezwungen, auf eigene Faust vorzugehen.
Als schließlich die Sensoren der Enterprise tatsächlich einen Borgkubus auflesen, ergibt sich für den Captain schnell ein handfestes Dilemma: Während Janeway ihm befiehlt, auf die ihr zuarbeitende Seven of Nine zu warten und dieser die Untersuchung des Borgschiffes zu überlassen, verrät Picard sein berüchtigtes Bauchgefühl, dass er nicht warten kann – denn mit jeder Stunde wird der angeschlagene Kubus stärker und stärker. Wohl wissend, dass bislang immer auch eine gehörige Portion Glück gegen die kybernetischen Invasoren im Spiel war, widersetzt er sich der Anweisung aus dem Oberkommando und schlägt – wie schon sieben Jahre vorher – auf eigene Faust los.
Seine Vorahnung scheint einzutreffen: Als ein Außenteam mit konventionellen Methoden versucht, den Kubus zu entern und dabei getötet wird, ergeht rasch die Erkenntnis, dass die Borg sich wirklich verändert haben. Picard realisiert, dass es nur eine Möglichkeit gibt, die hier heraufkeimende Bedrohung abzuwenden: Er muss sich seiner größten Angst stellen. Er muss wieder Locutus von Borg werden…
Mit dem – abgesehen von der Picard‐Beverly‐Beziehung – eher seichten, wenn auch nicht schlechten Übergangsroman Tod im Winter unternahm Michael Jan Friedman einen ersten Versuch, sich einer TNG‐Fortführung zu nähern. Der wahre Schritt indes blieb aus und oblag, zwei Jahre nach dem Erscheinen von Tod im Winter, J.M. Dillard, welche insbesondere durch ihre Kinofilm‐Novelisationen Bekanntheit genießt. Leider hat sich Pocket Books keinen Gefallen getan, indem man dieser Autorin den Zuschlag gab – zumal für eine Idee, die ohnehin kritisch zu sehen sein sollte. Warum?
Wenn die für die Second Decade zuständige Lektorin, Margaret Clark, im Star Trek Communicator betont, sie habe die Borg immer zurückbringen wollen – und zwar in der Gestalt „seelenlose[r] Monster“ –, dann beruft sie sich, unabhängig von der zwangsläufigen ‚Ausschlachtung’ dieses Themas in VOY, auf ein reines Horrorelement. Es ist also erklärte Absicht, eine primär emotionale Karte im Debüt des TNG‐Relaunch auszuspielen. Die Borg als Körperfresser sollen wieder herhalten.
Was aber noch in Tod im Winter mit einer begrenzten Liebesbeziehung funktioniert hat, verkommt in Widerstand zu bloßer Karikatur. Die einseitige Auslegung der Geschichte wird von vorneherein bemerkbar: Doch ist die erste Szene mit Picards Albtraum dramaturgisch noch gut inszeniert und zeigt dem Leser sogleich die Parallele zu Der Erste Kontakt auf, scheint das Buch schier ohne weitere Einfälle beim rohen (Pseudo‐)Schocker stehen zu bleiben. Konzeptlosigkeit – nein, fast schon Storylosigkeit – dominiert auf allen Ebenen.
Die erste und wohl schwerwiegendste Ebene sind die Charaktere. Wo Widerstand als Etablierungsroman doch gerade die Aufgabe zufallen sollte, die alten, verbliebenen Protagonisten weiterzuentwickeln und neue gebührend einzuführen, gelingt Dillard nichts dergleichen. Die Charakterszenen dümpeln im Schatten Picards und wirken zumeist aufgesetzt. Dabei sind Worfs Selbstzweifel, den Posten des Ersten Offiziers nicht annehmen zu können (was ist eigentlich mit Martin Madden aus der Nemesis‐Cutscene passiert?), nur die Spitze des Eisbergs. Frei nach dem Motto ‚Hauptsache Querverbindung’ soll unter einem Bezug zu einer späten DS9‐Episode, in der seine Liebe für Jadzia Dax gegen die Pflicht stand, offenbar jegliche Logik der Dinge begraben werden.
Denn wie viele Jahre liegt jene Mission mit Jadzia, die Worf so in Erinnerung geblieben ist, zurück? Und wie oft hat Worf bis dahin schon Befehle gegeben – auf der Defiant, als Diplomat auf Qo’noS? Hat er an der Seite von Kanzler Martok in The Left Hand of Destiny nicht ganze Truppen befehligt und ein Reich vor dem Kollaps bewahrt? Plötzlich hat er in Widerstand Angst, in der Rolle des Ersten Offiziers Gefühle dazwischenfunken zu lassen? „Es regnet nicht, aber es gießt.“, sagte Pille McCoy so schön zynisch. Das Gedächtnis der Geschichte scheint ausgelaufen oder – schlimmer noch – der gute Worf schizophren geworden zu sein.
Picard wiederum wird eine Ausdrucksweise angedichtet, die beinahe zur Annahme verleitet, man wäre in irgendeinem schrägen Paralleluniversum gelandet. Einerseits scheint er über Nacht gläubig geworden zu sein, weil er ständig darauf hinweist, er werde für dieses oder jenes „beten“, auf der anderen Seite schmeißt er mit scharfen Kraftausdrücken um sich wie nie zuvor.
Bei den Neuzugängen sieht es so düster aus wie die Atmosphäre dieses Romans vergebens sein will: Rigoros wirbelt Dillard zwischen zahllosen Personen hin und her, die allesamt nicht wirklich interessant erscheinen: Eine (alleine schon mental ungeeignete) Vulkanierin, die Troi als Counselor nachfolgt und sofort für dicke Luft sorgt; ein kindsköpfiger Lieutenant, der glaubt, den Borg die Stirn bieten zu können; ein klischeehafter Sunnyboy‐Sicherheitschef, der sich in einer kitschigen Liebesaffäre ergießt; der völlig überflüssige Tod beider letzterer… Es war schließlich klar, dass es die wenigen verbliebenen TNG‐Resthelden nicht erwischen darf, also kalkuliert Dillard von vorneherein auf Ersatzopfer und Ersatzmitleid. Die Strategie: Möglichst schnell ein bisschen Sympathie aufbauen, und dann die Jungs und Mädels mit feuernden Phasern untergehen lassen. Ist das die neue Charakterstrategie, die Clark vollmundig in Interviews in Aussicht stellte?
Und als wäre das nicht schon genug, kommen noch die Borg dazu, das große Thema der Geschichte. Ihre ach so pompös angekündigte Veränderung zu Monstren wirkt nachgerade unerklärbar. Ihr Verhalten ist es auch. Denn v.a. wohnt ihm eine völlige Inkonsistenz inne – und da führt Dillard, gewiss ohne es zu wollen, den Klingonen Worf und einen Haufen aggressiver Drohnen zu neuer Gemeinsamkeit. Ohne eine wie auch immer geartete Begründung assimilieren die „bionischen Zombies“ jetzt selektiv anstatt in großem Stil und töten mit blutrünstigen Methoden jene Gegner, die sie für nicht kollektivwürdig erachten. Heureka, welch Frischzellenkur!
Und damit soll das Schießbudenfiguren‐Image aus VOY passé sein? Wie mir scheint, sitzt die Wurzel des Problems hier tiefer als lediglich bei der Autorin, sondern reicht bis hinauf in die sakralen Etagen von Pocket Books. Was war also denn jetzt noch mal das Neue, Furchterregende an den Borg, fragt sich der Leser stirnrunzelnd. Etwa eine Borgkönigin, die in ihrem dunklen Drange die Hände zusammenschlägt und dabei Worte wie ‚Vergewaltigung‘ und ‚Spaß‘ (im Zusammenhang mit der Vernichtung der Erde) lustgeladen in den Mund nimmt? Man wird das Gefühl nicht los, es mit einer billigen Mogelpackung zu tun zu haben.
Mit der Handlungslogik um Picard und Kohorten ist es auch nicht viel weiter hin. Warum es gerade erforderlich ist, Locutus wieder aus der Mottenkiste zu holen, kommt alles andere denn schlüssig daher. Und als später vom Himmel fällt, Sternenflotten‐Schiffe seien im Geheimen längst im Besitz von fortschrittlicher Tarntechnologie, ist das kein Ersatz für eine erdachte Handlung, sondern ein Trauerspiel. Man versucht in diesem Buch in weithin plagiierender Weise an das anzuknüpfen, was vor Jahrzehnten für Aufruhr gesorgt hat, aber heute nicht einmal eine Maus mit Turnschuhen hinterm Ofen hervorlocken würde. Und dem nicht genug: Natürlich fliegt der falsche Locutus auf und wird wieder assimiliert.
Jetzt heißt es für Worf, Crusher und Co. eine Rettungsmission (hatten wir das nicht schon einmal?) zu starten, natürlich inklusive Abtrennung der Untertassensektion (seit wann geht das bei einem Sovereign‐Kreuzer?) und nebenbei die neue Borgkönigin zu eliminieren. Warum ist die Enterprise eigentlich schon wieder das einzige Schiff in der Nähe des Borgkubus? Das Raumschiff ist quasi gerade erst wieder in Dienst gestellt worden; wie weit kann es denn von der Erde und den anderen Schiffen entfernt sein, dass es als einziges die Borg abfangen könnte, aber auf die Ankunft von Seven of Nine tagelang warten muss (was übrigens genauso schwachsinnig wie alles andere ist)? Ein triftiger Strauß sinniger Fragen – die leider allesamt nicht einmal andeutungsweise in Widerstand beantwortet werden. Augenfällig ist nur eines: Das Buch klaut beinahe eins zu eins Versatzstücke von bestehenden Borgstorys zusammen und rührt einmal – aber eben nur einmal – kräftig um. Innovation mag ich in einem solchen Vorgehen nicht erkennen.
So kommt es auch nicht anders, als man Vorzüge in Widerstand mit der Lupe suchen muss. Um so korinthenkackerisch zu sein: Der Zwist zwischen Picard und Janeway lässt sich gar nicht einmal so schlecht an. Denn es scheint insgeheim ausgemacht, dass ihre latente gegenseitige Antipartie sich nicht nur um Picards gelegentliche Probleme mit dem Befehle‐Befolgen dreht, sondern gar um einen unausgesprochenen Intimkampf bezüglich des Borg‐Themas. Wer ist der größere Experte? Wer hat die besseren Erfahrungen mit dem Kollektiv? Konkurrenz soll ja bekannterweise das Geschäft beleben. Leider nicht hier: Dass die interessante Chemie zwischen Janeway und Picard bestenfalls am Rande genutzt, wenn nicht im Keim erstickt wird, darauf werde ich nicht extra hinweisen.
Was aber ist das Schlimmste an Widerstand? Ich würde sagen, nicht die niedrige und schlechte Qualität des Buches an sich oder die Tatsache, dass Charaktere und Borg irgendwo zwischen Möchtegern, Lächerlichkeit und dem blanken Vakuum des Alls pendeln. Nein, Widerstand zeigt eindeutig, dass Pocket Books bislang keine Antwort auf die von mir in meiner Einführung beschriebenen Frage gefunden hat, wie denn die Zukunft von TNG für eine literarische Fortsetzung aussehen könnte. Stattdessen werden alte Kamellen gelutscht ohne den Hauch einer Inspiration. Gift für jemanden, der Lust auf eine romanbasierte Weiterentwicklung hatte. Diese strukturelle Perspektivlosigkeit macht das Buch – so zumindest geht mir es – um ein Vielfaches schlimmer. Und in dieser Hinsicht hat es sein Ziel erreicht: Da ist es ein wahrhafter Schocker.
Autor: Keith R.A. DeCandido
Erscheinungsjahr: 2007; deutsche Übersetzung: 2010
Zeitraum: 4/2380
Jean‐Luc Picard erwartet das Kriegsgericht – und zwar wegen Insubordination. Aufgrund eines Bauchgefühls widersetzte er sich den Anordnungen von Admiral Janeway und ging – abermals – gegen die Borg in eigener Sache vor. Nun, da die Gefahr fürs Erste gebannt scheint und die juristischen Mühlen im Oberkommando noch mahlen, wird die Enterprise vorerst mit einer vermeintlich simplen Mission beschäftigt, die zudem genug Abstand zwischen Janeway und Picard bringen soll.
Picards Auftrag lautet, das entlegene Gorsach‐System zu kartografieren und womöglich intelligentem Leben nachzuspüren – eine Sternenflotten‐Bilderbuchmission wie schon lange nicht mehr. Wäre da nicht ein Rätsel um Gorsach IX, wonach der Planet geradewegs künstlichen Ursprungs zu sein scheint. Und wäre da ebenfalls nicht der intergalaktische Störenfried Q, der unversehens wieder auftaucht.
Und als zu alledem ganze Planeten in der Galaxis verschwinden und sich das Universum geradewegs aufzulösen beginnt, erkennt Picard, dass er es sich nicht leisten kann, den ebenso ungebetenen wie regelmäßigen Besucher zu ignorieren. Zumal nicht, weil Q zu wissen scheint, dass Gorsach IX der Ausgangspunkt für die beispiellosen Verwerfungen im Raumgefüge ist.
Für den Captain und seine teils neue, noch nicht eingespielte Mannschaft beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Noch ahnen sie nicht, dass Gorsach IX die letzte Stufe im vermeintlichen Prozess des Q‐Kontinuums gegen die Menschheit darstellt – und eine ultimative Erklärung bereithält, wer Q wirklich ist, wofür er steht und was ihn in den vergangenen zwei Dekaden ein ums andere Mal auf die Enterprise führte…
Die Platzierung von Quintessenz zwischen zwei Borg‐Romanen lässt erahnen, dass es sich eigentlich um eine Interimsgeschichte handelt. Die zudem starke Beschäftigung mit den Charakteren bestätigt dies. Hier scheint Autor Keith R.A. DeCandido, fast schon ein wenig unfreiwillig, in die Bresche des Vorgängerromans Widerstand zu springen, welcher mit schlechter Persönlichkeitsentwicklung (und dem Verheizen zweier Newcomer‐Protagonisten) eine Menge Nachholarbeit erforderlich machte. Dem entgegen steht ein A‐Plot, welcher sich anschickt, die Q‐Besuche seit der Farpoint‐Mission zu ganzheitlicher Perspektive zu führen und einen Schlussstrich darunter zu ziehen. All das klingt im Prinzip nicht schlecht, besteht scheinbar mit Quintessenz die Möglichkeit, jene konzeptlose Nichtigkeit von Widerstand gleichsam auszubügeln.
Doch anders als im Falle von J.M. Dillards Debütroman ist es diesmal weniger der inhaltliche Aspekt denn die konkrete Umsetzung, unter der der Leser zu leiden hat. Denn Quintessenz kommt ziemlich uninspiriert daher: Es beginnt – im Gefolge einer sich wie Kaugummi ziehenden Einleitung – als gewöhnliche Q‐Episode, in der so manches Element brühwarm aufgekocht wird (Gags, Qs Verbannung) und wenig überrascht. Das Wortspiel im Titel verweist jedoch über das Übliche hinaus. Obwohl das A nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Q gegeben wird, bekommt der Leser doch am Ende des Buches eine Rechtfertigung für Qs Verhalten in den letzten 20 Jahren geliefert – und ist irgendwie seltsam enttäuscht. Es ist sicherlich auch die etwas blutleere Erklärung, die DeCandido das Gotteswesen abgeben lässt, aber darüber hinaus fragt man sich natürlich, ob es eines übergeordneten, höheren Grundes bedarf, der über sein alljährliches Erscheinen ultimativ Auskunft gibt.
Persönlich hätte ich die eine, alles überragende Erklärung für Qs Besuche nicht gebraucht. War es nämlich nicht gerade die Mischung aus Selbstherrlichkeit und persönlicher Nähe zu Picard und dessen Crew – ja womöglich ein Hauch von Neid –, die Q immer wieder verspürte und ihn ein ums andere Mal auf die Enterprise führte? Das Bedürfnis, nicht perfekt zu sein, nicht göttlich, sondern menschlich und makelbehaftet und damit trotzdem oder gerade deshalb leben zu können? War es nicht seine Schwäche für die Menschheit im Allgemeinen und Picard im Speziellen gewesen, die Q zu einer Melange aus Quälgeist und Lehrmeister machte? Das alles erfährt nun eine krasse Revidierung, denn laut DeCandidos Interpretation der Dinge waren auch Q und seinesgleichen Getriebene im Angesicht einer Herausforderung, wo es um die Rettung des Universums (und einer den Q überlegenen, noch höheren Spezies ging), und der in TNG ideell geführte Prozess gegen die Menschheit verkommt zu einem Mittel zum Zweck, zu einer Farce.
Das ist, würde ich sagen, das wirklich Enttäuschende: eine Entmystifizierung des Q‐Faktors, an den sich bedauerlicherweise eine Sinnentleerung anschließt. Nach der Lösung des alles und jeden betreffenden Rätsels ist es nun unwahrscheinlich, dass Q noch einmal auftaucht. Wenn Picard Q fragt, ob es nun endlich und endgültig vorbei sei, und dieser einwandfrei ‚Ja‘ darauf antwortet, dann muss ich stutzen. Denn in der Serie hieß es noch, dieser Prozess gehe nie zu Ende, und auch Qs eigene Querulanzen und Neugier schwemmten ihn immer wieder an Bord. Ist es möglich, ein derart abgeklärtes Ende für die große Q‐Story aus der Taufe zu ziehen? Ist es wünschenswert?
Es gibt noch mehr Probleme: Die lange Einleitung und das insgesamt nicht einmal 300 Seiten fassende Buch lassen der Geschichte alles andere als viel Entfaltungsfreiraum. Dadurch wird es aber gleichsam fragwürdig, weshalb gerade Gorsach IX die große und letzte Herausforderung des Kontinuums an die Menschheit ausmachen soll. Anstatt das Q‐Thema auf eine höhere Ebene zu hieven, wird es im Zuge eines finalen Paukenschlags – der übrigens viel mit Gestern, Heute, Morgen gemein hat – vom TNG‐Stamm abgesägt. Ob das der Tenor ist, den die Second Decade mit sich führen sollte? Gerade in Anbetracht der sich abzeichnenden Schwierigkeiten, ein neues Stammthema für die Abenteuer von Picard und Konsorten zu besetzen, sollte das zum Nachdenken anregen.
Kommen wir schließlich zum Komplex der Charaktere. Da lautet die gute Nachricht: Es tut sich endlich etwas. Die Schlechte hingegen: Es sind Trippelschritte und Feintuning, was bei der Auslegung von Quintessenz wohl auch nicht anders möglich war. Aber immerhin gibt es endlich sinnvolle Dialoge, die sich alten wie neuen Helden annehmen und Einblicke in ihren mentalen Kosmos geben. So sucht Geordi den neuen Counselor, eine Vulkanierin namens T’Lana, auf, um den Verlust Datas verarbeiten zu können; der (nach Widerstand schon wieder) neue Sicherheitschef Leybenzon ist eine kantige Persönlichkeit und repräsentiert einen Teil der gewandelten Sternenflotte nach dem Dominion‐Krieg; erfreulich sind auch die häufigen Wortwechsel zwischen Picard und Beverly, womit bewiesen scheint, dass sie doch mehr miteinander können als sich im Spannungsfeld der eigenen Chemie zu bewegen. Kurzweilig, aber nicht von schlechten Eltern sind ebenfalls die Konfrontationen Picards und Worfs mit T’Lana. Alles in allem bleiben aber selbst hier die hohen Erwartungen an die Second Decade, die ich ursprünglich hatte, auf der Strecke.
Was ist der bleibende Wert von Quintessenz? Soweit man hier nun wirklich von Wert sprechen kann: Eindeutig die Beendigung eines großen Themenbogens. Da nur John de Lancie auf der Leinwand alterte, jedoch nicht Q in Romanform, ist es fraglich, wieso die Begegnungen mit ihm mit derartiger Hartnäckigkeit zu einem Ende gebracht werden. Zudem ist dies ein Ende, das vieles in der Serie Gesehene mit Füßen tritt und kaum sonderlich einfallsreich ist. Ein wenig geglückter erscheint diesmal der B‐Plot um die Protagonisten, wo es kleinen, aber zweifellos richtigen Schritts eine gute Entwicklung nimmt. Das reicht jedoch keineswegs aus, um die gravierenden Nachteile des Buches zu kompensieren. Für einen DeCandido‐Roman ist er allemal enttäuschend. Zur Verteidigung des ansonsten mit so viel Lob überhäuften Autors gehört es aber auch, anzuführen, dass die Vorgaben ja nicht unbedingt prickelten. So oder so: Die Konzept‐ und Perspektivlosigkeit spukt nach wie vor, gleich einem ruhelosen Geist, durch die verzweifelt düsteren Flure der Next Generation. Die Second Deacade enttäuscht mich bislang.
Autor: Peter David
Erscheinungsjahr: 2007; deutsche Übersetzung: 2010
Zeitraum: 5/2380
„Widerstand und Heldentod drehen sich beide um die Borg.“, sagte die für den TNG‐Relaunch zuständige Pocket Books‐Lektorin Margaret Clark im Star Trek Communicator. „In Quintessenz darf Jean‐Luc Picard forschen gehen, doch entdecken wir in Heldentod, dass man den Borg nie den Rücken zuwenden sollte.“ Damit wäre ja bereits das Wichtigste gesagt: Die Borg etablieren sich als feste Größe in einer atmosphärisch ausgesprochen düsteren Second Decade. Doch womit genau beschäftigt sich der Fortsetzungsroman von Widerstand?