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Eines Tages kommt ein fremder Junge in die Klasse, er heißt Daniel, seine Eltern betreiben auf dem Rummel, der zurzeit im Ort gastiert, die Achterbahn. In den Pausen wird Daniel betreffend der Achterbahn ausgefragt, nach dem Unterricht aber wendet er sich an Frederik und fragt ihn, ob er sich ein paar Euro verdienen will, er müsse jeden Nachmittag aus den Wagen der Achterbahn die liegengebliebenen Dinge entfernen. Frederik willigt erfreut ein, aber nur, wenn er sich mit seinen Freunden stündlich ablösen darf, sonst würden es die Eltern kaum erlauben. Daniel ist einverstanden, auch sein Vater, der die Jungs in den Achterbahn Betrieb einweist. Alles klappt gut, die Freunde lösen sich wie vereinbart ab und Frederik freut sich über sein erstes verdientes Geld. Am nächsten Tag vermisst Frederik sein Lesebuch in der Schule. Sein Verdacht fällt auf Daniel, nur er kann es genommen zu haben, schließlich gehört er zur fahrenden Zunft, vor der man sich in Acht nehmen muss. Auch die Mitschüler glauben es und Egon, Frederiks impulsiver, kräftiger Freund, stellt sich nach dem Unterricht Daniel in den Weg und fordert ihn auf, Frederiks Buch unverzüglich herauszurücken. Daniel holt Lehrer Hauser, der dafür sorgt, dass er unbehelligt heimlaufen kann. Trotz des peinlichen Vorfalls arbeiten die Freunde weiterhin auf der Achterbahn, denn Frederik braucht das Geld für ein neues Schulbuch. Anderntags stellt sich heraus, dass nicht Daniel, sondern Vroni, Frederiks Tischnachbarin, das Buch genommen hat, weil sie enttäuscht war, dass sich Daniel nur mit den anderen Kindern abgab. Bevor der Rummel weiterzieht, lädt Daniel die ganze Klasse zu einer Freifahrt auf der Achterbahn ein, was große Begeisterung auslöst. Frederik aber wird bewusst, dass er Höhenangst hat. Als sich dann am letzten Tag auf der Achterbahn ein kleiner Hund in einen der Wagen verirrt, rettet ihn Frederik und erleidet dabei Todesängste.
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Seitenzahl: 91
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Hannelore Deinert
Der Junge mit der Achterbahn
Im Tal der Erdmänner 2 Wer keine Angst hat, braucht auch keinen Mut.
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Im Tal der Erdmänner 2
Impressum neobooks
In Gadernheim gastierte diese Woche ein großer Vergnügungspark. Paul, Egon und ich standen an diesem Sonntagnachmittag vor der Achterbahn und beobachteten die Wagen, die mit ihren kreischenden Insassen zuerst steil in die Höhe stiegen, dann im halsbrecherischen Tempo durch mehrere Spiralen abwärtssausten, um dann wieder aufzusteigen und durch einige Spiralen rasend schließlich wieder bei der Ausgangsrampe zu landen, wo den reichlich benommenen Fahrgästen beim Aussteigen geholfen wurde, damit andere ihren Platz einnehmen konnten.
Aus Lautsprechern klang laute Schlagermusik und in kurzen Abständen lud eine Männerstimme zum Mitfahren ein: „Zögern sie nicht, meine Herrschaften, steigen Sie ein und erleben Sie den ultimativen Kick!“, erscholl es weithin vernehmbar.
Im Kassenhäuschen saß ein Junge, ungefähr so alt wie wir, und verkaufte Fahrtickets.
„Der kann bestimmt oft Achterbahn fahren“, vermutete Egon neidisch.
Wir studierten die Preisliste neben dem Kassenfenster.
Eine Fahrt 3Euro, drei Fahrten 8 Euro, stand darauf. Schade, das war zu viel für uns, andererseits war mir schon vom Zuschauen übel geworden.
Wir schlenderten zum Autoskooter. Dort kostete eine Fahrt 2 Euro und drei Fahrten 4 Euro 50. Das war okay, wir kauften für 4 Euro 50 drei Fahrten und jeder suchte sich flugs einen freien Skooter. Wir ahnten zwar dunkel, dass das nicht im Sinne des Betreibers war, aber weil sein Gehilfe, der normalerweise die Chips einsammelte, gerade mit ineinander verkeilten Skootern beschäftigt war, konnten wir einander ungestört verfolgen, blockieren und rammen und hatten unseren Spaß dabei.
Danach schauten wir noch ein Weilchen dem Spektakel zu, wanderten schließlich an den Buden vorbei und kauften uns zu guter Letzt jeder für 50 Cent Zuckerwatte.
Abends im Bett fiel mir siedeheiß ein, dass ich vergessen hatte im Lesebuch den Absatz auf Seite 22 zu lesen. Oh, Mann, bei Lehrer Hausers Talent säumige Hausaufgabenmacher zielsicher herauszupicken, konnte ich mir das nicht erlauben.
Ich knipste also die Nachttischlampe an, holte das Lesebuch aus dem Ranzen, griff mir ein Blatt und einen Kuli und hockte mich damit wieder ins Bett, um entspannt den entsprechenden Absatz durchlesen und dabei unklare Worte notierenzu können. Gut möglich, dass Lehrer Hauser Morgen danach fragen wird, jedenfalls war es besser, sich darauf vorzubereiten. Schließlich muss man ja auch an die Noten denken, oder?
Ich notierte mir also das eine oder andere Wort auf das Blatt, zum Beispiel diskriminieren. So wie ich es gern bei schwierigen Wörtern tat, zerlegte ich es in Silben, dis-krimi-nieren, hm, das musste was mit Krimis zu tun haben, nahm ich an. Das Blatt ließ ich in der Seite 22 liegen, als Merkblatt sozusagen.
Oh, Mann, da war plötzlich ein feiner Kulistrich rechts oben auf Seite 22. Ich stand auf und versuchte ihn auf dem Schreibtisch vorsichtig wegzuradieren. Aber durchs Radieren wurde es nur noch schlimmer.
„Na, ja“, beruhigte ich mich. „Der Strich ist wirklich sehr fein und noch dazu oben im Rand und nicht etwa in der Schrift.“
Ich kuschelte mich endgültig in die Kissen und schlief schnell ein.
Am nächsten Morgen beim Frühstück wünschte sich meine Schwester Lina wieder einmal einen Hund, so einen, wie ihre Freundin Micha einen hatte.
„Wir haben doch wegen der Mäuse Katzen“, wurde sie auch heute von Mama belehrt, „und Katzen mögen keine Hunde.“ Nur dass unsere Katzen eigenwillige Jäger und keine Schmusetiere waren, das erwähnte sie natürlich nicht. Außerdem gab es ja auch Jagdhunde, die man auf Mäuse abrichten könnte, oder? Allerdings, da musste ich Papa recht geben, der meinte, dass unsere Tiger einen Hund nicht gerade willkommen heißen würden.
Papa hatte es eilig, er war nervös, denn heute sollte im Rathaus bekannt gegeben werden, welcher der Architektenentwürfe für die neue Mehrzweckhalle angenommen worden ist, wir hofften mit Papa natürlich, dass es sein Entwurf sein würde, denn das wäre für ihn als zugezogener Architekt ein guter Einstieg in diese Region gewesen.
Als Mama mein Pausenbrot im Ranzen verstaute, vermisste sie mein Lesebuch. „Ach, so“, fiel mir ein, „das liegt noch in meinem Zimmer.“ Ich lief hinauf, holte es und stopfte es in meinen Ranzen.
Dann wurde es Zeit, um mit Lina hinauf zur Landstraße zu laufen, wo wir an der Haltestelle in den Schulbus steigen konnten, der uns nach Gadernheim in die Gesamtschule bringen würde.
An diesem Montagmorgen wartete auf uns, der Klasse 4a, eine Überraschung. Der Junge, den wir gestern in der Achterbahn Kasse gesehen hatten, stand neben Lehrer Hauser und schaute ein wenig unsicher in die Klasse. Er war etwas kleiner als ich und hatte dunkle Locken, die sein hübsches, sonnengebräuntes Gesicht mit den großen, dunklen Augen umrahmten. Er steckte in einem altmodischen Jeansanzug, unübersehbar aus zweiter Hand, was natürlich von meinen Mitschülern registriert wurde, einige kicherten vernehmlich.
Herr Hauser legte dem fremden Jungen aufmunternd die Hand auf die Schulter und sagte:
„Das ist Daniel Bernadott. Seinen Eltern gehört die Achterbahnanlage im Vergnügungspark, der diese Woche in Gadernheim gastiert. Seid bitte freundlich und hilfsbereit zu ihm, damit er, wenn er nächste Woche mit dem Vergnügungspark weiterzieht, einen guten Eindruck von uns und unserer Schule mitnimmt!“
Er wandte sich an Daniel, der ihn ruhig anschaute.
„Neben Frederik und Vroni ist noch ein freier Platz, Daniel“, er zeigte auf den leeren Stuhl neben mir. „Da kannst du dich hinsetzen.
Die Tische in unserem Klassenraum waren in U- Form vor dem Lehrerpult und der Tafel aufgestellt. Vroni und ich saßen am letzten Tisch vor dem Lehrerpult, schräg hinter uns befand sich die Tür. Daniel setzte sich neben mich auf den unbesetzten Stuhl.
Während der Stunde wurde er neugierig begutachtet, er war unbestritten eine Attraktion, muss man sagen, und in der Pause dann regelrecht belagert und ausgefragt. „Darfst du jeden Tag mit der Achterbahn fahren?“, fragte einer, ein anderer: „Ist schon mal was passiert auf der Achterbahn?“ Ein Mädchen fragte: „gehört die Achterbahn deinem Vater?“
Daniel beantwortete die Fragen mit einem kurzen „Ja“ oder „Nein“ und lächelte dabei freundlich, Trubel um seine Person war er augenscheinlich gewohnt.
Als wir nach dem Unterricht die Ranzen einräumten, sprach er mich an.
„Was meinst du, Frederik“, fragte er, „willst du dir ein paar Euro verdienen? Wir suchen für die Nachmittage einen Jungen, der dafür sorgt, dass nach jeder Fahrt aus den Wagen der liegengebliebene Müll entfernt wird und so weiter. Was hältst du davon?“
Inzwischen hatten alle Kinder den Klassenraum verlassen, Daniel und ich gingen zuletzt hinaus. Egon und Paul warteten wie gewohnt vor dem Schultor auf mich und als ich ihnen von Daniels Angebot erzählte, war vor allem Egon hell begeistert davon, kein Wunder, auch ich war davon fasziniert, muss ich sagen.
„Jeden Nachmittag drei Stunden“, erklärte Daniel. „Am Samstagvormittag von zehn bis dreizehn Uhr. Pro Stunde bezahlen wir 2 Euro.“
Toll. Aber dann fiel mir ein, dass die Eltern nicht gerade begeistert sein werden, wenn ich jeden Tag später nach Hause komme, deshalb fragte ich: „Könnten meine Freunde da vielleicht mitmachen?“
„Wir könnten uns zum Beispiel jede Stunde abwechseln“, schlug Paul vor. „Wäre das okay für dich, Daniel?“
„Also, ich bin auf jeden Fall dabei“, meinte Egon, der schon ziemlich Feuer gefangen hatte.
„Warum nicht?“, überlegte Daniel. „Das Problem ist nur, ihr müsstet schon heute Nachmittag anfangen!“
„Das geht klar“, stimmten wir zu, die Eltern würden uns bestimmt eine solche Riesenchance nicht abschlagen.
Daniel freute sich und bat uns, eine Viertelstunde früher zu kommen, also um Dreivierteldrei, weil wir noch in unsere Arbeit eingewiesen werden mussten. Dann marschierte er mit Egon, der in der Nähe des Rummelplatzes wohnte, davon. Paul und ich liefen in die andere Richtung, zum Ortsende, wo Paul mit seiner Mutter in einem kleinen Häuschen wohnte, wie ihr vielleicht wisst.
Pauls Mutter, Frau Gruber, nähte alles, was bei uns so anfiel, vor allem verlängerte sie ständig Linas und meine Hosen, die immer viel zu schnell, viel zu kurz wurden.
In der kleinen Wohnstube überfielen wir sie gleich mit der Neuigkeit des Tages. „Wüsste nicht, was dagegen spräche“, meinte sie lächelnd und stellte einen Topf Tomatennudeln, unser Lieblingsessen, auf den Tisch.
„Vorausgesetzt“, fügte sie einschränkend hinzu, „ihr macht vorher die Hausaufgaben, und zwar ordentlich.“ Schon klar.
Mir fiel ein, dass ich wegen der Achterbahn noch zu Hause Bescheid sagen musste, aber Frau Gruber meinte, das sei nicht nötig, weil Mama abgerufen hat, dass sie hernach vorbeikommen will.
Also ließen wir uns die leckeren Tomatennudeln schmecken, räumten danach unsere Teller ab und begannen mit den Hausaufgaben. Herr Hauser gab zum Glück nie sehr viel auf, dieses Mal waren es ein paar Textaufgaben und im Lesebuch musste ein kleiner Absatz in die Zukunftsversion übertragen werden. Eine Sache von gut einer halben Stunde, wenn man dabei blieb, aber ich konnte mein Lesebuch nicht finden.
„Du hast es in der Schule liegengelassen“, vermutete Paul und schob mir sein Buch zu, so dass ich mitlesen konnte.
Als Mama mit Lina kam, sie brachte in einer großen Tüte wieder das Übliche mit, zu kurz gewordene Hosen von Lina und mir und sowas, waren wir fast fertig.
„Wisst ihr was“, meinte sie, nachdem wir auch sie von Daniels Angebot unterrichtet hatten, „Lina und ich kommen mit auf den Rummel und schauen uns euren Arbeitsplatz einmal an. Was meinst du dazu, Lina?“
„Oh, ja“, freute sich Lina. „Darf ich dann Karussell fahren, Mama?“
Wieder standen Egon, Paul und ich vor der Achterbahn, dieses Mal in Begleitung von Mama und Lina. Wir waren sehr pünktlich und schauten zu, wie einige Männer ziemlich wagemutig auf dem Stahlgerüst herumturnten. Von irgendwoher tauchte Daniel auf, er steckte in einem blauen Overall. Als er uns sah, rief er zu den Arbeitern hinauf: „Papa, die Jungs sind da!“
Gleich darauf kam ein dunkelhaariger, braungebrannter, drahtiger Mann auf uns zu und stellte sich als Daniels Vater, Herr Bernadott, vor. Er gab Mama und uns die Hand, oh, Mann, bei seinem Händedruck hätte man glauben können, in eine Schraubenzwinge geraten zu sein. Auch Mama nannte ihren und unsere Namen.
„Hallo, Jungs“, meinte er dabei, „schön dass ihr uns in dieser Woche helfen wollt. Nun wollen wir mal sehen, was in euch steckt, nicht wahr.“
Er musterte kurz Egons kräftige Gestalt und sein rundes Sommersprossengesicht, sein rostrotes, kurzes Haar verstärkte noch den robusten Eindruck, den er ohnehin schon machte. Paul war zwar kleiner und schmächtiger, aber sein schmales, entschlossenes Gesicht und die erwartungsvollen, dunklen Augen ließen keinen Zweifel zu, dass auch er der Aufgabe gewachsen sein wird. Zum Glück hatte er kürzlich sein dichtes, dunkles Haar kürzen lassen, sodass er nicht mehr ganz so mädchenhaft wirkte. Da auch ich den Erwartungen von Herrn Bernadott zu entsprechen schien, nahm er die Kettenabsperrung zur Seite und ließ uns auf das Podest treten. Wir folgten ihm am Kassenhäuschen vorbei zur Rampe, vor der zwei Wagen auf der Schiene standen. Herr Bernadott erklärte uns kurz die Stahlkonstruktion des riesigen Gerüsts, dann die Sicherheitsvorrichtung in einem der Wagen.