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Große Gefühle & stürmische Zeiten auf Sylt: »Der Kaffeegarten. Das Leuchten der See« spielt in den 30er Jahren und ist der dritte Band der historischen Familiensaga um die Schwestern Elin und Matei und ihr Café in Keitum. Im Sommer 1930 herrscht helle Aufregung auf Sylt: Im Kaffeegarten der Schwestern Elin und Matei, der längst zu einer Touristen-Attraktion geworden ist, soll ein großer Empfang gegeben werden. Denn Mateis Ehemann Max hat es als Crewmitglied bei einem Pionierflug über den Atlantik zu Berühmtheit gebracht. Matei, die ihr zweites Kind erwartet, ist ebenso stolz wie glücklich. Währenddessen leidet Elin noch immer unter dem Verlust ihrer großen Liebe Lorentz. Als der Berliner Kurt Teschner auf der Insel auftaucht, ist sie zwar von dem Schriftsteller fasziniert – doch kann sie ihr Herz ein zweites Mal verschenken? Die Insel-Romane von Anke Petersen sind wie ein Sommer-Urlaub auf Sylt ganz ohne Kofferpacken: wunderbar atmosphärisch, zum Mitfiebern spannend und voller sorgfältig recherchierter, liebevoller Details, die zum Entdecken der Insel und ihrer Geschichte einladen. Die historische Familiensaga über Sylt ist in folgender Reihenfolge erschienen: Der Kaffeegarten. Salz im Wind Der Kaffeegarten. Die Farbe des Meeres Der Kaffeegarten. Das Leuchten der See
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Seitenzahl: 613
Anke Petersen
Das Leuchten der See
Roman
Knaur eBooks
Im Sommer 1930 herrscht helle Aufregung in Keitum: Im Kaffeegarten der Schwestern Elin und Matei, der längst zu einer Touristenattraktion geworden ist, soll ein großer Empfang gegeben werden. Denn Mateis Ehemann Max hat es als Crewmitglied bei einem Pionierflug über den Atlantik zu Berühmtheit gebracht. Matei, die ihr zweites Kind erwartet, ist ebenso stolz wie glücklich. Währenddessen leidet Elin noch immer unter dem Verlust ihrer großen Liebe Lorenz. Als der Berliner Kurt Teschner auf Sylt auftaucht, ist sie zwar von dem Schriftsteller fasziniert – doch kann sie ihr Herz ein zweites Mal verschenken?
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Nachwort
Rezept: Gundels Apfelstrudel
Rezept: Sylter Welle
Dank
Leseprobe »Sehnsucht nach dem Dünenhof«
Ich weiß nicht recht«, sagte Matei und drehte sich vor dem Spiegel zur Seite. »Meinst du wirklich, dass das gut aussieht? Ich finde, ich ähnele einem Wal.«
»Du siehst überhaupt nicht wie ein Wal aus«, antwortete Elin. »Du hast doch nur einen Bauch, und ansonsten bist du rank und schlank. Du bist die perfekte werdende Mama und strahlst so viel Glück aus. Und das hast du ja auch. Dein berühmter Ehemann kehrt heute heim, du hast deine bezaubernde kleine Lotte und schon bald einen weiteren Goldschatz.«
Elins Worte entlockten Matei ein Lächeln, und sie legte die rechte Hand auf ihren Bauch. »Nur hätte der Goldschatz wegen mir gern vor Max’ Ankunft ausziehen dürfen. Ich bin schon eine Woche über dem von Alwine ausgerechneten Termin und sehe meine Füße nicht mehr. Ist wohl auch besser so, denn sie sind eh ständig geschwollen. Vielleicht hätten wir doch kein so großes Fest planen sollen. Ein kleiner Umtrunk hätte es auch getan. Am Ende kommt es heute.«
Die beiden befanden sich in Mateis Ankleidezimmer im ersten Stock des Herrenhauses, und um sie herum lagen Unmengen an Kleidungsstücken verteilt. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sich für Matei ein passendes Kleid gefunden hatte. Nun trug sie eines der Kleider mit einer tiefer angesetzten Taille, die eigentlich wieder aus der Mode waren. Doch der Schnitt des hellblauen Modells war vorteilhaft für sie. Dazu trug sie eine weiße Strickjacke und flache Schuhe ohne Riemchen.
»Jetzt ist es so lange dringeblieben«, meinte Elin. »Da wird es das heute auch noch tun. Oder merkst du irgendetwas? Ein Ziehen vielleicht?«
Matei verneinte.
»Na dann ist es ja gut. Jetzt machen wir dir erst einmal eine hübsche Frisur. Dein Haar ist durch die Schwangerschaft so wunderbar voll und glänzend geworden. Es ist herrlich.« Elin erhob sich. Sie hatte sich für ein rosa-weiß geblümtes Baumwollkleid entschieden, das ihre schmale Taille betonte und gut zu ihrem blonden Haar und blassen Teint passte. »Und wir benötigen ordentlich Kriegsbemalung. Wir dürfen auf keinen Fall wie die Mauerblümchen vom Dorf aussehen. Immerhin begrüßen wir heute einen Atlantiküberquerer, der sogar vom amerikanischen Präsidenten empfangen worden ist.« Sie zwinkerte Matei zu und schob den Stuhl vor dem Toilettentisch zurecht. Matei plumpste darauf, und Elin griff zur Haarbürste und machte sich an die Arbeit. Matei trug ihr kastanienbraunes Haar nun wieder schulterlang, und es wellte sich ein wenig.
»Obwohl ich ihm ja eigentlich böse sein müsste«, sagte Matei. »Selbst mich als seine Ehefrau hat er nicht in die Pläne eingeweiht. Überquert mit einem Flugzeug als werdender Vater den Atlantik. Es hätte wer weiß was passieren können.«
»Max ist und bleibt eben ein Flieger, ein Draufgänger. Dafür liebst du ihn doch, oder?« Elin grinste Matei an. »Obwohl ich es anfangs durchaus etwas befremdlich fand, dass du dich ausgerechnet in einen Fluglehrer verguckt hast. Aber wo die Liebe hinfällt. Immerhin ist es kein betrügerischer Kunstdieb mehr.«
»Hör mir nur mit dieser Geschichte auf«, winkte Matei ab. »Davon, eine berühmte Künstlerin zu werden, habe ich mich ein für alle Mal verabschiedet.«
»Obwohl uns dein Ausflug nach Hamburg ja auch viel Gutes gebracht hat«, erwiderte Elin, während sie einen Knoten aus Mateis Haar löste. »Tida ist ein wahrer Goldschatz. Ich kann mir meine Keramikwerkstatt ohne sie gar nicht mehr vorstellen. Dazu Ole, der mit seinem gemütlichen Buchladen die Herzen der Keitumer im Sturm erobert hat.«
»Au«, jammerte Matei. »Was machst du denn da?«
»Da ist ein Knoten. Hartnäckiges Ding. Jetzt sei nicht so wehleidig.« Elin schüttelte den Kopf.
Es klopfte an die Tür, und nachdem Matei »Herein« gerufen hatte, betrat Alwine den Raum.
»Hier steckt ihr«, sagte sie. »Ich wollte mal nach meiner Patientin sehen. Es ist ja ein aufregender Tag, und die Niederkunft steht kurz bevor. Noch dazu hab ich das Gefühl, dass in der Küche die Nerven blank liegen. Vielleicht solltest du mal nach dem Rechten sehen, Elin. Gundel ist heute äußerst hektisch. Gerade eben hat sie ein Kuchenblech fallen lassen und ist in Tränen ausgebrochen. Ich nehme an, sie hat mal wieder so ihre Sorgen mit den Hormonen. Ihr Haar im Nacken ist nass geschwitzt. Bestimmt plagen sie Hitzewallungen. Damit hatte ich in ihrem Alter auch zu tun. Abscheulich ist das. Ich sag euch was: Frau sein ist kein Zuckerschlecken, in welchem Alter auch immer.«
Matei und Elin beeilten sich zu nicken, und Matei zuckte kurz zusammen. Zu Alwines Aussage passend hatte ihr das kleine Menschlein in ihrem Inneren einen ordentlichen Tritt in die Rippen versetzt. »Irgendetwas wollte ich noch sagen«, setzte Alwine ihre Rede fort. »Hach, dieser dumme alte Kopf. Ich werde immer vergesslicher. Ach ja, richtig. Jetzt fällt es mir wieder ein. Die beiden Aushilfsbedienungen kommen nicht. Die alte Tat hat eben angerufen, dass sich ihre Enkeltöchter die Seele aus dem Leib kotzen, ebenso ihre Schwiegertochter. Sie vermutet, dass es am Nudelsalat lag. Der war wohl nicht mehr ganz frisch.«
»Du liebe Zeit«, stöhnte Elin. »Und das ausgerechnet heute. Wir erwarten sechzig Gäste. Und was nun? Gantje sollte doch in der Küche helfen, und Helene schafft das Bedienen allein auf gar keinen Fall. Wieso nur musste uns ausgerechnet jetzt unsere Lisbeth verlassen? Obwohl ich ihr das Glück mit ihrem Uwe ja gönne.« Elin seufzte. »Verlässliches Personal zu bekommen gestaltet sich immer schwieriger.«
»Damit ist unsere Frisierstunde wohl beendet«, sagte Matei und nahm Elin die Haarbürste aus der Hand. »Du gehst besser nach dem Rechten sehen. Es soll doch alles perfekt sein, wenn Max eintrifft.« Sie wandte sich an Alwine. »Alles noch ruhig im Bauch. Nur die üblichen Tritte in die Rippen.«
»Immerhin etwas«, antwortete Alwine. »Das kann gern bis morgen so bleiben. Du hältst dich jetzt schön ruhig und machst dich für deinen berühmten Ehemann schick. Elin und ich sehen zu, wie wir das Organisationschaos beseitigen.«
Nachdem sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, wanderte Mateis Blick aufs Wattenmeer hinaus. Das Wetter spielte ihnen heute in die Karten. Es war sonnig, mild und windstill. Über dem Meer zogen die üblichen Seevögel ihre Kreise, gerade lief das Wasser wieder auf, und auf dem Wattweg war eine Gruppe Spaziergänger, bewaffnet mit Rucksäcken und Wanderstöcken, unterwegs. Die Ulmen um das Herrenhaus trugen noch ihr volles Laub, doch lang würde es nicht mehr dauern, bis sich die Blätter verfärben und der Wind sie von den Ästen wehen würde. Die letzten Jahre hatten es gut mit ihr gemeint. Sie hatte wenige Monate nach ihrer Rückkehr aus Hamburg Max Lehmann, einen an der Verkehrsfliegerschule in List tätigen Ausbilder, kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Er war kein Künstler und hatte nicht in ihre Welt gepasst. Vielleicht war es der Gegensatz gewesen, der sie angezogen hatte. Er war gut aussehend, dunkles Haar, blaue Augen, ein markantes Kinn. Ihn umgab ein besonderer Glanz, eine Eleganz, die sie beeindruckte. Er stammte aus Bremen, hatte im Krieg bereits als Leutnant bei den Fliegern gedient und war der Fliegerei durch und durch verfallen. Und er liebte das Meer. »Die See ist so herrlich unberechenbar, gewaltig und berauschend«, hatte er einmal zu ihr gesagt, als sie an einem stürmischen Tag am Weststrand gewesen waren und das Schauspiel des tobenden Meeres beobachtet hatten. »Und in der salzigen Luft liegt der Geschmack von Freiheit.«
Seine Worte hatten Matei mitten ins Herz getroffen, und sie hatte an jenem Tag zum ersten Mal ihre Hand in seine geschoben. Er hatte es geschafft, dass sie endgültig den Verlust von Jan verarbeitet hatte. Ihre erste große Liebe würde stets einen Platz in ihrem Herzen haben.
Eine Weile darauf standen Matei und Elin gemeinsam mit einem beachtlichen Empfangskomitee am Keitumer Bahnhof. Matei hatte ihren Max bereits am Vortag in List gesehen, wo es einen offiziellen Sektempfang der Verkehrsfliegerschule gegeben hatte. Mittelpunkt der Veranstaltung war jedoch nicht Max, sondern der Flugkapitän Wolfgang von Gronau gewesen. Max und die anderen beiden Crewmitglieder standen nicht ganz so im Interesse der Öffentlichkeit, wurden jedoch immer wieder in Gespräche verwickelt. So hatte Max kaum Zeit für Matei gefunden, die sich wie ein lästiges Anhängsel gefühlt hatte. Auch erwartete sie eine Erklärung von ihm. Sämtliche Anwesende waren von der Atlantiküberquerung begeistert, und es gab viel Lob und Anerkennung. Matei war da nicht so euphorisch. Ruhm und Ehre waren eine feine Sache. Aber Max war ein unkalkulierbares Risiko eingegangen. Er war Familienvater und hatte Verantwortung zu tragen. Er wusste, dass Mateis größte Angst darin bestand, ihn zu verlieren. Wieso hatte er dann ein solches Abenteuer gewagt? Sie hätte ihn gern an diesem Abend unter vier Augen zur Rede gestellt, doch dafür hatte sich keine Gelegenheit gefunden. Auch hatte Alwine wie eine Klette an ihr geklebt und sie nicht aus den Augen gelassen. Sie hatte mit Nachdruck darauf bestanden, Matei nach List zu begleiten. Schließlich könne jederzeit das Kind zur Welt kommen, und dann wäre sie an ihrer Seite und keine andere Hebamme. Bis heute hatte sich Alwine nicht verziehen, dass sie die Geburt von Finn, Elins Sohn, damals verpasst hatte. So etwas würde ihr, der besten Hebamme, die Sylt jemals gesehen hatte, nicht noch einmal passieren. Am Ende war Matei froh darüber gewesen, dass Alwine als eine Vertrauensperson bei ihr gewesen war, und sie hatten sich frühzeitig verabschiedet, um die Heimreise nach Keitum anzutreten. Ein längeres Gespräch unter vier Augen würde also erst heute stattfinden.
»Wann kommt Papa?«, fragte die kleine Lotte.
»Der Zug fährt gleich ein«, antwortete Matei ihrer Tochter, deren Hand sie hielt. Die Kleine war ihr ganzer Stolz und schien wie eine Kopie ihrer selbst zu sein. Dasselbe kastanienbraune Haar, dieselben braunen Augen, sogar Sommersprossen zierten ihr zuckersüßes Stupsnäschen. Matei hatte anfangs gar nicht glauben wollen, dass sie tatsächlich erneut ein Kind erwartete. Alle waren voller Vorfreude gewesen. Und die kleine Lotte entpuppte sich als Sonnenschein. Sie war ein allerliebster Säugling, der nur selten schrie, rasch durchschlief und ihren Vater mit einem zuckersüßen Lächeln um den Finger wickeln konnte. Inzwischen war Lotte drei Jahre alt, und sie wurde, wenn man den Worten ihres Papas Glauben schenken wollte, mit jedem Tag hübscher. Zu dem feierlichen Anlass war das Mädchen zurechtgemacht. Sie trug ein adrettes weißes Kleid mit Spitze am unteren Saum und Puffärmeln. Dazu entzückende weiße Riemchenschuhe und Kniestrümpfe. Ihr Haar war zu einem Zopf geflochten, und sie hatte einen kleinen Blumenstrauß in Händen, den sie dem Papa geben sollte.
»Also dat ich das mal erleben darf. Da fliegt doch glatt einer von den Unseren bis nach Amerika und wird sogar vom amerikanischen Präsidenten empfangen«, sagte Hinnerk, der neben Elin stand und sich ebenfalls extra für den Anlass herausgeputzt hatte. Hinnerk war ein in der Nachbarschaft des Kaffeegartens wohnender Landwirt, der mit den Jahren zu einem festen Bestandteil des Kaffeegartens geworden war. Für Elin und Matei war er wie ein Familienmitglied. Er trug seine beste Kapitänsmütze und hatte seine Schuhe poliert. Über den Flicken auf der dunkelbraunen Stoffhose sah Matei hinweg.
»Obwohl das ja schon eine riskante Angelegenheit gewesen ist«, sagte Friedrich, der neben Hinnerk stand. Er ließ es sich selbstverständlich ebenfalls nicht nehmen, den neuen Inselhelden persönlich am Bahnhof zu begrüßen. »Der Überflug war ja nicht genehmigt. Da hätte es ordentlich Ärger geben können. Aber trotzdem ist es natürlich eine herausragende Leistung. Ich habe mich in den letzten Tagen über den verwendeten Flugapparat genauestens informiert. Das ist ein Dornier-Wal-Flugboot, genaue Bezeichnung Amundsen-Wal N25. Sie wurde bei uns auf Sylt mit einem neuen Motor von BMW ausgestattet und war zuvor bereits bei einer Nordpolexpedition im Einsatz.« Er rückte seine Fliege gerade, doch so recht wollte diese sich nicht begradigen lassen. Matei sah zu Elin, die ein Schmunzeln nicht unterdrücken konnte. Der Künstler Friedrich, der einer ihrer ersten Gäste im Jahr 1914 im Kaffeegarten gewesen war und nach dem Krieg seinen Wohnsitz von Berlin auf die Insel verlegt hatte, verdiente seinen Unterhalt mit der Malerei, inzwischen gab er auch Malkurse. Seine Markenzeichen waren eine stets etwas geschwollene Ausdrucksweise und ein eigentümlicher Kleidungsstil.
Das Pfeifen der Lokomotive war zu hören, und die Besitzerin des Kolonialwarenladens Moild Lorenzen strich sich mit zittrigen Händen über ihren Rock und straffte die Schultern. Neben ihr stand Kresde, das größte Tratschweib von Keitum, in ihrer üblichen altmodischen Aufmachung, auf einen Gehstock gestützt. Kaum noch laufen konnte die inzwischen Vierundachtzigjährige. Aber diesen Moment wollte sich das neugierige Weib natürlich auf gar keinen Fall entgehen lassen. Weitere Bewohner Keitums hatten sich eingefunden. Darunter der Fischverkäufer Paul Warmbier, der Gastwirt Emil Eschels und Gesa und Tam von der Hühnerfarm, die eine ganze Kinderschar im Schlepptau hatten. Inzwischen hatten sie sechs Kinder, und Gesa war erneut in anderen Umständen. Sogar eine kleine Kapelle war anwesend, um Max mit einem Ständchen zu begrüßen. Der Zug hielt, und Max stieg aus einem der grünen Waggons. Die Kapelle begann zu spielen, und Matei und Lotte traten vor. Sogleich hob Max seine Tochter in die Höhe und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Die Kleine strahlte über das ganze Gesicht. Nachdem er sie auf dem Boden abgesetzt und den Blumenstrauß in Empfang genommen hatte, begrüßte er Matei mit einer Umarmung und einem Kuss. Diese hatte jedoch genau in diesem Augenblick ein Problem. Unter ihr hatte sich eine Pfütze gebildet, und in ihrem Rücken breitete sich ein unangenehmes Ziehen aus. Das war es dann wohl mit dem großen Willkommensfest. Jedenfalls für sie. Ihr Blick wanderte zu Alwine, die mit ernster Miene nickte. Ihren Argusaugen waren die Vorkommnisse nicht entgangen. Im nächsten Moment krampfte sich Mateis Bauch zusammen, und sie krümmte sich mit einem Aufschrei zusammen.
»Matei, Liebes«, sagte Max erschrocken. »Was ist geschehen?«
»Was wohl«, bemerkte Alwine trocken, die sogleich den Arm um Matei legte. »Da will jemand auf die Welt kommen und seinem berühmten Papa höchstpersönlich die Aufwartung machen.«
Nachdem die Wehe abgeebbt war, führten sie und Elin die werdende Mutter vom Bahnsteig. Hinnerk, der mal wieder die Aufgabe des Fahrers übernommen hatte, folgte den beiden. »Dann will ich die Deern mal sicher nach Hause bringen«, murmelte er. »Wat für eine Aufregung aber auch.«
Max und Lotte waren die Letzten, die auf den Wagen stiegen. Lottes Blick war nun verunsichert. Sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Das restliche Empfangskomitee blieb zurück. Die Musiker hatten ihre Blasinstrumente sinken lassen. So hatte sich keiner von ihnen diesen besonderen Augenblick vorgestellt.
Einige Stunden später saß Elin bei Gundel in der Backstube und sah ihr dabei zu, wie sie Friesenkekse herstellte. Hin und wieder war sie nach oben gegangen, um zu sehen, wie die Lage war. Doch Alwine hatte sie stets fortgejagt. Da blieb sie streng. Sie als Hebamme war die einzige Person, die der Gebärenden beistand. Alle anderen waren doch nur Dilettanten, die bei dem wichtigen Vorgang der Geburt im Weg standen. Elin war immer wieder ins Treppenhaus gegangen und hatte die Ohren gespitzt, doch sie hörte nichts. Keine Schreie, kein Stöhnen, kein süßes Stimmchen eines Säuglings. Das lag wohl daran, dass Max’ und Mateis Schlafzimmer im zweiten Stock am Ende des Flurs lag. Es galt, sich weiterhin in Geduld zu üben, auch wenn es schwerfiel. Elin nippte an ihrem Tee. Er bestand aus Pfefferminze, Salbei und Kümmel und hatte den hübschen Namen Magenwohl. Natürlich stammte er aus Moilds unerschöpflichen Teevorräten. Ihr Magen hatte bereits vor einer Weile zu rebellieren begonnen. Aufregung, in welcher Form auch immer, vertrug sie seit dem Unfalltod ihres geliebten Lorenz noch immer nicht.
Gundel beschäftigte sich damit, Scheiben akkurat von einer Teigrolle abzuschneiden und auf Backbleche zu legen.
»Ich weiß, des ist jetzt schon bisserl deppert, um drei Uhr in der Früh Kekse zu backen«, sagte sie. »Aber meine Nerven. Da brauch ich was zum Tun.« Die Bäckerin Gundel Mooshammer kam aus München. Es waren einige Umwege gewesen, meist hatten diese mit Männern zu tun gehabt, die sie bis in den hohen Norden nach Sylt geführt hatten. Das Bäckereihandwerk hatte sie im elterlichen Betrieb gelernt. Sogar königlich bayerischer Hoflieferant war der Vater gewesen. Nach seinem Tod hatte Gundels Bruder Franz den Betrieb geleitet. Und damit hatten die Probleme angefangen. Franz und Gundel waren wie Feuer und Wasser, und seine große Liebe, die Susanne Hoflechner, hatte Gundel noch nie leiden können. »Des is a depperte Kuh«, hatte sie Elin einmal während eines Klönschnacks gesagt. Ständig gab es Streit. Und als sich Gundel auch noch in einen Künstler verliebte, war alles aus. Er brachte sie in den Norden, und bereits kurz nach Kriegsbeginn war sie Witwe. Es folgten zwei weitere Ehen, zwei weitere Ehemänner, die Gundel beerdigte. Sämtliche Ehen waren kinderlos geblieben, was Gundel zu dem Schluss kommen ließ, dass es wohl an ihr lag. Obwohl der letzte Gatte, Torben Hansen aus Westerland, sie ja eigentlich gar nicht angefasst hatte. Obwohl Gundels Lebensweg nicht so gewesen war, wie sie es sich gewünscht hätte, war sie eine rechte Frohnatur. Sie trug ständig bunte Kleidung in den lustigsten Farbkombinationen und schminkte sich nach Elins Meinung etwas zu grell. Ihr blondes, welliges Haar trug sie halblang. Es war gefärbt. Nichts verabscheute Gundel mehr als graue Haare auf ihrem Kopf. Sie lebte nun bereits seit vielen Jahren in Norddeutschland, hatte ihren bayerischen Dialekt aber nicht abgelegt. Elin hörte ihn gerne, auch wenn es besonders am Anfang zu dem einen oder anderen Verständigungsproblem gekommen war.
»Es dauert lange dieses Mal«, sagte Elin und blickte ins Treppenhaus. »Schon bald zehn Stunden. Ich dachte immer, beim zweiten Kind geht es schneller.«
»Des dauert eben so lang, wie es dauert«, antwortete Gundel. »Werd scho guad geh.«
Hinnerk trat ein, ihm folgten Friedrich, der ebenfalls angestellte Bäcker Justus und der werdende Vater Max, dem die Herren, wie sie sich ausdrückten, seelischen Beistand leisteten. Sie spielten Skat und tranken zu viel. Hinnerk hatte schon arge Schlagseite.
»Gibt es noch Kaffee?«, fragte Hinnerk. »Gern mit Rum. Sonst schmeckt dat nicht anständig. Wat dat aber auch dauert.«
»Die Geburt eines Kindes ist meist eine langwierige Angelegenheit«, bemerkte Friedrich. »Jedenfalls nehme ich das an. Also, so habe ich es gehört, wurde es mir zugetragen.«
Elin brachte seine Rede zum Schmunzeln. Zum ersten Mal schienen dem alten Maler die Worte zu fehlen. Justus, der nun bereits seit drei Jahren bei ihnen beschäftigt war, nahm eine Kaffeekanne vom Herd, eben erst hatte Gundel frischen aufgebrüht, und füllte die Pötte der Herren. Ohne nachzufragen, kippte er in jeden von ihnen einen Schuss Rum. »Das ist gut für die Nerven«, sagte er. Elin würde niemals den Moment vergessen, als sie Justus zum ersten Mal gesehen hatte. Der aus Westerland stammende junge Mann hatte mit gesenktem Kopf im Verkaufsraum gestanden, ihre Stellenanzeige in seinen vor Aufregung zitternden Händen. Er war vom Krieg schwer gezeichnet. Brandnarben im Gesicht, das rechte Auge fehlte ihm. Deshalb hatte er sich lange Zeit in seinem Elternhaus in der Kirchenstraße in Westerland verkrochen. Wer wollte es schon mit einem Kriegskrüppel zu tun haben. Einem Monster, vor dem man davonlief. Doch Justus war kein Monster. Er war ein liebenswerter Mann, warmherzig und fleißig. Ein hervorragender Ersatz für Piet, den sie alle nach seinem frühen Tod, es war ein Herzinfarkt, der ihn unverhofft aus dem Leben gerissen hatte, schmerzlich vermissten. Elin war froh darüber, dass Justus den Mut aufgebracht und sich bei ihnen im Kaffeegarten vorgestellt hatte.
»Wo steckt eigentlich Tida?«, fragte Gundel.
»Du kennst sie doch«, antwortete Elin. »Tida und Trubel passen nicht zusammen. Sie ist schon am Morgen weg. Bestes Wetter für eine Künstlerin, hat sie gesagt. Sie wird groß gucken, wenn sie später auftaucht.«
»Ja, das wird sie wohl«, sagte plötzlich Alwine. Sie stand in der Tür und sah abgekämpft aus. Ihr Haar war zerzaust, ihre Wangen gerötet.
Max erhob sich mit großen Augen, auch Elin stand auf. Erwartungsvoll sahen sie Alwine an.
»Es ist ein Junge«, verkündete die Hebamme die Neuigkeit. »Du hast einen ganz bezaubernden kleinen Sohn, Max. Mutter und Kind sind wohlauf.«
»Ein Jung, wat für eine Freude«, rief Hinnerk fröhlich. »Darauf müssen wir gleich einen heben. Meinste nicht auch, Friedrich?« Er schlug dem Maler so kräftig auf die Schulter, dass Friedrich ein Stück zusammensackte. Elin spürte die Erleichterung in sich. Gott sei Dank. Es war alles gut gegangen.
»Mutter und Kind freuen sich über Besuch«, sagte Alwine und zwinkerte Max zu. Er sah zu Elin, und sie lächelte. Sie würden gemeinsam nach oben gehen, denn er wusste, dass Matei es so wollte. Elin war und blieb einer der wichtigsten Menschen in Mateis Leben. Und daran würde keine Liebe zu einem Mann jemals wieder etwas ändern. Nebeneinander liefen die beiden die Treppe nach oben. Im Schlafzimmer empfing sie Matei mit einem Lächeln. Sie saß aufrecht im Bett, ihr schulterlanges Haar war zurückgekämmt und sie trug ein sauberes Nachthemd. Dass Alwine sie rasch zurechtgemacht hatte, täuschte nicht darüber hinweg, wie erschöpft sie war. Im Arm hielt sie einen in eine hellblaue Häkeldecke gewickelten Säugling mit schwarzem Haar.
»Da seid ihr beiden ja endlich«, sagte Matei. »Darf ich vorstellen: Das hier ist der kleine Paul. Ist er nicht zauberhaft?«
Gantje betrat den Verkaufsraum und stellte mit gewohnter Behändigkeit ein Tablett auf die Ablage für das schmutzige Geschirr. Dann trat sie neben Elin und ratterte die nächsten Bestellungen herunter. »Also, wir hätten dann vier Pharisäer und dreimal Friesenwaffeln mit heißen Kirschen für Tisch drei, zweimal Kaffee mit Milch und zwei Stück Friesentorte für Tisch sieben, ein Stück Marmorkuchen, eine Schale Friesenkekse und eine Portion schwarzen Tee für Tisch sechs. Tisch vier hätte gerne noch drei Gläser von der hausgemachten Zitronenlimonade und Tisch eins ein weiteres Stück Butterstreuselkuchen. Ich soll von dem netten Herrn ausrichten, dass dieser besser wie der seiner Großmutter schmecken würde, und das würde etwas heißen.« Gantje legte, damit Elin besser zurechtkam, den Zettel mit den Bestellungen auf die Kuchentheke. »Ach, und eh ich es vergesse: Tisch neun hätte gerne noch zweimal Heiße Welle. Ich schreib es noch mit dazu.«
»Das ist schön«, antwortete Elin, die gerade ein Stück Frankfurter Kranz auf einen Teller verfrachtet hatte. Sie sah noch einmal auf den Zettel für die Bestellungen. Dazu zwei Pötte Kaffee mit Milch. Nachdem diese gefüllt waren, stellte sie alles auf ein Tablett und schob es Gantje hin.
»Für Tisch acht. Und hast du Helene schon gesehen? Sie wollte doch nur bis Mittag freinehmen. Wo bleibt sie nur? Allein bin ich hier vollkommen überfordert. Noch dazu fällt heute unser guter Justus wegen einem Magen-Darm-Infekt aus. Kannst du ihm vielleicht später noch einen Magenwohltee bringen? Vielleicht behält er auch schon Zwieback bei sich.«
»Ich weiß nichts von Helene.« Gantje zuckte die Schultern. »Ich würde mich gern um Justus kümmern, aber du siehst ja, was gerade los ist. Und Matei fehlt uns leider auch.« Gantje nahm das Tablett auf und verschwand im Garten. Elin sah ihr dankbar nach und bewunderte mal wieder ihre Besonnenheit. Ihr Wirbelwind schien, im Gegensatz zu ihr, alles im Griff zu haben. Heute gab es einen Altweibersommertag wie aus dem Bilderbuch. Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel, das Meer glitzerte verführerisch, kein Lüftchen regte sich und es war herrlich warm. Es fühlte sich ein wenig so an, als wäre es ein Sommertag. Das ungewöhnlich warme Wetter hatte eine wahre Besucherschwemme in Keitum ausgelöst. Gefühlt schienen sämtliche Touristen der Insel heute auf die Idee gekommen zu sein, den am Wattenmeer gelegenen Ort zu besuchen und bei ihnen im Kaffeegarten einzukehren. Normalerweise beschwerte sich Elin nie wegen zu viel Kundschaft. Doch heute steckte der Wurm drin. Die zwanzig Tische im Garten waren allesamt belegt, und auch im Wintergarten hatten einige Besucher Platz genommen. Dort hatten sie die Türen weit geöffnet, um frische Luft einzulassen. Sonst wäre es in dem verglasten Bereich warm wie in einer Sauna gewesen.
Gundel kam aus der Küche und stellte eine weitere Sahnetorte in die Kuchentheke. Sie war heute mal wieder äußerst farbenfroh gekleidet. Ihr Rock war pink, ihre Bluse gelb, und darüber trug sie eine hellgrüne Küchenschürze, die im oberen Bereich mit einer großen Sonnenblume bedruckt war. Ihr blondes Haar hatte sie mit einem knallgelben Tuch gebändigt.
»Heute is endlich amal wieder was los«, sagte sie freudig. »So einen Trubel hätten wir den ganzen Sommer über gebrauchen können. Aber mei. Was ned is, is ned. Ich hab noch a Blech Friesenkekse und einen Gugelhupf im Ofen. Hat einer mal nach dem Justus g’schaut? Der arme Bub war ja kasweiß heute Morgen. Hoffentlich hat er sich wieder a bisserl erholt. Und des ausgerechnet heut, wo uns auch noch die Spülkraft abgesagt hat. Ich komm mit dem Abwasch gar nicht mehr hinterher. Immer wenn man die Leut braucht, sind sie nicht da. Ich hoff, morgen geht’s dem Justus wieder besser. So allein in der Küche ist auch a bisserl deppert.«
»Das glaub ich gern«, pflichtete Elin ihr bei, während sie zwei Stücke von der Friesentorte abschnitt und auf Teller legte. »An einem Tag wie heute ist es hier draußen allein auch ein bisschen deppert, wie du so schön sagst. Leider fehlt Helene noch immer. Wo sie nur wieder abgeblieben ist. Wenigstens abmelden hätte sie sich können, dann hätte ich Ersatz besorgt. Andererseits konnte heute Morgen ja keiner erahnen, dass es heute so voll werden würde. Es ist immerhin bereits Nachsaison.«
Die Tür öffnete sich, und eine Damengruppe in Wanderkleidung trat ein. Alle drei trugen Sonnenhüte und hatten festes Schuhwerk an den Füßen. Sie alle hatten etwas viel Sonne abbekommen und leicht gerötete Nasen.
»Guten Tag zusammen«, grüßte eine von ihnen. Sie war blond, Elin schätzte sie auf Anfang dreißig. »Wir haben erfahren, dass es in Ihrem Haus einen hübschen Andenkenladen mit Keramiken geben soll. Den wollten wir uns auf gar keinen Fall entgehen lassen. Und der Kuchen schmeckt übrigens herrlich. Unser Kompliment an die Bäckerin.« Der Aussprache nach sortierte Elin die Dame Richtung Berlin ein. Gundel erfreute das Kompliment, und sie bedankte sich sogleich. Elin wies den Damen den Weg zum Andenkenladen, in den man durch eine geöffnete Flügeltür gelangte. Sogleich verschwanden die drei darin, und es dauerte keine Minute, bis Entzückungsbekundungen zu vernehmen waren. »Nein, wie zauberhaft, diese Pötte. Und seht nur: Es gibt Geschirrtücher mit niedlichen Schafen darauf. Also ein solches muss ich unbedingt haben. Und diese Teekannen, einfach nur bezaubernd.«
Die Worte der Damen streichelte Elins Künstlerinnenseele. Gantje kam zurück und riss sie aus ihrer kurzen Freude. Sie hatte ein weiteres Tablett mit schmutzigem Geschirr dabei, was dafür sorgte, dass sich Gundels Miene schlagartig verfinsterte. Spülen sah sie nicht als ihre Aufgabe an. Trotzdem nahm sie Gantje das Tablett ab und ging damit, etwas Unverständliches brummend, in die Küche.
Die Tür öffnete sich erneut, und Alwine trat ein, die einen etwas abgekämpften Eindruck machte.
»Moin, Elin«, grüßte sie und stellte ihren Hebammenkoffer ab. »Es ist geschafft. Sophie Petersen aus Morsum ist Mutter von gesunden Zwillingsbuben. Mutter und Kinder sind wohlauf. Aber das war eine Herausforderung. Das kann ich dir sagen. Dreißig Stunden Wehen, am Ende hatte Sophie schon gar nicht mehr die Kraft zum Pressen. Ihre Schwester Inge saß auf ihrem Bauch, damit es klappte.«
»Verschone mich bitte mit Details«, erwiderte Elin und hob abwehrend die Hände. »Schön, dass es gut gegangen ist.«
Gantje tauchte erneut auf. »Tisch sechs wird ungeduldig.«
»Ich kümmere mich. Was war das noch gleich?« Elin hob die Zettel auf. War das nun der linke oder der rechte? Wollten die Herrschaften die Pharisäer oder doch den Kaffee mit Milch und Kekse? Im nächsten Moment kam eine der Damen wieder aus dem Andenkengeschäft. »Also wir hätten uns dann entschieden. Wären Sie so freundlich und würden mal kommen?«
Die Tür öffnete sich erneut, und Hinnerk trat ein. »Moin zusammen«, grüßte er fröhlich. »Ist zufällig meine Suse bei euch aufgetaucht? Die Gute hat sich mal wieder vom Acker gemacht. Das ist aber auch ein dösbaddeliges Schaf.«
Elin sah von Hinnerk zu der blonden Frau, zu Alwine, auf ihren Zettel, Gantjes Blick war ungeduldig. Alwine war diejenige, die ihr, obwohl sie die anstrengende Geburt hinter sich hatte, zu Hilfe kam.
»Es wird gleich jemand bei Ihnen sein und Ihnen helfen«, sagte sie zuerst zu der blonden Kundin in einem freundlichen Tonfall. »Bitte gedulden Sie sich nur wenige Minuten.« Dann wandte sie sich an Hinnerk. »Also im Garten war keine Suse. Guck doch mal hinter dem Haus nach. Und jetzt kümmern wir uns rasch um die Bestellungen.« Sie krempelte die Ärmel hoch. »So eine Geburt von Zwillingen sorgt für so viel Adrenalin im Blut. Da reicht die Energie auch noch für die Arbeit im Kaffeegarten.« Sie trat neben Elin, und gemeinsam hatten sie im Handumdrehen sämtliche Bestellungen von Gantje abgearbeitet. Zwischendrin kümmerte sich Elin noch um die drei Damen im Andenkenladen, die zu ihrer Freude ordentlich einkauften. Jede von ihnen erwarb zwei Pötte, eine sogar eine Teekanne, und mehrere Geschirrtücher wurden ebenfalls gekauft. Elin verpackte alles freudig und wünschte den Damen noch einen schönen Aufenthalt auf der Insel. So ging es munter weiter. Erst gegen Abend wurde es langsam ruhiger, und der Garten leerte sich. Alsbald kassierte Gantje die letzte Kundschaft ab, und sie gesellten sich zu Friedrich, der wie gewohnt an seinem festen Platz an Tisch eins saß und die aufgeschlagene Zeitung vor sich liegen hatte. Gundel hatte rasch eine Platte mit belegten Schnittchen gemacht. Krabben, etwas Kräuterquark und Käse lagen auf Schwarzbrotscheiben. Dazu gab es einen leichten Weißwein und von der leckeren Zitronenlimonade. Von fern war das Greinen eines Säuglings zu hören, was Elin zum Lächeln brachte.
»Der kleine Paul meldet sich anscheinend gerade zu Wort«, sagte sie.
»Ich geh gleich noch nach den beiden sehen«, meinte Alwine. »Aber erst muss ich was essen, sonst kipp ich noch um.« Sie schob sich ein mit Krabben belegtes Schnittchen komplett in den Mund.
Hinnerk tauchte auf und vermeldete, dass sein Schaf wieder zu Hause sei. Leider hatte die gute Suse dieses Mal in Kresdes Garten ihr Unwesen getrieben und ihr das Blumenbeet zertrampelt. »Ihr wollt nicht wissen, was sie alles zu mir gesagt hat«, meinte Hinnerk und grinste wie ein Lausbub. »Ich wusste gar nicht, dass unser altes Tratschweib so viele Schimpfwörter auf Lager hat.« Er holte sich einen der Stühle vom Nachbartisch, setzte sich neben Alwine, ließ seinen Blick über den Tisch schweifen und fragte: »Gibt es auch Schnaps? So einen Köm könnte ich nach dem Gepolter gut gebrauchen. Dat ist gut für meine alten Nerven.«
»Ich kümmere mich.« Elin erhob sich mit einem Lächeln auf den Lippen. Als sie den Verkaufsraum betrat, traf sie auf Matei, die mit Paul auf dem Arm gerade die Treppe aus dem Obergeschoss nach unten kam.
»Matei, Liebes. Was tust du denn hier? Du solltest dich doch ausruhen.«
»Ja, ich weiß«, antwortete Matei. »Aber es ist so ein schöner Abend. Den will ich mir nach diesem grausigen Sommer nicht vom Zimmer aus ansehen. Ich dachte, Paul und ich könnten einen kleinen Spaziergang zu Gesa wagen und Lotte dort abholen.«
»Das ist eine ganz wunderbare Idee«, erwiderte Elin. »Die frische Luft wird euch bestimmt guttun. Allerdings sitzt Alwine vor dem Haus, und sie wird es gar nicht gerne sehen, dass du schon wieder munter durch die Gegend läufst. Du weißt, wie streng sie das Wochenbett von frischgebackenen Müttern handhabt.«
»Ja, ich weiß.« Matei seufzte. »Aber ich habe ein Kind bekommen und bin nicht sterbenskrank. Ich fühle mich dort oben wie in einem Gefängnis. Und Max ist auch fort und kommt meist erst spät aus der Flugschule zurück. Seitdem die Atlantiküberquerung bekannt geworden ist, haben sie riesigen Zulauf bekommen, und er kann sich vor Arbeit kaum retten. Das ist einerseits schön für die Flugschule, andererseits schlecht für unser Familienleben.«
»Wir könnten uns hintenrum rausschleichen«, schlug Elin vor, die allzu gern mit Matei einen Spaziergang am Wattweg machen würde. »Wir könnten bis zur Kirche laufen und kurz nach den Gräbern sehen. Von dort aus ist es dann auch nicht mehr weit bis zur Hühnerfarm. Der Kinderwagen steht praktischerweise in der Abstellkammer unter der Treppe.«
»So machen wir es«, stimmte Matei zu.
Eine Weile darauf schlenderten die beiden den im Licht der goldenen Abendsonne liegenden Wattweg hinunter. Elin ließ es sich nicht nehmen, den Kinderwagen zu schieben. Dieser war aus Korb geflochten und nicht mehr ganz so unhandlich wie das schwarze Ungetüm, in dem damals Finn Platz gefunden hatte. Über der glitzernden Wasseroberfläche zogen unzählige Seevögel ihre Kreise, ihre Rufe klangen wie Musik in Elins Ohren. An den Bäumen waren bereits erste bunte Blätter zu sehen, am Wegesrand blühten noch die Glockenheide und vereinzelte Strandrosen. Ein sanfter Ostwind fegte durch das Schilf. Matei atmete den Geruch des Schlicks tief ein, der heute recht intensiv war.
»Das haben wir ewig nicht gemacht, oder?«, fragte sie. »Einfach so hier entlanglaufen, weil es schön ist.«
»Stimmt.« Mateis Ausdrucksweise brachte Elin zum Schmunzeln. Weil es schön ist, wiederholte sie in Gedanken. Einfache Worte, die doch so vieles aussagten. Sie nahmen die Schönheiten ihrer Heimat zumeist nur noch am Rande wahr. Der Anblick des Wattenmeers und der Reetdachhäuser mit ihren idyllischen Gärten war alltäglich. Sie lebten im Paradies und wussten es manchmal gar nicht richtig zu schätzen. Sie erreichten eine Bank und beschlossen, sich zu setzen. Eine Weile saßen sie stumm nebeneinander und genossen die Aussicht auf das Meer und den Abendhimmel.
»Manchmal frage ich mich, wie es heute wäre, wenn es diesen fürchterlichen Unfall damals nicht gegeben hätte«, sagte Elin irgendwann. »Wenn Lorenz noch hier wäre. Ich hab inzwischen das Gefühl, dass ich ihn und unsere gemeinsamen Momente vergesse. Obwohl es auch nicht immer einfach mit ihm und seinem Ehrgeiz gewesen ist. Du hast das alles damals gar nicht so mitbekommen, denn du warst ja in Hamburg, und ich habe danach nicht darüber reden wollen. Damals, kurz vor dem Unfall, waren wir so glücklich. Er wollte mir seine Welt zeigen und mich daran teilhaben lassen. Wir haben am Bombüllhof über diese dumme Geschichte mit dem Puk geredet. Und ich dachte, ich meine …« Elin kam ins Stocken, und sie spürte den vertrauten Kloß im Hals, der stets kam, wenn sie an diesen Tag ihres Lebens zurückdachte. »Ich habe damals schon vermutet, wieder schwanger zu sein. Ich war schon eine Weile über der Zeit und spürte manchmal einen kleinen Schwindel. Ich hab es nie jemandem gesagt. Es war ja nur eine Vermutung, mehr nicht. Manchmal frage ich mich, ob es so gewesen ist. Am Ende habe ich an jenem Tag zwei Menschen verloren. Den einen, den ich liebte, und das kleine Wesen unter meinem Herzen, das ich niemals lieben durfte.«
»Ach, Liebes.« Matei legte ihre Hand auf die Schulter ihrer Schwester. »Das tut mir so leid. Ich weiß, wie schlimm solch ein Kummer sein kann. Wenn nicht ich, wer sonst. Aber du darfst dich von dem Schmerz nicht auffressen lassen. Du musst damit aufhören, dir ständig Gedanken darüber zu machen, was hätte sein können. Wir können das Rad der Zeit nicht zurückdrehen, auch wenn wir es uns manchmal so sehr wünschen. Und ich habe es mir so oft gewünscht. Das kannst du mir glauben. Jan und auch mein kleines Engelchen werden immer einen festen Platz in meinem Herzen haben. Aber sie hätten beide nicht gewollt, dass ich unglücklich bin. Und so ist es bei dir doch auch. Lorenz hätte nicht gewollt, dass du allein bleibst und dich jahrelang grämst. Die Vergangenheit liegt hinter uns, wir können sie nicht ändern, aber unsere Zukunft können wir gestalten.«
»Oha«, Elin sah Matei an, »welch weise Worte. Du bist anscheinend tatsächlich erwachsen geworden, meine kleine Schwester.« In Elins Augen schwammen Tränen, und sie nahm Mateis Hand und drückte sie fest. »Letztens war ich mal wieder in Tinnum im Atelier, um mit Tida etwas zu besprechen, da musste ich an einen Moment unserer Kindheit denken. Wir waren damals in dem verwilderten Garten von Mama. Sie hat immer alle Blumen durcheinanderwachsen lassen, weil es so doch viel schöner aussah, weißt du noch? Wir haben Prinzessinnen gespielt und auf unsere Märchenprinzen gehofft. Wir haben damals elegantes Verbeugen geübt, und irgendwann kugelten wir kichernd durchs Gras.«
»Und danach sind wir liegen geblieben und haben in den Himmel geguckt, die Wolken betrachtet und uns überlegt, was sie darstellen«, fiel Matei in Elins Erinnerungen mit ein. »Wir waren damals so unbeschwert und fröhlich. Wir wussten gar nicht, wie gut wir es hatten.«
Elin stimmte ihr zu. Die Erinnerungen an ihre frühe Kindheit wärmten ihre Herzen. Dieser Moment tat es. Sie saßen nebeneinander auf der Bank in der milden Abendsonne, umgeben von der berauschenden Natur Sylts, ihrer Heimat, die sie in- und auswendig kannten und die sie in diesem Augenblick in goldenes Licht einhüllte, das sie wärmte und zur Ruhe kommen ließ, das Hoffnung machte und Trost spendete. Sylt war so besonders, das Meer und die Natur, die Gerüche und Rufe der Seevögel. Das alles vereinte sich zu einem besonderen Reigen, der etwas Bezwingendes an sich hatte, dem man sich nur schwer entziehen konnte. Doch sowohl Matei als auch Elin wussten, dass die Insel auch anders sein konnte, grausam und unerbittlich. Der Moment im Garten ihres Elternhauses verblasste im Angesicht der Erinnerungen an jene Nacht, als das Schicksal zum ersten Mal in ihrem Leben grausam zugeschlagen und ihnen ihre Eltern genommen hatte. Zwei arglos im Garten spielende Mädchen hatten damals einen Teil ihrer Kindlichkeit für immer verloren.
»Hier steckst du also«, war plötzlich Alwines energische Stimme zu hören und riss die beiden aus ihren Erinnerungen. Die alte Hebamme blieb, die Hände in die Seiten gestemmt, vor ihnen stehen und sah Matei finster an. »Was um alles in der Welt ist nur in dich gefahren? Eine frischgebackene Mutter hat sich nicht auf dem Wattweg rumzutreiben, sondern sie gehört ins Bett und benötigt Ruhe. Du kennst meine Regeln, und sie werden strikt befolgt. Wo kommen wir denn da hin, wenn hier jeder macht, was er will. Jetzt aber flott zurück.«
Matei sah zu Elin, die ein Grinsen nicht unterdrücken konnte. Das kam davon, wenn man auf einer Bank saß und trödelte. Beide erhoben sich.
»Ich wollte nur ein wenig frische Luft schnappen«, wandte Matei ein. »Nicht böse sein. Es ist so ein schöner Abend.«
»Frische Luft bekommt man auch, wenn man das Fenster öffnet«, entgegnete Alwine und nahm sich sogleich des Kinderwagens an, in dem der kleine Paul noch immer friedlich schlief. »Und du, Elin, hättest es ihr ausreden müssen. Nur Dummheiten im Kopf.« Alwine sah Elin finster an.
Elin zog den Kopf ein, und sie fühlte sich schlagartig an die Zeiten erinnert, als sie und Matei Alwine als Hilfsschwestern im Lazarett unterstanden hatten. Wenn es um ihre Arbeit ging, kannte Alwine kein Pardon, das hatte sich noch immer nicht geändert.
Elin behielt für sich, dass sie eigentlich bis zu Gesas Hühnerhof hatten laufen wollen, um Lotte abzuholen. Gemeinsam mit Matei und Alwine, die den Kinderwagen schob, lief sie zurück zum Kaffeegarten. Zu Gesa konnte sie gleich noch gehen, wenn Alwine mit anderen Dingen beschäftigt und abgelenkt war.
Elin saß in dem Damenmodengeschäft ihrer Freundin Heike Schneiderlein mit einem Kaffeepott in Händen und beobachtete das Geschehen vor ihren Augen.
»Also ich weiß nicht recht«, sagte die vor einem Spiegel stehende Kundin, eine dickliche Frau mit einem braunen Vogelnest auf dem Kopf, und strich mit prüfendem Blick über den Stoff des wadenlangen Rocks, den sie gerade anprobierte. Sie drehte sich nach links und wieder zurück. »Er ist hübsch, keine Frage. Der altrosa Farbton ist nicht zu aufdringlich. Aber der Preis. Könnten Sie da nicht vielleicht noch etwas nachlassen? Also in Düsseldorf gibt es so was günstiger.«
»Es tut mir leid«, antwortete Heike. »Ich kann keinen weiteren Rabatt gewähren. Der Rock ist echte Handarbeit und ein Einzelstück. So etwas erhalten Sie in einem der großen Warenhäuser nicht.«
Die Ladentür öffnete sich, und ein korpulenter Mann mit Schnauzbart in einer abgetragen aussehenden Cordjacke trat ein.
»Trude, meine Gute«, sagte er. »Wo bleibst du nur? Wir wollten doch zu der Buchvorlesung in den Lesesaal des Kurhauses. Ernst und Carola warten bereits.« Sein Blick blieb an dem Rock hängen.
»Du willst den doch nicht etwa kaufen, oder? Wir hatten fest ausgemacht, dass wir dieses Jahr im Urlaub sparsamer sind. Du weißt, dass mein Beamtenlohn teure Ausgaben nicht hergibt.« Er sah kurz zu Heike und setzte ein charmantes Lächeln auf.
Heikes Miene verfinsterte sich. Damit war der Verkauf endgültig gescheitert. Elin war davon überzeugt, dass Heike die Kundin ohne das Auftauchen des Ehemanns zum Kauf hätte überreden können. Doch so taperte die Beamtengattin zurück in die Umkleide und verließ wenig später mit ihrem Mann das Ladengeschäft.
»Ein Jammer. Der Rock stand ihr. Der Schnitt war vorteilhaft für sie«, sagte Elin und nippte an ihrem Kaffee, der inzwischen nur noch lauwarm war.
Heike antwortete nicht. Sie ging mit hängenden Schultern in die Umkleide und zog den von der Kundin lieblos liegen gelassenen Rock auf einen Bügel.
»Vielleicht war es doch eine dumme Idee, Mode von der Stange anzufertigen«, sagte sie und hängte den Rock zurück zu den anderen Modellen. »Wenn das so weitergeht, kann ich den Laden bald endgültig zusperren.«
»Wir wissen beide, dass Kleidung nach Maß längst nicht mehr zeitgemäß ist«, meinte Elin. »Damit würde es noch schlechter laufen. Dieses Jahr war die Sommersaison allgemein schwierig, auch bei uns im Kaffeegarten.«
»Ich weiß, ich weiß«, pflichtete Heike ihr bei. »Die Weltwirtschaftskrise, dazu dieses abscheuliche Wetter. So viele Gäste habe ich nie zuvor vorzeitig abreisen sehen. Ich kann die Leute aber auch verstehen. Wochenlang war es grau, oftmals gab es tagelang Dauerregen, und dann der kühle Wind. Der August fühlte sich eher wie ein Oktober an. Da möchte ich auch nicht im Strandkorb am Meer sitzen. Aber es läuft ja nicht nur bei mir schlecht. Gefühlt ist ganz Westerland am Jammern. Hach, was haben wir uns gefreut, als der Hindenburgdamm endlich eröffnet wurde. Wir waren so blauäugig und dachten tatsächlich, dass es dadurch mit der Insel wieder aufwärtsgehen würde. Dösbaddel sind wir alle gewesen.« In ihre Augen traten Tränen. »Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie es weitergehen soll. Ich bin schon seit zwei Monaten mit der Miete im Rückstand. Diesen Monat werde ich sie auch nicht aufbringen können. Und jetzt kommt der Winter.«
»So schlimm ist es schon«, sagte Elin. »Wieso hast du nie etwas gesagt?«
»Ich wollte dich nicht mit meinem Kummer belasten«, gestand Heike. »Du hattest in den letzten Wochen genug Aufregung. Ich weiß doch, wie schnell dir alles auf den Magen schlägt.«
»Ach, Heike. Darauf musst du doch keine Rücksicht nehmen. Wir sind Freundinnen und müssen zusammenhalten.«
Nun kullerten Tränen über Heikes Wangen. Sie wischte sich über das Gesicht und schniefte. Elin erhob sich und schloss sie in die Arme. Eine ganze Weile hielten sie einander fest. Elin wusste, wie sehr Heike an ihrem kleinen Schneidereigeschäft hing. Früher waren sie sogar Nachbarn gewesen. Als sie und Matei noch geglaubt hatten, dass sie unbedingt einen Andenkenladen in der Westerländer Fußgängerzone benötigten. Zweimal hatten sie einen solchen eröffnet und ihn zweimal wieder geschlossen. Elin bedauerte diesen Umstand heute nicht mehr, denn das Geschäft mit den Keramiken und anderen Dekorationsartikeln lief auch in Keitum hervorragend. Und dort mussten sie keine Extramiete bezahlen.
»Wir werden bestimmt eine Lösung für dein Problem finden«, sagte Elin und setzte sich wieder auf ihren Platz hinter der Theke. »Zur Not kann ich dir etwas Geld leihen.« Sie nippte an ihrem Kaffee und verzog das Gesicht. Nun war er kalt geworden.
»Das möchte ich auf gar keinen Fall«, widersprach Heike.
Elin kannte Heikes Grundsatz, was finanzielle Leihgaben betraf: »Beim Geld hört die Freundschaft auf.«
Elin sah das nicht so. Sie wusste jedoch, dass sie Heike nicht würde umstimmen können.
»Dann machen wir es eben anders«, schlug sie vor. »Kleider von der Stange laufen nicht gut. Also könntest du doch wieder für mich arbeiten. Geschirrtücher mit Schriftzügen wie Moin, Moin, Stoffservietten mit Leuchttürmen darauf oder Kochschürzen mit niedlichen aufgestickten Schafen kauft auch eine einfache Beamtengattin problemlos. Wenn du magst, kann ich die Stoffe vorfinanzieren. Wir werden uns schon irgendwie einig.«
»Hm«, überlegte Heike. »Die Idee klingt gut. Obwohl ich mich ja eigentlich von profanen Kochschürzen und Servietten für immer verabschieden wollte. Es bereitet mir viel mehr Freude, Kleider zu entwerfen und sie zu nähen, kreativ zu arbeiten. Hach, in Paris müsste man leben. Dort ist die Welt der Mode zu Hause. Was würde ich dafür geben, einmal das Atelier einer Coco Chanel zu sehen.« Sie seufzte.
»Es werden auch wieder andere Zeiten kommen«, tröstete Elin. »Obwohl wir das schon seit einer gefühlten Ewigkeit denken. Wenn ich da an die Zeit vor dem Krieg denke, als Paul und Anna noch lebten. Wir haben so herrlich mondäne Feste und Abendveranstaltungen im Herrenhaus gefeiert. Und die Kleider, die wir damals getragen haben. Feinste Seide und Damast, verziert mit Perlen und edler Spitze. Dagegen kommen einem die heutigen Kleider in den Katalogen regelrecht schäbig vor.«
»Obwohl ich auf einige Dinge aus Kaisers Zeiten gerne verzichte«, wandte Heike ein. »Mit den langen Röcken hat man immer den Fußboden gewischt, ein Spaziergang am Strand, und der ganze Saum musste gereinigt werden. Und ich habe stets die eng geschnürten Korsetts verabscheut. Manchmal habe ich geglaubt zu ersticken.«
»Das stimmt«, pflichtete Elin ihr bei. »Aber so manches Mieder von heute kann meiner Meinung nach mit den Korsetts von damals mithalten.«
»Tja. Die schmale Taille ist eben wieder in Mode«, meinte Heike. »Dem Herrn im Himmel sei Dank. Ich fand diese Kleider mit der tiefer gesetzten Taille abscheulich. Sie ähnelten Säcken.«
Elin lachte.
Eine Kundin betrat den Laden und erkundigte sich nach dem Preis für das im Schaufenster hängende Kostüm. Als Heike ihn nannte, winkte sie ab und ging wieder. Sogleich war die gute Stimmung erneut dahin, und es herrschte für einen Moment betretenes Schweigen.
»Ich glaube, ich sperr für heute zu«, sagte Heike. »Bei dem grauen Wetter sind eh kaum Passanten unterwegs, und noch so eine rüde Absage verträgt meine geplagte Schneiderinnenseele nicht mehr.«
»Also abgemacht?«, fragte Elin. »Ich würde dann die Stoffe für die Servietten, Kochschürzen und Tischtücher bestellen. Was würdest du denn zusätzlich noch von Strandtüchern halten? Du könntest sie mit hübschen maritimen Motiven besticken. Seelöwen sind sehr beliebt.«
Heike rollte die Augen. »Ich hasse diese Seelöwen. Aber wenn sie sich gut verkaufen, dann stick ich sie eben drauf.«
»Das wollte ich hören.« Elin erhob sich. »Ich muss dann leider auch schon wieder los«, sagte sie und schlüpfte in ihren Mantel. »Morgen feiern Hilda und Knut bei uns ihre goldene Hochzeit mit einem Kaffeekränzchen, und es gibt einiges vorzubereiten. Die beiden haben uns eine lange Liste mit Sonderwünschen gegeben. Hilda war schon immer eine Pedantin, aber das schlägt alles. Allein die Beschreibung der Tischdeko füllt eine Seite. Von speziellen Tischblumen und Servietten bis hin zu Tischkarten ist alles dabei. Und der ganze Aufwand für gerade mal zwölf Personen.« Elin rollte die Augen. »Dazu die Sonderwünsche beim Essen. Knut verträgt keine Nüsse, sein Bruder vom Festland bekommt von Milch Bauchschmerzen. Also bitte keine Sahne. Zu trocken dürfen die Kuchen auch nicht sein. Da könnte man sich verschlucken. Keine Sauerkirschen, die wären scheußlich. Die beiden sind sogar zum Vorkosten gekommen. Ich bin froh, wenn der Nachmittag vorüber ist.«
»Das glaub ich dir aufs Wort«, antwortete Heike. »Wir können ja die Tage noch einmal wegen dem Tischwäschekrams telefonieren, oder ich komme mal wieder auf einen Schnack nach Keitum. Ich war ewig nicht in dem alten Kapitänsdorf. Bei euch ist Sylt noch so herrlich ursprünglich. Westerland verkommt eher zu einer Dauerbaustelle. Ständig werden neue Gästehäuser errichtet. Ich frage mich nur, für welche Gäste. Überall stehen die Zimmer leer. Aber ich schweife schon wieder ab.«
Es folgte eine kurze Umarmung zum Abschied.
Auf der Straße empfingen Elin ein böiger Wind und kalter Nieselregen. Sie zog ihre Kapuze über und eilte Richtung Bahnhof, wo sie in eine bereitstehende Bahn stieg. Sie suchte sich einen Fensterplatz. Der Waggon war so gut wie leer. Nur ein weiterer Fahrgast, ein älterer, Zeitung lesender Herr war anwesend.
Elin blickte auf den Bahnsteig. Ihr gegenüber hing der Fahrplan aus, daneben fanden sich die üblichen Anzeigen für Zimmervermietungen. Es waren so viele, sie hingen bereits übereinander. Der Gast hatte die Qual der Wahl. Eines der Anzeigenblätter war zu Boden gefallen und feucht geworden. Es sah seltsam trostlos aus. Elin konnte sich noch gut an den Tag erinnern, als der Reichspräsident Hindenburg zu ihnen auf die Insel gekommen und der Damm feierlich eingeweiht worden war. Hach, was war der Festzug herrlich gewesen. Nur das Wetter hatte nicht mitgespielt. Aber da waren die Sylter ja Kummer gewohnt. Die Hoffnungen auf den großen wirtschaftlichen Aufschwung, den der neue Damm hatte mit sich bringen sollen, waren jedoch nicht erfüllt worden. Die Zahl der Sommergäste hatte durch die wirtschaftliche Lage im Reich nur in begrenztem Maße zugenommen, und durch das größer gewordene Bettenangebot standen viele Zimmer leer. Auch glich das allgemeine Klientel zumeist dem Beamtenehepaar, das eben in Heikes Laden gewesen war und sich teure Zusatzausgaben im Urlaub nicht leisten konnte.
Ein blonder Mann, den sie bereits vom Sehen kannte, setzte sich Elin gegenüber. Seine bestechend blauen Augen waren es, die Elin sogleich aufgefallen waren. Er war glatt rasiert, heute trug er einen dunkelblauen Regenmantel, sein Haar war vom Nieselregen feucht. Sein Geruch nach Rasierwasser zog ihr in die Nase. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Das hatte er bereits bei ihrer ersten Begegnung in Moilds Laden getan. Sie hatte ihren Blick nicht von ihm abwenden können. Bisher hatte sie noch kein einziges Wort mit ihm gesprochen, jedoch wusste sie bereits einiges über ihn. In dieser Hinsicht war Moilds Kolonialwarenladen, das Klatschzentrum Keitums, dann doch ein Segen. Der Mann hieß Kurt Teschner, war sechsunddreißig Jahre alt und kam aus Berlin. Er hatte sich bei Tatje Hansen eingemietet und war angeblich Schriftsteller.
Kurt Teschner grüßte freundlich. Elin erwiderte den Gruß und wusste nicht so recht, ob sie noch etwas hinzufügen sollte. Noch immer klopfte ihr Herz wie verrückt.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte er plötzlich. »Ich möchte nicht aufdringlich sein. Sie sind doch die Inhaberin des Kaffeegartens. Frau Elin Christiansen ist Ihr Name, oder?«
Elin sah den Mann verblüfft an.
»Ich war so frei und habe mich neulich bei der freundlichen Inhaberin des Kolonialwarenladens nach Ihnen erkundigt. Bitte verzeihen Sie mir meine Neugierde. Aber Sie sind mir gleich aufgefallen.«
»Ich nehme an, Moild hat Sie ausreichend ins Bild gesetzt«, antwortete Elin, während sich die Bahn in Bewegung setzte.
Er grinste. »Ja, das hat sie«, erwiderte er. »Inhaberinnen von Kolonialwarenläden sind wohl in sämtlichen Städten Deutschlands gleich. Einen besseren Ort für allgemeinen Klatsch und Tratsch findet man selten. Sie und Ihre Schwester haben eine bewegte Vergangenheit hinter sich, wenn ich das so sagen darf. Bedauerlicherweise scheint sie von vielen Schicksalsschlägen geprägt zu sein.«
Elin fühlte sich überrumpelt. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Nach einer kurzen Überlegung beschloss sie, die Flucht nach vorne anzutreten.
»Ich habe gehört, Sie sind als Schriftsteller tätig, Herr Teschner. Sie sind aus Berlin angereist.«
»Touché.« In seinen Augen lag nun ein spitzbübischer Ausdruck. »Wir haben also offensichtlich Gefallen aneinander gefunden. Oder erkundigen Sie sich bei jedem Besucher Keitums in einschlägigen Klatschzentren nach seinem Namen?«
Die Bahn erreichte den Keitumer Bahnhof und hielt. Elin war dankbar dafür, denn so musste sie keine Antwort geben. Auf dem Bahnsteig blieben sie voreinander stehen. Ich sollte gehen, dachte Elin. Was mache ich hier eigentlich? Ich tändle mit einem Fremden. Ich bin Witwe und trage als Mutter Verantwortung. Ich bin noch nicht so weit. Oder war sie es vielleicht doch? Er sah sie mit seinen hellblauen Augen an, und in ihrem Magen flirrte es. Sie wusste nicht so recht, wohin mit ihren Händen, und steckte sie in die Taschen ihres Regenmantels. Der Nieselregen hatte aufgehört, und es zeigten sich erste blaue Lücken in der Wolkendecke.
»Ich geh dann mal«, sagte Elin unsicher. »Es gibt noch einiges zu tun. Sie wissen schon. Im Kaffeegarten.« Großer Gott. Was redete sie nur für einen Unsinn.
»Wir können gemeinsam gehen«, schlug er vor. »Also wenn Sie das möchten. Ich wohne ja nicht so weit fort von Ihrem Anwesen.«
»Ich weiß«, gab Elin zu. »Ein Stück weiter den Kirchweg hinauf.« Sie lächelte nun und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte.
Sie gingen vom Bahnsteig, folgten der Bahnhofstraße und bogen ein Stück weiter in den Weidemannweg ab. Inzwischen hatte es noch mehr aufgerissen, und es war sogar die Sonne herausgekommen. Die feuchten Wiesen in den Gärten der Friesenhäuser funkelten im Licht der hellen Strahlen. Letzte Rosen blühten an Spalieren und Rankgittern, Sonnenhut und Dahlien zeigten in den Beeten ihre Pracht. Sönk Knudsen und sein Sohn Hark, er war zwei Jahre älter als Finn, waren mit der Apfelernte beschäftigt und winkten ihnen zu.
»Es ist so hübsch hier«, sagte Kurt. »Die Beschaulichkeit dieses Ortes lässt einen zur Ruhe kommen. Es war gut, dass ich auf meinen alten Freund Albert gehört habe, der mir empfohlen hat, mich in Keitum einzuquartieren. Er ist ebenfalls Schriftsteller und weilte hier einige Wochen vor dem Krieg. Er hat stets davon geträumt, eines Tages für immer nach Keitum zu ziehen. Aber seine finanzielle Situation ließ es wohl nie zu. Die Kunst ist kein leichtes Brot.«
»Ich weiß«, antwortete Elin. »Meine Schwester Matei kann davon ein Lied singen. Es ist wohl eher eine Leidenschaft. Jedenfalls die Malerei. Mit dem Schreiben kenne ich mich nicht so gut aus.«
»Es ist ähnlich«, erwiderte er. »Wir zeichnen nicht mit Pinseln, sondern mit Worten. Und dann muss das Geschriebene noch Anklang bei einem Verleger finden, beim Leser. Aber ich möchte Sie nicht langweilen.«
»Das tun Sie nicht«, warf Elin ein. »Was schreiben Sie? Kriminalromane? Oder gar Liebesromane? Letztere lese ich gern. Unsere Gundel hat es mit Mord und Totschlag. Sie leiht sich die Krimis immer in der Gemeindebücherei aus. Wir haben auch eine Leseecke im Café. Dort wird jedoch meist nur die Zeitung gelesen.«
Sie hatten nun den Kaffeegarten erreicht und blieben stehen. Keiner wusste so recht, was er jetzt sagen sollte. Elin bebte innerlich.
»Ich müsste dann …«, setzte sie irgendwann an und blickte Richtung Herrenhaus. Nur nicht in seine Augen sehen. Lieber Gott. Wie einen ein Mann innerhalb weniger Minuten nur so durcheinanderbringen konnte. Sie war doch kein Backfisch mehr.
»Sehe ich Sie bald wieder?«, fragte er.
Sie sah ihn nun doch an. In seinem Blick lag etwas Hoffnungsvolles. »Vielleicht ein Spaziergang am Wattufer heute Abend?«, schlug er vor. »So gegen sechs? Ich mag das rötliche Licht dieser Stunde. Ich würde dort auf der Höhe des Kaffeegartens auf Sie warten.«
»Gern!« Elin jubilierte innerlich.
»Dann bin ich ein Glückspilz«, erwiderte er. »Wir sehen uns.« Er ging. Auf dem Weg drehte er sich immer wieder um und blickte zurück. Elin bewegte sich nicht vom Fleck und sah ihm nach. Er hob die Hände und machte Sprünge, zog lustige Grimassen und brachte sie damit zum Schmunzeln. Als er den Abzweig zum Kirchweg erreicht hatte, deutete er schelmisch grinsend eine Verbeugung an. Dann war er verschwunden. Elin blieb immer noch stehen. Das war doch verrückt. Aber es fühlte sich herrlich an.
»Elin, min Deern. Wat stehst du denn hier auf der Straße?«, riss Hinnerk sie aus ihren Gedanken. Sie wandte sich um.
»Wartest du auf jemanden? Also wenn dat der Finn ist, dann dauert dat noch ’n büschen, bis der kommt. Den hab ich vorhin mit dem Oluf laufen sehen. Die Jungen hecken bestimmt wieder irgendwas aus.«
»Solange sie nicht wieder bei der alten Marin die Pflaumen oder sonst irgendetwas klauen, was an den Bäumen hängt, sollen sie ruhig durch das Dorf streunen«, antwortete Elin. »Finn weiß, wann er nach Hause kommen soll. Komm«, sagte sie, »lass uns ins Haus gehen. Was führt dich zu uns?«
Die beiden setzten sich Richtung Kaffeegarten in Bewegung.
»Ach, dat weißt du doch«, meinte Hinnerk. »Büschen Gesellschaft, ein Schnack mit Friedrich und ein Pharisäer wären etwas Feines. Was habt ihr denn heute auf der Mittagskarte stehen?«
»Sahnehering mit Salzkartoffeln«, gab Elin zurück. »Aber Mittag ist schon rum.«
»Ach, dat macht mir nichts aus und dem Sahnehering bestimmt auch nicht«, sagte Hinnerk, während sie die Stufen zum Eingang hinaufgingen und Elin die Tür öffnete.
Diese Pötte sind alle so hübsch«, flötete eine im Andenkenladen stehende Kundin. »Ich kann mich gar nicht entscheiden. Was meinst du denn, Erwin? Wollen wir eher das Leuchtturmmotiv oder das Strandmotiv nehmen? Aber das alte Friesenhaus wäre auch nett. Ich finde ja diese Architektur ganz entzückend.«
Matei, die sich um die Kundschaft bemühte, schätzte die Dame auf Anfang fünfzig. Sie sächselte stark und glich von der Statur her ihrem rundlichen Ehemann, dessen gelangweilter Gesichtsausdruck darauf hinwies, dass er nicht sonderlich viel davon hielt, seine Frau bei der Auswahl des passsenden Motivs zu unterstützen. Matei kannte dieses Verhalten bereits. Männer und Nippesläden passten nur selten zusammen.
»Wenn Sie möchten, können Sie doch alle drei Pötte erwerben. So müssen Sie nicht wählen«, schlug sie geschäftstüchtig vor. »Abwechslung ist eine feine Sache.«
»Ja schon«, antwortete die Dame zögerlich. »Allerdings müssen bei mir solche Dinge schon zusammenpassen. Die Teller und Teekannen sind auch sehr hübsch. Ein gesamtes Service wäre nett. Vielleicht für vier Personen. Wissen Sie, freitags kommen immer meine Damen zum Nachmittagskaffee zu uns. Das ist eine solch schöne Gewohnheit geworden. Zuerst wird geplaudert, und danach spielen wir noch Karten. Mit einem so hübschen Geschirr von der Insel Sylt könnte ich da natürlich Eindruck machen. So etwas bekommt man bei uns gar nicht.«
»Das hört sich nach einem netten Zeitvertreib an«, meinte Matei. »Ich kann Ihnen nur leider bei der Motivwahl nicht sonderlich hilfreich sein. Mir gefallen alle Bilder gleichermaßen gut. Wenn Sie möchten, können Sie für Ihren heimischen Kaffeeklatsch gerne noch von unseren köstlichen Friesenkeksen mitnehmen. Sie werden nach unserem Spezialrezept liebevoll von Hand gefertigt und schmecken himmlisch.« Matei deutete auf eines der Wandregale, das bis obenhin mit dem leckeren Backwerk gefüllt war.
»Das hört sich hervorragend an«, freute sich die Kundin. »Was meinst du dazu, Erwin? Ein Service mit vier Gedecken und eine Teekanne? Ich glaube, ich wähle die reetgedeckten Häuser. Sie sehen so herrlich idyllisch aus. Dazu vier Packungen von den Keksen. Die könnte ich auch als Mitbringsel verschenken.« Sie sah ihren Ehemann an, der ein brummelndes Geräusch von sich gab, was die Dame wohl als Zustimmung ansah, denn sie sagte Matei den Kauf zu. Matei musste ein Grinsen unterdrücken. Es war offensichtlich, wer bei den beiden das Sagen hatte. Sie machte sich daran, die Pötte und Teller einzupacken. Da das Paar mit dem Automobil nach Keitum gekommen war, stellte der Transport kein Problem dar. Matei kassierte ab, und die Dame verabschiedete sich mit strahlenden Augen und dem Versprechen, dass sie bald zu einem weiteren Kaffeestündchen in ihren entzückenden Kaffeegarten wiederkommen würden. Als sie fort waren, atmete Matei erleichtert auf. Liebe Güte. Das hatte gedauert. Sie hatte schon geglaubt, die Dame würde sich gar nicht mehr entscheiden. Aber immerhin war am Ende ein gutes Geschäft dabei herausgesprungen, also waren ihre Mühen nicht umsonst gewesen.