Der kalte Glanz des Bösen – Thriller | Für das Leben ihrer besten Freundin muss sie alles riskieren: Hochspannung in Afrika für die Fans von J.D. Robb und Karen Rose - Madge Swindells - E-Book
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Der kalte Glanz des Bösen – Thriller | Für das Leben ihrer besten Freundin muss sie alles riskieren: Hochspannung in Afrika für die Fans von J.D. Robb und Karen Rose E-Book

Madge Swindells

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Beschreibung

Die blutroten Abgründe Afrikas: Der Thriller »Der kalte Glanz des Bösen« von Erfolgsautorin Madge Swindells jetzt als eBook bei dotbooks. Wenn ein Sonnentag zum Albtraum wird … Christine freut sich so für ihre Freundin Sienna – denn sie ahnt nicht, dass die Tochter aus bestem Hause in eine arrangierte Ehe gezwungen wird, bei der geschäftliche Interessen wichtiger sind als Gefühle. Doch dann wird die Braut am Tag ihrer Hochzeit mitten in London brutal entführt und Christine bei dem Versuch, ihr zur Hilfe zu eilen, verletzt. Noch im Krankenhaus bekommt sie überraschenden Besuch: Der ebenso charmante wie undurchsichtige Benjamin Searle will die Anwältin mit der blütenreinen Weste für seine Agentur rekrutieren, die nur auf den ersten Blick harmlos wirkt: Hinter ihr verbirgt sich ein Netz von Industriespionen – und möglicherweise die einzige Chance, Sienna zu finden. Doch dafür muss Christine nach Afrika reisen und tief eintauchen in die Welt der Blutdiamanten, des Verbrechens und des internationalen Terrors … Ein mitreißendes Leservergnügen für alle Fans von Karen Rose und Lisa Jackson: »Nervenaufreibende Spannung und eine ergreifende Liebesgeschichte – exzellente Unterhaltung!« Booklist Jetzt als eBook kaufen und genießen: der mitreißende Spannungsroman »Der kalte Glanz des Bösen« von Madge Swindells. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 532

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Über dieses Buch:

Wenn ein Sonnentag zum Albtraum wird … Christine freut sich so für ihre Freundin Sienna – denn sie ahnt nicht, dass die Tochter aus bestem Hause in eine arrangierte Ehe gezwungen wird, bei der geschäftliche Interessen wichtiger sind als Gefühle. Doch dann wird die Braut am Tag ihrer Hochzeit mitten in London brutal entführt und Christine bei dem Versuch, ihr zur Hilfe zu eilen, verletzt. Noch im Krankenhaus bekommt sie überraschenden Besuch: Der ebenso charmante wie undurchsichtige Benjamin Searle will die Anwältin mit der blütenreinen Weste für seine Agentur rekrutieren, die nur auf den ersten Blick harmlos wirkt: Hinter ihr verbirgt sich ein Netz von Industriespionen – und möglicherweise die einzige Chance, Sienna zu finden. Doch dafür muss Christine nach Afrika reisen und tief eintauchen in die Welt der Blutdiamanten, des Verbrechens und des internationalen Terrors …

Über die Autorin:

Madge Swindells wuchs in England auf und zog für ihr Studium der Archäologie, Anthropologie und Wirtschaftswissenschaften nach Cape Town, Südafrika. Später gründete sie einen Verlag und brachte vier neue Zeitschriften heraus, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Bereits ihr erster Roman, »Ein Sommer in Afrika«, wurde ein internationaler Bestseller, dem viele weitere folgten.

Die Website der Autorin: www.madgeswindells.com

Bei dotbooks veröffentlichte Madge Swindells ihre großen Familien- und Schicksalsromane »Ein Sommer in Afrika«, »Die Sterne über Namibia«, »Eine Liebe auf Korsika«, »Die Rose von Dover«, »Liebe in Zeiten des Sturms«, »Das Erbe der Lady Godiva« und »Die Löwin von Johannesburg« sowie ihre Spannungsromane »Zeit der Entscheidung«, »Im Schatten der Angst« und »Gegen alle Widerstände«.

***

eBook-Neuausgabe Juni 2020

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2006 unter dem Originaltitel »Hot Ice« bei Allison & Busby, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Das kalte Herz der Wüste« bei Bastei Lübbe.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2006 by Madge Swindells.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2008 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/Audrius Merfeldas, jessicahyde, exshutter

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-267-7

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Madge Swindells

Der kalte Glanz des Bösen

Thriller

Aus dem Englischen von Michaela Link

dotbooks.

Mit Dank an Peter Archer, Jenni Lajzerowicz, Louise Watson und Shelley Power für ihre wertvollen redaktionellen Ratschläge.

Kapitel 1

Die Rechtsanwältin und Wirtschaftswissenschaftlerin Christine Winters ist das jüngste Wunderkind in ihrer Kanzlei; gierig macht sie sich über einen Fall nach dem anderen her und berechnet einen Stundenlohn von zweihundertfünfzig Pfund. An der Ampel kurz vor dem Dorchester Hotel bleibt sie stehen, schaut ungeduldig auf die Uhr und fragt sich, welche Folgen es haben wird, dass sie heute viel zu spät zur Arbeit kommen wird. Der Hochzeitszug hat Verspätung, aber sie möchte unbedingt einen Blick auf Sienna Sheik erhaschen ‒ ihre Freundin aus Schultagen heiratet heute. Seit Tagen wimmelt es in den Medien von Bildern der schönen jungen Frau der Londoner High Society, die in einer privaten Zeremonie im Dorchester einen wohlhabenden, mit ihr nur entfernt verwandten Cousin heiraten und zur Feier des Tages anschließend eine opulente Party geben wird. Es ist eine arrangierte Ehe, und dahinter steckt Mohsen Sheik, der Vater der Braut und Indiens millionenschwerer »Diamantenkönig«.

Chris wischt sich mit einem Taschentuch über die Stirn. Ist es wirklich so heiß und feucht, oder sind das die Nachwirkungen des Weins, den sie während eines langweiligen, aber notwendigen Geschäftsessens getrunken hat? Sie blinzelt gegen die untergehende Sonne und sieht, wie eine lange Schlange von mit Blumenarrangements geschmückten, überlangen Limousinen langsam heranrollt. Als sie Einzelheiten erkennen kann, bestaunt sie mit offenem Mund die edlen, bunten Seiden- und Satingewänder, die blitzenden Augen der attraktiven Männer, ihre prächtigen Turbane, Juwelen und leuchtenden Anzüge. Auch die Frauen sind atemberaubend gekleidet; jede von ihnen ein Paradiesvogel! Jetzt ist sie froh, dass sie die Einladung zum Hochzeitsempfang ausgeschlagen hat. Früher einmal waren sie füreinander wie Schwestern, doch heute leben sie in verschiedenen Welten.

Mit wild klopfendem Herzen beobachtet Chris, wie Sienna im Fond eines grauen Daimlers vorbeifährt. Das schimmernde, juwelenbesetzte, blaugoldene Gewand der Braut verschlägt ihr beinahe den Atem. Wie schön Sienna ist! Das glänzende, schwarze Haar fällt ihr lose über die Schultern, halb verborgen von einem glitzernden, blauen Schleier. Chris gelingt es, einen Blick auf die vertrauten, klaren, braunen Augen zu werfen. Sie wirken ungewöhnlich traurig, und das rührt sie. Plötzlich bemerkt Sienna Chris und beugt sich vor, um ihr zuzuwinken, aber der Wagen fährt weiter. Mit wilden Gesten zeigt sie auf das Rückfenster hinaus, um Chris zu bedeuten, ins Dorchester nachzukommen.

Die Ampel springt auf Rot, und die Hälfte des Konvois bleibt stehen. Der Brautwagen verlangsamt das Tempo, als zwei Autos in die falsche Fahrtrichtung herangeprescht kommen und dann so scharf bremsen, dass es nach verbranntem Gummi stinkt. Chris prallt erschrocken zurück und kommt an der Ampel zum Stehen. Um sie herum erklingt hysterisches Geschrei, Waffen blitzen auf, und bewaffnete Männer mit Masken rennen brüllend über die Straße zum Brautwagen. Auf der anderen Straßenseite laufen acht weitere maskierte Männer auf Siennas Wagen zu, Schüsse fallen. Chris hat das Gefühl, sie sei mitten in einen Matrix-Film hineingeraten. Das alles kann unmöglich real sein, denkt sie.

Einige Gäste lassen ihre Autos stehen und flüchten in die umliegenden Läden, aber die meisten von ihnen bleiben stocksteif und aufrecht sitzen, als warteten sie darauf, dass sich die Normalität wieder einstellt. Eine Trillerpfeife ertönt, ein nicht enden wollendes schrilles Pfeifen. Vor Chris spritzt Blut auf die Straße, ein bewaffneter Mann ist aus einem Wagen gefallen und bleibt mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Asphalt liegen. Der Anblick seines Körpers ist für Chris wie ein Startschuss, und sie rennt mit trainierten Bewegungen los.

Zwei bewaffnete Männer haben währenddessen den Wagenschlag der Brautlimousine aufgerissen. Sie versuchen, Sienna herauszuzerren, aber sie klammert sich fest, ihr Kleid zerreißt, und sie verliert ihren Schleier. Die Zeit scheint stillzustehen.

»Hilfe! Helft mir doch!«

Jetzt haben sie Sienna aus dem Wagen gezogen, niemand hilft ihr. Ihre Leibwächter sind auf der Rückbank zusammengebrochen. Die Türen eines grünen Möbelwagens, unauffällig am Straßenrand geparkt, öffnen sich. Die Männer versuchen, sie zu dem Möbelwagen hinüberzustoßen, und Sienna schreit und wehrt sich mit Händen und Füßen.

Eine Stimme aus dem dunklen Inneren bellt: »Schneller! Schneller! Schneller!« Ein Rap-Albtraum mit Gewehrschüssen als Percussion.

Als Chris lossprintet, bedauert sie erneut, den Wein getrunken zu haben. Zu langsam! Warum bin ich so langsam? Siennas seidener Ärmel ist zerrissen, und man kann ihre nackte Schulter sehen.

»Zurück … zurück!«, brüllt einer der Bewaffneten.

Keuchend nimmt Chris die letzten Meter im Sprung, die Hände ausgestreckt, um nach Sienna zu greifen.

Mit letzter Kraft bekommt sie eine Hand voll Seide zu fassen, dann wird die schreiende Sienna auch schon in den dunklen Wagen gezerrt. Die bewaffneten Männer springen hinter ihr hinein und schießen wild um sich. Chris’ Welt beginnt sich zu drehen.

Dem echten Leben fehlt ein guter Regisseur, überlegt sie, während sie das Geschehen zu ihrem Erstaunen von einem Blickwinkel irgendwo hoch über ihrem Kopf beobachtet. Vorher hätte sie das nie für möglich gehalten.

***

Chris öffnet die Augen und schließt sie sofort wieder. Sie fühlt sich absolut grauenhaft. Ihr dreht sich der Magen um, Mund und Kehle stehen in Flammen, der Kopf droht zu explodieren, und sie hat das Gefühl, sich in Zeitlupe im Kreis zu bewegen. Schließlich nimmt sie allen Mut zusammen und öffnet die Augen wieder. Ein Mann in einem weißen Kittel beugt sich über sie, und sie nimmt einen starken Geruch nach Desinfektionsmitteln wahr.

»Wo bin ich?«

»Sie sind auf der Wachstation des University College Hospital, Christine. Ich bin einer Ihrer Ärzte, Tim Rose. Wir haben Ihnen die Kugel aus der Schulter geholt und Sie wieder zugenäht. Es ist nur eine Fleischwunde. Sie werden im Nu wieder auf den Beinen sein.« Die Augen des Arztes leuchten voller Bewunderung und Anerkennung. Es geht deutlich darüber hinaus, was man den üblichen fachgerecht guten Umgang mit Patienten nennen würde, befindet Chris.

»Ich habe meine Sache ziemlich gutgemacht, wenn ich das mal so sagen darf. In einem Jahr werden Sie nicht einmal mehr eine Narbe sehen. Nichts, was Ihre Schönheit ruinieren könnte.« Seine Hände bleiben länger als notwendig auf ihren liegen, und seine Augen leuchten weiter.

»Wann darf ich wieder nach Hause?« Chris kann kaum sprechen, so wund ist ihr Rachen.

»Sie haben das Bewusstsein verloren, als Sie gestürzt sind, daher haben Sie eine leichte Gehirnerschütterung. Aber wir haben Sie geröntgt, und es scheint alles in Ordnung zu sein. Wir werden Sie einige Tage dabehalten, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Erinnern Sie sich überhaupt an irgendetwas?«

»Ein wenig … es fällt mir langsam wieder ein.«

»Ich komme später noch einmal zurück, um nach Ihnen zu sehen.«

Sie denkt eine Weile nach. Eingerahmt von den sich schließenden Türen des Umzugswagens hat sie Siennas verzweifeltes Gesicht gesehen, ein Bild, das sich ihr ins Gedächtnis gebrannt hat. »Was ist mit Sienna passiert?«, fragt sie laut.

»Mit wem? Ah! Mit der Braut.« Ihr Krankenpfleger ist hochgewachsen, halb orientalischer Abstammung und sieht freundlich aus. »Sie ist entführt worden. Ihr Vater ist den Medien zufolge Millionär. Ich schätze, man wird ein Lösegeld verlangen. Manchmal ist es wohl besser, arm zu sein so wie ich.«

Trotzdem würde ich sagen, dass heute Ihr Glückstag ist. Selbst ich könnte aus dieser Entfernung besser schießen, und ich habe noch nie eine Waffe in der Hand gehabt. Sie werden in einigen Tagen wieder zu Hause sein … zumindest sagt das der Arzt … solange Sie versprechen, sich nicht in allzu viele bewaffnete Überfälle einzumischen. Wir fahren Sie jetzt auf die Station. Wir sind voll belegt, daher bringen wir Sie in der Abteilung für Tropenkrankheiten unter, aber machen Sie sich keine Sorgen, da gibt es keine Parasiten: Sie vertragen das kalte Wetter nicht. Hm, ich übrigens auch nicht.«

Während sie auf den Aufzug warten, führt der Krankenpfleger mit seiner sanften Stimme mit deutlichem Londoner Akzent einen weitschweifigen Monolog. Schließlich erreichen sie den fünften Stock, und der Mann rollt ihr Bett durch einen beigefarbenen Flur in ein Zweibettzimmer, das von einem geblümten Vorhang unterteilt wird. Zwei uniformierte Polizistinnen haben dort gewartet und treten sofort an ihr Bett. Gleichzeitig kommt die Stationsschwester herein.

»Einen Moment«, sagt die Schwester. »Dr. Rose hat Anweisung gegeben, dass Sie noch eine ganze Weile warten müssen.

Warum kommen Sie nicht später zurück? Eile mit Weile«, fügt sie hinzu, während sie Chris gemeinsam mit dem Pfleger auf das Stationsbett hebt. Dafür, dass es sich »nur« um eine Fleischwunde handelt, ist die Prozedur höllisch schmerzhaft. Die Schwester begleitet die Polizistinnen aus dem Raum.

»Wasser, bitte«, krächzt Chris. »Und können Sie mir sagen, wie ich angeschossen worden bin?«

»Sie haben versucht, diese arme junge Frau zu retten, und angeschossen hat Sie einer der Entführer. Erinnern Sie sich nicht?«

»Es kommt mir wie ein Traum vor, aber der Schmerz ist durchaus real.«

»Es wird noch schlimmer werden, bevor es dann besser wird. Nippen Sie an dem Wasser, und spucken Sie es aus. Nicht schlucken.« Der Pfleger reicht ihr ein Glas, und Chris kostet es eine ungeheure Anstrengung, den Kopf zu heben.

»Sie dürfen Morphium bekommen, also klingeln Sie, wenn Sie es brauchen. Man hat Ihnen zwar im OP eine Injektion gegen die Schmerzen gegeben, aber wenn der Schmerz wiederkommt … Unnötiges Leiden hat keinen Sinn. Die Polizei möchte wissen, was Sie gesehen haben, aber Sie brauchen mit niemandem zu reden, bevor Sie sich nicht stark genug dazu fühlen. Glücklicherweise hat irgendjemand dem Krankenwagenfahrer Ihre Tasche und Ihr Portmonee gegeben. Beides liegt an der Rezeption, und man wird es bald nach oben schicken. Die Medien waren übrigens auch schon hier. Ihr Arzt hat den Leuten gesagt, sie sollen später zurückkommen. Ihre verrückte Aktion hat Sie berühmt gemacht.«

Warum berühmt? Sie hat versagt, und das schmerzt ebenso sehr wie die Wunde. Am Ende schließt sie die Augen und versucht, sich nicht weiter zu erinnern.

***

Als sie aufwacht, ist es fast dunkel im Zimmer. Die Polizistinnen sitzen an ihrem Bett, und eine von ihnen, eine junge, blonde Frau, stellt sich und ihre Chefin vor, Letztere als einen Detective Inspector.

»Sie sind eine Heldin«, erklärt die erste Beamtin. »Passanten zufolge sind Sie gesprintet wie ein Profi.«

»Sie sollten dergleichen Dinge aber eigentlich der Polizei überlassen.« Die Inspektorin spricht mit einem leichten schottischen Akzent. »Wir sind ausgebildet und haben die richtige Ausrüstung für so etwas.«

»Aber Sie waren nicht da«, murmelt Chris.

»Sie können von Glück sagen, dass Sie noch leben. Erzählen Sie uns bitte alles, woran Sie sich erinnern können. Fangen Sie mit den Bewaffneten an. Wie haben sie ausgesehen?« Die Sergeantin holt ihr Notizbuch heraus.

Chris schließt die Augen und versucht, sich die grauenhafte Szene noch einmal in Erinnerung zu rufen. Sie ist überrascht, wie viel tatsächlich haften geblieben ist.

»Ich habe mit Ihrer Mutter gesprochen, Chris«, sagt die Sergeantin. »Sie hat mir erzählt, dass Sie rhythmische Gymnastik machen, außerdem akrobatisches Tanzen, Kampfsport und Kickboxen. Eine interessante Auswahl an Sportarten für eine Rechtsanwältin.«

Chris lacht. »Als Rechtsanwältin bin ich häufig ziemlich hohem Stress ausgesetzt. Sport ist die beste Art, sich abzureagieren.«

Schließlich stecken die Polizistinnen ihre Notizbücher wieder ein und stehen auf.

»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, erklärt die ranghöhere Beamtin. »Ich habe veranlasst, dass Sie rund um die Uhr Polizeischutz bekommen, das heißt, solange Sie hier sind, wird ständig jemand direkt vor Ihrem Zimmer stehen.«

Und was passiert, wenn ich entlassen werde?, fragt Chris sich.

***

Am nächsten Morgen trifft die Krankenschwester mit den großen Augen Chris in euphorischer Stimmung an ‒ wohl wegen des Morphiums, so viel ist Chris klar. Die Schwester sagt, es seien Leute vom Fernsehen da, und fragt, ob sie sie hereinlassen dürfe. Chris stützt sich auf ihren gesunden Ellbogen.

»Ich fühle mich etwas benommen. Würden Sie mir bitte das Wasser herübergeben?«, fragt sie die Krankenschwester.

Die Reporterin, eine junge, fürsorglich wirkende Frau in Jeans und schwarzer Strickjacke schüttelt ihr mit ernster Miene die Hand. Sie hat strähniges, glattes Haar, trägt keinerlei Make-up und stellt sich schlicht als Jane Irving vor. Der Kameramann murmelt: »Hi.« Er ist groß und geht gebeugt, und mit seinem langen, grauen Haar und den müden Augen sieht er aus wie ein in die Jahre gekommener Hippie.

»Was genau haben Sie gedacht, Chris, als Sie dem Opfer zu Hilfe geeilt sind, angesichts der bewaffneten Entführer?«, fragt Jane.

»Ich dachte … ich nehme an, ich dachte, dass ich sie vielleicht lange genug würde aufhalten können, bis Hilfe da wäre.«

Die simple Wahrheit ist, dass sie überhaupt nichts gedacht hatte. Dazu war gar keine Zeit gewesen. Chris tut ihr Bestes, um die Fragen der Journalistin zu deren Zufriedenheit zu beantworten, aber sie ist furchtbar müde. Als sie vor Erschöpfung richtiggehend anfängt zu lallen, bringt die Krankenschwester die Besucher hinaus, und Chris fällt in einen tiefen, aber unruhigen Schlaf.

Kapitel 2

Als sie den Klang einer Stimme wahrnimmt, schlägt Chris widerstrebend die Augen auf. Draußen wird es langsam dunkel, und das kommt ihr eigenartig vor. Ihre Nachtschwester beugt sich über sie. »Welchen Tag haben wir heute? Ich verliere langsam den Überblick.«

»Donnerstag.«

»Dann ist es also erst mein zweiter Tag. Ist das möglich? Mir kommt es so vor, als wäre ich schon ewig hier.«

Sie hat seit dem Mittagessen geschlafen. Sonst gibt es ohnehin nicht viel anderes zu tun. Sie starrt zur Decke und grübelt über die Ironie des Lebens nach, zum Beispiel darüber, dass sie versprochen hat, verlorenen Schlaf wieder aufzuholen, aber jetzt, da sie die Möglichkeit dazu hat, vor lauter Langeweile gar nicht weiß, wohin mit sich. Sie will nach Hause, aber jede Bewegung tut höllisch weh. Es sind die gerissenen Muskeln und Bänder, die für die Schmerzen verantwortlich sind, hat ihr der attraktive Chirurg mit der erotischen Ausstrahlung erklärt. Sie rutscht auf dem Rücken das Bett hinunter, klemmt die Füße unter die eiserne Querstange und setzt sich auf. Verdammt! Es ist die reine Qual. Wenn das »nur« eine Fleischwunde ist, wie würde sich dann eine ernsthafte Verletzung anfühlen? Sie will es wirklich nicht wissen. Nachdem sie die Füße auf den Boden geschwungen hat, steht sie vorsichtig auf. Schwester Brendan beobachtet sie.

»Keine Sorge. Bis zum Badezimmer werde ich es schon schaffen.«

Die Schwester reckt den Daumen hoch und lächelt mitfühlend. Sie ist eine liebenswerte, geduldige Frau mit freundlichen Augen und einem Gesicht, das zu Geständnissen einlädt. Sie besitzt jene Art von Schönheit, für die man einen Blick haben muss ‒ aber wenn dem so ist, wird man sie auch unweigerlich entdecken, überlegt Chris. Eines Tages wird ein cleverer Arzt sie ergattern.

»Rufen Sie mich, wenn Sie mich brauchen. Sie haben übrigens Besuch.« Schwester Brendan wirft ihr ein vertrauliches, wissendes Lächeln zu.

»Meine Mutter?«

»Nein. Ein Freund. Gegen einen Freund wie ihn hätte ich auch nichts … er erinnert mich an jemand, aber im Augenblick komme ich nicht drauf, an wen.«

Chris trödelt im Badezimmer herum. Typisch, befindet sie. Bei ihrer Einlieferung hat die Rezeption ihre Mutter angerufen und sie gebeten, Bücher, Nachtwäsche und Toilettenartikel mitzubringen, die ihre Mutter dann auch pflichtschuldig bei der Schwester abgeliefert hat. Seither ist sie nicht wiederaufgetaucht. Aber wen wunderte das! Ihre Mutter hatte sie auch nicht besucht, als man ihr die Mandeln herausnahm, ebenso wenig wie an dem Tag, an dem sie mit zwölf Jahren in der Zirkusschule vom Trapez gefallen war. Ihre Mum ist ein wenig wie ein Staubsauber: Sie saugt Liebe und Fürsorge ein und stößt nichts als recycelte Luft wieder aus. Traurigerweise ist ihr die Fähigkeit zu lieben verwehrt geblieben. Außerdem machen ihr Krankenhäuser Angst. Trotzdem ist das Zimmer voller Früchte und Blumen von Mandanten und Arbeitskollegen, außerdem steht auf dem Nachttisch ein Strauß exotischer Orchideen von Siennas Vater, mit einer schlichten Nachricht: »Vielen Dank. Ich werde mich später melden, aber noch nicht sofort. M. Sheik«

Die Krankenschwester schüttelt gerade die Kissen auf, als Chris zurückgehumpelt kommt und sich ins Bett sinken lässt. »Nein, nein. Ich komme schon zurecht. Ich muss zurechtkommen.«

»Dann werde ich jetzt Benjamin Searle hineinschicken, in Ordnung?«

Der Name sagt ihr nichts. »Was ist aus dem Abendessen geworden?«

»Wir wollten Sie nicht wecken. Ich werde es Ihnen aufwärmen, wenn Ihr Besuch gegangen ist.«

»Danke. Dann können Sie ihn jetzt hereinschicken.«

Wenn Augen ein Spiegel der Seele sind, dann ist ihr Besucher sexy, clever, humorvoll, sensibel, scharfsinnig und zärtlich. An dieser Stelle verbietet sie sich weiterzudenken. »Womit haben die Ärzte mich hier vollgepumpt? Ich habe seit Monaten keinen begehrenswerten Mann mehr gesehen.«

Chris erkennt ihm fünf Sterne zu, im Wesentlichen für seine ausdrucksvollen Augen, während sie gleichzeitig die Tatsache akzeptiert, dass es auch eine Schattenseite geben muss.

»Ben Searle«, sagt der Fremde. Er hält ihr mit einem zaghaften Lächeln die Hand hin. »Ich habe die Krankenschwester und den Wachposten von der Polizei belogen und behauptet, ich sei ein enger Freund. Tut mir leid, aber ich muss mit Ihnen reden. Ich arbeite an einer Untersuchung, die in gewisser Weise mit der Entführung Zusammenhängen könnte. Um ehrlich zu sein, ich habe Sie im Fernsehen gesehen. Ihr Mut hat mich beeindruckt. Ich hatte gehofft, dass Sie vielleicht einige der Verbrecher beschreiben können.«

Was, wenn sie das tatsächlich konnte? Plötzlich wird ihr bewusst, dass sie ihm unbehaglich nah ist. Würde er eine Pistole aus der Tasche ziehen oder etwas, das weniger Lärm machte, wie zum Beispiel eine handliche, in jede Hosentasche passende Garotte? Sexy auszusehen ist schließlich keine Garantie für ein unbescholtenes Leben. Sie ist Augenzeugin eines ernsten Verbrechens, und er könnte einer der Kriminellen sein. Sie blickt durch die Glasscheiben zu dem Polizisten hinüber, doch der dreht ihr den Rücken zu.

»Haben Sie einen Ausweis?«

»Sehr vernünftig von Ihnen.« Er holt eine Karte hervor. Darauf steht: Benjamin Searle, Financial Investigations Inc. Außerdem sind dort auch seine Qualifikationen aufgeführt, die eigenartigerweise den ihren ähneln ‒ Recht und Finanzen. Von der Firma hat Chris oft genug gehört. Sie hat ihren Sitz in Amerika, unterhält aber seit fünf Jahren auch eine Filiale in London. Sie arbeiten im Wesentlichen für Regierungen und multinationale Konzerne und stellen Ermittlungen auf so ziemlich allen Gebieten an, die mit Politik oder Marketing Zusammenhängen. Der Ausdruck »Industriespionage« vermochte sie zwar nicht zu beeindrucken, denkt Chris, aber genau das ist es, womit diese Firma sich im Wesentlichen beschäftigt. Trotzdem, eine gedruckte Visitenkarte kann jeder haben.

»Industriespionage«, murmelt sie und lächelt in sich hinein. Searle reagiert sofort.

»Das ist ein Wort, das wir nicht gern hören, Miss Winters.«

»Oh, nennen Sie mich bitte Chris.«

»Und ich bin Ben.«

Er zieht sich einen Stuhl heran und setzt sich.

Chris lässt sich auf der gegenüberliegenden Seite aus dem Bett gleiten. »Könnten Sie vielleicht einen Moment warten, bis ich mich frisch gemacht habe?« Sie greift nach ihrer Tasche und ihrem Morgenrock, eilt so schnell sie kann hinüber zum Badezimmer und schließt die Tür. Einige Sekunden später wählt sie die Nummer ihres Sekretariats. »Mir geht es gut«, flüstert sie.

»Wirklich. Aber ich kann jetzt nicht reden. Rufen Sie die Nummer an, die ich ihnen gleich durchgebe, und bitten Sie jemanden, Ihnen Benjamin Searle zu beschreiben. Er ist angeblich einer ihrer Ermittler, und er ist hier. Rufen Sie mich bitte gleich zurück. Es ist dringend. Und danke.«

Die Antwort lässt lange auf sich warten. Chris hat den Wasserhahn aufgedreht.

»Sind Sie noch da, Chris?«

»Klar.«

»Seine Sekretärin meinte, er sähe aus wie Ralph Fiennes: Braunes Haar, braune Augen, etwa einen Meter achtzig groß … oh … und verheiratet mit drei Kindern. Das hat sie extra betont. Vielleicht hat sie selbst ein Auge auf ihn geworfen. Ich schätze, ich würde es wahrscheinlich tun.«

»Danke. Gut gemacht.«

Chris kehrt ins Zimmer zurück. »In Ordnung. Sie haben bestanden. Also, was wollen Sie wissen, Mr. Searle?«

Er wirkt amüsiert. »Diese maskierten Angreifer, die Sie aus der Nähe gesehen haben … handelte es sich um Ausländer? Sie haben gesagt, die Männer hätten Masken getragen, aber was für einen Eindruck haben sie auf Sie gemacht?«

»Was für einen Eindruck? Ich hatte vor allem Angst«, antwortet sie bemüht scherzhaft.

»Sie sind einem der Entführer sehr nahe gekommen. Habe ich nicht Recht?«

Sie nickt. »Eine Sache geht mir nicht aus dem Kopf. In den Ein-Uhr-Nachrichten hieß es, dass Al Kaida möglicherweise für den Überfall verantwortlich ist, aber diese Gangster … es ist schwer zu erklären … die Art von Arroganz, die oft mit Fanatismus einhergeht, die hatten sie einfach nicht. Sie waren schlicht und einfach Gangster, und sie schienen mir übermäßig angespannt und nervös zu sein. Ich hatte das Gefühl, dass sie noch nie zuvor etwas derart Schwerwiegendes getan hatten, und auch, dass sie normalerweise nicht zusammenarbeiteten. Das Ganze ist keineswegs glatt über die Bühne gegangen. Es gab eine Menge Geschrei, und sie haben geflucht, mit einem starken nordenglischen Akzent. Nur vier der acht Männer hatten dunkle Haut.«

»Sind Sie sich sicher?«

»Absolut. Einer von ihnen, derjenige, der mich angeschossen hat, war sogar sehr hellhäutig, und an seinen Handgelenken und am Hals hatte er blassrote Haare.« Zum dritten Mal erzählt sie alles, woran sie sich erinnern kann. »Gibt es irgendwelche Neuigkeiten von Sienna?«, fragt sie.

»Leider nicht«, murmelt er, ohne aufzublicken, und lässt den Blick über sein Notizbuch wandern.

Aber das ist auch nicht sein Problem. Entführung ist etwas, für das ausschließlich die Polizei zuständig ist. Also, welches Interesse hat Ben Searle an der Entführung?

Chris lehnt sich zurück und schließt die Augen. In den letzten Nächten hat sie von Sienna geträumt … eigenartige Bruchstücke der Vergangenheit und Gegenwart, die sich zu einem Kaleidoskop absurder und vollkommen sinnloser Bilder verbunden haben. In der Schule hat Sienna ihr zwar oft erzählt, dass ihrem Vater mehrere Diamantschleifereien gehören, aber in den Ein-Uhr-Nachrichten im Fernsehen wurde er als Indiens Diamantenkönig bezeichnet. Natürlich hat sie immer gewusst, dass Siennas Familie wohlhabend ist, daher nimmt sie auch an, dass es bei der Entführung um Lösegeld geht. Doch Ben glaubt offenbar, es bestünde eine Verbindung zu seinen Ermittlungen. Also, woran arbeitet er? Geht es um die Diamantenindustrie?

Er blickt auf. »Ich habe Ihnen schon gesagt, dass Sie mir von großem Nutzen sein würden. Ich glaube, Ihnen ist viel mehr aufgefallen, als Ihnen klar ist. Und Sie waren sehr schnell.«

»Im Gegenteil, ich habe eine Ewigkeit gebraucht, um loszulegen, und dann habe ich mich im Zeitlupentempo bewegt.«

»Das ist ein Irrtum. Ein Schock scheint unsere Zeitwahrnehmung zu verändern. Drei Augenzeugen haben berichtet, Sie seien losgeschossen wie ein Sprinter aus der Startmaschine. Ihrer Aussage zufolge hatten Sie den Möbelwagen fast erreicht, als Sie angeschossen wurden. Sie können von Glück sagen, dass der Schütze Sie verfehlt hat. Heldenhaft, aber töricht. Was hat Sie dazu gebracht, so etwas Verrücktes zu tun?«

»Wenn Sie es unbedingt wissen wollen, ich war angewidert von allen Anwesenden. Die Gäste waren völlig verängstigt und und liefen konfus durcheinander, die Gangster haben geschrien und wahllos drauflosgeschossen. Die Leute haben versucht sich zu verstecken, statt zu helfen. Nur zwei der bewaffneten Männer schienen zu wissen, was sie taten. Die anderen wirkten eher panisch. Ich dachte, ich hätte eine Chance, aber niemand hat mir geholfen. Anderenfalls …«

»Seien Sie nicht zu hart mit uns Menschen. Die meisten Leute waren nie in einen Kampf auf Leben und Tod verwickelt. Ich nehme nicht an, dass Sie selbst mit dergleichen Dingen Erfahrung haben.«

»Falsch.« Chris wendet den Blick ab und macht dicht. Warum sieht Searle sie so eigenartig und mit einem verstohlenen, grüblerischen Ausdruck an? Mit ihrem maskulinen Seidenpyjama, einem Arm in einer Schlinge und ohne Make-up kann sie ihn wohl kaum beeindruckt haben. Einige Frauen sind einfach Glückspilze, befindet sie, als ihr wieder einfällt, dass er verheiratet ist.

»Ja, hm, man könnte sagen, dass mein Leben aus einem Kampf nach dem anderen besteht, natürlich immer im Auftrag meiner Mandanten.«

»Sie sind also Rechtsanwältin«, murmelt Searle.

»Im Wesentlichen Unterhaltungsbranche und Medien. Eigenartigerweise haben wir so ziemlich die gleichen Qualifikationen, daher bin ich natürlich neugierig auf Ihre Arbeit und würde gern mehr darüber erfahren. Was genau haben Ihre Ermittlungen mit Diamanten zu tun?«

Die Frage scheint ihn zu verwirren, aber ihr offenkundiges Interesse verlangt eine Antwort.

»Natürlich ist das vertraulich, aber um es kurz zu machen, wir benutzen unseren Verstand und unsere Sachkenntnis, um etwaige Probleme zu lösen, auf die unsere Mandanten in der Finanzwelt oder bei ihren Marketingstrategien treffen. Häufig geht es einfach darum festzustellen, was die Konkurrenz im Schilde führt. In der Diamantenindustrie wimmelt es zurzeit nur so von Problemen.«

»Siennas Vater, Mohsen Sheik, wickelt den Löwenanteil der indischen Diamantexporte ab. Es muss Ihnen also um Preisabsprachen und künstliche Angebotsverknappung gehen …«

Ben sieht sie mit gerunzelter Stirn an. »Sprechen Sie bitte mit niemandem über dieses Thema, Chris. Sie durchschauen mehr, als vielleicht gut für sie ist.«

»Tut mir leid, dass ich Ihnen keine größere Hilfe bin.«

»Sie haben mir schon sehr geholfen. Danke. Kann ich Sie irgendwo erreichen? Haben Sie eine Karte?«

Chris greift nach ihrer Handtasche und gibt ihm eine. Als er gegangen ist, steigt Bedauern in ihr auf. Ist er es, oder ist es sein Lebensstil, was ihr so begehrenswert erscheint?

***

Sie hat nicht erwartet, Ben Searle so bald wiederzusehen, und so ist sie überrascht, als er früh am nächsten Morgen mit Blumen und Obst wieder an ihrem Bett steht.

»Hallo, Chris. Ich wollte nur auf einen Sprung vorbeischauen, um Ihnen etwas vorbeizubringen …«

»Und?«

»Und ich habe das Obst gewaschen.«

Sie zwingt sich, ihn nicht weiter zu fragen. Er wird ihr den Grund für seinen Besuch schon verraten, wenn er so weit ist. Chris steckt sich eine Weintraube in den Mund. »Danke … Nehmen Sie sich doch auch eine. Die Trauben sind köstlich.«

»Nein, danke. Sicher denken Sie sich, ich hätte die Sachen vorbeischicken können ‒ Sie haben natürlich Recht, aber ich musste Sie sehen. Es ist so…« Ben blickt nervös auf seine Hände, als frage er sich, wie er anfangen solle.

»Wir haben eine Stelle zu vergeben«, beginnt er und blickt auf, um festzustellen, ob sein Vorstoß eventuell zu offensiv ist und sie sich womöglich überrumpelt fühlt. »Die Arbeit hat ihre Schattenseiten: Lange Arbeitszeiten zum Beispiel, und man ist viel zu viel unterwegs. Wir suchen jemand ganz Besonderes. Sie haben die notwendigen Qualifikationen, aber für den Job braucht man außerdem Elan, Mut und die Fähigkeit, sehr schnell zu denken und zu handeln.« Er hält inne und sieht sie fragend an. Einmal mehr ist sie fasziniert von seinen ausdrucksvollen Augen.

»Hm, sprechen Sie weiter.«

»In Ordnung… Mut, Intuition, Sensibilität, moralische Integrität. Sie scheinen genau die Art Person zu sein, nach der wir suchen. Sie sind nicht verheiratet, oder?«

»In gewisser Weise schon.«

»In welcher Weise?«

»Ich unterstütze meine Mutter und lebe bei ihr, weil sie seit einiger Zeit nicht mehr allein sein kann.«

»Sie würden das Doppelte Ihres jetzigen Gehalts verdienen, und Sie wären sehr viel unterwegs. Aber die Arbeit ist aufregend. Sie würden sogar Ihren kreativen Intellekt mehr zum Einsatz bringen als ihre Fähigkeiten und Qualifikationen.«

»Also, wo ist der Haken?«

»Wie gesagt, Sie sind selten zu Hause. Der Job stellt das Familienleben auf den Kopf. Es kann zuweilen schon ein wenig haarsträubend sein, aber natürlich gibt es da strikte Grenzen …«

»Würden Sie mir das bitte genauer erläutern?«

»In Ordnung. Wir zögern zwar nicht, uns in Computer einzuhacken, aber wir vermeiden es, irgendwo einzubrechen. Natürlich gibt es in der Theorie eine feine Linie zwischen …«

»Ich verstehe, was Sie meinen«, unterbricht sie ihn.

»Ich dachte, ich fühle Ihnen mal auf den Zahn. Falls Sie Interesse haben, werden wir den Rest auf die übliche Weise abwickeln.«

»Und die wäre?«

»Unser Headhunter wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen. Dann folgen Treffen mit dem Geschäftsführer, Gespräche und so weiter.«

»Es ist genau das, was ich gerne machen würde, aber…« Chris holt tief Luft und sagt bedauernd: »Nein.«

Sie muss Rücksicht auf ihre Mutter nehmen.

Kapitel 3

Warum bin ich nur immer so verdammt verschlossen, fragt Chris sich wütend. Ich hätte Ben sagen sollen, dass Sienna meine Freundin ist! Und warum habe ich es nicht getan? Vielleicht weil ich es nicht ertragen hätte, ihm zu erklären, warum ich nicht zu ihrem Hochzeitsempfang gehen wollte? Sie schämt sich furchtbar.

Die Wahrheit ist sehr einfach: Die Einladung war bereits vor einigen Monaten angekommen, aber Chris hatte mit der Ausrede abgesagt, sie sei zu diesem Zeitpunkt im Ausland. In letzter Zeit ist sie zu der unangenehm nagenden Erkenntnis gelangt, dass sie ein Leben aus zweiter Hand führt, und das macht sie zornig. Eine Fortsetzung ihrer Freundschaft mit Sienna würde nur eine weitere Brücke in eine Welt darstellen, die nicht die ihre ist und es niemals sein kann. Der größte Teil ihrer Arbeit bringt sie mit Prominenten zusammen: Filmstars, Popstars und ihren Ehefrauen, Tänzerinnen, Modegurus und manchmal mit einem Fußballstar. Als erfolgreiche Medienanwältin kennt sie das Leben dieser Menschen bis in ihre intimen Details. Sie nimmt an ihren Partys teil, besucht sie in ihren luxuriösen Häusern, auf ihren Jachten und in ihren Jagdhütten, fängt sie zwischen Filmaufnahmen ab, um sie die notwendigen Verträge unterzeichnen zu lassen, hört sich ihre Probleme an und ertappt sich dabei, von ihren Skandalen fasziniert zu sein ‒ aber wenn alles vorüber ist, verbringt sie ihre Abende zu Hause mit ihrer Mutter. Wo also bleibt da ihr Leben?

Während der hektische Rhythmus der Londoner City wie der Donner eines fernen Gewitters um sie herum vibriert, bleibt Chris eine Gefangene ihres Gewissens. Die Erkenntnis, dass sie dem Aschenputtelsyndrom verfallen ist, drängt Chris dazu, sich ein Leben zu erobern … irgendein Leben … solange es nur ihr eigenes ist. Das Problem ist, dass sie den ganzen Tag arbeitet und keine Möglichkeit sieht, ihren Lebensstil zu ändern.

Die einzige schwache Geste, zu der sie sich überwinden konnte, war die Ablehnung von Siennas Einladung zu ihrer Hochzeit. Und das war eine wirklich große Leistung! Sienna war schließlich ihre beste Freundin, bis sie nach Oxford ging und Chris auf die London University. Alle Bitten Siennas, sie in den Ferien auf Wanderungen durch den Himalaja zu begleiten, zum Tauchen mit ihr zum Great Barrier Reef oder zum Skilaufen nach Peru zu fahren, hat sie seinerzeit aus rein praktischen Gründen abgelehnt: Sie konnte weder die Zeit noch das Geld erübrigen. Aber jetzt liegt Chris im Krankenhaus im Bett, trauert diesen versäumten Gelegenheiten nach und fragt sich, ob sie ihre Freundin jemals Wiedersehen wird. Wenn sie doch nur schneller gelaufen wäre. Sie hätte für Sienna da sein müssen, so wie sie in der Schule immer für sie da gewesen war. Auch wenn sie sich erinnert, dass es am Anfang nicht leicht war.

Ein Internat ist nicht der große Gleichmacher, als der es gern dargestellt wird. Was nutzte es schon, wenn sie alle die gleichen Uniformen trugen, das gleiche Essen aßen und den gleichen Einschränkungen unterworfen waren, was Taschengeld und Süßigkeiten betraf. Sie hatten Augen und Ohren, sie besuchten einander während der Ferien, und Klatsch und Tratsch verbreiteten sich schnell. Jeder wusste, dass vier der anderen Schüler auf Schlössern lebten, dass sechs von ihnen Titel erben würden, dass einer ein deutscher Graf war. Sie hatten sogar eine Prinzessin.

Sienna Sheik kam allein an, unauffällig wie ein Niemand. Sie war ein scheues, unbeholfenes Mädchen von vierzehn Jahren, das von Gott weiß woher nach Heathrow geflogen und mit dem Zug nach Bournemouth gefahren war, um den Rest des Weges mit einem Taxi zurückzulegen. Ihre Schulkleidung war kurz vor ihr eingetroffen; der Schulschneider hatte sie geschickt. Sienna mangelte es an Taschengeld und an Selbstbewusstsein, und sie besaß nur sehr elementare Englischkenntnisse. Die Schule hatte hohe akademische Maßstäbe; fünfundzwanzig Prozent der Schüler waren Stipendiaten, und sie alle vermuteten ‒ zu Unrecht, wie sich später herausstellte ‒, dass Sienna eine von ihnen war. Drei Tage nach ihrer Ankunft lief sie weg.

Am folgenden Morgen wurde Chris ins Büro des Direktors gerufen. »Sienna Sheik ist in eine Bäckerei gegangen und hat Brot gestohlen«, begann er grimmig. »Anscheinend hat sie kaum etwas gegessen, seit sie hier angekommen ist. Ich habe die Polizei und den Bäcker bewegen können, die Anklagen fallen zu lassen. Keiner von euch Schülern ist auf die Idee gekommen, ihr zu zeigen, wo der Speisesaal liegt, und niemand hat sie zu irgendwelchen Mahlzeiten begleitet.« Seine Stimme nahm einen Unheil verkündenden Unterton an. »Ihr Mädchen seid absolut unmenschlich … schlimmer als die Jungen.«

»Nun, wer hat sich diese Regel denn ausgedacht?«, gab Chris wütend zurück. Niemand durfte allein in den Speisesaal gehen. Die Schüler mussten zu zweit oder in Gruppen dort erscheinen, alles andere war verboten.

»Du vergisst wohl, wer ich bin«, sagte er eisig.

Chris hielt den Mund, und nach einer Weile beruhigte er sich etwas.

»Du nimmst kein Blatt vor den Mund, und du bist mehr als fähig, auf dich selbst aufzupassen, deshalb übertrage ich dir die Verantwortung für Sienna. Von nun an werdet ihr ein Zimmer teilen. Ermutige sie, Englisch zu sprechen, zeig ihr, wie hier der Hase läuft, und gib auf sie acht.«

»Warum ich? Das Ganze geht mich nichts an«, wandte sie aufgebracht ein. »Woher sollte ich wissen, dass sie nichts zu essen bekommt?«

»Ich hoffe, dass ein wenig von deiner … nennen wir es Hartnäckigkeit … auf Sienna abfärben wird. Sorge dafür, dass sie nicht schikaniert wird, weil sie Muslimin und dunkelhäutig ist, aber geh ein wenig diskret vor. Sorg dafür, dass sie isst. Das ist ein Befehl.«

»Das ist so unfair. Warum soll ich ihre Aufpasserin sein?«

»Du bist eine geborene Kämpferin, Christine, und du bist mit einem bemerkenswerten Verstand gesegnet, aber lass uns abwarten, wie du mit einer Aufgabe fertig wirst, für die dir das angeborene Talent fehlt. Es ist etwas, das du auf die harte Tour wirst lernen müssen. Etwas Neues für dich.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich spreche davon, für einen anderen Menschen zu sorgen.«

Seine kritische Analyse traf ins Schwarze und tat weh. Er dachte also, dass sie kein fürsorglicher Mensch war. »Das werden wir ja sehen«, murmelte sie verdrossen und machte sich auf die Suche nach Sienna.

Sie fand ihre neue Zimmergenossin hinter dem Pavillon. Die Jungen hatten einen Maulwurf in die Enge getrieben, einen von vielen, die ihr Fußballfeld ruinierten, und sie versuchten, das Tier mit Kricketbällen zu töten. Sienna hatte aber andere Vorstellungen und beschützte den Maulwurf. Trotzig schreiend stand sie da, während die Bälle ihre Beine trafen.

»Hört auf damit!«, brüllte Chris. »Seht nur, was ihr angerichtet habt. Sie hat schon lauter blaue Flecken. Der Direx ist auf dem Weg. Ihr haut besser ab.« Der Maulwurf nutzte die Gelegenheit, um unter den Pavillon zu flüchten, und die Jungen trollten sich wütend.

»Danke«, sagte Sienna, ohne sich umzudrehen.

»Hör zu, Sienna. Ich belege Sportkurse außerhalb des Stundenplans. Möchtest du vielleicht mitkommen? Wir könnten anschließend gemeinsam zum Abendessen gehen. Wie es aussieht, werden wir uns ein Zimmer teilen, also können wir ebenso gut direkt anfangen, uns besser kennen zu lernen.«

Sienna sah skeptisch aus, aber sie kam mit … wenn auch nur, um zuzusehen.

Trotz ihrer vierzehn Jahre war sie bisher noch nie zur Schule gegangen, stattdessen hatte sie Privatlehrer gehabt. Daher hatte sie niemals Ballspiele gespielt, niemals lange Wanderungen unternommen, sie war nie geschwommen, hatte nie gerudert, gesegelt, war nie Rollschuh oder Ski gelaufen. Sie hatte niemals die Schule geschwänzt, Unfug getrieben, einen Jungen geküsst oder getanzt. Es war, als befreie man einen Käfigvogel aus langer Gefangenschaft. Sienna musste Stück für Stück aus ihrem Schneckenhaus gelockt werden, aber trotz allem, was sie ihr beibringen konnte, konnte Chris von Sienna noch viel mehr lernen.

Doch zu guter Letzt war es ihr nicht gelungen, ihre Freundin zu retten, und Chris’ Schmerz über dieses Unvermögen dauert an. Wann immer sie einschläft, spult sich die Szene in ihren Träumen noch einmal ab: Sienna, die sich wild zur Wehr setzt, wie sie es ihr beigebracht hat, die nach den Gangstern tritt und um Hilfe schreit, aber die Hilfe kommt zu spät. Wo haben sie sie hingebracht? Wird man sie finden? Chris kann es nicht ertragen, daran zu denken, wie ihre Freundin leiden muss. Behandeln sie sie gut, oder ist sie bei lebendigem Leibe in einem Loch im Boden begraben, hat sie Angst, sieht sie dem Tod ins Auge?

Kapitel 4

Nachdem sie eine Woche lang im Krankenhaus Trübsal geblasen und sich Sorgen um Sienna gemacht hat, ist Chris überglücklich, entlassen zu werden. Draußen wartet eine große Welt auf sie, wartet ein Leben, das gelebt sein will, sagt sie sich, aber sie stellt bald fest, dass sich nichts verändert hat. An ihrem ersten Abend zu Hause liegt Chris der Länge nach auf dem Teppich im Wohnzimmer und versucht zu lesen, während ihre Mum ihre Lieblingssoap anschaut, ohne Chris zu fragen, ob sie lieber einen anderen Sender sehen würde. Chris schluckt ihren Ärger herunter. Früher einmal hat sie ihre Mutter leidenschaftlich geliebt, und die Intensität ihrer Gefühle hat ihr junges Leben beherrscht. Später kam die schmerzhafte Erkenntnis, dass ihre Mum nicht perfekt ist, ganz und gar nicht, daher empfindet sie mittlerweile eine Mischung aus Liebe und Verärgerung. Sie bewundert ihre stoische Einstellung allen Rückschlägen gegenüber und die Sorglosigkeit, mit der sie die Geschenke des Lebens annimmt ‒ Geschenke, die sie ohne Bedauern verschleudert, nicht zuletzt ihr begrenztes Geld. Ihre Mutter lebt das Leben mit einer gewissen Leichtigkeit. Sie sagt oft: »Warum soll ich mir groß Gedanken machen? Ich habe immer Glück. Irgendetwas wird sich schon ergeben.«

Und es ergibt sich tatsächlich immer etwas, weil Chris da draußen ist und kämpft, um zu siegen: für ihre Mum, für ihre Mandanten, für ihr tägliches Brot, für die Belastung auf einem halben Dutzend Kreditkarten und ihre Hypothekenraten.

Vor zwei Jahren gesellte sich dann Mitleid zu ihren gemischten Gefühlen für ihre Mutter, als sie eines Abends spät nach Hause kam und sie in Tränen aufgelöst fand. Sie rechnete hastig nach. Ihre Mum würde in einer Woche ihren achtundfünfzigsten Geburtstag feiern.

»Was ist denn los, Mum? Was ist passiert?«

»Es ist nichts … vielleicht Einsamkeit.« Ihre Mum behielt ihren Kummer stets für sich, und auch an diesem Tag sammelte sie ihre Bücher ein und floh in ihr Schlafzimmer.

Inzwischen kommt Chris, wenn die Arbeit es erlaubt, früh nach Hause, ihre Aktentasche voller Disketten. »Zu Hause« ist ihr bescheidenes Reihenhaus in Finchley. Und genau deshalb sind die zwanghaften Geselligkeiten mit ihren Mandanten zu den Highlights ihrer Tage geworden.

Neunundzwanzig ist ein hartes Alter für eine Frau. Die Dreißig lauert in den Kulissen wie ein in die Jahre gekommener Souffleur und flüstert Sätze, die niemand hören will, zum Beispiel: »Es ist weit nach Mitternacht, Aschenputtel Bestimmt hast du deinen Auftritt schon verpasst.«

»Halt den Mund! Ich habe einen großartigen Beruf, das ist genug.«

Chris verkürzt die ihr zugemessene Erholungszeit und geht wieder zur Arbeit.

Alle Messinstrumente stehen auf Rot: Ozon, Pollen, Luftfeuchtigkeit und eine furchtbare Hitze sprengen alle Rekorde. London schwitzt unter dem Azorenhoch, einem ungebetenen Gast, der Einzug gehalten hat und einfach nicht wieder gehen will. Im Gerichtssaal wischen die Menschen sich über die Stirn und fächeln sich mit ihren Notizbüchern Luft zu. Gelegentliche Donnerschläge und Blitze unterbrechen die trockene Stimme des gegnerischen Anwalts, während er Chris’ Mandantin ins Kreuzverhör nimmt. Ist es Bosheit oder das schweflige, vom Gewitter freigesetzte Ozon, das ihr dieses Hämmern in den Schläfen beschert? Ihre Mandantin windet sich wie eine Schlange um einen Stock, spuckt Gift in alle Richtungen und lügt das Blaue vom Himmel herunter. Ihr vierter künftiger Exmann ergeht sich, die Augen schmal vor Zorn, mit schnellen, hektischen Bewegungen in Protestbekundungen und streitet alles ab, während sein Anwalt schlau und geduldig sein Netz aus Worten spinnt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ihre Klientin hineintappt, trotz all ihrer Warnungen.

»Scheiße!«, murmelt Chris. »Ich steige aus diesem Geschäft aus.« Plötzlich hat sie einfach genug.

Der Kollege hört es und funkelt Chris wütend an. Glücklicherweise leidet auch der Richter unter der Hitze. Die Verhandlung wird vertagt.

Als sie nach draußen eilt, bemerkt Chris, dass das Unwetter nach Osten gezogen ist. Der Himmel ist von einem bedrohlichen gelblichen Grau, aber über dem Horizont im Westen ziehen sich helle türkisblaue Streifen. Gefangen in den Strahlen der Sonne wirken die Gebäude entlang der Themse wie in Gold getaucht, während das reglose Wasser leuchtet wie geschmolzenes Messing. Die U-Bahn ist halb leer, und Chris kommt um fünf Uhr nachmittags nach Hause.

»Hallo, Mum, ich bin wieder da«, ruft sie und wirft ihre Aktentasche auf den Tisch im Flur.

Ihre Mutter taucht oben an der Treppe auf. Merkwürdigerweise befingert sie nicht nur die Knöpfe an ihrer Bluse, sondern auch ihr Haar und ihren Rock, und sie sieht ziemlich verlegen aus.

»Chris, Darling, du bist früh dran.« Ihr Tonfall sagt Chris, dass sie etwas falsch gemacht hat.

»Der Fall wurde vertagt, und ich hatte Kopfschmerzen, deshalb bin ich nach Hause gegangen.«

In der Tür hinter ihrer Mutter erscheint ein Mann in mittleren Jahren. Er streicht sich das ziemlich lange, graue Haar aus dem Gesicht und gibt sich offenkundig alle Mühe, hoch aufgerichtet und mit durchgedrückten Schultern dazustehen. Nach einigen Sekunden benommener Ungläubigkeit ergibt die Szene langsam einen Sinn, und Chris hat alle Mühe, nicht laut zu lachen. Der Mann gefällt ihr nicht besonders, aber er ist ihr Freund: Er ist Mums Angelegenheit. Niemand sagt ein Wort, während Chris fragend von einem zum anderen blickt.

»Ah, hallo, Chris«, ertönt endlich eine tiefe Stimme mit deutlichem Shropshire-Akzent. »Ich habe mich schon darauf gefreut, Sie kennen zu lernen. Ich bin Bertram Loveday. Ich nehme an, Ihre Mutter hat Ihnen bereits von mir erzählt.«

Offensichtlich kennt er ihre Mum nicht besonders gut.

»Major Bertram Loveday«, fügt diese hinzu.

»Aber Sie müssen mich Bert nennen. Das macht jeder«, sagt er ‒ für Chris’ Geschmack ein wenig zu herzlich. Er lächelt, aber in seinen Augen sieht sie einen etwas ängstlichen Ausdruck. Chris fragt sich, warum.

»Nicht wirklich jeder«, unterbricht ihre Mutter ihn.

Nein, ihre Mum würde ihn sicher nicht Bert nennen, nicht wahr?

»Wir wollen heiraten…«, sagt ihre Mutter jetzt, und sie klingt richtiggehend versonnen. Chris lächelt ebenfalls. Sie wünscht sich nichts sehnlicher, als dass ihre Mutter glücklich ist, aber sie kann nicht umhin, mit Sorge Berts Nervosität zur Kenntnis zu nehmen.

»Irgendwann«, korrigiert Bert sie. »Aber in der Zwischenzeit …«

In der Zwischenzeit, erfährt Chris einige Tage später, zieht Bert bei ihnen ein.

Um Mums willen tut Chris ihr Bestes, mit der Situation fertig zu werden, aber während die Tage verstreichen, wird die Ursache für Berts Unbehagen offenkundig: Sie hält nun nicht nur ihre Mum, sondern auch ihn aus. Ihre Mutter verfügt über kein eigenes Einkommen, daher hat Chris vor fünf Jahren ein Haus gekauft, das groß genug ist für sie beide, aber die hohen Hypotheken fressen einen großen Teil ihres Einkommens auf.

Chris verlegt ihren Schreibtisch und ihren Laptop vom Wohnzimmer in ihr Schlafzimmer. Mehrmals am Tag ruft sie sich ins Gedächtnis, dass sie sich für ihre Mutter freut. Sie war so einsam. Warum also fühlt sich ein Teil von ihr so verloren, wie eine Boje, die sich aus ihrer Verankerung losgerissen hat? Sie ist es gewohnt, Groll über all die Dinge zu empfinden, die sie an ihre Mutter binden. Unerwarteterweise ist sie jetzt frei, aber es ist gar nicht so einfach, mit all dieser Freiheit zurechtzukommen.

»Ich muss mir ein eigenes Leben aufbauen«, sagt sie sich streng, wann immer sie kurz davor ist zu explodieren. »Bau dir ein Leben auf, Chris! Bau dir ein Leben auf!«

Am nächsten Morgen ruft sie Ben Searle an.

»Guten Morgen, Mr. Searle. Hier ist Chris Winters. Meine Mutter hat einen Freund, und er ist bei uns eingezogen.«

»Maseltov! Und danke, dass Sie mir das erzählt haben.« Sie kann sein unterdrücktes Lachen hören.

»Sie verstehen nicht. Ich bin frei, Mr. Searle.«

»Ben.«

»Ben. Suchen Sie immer noch …?«

»Ja. Und ich bin sehr froh darüber. Bleiben Sie mal einen Moment dran.« Eine Minute später sitzt sie immer noch mit dem Hörer in der Hand da. Dann erklingt eine Frauenstimme in der Leitung.

»Ich bin Jean Morton, Mr. Searles Sekretärin. Bitte, bleiben Sie am Apparat, Miss Winters. Lässt sich das einrichten, oder sollen wir Sie zurückrufen? Ben ist gerade gegangen, um für Sie einen Termin bei unserem geschäftsführenden Teilhaber zu machen.«

»Ich werde warten.« Beklommen wartet sie. Die Sekunden schleichen dahin, während sie sich vorstellt, dass der heißbegehrte Job verschwunden sein könnte wie eine Sternschnuppe.

»Hallo, Chris. Sind Sie noch dran? Rowan hat eine dreitägige Konferenz vor sich. Er würde Sie gern vor seiner Abreise noch sehen. Würde es bei Ihnen um zehn Uhr dreißig morgen früh irgendwie gehen?«

Nur, wenn sie mit einer ganzen Menge Termine jonglierte.

»Klar. Wir sehen uns dann.«

Die Stimme von Rowan Metcalf, geschäftsführendem Teilhaber von Financial Investigations, passt zu seiner Position ‒ sie ist tief und voller Autorität. Der Rest des Mannes ist leider eine Enttäuschung. Er ist klein, schmal und ziemlich lauwarm mit seinem aschblonden Haar und den hellgrauen Augen. Chris kann gar nicht anders, als ihm sein langweiliges, einstündiges Verhör zu verübeln, das sich dann auch noch in eine Lobrede auf sich selbst verwandelt.

»Mittlerweile werden Sie begriffen haben, dass bei uns jeder die volle Verantwortung für den Fall trägt, den er gerade bearbeitet«, sagt Rowan Metcalf in bedeutungsschwerem Tonfall. »Mich interessieren nur die Ergebnisse. Wenn Sie drei Monate in Kathmandu verbringen müssen, ist das Ihre Sache. Belasten Sie ihre gesamten Unterhaltskosten Ihrer Firmenkreditkarte, solange Sie für uns im Ausland sind. Es kommt nur darauf an, dass Sie Erfolg haben. Wenn Sie versagen, sind Sie draußen.«

Das hat Ben nicht erwähnt. Rowan sieht sie stirnrunzelnd an. Sie hat das Gefühl, dass er versucht, sie abzuschrecken.

Er versucht es noch einmal. »Natürlich haben wir keine hundertprozentige Erfolgsquote. Was ich sagen will ist, dass jeder Fall streng vertraulich ist, daher müssen Sie allein arbeiten. Bei der Planung Ihrer Strategie müssen Sie kreativ sein.«

Worauf genau lässt sie sich da ein? »Ich dachte, ich würde Bens persönliche Assistentin sein.«

»Ja, anfangs. Ben muss sich zwischen seiner Familie und seinem Job entscheiden. Er ist sich noch nicht sicher, aber wir alle wissen, welche Entscheidung er treffen wird.«

Ein Stich der Enttäuschung durchzuckt Chris.

»Durch Ben und verschiedene Headhunter haben wir uns ein ziemlich gutes Bild von Ihnen machen können, und wir haben uns umgehört. Sie sind als intelligent und integer bekannt. Sie gewinnen mehr Fälle, als Sie verlieren. Wenn Sie weitere Fragen haben, wenden Sie sich an Ben. Er wird Ihnen sagen, wie alles funktioniert. Später werden Sie auf sich gestellt sein. Also, sind Sie dabei?«, fragt Metcalf.

»Ja.« Sie schütteln sich die Hand, und Rowan entspannt sich und wirkt jetzt fast menschlich.

Ben erscheint, um Chris abzuholen und sie mit allen anderen bekannt zu machen. »Sie werden dich alle mögen«, sagt er.

Chris unterbricht seine eifrigen Gratulationen. »Ben, ich danke Ihnen. Ich bin ganz aus dem Häuschen, diesen Job zu bekommen.«

Kapitel 5

Seit Bertram eingezogen ist, benutzt Chris ihr Schlafzimmer auch als Büro. Es ist warm und sonnig mit hohen Decken und großen Fenstern, dazu bietet es viel Platz, und man hat vom Fenster aus den Blick auf den Garten. Es ist Sonntag. Chris sitzt im Schneidersitz auf dem Boden und sucht in der Zeitung nach Neuigkeiten über Sienna. Sie kann sich kaum konzentrieren, ihre Gedanken irren umher wie ein noch nicht zugerittenes Pferd ‒ vielleicht auch, weil sie müde ist. Es gibt immer noch nichts Neues, und Chris hält die Sorge um ihre Freundin davon ab, einigermaßen gut zu schlafen. Wenn sie am wenigsten daran denkt, kommt ihr so ziemlich jeder Film in den Sinn, in dem es um eine Entführung geht.

Und dann ist da noch Bertram. Seine Anwesenheit ist ein permanentes Ärgernis. Sie kann ihm sein hochgewachsenes, graues, ungewaschenes Aussehen verzeihen, die Schuppen auf seinen Schultern, seine braunen Zähne und sogar seine fleckigen Finger ‒ aber warum muss er so sich so verdammt unterwürfig benehmen? Schlimmer noch, Bertram hat sie in die Schuldgefühlsfalle gelockt. Sie kommt sich schäbig vor, und das ist nicht gerade das Bild, das sie gerne von sich hat.

»Ich werde mich an ihn gewöhnen«, murmelt sie. »Es wäre der reine Wahnsinn, ihn vor den Kopf zu stoßen, schließlich hat er gerade die Tür zu meinem Gefängnis aufgeschlossen. Frei … endlich.«

Chris zwingt sich loszulassen und konzentriert sich auf ihre Atmung. Einatmen … ausatmen … lass deinen Geist leer werden … halt nicht an den Gedanken fest. Lass sie gehen. Einatmen … ausatmen … In letzter Zeit jedoch macht ihr eine Frage zu schaffen. Hat ihre Mum sie jemals wirklich gemocht? Manchmal kommt es ihr so vor, als sei sie in der Welt ihrer Mutter kaum mehr als eine Annehmlichkeit.

Ein schlechter Gedanke … lass ihn gehen.

Die Sonne kommt hervor. Sie hört, wie Bertrams Wagen aus der Garage gefahren wird, und Chris steht auf und greift nach ihrer Jeans. Es ist ein schöner Tag, die Stare zanken sich um ihre Erdnussbutterstangen, und alle Plätze am Futterhäuschen sind von Blaumeisen besetzt. Die Rosen müssen zurückgeschnitten, die Beete dringend gejätet werden. Vogeltränke und -bad haben eine gründliche Säuberung nötig. Wäre ihr danach, könnte Chris ihren ganzen freien Tag im Garten arbeiten.

Ihre Mum sitzt im Wohnzimmer vor den geöffneten Balkontüren und liest Zeitung. Sie blickt auf und runzelt die Stirn. »In deiner Jeans ist ein Loch. Du solltest sie vielleicht besser wegwerfen.«

»Meine Gartenkluft … ich werde mich ein wenig nützlich machen.«

»Hast du dir keine Arbeit aus dem Büro mitgebracht? Das ist eine Premiere, wie?«

Wenn sie schon danach gefragt wird, kann sie ihrer Mutter genauso gut gleich alles erzählen.

»Hör zu, Mum, man hat mir einen neuen Job mit mehr Gehalt angeboten; ich würde sogar erheblich mehr Geld verdienen. Ich bin in eine Firma eingetreten, die Ermittlungen bei Geschäftsproblemen anstellt … Betrug und so weiter. Ich werde bisweilen reisen müssen … das hat man mir zumindest gesagt … daher bin ich froh, dass Bertram hier ist.«

Mum wirkt verwirrt. »Nach all den Kosten und der harten Arbeit lässt du die Juristerei fallen?«

»Nicht direkt. Für diesen Job brauche ich ebenfalls Kenntnisse im Rechts- und Finanzwesen.«

Das Gesicht ihrer Mutter verrät widersprüchliche Gefühle: Kränkung, Überraschung und einen Anflug von Zorn. Sie legt die Zeitung beiseite, faltet sie langsam und vorsichtig zusammen, streicht auf dem Tisch vor sich jede Seite glatt. Dann lächelt sie in sich hinein.

»Du hast die ideale Möglichkeit gefunden, es mir heimzuzahlen … und das ausgerechnet jetzt.«

»Nein, du irrst dich. Warum kommst du immer zu den schlimmsten Schlussfolgerungen?« Ihre Stimme klingt schrill … ein todsicherer Hinweis, dass sie verletzt ist.

Ihre Mum nutzt ihren Vorteil gnadenlos aus. »Nimm meinen Rat an und bleib, wo du bist.«

»Mum, hör zu. Man hat mir den Job angeboten, als ich im Krankenhaus lag. Zuerst habe ich ›nein‹ gesagt, aber dann ist Bertram eingezogen, und … nun, sehen wir den Dingen ins Auge, du hast jetzt jemanden, der dir Gesellschaft leistet. Du brauchst mich nicht mehr. Das verstehst du doch sicher. Ich habe nichts außer meiner Karriere, also muss ich das Beste daraus machen.«

Es ist offensichtlich, dass ihre Mutter immer wütender wird. Chris wendet den Blick ab und betrachtet die Rosen unten an der alten Steintreppe. Sie sind überwuchert mit Hagebutten. Sie wird sie schneiden.

»Mach mir keine Vorwürfe, weil du nie eine Verabredung hast. Du bist ungesellig. Das Blut schlägt doch immer wieder durch.« Der märtyrerhafte Tonfall, den ihre Mutter anschlägt, kündet vom Anfang einer vertrauten Tirade. Früher hat Chris sie oft provoziert, nur um irgendetwas über ihren Vater zu erfahren.

»Mum, versuch doch ausnahmsweise einmal in deinem Leben, die Probleme eines anderen zu sehen, statt dich nur auf deine eigenen egoistischen Bedürfnisse zu konzentrieren.«

Chris hat ihr den Fehdehandschuh hingeworfen. Das hat sie noch nie zuvor getan. Sie schließt ihre große Klappe, und als ihre Mum ein herzzerreißendes Wimmern ausstößt, bedauert sie schon, es gesagt zu haben. »Wie kann eine Tochter so mit ihrer Mutter reden?«, stößt sie hervor. »Du bist grausam, genau wie dein verdammter Vater. Du bist auch so clever wie er, aber zumindest hast du mich nie im Stich gelassen, was Geld betrifft. Ich kann nicht behaupten, dass wir einander nahestehen, aber dafür mache ich deinen Vater verantwortlich. All diese teuren Internate, die er bezahlt hat, haben dich zu einer Fremden gemacht.«

»Dann war also das Erbe von Grandpa für meine Ausbildung … nur ein Märchen?«

»Ja«, gibt ihre Mutter widerstrebend zu.

Während des langen, unbehaglichen Schweigens tritt Chris ans Fenster, um ihre Neugier zu verbergen, und ihre Gedanken schweifen ab. Irgendwo in Afrika treibt sich der Spender von Sperma und Schecks herum, der bezahlen, aber nicht lieben kann. Sie sehnt sich danach, ihn zu finden.

»Du denkst niemals nach.« Die anklagende Stimme ihrer Mutter unterbricht ihren Tagtraum. »Was ist, wenn es nicht funktioniert? Ich meine… mit Bertram und mir. Du hast in der Kanzlei einen wunderbaren Job. Er bringt gutes Geld. Du genießt hohes Ansehen. Warum kannst du nicht dort bleiben?«

»Falsches Tempus, Mum … Es ist Vergangenheit! Ich habe gekündigt, und man hat mich gebeten, sofort zu gehen. Offensichtlich bevorzugt die Kanzlei einen sofortigen Bruch, aber sie haben mir mein Gehalt für drei Monate ausbezahlt. Das wird einen Teil der Kosten für ein zweites Badezimmer abdecken.«

Ihre Mum hört gar nicht mehr zu. »Du kannst deine Gene nicht verleugnen. Dein Vater hat sich in jedes verwegene Abenteuer gestürzt, ohne an irgendwelche Verpflichtungen uns gegenüber zu denken, er ist monatelang verschwunden und hat sich nicht einmal entschuldigt oder angedeutet, wann er zurückkommen würde.«

Es sind bittere Bröckchen von Informationen, die sie im Laufe der Jahre gehütet hat wie kostbare Juwelen. »Du brauchst den Kitzel der Gefahr … genau wie dein Vater.«

»Du bist verdammt egoistisch, genau wie dein Vater.«

»Einem bewaffneten Gangster hinterherzulaufen … dein Vater, wie er leibt und lebt.« Mum spricht nur von ihm, wenn sie verletzt oder wütend ist. Chris beschließt, die unausgesprochene Regel zu brechen und ihr Fragen zu stellen.

»Was macht er eigentlich beruflich?«, wagt sie einen vorsichtigen Vorstoß.

»Er ist Geologe … Im Wesentlichen arbeitet er selbständig. Er sucht Rohstoffvorkommen, sichert sich die Schürfrechte daran und verkauft sie dann an die großen Bergbaugesellschaften. Er streift kreuz und quer durch Afrika … und Alaska. Er genoss hohes Ansehen, die Firmen rissen sich um ihn, aber er wollte lieber frei sein. Ich habe monatelang dagesessen und darauf gewartet, dass er nach Johannesburg zurückkam. Ich wusste nie, wann er kommen würde … oder gehen.«

»Es müsste doch eigentlich leicht sein, ihn zu finden«, murmelt Chris vor sich hin. »Wie heißt er mit Vornamen?«

»Lass es gut sein, Chris.« Zwei rote Flecken tauchen auf den Wangen ihrer Mutter auf, und Chris weht warm der Geruch ihres Parfüms entgegen.

»Mum. Ich habe das Recht, mehr über ihn zu erfahren. Wenn du mir nicht helfen willst, werde ich es auf meine Weise herausfinden.«

»Drohst du mir?«

Tut sie das? Chris wechselt hastig das Thema. »Du musst ihn sehr geliebt haben.« Sie wartet schweigend ab und fragt sich, ob sie gehen soll, aber ihre Mum hat offenbar das Bedürfnis zu reden.

»Er tauchte aus heiterem Himmel mit seinem zerbeulten Geländewagen auf, um die Schürfrechte zu verkaufen, die er sich gesichert hatte. Ich habe für die größte Bergbaugesellschaft in der Stadt gearbeitet und ihm geholfen, einen guten Preis auszuhandeln. Die besten Vorkommen hat er geheim gehalten und Geld angespart, um ein eigenes Bergwerk in Betrieb zu nehmen. Das war sein Traum. Er hat nie viel ausgegeben. Wenn wir ausgegangen sind, dann gab es Hamburger und Pommes frites, aber meistens habe ich zu Hause selbst gekocht. Nach zwei oder drei Wochen verschwand er dann wieder.«

»Und was ist schiefgegangen?«

Ihre Mutter schaut sie forschend an, beinahe so, als frage sie sich, ob sie ihrer Tochter vertrauen kann oder nicht. »Man könnte sagen, dass mein Leben wegen eines lumpigen Leoparden zerstört wurde.« Sie seufzt, dann beginnt sie zu erzählen.

»Willem Zuckerman, der Manager unserer Bergbaugesellschaft, gab eine große Party im privaten Jagdcamp der Firma in der Nähe von Botsuana. Er war in Sorge wegen eines unberechenbaren Leoparden, der zwei Kinder getötet hatte, und als er erfuhr, dass Dan wieder zurück war, bat er ihn, das Tier aufzuspüren und zu töten. Dan war ein guter Jäger … der beste … obwohl er nur um des Fleisches seiner Beute willen tötete.«

Ihre Mutter braucht nicht nach Worten zu suchen, sie muss sich diese Geschichte zahllose Male selbst erzählt haben. Sie klingt einstudiert, wie die Geschichten, die Chris von ihren Mandanten hört, wenn sie die Vergangenheit umschreiben und jedwede Schuld, die sie vielleicht tragen, auf andere abwälzen.

»Ich war wütend, dass wir gerade an dem Tag, an dem Dan zurückkehrte, zu dieser verdammten Party mussten. Bis zum Camp waren es mit dem Wagen sieben Stunden. Wir fuhren mit Willem und seiner neuen Freundin, Marie van Schalkwyk. Sie war das hübscheste Mädchen, das ich je gesehen hatte, und erst neunzehn Jahre alt; er war über fünfzig. Am Finger trug sie einen Ring so groß wie ein Fels. Sie war halb Schwedin, halb Afrikaans, und sie war eine Schlampe.

Sobald wir im Camp eintrafen, bestand Dan darauf, sofort aufzubrechen, um sich auf die Suche nach dem Leoparden zu machen. Ich flehte ihn an, bis zum Morgen zu warten, und wir hatten einen ziemlich heftigen Streit.«

Sie seufzt und strafft die Schultern, und Chris wird klar, dass ihre Mutter vor Gericht steht und dass sie selbst sowohl die Richterin wie die Jury ist.

»Ich musste gute Miene zum bösen Spiel machen und mich zu Willem und Marie an den Tisch setzen. Später überredeten sie mich, sie zu einer Nachtsafari zu begleiten. Ich hatte erst ein Jahr im Land gelebt und war direkt von Sussex nach Afrika gekommen. Die Schroffheit des buschveld war mir verhasst, und es ist doch wohl so: Hat man erst einen Löwen gesehen …«