Der Menschenfeind - Molière - E-Book

Der Menschenfeind E-Book

Moliere

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Beschreibung

Molières Stück persifliert die Heucheleien der französischen Adelsgesellschaft, schlägt aber auch ernstere Töne an, wenn es auf die Schwächen hinweist, die alle Menschen befallen. Das Stück unterscheidet sich von anderen Farcen der damaligen Zeit durch die dynamischen Charaktere wie Alceste und Célimène im Gegensatz zu den eher flachen Karikaturen traditioneller Gesellschaftssatire. Ebenso unterscheidet es sich von den meisten anderen Werken des Schriftstellers, indem es sich mehr auf die Entwicklung und die Nuancen der Charaktere als auf den Fortgang der Handlung konzentriert. Obwohl das Stück zu seiner Zeit kein kommerzieller Erfolg war, gilt es heute als sein bekanntestes Werk. Da sowohl "Tartuffe" als auch "Don Juan", zwei von Molières früheren Stücken, bereits von der französischen Regierung verboten worden waren, hat der Autor seine Ideen möglicherweise abgeschwächt, um das Stück gesellschaftsfähiger zu machen. Der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau behauptete in einem Brief an M. D'Alembert, dass es sich um Molières bestes Werk handele. Diese deutsche Neuübersetzung dieses Klassikers der Weltliteratur stammt aus dem Jahre 2021.

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Seitenzahl: 84

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Der Menschenfeind

 

Deutsche Neuübersetzung

 

MOLIÈRE

 

 

 

 

 

 

 

Der Menschenfeind, Molière

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849661564

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Statens musikverk (Swedish Performing Arts Agency). Photographer: Narciso Contreras, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=84688030

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Dramatis Personae. 1

1. Akt2

2. Akt18

3. Akt.32

4. Akt46

5. Akt.58

 

 

Dramatis Personae

 

Alceste, verliebt in Célimène.

Philinte, sein Freund.

Oronte, ebenfalls verliebt in Célimène.

Célimène, von Alceste verehrt.

Eliante, ihre Base.

Arsinoé, Célimène’s Freundin.

Acaste, Marquis.

Clitandre, Marquis.

Basque, Célimènes Diener.

Dubois, Alcestes Diener.

Ein Offizier der Maréchaussée.

 

 

1. Akt

 

1. Auftritt

 

Philinte, Alceste.

 

Philinte. Was ist los mit dir? Was bedrückt dich?

Alceste (Sitzend). Lass mich in Ruhe, ich bitte dich.

Philinte. Noch einmal, welch seltsame Marotte hat dich jetzt wieder –––.

Alceste. Lass mich in Ruhe, sag ich dir und geh mir aus den Augen.

Philinte. Du könntest wenigstens anderen Leuten zuhören, ohne aus der Haut zu fahren.

Alceste. Ich will aber aus der Haut fahren, und was ich nicht will, ist zuzuhören.

Philinte. Manchmal verstehe ich dich und deine abrupten Stimmungsschwankungen einfach nicht mehr, und obwohl wir Freunde sind, bin ich der erste ––– .

Alceste (Steht schnell auf). Ich, dein Freund? Salbe deine Seele nicht mit diesem schmeichelhaften Wort. Bis jetzt konnte ich für mich behaupten, dein Freund zu sein; aber nach dem, was ich soeben von dir gesehen habe, sage ich dir auf den Kopf zu, dass ich es nicht mehr bin; ich habe nicht den Wunsch, einen Platz in deinem verdorbenen Herzen einzunehmen.

Philinte. Von deinem Standpunkt aus habe ich also Schuld auf mich geladen, Alceste?

Alceste. Schuld? Du solltest vor lauter Scham sterben; es gibt keine Entschuldigung für ein solches Benehmen, und jeder Ehrenmann muss davon angewidert sein. Ich sehe, wie du einen Menschen mit Liebkosungen fast erstickst, ihm die glühendste Zuneigung zeigst und ihn mit Beteuerungen, Anträgen und Freundschaftsschwüren geradezu überwältigst. Deine überschwängliche Zärtlichkeit kennt keine Grenzen; und wenn ich dich frage, wer dieser Mensch ist, kannst du mir kaum seinen Namen sagen; in dem Moment, in dem du ihm den Rücken zudrehst, erkalten plötzlich deine Gefühle für ihn; du sprichst sogar höchst gleichgültig von ihm. Verflixt und zugenäht! Ich nenne es unwürdig, niederträchtig und schändlich, sich so weit herabzulassen, dass man gegen seine eigenen Gefühle handelt, und wenn ich durch einen unglücklichen Zufall so etwas getan hätte, würde ich mich aus lauter Verdruss sofort erhängen.

Philinte. Ich sehe nicht, warum man sich deswegen aufhängen sollte; und ich bitte dich, es mir nicht übel zu nehmen, wenn ich dich dieses eine Mal noch bitte, mir etwas Gnade zu erweisen, denn ich werde mich nicht aufhängen und wenn es dir noch so egal wäre.

Alceste. Der Scherz ist dir gründlich misslungen.

Philinte. Im Ernst, was sollen Leute deiner Meinung nach tun?

Alceste. Ich möchte, dass Leute aufrichtig sind und dass sie wie echte Ehrenmänner, keine Worte sprechen, die nicht ihrem Herzen entspringen.

Philinte. Wenn ein Mensch dich herzlich umarmt, musst du es ihm mit gleicher Münze vergelten, seine Gefühlsäußerung so gut wie möglich erwidern – Affektion für Affektion, Bezeigung für Bezeigung.

Alceste. Niemals. Ich kann solch eine verächtliche Praktik, die bei euch neumodischen Leuten zum Umgangston gehört, nicht ertragen; es gibt nichts, was ich so sehr verabscheue, wie die Verrenkungen dieser großartigen Menschen, die ihre Lippenbekenntnisse nach den Gegebenheiten der Zeit ausrichten, dieser leutseligen Spender bedeutungsloser Umarmungen, dieser zuvorkommenden Sprecher leerer Worte, die jeden mit Höflichkeiten überhäufen und den ehrenwerten Menschen und den Dummkopf gleichbehandeln. Was nützt es, wenn ein Mensch dich mit Zärtlichkeiten überhäuft, schwört, dass er dein Freund ist, dass er an dich glaubt, voller Inbrunst für dich ist, dich schätzt und liebt und dich in den Himmel lobt – und sich dann beeilt, dem ersten Lumpen, den er trifft, dasselbe zu versprechen? Nein, nein, kein Herz, das auch nur einen Funken Selbstachtung hat, legt Wert auf eine so heuchlerische Hochachtung; ein Mensch kann sie auch kaum genießen, selbst wenn sie offen ausgesprochen wird, wenn er herausfindet, dass er sie mit dem ganzen Universum teilen muss. Zuneigung muss auf Wertschätzung beruhen und jeden zu schätzen heißt, niemanden zu schätzen. Da du dich den Untugenden dieser Zeit hingibst, bist du, zum Donnerwetter!, nicht der richtige Freund für mich. Ich mag es, angesehen zu sein und lehne diese überschwängliche Freundlichkeit, die keinen Unterschied macht, ab; und, um die Sache kurz zu machen, der Freund aller Menschen ist nicht mein Freund.

Philinte. Aber nachdem wir alle auf derselben Welt leben, sollten wir uns auch alle an die grundlegenden Höflichkeiten halten, die die guten Sitten verlangen.

Alceste. Das bestreite ich entschieden. Wir sollten diesen schändlichen Anschein freundschaftlichen Umgangs erbarmungslos abstrafen. Ich mag es, wenn ein Mensch menschlich handelt und bei jeder Gelegenheit die Tiefen seines Herzens in seinen Worten offenbart. So soll man sprechen und niemals seine wahren Gefühle unter falschen Komplimenten verbergen.

Philinte. Es gibt viele Fälle, in denen offenes Sprechen schlicht lächerlich wirken würde und kaum zu ertragen wäre. Und bei aller Wertschätzung für deine unbeugsame Aufrichtigkeit: manchmal ist es gut, seine Gefühle zu verbergen. Wäre es richtig oder gar anständig, Tausenden von Menschen zu sagen, was wir tatsächlich von ihnen denken? Und wenn wir jemanden treffen, den wir hassen oder der uns missfällt, müssen wir ihm das offen ins Gesicht sagen?

Alceste. Ja.

Philinte. Was! Würdest du der alten Emilia sagen, dass es ihr schlecht ansteht, sich in ihrem Alter so grell zu schminken und dass die Farbe, die sie benutzt, jeden einfach nur abstößt?

Alceste. Ganz ohne Zweifel.

Philinte. Oder Dorilas, dass er ein Langweiler ist und dass es niemanden am Hofe gibt, der es nicht satthat, ihn mit seinem Mut und dem Glanz seines Hauses prahlen zu hören?

Alceste. Aber gewiss.

Philinte. Du scherzt.

Alceste. Ich scherze mitnichten; und ich möchte in dieser Hinsicht niemanden ausnehmen. Es beleidigt meine Augen zu sehr; und ob am Hofe oder in der Stadt, ich sehe nur Dinge, die mich übellaunig werden lassen, ja sogar melancholisch und tief betrübt, wenn ich sehe, wie sich die Menschen zueinander verhalten. Überall finde ich nichts als diese niedere Schmeichelei, Ungerechtigkeit, Eigennutz, Betrug und Schurkerei. Ich kann es nicht mehr ertragen; ich bin wütend; und meine Absicht ist, mit der ganzen Menschheit zu brechen.

Philinte. Diese philosophische Verdrießlichkeit ist mir etwas zu brutal. Ich kann nicht anders als lachen, wenn ich deine grimmigen Anfälle diesbezüglich sehe und glaube, in uns beiden, die wir zusammen aufgewachsen sind, die beiden Brüder zu erkennen, die in der "Schule für Ehemänner" beschrieben werden, die ––– .

Alceste. Gütiger Himmel! Lass deine törichten Vergleiche.

Philinte. Nein, im Ernst, lass ab von diesen Launen. Die Welt wird sich auch nicht ändern, wenn du ständig versuchst, darin herumzupfuschen. Und da du so ein Freund offener Worte bist, dann will ich dir hiermit offen sagen, dass deine Klagen so aufgesetzt wirken wie ein Theaterstück, und dass all deine Beschimpfungen gegen die Sitten der Zeit, wohin du auch gehen magst, dich zum Gespött vieler Leute machen.

Alceste. Umso besser. Sapperlot! Umso besser. Das ist genau, was ich will. Es ist ein sehr gutes Zeichen und ich freue mich darüber. Die Menschen sind mir so verhasst, dass es mir leid täte, in ihren Augen als vernünftig zu erscheinen.

Philinte. Aber willst du denn der ganzen Menschheit Schaden zufügen?

Alceste. Ja, ich habe einen furchtbaren Hass auf sie entwickelt.

Philinte. Und alle armen Sterblichen sollen, ohne Ausnahme, in diese Abneigung eingeschlossen sein? Es gibt einige, selbst in dem Zeitalter, in dem wir leben ––– .

Alceste. Oh nein, sie sind alle gleich; und ich hasse alle Menschen: die einen, weil sie böse und verschlagen sind; die andern, weil sie den Bösen Beihilfe leisten und nicht jene gesunde Verachtung besitzen, mit der das Laster alle tugendhaften Gemüter beseelen sollte. Du kannst selbst sehen, wie ungerecht und übermäßig selbstgefällig die Leute zu diesem unverschämten Schurken sind, mit dem ich gerade prozessiere. Trotz seiner Maske kann man den Verräter deutlich erkennen; sein wahres Gesicht ist überall bekannt; seine rollenden Augen und sein honigsüßer Tonfall fallen nur denen auf, die ihn nicht kennen. Die Leute wissen, dass dieser niederträchtige Kerl, der es verdient, an den Pranger gestellt zu werden, sich seinen Weg in dieser Welt durch die schändlichsten Tätigkeiten gebahnt hat; und dass die ruhmreiche Stellung, die er sich erworben hat, weder auf Verdienste noch Tugendhaftigkeit zurückzuführen ist. Und doch, welche unehrenhaften Beschimpfungen man ihm auch überall entgegenschleudern mag, niemand verteidigt seine erbärmliche Ehre. Nenne ihn einen Schurken, einen infamen Gauner, einen verfluchten Halunken, wenn du willst; alle Welt wird "ja" sagen und niemand dir widersprechen. Aber trotz alledem ist sein Buckeln und Kratzen überall willkommen; er wird empfangen, belächelt und schlängelt sich durch alle gesellschaftlichen Schichten; und wenn es gilt, irgendein Amt durch eine Intrige zu gewinnen, wird er den ehrenwertesten Mann aus dem Feld schlagen. Donnerkeil! Das sind die tödlichen Stiche, mit denen ich zu kämpfen habe, wenn ich sehe, wie Untugend hofiert wird; manchmal fühle ich mich plötzlich geneigt, in irgendeine abgelegene Wildnis zu fliehen, weit weg von der menschlichen Zivilisation.

Philinte. Gütiger Himmel! Lass uns ein bisschen weniger über die Laster unseres Zeitalters lamentieren, und seien wir etwas nachsichtiger mit der menschlichen Natur. Wir sollten sie nicht der allerstrengsten Prüfung unterziehen, sondern duldsamer auf ihre Schwächen blicken. In unserer Gesellschaft brauchen wir Tugenden, um maßvoll zu bleiben. Zu viel Weisheit macht uns zu Mitschuldigen. Der gesunde Menschenverstand vermeidet alle Extreme und verlangt von uns, nüchtern und vernünftig zu sein. Diese unbeugsame und tugendhafte Steifheit vergangener Zeiten erschüttert die gewöhnlichen Sitten der unsrigen zu sehr; sie verlangt von uns Sterblichen eine zu große Vollkommenheit; wir müssen uns der Zeit beugen, ohne zu starrsinnig zu sein; es ist der Gipfel der Torheit, sich damit zu beschäftigen, die Welt ändern zu wollen. Ich und du bemerken jeden Tag wohl hundert Dinge, die besser – zumindest anders – gehandhabt werden könnten; aber was immer ich in jedem Augenblick entdecken mag, ich gerate deswegen nicht in so eine Rage wie du. Ich nehme die Menschen gelassen, wie sie sind; ich gewöhne meinen Verstand daran, das zu ertragen, was sie tun; und ich glaube, dass am Hofe, wie auch in der Stadt, meine Gleichgültigkeit ebenso philosophisch ist wie dein Zorn.

Alceste. Und diese Teilnahmslosigkeit, die du hier so beredt verteidigst, könnte sie nicht durch irgendetwas aufgerüttelt werden? Wenn vielleicht ein Freund dich verraten sollte, er ein raffiniertes Komplott gegen dich schmiedet, um an das zu gelangen, was dir gehört, wenn die Leute versuchen sollten, dir schlecht nachzureden – würdest du das alles demütig hinnehmen, ohne in Wut zu geraten?

Philinte. Ja, denn ich betrachte all diese Fehler, über die du dich beklagst, als Laster, die untrennbar mit der menschlichen Natur verbunden sind; kurz, mein Geist ist nicht mehr entsetzt, wenn ich einen Menschen als Schurken, ungerecht oder selbstsüchtig entlarve, als wenn ich Geier, die auf Beute aus sind, diebische Affen oder blutrünstige Wölfe sehe.