Der Messias kommt nicht - Walter Homolka - E-Book

Der Messias kommt nicht E-Book

Walter Homolka

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Beschreibung

Die Geschichte des Messias im Judentum ist eine Geschichte enttäuschter Hoffnungen. Immer wieder gab es Heilsfiguren, denen diese Rolle zugeschrieben wurde.  Doch die Erlösung von Besatzung und Fremdherrschaft, Exil, Unterdrückung und Verfolgung blieb aus. Deshalb geriet die Erwartung des Messias an die Peripherie jüdischer Theologie. In ihrem Gang durch die jüdische Geistesgeschichte zeigen die Autoren die Abkehr von einem personalen Messias und die Bekräftigung der Hoffnung der Propheten auf ein universales messianisches Zeitalter. Dies betont die Pflicht aller Menschen, an der Heilung der Welt mitzuwirken. Deutlich wird: Die Messiasidee kann keine Brücke zwischen Christentum und Judentum sein.

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Walter Homolka, Juni Hoppe,

Daniel Krochmalnik

Der Messias kommt nicht

Abschied vom jüdischen Erlöser

Mit einem Nachwort von Magnus Striet

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder, Freiburg

Umschlagmotiv: ©KiyechkaSo/shutterstock, Pexels/pixabay

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, Torgau

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-81584-3

ISBN Print 978-3-451-38996-2

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451- 82741-9

Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama,

Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz,

zum 70. Geburtstag

Inhalt

»Jeder Messias, der in der Gegenwart kommt, ist ein falscher Messias« (Walter Homolka)

Messias-Prätendenten: historische Beispiele

Wissenschaftliche Verortungen

Zur Begriffsgeschichte

I. Messiasvorstellungen im antiken Judentum (Juni Hoppe)

1. Die Salbung als monarchischer Inthronisationsritus

2. Der »Gesalbte« als Spiegel der Herrschaft Gottes

3. Der Retter in der Not

4. Das »Licht der Völker«

5. Der Messias – vom Realis zum Irrealis

6. Vom Messias zum Messianismus

Fazit

II. Der Messias im rabbinischen Judentum (Daniel Krochmalnik)

1. Biblische Wurzeln in rabbinischer Deutung

2. Talmudische Debatten

3. Halachische Entscheidungen – im Licht des Messianismus

4. Liturgische Niederschläge

III. Die Messiasvorstellungen im Judentum der Neuzeit (Walter Homolka)

1. »Restaurativer« und »utopischer« Messianismus

2. Messianische Euphorie und pseudomessianische Bewegungen

3. Der Messiasgedanke im Chassidismus

4. Die Universalisierung der Messiasvorstellung nach der Emanzipation

5. Die Rückkehr aus dem Exil und Sammlung im Land Israel

6. Die Messiasidee im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert

7. Die Messiaskonzeption nach der Schoa

8. Die Messiasvorstellung heute

Nachwort: Am Messias scheiden sich die Geister – christliche Reflexionen (Magnus Striet)

Wiederentdeckung des Judeseins Jesu

Vom Juden Jesus zum Messias und einem bleibenden Zeitindex

Notwendige Korrekturen an theologischen Weichenstellungen

Danksagung

Über die Autoren

Glossar

Bibliographie

»Jeder Messias, der in der Gegenwart kommt, ist ein falscher Messias«1

2014 erschien mit Die Jakobsbücher Olga Tokarczuks bisher ehrgeizigstes Werk.2 Sechs Jahre schrieb sie an einem Roman von fast 900 Seiten, den das Nobelpreiskomitee als ihr »magnum opus« pries – und ihr dafür 2018 den Literaturnobelpreis verlieh.

Die Jakobsbücher beschreibt die fantastisch anmutende Reise des Kaufmanns Jakob Joseph Frank (1726–1791), der behauptete, eine Reinkarnation des Kabbalisten Sabbatai Zwi aus dem 17. Jahrhundert zu sein. Die etwa fünf Jahrzehnte, die sich zwischen den Buchdeckeln dieses umfangreichen Romans abspielen, bilden den Rahmen für den Aufstieg und Fall von Jakob Joseph Frank und seiner Gefolgschaft von »wahren Gläubigen«.

Von ekstatischen Visionen heimgesucht, bekennt er sich abwechselnd zum Islam, zum Judentum und zum Christentum, mal von seinen Gegnern als Ketzer denunziert, mal von seinen Anhängern als Messias verehrt. Die konventionellen Vorstellungen von Gut und Böse stellt er auf den Kopf, wenn er der immer eifriger werdenden Schar seiner Jünger befiehlt, die Welt mit Sünde zu überschwemmen, um so das Ende der Zeit zu beschleunigen.

Seine in Verruf geratene Religion ist wahrhaftig eine »Endzeitreligion, die alle drei Religionen […] in sich vereint«. Charismatisch und mit mehr als einer Prise Psychopathie bietet Frank eine unendlich faszinierende Charakterstudie, und es ist leicht zu erkennen, warum er eine so großzügige romanhafte Behandlung verdient hat. »Er ist ein Betrüger«, sagte Tokarczuk über ihn, »ein Charmeur und ein Betrüger.«3

Es ist schon erstaunlich: Die Erwartung eines Messias zur Errettung Israels aus dem Unheil dieser Welt kann ein so erfolgreiches Romanthema sein, dass es mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wird. Bekräftigt wird: Die Aufgabe des Messias besteht im Judentum darin, das Volk Israel aus seinem Leid und der Bedrängnis zu erlösen. Das heißt, dass alle Verfolgung, Entwürdigung und Verachtung aufhören und das Volk Israel zu seinem Recht in dieser Welt finden wird. Mit Erlösung ist nicht die von Sünde und Schuld gemeint. Denn das Judentum kennt – anders als das Christentum – keine Vorstellung von einer Erbsünde. Vielmehr geht es um eine Art nationale Befreiung, schalom als allumfassendes Heil für alle Völker und um die völlige Durchsetzung der Gottesherrschaft.

Man erwartet die Erlösung immer dann, wenn das jüdische Volk in großer Bedrängnis lebt; die Größe des Leids entspricht der Größe des Retters und Erlösers, also des Messias. Man bezeichnet derartige Zeiten auch als die der »messianischen Wehen«. Sie kennzeichnen eine Zeit der Sittenlosigkeit, der Not und Armut. Legendäre Nationen, so die endzeitliche Vorstellung, ziehen unter den Königen Gog und Magog gegen Jerusalem zu Felde und werden besiegt. In diesem Kampf wird, so heißt es, der maschiach ha’milchama, der Kriegsmessias, ein Sohn aus dem Hause Josefs, getötet. Elija, der Vorläufer des wahren Messias aus dem Hause Davids, erschlägt daraufhin Samael, den Satan. Erst dann sollen die Tage des Messias anbrechen, die gekennzeichnet sind von der Rückführung des jüdischen Volkes aus der Diaspora, der Wiederherstellung Jerusalems und seines Tempels sowie der Wiederherstellung des Thrones Davids, also der jüdischen Souveränität.

Messias-Prätendenten: historische Beispiele

Die Erwartung, dass diese Geburtswehen des Messias anbrechen würden, stieg in Zeiten nationalen Unglücks, etwa nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer im Jahr 70 u. Z. Damals lag die Hoffnung auf dem Freiheitskämpfer Simon Bar Kochba, den »Sternensohn«; dessen Befreiungskampf gegen Rom aber 135 mit einer Niederlage endete.

Im 12. Jahrhundert wollte David Alroy aus Kurdistan zusammen mit einer Gruppe kriegerischer Bergjuden das Land Israel den Muslimen entreißen. Er wurde jedoch gefangen genommen und vor den Sultan gebracht und auf dessen Geheiß von seinem eigenen Schwiegervater umgebracht; unterdessen sollen Betrüger die Gelegenheit ausgenutzt und sich alles Hab und Gut der Bagdader Juden angeeignet haben, während diese auf den Dächern der Stadt den Messias erwarteten. In der Zeit der Verfolgung der Marranen im 16. Jahrhundert trat der arabische Jude David Reubeni (1485–1538) als Messiasanwärter auf. Er gab vor, er komme als ein Abgesandter seines Bruders Joseph, der als König über die verlorenen Stämme Ruben, Gad und Menasse in der Wüste von Khaibar nordwestlich vom arabischen Medina herrsche. Und tatsächlich gelang es ihm, Papst Clemens VII. und den König von Portugal dazu zu bewegen, ihn dabei zu unterstützen, das Land Israel von den Osmanen zu befreien. Als aber die Erwartungen der verfolgten Marranen auf eine Erlösung des Judentums immer lauter wurden und der Marrano Salomo Molcho aus Begeisterung für Reubeni offen zum Judentum zurückkehrte, wurde Reubeni inhaftiert und verlor schließlich seinen Rückhalt unter den Juden.

Während der massiven Judenverfolgungen in Osteuropa ernannte sich Sabbatai Zwi (1626–1676) aus Smyrna selbst zum Messias und prophezeite den 18. Juni 1666 als den Tag der Erlösung. Er versetzte damit das ganze jüdische Europa in Erregung, das noch unter den Folgen des Dreißigjährigen Krieges litt. Zudem hatten der Kosakenaufstand unter Bohdan Chmelnicki und die damit verbundenen Pogrome die jüdische Gemeinschaft in Polen 1648/49 in Angst und Schrecken versetzt, und das jüdische Leben war in dieser Zeit von Bußbestimmung und messianischer Erwartung gezeichnet ‒ ein Phänomen, das durchaus dem Zeitgeist entsprach: Auch die christliche Bevölkerung lebte nach dem Dreißigjährigen Krieg in Erwartung des Tausendjährigen Reiches. Dieser Chiliasmus bezeichnet eine religiöse Haltung, die mit dem baldigen Ende der gegenwärtigen Welt rechnet. Jedoch wurde Sabbatai Zwi im vermeintlich messianischen Jahr 1666 in der Türkei als Gefangener zum Übertritt zum Islam gezwungen, was in der jüdischen Welt zu tiefer Enttäuschung und großen Glaubenszweifeln führte, von denen etwa Glückel von Hameln in ihren Denkwürdigkeiten sehr anschaulich berichtet. Von Jakob Frank und seinen »Frankisten« haben wir schon gesprochen. Und auch im Chassidismus gab und gibt es Formen des Messianismus. Nachman Ben Simcha von Bratslav (1772–1810) schien geglaubt zu haben, entweder er selbst oder sein Sohn sei der Messias gewesen, und in jüngster Zeit wurde es dem Lubawitscher Rebben Menachem Mendel Schneerson (1902–1994) von seinen ultraorthodoxen Anhängern des Chabad-Chassidismus zugeschrieben, als Messias infrage zu kommen. »Diese extremen Formen von Messianismus riefen starken Widerstand in säkularen wie religiösen Kreisen hervor und verstärken den Trend, sich von jeder Rede von Messias und messianischem Zeitalter fernzuhalten. Statt der Person eines Erlösers wird die Hoffnung auf Erlösung erwartet«.4

Wissenschaftliche Verortungen

Gershom Scholem (1897–1982)5 hat die pseudomessianischen Bewegungen wieder ins Bewusstsein gerufen und interpretiert. Überhaupt wird gerade im 20. Jahrhundert dem Phänomen des Sabbatianismus mit neuer Faszination nachgegangen, eng verbunden mit einem neuen Interesse an der jüdischen Mystik. 1967 schrieb Jacob Neusner: »Sabbatai Zwi war nicht einfach ›der Messias‹, sondern spielte eine zentrale Rolle in dem metaphysischen Drama, das durch Spannungen innerhalb der Gottheit selbst entstand.«6 Yehuda Liebes betont vor allem das Interesse zionistischer Gelehrter, die im Pseudomessianismus die Sehnsucht nach politischer Erlösung sahen.7

Der Religionswissenschaftler R. J. Zwi Werblowsky (1924–2015) weist zu Recht darauf hin, dass es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen katastrophalen Ereignissen in der jüdischen Geschichte und dem Entstehen (pseudo-)messianischer Bewegungen gibt. Eine Vielzahl schwerer Erschütterungen jüdischen Lebens im Exil hatte keineswegs messianische Erwartungen geweckt. Die Messiasidee sei damit »zweifellos Vorbedingung, wenn auch kein genügender Grund« für messianische Bewegungen, so das Fazit Wer­blowskys.8 Wenn es einen solchen ursächlichen Zusammenhang auch nicht geben mag, so hatte das Scheitern der pseudomessianischen Euphoriker auf jeden Fall Auswirkungen auf das Konzept des Messianismus. Die Hoffnung auf Erlösung durch einen Messias aus dem Hause Davids, der die Exilierten im Land Israel sammeln werde, geriet durch die Erfahrungen mit dem Sabbatianismus und Frankismus in eine grundlegende Krise. Zwi Werblowsky zieht den Schluss: »Messianismus im weiteren Sinne einer idealen Zukunft muss nicht den Glauben an eine bestimmte, individuelle Retter- oder Erlöserfigur implizieren.«9 Die Antwort auf diese Enttäuschung war eine ­Universalisierung.

Die Ablehnung eines akuten Messianismus durch die Mehrheit des konservativ geprägten Rabbinertums hatte mehrere zusammenhängende Gründe: Die unveränderliche Ordnung der Halacha soll weitestgehend bewahrt werden.

Gershom Scholem drückt das so aus:

Die Bewahrer des traditionellen Elements, und das waren […] eben die Träger der rabbinischen Autorität, spürten in den akuten messianischen Ausbrüchen das Nicht-Konforme, das die Kontinuität der Autorität der Überlieferung gefährdete. Solche Befürchtungen, dass akuter Messianismus zur Krise führen würde, Furcht auch vor dem uneingestandenen anarchischen Element der messianischen Utopie, spielen zweifellos bei dieser fast einhelligen Opposition der Rabbiner eine große Rolle. Es gab dafür gute Gründe: Sorge um die Stabilität der Gemeinde, Sorge um das Schicksal der Juden nach der Enttäuschung, wie sie die historische Erfahrung nahe legte.10

Ein solch passiv verstandener Messianismus setzt seine Erlösungshoffnungen allein auf Gott und verschiebt die Messiaserwartung auf unbestimmte Zeit. Demgemäß wird der Messias zu einer kaum fassbaren Gestalt.11

Im heutigen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff Messias die Sehnsucht nach einer Erlösergestalt, mit deren Erscheinen der als ungerecht empfundene Zustand unserer gegenwärtigen Welt überwunden werden kann. Im Judentum wurden mit dieser Vorstellung auch die Befreiung aus Fremdherrschaft und die Rückführung aus dem Exil ins Land Israel verbunden. Da sich diese Erlösung nach jüdischem Verständnis in dieser Welt vollziehen wird, hatten und haben messianische Bewegungen auch immer eine politische Dimension.

Zur Begriffsgeschichte

Eine Zusammenfassung der Charakteristika des Messias findet sich im biblischen Buch Ezechiel:

Und mein Knecht David sei König über sie, und ein Hirt sei er für alle, und in meinen Rechten sollen sie wandeln, und meine Satzungen wahren und sie üben. Und sie sollen wohnen in dem Lande, das ich gegeben meinem Knechte, Jaakob, worin eure Väter gewohnt, und sie sollen darin wohnen […]. Und ich schließe mit ihnen einen Bund des Friedens, ein ewiger Bund sei es mit ihnen, und ich erhalte sie und vermehre sie, und setze mein Heiligtum in ihre Mitte, auf ewig. Und meine Wohnung wird bei ihnen sein, und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. Und es erkennen die Völker, dass ich der Ewige Jisrael heilige, wenn mein Heiligtum unter ihnen sein wird auf ewig. (Ez 37,24–28)

Messias (maschiach, moschiach) heißt »Gesalbter« und war ursprünglich eine Bezeichnung für den gesalbten König Israels. Später wurde aus dieser Vorstellung eine Idealgestalt aus dem Stamm Davids, und der volle Name in den jüdischen Schriften lautet Messias, Sohn Davids.

In der Zeit des Zweiten Tempels entwickelt sich die Mes­siasvorstellung innerhalb eines vielschichtigen Prozesses hin zu einer von Gott in der Entscheidungszeit für die Endzukunft nach Israel gesandte Gestalt mit variierenden königlichen, priesterlichen und prophetischen Eigenschaften. Ab etwa 200 u. Z. wurden nur noch Personen der vorstaatlichen Heilsgeschichte und das ganze Gottesvolk Israel, aber nicht mehr Könige »Gesalbte« genannt: auch nicht König David, selbst dort nicht, wo die Psalmen seine Salbung mit »heiligem Öl« erwähnen. Keiner von Israels Königen hat seinen Auftrag als Messias erfüllt. Nach dem Untergang des Königtums und des ersten Tempels verschob sich die Bedeutung des Begriffs immer weiter. Die späteren Propheten konzipierten den wahren Messias als Befreier von Unterdrückung und Verbannung. So erklärt es sich auch, dass der Prophet des Babylonischen Exils, der heute als Deuterojesaja bezeichnet wird, den persischen König Cyrus als den Gesalbten Gottes bezeichnete: Der Perserkönig gestattete den Juden nämlich die Rückkehr ins Land Israel. Auch Serubbabel selbst, der die Exilanten heimführte, wurde offenbar als Messias betrachtet, denn er erhielt von den babylonischen Juden eine Krone. Der Gesalbte werde ein neuer Lehrer sein, ähnlich wie Mose und Elija, lautete eine weitere Vorstellung, während andere schließlich einen politischen Befreier der Juden von der Fremdherrschaft erwarteten.

Neben die Hoffnung auf einen persönlichen Messias aus dem Hause Davids, dem von Gott die ewige Herrschaft verheißen worden war, tritt schließlich die Vision von den Tagen des Messias, von der messianischen Zeit. Beides findet sich bereits im Buch Jesaja. Die messianische Zeit wird mal partikularistisch allein auf das jüdische Volk bezogen, wenn nach innerer Umkehr und Rückkehr zu Gott die Nachkommen der getrennten Stämme wieder vereinigt, die Zerstreuten von den vier Enden der Welt eingesammelt und in ihr Vaterland zurückgeführt werden und Israel nicht mehr fremder Herrschaft unterworfen ist; die zweite Lesart ist eine universalistische Vision und umfasst alle Völker, wenn Gotteserkenntnis, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Frieden, selbst unter den Tieren, die Welt erfüllen.

In den nachbiblischen jüdischen Schriften, Mischna und Talmud, sowie in den Gebeten und Liturgien erhält diese Messiashoffnung einen wichtigen Platz. Die Rabbinen haben aber noch kein System der Lehre vom Ende der Zeiten, sondern halten mehrheitlich an dem Erscheinen eines persönlichen Messias fest. Das Achtzehnbittengebet bittet mit der 14. Bitte um die Wiederherstellung der Tempelstadt Jerusalem und des Davidthrons. In der 15. Bitte heißt es dann: »Den Spross deines Gottesdienstes lass sprießen.« Auch im Kaddisch findet man eine ähnliche Bitte. Im Morgengebet am Schabbat heißt es: »Keiner ist dir zur Seite zu stellen, Ewiger, unser Gott, in dieser Welt, und keiner ist außer dir, unser Gebieter, im Leben der zukünftigen Welt. Nichts gibt es neben dir in den Tagen des Messias, und wer gleicht dir, der du die Toten belebst.«

Der frühe Niedergang und schließlich der Untergang des israelitischen und jüdischen Reiches, das Leben in der Diaspora sowie die Auseinandersetzungen mit Griechen und Römern projizierten alle Sehnsüchte des jüdischen Volks auf diese eine Erlösergestalt, die einerseits das einstige goldene Zeitalter zur Zeit König Davids spiegelte und diese Selbstbestimmung andererseits wiederherstellen sollte.

Im Mittelalter wurden die Glaubenslehren des Judentums erstmals systematisch behandelt, und Moses Maimonides (1135–1204) nahm das Kommen des Messias in seine 13 Glaubensartikel auf, lehnte aber alle materialistischen und die volkstümlich-fantastischen Anschauungen über die messianische Zeit entschieden ab. In dem Glaubensartikel heißt es: »Ich glaube mit voller Überzeugung an das Kommen des Messias, und obgleich er noch säumt, will ich trotzdem jeglichen Tag harren, dass er kommen werde.«

Die Jerusalemer Rabbinerin Dalia Marx weist auf die Skepsis hin, die Maimonides mit dem Messiasbegriff verband: »Auf keinen Fall soll man sich mit den Erzählungen [über die Umstände und den Zeitpunkt] des Kommens des Messias befassen, und man möge nicht lange bei der Erforschung der Aussagen zu diesen Dingen und all dem, was daraus resultiert, verweilen. Und man solle sie nicht zu seinem Grundsatz machen, denn er führt weder zu Gottesfurcht noch zu Gottesliebe (Maimonides, Hilchot Melachim 12,2).« Maimonides, so Marx, behauptete sogar, dass sich mit dem Kommen des Messias gar nichts in der Weltordnung verändern werde,12 und warnt mit den Worten von Yeshayahu Leibowitz (1903–1994): »Jeder Messias, der in der Gegenwart kommt, ist ein falscher Messias.«13

Die meisten jüdischen Religionsphilosophen folgen dem Beispiel von Maimonides. Der Dichter Jehuda Halevi (1085–1140) hatte noch vor ihm erklärt, dass die messianische Zeit erst dann anbreche, wenn Israel seine Mission erfüllt habe, nämlich die Verbreitung des Monotheismus unter den Völkern. Diesem Rationalismus trat schließlich die jüdische Mystik entgegen. Die Kabbala und ihr Hauptwerk, der Sohar, lehrten, Gott selbst sei im Exil, und die Erlösung der Menschen sei Teil der Wiedereinsetzung Gottes.

Der Mystiker Isaak Luria (1534–1572) prägte die Vorstellung, dass das göttliche Licht bei der Erschaffung der Welt im Zuge einer Katastrophe über die ganze Schöpfung zerstreut worden sei und dass die Funken dieses Lichts nun in den Schalen unserer materiellen Welt gefangen seien. Erst dann, wenn die Juden Gottes Gebote befolgten, könnten sie diese Funken nach und nach befreien, sodass Gott zu seiner ursprünglichen Einheit zurückzufinden vermag. »Wenn Israel nur einen einzigen Schabbat genau nach den Vorschriften beachtet, dann wird der Messias kommen«, lautet eine volkstümliche Vorstellung. Die lurianische Kabbala lehrt: Gott führt die Erlösung nicht selbst herbei, sondern hat dem Menschen die Fähigkeit verliehen, ja sogar die Pflicht übertragen, die Erlösung selbst herbeizuführen.

Im heutigen Judentum finden sich widersprüchliche Vorstellungen darüber, was denn die messianische Zeit ausmachen wird. Die einen Definitionen sind rein politisch, andere gehen von Phänomenen wie die Auferstehung der Toten aus. Braucht es tatsächlich einen personifizierten Messias, der die Erlösung bringt, oder soll man sich eher einen abstrakten historischen Prozess denken, der zu einer gerechten und befriedeten Gesellschaft führt? Eine säkularisierte Form des Messianismus stellt der Zionismus dar, dessen Anhänger die Hoffnung nach einer Rückkehr nach Eretz Jisrael quasi aus eigener Kraft erfüllen.

Der Philosoph und Schriftsteller Moses Hess (1812‒1875) befand: »Die Messiaszeit ist das gegenwärtige Weltalter, welches mit Spinoza zu keimen begonnen hat und mit der großen Französischen Revolution ins weltgeschichtliche Dasein getreten ist.«14 Der Philosoph Hermann Cohen (1842–1918) folgte ihm, als er 1914 erklärte: »Der Messianismus wird dann erst völlig verstanden werden, wenn vom Begriff der messianischen Zukunft jeder Jenseitssinn abgetrennt sein wird. Die Zukunft, welche die Propheten im Symbol des Messias vorzeichnen, ist die Zukunft der Weltgeschichte. Sie ist das Ziel, sie ist der Sinn der Geschichte, welche den Gegensatz bildet zur Geschichte in ihrer isolierten Wirklichkeit.«15 Ganz in diesem Sinne konstatierte der Judaist Manfred Voigts (1946‒2019) schließlich: »Insbesondere seit der Französischen Revolution wurde der Messianismus immer weiter von der Realität des jüdischen Volkes abstrahiert und zum Messianismus ohne Messias verwandelt, zur Erlösung ohne Erlöser.«16

Das liberale Judentum folgt den Vorstellungen von einem messianischen Zeitalter. Rabbiner Leo Baeck (1873–1956) schrieb: »Nicht die Hand nur, sondern die Seele auch soll im Sozialen lebendig bleiben. Die Gemeinschaft soll eine Gemeinschaft inniger Verbundener, eine Gemeinschaft des Friedens sein.« Dieser Gedanke projiziert sich in die Zukunft: Er kommt in der messianischen Idee und Hoffnung zum Ausdruck, die Gottes Reich hier auf Erden anstrebt und erwartet. Rabbinerin Dalia Marx bezieht sich hingegen auf das Hier und Jetzt: »So verstehe ich den Begriff der Messianität als einen Prozess und nicht als Erfüllung, als Glaube, der ermöglicht, das Gute zu vermehren, das Unvollkommene in unserer persönlichen, familiären und beruflichen Welt ebenso wie auf gemeindlicher, nationaler und universaler Ebene in Ordnung zu bringen.«17

Wir sehen: Die Emanzipation der jüdischen Gemeinschaft, ihre Integration in die Mehrheitsgesellschaft und die Teilhabe am Weltgeschehen haben zu einer Umdeutung und Neugewichtung des Messianismus im Judentum geführt. In unserem Buch schildern wir die Zeitgebundenheit messianischer Vorstellungen und deren Traditionsprozesse. Die widersprüchlichen Erwartungen, die dabei deutlich werden, sind auch Ausdruck der Vielstimmigkeit des Judentums an sich.

1 Yeshayahu Leibowitz, siehe Dalia Marx, Durch das Jüdische Jahr, Berlin 2021, 345.

2 Olga Tokarczuks, Księgi Jakubowe; Die Jakobsbücher. Aus dem Polnischen von Lisa Palmes und Lothar Quinkenstein, Zürich 2019.

3 Bryan Karetnyk, The Books of Jacob by Olga Tokarczuk – a messianic marvel, Financial Times London, 2. Dezember 2021.

4 Marx, Durch das Jüdische Jahr, 346.

5 Yehuda Liebes, Studies in Jewish Myth and Jewish Messianism, Albany 1993, 93.

6 Jacob Neusner, From Theology to Ideology, in: ders., Collected Writings, Paris 1967, 14: »Shabbatai Zvi was not merely ›the Messiah‹, but rather played a central role in the metaphysical drama created by tensions within the Godhead itself.«

7 Liebes, Myth, 106.

8 R. J. Zwi Werblowsky, Messiaserwartungen, in: Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa, hg. v. J. H. Schoeps, E.-V. Kotowski und H. Wallenborn, Darmstadt 2001, 115–126, hier: 119.

9 R. J. Zwi Werblowsky, Jewish Messianism, in: The Encyclopedia of Religion, Volume 9, hg. v. Mircea Eliade, New York 1987, 472–77, hier: 473: »Messianism in the wider sense of an ideal future need not imply the belief in a particular, individual saviour or redeemer figure.«

10 Gershom Scholem, Die Krise der Tradition im jüdischen Messianismus, in: Tradition und Gegenwart, hg. v. Adolf Portmann/Rudolf Ritsema, Zürich 1970, 18.

11 Ebd., 24.

12 Marx, Durch das Jüdische Jahr, 343.

13 Ebd., 345.

14 Moses Hess, Rom und Jerusalem, in: Ausgewählte Schriften, hg. v. Horst Lademacher, Wiesbaden 1962, 272.

15 Hermann Cohen, Das Gottesreich, in: Soziale Ethik im Judentum, Verband der deutschen Juden, Frankfurt am Main 1914, 125.

16 Manfred Voigts, Jüdischer und universalistischer Messianismus, in: Politische Religion – religiöse Politik, hg. v. Richard Faber, Würzburg 1997, 75.

17 Marx, Durch das Jüdische Jahr, 347.

I. Messiasvorstellungen im antiken Judentum

Wer ist ein »Messias«? In den jüdischen Traditionen hat es viele verschiedene Messiasse und Vorstellungen von einem solchen gegeben, mit jeweils unterschiedlichen Merkmalen, Zielsetzungen und Auswirkungen. Manche mögen unter einem Messias einen Retter, einen Erlöser verstehen oder eine Figur, auf die sie ihre utopischen Hoffnungen auf ein besseres, friedvolles Leben projizieren. Für andere bringt ein Messias als mächtiger Herrscher politische Umbrüche mit sich; viele verbinden mit dem Auftreten und Wirken eines Messias eine Zukunftsvision; wieder andere mögen ihn als eine historische Figur der Vergangenheit sehen.

Auf Messiasfiguren wurde auch schon vor Jahrhunderten, ja, vor mehr als zweitausend Jahren Bezug genommen. Das entnehmen wir den jüdischen Quellen der Antike. Schriftliche Werke jüdischer Autorschaft aus den ersten Jahrhunderten vor und nach unserer Zeitrechnung zeichnen unterschiedliche Messiasbilder. Mit welchen Inhalten haben sie die ältesten Zeugen jüdischer Tradition gefüllt? Lässt sich ein Wandel der Messiasvorstellungen nachzeichnen? Und wenn ja, worauf reagierten die ältesten Zeugen jüdischer Tradition? Schriftlich verfassten Texten liegen stets bestimmte Motivationen zugrunde. Das gilt umso mehr für die Antike, wo das Verfassen, Erhalten, Kopieren und Tradieren von schriftlichen Werken mit erheblichem Aufwand verbunden war. Weshalb war es so wichtig, etwas über den »Messias« festzuhalten? Welche alten und welche neuen Aspekte über den »Messias« sollten für die zukünftigen Generationen weitergegeben werden – und w­arum?

Auf der Suche nach dem Ursprung, der Bedeutung und Entwicklung des »Messias« wollen wir in chronologischer Reihenfolge die jüdischen Quellen der Antike betrachten.

1. Die Salbung als monarchischer Inthronisationsritus

Das Wort māschîaḥ/Messias findet sich in der Hebräischen Bibel insgesamt 38 Mal. Es heißt auf Deutsch »Gesalbter«. Abgeleitet vom Verb mšḥ (»salben«), bezieht es sich auf einen Einsetzungsritus innerhalb monarchischer Strukturen.

Eine Salbung bezeichnet den Vorgang des Begießens, Bestreichens oder Salbens mit Öl (oder Wasser) und diente im Altertum vor allem der Körper- und Totenpflege. Rituell bedeutete eine Salbung auch die Übertragung von Kraft und Ehre bei der Einsetzung in ein Amt. So konnte die gesalbte Person Macht erhalten – in Abhängigkeit von der Person oder Instanz, die sie gesalbt hatte.

Die Königssalbung war ein fester Bestandteil altorientalischer Inthronisationsriten: Der gesalbte König galt als durch den Geist der jeweiligen Gottheit erfasst, die ihm übermenschliche Kraft verleiht.1 Sowohl im Nordreich als auch in Juda war die Institution des Königtums fest mit der Salbung verbunden. Die Aufgabe des Königs war es unter anderem, für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen und das Land vor Feinden zu schützen.

Die biblischen Geschichtsbücher Josua bis Könige erwähnen sieben Könige, die explizit gesalbt wurden: Saul, David, Abschalom, Salomo, Jehu, Joasch und Jehoahaz.2 Weshalb erhielten ausgerechnet diese explizit eine Salbung, andere Könige jedoch nicht? Die rabbinische Literatur erklärt, dass eine Salbung von Thronanwärtern nur im Falle einer Uneinigkeit bezüglich der Nachfolge stattfand.3 Demnach war eine Salbung nicht zwingend nötig, um König zu werden (eine königliche Abstammung etwa würde genügen), das Ritual diente jedoch der theokratischen Legitimation für den neuen Herrscher. Durch die Salbung stand der Gesalbte unter dem besonderen Schutz Gottes. So wird König Saul mehrmals als »Gesalbter des HERRN bezeichnet«,4 der nicht getötet werden soll:

Mich aber bewahre der Herr davor, dass ich meine Hand gegen den Gesalbten des HERRN erhebe. (1. Sam 26,11)

KönigDavid wird gleich dreimal gesalbt. Erst vom Propheten Samuel, dann von den Judäern und schließlich von den Ältesten:

Samuel nahm das Horn mit dem Öl und salbte David mitten unter seinen Brüdern. (1. Sam 16,13)

Dann kamen die Männer Judas und salbten David dort zum König über das Haus Juda. (2. Sam 2,4)

Alle Ältesten Israels kamen zum König nach Hebron; der König David schloss mit ihnen in Hebron einen Vertrag vor dem Herrn und sie salbten David zum König von Israel. (2. Sam 5,3)

David war nicht der selbstverständliche Nachfolger Sauls. Eine dreifache Salbung erscheint notwendig, um die Legitimation seines königlichen Status sicherzustellen.

Und auch Salomo war kein offensichtlicher Thronfolger, sondern musste sich gegen die Ansprüche von Adonija behaupten. David befahl:

Dort sollen ihn der Priester Zadok und der Prophet Natan zum König von Israel salben und ihr sollt in das Horn stoßen und rufen: Es lebe König Salomo! Dann zieht mit ihm herauf! Er soll kommen, sich auf meinen Thron setzen und König werden an meiner Stelle; denn ihn habe ich zum Fürsten von Israel und Juda bestimmt. (1. Kön 1,34–35)

Salomo wurde noch zu Davids Lebzeiten dessen Nachfolger (1. Kön 1,46 ff.).

Der Prophet Elia salbte Jehu zum König in Nordisrael (1. Kön 19,16 und 2. Kön 9,3.6).

Da stand Jehu auf und ging in das Haus. Der Prophetenjünger goss ihm das Öl über das Haupt mit den Worten: So spricht der Herr, der Gott Israels: Ich salbe dich zum König über das Volk des Herrn, über Israel. (2. Kön 9,6)

Über Joasch, König Judas, lesen wir, wie sein Vater von Jehu umgebracht worden war und seine Großmutter Atalja daraufhin alle potenziellen Nachfolger hatte ermorden lassen. Joasch wurde als Kind erfolgreich vor ihr versteckt und konnte dann zu gegebener Zeit zum König aufsteigen:

So machten sie ihn [Joasch] zum König, salbten ihn, klatschten in die Hände und riefen: Es lebe der König! Als Atalja das Geschrei des Volkes hörte, kam sie zu den Leuten in das Haus des Herrn. Da sah sie den König am gewohnten Platz bei der Säule stehen; die Obersten und die Trompeter waren bei ihm und alle Bürger des Landes waren voller Freude und bliesen die Trompeten. Atalja zerriss ihre Kleider und schrie: Verrat, Verrat! (2. Kön 11,12–14)

Die Könige, von denen eine Salbungsgeschichte überliefert ist, waren keine selbstverständlichen Thronanwärter und benötigten offensichtlich eine Legitimation durch ein Salbungsritual. Andererseits kann eine Salbung auch bei anderen Königen stattgefunden haben, ohne dass es in den Schriften explizit erwähnt oder für erwähnenswert gehalten wurde.

2. Der »Gesalbte« als Spiegel der Herrschaft Gottes

In der frühen Königszeit ist eine allgemeine Hochschätzung Davids als idealer Herrscher zu beobachten. Da an ihn die göttliche Verheißung einer »ewigen Dynastie« ergangen ist, gilt er als Maßstab für die Bewertung aller weiteren judäischen Könige. Hier wird der Begriff »Gesalbter« verwendet, um die Bedeutung des davidischen Königstums zu reflektieren.

Die Könige der Erde stehen auf, die Großen tun sich zusammen gegen den Herrn und seinen Gesalbten. (Psalm 2,2)

Seinem König verleiht er große Hilfe, Huld erweist er seinem Gesalbten, David und seinem Stamm auf ewig. (Psalm 18,51)

Nun habe ich erkannt: Der Herr schafft Rettung seinem Gesalbten. (Psalm 20,7)

Du aber hast verstoßen, verworfen, mit Zorn überschüttet deinen Gesalbten. (Psalm 89,39)

Ja, deine Feinde, Herr, schmähten, ja, sie schmähten die Spuren deines Gesalbten. (Psalm 89,52)

Um Davids willen, deines Knechts, weise nicht ab das Angesicht deines Gesalbten. (Psalm 132,10)

Dort bringe ich Davids Macht zum Sprießen und stelle eine Leuchte auf für meinen Gesalbten. (Psalm 132,17)

Die »Königspsalmen« legitimieren den König als Gesalbten des HERRN, ja sogar als dessen Sohn, dem eine die Völker unterdrückende Weltherrschaft übertragen wird. Die Aussagen der Jerusalemer Königstheologie haben sich am deutlichsten in den Königspsalmen erhalten (Ps 2; 18; 20; 21; 45; 72; 89; 101; 110; 132; 144,1–11). Der König gilt als Gottes Sohn, er sitzt zur Rechten Gottes. Ihm ist die Welt übereignet, die Völker und Nationen gelten als das ihm von Gott verliehene Erbe. Deshalb erbittet und erwartet man von seiner Herrschaft, in der sich die Herrschaft Gottes widerspiegelt, Sieg und einen umfassenden Heilszustand. Selbst diese Texte können am ehesten als Legitimation für das davidische Königtum gelesen werden, kaum aber als Erwartung eines zukünftigen Gesalbten.

An vier Stellen findet sich in der Hebräischen Bibel der Begriff »Gesalbter« für Aaroniden vom Stamm Levi: Der Hohepriester wird als »gesalbter Priester« hervorgehoben (Lev 4,3.5.16), und zwar als derjenige, der in der direkten Nachfolge Aarons steht und an seiner Stelle salbt (Lev 6,15).

In Jes 45,1 wird sogar ein Nichtjude, der Perserkönig Kyros, als Gesalbter bezeichnet.

So spricht der HERR zu seinem Gesalbten, zu Kyros: Ich habe ihn an seiner rechten Hand gefasst, um ihm Nationen zu unterwerfen; Könige entwaffne ich, um ihm Türen zu öffnen und kein Tor verschlossen zu halten. (Jes 45,1) Er baut meine Stadt wieder auf, mein verschlepptes Volk lässt er frei, aber nicht für Lösegeld oder Geschenke. (Jes 45,13)

Ein māschîaḥ, »Gesalbter«, ist in der Hebräischen Bibel also keine einzelne Person, sondern eine Bezeichnung, die auf verschiedene Rollen und Personen anwendbar ist. Sie bezieht sich auf eine von Gott ausgewählte, mit besonderer Kraft und Herrschaft ausgestattete Person, die aus dem politisch-monarchischen oder priesterlich-kultischen Stand stammt. Māschîaḥ bezeichnet in der Hebräischen Bibel weder eine eschatologische Figur noch eine Heilsgestalt am Ende der Tage. Festhalten lässt sich zudem, dass māschîaḥ ein uneinheitlicher Terminus ist, der in wenigen Texten der Hebräischen Bibel vorkommt und dort in unterschiedlichen Weisen eingesetzt wird.

3. Der Retter in der Not

Neben Textpassagen, die den Begriff māschîaḥ »Gesalbter« oder das Verb mšḥ »salben« wortwörtlich verwenden, gibt es viele Abschnitte in der Hebräischen Bibel, die einen Bezug zu einer Rettergestalt herstellen, auch wenn der Terminus »Gesalbter« nicht explizit vorkommt, jedoch oft implizit gemeint ist. Diese biblischen Texte wollen wir im Folgenden genauer betrachten, ausgehend von der Frage, in welche historisch-politischen Kontexte sie sich einbetten lassen. In welchen Situationen und Lebensrealitäten gewann der Verweis auf eine Retterfigur an Bedeutung?

3.1 Babylonisches Exil

Die Katastrophe des Babylonischen Exils (597–538 v. u. Z.) und die Zerstörung des Tempels Salomos im 6. Jahrhundert v. u. Z. ließen die Nachfrage nach einer Erlöserpersönlichkeit steigen. Der Verlust der politischen Autonomie und die Zerstreuung unter die Völker weckten die Hoffnung auf das befreiende Handeln Gottes, auf die Sendung einer Rettergestalt, die sein Volk von der Fremdherrschaft erlösen und die unterworfenen Völker in Gerechtigkeit regieren würde. Die Gestalt Davids wurde zum Sinnbild des idealen Monarchen. So gilt für König David etwa die Verheißung, dass seine Dynastie auf ewig herrschen werde:

Ich will dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe kommen wird; dem will ich sein Königtum bestätigen. Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will seinen Königsthron bestätigen ewiglich. Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein. […] Aber dein Haus und dein Königtum sollen beständig sein in Ewigkeit vor dir, und dein Thron soll ewiglich bestehen.5 (2. Sam 7,12–16)

In den prophetischen Büchern der Hebräischen Bibel finden wir einige Verse, die den Untergang der Dynastie Davids voraussetzen und die Hoffnung für Israel mit der Wiederaufrichtung der davidischen Herrschaft verbinden:

Und ich will ihnen einen einzigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David. Der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein, und ich, der Herr, will ihr Gott sein. Und mein Knecht David soll der Fürst unter ihnen sein. (Hes 34,23–24)

Zur selben Zeit will ich die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten und ihre Risse vermauern und, was abgebrochen ist, wieder aufrichten und will sie bauen, wie sie vorzeiten gewesen ist. (Am 9,11)

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. (Jer 23,5)

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich das gnädige Wort erfüllen will […] ich will dem David einen gerechten Spross aufgehen lassen; der soll Recht und Gerechtigkeit schaffen im Lande. […] Es soll David niemals fehlen an einem, der auf dem Thron des Hauses Israels sitzt.6 (Jer 33,14–17)

Eng verbunden mit der Monarchie waren ihre beiden wichtigsten Manifestationen: die Hauptstadt Jerusalem und der Tempel. Die Zerstörung dieser beiden Zentren mit ihrer hohen Symbolbedeutung markierte das Ende einer Epoche, und die Zeit der »Heimkehr nach Zion« ist untrennbar verknüpft mit dem Wiederaufbau des Tempels und der Stadt.

Als Bewohner erst babylonischer und später persischer Provinzen konnten die Juden eine Wiederherstellung des davidischen Königtums nur von Gottes Treue zu der von ihm erwählten Dynastie erhoffen.

3.2 Unter persischer Herrschaft

Nachdem der Perserkönig Kyros II. im Jahr 539 v. u. Z. das babylonische Reich erobert hatte, erlaubte er den Juden die Rückkehr in ihre Heimat. Zwar bezeichnet Jesaja Kyros als »Gesalbten« (Jes 45,1), doch noch immer herrschte eine fremde Regierung, die neue persische Oberherrschaft. Von der Restauration der Monarchie war keine Spur. Innerpersische Thronkämpfe lösten neue Hoffnungen in der persischen Provinz Juda aus, und zwar auf den Davididen Serubbabel. Diese Hoffnungen finden wir bei den Propheten Haggai und Sacharja formuliert, die während der Wiedererrichtung des Tempels um etwa 520 v. u. Z. wirkten.

Bei Haggai ist es nicht der erwartete Davidide Serubbabel,7 sondern JHWH, der die militärischen Voraussetzungen für das neue Friedensreich schafft, in dem Serubbabel herrschen wird. Eine universalistische oder eschatologische Perspektive fehlt allerdings, ein Gesalbter (»Messias«) wird nicht erwähnt.

Sag zu Serubbabel, dem Statthalter von Juda: Ich lasse den Himmel und die Erde erbeben. Ich stürze die Throne der Könige und zerschlage die Macht der Königreiche der Völker. Ich stoße die Kriegswagen samt ihren Fahrern um, die Pferde sinken samt ihren Reitern zu Boden, einer vom Schwert des andern getroffen. An jenem Tag – Spruch des Herrn der Heerscharen – nehme ich dich, mein Knecht Serubbabel, Sohn Schealtiëls, – Spruch des Herrn – und mache dich zu meinem Siegelring; denn ich habe dich erwählt – Spruch des Herrn der Heerscharen. (Hag 2,21–23)

Kurz nach Haggai tritt Sacharja auf, der die Heilsverkündigung Haggais weiterträgt. Und auch Sacharjas Hoffnung ist nicht eschatologisch geprägt. Er erwartet jedoch eine friedliche Umwälzung der politischen Verhältnisse durch JHWH:

Da erwiderte er und sagte zu mir: So lautet das Wort des Herrn an Serubbabel: Nicht durch Macht, nicht durch Kraft, allein durch meinen Geist! – spricht der Herr der Heerscharen. (Sach 4,6)

Serubbabels Hände haben den Grund zu diesem Haus gelegt und seine Hände werden es vollenden. Dann wirst du erkennen, dass mich der Herr der Heerscharen zu euch gesandt hat. (Sach 4,9)

Bei Sacharja finden wir auch die Erwartung, dass das davidische Königshaus in einem neuen Licht erstrahlen wird. Das Bild zweier Ölsöhne (Sach 4,12) als einer messianischen Doppelspitze, die friedliche und kriegerische Aspekte in sich vereint, kann auf politische Akteure wie Serubbabel und den Hohepriester gedeutet werden.

Was bedeuten die zwei Ölbäume auf der rechten und auf der linken Seite des Leuchters? Und weiter fragte ich ihn: Was bedeuten die beiden fruchttragenden Zweige der Ölbäume bei den beiden goldenen Röhren, die das goldene Öl von ihnen herab ausgießen? Er sagte zu mir: Weißt du nicht, was sie bedeuten? Ich erwiderte: Nein, mein Herr. Er sagte: Das sind die beiden Gesalbten,8 die vor dem Herrn der ganzen Erde stehen. (Sach 4,11–14)

Aber auch die Hoffnungen Haggais und Sacharjas auf einen politischen Neuanfang und den Bau eines Friedensreichs unter der Leitung Serubbabels haben sich nicht erfüllt: Nach der Vollendung des Tempelbaus 515 v. u. Z. wird von keinen weiteren Taten Serubbabels mehr berichtet. Aus der Zeit zwischen 500 und 200 v. u. Z. gibt es wenige Texte mit Bezugspunkten auf zukünftige Hoffnungsträger.9

In der nachexilischen Gemeinde wurde in der zweiten Hälfte des 5. Jh. der Wunsch nach einer Theokratie durch Esra und Nehemia und deren Schriften sowie durch das Geschichtswerk des ersten und zweiten Chronikbuches zementiert. Die Hoffnung auf einen König als eine konkrete, realistische Erwartung (keine eschatologische Perspektive!) musste dem Druck der politischen Realitäten weichen, sodass im 5. und in der ersten Hälfte des 4. Jh. Zeugnisse von Königserwartungen fehlen.

Nach der Schwächung der persischen Oberherrschaft durch den Alexanderzug in der zweiten Hälfte des 4. Jh. und dem Ende des Perserreichs formuliert Deuterosacharja noch einmal seine mit einem König verbundene Hoffnungsvorstellung:10

Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Gerecht ist er und Rettung wurde ihm zuteil, demütig ist er und reitet auf einem Esel, ja, auf einem Esel, dem Jungen einer Eselin. Ausmerzen werde ich die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus Jerusalem, ausgemerzt wird der Kriegsbogen. Er wird den Nationen Frieden verkünden; und seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Strom bis an die Enden der Erde. (Sach 9,9–10)

Eine eschatologische Perspektive fehlt auch hier. Neu ist, dass der erwartete König als arm und demütig dargestellt und als gerettet bezeichnet wird. Dass die politischen Entwicklungen und die damit einhergehenden Enttäuschungen die Hoffnung auf eine Erneuerung des Königtums verändert haben, ist anzunehmen. Der Wechsel der Perspektive von einem König mit politischer Macht zu einem geistigen Führer seines Volkes bzw. als reine Symbolgestalt kann in diese Richtung verstanden werden. Die Gestalt des Königs und des Gesalbten JHWHs hat sich von einer aggressiven und mächtigen, die Völker unterdrückenden Herrschergestalt (wie etwa noch in Ps 2) hin zu einem armen, demütigen Stifter und Wahrer von Gerechtigkeit und Frieden entwickelt.

Nach dem Tod Alexander d. Großen 323 v. u. Z. wurden die Hohepriester unter den hellenistischen Oberherren zu den geistlichen und zugleich weltlichen Anführern der jüdischen Bevölkerung. Die Stellung des Hohepriesters gewann zunehmend an Bedeutung, insbesondere als die Ptolemäer und Seleukiden in Judäa herrschten.11

3.3 Ptolemäische Herrschaft