Der Ring des Salomo - Barbara Goldstein - E-Book

Der Ring des Salomo E-Book

Barbara Goldstein

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Labyrinth tief unter den Mauern Roms. Ein Ring, der Macht verheißt. Eine atemlose Jagd ...

1447. Blut regnet auf Rom herab. Düstere Omen deuten auf den nahen Tod des Papstes hin. Dieser beauftragt Alessandra d'Ascoli, einen legendären Ring zu suchen, den Schlüssel zu unermesslicher Macht. Plötzlich sterben Alessandras Freunde wie unter einem Fluch. Sie selbst wird lebendig begraben, als ein Gewölbe über ihr einstürzt. Alessandra entkommt, doch die Gefahr ist nicht gebannt. Die Inquisition beschuldigt sie und ihren Geliebten Yared, den Papst ermordet zu haben. Schon brennen die Scheiterhaufen ...

Auch in den folgenden weiteren historischen Romanen von Barbara Goldstein bei beTHRILLED löst Alessandra d'Ascoli spannende Rätsel:

Der vergessene Papst * Der Gottesschrein * Das Testament des Satans * Das letzte Evangelium.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 860

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumHinweisZitatPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51Kapitel 52Kapitel 53Kapitel 54Kapitel 55Kapitel 56Kapitel 57Kapitel 58Kapitel 59Kapitel 60Kapitel 61Kapitel 62Kapitel 63Kapitel 64Kapitel 65Kapitel 66Kapitel 67Kapitel 68Kapitel 69Kapitel 70Kapitel 71Kapitel 72Kapitel 73Kapitel 74Kapitel 75Kapitel 76Kapitel 77Kapitel 78Kapitel 79Kapitel 80Kapitel 81Kapitel 82Kapitel 83Kapitel 84Kapitel 85Kapitel 86Kapitel 87Kapitel 88Kapitel 89Kapitel 90Kapitel 91Kapitel 92Kapitel 93Kapitel 94Kapitel 95Kapitel 96Kapitel 97Kapitel 98Kapitel 99Kapitel 100Kapitel 101Kapitel 102Kapitel 103Kapitel 104Kapitel 105Kapitel 106Kapitel 107Kapitel 108Kapitel 109Kapitel 110Kapitel 111Kapitel 112Kapitel 113Kapitel 114Kapitel 115Kapitel 116Kapitel 117Kapitel 118Kapitel 119Kapitel 120Kapitel 121Dramatis Personae

Über dieses Buch

Ein Labyrinth tief unter den Mauern Roms. Ein Ring, der Macht verheißt. Eine atemlose Jagd …

1447. Blut regnet auf Rom herab. Düstere Omen deuten auf den nahen Tod des Papstes hin. Dieser beauftragt Alessandra d‘Ascoli, einen legendären Ring zu suchen, den Schlüssel zu unermesslicher Macht. Plötzlich sterben Alessandras Freunde wie unter einem Fluch. Sie selbst wird lebendig begraben, als ein Gewölbe über ihr einstürzt. Alessandra entkommt, doch die Gefahr ist nicht gebannt. Die Inquisition beschuldigt sie und ihren Geliebten Yared, den Papst ermordet zu haben. Schon brennen die Scheiterhaufen …

Über die Autorin

Barbara Goldstein, geb. 1966, arbeitete zunächst in der Verwaltung von Banken und nahm dann ein Studium der Philosophie und der Sozialen Verhaltenswissenschaften auf. Später machte sie sich als Autorin historischer Romane selbstständig und nahm ihre Leser mit in die Welt von Alessandra d‘Ascoli, einer florentinischen Buchhändlerin. Barbara Goldstein verstarb im März 2014 nach langer Krankheit.

Barbara Goldstein

Der Ringdes Salomo

beTHRILLED

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Copyright © 2010/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Atelier Versen, Bad Aiblingenunter Verwendung von © akg-images/Erich Lessing

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-5299-3

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Ein Verzeichnis der handelnden Personen findet sich am Ende des Buches.

Leg mich wie ein Siegel an dein Herz!

Denn stark wie der Tod ist die Liebe,

wie die Feuergluten der Hölle ihre Leidenschaft.

Nichts vermag ihr Lodern auszulöschen.

Das Lied der Lieder

König Salomo

Prolog

Im Kreuzgang von San Giovanni in Laterano

Dienstag, 21. Februar 1447

Kurz nach der Mitternachtsmesse

Frierend zerrt der Mönch den flatternden Habit enger um sich, während er nach dem Nachtoffizium durch die Schneeverwehungen im Kreuzgang stapft.

Die Nacht ist kalt. Und stürmisch. Der Schneesturm, der während der letzten Tage von Norden über Rom hereingebrochen ist und die Stadt knietief im Schnee versinken ließ, scheint sich gelegt zu haben. Nun fegen die Böen von Süden heran. Über dem Kreuzgang des Benediktinerklosters brodeln majestätische Gewitterwolken in flammendem Purpur und düsterem Violett. Flackernde Blitze lassen ihr Inneres unheilvoll lodern.

Als ob die Pforten der Hölle sich öffnen …

Schaudernd wendet Fra Giordano Savelli den Blick vom sturmdurchtosten Himmel und umklammert sein Brustkreuz. Das gleißende Licht der Blitze scheint die Adler und Löwen, Sphingen und Dämonen auf den Säulenkapitellen des Kreuzgangs zum Leben zu erwecken. Mit hochgezogenen Schultern hastet der ehrwürdige Benediktiner durch die Säulenarkaden. Gerade als er das Portal aufschieben und die Lateranbasilika betreten will, lässt ihn ein greller Blitz jäh zusammenzucken. Zwei, drei rasende Herzschläge später folgt ein ohrenbetäubender Donner. Der Gewittersturm hat Rom erreicht.

Fra Giordano schlüpft in die Basilika, schließt das Portal hinter sich und lehnt sich einen tiefen Atemzug lang dagegen. Die allerheiligste Kathedrale des Papstes als Bischof von Rom liegt in tiefer Finsternis. Die Glut der Kohlenbecken neben dem Altar, an dem schon der heilige Petrus die Messe zelebrierte, lässt nur die Apsis mit dem goldglitzernden Mosaik über dem Papstthron aus Marmor düster aufleuchten.

Der Frater tastet sich durch das Seitenschiff, wo sich die zerlegten Holzgerüste, die Kisten mit Marmorsplittern für die Bodenmosaiken und die Werkzeuge der Arbeiter stapeln, die in den letzten Monaten die Basilika des Kaisers Konstantin restauriert haben. In wenigen Tagen wird Papst Eugenius in San Giovanni in Laterano sein Thronjubiläum feiern. Bis dahin muss alles fertig sein.

Der Benediktiner geht zum Hochaltar. Vor der Confessio mit dem Grab von Papst Martin kniet er nieder und bekreuzigt sich demütig. Der Amtsvorgänger von Papst Eugenius, auf dessen Grabplatte die Römer immer wieder Münzen werfen, hatte das jahrzehntelange Schisma von drei Gegenpäpsten beendet und war im Triumph nach Rom zurückgekehrt. Ächzend erhebt der Frater sich wieder. Steifbeinig quält er sich die Altarstufen empor, facht mit dem Schürhaken die Glut der Kohlenbecken neben dem Altar an und legt einige Handvoll Kohlen nach.

Mit geschlossenen Augen genießt er einen Moment die brennende Hitze auf seinem kalten Gesicht. Welch eine Wohltat nach dem Stundengebet in der Kapelle, wo der eisige Luftzug die Altarkerzen auszulöschen drohte! Fra Giordano reibt seine steifen Hände über der knisternden Glut. Ob Seine Heiligkeit die Wärme ebenso genießen wird, wenn er, durchgefroren vom langen Ritt vom Vatikan zum Lateran, in wenigen Stunden seine Kathedrale betreten wird? Eugenius ist vierundsechzig. Sein jahrelanges Ringen um die Vereinigung der römischen, griechischen, syrischen, armenischen und koptischen Gläubigen zu einer Kirche mit einem Glauben und einem Papst haben ihn erschöpft. Seine Hände zittern so stark, dass er nur noch seinen engsten Vertrauten den Fischerring zum Kuss darbietet.

Seufzend wendet sich Fra Giordano ab und geht weiter zu den Kohlenbecken neben dem Marmorthron des Papstes, um auch dort die Glut zu schüren. Von hier aus regiert Eugenius seine Kirche, die von der Küste Portugals bis zu den Dschungeln Indiens und von den schottischen Highlands bis zur ägyptischen Wüste reicht. Doch wie lange noch? Was wird sein, wenn er trotz seines eisernen Willens nicht mehr in der Lage ist, die vereinigte Kirche zusammenzuhalten? Wenn Eugenius eines Tages stirbt …

Erschrocken zuckt Fra Giordano zusammen, als zwischen dem bedrohlichen Donnergrollen des Gewittersturms ein metallisches Sirren durch die Basilika hallt.

Die Portale sind doch längst verschlossen!, denkt er entsetzt. Einsam und verlassen liegt die Basilika zwischen antiken Ruinen, verfallenen Kirchen und dichtem Dornengestrüpp, das den schmalen Pilgerpfad vom Forum Romanum bis hierher säumt. Die Pilger wagen sich nie allein in diese Einsamkeit, weil sie fürchten, dass sie beraubt oder gar ermordet werden.

Schaudernd erinnert sich Fra Giordano an die Gesetzlosen, die es gewagt hatten, Kardinal Scarampo und dessen bewaffnetes Gefolge aus dem Hinterhalt zu überfallen. Seit mehreren Tagen hängen sie steif gefroren am ausgestreckten Arm der antiken Reiterstatue vor der Basilika. Der Regent von Rom, der durch den Mordanschlag nur leicht verletzt wurde, weil er den Vatikan niemals ohne Helm, Harnisch und Schwert verlässt, hat die Assassini ohne Prozess hinrichten lassen.

Mit pochendem Herzen umklammert der Benediktiner den Schürhaken, hält die glühende Spitze wie eine Waffe vor sich und starrt mit aufgerissenen Augen in die Finsternis jenseits des Hochaltars. Um Gottes willen! Wer ist dort?

Fra Giordano lauscht mit geneigtem Kopf.

Vom anderen Ende der Kathedrale dringt ein Rascheln zu ihm, gefolgt von einem Stöhnen. Jemand keucht leise.

Dem Frater gefriert das Blut in den Adern. Eine furchtbare Vorahnung beschleicht ihn. Er weiß, was diese grauenhaften Geräusche zu bedeuten haben. Der Teufelspapst! Die Gebeine von Papst Silvester II. rumoren in ihrem Grab – der Legende nach ein düsteres Omen für den nahenden Tod des Pontifex! Allmächtiger Gott, liegt Eugenius im Sterben?

Fra Giordano umklammert den Schürhaken und steigt langsam die Altarstufen hinab. Nein, er bebt nicht vor Angst, aber eine gewisse Unruhe kann er nicht leugnen. Er muss Gewissheit haben. Vor vielen Jahren hat er das Klappern der Knochen schon einmal gehört.

»Alessandra?«, flüstert er in die Finsternis.

Keine Antwort.

Fra Giordano bleibt stehen.

»Alessandra!« Seine Stimme hallt durch die stille Kathedrale.

Als Kind hatte Alessandra die Benediktiner mit den rasselnden Gebeinen des Teufelspapstes in Angst und Schrecken versetzt. Doch der Gedanke, Alessandra könnte ihm erneut einen Streich spielen, ist unsinnig. Die Tochter des ehemaligen Inquisitors von Rom ist eine angesehene Gelehrte, die in den letzten Jahren aufsehenerregende Forschungsreisen nach Alexandria und Jerusalem unternommen hat. In den nächsten Tagen will sie zu einem geheimnisumwitterten Ort in der Wüste aufbrechen, um die verschollenen Handschriften der Bibliothek von Alexandria zu suchen. Nein, die Vertraute des Papstes wird wohl kaum nach Mitternacht in die Lateranbasilika schleichen, um wie damals, als ihr Cousin, Papst Martin, Pontifex war, die Mönche zu erschreck…

Da ist es wieder.

Mit angehaltenem Atem lauscht er den leisen Geräuschen, die aus dem dunklen Seitenschiff dringen – vom Grab des Teufelspapstes, das durch das unablässige Flackern der Blitze immer wieder in helles Licht getaucht wird.

Fra Giordano bekreuzigt sich, eilt zurück zum Altar und entzündet eine Kerze. Dann hastet er durch das Mittelschiff zum Portal der Kathedrale.

Es ist verriegelt. Fra Giordano ist allein in der Basilika.

Zu Tode erschrocken wirbelt er herum, als erneut ein leises Rascheln aus dem Seitenschiff dringt – ein Flüstern, ein sardonisches Kichern?

Der Teufelspapst!

Fra Giordano erschauert.

Die Legende berichtet, dass der Benediktiner Gerbert d’Aurillac, der größte Magier des Abendlandes, mit Satan einen Pakt geschlossen hatte, damit er als Papst Silvester II. den Thron Petri besteigen konnte. Sein mysteriöser Tod während eines Pontifikalamtes soll das Ende dieses Teufelspaktes gewesen sein.

Fra Giordano fasst sich ein Herz und schleicht hinüber zum Grab von Papst Silvester II., dem Papst des apokalyptischen Jahres 999. Im Schein der Kerze liest er die ominöse lateinische Grabinschrift.

Dann erst bemerkt er das Rinnsal, das aus dem Grab zu fließen scheint. Er kniet nieder, um es zu untersuchen. Blut!

Unruhig tastet der Frater nach der schwarzen Perlenkette an seinem Gürtel. Mit schweißnassen Fingern betet er ein paar Perlen des Rosenkranzes und redet sich beherzt ein, dass er gegen jeden Angriff durch das Böse gewappnet ist. Er bekreuzigt sich hastig.

Jesus Christus steh ihm bei!

Fra Giordano atmet tief durch. Ein merkwürdiger süßlicher Duft wabert um das Grab des Teufelspapstes. Wie von einer verwesenden Leiche. Er tritt ganz nah heran und schnuppert. Nein, der Geruch nach Tod und Verwesung entströmt nicht der Gruft.

Eine Spur aus Blutstropfen und schmelzendem Schnee führt Fra Giordano im unablässigen Flackern der Blitze zum Portal des Lateranpalastes in der rechten Seitenwand.

Lautlos schiebt der Frater einen Torflügel auf und späht in die Finsternis. Nachdem Eugenius vor Jahren, als Mönch verkleidet, ins florentinische Exil fliehen musste, ist der Palast geplündert und verlassen. Seit seiner Rückkehr nach Rom residiert Seine Heiligkeit im Vatikan.

Im nächsten Augenblick zuckt Fra Giordano erschrocken zurück. Ein gotteslästerlicher Fluch, übertönt von einem ohrenbetäubenden Donnerschlag!

Betend umklammert er die Altarkerze und hastet den Gang entlang zur Marmortreppe, die zum Thronsaal der Päpste emporführt. Er bleibt stehen, hält den Atem an und lauscht.

Totenstille.

Kein Blut auf den Stufen.

Er schleicht weiter zu dem Portal, hinter dem sich die Treppe befindet, die in die Gewölbe des Lateranpalastes hinabführt. Es steht offen. Gestern haben Bauarbeiter dort unten eine Geheimkammer aufgebrochen, die sich direkt unter dem Grab des Teufelspapstes befinden soll. Wieso ist der Franziskanerinquisitor, der die Kammer untersuchte, so überstürzt in den Vatikan zurückgekehrt? Welch schreckliches Mysterium hat er entdeckt?

Fra Giordano wagt kaum zu atmen. Doch dann fasst er sich ein Herz, huscht durch das Portal und steigt die Stufen hinab. Ein eisiger Lufthauch weht ihm entgegen – und der Geruch nach Blut und … ja, wonach riecht es noch? Großer Gott, es ist Schwefel!

Die Pforten der Hölle stehen weit offen …

Nach wenigen Stufen wendet sich die Treppe nach links, wenig später noch einmal. Ein diffuser Lichtschein schimmert an den Wänden. Jemand ist in den Gewölben.

Mit angespannten Schultern steigt er weiter die Treppe hinab und folgt dem Gang in ein Labyrinth von Kammern, von denen einige in den letzten Jahrzehnten bereits zusammengebrochen sind. Nach zwei Feuersbrünsten ist der Lateranpalast nur noch eine einsturzgefährdete Ruine.

Eine düstere Vorahnung beschleicht den Benediktiner – der Gedanke an den Tod in einem dieser Gewölbe tief unter der Erde. In dieser finsteren Gruft. Unwillkürlich huscht sein Blick hinauf zu den Gewölbesteinen des Ganges – irgendwo dort oben muss das Grab des Teufelspapstes liegen!

Er hält die Kerze vor sich und starrt nach vorn, wo sich die Blutspur in der Finsternis verliert. Die Kälte kriecht ihm den Rücken hoch. Aber er geht weiter. Er glaubt sich in einem düsteren Albtraum – als ob er von einer unsichtbaren Macht, die viel stärker ist als er, gegen seinen Willen gezwungen wird, ihr zu folgen und sich ihr zu unterwerfen. Doch kein panischer Schrei und kein schweißgebadetes Erwachen wird ihn aus diesem Horror erlösen.

Ein leises Flüstern lässt ihn kurz innehalten. Oder ist es der Gewittersturm? Der Frater lauscht mit angehaltenem Atem in die Grabesstille.

Am ganzen Körper bebend tastet sich Fra Giordano weiter durch das Labyrinth. Die Adern an seinen Schläfen pochen und verursachen einen bohrenden Kopfschmerz.

Das Flüstern wird lauter. Zwei Stimmen, die sich zu einem zischenden Getuschel erheben – als würde jeden Augenblick ein Streit losbrechen. Doch die Worte bleiben dem Frater unverständlich. Dann ein sardonisches Kichern, gefolgt von einem heiseren, gequälten Schrei, der in ein schrilles, panisches Kreischen übergeht. Wie von einem Menschen in extremis!

Ein satanisches Kichern durchbricht das Schweigen nach den Todesqualen.

Dem Frater läuft ein eisiger Schauer über den Rücken. »Allmächtiger Gott, steh mir bei!« Er bekreuzigt sich mit zitternden Fingern, ohne den Blick vom düsteren Glimmen am Ende des Korridors zu wenden. Plötzlich verlischt es. Dann hört er Schritte. Sie werden immer leiser. Schließlich ist es still.

Die Grabesstille, in der sein keuchender Atem viel zu laut widerhallt, ist entnervend.

Der Benediktiner verharrt noch einen Herzschlag lang, dann wagt er sich langsam weiter vor. Der Geruch nach Blut wird mit jedem Schritt stärker. Übelkeit steigt in ihm auf, und er muss sich zusammenreißen, sich nicht zu übergeben.

Nach wenigen Schritten biegt er um die Ecke und erreicht den Durchbruch zur Geheimkammer, die bis vor wenigen Stunden zugemauert war. Die herausgebrochenen Quadersteine liegen noch im Gang, dessen Decke über eine Länge von zehn Schritten durch Holzgerüste, die mit straff gespannten Seilen untereinander verbunden sind, abgestützt wird.

Fra Giordano späht in die Kammer. Sie ist schmal wie ein Korridor, der nach zehn Schritten vor einer massiven Wand aus Steinquadern endet. Die Truhen sind durchwühlt worden. Etliche Seiten der Papyrusfolianten sind zerrissen oder zerknickt. Daneben liegen zertrümmerte Astrolabien, ein seltsam geformter Abakus mit merkwürdigen Zahlen und Zeichen darauf, die Fra Giordano noch nie zuvor gesehen hat, und irgendwelche mechanischen Geräte. Wozu man sie gebrauchen könnte, erschließt sich ihm nicht. Vor einem umgestürzten Thronsessel liegen prächtige Pontifikalgewänder und eine mit Rubinen und Saphiren bestickte Mitra im aufgewühlten Staub.

Großer Gott, wer hat in der Geheimkammer mit dem Nachlass des Teufelspapstes gewütet?

Fra Giordano erstarrt, als er am anderen Ende der Kammer eine Gestalt entdeckt, die auf dem Boden ausgestreckt liegt. Ein Mönch in schwarz-weißem Habit.

Die aufsteigende Panik raubt Fra Giordano den Atem. Doch schließlich kniet er neben dem Dominikaner nieder. Mühsam dreht er die Gestalt auf den Rücken …

… und erstarrt, als der abgetrennte Kopf vor seine Füße rollt.

»Allmächtiger!« Fra Giordano bekreuzigt sich.

Der Dominikaner hat kein Gesicht mehr! Wie mit eisernen Zangen ist ihm die Haut weggerissen worden. Bleich schimmern die Wangenknochen zwischen den zerrissenen Muskeln hervor. Die Augenhöhlen sind leer. Der lippenlose Mund ist zu einem satanischen Grinsen erstarrt. Ganz langsam streckt Fra Giordano die Hand aus, um das rohe Fleisch zu berühren. Es ist noch warm …

Die Hände des Mönchs sind abgerissen. Sie liegen neben ihm im Staub und umklammern einen aufgeschlagenen Pergamentcodex.

Fra Giordano zieht den Codex zu sich heran. Die Seiten sind mit arabischen, hebräischen und griechischen Schriftzeichen bedeckt. Auf einer Seite starrt ihm eine satanische Schreckgestalt entgegen. Darunter, mit Blut geschrieben, der Name Beelzebul.

Der Herr der Dämonen.

»Credo in unum Deum, patrem omnipotentem«, flüstert Fra Giordano. »Ich glaube an den einen Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer von Himmel und Erde, von allem Sichtbarem und Unsichtbarem. Und ich glaube an unseren Herrn Jesus Christus …«

Während er das Credo betet, schlägt er den Buchdeckel auf und entziffert den goldgeprägten Titel der uralten Handschrift.

Das Testament des Salomo

Von panischem Schrecken ergriffen starrt Fra Giordano das Grimoire, das magische Buch, an.

Hat der Dominikaner mithilfe der legendären Weisheit von König Salomo den Fürsten der Finsternis beschworen? Hat Satan dem Frater seine Aufwartung gemacht, wie er es einst auch mit Papst Silvester getan hat?

Dröhnend grollt der Donner des Gewittersturms, der sich mit ungebändigtem Toben über Rom entlädt.

Ein scharfes Knirschen – hinter ihm!

Fra Giordano wirbelt herum und hält die Kerze hoch.

Wieder dieses Knirschen!

Der Frater springt auf und stolpert zum Durchbruch, um in den finsteren Gang zu spähen.

Ein dunkler Schatten, der sich aus dem Labyrinth bedrohlich nähert. Ein weiter Mantel verhüllt die hochgewachsene Gestalt, eine schwarze Kapuze verbirgt das Gesicht.

Ein verzweifeltes Schluchzen entringt sich seiner Kehle, als Fra Giordano dem Fürsten der Finsternis den Codex entgegenschleudert und über den Saum seines langen Habits stolpernd und beinahe stürzend zu entkommen versucht.

Als er endlich die Treppe erreicht …

»Alessandra«

Kapitel 1

In der geheimen Kammer im Gewölbe des Lateranpalastes

Dienstag, 21. Februar 1447

Gegen acht Uhr abends

»Einen Augenblick!«, unterbrach ich Fra Giordano in seinem atemlosen Bericht. Was er beschrieben hatte, war unvorstellbar.

Mit aufgerissenen Augen starrte mich der Benediktiner an, noch ganz gefangen in den schrecklichen Erinnerungen an die letzte Nacht. Seine bebenden Finger hatte er wie zum Gebet gefaltet und unter dem Skapulier seines Habits verborgen. »Euer Gnaden?«

Ich winkte lässig ab. »Bitte nennt mich Alessandra. So wie früher.«

»Wie Ihr wünscht.«

Du lieber Himmel, wie er zitterte! Und dieser gehetzte Blick, in dem noch immer der Horror schimmerte! Der Frater stand unter Schock. Jeden Augenblick konnte er mit einem hysterischen Schluchzen zusammenbrechen.

»Ihr habt also Satan das Testament des Salomo ins Gesicht geschleudert?«, fragte ich mit sanfter Stimme und ergriff seine Hand. Sie war eiskalt. Wie die eines Toten.

Fra Giordano warf dem Papst im Nachtgewand, der ihn von seinem Bett aus aufmerksam beobachtete, einen scheuen Blick zu und nickte beklommen.

Seit er eine Stunde zuvor das Schlafzimmer Seiner Heiligkeit betreten hatte, hatte er es nicht gewagt, sich umzusehen und dem breiten Bett mit einem Baldachin aus Purpursamt, den Wandfresken, dem Marmorfußboden und dem Crucifixus von Giotto an der Wand gegenüber mehr als einen verstohlenen Blick zuzuwerfen. Kardinal Ludovico Scarampo, den engsten Vertrauten des Papstes, der an einem der Fenster zur Piazza San Pietro lehnte und ihn schweigend musterte, beachtete er nicht.

Mich ließ Fra Giordano dagegen kaum aus den Augen. Ich war sein fester Halt – er umklammerte meine Hand. Er hatte meinen Vater gekannt, der als päpstlicher Legat Rom regiert hatte. Und er kennt mich, seit ich als Kind die Benediktiner im Lateran in Angst und Schrecken versetzte, weil es in Rom heißt, die rasselnden Gebeine des Teufelspapstes kündigen wie eine Totenglocke an, dass der amtierende Papst im Sterben liege. Mein Vater hatte sich über meinen Streich furchtbar aufgeregt. Mein Cousin, Papst Martin, hatte schallend gelacht, als er davon erfuhr, und Gnade vor Recht ergehen lassen …

»Habt Ihr Satan ins Gesicht gesehen?«, fragte ich nach.

Fra Giordano schüttelte den Kopf und tastete nach dem dampfenden Glühwein neben sich auf dem Tisch. Seine Hand zitterte. Die Erinnerungen machten ihm zu schaffen. Er war zutiefst erschüttert.

Als er den Becher zurückstellte, mied er geflissentlich den Blick zu Fra Giovanni da Capestrano. Offenbar fürchtete er den Generalinquisitor der Franziskaner, der mit verschränkten Armen und hochgezogenen Schultern neben dem Bett des Papstes stand. Seine trotzige Haltung drückte sein ganzes Missfallen aus, dass ich die Fragen stellte und er zum Schweigen verdammt war.

Wieso ist er eigentlich in Rom?, fragte ich mich. Sollte er nicht eigentlich in Aquila sein, um dort die Fastenpredigten zu halten? Vor einigen Jahren hatte der Papst Fra Giovanni da Capestrano zum Bischof von Aquila machen wollen, doch der hatte abgelehnt – er wolle sich in seinen Aufgaben nicht auf ein Bistum beschränken lassen.

Und mich nennt er stolz und überheblich? Er, der sich in seinen Bußpredigten selbst als ›verschlagener als ein Dämon und hochmütiger als Satan‹ bezeichnet?

»Gott im Himmel!«, verlor der Inquisitor die Beherrschung. »Was habt Ihr denn nun gesehen, Frater?«

Ich beugte mich vor und legte dem verstörten Benediktiner, den Fra Giovannis hitziges Temperament erschreckt hatte, beruhigend die Hand auf den Arm. »Fra Giordano, seid Ihr sicher, dass Ihr Satan gegenübergestanden habt?«

Er vertraute mir und blickte mir in die Augen. »Ich weiß nicht … Die Gestalt war ganz in Schwarz gekleidet. Eine Kapuze verdeckte das Gesicht, das im Schatten lag. Ich konnte nicht …« Er stockte, starrte ins Leere, als er erneut den schrecklichen Augenblick durchlebte.

Ich wartete geduldig. Er war vollständig in dem Moment gefangen, und ich wollte ihn nicht mit Gewalt herausreißen.

Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie Fra Giovanni da Capestrano erneut Funken des Zorns sprühte. Eine gebieterische Geste des Papstes hielt ihn zurück. Mit einem missbilligenden Stirnrunzeln beobachtete Eugenius seinen Generalinquisitor, der mit verkniffenen Lippen den Blick senkte.

Fra Giordano sah mich an. »Wisst Ihr, was merkwürdig war?«

»Was denn?«

»Da war kein Blut, obwohl die Leiche noch warm war.« Seine Stimme schien von ganz weit her zu kommen. »Der Dominikaner sah aus, als sei ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezogen worden. Der Kopf und die Hände waren abgerissen, die Augen …« Er schluckte trocken. »Aber da war kein Blut.«

Kardinal Ludovico Scarampo, der Leibarzt des Papstes, hob die Augenbrauen. »Kein Blut?«

Scheu wandte sich Fra Giordano zu ihm um. »Nein, Euer Eminenz. Kein Spritzer Blut.«

Ludovico nickte ernst, erwiderte meinen Blick und verfiel wieder in sein Schweigen.

Trotz meiner Anspannung spürte ich, wie sich in mir etwas zu regen begann. Mein ›unheilbares Leiden‹, wie Papst Eugenius mein aufgeregtes Herzklopfen und meine Entschlossenheit, mich von nichts und niemandem aufhalten zu lassen, mit einem nachsichtigen Lächeln nennt – mein Schatzsucherfieber. Ein vergessenes Evangelium in einer versunkenen Synagoge in Alexandria, ein goldener Gottesschrein im Labyrinth des Tempelbergs von Jerusalem, die verschollenen Handschriften der antiken Bibliothek von Alexandria, die ich in Timbuktu zu finden hoffe – jedes Geheimnis zieht mich magisch an.

Ich gebe es zu, ich war verärgert gewesen, als mein Sekretär mich kurz vor fünf Uhr morgens mit der Nachricht des Papstes aus dem Bett gezerrt hatte, ich solle meine Abreise nach Timbuktu verschieben und sofort in den Vatikan kommen. Meine Reisetruhen sind seit Tagen gepackt. Seit neun Jahren plane ich diese Expedition. Am nächsten Morgen wollte ich endlich aufbrechen. Nach meinem Streit mit meinem Cousin wollte ich so schnell wie möglich aus Rom verschwinden. Enttäuschung war noch das laueste meiner Gefühle, als ich zum Vatikan geritten bin. Eugenius, der das zornige Funkeln in meinen Augen bemerkte, hatte mir von dem Fund in den Gewölben des Lateranpalastes berichtet.

Ein geheimes Kellergewölbe voller Spinnweben und Staub, das seit Jahrhunderten kein Mensch mehr betreten hat, Truhen voller Bücher wie das rätselhafte Testament des Salomo, ein gelehrter Papst, dem man einen Teufelspakt nachsagt, ein toter Dominikaner und Satan höchstselbst – Seine Heiligkeit musste nicht lange auf mich einreden, bis ich schließlich nachgab.

»Kein Blut«, wiederholte ich. »Was schließt Ihr daraus?«

Fra Giordano hob beide Hände. »Ich weiß nicht …«

»Das ist doch offensichtlich!«, erregte sich Fra Giovanni da Capestrano. »Der Dominikaner hatte mithilfe des Grimoire den Teufel beschwo…«

»Fra Giovanni! Ihr stellt meine Geduld auf eine harte Probe!«, donnerte der Papst und richtete sich mühsam in den Kissen auf. Monsignor Fantìn, der kupferrot getigerte Kater Seiner Heiligkeit, der sich neben ihm auf der Bettdecke geräkelt hatte, sprang auf und flüchtete zu mir herüber. »Die Feindschaft zwischen Franziskanern und Dominikanern billige ich ebenso wenig wie Eure unversöhnliche Haltung gegenüber Alessandra. Als Generalinquisitor solltet Ihr kein Urteil fällen, bevor die Untersuchungen abgeschlossen sind. Alessandra ist seit nicht einmal einer Stunde mit dem Fall betraut. Ihre Befragung von Fra Giordano Savelli ist noch nicht beendet. Weder hat sie bisher die Geheimkammer gesehen, noch hat sie den Toten untersucht oder das Testament des Salomo gelesen.«

Monsignor Fantìn strich mit erhobenem Schwanz um meine Beine, blickte erwartungsvoll zu mir empor und maunzte. Als ich mit der Papiertüte mit Florentiner Marzipankonfekt in meiner Tasche raschelte, sprang der Kater auf meinen Schoß und haschte ungeduldig nach dem Konfekt. Genüsslich schmatzend rollte er sich auf meinem Schoß zusammen und schmiegte sich in die Falten meines Rocks. Ich streichelte ihn.

»Vostra Santità!«, begehrte Fra Giovanni auf, nachdem er tief durchgeatmet hatte. »Alessandra ist eine Frau …«

»Oh ja! Und was für eine!«

»… die illegitime Tochter eines Dominikanermönchs und Inquisitors, der vor Jahren beinahe zum Gegenpapst gewählt worden wäre. Die allein das große Unternehmen in Florenz führt, mit einer der größten Bibliotheken Italiens und einem Scriptorium mit mehr Kopisten, Kalligrafen und Buchmalern als in einem bedeutenden Kloster. Die nach Timbuktu reisen will, um arabische Handschriften zu entdecken, häretische Werke der Ungläubigen, die sie übersetzen und an Gelehrte in aller Welt verkaufen will«, fuhr er in seiner Hetzpredigt fort. »Ihr resolutes Auftreten und ihre humanistische Bildung ist selbstüberhebliche Anmaßung, die ihr als Frau, die nach dem Gesetz Gottes dem Mann unterworfen ist, nicht zusteht!«

Mit anderen Worten: Ich verkörpere alles, was Fra Giovanni in seinem heiligen Zorn auf dem Scheiterhaufen verbrennen will. Gott bewahre die Christenheit vor mir!

Papst Eugenius hieb mit der Faust auf die Bettdecke – was sein Intimus Ludovico Scarampo angesichts des Besorgnis erregenden Gesundheitszustandes Seiner Heiligkeit mit verkniffenen Lippen zur Kenntnis nahm. »Fra Giovanni! Ihr predigt wie jemand, dessen Rat der allmächtige Gott und ich als sein Stellvertreter auf Erden unbedingt beherzigen sollten.« Sein venezianisches Temperament ging wieder einmal mit ihm durch. Dabei hatte ihm sein Leibarzt nach seinem gestrigen Zusammenbruch während der Messe in San Pietro strengste Bettruhe verordnet. »Doch Ihr seid nicht allmächtig, allwissend und unfehlbar, Fra Giovanni, sondern genau das, was zu sein Ihr Alessandra beschuldigt: Ihr seid selbstgerecht. Und stolz.«

»Beatissimo é Santissimo Padre!«, beschwor ihn der Inquisitor mit erhobenen Armen. »Diese Frau ist eine Häretikerin, die Handschriften antiker Philosophen und Werke jüdischer und muslimischer Ungläubiger studiert, um ihre Irrlehren zu rechtfertigen.«

»Die Contessa Colonna genießt Unser uneingeschränktes Vertrauen!«, herrschte ihn der Papst im Pluralis Majestatis an – für Eingeweihte eine deutliche Warnung, Seine Heiligkeit auf keinen Fall weiter zu provozieren. Selbst seine Kardinäle zogen die Köpfe ein, wenn er in dieser Stimmung war. »Wir dulden keine derartigen Verleumdungen gegen Ihre Gnaden durch Unseren Generalinquisitor, der sich selbst schon als Ketzer vor meinem Amtsvorgänger Martin V. zu verantworten hatte!«

»… eine Häretikerin …«, wiederholte Fra Giovanni stur, als habe ihm der Stellvertreter Gottes auf Erden nicht eben gerade seinen goldglänzenden Heiligenschein heruntergerissen. »… die sehr unorthodoxe Ansichten ver…«

»Wegen eben dieser unorthodoxen Ansichten und ihrem Mut, sie zu vertreten, schätzen Wir Alessandra über alle Maßen!«, übertönte ihn der Papst gebieterisch – Ludovico beobachtete ihn besorgt. »Wir wissen, was die römische Kirche ihr zu verdanken hat. In Florenz hat sie daran mitgewirkt, dass der byzantinische Kaiser das Unionsdekret unterzeichnete und die römische und die griechische Kirche nach vierhundert Jahren der Kirchenspaltung wieder vereinigt sind. Was also, glaubt Ihr, ist Uns ihr ›unorthodoxes Verhalten‹ wert?«

Fra Giovanni da Capestrano faltete seine Hände wie zum Gebet, starrte den Crucifixus gegenüber dem Bett des Papstes an und schwieg verbissen.

»Alessandra!«

»Heiliger Vater?«

»Im Geheimarchiv des Vatikans werdet Ihr das Liber Pontificalis, die Chronik der Päpste, mit der Biografie meines illustren Amtsvorgängers Silvester II. studieren. Ihr werdet Fra Giordano in den Lateran begleiten. Der Frater wird Euch den Leichnam zeigen und Euch in die Kammer führen, wo ihm Satan erschienen ist.«

»Wie Ihr wünscht«, nickte ich.

»Lest das Testament des Salomo. Ein Dominikanerinquisitor wird Euch bei Euren Nachforschungen unterstützen. Er beherrscht das Griechische, Hebräische und Arabische vermutlich nicht so vollendet wie Ihr, aber ich werde dafür sorgen, dass Euch ein erfahrener Exorzist zur Seite stehen wird.«

»Heiliger Vater, das ist nicht …«

»Doch, Alessandra, ich bestehe darauf … Lasst mich doch bitte ausreden, mein Kind! … Ich verspreche Euch, dass der Inquisitor Euch nicht dieselben Schwierigkeiten bereitet wie die Fratres, die Euch vor zwei Jahren bei der Aufklärung des Mordes im Geheimarchiv des Vatikans unterstützt haben. Keine Strafpredigt über Anstand und Moral, keine fromme Vorlesung über Demut und Gehorsam und die weibliche Tugend des geduldigen Schweigens. Der Frater wird es hinnehmen, dass Ihr, nicht er, die Untersuchung leitet.«

Ich atmete tief durch.

»Und Ihr, Alessandra«, fügte er mit einem feinen Lächeln an, denn er kannte mich genau, »werdet Euch damit abfinden, dass er, nicht Ihr, mit Satan …«

Erschrocken fahre ich aus meinen Erinnerungen an das Gespräch am frühen Morgen hoch und sehe mich beunruhigt in der Geheimkammer um. Ich bebe am ganzen Körper. Ein seltsam verstörendes Gefühl beschleicht mich wie eine düstere Vorahnung.

Was hat mich so zusammenzucken lassen? Das Knistern und Knacken der Glut im Kohlenbecken neben mir? Oder der Sturm, der noch immer durch die verlassenen Säle des Lateranpalastes fegt?

Ich schiebe den vergoldeten Papstthron zurück, den ich vor eine der großen Büchertruhen gezogen habe, und husche zum aufgebrochenen Eingang der Kammer.

Mit angehaltenem Atem lausche ich in die Grabesstille im Labyrinth der Korridore und Kellergewölbe des Lateranpalastes. Doch alles ist ruhig. Die starken Windböen, die von Süden her purpurfarbene Wolken über den düsteren römischen Himmel treiben, sind hier unten in der Kammer nicht zu hören.

Ich bin allein – meine bewaffnete Leibwache wartet seit Stunden im benachbarten Benediktinerkloster, um mich später in den Palazzo Colonna zurückzueskortieren.

Minutenlang widerstehe ich dem Drang, tiefer in das finstere Labyrinth einzudringen und nach der Ursache meines Erschreckens zu suchen. Doch schließlich wende ich mich um und setze mich wieder auf den Thron des Teufelspapstes.

Todmüde berge ich mein Gesicht in beiden Händen und stütze meine Arme auf das aufgeschlagene Testament des Salomo auf dem Deckel der Truhe. Während der letzten Tage und Nächte habe ich meine Abreise nach Timbuktu vorbereitet. Es war so vieles zu bedenken gewesen – ich wäre fast drei Jahre lang fort aus Florenz und Rom.

Seufzend blättere ich erneut durch die vergilbten Pergamentseiten des Grimoire, das ich während der letzten Stunden eingehend studiert habe.

Der griechische Text, da bin ich ziemlich sicher, stammt aus dem ersten Jahrhundert. Die hebräischen und arabischen Kommentare sind Hinzufügungen aus späteren Jahrhunderten, das Buch selbst ist vermutlich im dritten oder vierten Jahrhundert hergestellt worden. Die Darstellung Beelzebuls, die Fra Giordano so sehr erschreckt hat, gehört ebenso wenig zum ursprünglichen Text wie der mit Blut gemalte Judenstern auf der Titelseite des Folianten.

Mein Blick fällt auf die ersten Worte des Textes: ›Testament des Salomo, des Sohnes Davids, des Königs von Jerusalem, des Herrschers über alle Dämonen zwischen Himmel und Erde, mit deren Hilfe er den Tempel von Jerusalem errichtete …‹

Es heißt, das uralte Grimoire sei von Salomo, dem weisen Herrscher, selbst verfasst worden – dabei ist der griechische Text erst ein Jahrtausend nach Salomo aufgeschrieben worden. Der König berichtet, dass ein Engel Gottes ihm einen Ring schenkte. Er trug ein Siegel in Form des magischen Hexagramms, des Judensterns. Das Siegel enthielt den unaussprechlichen Namen Gottes.

Nachdenklich ziehe ich das Amulett hervor, das ich seit meiner Rückkehr aus Jerusalem vor zwei Jahren um den Hals trage, und betrachte es. Die hebräischen Schriftzeichen auf dem silbernen Anhänger lauten: ›Niemand muss sich fürchten, der Gott an seiner Seite weiß.‹ Darunter prangt der sechsstrahlige Stern, das Siegel Salomos. Auf der anderen Seite steht der geheimnisumwitterte Name des Allerhöchsten.

Ich denke daran zurück, wie Yared und ich vor zwei Jahren in Jerusalem mithilfe dieses Gottesnamens die Schatzkarte der Templer entschlüsselten. Der Papyrus hatte uns durch das Labyrinth im Tempelberg geführt und uns geholfen, das Rätsel um die verschollene Bundeslade zu lösen …

Ich versuche, mich wieder auf das Testament des Salomo zu konzentrieren, doch es fällt mir schwer, Yared aus meinen Gedanken zu verbannen.

Seit seiner Abreise nach Granada fehlt er mir so sehr, dass es mich quält. In seinem letzten Brief, den er mir vor Weihnachten aus Valencia geschickt hat, schimmerte zwischen seinen sehnsüchtigen Worten die Hoffnung durch, ich könnte mich doch noch entschließen, Rom für immer zu verlassen, um mit ihm in Granada zu leben. Ihn zu lieben und mit ihm glücklich zu sein. Zu einer meiner Expeditionen bis ans Ende der Welt aufzubrechen, um bei meiner Rückkehr in Granada den größten aller Schätze zu finden: unsere Liebe.

Nur mühsam besinne ich mich auf das Grimoire vor mir auf der Truhe.

Das Siegel auf dem Ring des Salomo enthält also denselben hebräischen Gottesnamen wie mein Amulett. Mit diesem magischen Ring unterwarf Salomo Beelzebul, den Fürsten der Dämonen, und zwang ihn und sein dämonisches Gefolge, den Tempel zu errichten. Der König schreibt, dass er die Dämonen mit seinem Ring siegelte. Schaudernd erinnere ich mich, dass auch der tote Dominikaner, den ich vor wenigen Stunden gemeinsam mit Kardinal Scarampo untersucht habe, gesiegelt war: In seine Brust war ein Judenstern geritzt worden. Und wieder war kein Blut geflossen.

Ich schließe das Testament des Salomo und sehe mich in der Kammer um. Was ist letzte Nacht hier geschehen? Woher stammte der Dominikaner? In Santa Maria sopra Minerva, dem Hauptquartier des Ordens in Rom, wird kein Mönch vermisst. Wer war der Frater, der wegen der schrecklichen Verstümmelungen nicht mehr identifiziert werden kann? Hat er mithilfe des Testaments des Salomo, einem jahrhundertealten Handbuch für Magier, den Fürsten der Finsternis beschworen? War sein Tod das Ende eines Satanspaktes? Warum lag der zerfetzte Leichnam ausgerechnet in dieser geheimen Kammer unterhalb vom Grab des Teufelspapstes, der sich – so das grausige Gerücht – nach einem Pontifikalamt von Satan bei lebendigem Leib zerstückeln ließ?

Und woher stammt das Testament des Salomo? Hat Gerbert d’Aurillac, der später zum Papst gewählt wurde, den Folianten aus Córdoba mitgebracht? Die Legende berichtet, dass der Benediktinermönch Gerbert sein Kloster im französischen Aurillac verließ, um bei den ›Ungläubigen‹ in Córdoba zu studieren. Ein arabischer Weiser lehrte ihn die Kunst der Magie, stellte ihm großzügig seine umfangreiche Bibliothek zur Verfügung, weigerte sich jedoch, ihm ein bestimmtes magisches Buch zu überlassen. Gerbert stahl das Grimoire und floh, verfolgt von seinem zornigen Lehrmeister. Mithilfe dieses Folianten rief er den Teufel, damit der ihn vor seinem Verfolger beschützte. Das war der Beginn des Paktes mit Satan, an dessen Ende er als Silvester II. den Thron Petri bestieg.

Ist das Testament des Salomo jenes geheimnisvolle Grimoire aus Córdoba? Die hebräischen und arabischen Kommentare am Seitenrand sprechen dafür. Die französischen Notizen jedoch stammen, der Handschrift nach zu urteilen, nicht von Gerbert …

Erschrocken zucke ich zusammen, als ich erneut das Schlurfen vernehme.

Leise Schritte, die sich aus dem Labyrinth nähern!

Ich nehme die Kerze von der Büchertruhe, husche zum Mauerdurchbruch und spähe in den dunklen Gang, der zu beiden Seiten in der Finsternis verschwindet.

Ein eisiger Lufthauch weht mir den Geruch nach kalter, feuchter Erde in die Nase. Es riecht wie … wie in einer Gruft. Ich erschauere.

Einen atemlosen Moment verharre ich und beobachte die flackernde Flamme, die ich mit der offenen Hand schützen muss, damit sie nicht verlischt. Es war der Sturm. Es muss der Sturm gewesen sein. Vielleicht zieht wieder ein Gewitter herauf, so wie letzte Nacht. Und doch …

»Wer ist da?«, rufe ich mit bebender Stimme.

Das leise Rascheln entfernt sich.

Unentschlossen bleibe ich stehen. Und wenn es nun doch nicht die Windböen waren?

Langsam schleiche ich den Gang entlang. Er führt tiefer ins Labyrinth. Die Türen zu den Kellergewölben auf beiden Seiten stehen offen. Dahinter ist es finster wie in Dantes Inferno. Und totenstill.

Ich leuchte in die Kammer, in der der tote Dominikaner aufgebahrt liegt. Niemand hat es bisher gewagt, den von Satan zerfetzten Mönch hinauf in die Lateranbasilika zu bringen, in die allerheiligste Kirche der Christenheit. Zögernd trete ich ein und betrachte den Leichnam, den Ludovico Scarampo und ich vorhin untersucht haben. Der Raum ist verlassen. Ich bin allein.

Offenbar leide ich an Sinnestäuschungen. Kein Wunder, nach Fra Giordanos Begegnung mit Satan …

Ich will schon umkehren, da steigt mir plötzlich der Geruch nach Blut in die Nase. Als ich die Kammer verlasse und den Gang weiter hinuntergehe, wird er so stark, dass ich den metallischen Geschmack auf der Zunge spüren kann.

Im Lichtkreis der Kerze taucht vor mir eine große Blutlache auf. Auch von den Wänden rinnt Blut und sammelt sich in den Fugen zwischen den Bodenfliesen.

Meine Nackenhaare stellen sich fast schmerzhaft auf, und mein Atem geht stoßweise. Ich bin sicher, das Blut war noch nicht da, als ich heute Nachmittag mit Ludovico Scarampo das Labyrinth besichtigt habe. Es ist nicht das Blut des Dominikaners. Gibt es noch einen Toten in diesen Kammern?

Plötzlich spüre ich, dass ich nicht mehr allein bin. Dass ich beobachtet werde. Mein Mund ist auf einmal ganz trocken, und ich muss schlucken. Irgendetwas Unheimliches, Gewalttätiges und Blutgieriges wartet in diesem Gang. Es belauert mich.

Vor mir taucht ein Schatten auf.

Ist es die schwarze Gestalt, von der Fra Giordano berichtet hat? Mit eiskalten Händen hebe ich die flackernde Kerze, um besser sehen zu können. Sofort verschwindet der Schatten. Dabei stößt er ein Kichern aus, das mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Fluchend folge ich ihm durch das Labyrinth.

Etliche Schritte weiter bleibe ich abrupt stehen. Das kalte Entsetzen presst mir die Luft aus den Lungen, als mich aus der Dunkelheit plötzlich zwei bernsteingelbe Augen anfunkeln. Mein Herz rast, und das Atmen fällt mir schwer.

Entsetzt taumele ich. Ich strecke eine Hand aus, um mich gegen die Wand zu stützen, damit ich nicht zu Boden sinke.

Was, zum Teufel, verbirgt sich am Ende des Korridors?

»Yared«

Kapitel 2

An der Porta San Paolo im Süden von Rom

Dienstag, 21. Februar 1447

Viertel nach acht Uhr abends

Sobald wir das Stadttor an der Via Ostiense erreicht haben, drängt Elija sein Pferd ganz nah neben meins, zupft mich am Ärmel und deutet nach links. »Guck mal, Yared. Die Römer haben Pyramiden. Wie die Ägypter.«

Während die Karawane meines Gefolges die von Fackeln beleuchtete Porta San Paolo passiert, lasse ich meinen Blick an der Grabpyramide des Gaius Cestius emporgleiten. »Die Pyramiden von Gizeh sind viel größer, Krümelchen.«

»Ich will sie mir ansehen«, entscheidet mein achtjähriger Sohn mit der Entschlossenheit eines kleinen Abenteurers, der mit mir in den letzten Monaten die halbe Welt bereist hat und sich auch von so großartigen Bauwerken wie der Alhambra von Gharnata und der Mezquita von Córdoba nicht mehr beeindrucken lässt. Wie auch? Er ist in Jerusalem aufgewachsen, zwischen Felsendom und Grabeskirche. »Wenn wir Alessandra besucht haben, fahren wir dann nach Ägypten?«

»Nein, ich denke nicht.«

»Och …«, schmollt er. »Glaubst du, der Mameluckensultan ist immer noch wütend auf dich?«

»Und wie. Er tobt vor Zorn.«

Benyamin, der sein Pferd neben mir gezügelt hat, wirft mir einen ernsten Blick zu. Mein Sohn weiß nicht, dass der Sultan erst vor wenigen Tagen einen seiner Mamelucken nach Neapel entsandt hatte, um mich zu ermorden. Und um die Ehre seiner Tochter wiederherzustellen, die in Kairo meine Geliebte gewesen ist. Sobald ich nach meiner Hadj nach Mekka und Jerusalem zum Islam konvertiert wäre, hätte ich Jadiya heiraten sollen, die im fünften Monat schwanger war. Von mir, wie ihr Vater behauptete. Aber dann bin ich vor zwei Jahren mit Alessandra und Elija aus Jerusalem geflohen …

»Aber du warst sein Wesir. Und der Vizekönig von Jerusalem«, erinnert sich Elija.

»Eben deshalb ist der Sultan so wütend«, antwortet Benyamin. Um der vorbeiziehenden Karawane Platz zu machen, drängt er seinen Hengst neben meinen. Meine Leibwächter umringen uns, sie blicken aufmerksam um sich, die Hand am Schwert. Ihre Helme und Harnische gleißen im Licht der Fackeln, die im eisigen Sturmwind knattern.

»Aber Yared hat sich auf Malta mit dem Sohn des Sultans getroffen, um sich mit ihm zu versöhnen. Sie haben sich die Hand gereicht. Wie früher, als sie Freunde waren.«

»Uthman wollte Yared nach Ägypten zurückholen«, erklärt Benyamin. »Er sollte wieder Wesir des mächtigsten Reiches des Islam sein.«

»Und Jadiya hat ihm einen Sohn geboren«, wirft Elija keck ein. »Er heißt Karim.«

»Hast du gelauscht?«, frage ich.

»Nö, war nicht nötig«, grinst er ganz ungeniert. »Euren Streit konnte man im ganzen Palast hören. Ich dachte schon, ihr geht aufeinander los. So wie in Jerusalem. Aber dann habt ihr euch die Hand gereicht. Und ich dachte, ihr wärt wieder Freunde.«

»Sind wir nicht.«

»Aber wieso denn nicht? Akiva und ich prügeln uns auch. Aber wir sind trotzdem Freunde.«

Auf meinen Wunsch hin hat Benyamins jüngster Sohn uns während unserer Reise durch Portugal, Kastilien und Aragón begleitet. Als Spielkamerad für Elija, für den ich oft viel zu wenig Zeit habe. Akiva ist jedoch in Valencia krank geworden. Die Seereise nach Malta und weiter nach Neapel und Rom wäre zu anstrengend für ihn gewesen. Elija hätte seinen Freund nach Hause begleiten können, aber er wollte mit mir kommen, um Alessandra wiederzusehen. Er vermisst sie so wie ich.

»Akiva und du – das ist etwas anderes«, winkt mein Schwager ab. »Dein Vater und Prinz Uthman waren eng befreun…«

»Und du streitest dich auch mit Yared, bis die Funken fliegen«, stellt mein Sohn fest.

Benyamin hebt die Augenbrauen. »Wir streiten uns nicht.«

»Doch, und wie!«

»Wann haben wir gestritten?«

»In Valencia. Nachdem Yared mit dem Vizekönig von Aragón gesprochen hatte. Er wollte nach Neapel und weiter nach Rom segeln, um mit dem Papst zu reden. Du warst dagegen. In Sevilla habt ihr auch gestritten. Da ging es, glaube ich, um die Inquisition. Und in Córdoba. Wegen der Reconquista der kastilischen Ritter. Und …«

»Elija!«, ermahne ich meinen Sohn.

»… und auf Malta, kurz vor Uthmans Audienz bei Yared«, redet er unbeeindruckt weiter. »Du lieber Himmel, da seid ihr aneinandergeraten! Ihr streitet euch ziemlich oft. Aber ihr vertragt euch immer wieder. Warum können Yared und Uthman denn keine Freunde mehr sein?«

»Uthmans Vater, der Sultan von Ägypten, kann Yared nicht verzeihen, dass er nun der Wesir des Sultans von Gharnata ist und dass er sich weigert, nach Ägypten zurückzukehren«, erklärt mein Schwager. »Und Yared ist enttäuscht von Uthman, weil der ihn in Jerusalem verraten hat. Du weißt doch noch, was er mit Alessandra und dir vorhatte, als ihr im Kerker gesessen habt?«

Elija nickt zögernd.

»Alessandra kann niemals nach Ägypten zurückkehren. Und Yared auch nicht. Nicht nach allem, was damals in Jerusalem geschehen ist.«

»Ich dachte nur …«

»Was dachtest du, Elija?«, ermuntere ich ihn.

Er sieht auf. »Ich dachte, der Mameluckensultan könnte uns helfen, die Alhambra zurückzuerobern und deinen Freund Muhammad wieder auf den Thron zu bringen. Deshalb redest du doch mit den Königen von Portugal, Kastilien und Aragón. Und mit dem Papst.«

Diego Alvarez, der Befehlshaber meiner Leibwache, lenkt sein Pferd zu uns herüber. »Es ist schon spät. Wir sollten zum Palazzo Colonna reiten. Es sind noch drei Meilen, und wir sind in frühestens einer Stunde dort.«

Ich nicke. »Du hast recht.«

»Ich habe mich bei den Stadtwachen nach dem Weg erkundigt. Wir sollten an den Caracalla-Thermen vorbei zur Lateranbasilika reiten«, schlägt Diego vor, während wir das Stadttor durchqueren. »Dann schlagen wir uns durch das Dornengestrüpp zum Colosseum durch. Dahinter liegt das Forum Romanum. Die Gegend ist nachts zwar lebensgefährlich, aber von dort aus ist es dann nicht mehr weit.«

»Warum reiten wir nicht am Tiber entlang zum Pantheon und weiter nach Osten? Der Weg ist kürzer, und er führt nicht durch die Wildnis rund um den Lateran.«

Diego schüttelt den Kopf. »Dort drüben liegt der Monte Testaccio.« Er weist in Richtung Tiber. »Die Römer feiern dort ihren Karneval. Und ein Inquisitor hetzt mit seiner Predigt die Massen auf – Fra Giovanni da Capestrano.« Diego spricht den Namen aus wie einen Fluch.

»Nicht dieser Judenhasser!«, stöhnt Benyamin.

Diego wirft ihm einen kurzen Blick zu – er weiß, dass Benyamin vor Jahren vor der Inquisition geflohen war. Dann wendet er sich wieder mir zu. »Sidi, ich halte es für besser, wenn wir die Menschenmassen meiden, die dieser Fanatiker gegen uns Juden und Muslime aufhetzt. Es wäre zu gefährlich. Mit der Karawane kommen wir nicht schnell genug voran. Ich kann dein Leben nicht schützen, wenn …«

»Schon gut, Diego. Wir reiten zum Lateran.«

Er nimmt die Zügel, um sein Pferd zu wenden. »Wenn du dich einen Augenblick geduldest, suche ich einen Führer für uns. Unsere Packtiere sind so schwer beladen wie die Karawane der Heiligen Drei Könige.«

Ich winke ab. »Nicht nötig, ich kenne den Weg. Du führst die Karawane zu den Caracalla-Thermen. Das ist eine halbe Meile von hier. Im Schutz der Ruinen wartet ihr auf mich.«

Er runzelt die Stirn. »Und du?«

»Ich will mir die Predigt anhören.«

»In einer Djellabiya aus indischer Seide und einem Brokatmantel mit Hermelinbesatz? Bitte verzeih, Sidi! Du siehst aus wie einer der Weisen aus dem Morgenland, der auf dem Weg nach Betlehem aus Versehen die Straße nach Rom genommen hat. Wenn da Capestrano dich erkennt, dann gnade dir Gott der Allmächtige!«

»Gib mir deinen Mantel, Diego. Du kannst meinen haben.« Ich schlüpfe aus den Ärmeln und reiche ihm die Robe.

»Der macht auch keinen Christen aus dir«, brummt er und gibt mir widerwillig seinen im Wind flatternden Mantel.

»Aber einen Kastilier namens Diego Alvarez.«

»Ich war nie ein Kastilier!«, verwahrt er sich fast beleidigt. »Ich habe nicht König Juan die Treue geschworen, sondern Sultan Muhammad! Und dir als seinem Wesir. Der Sultan reißt mir den Kopf ab, wenn dir etwas geschieht!«

»Mach dir keine Sorgen, Diego.« Ich wende mich an Benyamin. »Begleitest du mich?«

»Fanatikern wie da Capestrano, die das Volk gegen uns Juden aufhetzen, habe ich es zu verdanken, dass ich aus Sevilla fliehen musste.« Er senkt den Blick. »Damals habe ich alles verloren.«

»Dann reite ich allein.«

»Darf ich mitkommen?«, fragt Elija.

»Nein. Benyamin wird dich …«

»Ich will aber!«, trotzt er mir.

Mein Schwager schüttelt den Kopf. »Habe ich dir schon mal gesagt, dass du diese vorlaute Rotznase völlig verziehst?«

»Hast du, mein Lieber«, erkläre ich trocken. »Erst heute Morgen hast du mir die letzte Strafpredigt gehalten. Aber ich weiß beim besten Willen nicht mehr, worum es dabei ging.«

»Ich sag’s dir! Es ging darum, ob Elija auf einem Esel reitet oder auf einem Pferd. Der Bengel will ein Pferd haben, also lässt der Wesir des Sultans alles stehen und liegen und …«

»Ich hatte das Gefühl, dass meinem Gefolge, allen voran meinem geschätzten Sekretär Benyamin ben Yoel Halevi, nach der stürmischen Überfahrt von Neapel eine Ruhepause ganz recht wäre, bevor wir sofort wieder in die Sättel steigen, um nach Rom weiterzureiten. Ich kann mich erinnern, dass du mich die ganze Nacht wachgehalten hast, weil du ständig über mich rübergeklettert bist, um an Deck die Fische zu füttern. Und dass du mir jedes Mal, wenn du in unsere Koje zurückgekrochen kamst, vorgejammert hast, wie sterbenselend du dich fühlst. Ich dachte, ich lass dich in Ruhe und hab ein bisschen Spaß mit meinem Sohn.«

»Als Wesir bist du brillant, Yared. Aber als allein erziehender Vater …« Benyamin verdreht entnervt die Augen. »Ach, was red ich denn!«, stöhnt mein Schwager in gespielter Resignation. »Du hörst mir sowieso nie zu. Und der kleine Prinz bekommt ja doch immer seinen Willen!«

Elija grinst siegesgewiss von einem Ohr zum anderen.

Ich reiche ihm die Hand. »Du reitest vor mir im Sattel.«

»Ich kann allein reiten«, protestiert er.

»Ich weiß, dass du’s kannst. Aber ich will es nicht. Wenn wir fliehen müssen, will ich dich nicht in der Menge verlieren.«

»Oh, bitte, Papa …« Der Bengel weiß genau, wie er mich um den Finger wickeln kann. Große, glänzende Kinderaugen und ein bebender Schmollmund – so, als ob der arme Kleine gleich schluchzend in Tränen ausbricht, weil sein Vater, dieser unerbittliche Patriarch, alle seine Wünsche missachtet und ihn kein bisschen lieb hat. Nur, dass Elija nie Kullertränen vergießt. Er ist mit allen Wassern gewaschen.

Ich schüttele den Kopf. »Das ist mein letztes Wort, Elija. Vor mir im Sattel. Oder gar nicht. Entscheide dich.«

»Ist gut«, schmollt er.

Ich halte ihn fest, während er auf mein Pferd herüberklettert und sich umständlich vor mir in den Sattel setzt. »Lehn dich gegen mich, Elija.« Ich drücke ihm einen Kuss ins lockige Haar. Während er sich zur Seite fallen lässt und die Schulter hochzieht, weil ihn mein Bart im Nacken kitzelt, nehme ich ihm die Zügel weg, die er sofort an sich gerissen hat. »Die Zügel nehme ich. Nein, Elija, vergiss es! Lass los!«

»Kannst du mir mal sagen, was das soll?«, fragt Benyamin genervt. »Reicht es nicht, wenn du dein Leben riskierst? Wozu nimmst du den Jungen mit?«

»So kann er sich die Hasstiraden des Inquisitors anhören.«

»Hat Elija in Kastilien nicht schon genug davon gehört?«

»Ich will, dass er da Capestrano kennenlernt, der predigt, man solle alle Juden als Feinde Gottes auf Schiffe laden und auf dem offenen Meer ertränken. Ich will, dass er diesem Stellvertreter Satans auf Erden ins hassverzerrte Gesicht sieht. Ich will, dass er weiß, welchen Eiferern wir es zu verdanken haben, dass Gharnata dem Untergang geweiht ist. Was ›Taufe oder Tod!‹ bedeutet, solltest du doch wohl am besten wissen.«

Benyamin nickt traurig, als er sich vermutlich erinnert, wie er mit seiner Schwester, meiner verstorbenen Gemahlin Rebekka, vor der Inquisition geflohen war. Er legt mir die Hand auf die Schulter und murmelt besorgt: »Pass auf dich auf!«

»Mach ich.«

Mein Schwager wendet sein Pferd und galoppiert hinter Diego her. Ich blicke ihm nach, bis er zwischen den Pinien und Zypressen verschwunden ist. Dabei fallen mir ein paar Reiter auf, die gerade eben die Porta San Paolo durchqueren. Ihre Kleidung ist kastilisch und maurisch. Sie haben ihre Gesichter verhüllt, als trotzten sie dem Staub in den sonnendurchglühten Ebenen von Al-Andalus. Oder als wollten sie nicht erkannt werden.

Ein Gefühl drohender Gefahr beschleicht mich, und ich lege meinen Arm schützend um Elija. Sind das die Männer, die mich schon in Neapel verfolgt haben?

»Alessandra«

Kapitel 3

Im Gewölbe des Lateranpalastes

Dienstag, 21. Februar 1447

Halb neun Uhr abends

Was, zum Teufel, lauert dort in der Finsternis?

Die Skizze des Beelzebul, die ich im Testament des Salomo gesehen habe, schiebt sich vor mein geistiges Auge. Wartet dort vorne Satan auf mich?

Verdammt, ich muss Gewissheit haben!

Durch meinen weißen Atemhauch, der langsam zur Decke aufsteigt, kann ich nichts erkennen.

Vorsichtig gehe ich weiter. Ich bin jetzt nicht mehr unter dem Lateranpalast. Der Gang ist nicht aus Quadersteinen gemauert, sondern wie die römischen Katakomben aus dem Stein gehauen.

Wohin ist der schwarze Schatten verschwunden?

Ich bin hundert, vielleicht hundertfünfzig Schritte in Richtung Forum Romanum gegangen. Wie weit erstreckt sich dieses Labyrinth? Reicht es bis zu den Puzzolanhöhlen unterhalb des Colosseums? Ich weiß, dort gibt es einen Einstieg in das ausgedehnte Höhlensystem unterhalb von Rom, in das geheimnisumwitterte ›Roma Sotterranea‹, das unterirdische Rom. Als ich noch ein Kind war und die Gewölbe des Lateranpalastes erforschte, habe ich mich nicht so weit vorgewagt. Die Gewölbe der Papstresidenz sind einsturzgefährdet.

Dann höre ich ein Knurren. Ein tiefer, kehliger Laut, irgendwo weit vor mir. Dunkel und bedrohlich. Unberechenbar und blutgierig.

Ich bleibe abrupt stehen. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt, und das metallische Krachen, das ich plötzlich hinter mir höre, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich ziehe meinen Dolch und wirbele herum, um mich der Gefahr zu stellen. Doch soweit ich sehen kann, bin ich allein.

Im eisigen Lufthauch verlischt nach einem letzten Aufflackern die Kerze. Es wird finster.

Die panische Angst, lebendig begraben zu sein, schnürt mir die Kehle zu, während ich mich auf den Boden hocke. Keuchend ringe ich nach Atem und kämpfe gegen das überwältigende Bedürfnis an, aufzuspringen und zu fliehen. Immer wieder blicke ich mich um, als ich mit zitternden Fingern nach meinem Feuerzeug taste und einen Funken in den Zunder schlage. Er verglimmt jedoch mit leisem Knistern, bevor ich den Docht entzünden kann.

»Verdammt noch mal!«, hallt meine Stimme verloren von den Wänden des Ganges wider.

Die Vorstellung, dass eine Klaue mit scharfen Krallen nach mir greift, lässt mich die Schultern hochziehen. Ich bin so überreizt, dass ich aus Versehen den Feuerstein fallen lasse.

»Verflucht, verflucht, verflucht!« Ich stecke den Dolch ein, damit ich mit beiden Händen nach dem Feuerstein suchen kann.

Ein grollendes Knurren, ähnlich einem höhnischen Lachen, das im engen Gang bedrohlich widerhallt! Viel näher jetzt!

Panisch taste ich nach dem Feuerstein. Da ist er.

Am zweiten Zündschwämmchen verbrenne ich mir die Hände, bevor der Docht endlich Feuer fängt.

Mit dem Dolch in der einen und der unruhig flackernden Kerze in der anderen Hand haste ich zurück – nicht ohne mich hin und wieder umzudrehen, ob ich verfolgt werde.

Wenig später habe ich die Geheimkammer erreicht und spähe um die Ecke. Einen Moment lang bin ich von dem, was ich da sehe, so entsetzt, dass ich erstarre.

»Yared«

Kapitel 4

An der Porta San Paolo im Süden von Rom

Dienstag, 21. Februar 1447

Kurz nach halb neun Uhr abends»

»Yared, siehst du die Männer dort drüben am Stadttor?«, flüstert Elija und schmiegt sich an mich. »Ich glaube, ich habe sie schon einmal gesehen. In Neapel.«

»Ich auch. Vielleicht sind es kastilische Pilger, die von Valencia nach Neapel gesegelt sind«, beruhige ich ihn. Und mich selbst. Das Gefühl drohender Gefahr lässt mich nach dem Griff meines Schwertes tasten.

Elija zuckt mit den Schultern und blickt hinüber zum Anführer, der gerade mit einem Torwächter verhandelt. Dieser weist mit dem ausgestreckten Arm zuerst in unsere Richtung, dann in einem ganz weiten Bogen den Tiber hinauf in Richtung Vatikan. »Ihre Kleidung ist zwar kastilisch, aber ihre Schwerter sind maurisch. Tragen christliche Pilger während der Wallfahrt ihr Schwert?«

»Wenn sie einem Orden von Mönchsrittern angehören.«

»Wie die Ritter des Ordens von Calatrava in Kastilien. Oder die Ritter vom Ordem de Cristo in Portugal.«

»Genau.«

»Aber dann hätten sie doch das Kreuz von Calatrava auf ihren Mänteln. Oder das Kreuz des Christusordens. Der Christusritter, der Alessandra in Jerusalem ermorden wollte, um die Schatzkarte der Templer zu bekommen, hat seinen weißen Habit mit dem roten Kreuz der Unschuld niemals abgelegt.«

»Das stimmt.«

»Ich glaube, sie sind Mauren, die sich als Kastilier verkleidet haben.«

»Warum sollten sie das tun?«

Wieder zuckt er mit den Schultern. »Keine Ahnung.«

Ich dagegen schon …

Haben sie mich trotz des kastilischen Mantels erkannt?

Gerade als ich mein Pferd wenden und mit Elija unauffällig verschwinden will, setzt sich der Trupp in Bewegung. Besorgt beobachte ich, wie die vermummten Männer in Richtung Santa Maria in Cosmedin am Tiberufer traben. Sie beachten mich nicht.

Habe ich mich getäuscht? Ich sehe ihnen nach, bis sie hinter der verschneiten Flanke des Aventin verschwunden sind.

Ich habe mich geirrt!, beruhige ich mich selbst, während ich schließlich mein Pferd wende. Diese Männer sind keine Hashishin, die mich ermorden sollen.

Über ein knietief verschneites Feld traben Elija und ich zum nahen Monte Testaccio. Vor zwei Jahren, als wir dort drüben zwischen den Pinien spazieren gegangen sind, hat Alessandra mir erzählt, der Hügel bestehe aus den Scherben zerbrochener Amphoren, in denen Wein, Öl und Getreide ins antike Rom transportiert worden sind.

Auf dem Monte Testaccio feiern die Römer jedes Jahr ihren Karneval, der den ›panes et circenses‹ des antiken Rom, den Pferderennen im Circus Maximus und den Gladiatorenkämpfen im Colosseum, an Gewalttätigkeit in nichts nachsteht. Doch von diesem ungezügelten Treiben ist heute nichts zu sehen. Wie gebannt drängt sich die Menge um einen Franziskaner, der mit erhobenem Arm auf die beängstigend düsteren Sturmwolken am Himmel weist und mit heiserer Stimme den Zorn Gottes auf die Menschen herabbeschwört.

Neben seiner Predigtkanzel ist ein hoher Scheiterhaufen aus Holz und Reisig aufgerichtet worden, auf den die Gläubigen Karten- und Würfelspiele, Roben aus Samt und Brokat, Schmuck, Tiegel mit Schönheitssalben, silberne Spiegel, Musikinstrumente und Notenblätter, Zeichnungen und Gemälde und Bücher werfen. Von diesen ›Fegefeuern der Eitelkeiten‹, in denen Gegenstände von unermesslichem Wert verbrannt werden, hat mir König Alfonso in Neapel erzählt. Die riesigen Scheiterhaufen, die seit Jahren in ganz Italien lodern, sind der Höhepunkt der Mission franziskanischer Wanderprediger wie Fra Giovanni da Capestrano.

Seit ich vor zwanzig Jahren zum ersten Mal den Hof von König Juan von Kastilien besucht habe, weiß ich, welchen Ruhm da Capestrano genießt. Wie ein Heiliger wird er verehrt. Auf den Straßen muss er von einer Leibwache franziskanischer Mönche beschützt werden, die die herandrängenden Gläubigen abwehren, weil sie ihn unbedingt berühren oder einen Fetzen seines zerschlissenen Habits als Reliquie erhaschen wollen. Er predigt vor Tausenden, und alle lauschen gebannt seinen mitreißenden Worten. Die Kirche hat ihm viel zu verdanken. Da Capestrano hat das Vertrauen der Gläubigen, das durch das jahrzehntelange Schisma und die Machtkämpfe von drei Gegenpäpsten erschüttert war, mit seinem Charisma wiederhergestellt.

Wie klein er ist, wie unscheinbar! Seine fromme und selbstverleugnende Lebensweise und sein rastloser Einsatz als Generalinquisitor haben den einundsechzigjährigen Franziskanermönch so sehr abmagern lassen, dass er nur noch aus Haut und Knochen besteht. Und einem übermenschlichen Willen, die Welt von der Häresie zu befreien – und von uns Juden.

Elija sieht zu mir hoch. »Kommst du auch in die Hölle?«

Ich lache und verwuschele seine Locken. »Nein.«

»Aber er sagt, wer sich nicht an Gottes Gebote hält, wird im Feuer brennen. Du hältst die Mizwot doch auch nicht. Du lebst nicht koscher, ehrst den Schabbat nicht, betest nicht mit Tallit und Tefillin, so wie Benyamin es tut, und an Yom Kippur gehst du nicht in die Synagoge. Und in Córdoba hast du am Tisch von König Juan von dem Schinken gegessen, den er dir auf den Teller gelegt hat.«

»Es war gedankenlos von ihm, und er hat sich bei mir entschuldigt. Im Übrigen meint er die christlichen Gebote. Nicht die jüdischen.«

»Aber er sagt, wir Juden sind von Gott verflucht.«

»Gott hat uns nicht verflucht, Elija. Er hat uns vergessen.«

»Redest du deshalb nicht mehr mit ihm?«

»Gott und ich haben uns seit Jahren nichts mehr zu sagen.«

»Seit Rebekka und der kleine Yona tot sind?«

Ich nicke wehmütig, als die Erinnerungen an Gharnata in mir hochsteigen. Wie der zweijährige Yona mir ausgelassen kichernd entgegenläuft, als ich nach einem Streit mit Muhammad völlig entnervt nach Hause zurückkehre. Wie er sich derart ungestüm in meine Arme wirft, dass er mich beinahe umreißt, und mir ein zerbrochenes Spielzeug entgegenstreckt, damit ich es repariere. Wie er übermütig kreischend durch den Löwenhof der Alhambra flitzt und den Sultan nass spritzt, der vergeblich versucht, meinen … unseren Sohn zu bändigen. Wie er während unserer überstürzten Flucht vor mir im Sattel schläft und seinen Kopf an meine Schulter lehnt. Wie er, als unser Schiff von den portugiesischen Christusrittern versenkt worden ist, mit der hochschwangeren Rebekka vor meinen Augen im Meer ertrinkt …

Seinen eigenen Sohn, sein einziges Kind, so sterben zu sehen und ihn nicht retten zu können! Yona wäre jetzt achtzehn. Ein temperamentvoller junger Mann, der vielleicht selbst schon Kinder hätte.

Elija nimmt meine Hand. »Du hast Yona sehr lieb gehabt.«

»Dich habe ich genauso lieb.«

»Aber ich bin nicht dein Sohn.«

»Yona war auch nicht mein Sohn, sondern der von Sultan Muhammad.«

Er reißt die Augen auf. »Im Ernst?«

»Mein bester Freund hat meine Frau verführt, während ich monatelang in Kastilien war.«

»Warst du wütend auf ihn?«