Der Rockstar in meinem Bett (Die Rockstars-Serie 5) - Teresa Sporrer - E-Book

Der Rockstar in meinem Bett (Die Rockstars-Serie 5) E-Book

Teresa Sporrer

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Beschreibung

Sie wird auch »Die Eiskönigin« genannt und das nicht zu Unrecht: Ellen Kramer hat noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihr verschwitzte Rockstars und wahllose Liebesaffären mehr als nur zuwider sind. Dumm nur, dass sie während ihres Aufenthalts in Amerika feststellen muss, dass ausgerechnet ihre beiden Geschwister Ian und Zoey in genau diesen Kreisen verkehren. Noch dümmer, dass sie sich in einer Nacht der Schwäche in den Armen des gefeierten Gitarristen Brandon wiederfindet. Zurück in Europa liegt das jedoch weit hinter ihr – denkt sie zumindest, bis Brandon auf einmal vor ihrer Tür steht… //Alle Bände der romantischen Bestseller-Reihe:  -- Verliebe dich nie als Rockstar (Die Rockstar-Reihe 0)  -- Verliebe dich nie in einen Rockstar (Die Rockstar-Reihe 1)  -- Blind Date mit einem Rockstar (Die Rockstar-Reihe 2)  -- Ein Rockstar kommt selten allein (Die Rockstar-Reihe 3)  -- Rockstar weiblich sucht (Die Rockstar-Reihe 4)  -- Der Rockstar in meinem Bett (Die Rockstar-Reihe 5)  -- Rockstars bleiben nicht zum Frühstück (Die Rockstar-Reihe 6)  -- Rockstars küssen besser (Die Rockstar-Reihe 7)  -- Rockstars kennen kein Ende (Die Rockstar-Reihe 8)  -- Rock'n'Love (Ein Rockstar-Roman)  -- Liebe ist wie ein Rocksong (Die Rockstar-Reihe Spin-off) -- Alles begann mit einem Rocksong (Die Rockstar-Reihe Spin-off) -- Die MEGA Rockstars-E-Box: Band 1–8 der Bestseller-Reihe -- ROCKSTARS. Band 1–3 in einer E-Box -- Berührende Rocksong-Romantik im Sammelband (Die Rockstar-Reihe)//   Die Rockstar-Reihe ist abgeschlossen. Alle Bände der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden und haben ein abgeschlossenes Ende.

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Im.press Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2014 Text © Teresa Sporrer, 2014 Redaktion: Katharina Kohlhaas Umschlagbild: shutterstock.com / © KR MEDIA Productions Umschlaggestaltung: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral

PROLOG

LAS VEGAS, BABY!

»Noch ein Gläschen Wein, Ellen?«, fragte mich Brandon und tippte mein leeres Glas mit dem Zeigefinger an.

Ich hörte, wie er den Typen an der Bar um eine weitere Flasche Rotwein und einen Whisky mit Eiswürfeln bat.

Meine Augen waren von der ganzen Rumheulerei stark verquollen. Durch den Tränenschleier sah ich nur eine verschwommene Gestalt, die auf einem Barhocker saß. Ein dunkler Fleck an der hellen Hotelbar.

Die anderen Gäste waren bestimmt schon vor mir geflüchtet, nur dieser amerikanische junge Mann war bei mir geblieben, und lud mich andauernd auf seine Kosten ein.

Ich wusste genau, was er damit bezwecken wollte. Mein ganzer Körper kribbelte vor Aufregung.

Soll ich etwa …? Nein, ich kann doch nicht einfach … Aber warum denn nicht? Ich bin eine erwachsene Frau!

»Du füllst mich total ab!«, schluchzte ich. »Ich fühle mich jetzt schon ganz …«

Trotzdem schob ich ihm mein Glas hin, damit er mir noch ein wenig Alkohol einschenken konnte.

Ich wusste eigentlich nicht einmal mehr, was ich gerade beweinte. Brandons Aufmerksamkeit richtete sich durch einen meiner Tobsuchtsanfälle auf mich, der dadurch ausgelöst worden war, dass mein Bruder sich in das Sängerinnen-Flittchen einer Rockband verliebt hatte und sich damit das ganze Leben verpfuschte. Und als wäre das nicht schon genug, war meine kleine Schwester auch zu ihnen übergelaufen: Sie nannte sich nun Kali, war tätowiert und ebenfalls Sängerin einer Band voller zwielichtiger Gesellen, zu denen unter anderem David Kreil gehörte! Als ich noch aufs Gymnasium gegangen war, gab es das Gerücht, er wäre heroinabhängig. Was er, wie er selbst zugegeben hatte, auch gewesen war. Wie konnte sie ihn in der Band haben? Und noch wichtiger: Wie konnte sie mit seinem Halbbruder zusammen sein? Ich verstand sie nur ein …

Nein, ich verstand sie gar nicht. Man konnte so ein Leben nicht leben.

Das war nicht meine vernünftige kleine Schwester.

Irgendwann, zwischen einem weiteren Wutanfall und meinem dritten Gläschen Wein, das mir Brandon großzügig ausgegeben hatte, war ich in Tränen ausgebrochen.

Ian und Zoey hatten mir immer viel bedeutet, und nun? Was war mit ihnen passiert?

Hätte ich Thomas nicht geheiratet und wäre bei meiner Familie geblieben, wäre das alles nie passiert!

Ich würde nicht an der Bar eines Fünf-Sterne-Hotels in Las Vegas sitzen, frisch geschieden, und hätte auch nicht die halbe Familie verloren.

»Das streite ich nicht ab, Ellen.« Er schenkte mir ein weiteres Glas ein, aber als ich es nehmen wollte, legte er seine Hand auf meine. Ich sah ihn überrascht an. »Ich könnte dir die Erinnerungen an deinen Ex-Mann für eine Nacht nehmen, ebenso wie deine Sorgen um deine Geschwister«, bot er mir mit seiner verführerischen, dunklen Stimme an. Irgendetwas an ihr zog mich in seinen Bann, obwohl sein Englisch ohne irgendeinen erkennbaren Akzent war. »Schlaf mit mir.«

»N-«

Das Wort blieb mir in der Kehle stecken.

Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und sah Brandon an. Er hatte etwas längere dunkelblonde Haare, die ihm in die Stirn und teilweise schon über die haselnussbraunen Augen fielen. Einige helle Bartstoppeln in seinem gebräunten Gesicht zeugten davon, dass er sich wohl einige Tage nicht mehr rasiert hatte. Er war ziemlich schlank und groß, wirkte dabei aber nicht so schlaksig wie etwa Zoeys Freund Alex. Brandon hatte dieses typische Surferboy-Aussehen, nur ohne meerblaue Augen.

Na gut. Hässlich war Brandon sicher nicht, aber er war einer der Typen, die genau wussten, dass sie mit ihrem Aussehen fast jede Frau haben können und deshalb unglaublich arrogant wirkten.

Man konnte Brandon für das genaue Gegenteil von Thomas halten: kurze schwarze Haare, graue Augen und immer frisch rasiert.

Ach, verdammt! Ich wollte doch nicht mehr an dieses Arschloch denken! Das zwischen meinem Ex und mir war vorbei. Ich sollte froh darüber sein! Nach den Jahren mit ihm konnte ich nun das tun, was ich wollte, ohne Rücksicht auf jemand anderen.

Nur warum freute ich mich nicht?

»Könntest du das?«, fragte ich, naiv durch den ganzen Alkohol.

Ich fühlte mich plötzlich schwach und hilflos, wollte nur vergessen, dass in meinem Leben alles den Bach runterging. Wenn ich morgen nach Österreich zurückflog, würde mich niemand erwarten. Meine Eltern waren nicht begeistert davon, dass ich wieder in meinem alten Jugendzimmer lebte, und meine Geschwister waren hier. Die Schule begann auch erst in gut einem Monat.

Ich würde den ganzen Tag allein sein und mit meinen Studienbüchern Themen und Übungen heraussuchen, die ich den Schülern in meinem ersten Jahr als Lehrerin näherbringen wollte.

»Natürlich.« Er grinste mich an und zeigte dabei seine weißen Zähne. »Ich werde dir das Gehirn aus dem Kopf vögeln, Ellen. Du wirst ihn nicht nur vergessen, nein, du wirst morgen kaum gehen können. Ich schenke dir eine Nacht, die du nie in deinem Leben vergessen wirst.«

»Meinst du einen One-Night-Stand?« Ich brachte das Wort kaum über die Lippen.

So etwas war mir eigentlich zuwider. Ich hatte noch nie einen Gedanken an eine spontane Liebesnacht mit einem Fremden verschwendet. Thomas war der erste und einzige Mann in meinem Leben gewesen, mit dem ich geschlafen hatte. Zwar hatte ich nicht das beste Liebesleben gehabt, aber ich hatte meine Bedürfnisse zurückschrauben können. Außerdem war mir mein Studium wichtiger gewesen.

Der Gedanke schien mir jetzt absurd, obwohl ich seit Monaten keinen Sex mehr gehabt hatte …

Mein Blick fiel auf meine Hand, die das Weinglas immer noch umklammert hielt. Den goldenen Ring an meinem Finger wollte ich am liebsten wegwerfen, aber er ging unglaublich schwer ab. Oder mir fehlte schlicht die Kraft, Thomas endgültig aus meinem Leben zu verbannen. Schließlich waren wir gute drei Jahre zusammen gewesen.

»Du bist wirklich noch eine halbe Jungfrau«, lächelte Brandon. Er zog eine Zigarette aus seiner Hosentasche und zündete sie an.

Eigentlich hasste ich Raucher wie die Pest, aber im Moment war mir alles egal. Ich war ungebunden und meine dunkle Seite drängte mich, mit Brandon zu schlafen. Einmal in meinem Leben wollte ich auch ein Abenteuer erleben. Einmal wollte ich nicht die perfekte Ellen sein.

»Ja. Eine Nacht. Nicht mehr und nicht weniger. Am nächsten Tag bin ich weg.« Er streckte mir seine Zigarette hin. »Deal?«

Ich nahm sie ihm ab und tat einen Zug. Danach drückte ich sie aber sofort in einem Aschenbecher aus. Bäh! Tabak schmeckte schlechter, als ich gedacht hatte. »Deal.«

Ein raubtierhaftes Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus. Er stand auf und streckte mir seine Hand entgegen, als wollte er mich zu einem Tanz einladen. »Komm mit mir, schöne Ellen.«

»Du musst dich nicht noch mehr einschleimen«, sagte ich kühl. Mit einer Serviette trocknete ich meine restlichen Tränen. »Ich habe schon zugesagt, mit dir zu schlafen.«

Ich stand auf.

Mit meinen High Heels war ich fast genauso groß wie Brandon, was im Umkehrschluss bedeutete, dass er um die eins neunzig groß war.

»Das ist kein Geschleime. Du bist wunderschön.« Er berührte mit seinen Fingern kurz meine Wange. »Wenn du ab und zu lächeln würdest.«

Das Schlimmste an der ganzen Misere war der nächste Morgen: Ich hatte einen fürchterlichen Kater, der meinen Kopf beim Aufwachen minutenlang lahmlegte. Außerdem tat mir alles, wirklich alles weh. Nicht nur mein Kopf, sondern auch meine Arme und Beine. Es war wie früher im Gymnasium, als ich oft stundenlang Leichtathletikübungen gemacht hatte, um mir regelmäßig Medaillen und Pokale bei Wettkämpfen zu holen.

Und dann fiel mir der Grund für den Muskelkater ein.

»Scheiße!« Fluchend stolperte ich aus dem Bett.

Dabei riss ich die Decke mit, um meine Blöße ein wenig zu bedecken.

Ich musste hier weg. Schnell. Ganz schnell.

»Fluch leiser«, grummelte der nackte Mann im Bett. »Ich habe einen Mordskater.«

Brandon hob den Kopf und lächelte mich an. Waren die Lippenstift-Flecken in seinem Gesicht und auf seinem Oberkörper etwa von mir?

»Nicht jedes Mädchen kriegt die Chance, mit einem Rockstar zu schlafen. Schätz dich glücklich und zieh nicht so eine Miene.« Er klopfte auf den nun leeren Platz neben sich. »Komm wieder ins Bett, Ellen.«

Ich erbleichte augenblicklich. »R-Rockstar?«

Hoffentlich hatte ich mich verhört!

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich eine Berühmtheit bin«, grinste Brandon. »Du hast es für eine Lüge gehalten, oder?«

Er richtete sich im Bett auf.

Erst jetzt fielen mir die verschlungenen Schriften auf seiner Haut und das Lederhalsband mit dem Anhänger in Form eines Plektrums auf.

Der Hass auf ihn steigerte sich ins Unermessliche: Er war nicht nur ein Arschloch, das Mädchen abfüllte, um sie ins Bett zu kriegen, nein, er war auch noch ein zu nichts taugender Rockstar!

»Ich bin Brandon Jackson von Empathica.« Er verbeugte sich grinsend im Sitzen. »Auch wenn du nicht aus diesem Land bist, hast du von mir gehört. Dein Bruder geht mehr oder weniger mit meiner besten Freundin aus. Sie heißt Natalie. Klein, wellige schwarze Haare, wenig Oberweite und hängt an deinem Bruder wie eine Klette.«

Ich kniff die Augen zusammen.

Beste Freundin? Hielt er mich für komplett bescheuert? Jetzt wusste ich wenigstens, mit wem diese Schlampe meinen Bruder betrog.

»Raus hier!«, brüllte ich so laut, dass Brandon zusammenzuckte.

Ich griff nach der Nachttischlampe und schleuderte sie direkt neben seinem Gesicht an die Wand. Ungläubig starrte Brandon die Tapete an, die ein paar Kratzer davongetragen hatte.

»Wow, diese Aggressivität liegt anscheinend wirklich in eurer Familie.« Er steckte sich lässig eine Zigarette, die er unter seinem Polster hervorgeholt hatte, in den Mund und zündete sie an. »Zoey blafft mich auch immer so an. Ihr könntet aber nur Charakterzwillinge sein, denn du bist viel heißer als sie.«

Ich schnappte laut nach Luft. »Hattest du mit ihr auch was?«

Jetzt fehlte nur noch, dass meine kleine Schwester bei diesen Rockstars wie ein Joint herumgereicht wurde!

Brandon runzelte die Stirn. »Ich schlafe nicht mit vergebenen Mädchen. Außerdem ist Alex ein Kumpel. Er ist ganz cool dafür, dass seine Freundin so eine Furie ist. Sie ist wie du.«

Ein erleichtertes Seufzen kam über meine Lippen.

Er stieß eine kleine Rauchwolke aus. »Bist du eifersüchtig?«

»Nein!«, herrschte ich ihn an. »Ich will nur, dass ihr alle meine Familie in Ruhe lasst!«

»Wer wir?«

»Ihr nennt euch Rockstars, obwohl ihr einfach nur Schmarotzer seid«, fauchte ich. »Ihr rennt einem Traum hinterher, der entweder nie in Erfüllung geht oder euch selbst zerstört!«

Plötzlich schien Brandon verblüfft zu sein. Er drückte die Zigarette am Nachtkästchen aus, erhob sich aus dem Bett und machte ein paar Schritte auf mich zu und … Oh, du meine Güte, er war immer noch nackt!

»Ah, daher bist du so komisch drauf.« Brandon tippte mir gegen die Stirn, worauf ich seinen Arm mit einem »Fass mich nicht an!« wegschlug. »Du hast deine Träume für deinen Mann aufgegeben, oder?«

Ich gab keine Antwort, sondern öffnete die Tür, packte Brandon am Arm und stieß ihn in den Hotelflur. Da er mit so etwas nicht gerechnet hatte, war es ziemlich leicht, ihn aus dem Zimmer zu befördern. Bevor ich die Tür zuschlug, schmiss ich ihm ein Polster nach, mit dem er seine Blöße bedecken konnte.

»Das ist mein Hotelzimmer!«, brüllte Brandon und hämmerte mit seinen Händen gegen das Holz.

Ich raffte schnell meine Sachen zusammen, streifte mein Kleid über und steckte meine Unterwäsche und meine Schuhe in meine schwarze Handtasche. Sobald ich das Zimmer verließ, schwor ich mir, die gestrige Nacht sei nie passiert. Dadurch fühlte mich ein wenig besser.

Doch dann machte mir das Schicksal einen fetten Strich durch die Rechnung: Brandon stand noch immer nur mit einem Polster bekleidet vor der Tür, doch bei ihm waren Ian und Natalie.

Ian wirkte irgendwie belustigt, während Natalie kreidebleich neben ihm stand und mich anstarrte.

»Ich gehe nach Österreich zurück«, sagte ich zu meinem Bruder. Dieser Satz ließ das spöttische Lächeln auf seinen Lippen für eine kurze Zeit größer werden. »Mom und Dad werden wirklich froh sein, wenn ich ihnen erzähle, was ihr Sohn hier treibt, und was Zoey hier abzieht.«

Ich wollte meine Geschwister nicht verraten, aber es war zu ihrer eigenen Sicherheit!

Wie erwartet erstarb Ians Lächeln. »Was?«

Aber ich hatte mich schon umgedreht und ging mit nackten Füßen den Flur entlang. Als ich mir sicher war, dass mich niemand mehr sah, rannte ich die Treppen hinab, aus dem Hotel und winkte das nächste Taxi heran.

Erst als ich am Flughafen war, hörten meine Hände und Beine auf zu zittern.

»Es ist nie passiert«, sagte ich. »Nie.«

1. KAPITEL

MEINE SCHRECKLICH SCHRECKLICHE FAMILIE

Energisch landete ein weißer Teller vor mir. Meine kleine Schwester Zoey hatte irgendwie eine eigene Art entwickelt, den Esstisch zu decken. Dass dabei gut ein Fünftel des Tischgedeckes draufging, schien sie nicht weiter zu stören.

»Abendessen mit der Familie. Wie schön. Mir geht richtig das Herz auf.«

Zoey stöhnte laut und schmiss einen weiteren Teller für die Person hin, die rechts neben mir sitzen würde. Ein Stückchen des Randes brach dabei ab.

Hoffentlich würde diese Person nicht ihr Freund sein. Oder sein drogenabhängiger Halbbruder! Oh Gott, was, wenn Natalie aus den USA irgendeinen Sänger der Szene mitschleppen würde? Wie hieß noch einmal dieser versoffene und drogensüchtige Frontmann dieser Band mit dem Smiley als Logo? Kurt Cobalt? Oder Alice Cooper? Was, wenn Ozzy Osbourne Fledermäusen immer noch den Kopf abbiss? Oh Gott, bitte nicht den!

Und was wäre erst, wenn Natalie IHN mitbringen sollte?

Nein. Nein. Nein.

Natalie und Ian. Nur die beiden würden erscheinen.

Es ging darum, dass mein Bruder unseren Eltern seine neue Freundin vorstellen wollte. Warum sollte da noch wer mitkommen?

»Reiß dich zusammen«, herrschte ich meine kleine Schwester an, die auf der Stelle herumfuhr und versuchte, mich mit ihrem bösen Blick zu durchbohren.

Als ich sie nach beinahe zwei Jahren wiedergetroffen hatte, hatte ich sie kaum wiedererkennen können: Sie trug ihre einst langen schwarzen Haare nun schulterlang und mit einem Pony. Die normale Kleidung war irgendwelchen schwarzen Fetzen gewichen, und musste ich noch einmal betonen, dass sie nun ein Tattoo hatte?

Ich hatte immer gesagt, dass ihre Freundinnen ein schlechter Umgang waren, aber hörte der lieben Ellen jemals jemand zu? Nein. Mir hörte nie jemand zu … Nicht einmal meine Eltern hatten ein offenes Ohr für mich, wenn ich über die Trennung von meinem Ex-Mann redete. Vielleicht würde ich diese Rat-auf-Draht-Hotline anrufen, die es schon zu meiner Teenager-Zeit gegeben hatte. Da wurden die Leute ja dafür bezahlt, dass sie Leuten wie mir zuhörten, und es war weniger aufwendig als eine Therapie beim Psychologen.

Ich bereute es stark, dass ich die letzten drei Semester des Studiums über meine Familie, vor allem über meine Geschwister gestellt hatte, aber das Praktikum war anstrengend gewesen, und Seminar- und Bachelorarbeiten schrieben sich bekanntlich ja nicht von allein.

»Ich reiß mich zusammen, wenn ihr euch auch zusammenreißt!«, zischte Zoey. Genervt schenkte ich mir ein Glas Rotwein ein, da mir Zoeys Zickigkeit sauer aufstieß. Gerne würde ich behaupten können, dass sie auch erst seit kurzem so zickig war, aber diese ständige Gereiztheit lag praktisch in unserer Familie.

Noch ein Gläschen Wein, Ellen?, hörte ich eine verführerische Stimme auf Englisch säuseln.

Ich wusste, dass die Stimme nur in meinen Gedanken existierte, trotzdem überlief mich ein kalter Schauer.

Es ist nie passiert. Nie!, mahnte ich mich selbst.

Ich straffte die Schultern und sah meine Schwester an. »Was soll das schon wieder heißen?«

Unbehaglich beobachtete ich, wie sie das Silberbesteck auf dem gedeckten Tisch verteilte.

Unsere Mutter war mit dem Essen in der Küche beschäftigt und unser Vater hatte sich in seinem Büro verschanzt, weshalb nur Zoey und ich im Esszimmer waren. Seit sich mein kleiner Bruder entschieden hatte, seine Rockstar-Freundin auf ihren Touren zu begleiten und hier alles hinzuschmeißen, waren unsere Eltern nicht gerade gut auf Ian zu sprechen. Auch nicht heute, obwohl er uns besuchen kommen wollte, um irgendwelche Sachen zu klären und ihnen Natalie vorzustellen. Ich fragte mich, was er noch klären wollte. Hatte er sich doch von Natalie getrennt? Nein, dann hätte Zoey etwas gesagt.

»Ich habe eine Ahnung, wie Mom und Dad Natalie behandeln werden«, sagte Zoey finster. »Und soll ich dich daran erinnern, dass du sie bei unserem letzten richtigen Zusammentreffen mit Champagner angespritzt hast?«

Ich schnaubte laut.

Zoey musste mich nicht daran erinnern. Eigentlich war der Champagner für Ian gedacht gewesen, der mir ein Glas Wein ins Gesicht geschüttet hatte. Dass ich seine Freundin getroffen hatte, war mehr ein Unfall als pure Absicht gewesen.

»Natalie gehört nicht zur Familie«, erinnerte ich meine kleine Schwester. »Genauso wenig wie Alex.«

Es war dumm gewesen, sie auf ihre Freundin und ihren Freund anzusprechen. Ein Messer durchbohrte nun die grüne Tischdecke vor meiner Schwester. »Wage es ja nicht, die beiden aus unserer Familie auszuschließen! Muss ich dich erinnern, dass so jemand wie Thomas einmal zu uns gehört hat?«

Als der Name meines Ex-Mannes fiel, zuckte ich sofort zusammen. Meine Schwester schien nicht damit gerechnet zu haben, dass der Name so eine Wirkung auf mich haben würde.

Ein besorgter Ausdruck huschte über ihr Gesicht. »Es tut mir leid«, sagte sie leise und versuchte, das Messer wieder aus dem Tisch zu ziehen. »Liegt am Schulstress. Matura und so.«

Ich nickte und nahm ihre halbherzige Entschuldigung an. Ich musste lernen, mit meiner Schwester zurechtzukommen. Thomas hatte die gemeinsame Wohnung gehört und es war schwerer als gedacht, hier in der Nähe eine neue Wohnung aufzutreiben, damit ich nicht jeden Tag ewig lange zur Schule fahren musste.

Ein schwarzer Fleck marschierte in die Küche. Beim näheren Hinsehen erkannte man blaue Augen und ein blasses Gesicht sowie eine menschliche Form. Manchmal fragte ich mich, ob die Röhrenjeans, die Zoeys Freund trug, ihm gehörten oder in dem Kleiderschrank meiner Schwester zu finden waren.

»Abend, Kali«, raunte er ihr zu. Alex legte seine Hände auf Zoeys Hüfte und zog sie zu einem Kuss auf die Lippen heran.

Ich musste schnell wegschauen, damit meine Schwester nicht den Neid in meinen Augen sehen konnte.

Nachdem die Schmatzgeräusche aufgehört hatten, sah ich die beiden wieder an und tat so, als würde mich ihre Beziehung anwidern.

Alex nickte mir zu. »Ellen.«

»Alex.«

»Stein!« Völlig überraschend stürmte eine weitere Person in die Küche und umarmte Zoey überschwänglich. »Ich missed dich!«

Überschwänglich, schlechtes Deutsch: eindeutig Natalie.

»Ich hab dich auch so vermisst, Nat!«

Die beiden Freundinnen umarmten sich, während ich mir wie immer unbeachtet vorkam. Ich hasste es, wenn man durch mich hindurchsah wie durch einen Geist. Es war schlimmer als in meiner Ehe!

»Hi Ellen«, begrüßte mich Natalie und versuchte, ein wenig zu lächeln.

Ich schnaubte laut und griff nach der Weinflasche. Oh, die war schon wieder leer? Verdammt, ich hätte alles für eine weitere Flasche getan.

»Wo ist denn Ian?«, fragte ich sie.

Natalie nahm Platz, so weit weg von mir wie es ging. »Er redet noch kurz mit seinem Vater.«

Man konnte die Anspannung deutlich spüren. Ich mochte Natalie nicht und den Typen in ihrer Band noch weniger.

»Was sagst du zu Alex’ Fahrkünsten?«, fragte Zoey Natalie.

»Ich komm mir safer vor, als wenn ich mit Ian auf seinem Motorrad mitfahre«, lächelte Natalie. »Du kannst gut autofahren«, wandte sie sich an Alex.

»Das kommt von den jahrelangen Rollerfahrten«, erwiderte der schwarzhaarige Musiker und zwinkerte meiner Schwester zu. »Es hat halt doch was gebracht.«

»Ja, dass du mit einundzwanzig endlich den Fetzen … haa-ah!«

Zoey stieß einen erschrockenen Laut aus, als sie Ian von hinten umarmte. »Hallo Zo!«

»Lass mich los, Ian!«, schrie Zoey und versuchte, sich strampelnd aus seiner Umarmung zu befreien.

Ich musste mich in den Arm zwicken, um mich zu vergewissern, dass ich wirklich nicht nur ein Geist war und übersehen wurde. Die vier redeten miteinander und schlossen mich aus. Toll. Dann redete ich mit mir selber.

Wie geht es dir, Ellen zwei?

Gut. Danke.

Nicht einmal ich selbst wollte mit mir reden!

»Hallo Ellen.« Das Lächeln aus dem Gesicht meines Bruders verschwand. »Wie geht es dir?«

Er war sicherlich noch beleidigt, dass ich unsere Eltern über die Lage in Amerika informiert hatte. Trotzdem. Er hatte sich ihnen widersetzt und war zu Natalie zurückgekehrt, warum machte er denn noch ein Drama darum? Er hatte, was er wollte. Ich war diejenige, die nichts mehr mit ihrem Leben anzufangen wusste, außer jeden Tag zu nehmen, wie er kam.

»Gut.«

»Das ist schön.«

Und mit diesen Worten setzte er sich neben seine Freundin an den Tisch. Durch die Aufteilung fiel mir erst auf, dass insgesamt zehn Plätze gedeckt waren.

»Wer kommt denn no…«

Ich wurde von unserer Mutter unterbrochen, die mit einem dampfenden Topf aus der Küche kam.

Ihr Blick fiel sofort auf Natalie. Sie hatte die neue Freundin meines Bruders noch nie gesehen und war wohl gespannt auf sie. Öfters hatte sie gefragt, wer diese Natalie sei, aber ich wollte, dass sie es so erfuhr, quasi leibhaftig. Vielleicht konnte sie Ian den Kopf waschen.

»Schon wieder so eine«, murmelte sie etwas lauter. Dass Natalie deutsch sprach, konnte sie ja nicht ahnen. Nachdem sie den Topf in der Mitte des Tisches platziert hatte, streifte sie die dunkelblauen Topfhandschuhe von den Händen und reichte Natalie eine Hand. »Hi. So, you are Natalie?«

»Äh. Ja.« Ians Freundin stand auf und schüttelte unserer Mutter die Hand. »Ich spreche übrigens deutsch.«

Die Anspannung wurde nicht weniger, als mein Vater auftauchte und einen Blick auf Ians Freundin erhaschte. Es wurde auch nicht besser, als Natalie in knappen Sätzen erklärte, was sie – in Anführungszeichen arbeitete. Und es wurde erst recht nicht besser, als sie erwähnte, dass Ian sich von ihr aushalten ließ.

Ich gluckste glücklich vor mich hin. Auf dieses Gespräch hatte ich wochenlang gewartet. Zoey und Alex sowie Ian warfen mir böse Blicke zu.

Am liebsten hätte ich sie alle angeschrien, warum sie so dumm waren und ihr Leben nach einem Traum lebten.

»Willst du uns etwas sagen?«, blaffte mich mein kleiner Bruder Ian an.

Seit er vor ein paar Wochen in die USA gezogen war, hatte ich ihn nicht mehr gesehen.

Natalie, seine Freundin und Sängerin der Band, in der … in der niemand, an den ich mich erinnerte, spielte, zuckte zusammen. »Ian …«

»Sag es doch, Ellen.« Ich hatte Ian noch nie so wütend erlebt. »Gib zu, dass du Natalie nicht magst!«

Ich wollte gerade das Wort ergreifen und Ian deutlich machen, dass jemand wie sie ihn sicher betrog, als es an der Tür läutete und ich mit einem »Entschuldigt mich« aufstand.

Es kam mir gerade recht, dass ich zur Tür musste, denn das gab mir einige Augenblicke, mich abzureagieren.

Ich öffnete die Tür und erstarrte augenblicklich.

What happens in Vegas, stays in Vegas?

Ich sage nur eines: Glaubt niemals an diesen Spruch!

»Hallo Elfchen«, begrüßte mich Brandon mit einem neckischen Lächeln auf den Lippen, und zwinkerte mir zu. Ausnahmsweise war er angezogen. »Wie geht es dich?«

Seine schlechten Sprachkenntnisse waren es nicht, die mich erbleichen ließen.

Ich schlug ihm eiskalt die Tür vor der Nase zu.

Hätten wir im Mittelalter gelebt, hätte ich ihn von der Burgmauer aus mit Pech übergießen können. Dieses Thema wäre sicher interessant für den morgigen Geschichtsunterricht.

»Verdammt!«, fluchte ich und raufte mir die Haare.

Die statistische Wahrscheinlichkeit, seinen One-Night-Stand aus Las Vegas, der nebenbei erwähnt ein berühmter Rockstar in den Staaten war und sich wahrscheinlich jede Nacht mit ein bis drei Mädchen vergnügte, vor der Tür seines Elternhauses zu begegnen, lag bei geschätzten nullkommaeins Prozent.

Doch ich hatte vergessen, meinen Bruder und seine Freundin, die Sängerin der Band Empathica, einzubeziehen. Somit erhöhte sich die Chance auf fünfzigkommaeins Prozent.

Und diese Prozentzahl stand nun draußen vor dem Haus.

Und warum nannte mich dieser Kerl bloß Elfchen? Na gut, bei ihm klang es eher nach Elfkchen, was an seinem schweren amerikanischen Akzent lag.

»Ellen?«, ertönte die Stimme meiner Mutter aus dem Esszimmer. »Wer war denn das?«

Unfähig, mich zu bewegen, blieb ich an der Tür stehen. »Nur ein Vertreter!«

»Um acht Uhr abends?«

Plötzlich rauschte Natalie aus dem Zimmer und kam direkt auf mich zu. »Würde es dir etwas ausmachen, meinen parents und meinem besten Freund zu öffnen?« Sie hielt ihr Handy hoch. »Sie würden gerne reinkommen.«

Als Natalie Brandon und ihre Eltern ins Haus ließ, konnte ich nichts anderes tun, als hilflos danebenzustehen und zuzusehen, wie mein One-Night-Stand mir zuzwinkerte und laut fragte, wem er denn die Flasche Rotwein reichen dürfte. Meine Lieblingssorte.

Er war trotzdem ein Arsch.

2. KAPITEL

WIE DU MIR, SO ICH ALEX

Ich tat das, was ich immer in peinlichen Situationen tat: Naserümpfen und so tun, als würde mich niemand auf der Welt interessieren. Neuerdings war das gar nicht einmal mehr eine Show, denn wen hatte ich noch? Meine Geschwister verabscheuten mich und von meinem Mann Schrägstrich meiner ehemals großen Liebe war ich geschieden. Die Chancen, dass ich eine Beziehung zu einer Rotweinflasche anfing, standen ziemlich gut. Die waren ja im Prinzip auch nur Flaschen, wie Männer.

»Ich will nicht hier sein«, murrte die blonde Frau, die anscheinend Natalies Mutter war.

Sie schien eigentlich viel zu jung zu sein, um erwachsenen Nachwuchs zu haben, aber die Ähnlichkeiten mit ihrer ebenfalls kleinen und schlanken Tochter waren unübersehbar. Sie hatte die gleichen blauen Augen und das leicht gewellte, fast schon lockige Haar.

Natalies Akzent war schwer, aber der ihrer Mutter war nur leicht herauszuhören. Ich als Englischlehrerin achtete halt auf solche Feinheiten.

Sie übersetzte den Satz für ihren Mann. Warum überraschte es mich nicht, dass der beim Abstreifen seines schwarzen Mantels Tattoos entblößte? Seine Ähnlichkeit zu Natalie bestand in den dunklen Haaren und dem eher spitzen Gesicht.

Bevor ich zu Nummer drei der Neuankömmlinge sah, wandte ich mich um und stolzierte in das Esszimmer zurück.

»Es sind Natalies Eltern«, informierte ich die anderen und achtete darauf, keine einzige Gefühlsregung zu zeigen, als ich hinzufügte: »Und Brandon.«

Das war Fehler Nummer eins.

Ich durfte nämlich nicht wissen, dass Natalies Gitarrist Brandon hieß, da ich ihm ja nie und nimmer, nie, nie, niemals im Leben und auf keinen Fall jemals begegnet war. Zwar war Natalies Band alles andere als unbekannt und erlangte auch hier immer mehr an Popularität, aber ich war niemand, den so etwas interessierte. Ich musste aufpassen, nicht zu viel zu verraten, was nicht schwer war. Immerhin wusste ich kaum etwas über den blonden Musiker. Zum Glück, aber auch zum Pech, hatte ich einen gewaltigen Filmriss, was unsere gemeinsame Nacht betraf. Ich erinnerte mich nur noch scherbenhaft an die anzüglichen Bemerkungen zu meinem nackten Körper. »Nicht schlecht«, hatte Brandon gemeint. »Ich hatte schon lange kein Mädchen mehr, das keine gemachten Brüste hat.« Und alles andere war fast nur Gestöhne.

Ich schüttelte mich, angewidert von den Gedanken daran, wie mich Brandon angefasst hatte.

Mein kleiner Fauxpas fiel aber keinem auf, weil alle sehr gespannt auf die Neulinge waren. Nur Ian warf mir einen undefinierbaren Blick zu. Mein Bruder wusste wie seine kleine Freundin Natalie von der Sache, und ich war mir sicher, dass er sie vor Zoey nicht aus Bruderliebe geheimhielt. Ich hatte seinen Zorn damit heraufbeschworen, dass ich versucht hatte, ihn von der kleinen Rockgöre zu befreien – was wieder mal total schiefgelaufen war …

»Weißt du überhaupt, was Liebe ist?«, hatte mich Ian angeblafft, bevor er seine Sachen gepackt und so endgültig sein Leben für sie geopfert hatte.

Das Schlimme daran war, dass ich ihm bis heute eine Antwort schuldete.

Natalies Mom war die Erste, die ins Zimmer kam, die Arme vor einem grauen Pullover verschränkt. Da sie die Ärmel hinaufgeschoben hatte, erkannte ich auch auf ihrer Haut schwarze Tintenkleckse. Verschlungene Ranken mit Notenzeichen verzierten einen Unterarm in verschiedenen Graustufen. Normalerweise fand ich Tattoos abstoßend – das lag an einem gewissen Gitarristen, dessen Haut man wie eine Buchseite lesen konnte aber bei Natalies Mutter wirkten die Muster wie eine wunderschöne Zeichnung.

Mit dem selbstsicheren Lächeln auf den Lippen wirkte sie nicht so kalt wie ihr Mann. Brandon ignorierte ich so gut es halt ging. Alex war aufgestanden, um ihm zur Begrüßung auf die Schulter zu klopfen. Es war so klar, dass sich die beiden verstanden. Bakterienstämme verbanden sich ja bekanntermaßen auch gerne, um zu verheerenden Seuchen zu werden. Zoey begrüßte Brandon, indem sie ihre Handknöchel aneinanderdrückten – hatte ich da etwas verpasst? Hatten die beiden sich etwa auch verbrüdert?

»Du musst Zoey sein!« Natalies Mutter fiel meiner kleinen Schwester um den Hals. »Ich hab so viel von dir gehört. Tolle Stimme!« Sie blickte kurz auf, zu dem Freund meiner Schwester. »Oh, und du bist Alex! Nur mal so aus Interesse, hast du Lust, mit uns allen einen Jam-Abend zu machen? Brandon hat mir so viel von dir erzählt!«

Meine Mutter und mein Vater tauschten einen vielsagenden Blick aus, der voller Abneigung gegen die Eltern der Freundin ihres Sohnes war, dennoch verhielten sie sich höflich.

Und dann richtete sich Miriams Aufmerksamkeit auch auf mich. »Du bist groß geworden, Ellen. Richtig groß! Und auch so hübsch. Du siehst aus wie ein Model!«

Ich starrte Natalies Mutter nur an. Woher glaubte sie, mich zu kennen?

Nachdem jeder fast jeden begrüßt hatte, räusperte sich meine Mutter.

»Sie müssen Natalies Eltern sein«, sagte meine Mutter ohne aufzustehen. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, beim Anblick der drei nicht das Gesicht zu verziehen. »Bitte setzen Sie sich.«

Zu meinem Schrecken verteilten sich die ganzen Leute nun so, dass ich zwar am Rand neben meiner Mutter saß, aber mir gegenüber noch ein Platz freiblieb. Na ja, der Platz blieb nicht lange frei. »Ein Barbera Rotwein direkt aus dem schönen und sonnigen Italien, für die schönste Dame des Hauses«, meinte Brandon einschmeichelnd und mit schwerem Akzent. Er streckte mir die Flasche über dem Tisch entgegen. Bevor er weiterredete, wechselte er ins Englische. »Wenn ich nur gewusst hätte, dass Zoeys Schwester von so liebreizender Natur ist.«

Heuchelei. Dieser Blick und das sarkastische Lächeln. Brandon wollte, dass ich meine Kontrolle verlor. Warum auch immer. Wahrscheinlich wollte er nur sehen, wie ich vor allen Leuten zugab, dass da zwischen uns etwas gelaufen war. Selbst ohne ersichtlichen Grund.

Ich riss ihm die Flasche aus der Hand und öffnete sie gekonnt mit dem Korkenzieher. Einsame Nächte hatten mich gelehrt, wie ich eine Flasche in Sekunden aufbekam.

Das brachte Zoey und Alex zum Kichern, während Natalie Brandon anzischte. »Liebreizend. Na klar. So liebreizend wie ein … ein … Alex? Hilf mir!«

»Herpes?«, half er seiner Freundin aus.

Brandon schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wie Herpes!«, empörte er sich gespielt. »Eher wie eine Elfe. Stimmt’s, Elfchen?«

»Mhm.«

Ein Schluck Rotwein.

Brandon zwinkerte mir zu. Ich nahm einen Schluck und noch einen größeren, als er sich mit der Zunge anzüglich über die Lippen leckte.

Verlochtes Arschdammt. Oh, wie es aussah, war ich schon leicht betrunken. Was für eine Schande!

»Elfchen?«, fragte Alex. »Allen Ernstes, du nennst Ellen Elfchen? Darf ich dich darauf hinweisen, dass ich Zoey Kali nenne? Eine Elfe. Ich werd nicht mehr.«

»Ach Nina, du erkennst mich wirklich nicht mehr?«

Dieser Kommentar von Natalies Mutter lenkte glücklicherweise von Brandon und mir ab. Zoey, die von Natur aus misstrauisch war, hob und senkte ihre Augenbrauen ständig. Die beiden Mütter kannten sich anscheinend von früher.

Mom legte die Stirn in Falten. »Miriam? Die Miriam? Aber du? Ich dachte … Man hat nie wieder von dir gehört!«

Mit einem Stöhnen verdrehte die die Augen. »Ich bin nur in die USA gezogen, Nina. Bei dir hört sich das so an, als wäre ich gestorben!«

»Aber … aber … Natalie ist nie deine Tochter!«, warf meine Mutter zweifelnd ein. »Du bist vierzig und Natalie ist mindestens neunzehn.«

»Einundzwanzig«, besserte Miriam sie aus. »Ich hab Natalie mit neunzehn bekommen.«

»Oh, tut mir leid.«

Und ich hatte gedacht, ich würde mir heute noch einen gewaltigen Patzer erlauben, wenn ich mich in Brandons Nähe so komisch verhielt, aber dieser Spruch von Mom, in dem unterschwellig mitschwang, dass sie es nicht guthieß, wenn man unter fünfundzwanzig Kinder bekam, schaffte es, die Stimmung sofort zu kippen.

Jeder am Tisch sog scharf die Luft ein. Brandon besonders laut.

Doch Miriam tat das nur mit einem Lächeln ab. »Warum denn das? Meine Tochter liebt mich und ist ein weltbekannter Rockstar. Ich könnte als Mutter nicht stolzer sein.«

Eifersucht war etwas Schlimmes, und im Moment verspürte ich sie wieder so scharf wie eine Klinge an meinem Hals. Dieser stolze Blick, den Natalie von ihrer Mutter bekam …

Die zwei Elternpaare unterhielten sich distanziert. Besonders Natalies Vater meldete sich selten zu Wort, was zum einen daran lag, dass er nicht deutsch sprach, zum anderen aber schien er auch nicht wirklich interessiert am Gespräch zu sein.

Wie immer forderte meine Mutter den Besuch irgendwann auf, sich unser Haus anzusehen. Der Sinn dahinter war nicht, sich besser kennenzulernen, meine Mutter wollte schlicht und einfach angeben.

»Natalie hat mir gesagt, dass du dieses Jahr auch einmal in Amerika warst«, sagte Brandon. »Schade, dass wir uns nicht begegnet sind. Ich hätte dich gerne näher kennengelernt, Elfchen.«

»Mhm.«

Dachte Brandon wirklich – nur weil er mich einmal in einer verzweifelten Lage erwischt hatte, in der ich nicht Herrin meiner eigenen Begierde gewesen war dass er mich nur ansehen musste, um mich dazu zu bringen, mit ihm in ein Zimmer zu verschwinden? Oder dachte er, dass er nur die Augenbrauen hochziehen und dieses typische Macho-Grinsen auf die Lippen legen musste, und schon würde ich mich mit Schlagsahne auf ihn stürzen und sie ihm von der Brust lecken? Er trug nämlich ein T-Shirt mit Ausschnitt. Ja, ein Ausschnitt, der einen v-förmigen Blick auf eine glatte, gebräunte Brust bot. Und oh, was für ein Zufall, die Schlagsahne für den Kaffee stand neben ihm.

Plötzlich lachte Brandon. Er neigte den Kopf in Richtung der Sahne und vollbrachte ein weiteres Kunststück mit seinen Brauen, das wohl so viel heißen sollte wie Ich weiß, was du denkst, Elfchen.

»Nenn mich nicht immer Elfchen!«, schrie ich Brandon an, obwohl er in der letzten Minute kein einziges Wort gesagt hatte. War ich denn wieder ein Teenie, bei dem ein paar Schlückchen Alkohol so auf den Verstand schlugen? Hatte meine Ehe mich nicht gegen Alkohol abgehärtet? Verdammt.

Brandon lehnte sich lächelnd zurück und taxierte mich mit seinen dunkelbraunen Augen. »Ich will dich aber Elfchen nennen, Elfchen.«

In diesem Moment verabschiedete sich meine Selbstbeherrschung und ich sagte oder schrie vielmehr frei heraus, was ich von ihm hielt: »Nur weil ich mit dir geschlafen habe, heißt das nicht, dass du mich jetzt verarschen kannst! Ohne den ganzen Alkohol hätte ich dich nie im Leben angefasst! Du bist so ein widerwärtiges Arschloch!«

Das hatte ich jetzt doch nur gedacht. Oder?!

Ich warf den anderen am Tisch Blicke zu: Natalie sah verlegen auf die grüne Tischdecke, Ian schüttelte den Kopf und das Rockerpärchen Alex und Zoey starrte mich mit offenem Mund an.

Anscheinend nicht …

»Nein!« Alex prustete plötzlich laut. »Diese Familie hat wirklich etwas in den Genen, das sie dazu veranlasst, bei Rockstars das Höschen fallen zu lassen.«

Das war der Moment, in dem zwei Arschlöcher von mir Wein ins Gesicht bekamen. Schade um den guten Alkohol …

3. KAPITEL

ROTWEIN MEINER, ERLÖSE MICH VON BRANDON UND FÜHRE MICH NICHT WIEDER IN VERSUCHUNG

Dreiundzwanzig Jahre.

Im März dieses Jahres war ich dreiundzwanzig geworden. Aber wie führte ich mich in diesem Moment auf? Wohl eher wie eine Dreijährige.

Vor Wochen hatte ich schon einmal eine Essensschlacht in einem Fünf-Sterne-Restaurant in Las Vegas verursacht. Nein, eigentlich waren Zoey und Ian daran schuld gewesen. Meine Geschwister hatten mir den Wein ins Gesicht gekippt und das nur, weil ich abfällig über ihre Partner geredet hatte.

Ich war mir sicher, dass sie sich dafür noch bei mir entschuldigen würden, spätestens, wenn sie merkten, dass ich Recht hatte.

Mein Herz machte vor Freude einen kleinen Sprung, als ich sah, dass Brandons Lippen nach unten wanderten. Der rote Saft hinterließ dunkle Flecken auf seinem schwarzen Shirt.

»Ich hab nichts dagegen, wenn du den Wein jetzt ableckst«, meinte er aber nur locker und schon war wieder dieses Grinsen in seinem Gesicht. »Dann ist die Sache einfach vergessen.« Er griff nach der Leder-Kette mit Anhänger an seinem Hals und wischte sie mit den Fingern sauber.

Brandon war auf jeden Fall kindischer als ich. Sein geistiges Alter lag garantiert unter meinem. Dafür lag sein sexuelles Alter im Hugh-Hefner-ohne-Viagra-Bereich. Oh Gott, warum dachte ich an so etwas?

»Brandon, halt die Klappe«, fuhr Natalie den blonden Gitarristen schneidend an. »Und Zoey, leg den Kuchen weg …«

»Welchen Kuchen?«, fragte sie ganz unschuldig und ließ das Stück auf den Teller zurückfallen. »Ich wollte Ellen jetzt nicht den Kuchen ins Gesicht schmieren, weil sie meinem Freund Wein ins Gesicht gekippt hat. Mein Gott, was hast du nur mit deinen Essensschlachten!?«, schrie sie mich an.

»Ruhig, Kali«, sagte Alex mit leiser Stimme und tatsächlich verschwanden ein paar Falten von Zoeys Stirn. »Leck mir einfach den Wein vom Gesicht und ich verzeih deiner Schwester.«

»Du bist so ein perverser Lustmolch!«, fuhr ich Alex an.

Ich hatte eine ganz andere Beschimpfung auf Lager, aber mir war es zuwider, wegen so eines Individuums wie Alex meine erweiterte Schimpfwortpalette auszupacken.

»Wer hat mit Brandon geschlafen, du oder ich?«, gab Alex mit einem hämischen Grinsen zurück.

»Du würdest doch auch gerne mit ihm schlafen«, murmelte Zoey leise.

»Hey, unterhaltet euch wieder auf Englisch.« Brandon hatte sein iPhone gezückt. »Oder redet langsamer. Lustmolk? Was soll das bitte heißen?«

Da meine geliebte Rotweinflasche und baldiger Ehepartner leer war, konnte ich Brandons iPhone leider nicht außer Gefecht setzen.

»Gott, meine Schwester und Brandon!«, stöhnte Zoey auf Englisch. Sie wandte sich an Ian. »Du wusstest davon?«

»Es gab da eine unangenehme Begegnung mit einem nackten Brandon in Las Vegas«, antwortete der und schüttelte den Kopf.

»Danke Zoey, dass du das Trauma wieder an die Oberfläche bringst. Ich werde heute Abend garantiert nicht schlafen können.«

»Ellen hat mich aus dem Hotelzimmer geworfen!«, versuchte sich Brandon zu verteidigen. »Was kann ich dafür, dass sie so temperamentvoll ist. Durch ihre Tat bleibt nicht nur die Nacht unvergesslich.«

Peinlich berührt sackte ich ein paar Zentimeter auf dem Stuhl nach unten, während die anderen angewidert das Gesicht verzogen.

»Ich werde heute nicht schlafen können«, sagte Ian erneut. Alle bis auf Brandon und mir nickten zustimmend.

Doch Brandon konnte es nicht lassen, noch einen draufzulegen: »Ellen und ich auch nicht.«

»Jetzt reicht’s mir!« Ich war Ellen Kramer, und ich war schon oft genug in meinem Leben gedemütigt worden, um jetzt nicht noch einmal ausflippen zu wollen. »Wenn ich dich noch einmal sehe, dann schwöre ich bei Gott, ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder mit einem Mädchen ins Bett steigen kannst, weil ich …«

Mein Leben war scheiße.

Wirklich.

Ich redete mich gerade so schön in Rage: Im besten Englisch erzählte ich Brandon und den anderen schockierten Zuhörern, wie ich es anstellen wollte, dass er, natürlich milde ausgedrückt, nicht mehr in der Lage wäre, Frauen mit seinem Talent im Bett zu beehren. Dabei bemerkte ich nicht die vier Personen, die hinter meinem Rücken standen: meine und Natalies Eltern, die mit der Hausbesichtigung fertig waren und von meinem biologischen Vortrag jedes Wort mitbekamen.

Nachdem ich geendet hatte, stand ich laut schnaubend und vor Wut köchelnd da. Die Augen meiner Geschwister und deren Anhängsel waren vor Schreck geweitet, aber das war mir egal. Ich fühlte mich plötzlich blendend, als wären die negativen Gefühle von mir abgefallen!

»Das ist das …« – lautes Schnauben »… was ich am liebsten mit dir tun würde, Thomas.«

Brandon, dessen Miene während meiner Rede ausdruckslos geworden war, lächelte mich an.

»Brandon. Meine Name ist Brandon, nicht Thomas.«

Fassungslos starrte ich ihn an. Hatte ich wirklich gerade Thomas gesagt? Aber ich meinte doch Brandon! Scheinbar hatte mir mein Unterbewusstsein einen Streich gespielt. Denn tatsächlich wollte ich Thomas massakrieren für das, was er mir angetan hatte: Dass er mir gezeigt hatte, dass ich austauschbar war. Dass ich kaputt war. Sie ist schwanger von mir. Ich hatte Thomas’ Worte immer noch deutlich in den Ohren.

Ach, werd doch glücklich mit der dummen Kuh!

»Interessant«, ertönte die Stimme von Natalies Mutter hinter meinem Rücken. »Schon mal überlegt, einen Job bei einem Tierarzt anzunehmen und Kastrationen durchzuführen?«

Sie lachte, aber sie machte sich nicht lustig über mich. »Du bist herrlich, Mädchen.« Sie klopfte mir auf die Schulter. »Makaber und ziemlich morbide, aber recht unterhaltsam.« Danach sah sie Brandon an. »Sei gefälligst netter! Du hast diesen Wutausbruch sicherlich wegen irgendeines Blödsinns verdient.«

»Okay, Miriam.«

Sieh mal einer an! Brandon hörte ausgerechnet auf Natalies Mutter!

Der Rest des Abends war alles andere als unterhaltsam. Keiner wagte es, mir ins Gesicht zu blicken – bis auf zwei Personen: Natalies Mutter, die mich unterhaltsam fand, und wer wohl noch? Brandon, dem egal war, was ich vorhatte. Was wollte dieser Kerl nur von mir? Er hatte mir versprochen, dass ich nur ein One-Night-Stand sein würde!

Meine Eltern hüllten sich in Schweigen, aber ich war mir sicher, dass sie nur zu gut wussten, was zwischen mir und Brandon passiert war.

»Tally und ich fahren jetzt mal«, sagte Ian nach geschätzten dreitausend Jahren peinlicher Stille.

»Wir müssen morgen früh raus, um uns mit der Maklerin zu treffen.«

Maklerin? Sofort wurde ich neugierig. »Was habt ihr vor?«, zischte ich.

Durch Zischen oder Fauchen klangen meine Sätze immer so, als wäre ich dagegen, nicht so, als wäre ich einfach nur furchtbar neugierig.

Wütend funkelte mich Ian an. »Etwas Wichtiges.«

»Wir fahren mit euch«, meinte Miriam. »War äh nett … hm, schön, dich wieder mal getroffen zu haben, Nina. Also, ich glaube, wir sehen uns frühestens wieder auf der Hochzeit unserer Kinder.«

Bei dem Wort Hochzeit zuckte ich zusammen. Ich wollte Brandon einen bösen Blick zuwerfen, aber siehe da, er lächelte nicht schadenfroh, sondern sah … ich hätte es besorgt genannt, aber ich bezweifelte, dass auf Brandon andere Adjektive außer notgeil und besoffen zutrafen.

»Ich bleibe bei Elfchen.«

Ich knurrte wie der Löwe in der Lion-Werbung.

»Dann nicht«, meinte Brandon schulterzuckend. »Bis bald«, formte er stumm mit den Lippen und zwinkerte mir erneut zu.

Übelkeit stieg in mir auf. Ich wollte Brandon nicht wiedersehen. Er sollte sich von mir fernhalten.

Es war schon hart genug, die Scherben meines alten Lebens aufzusammeln und irgendwie wieder zu etwas Brauchbarem zusammenzusetzen, da brauchte ich nicht noch Brandon, der mir die Splitter immer wieder aus der Hand schlug.

Schade, dass das nur bildlich gesprochen war. Mit Scherben konnte man Leuten, ich will jetzt keine Namen nennen, ins Herz stechen.

Ich erwartete, dass meine Eltern mir wegen der Sache mit Brandon ins Gewissen redeten, aber das taten sie nicht.

Ach ja, ich war jetzt dreiundzwanzig und nicht mehr dreizehn. Da kam mir der Gedanke, dass es vielleicht an meinen Eltern lag, dass ich geschieden war? Das, was ich mit dreizehn in seiner Nähe gefühlt hatte, hatte sich immer echter als die Gefühle für Thomas angefühlt. Die Schmetterlinge in meinem Bauch, wenn ich seine längeren schwarzen Haare und grünen Augen hinter jemandem auftauchen gesehen hatte, würde ich nie vergessen. Auch wenn ich jetzt nur noch Abscheu für ihn und Eifersucht gegenüber dem Mädchen an seiner Seite empfand. Das zugegeben perfekt zu ihm passte, wie ich in Las Vegas hatte feststellen müssen.

»Hast du vor, öfters mit Brandon zu schlafen?«, riss mich Zoey ganz unverblümt aus den Gedanken an denjenigen, in den ich damals verliebt gewesen war.

Erschrocken sah ich auf. Meine Eltern waren verschwunden und nur noch Zoey und ich saßen am Esstisch. Wo war Alex denn abgeblieben?

Die Worte aus dem Mund meiner kleinen Schwester zu hören trugen nicht dazu bei, dass es mir besser ging. Früher war Zoey ganz anders zu mir gewesen. Sie hatte mich abgöttisch geliebt und mir jedes Geheimnis erzählt. Sie war meine kleine unschuldige Schwester gewesen, die mich immer gefragt hatte, warum die Welt so war, wie sie nun mal war: Ellen, warum ist der Himmel blau? Ellen, warum verliert der Baum seine Blätter? Ellen, was ist Liebe?

Bei der letzten Frage hatte ich meine kleine Schwester angelogen. Damals hatte ich gedacht, dass ich genau wusste, was Liebe war. Nämlich das, was ich für Thomas empfunden hatte, bis ich dann vor drei Monaten hatte feststellen müssen, dass es nur Zuneigung gewesen war. Würde man sich nicht wünschen, mit der Liebe seines Lebens den Rest desselbigen zu verbringen, Kinder zu kriegen und alt zu werden?

Ich hätte sowieso auf einiges verzichten müssen …

Ich Idiotin hatte viel zu früh einen Mann geheiratet, den ich sympathisch fand. Sympathisch! Keine Spur von Liebe. Jahrelang hatte ich gehofft, dass ich eines Tages aufwachen und in Thomas verliebt sein würde. Jahrelang hatte ich so getan, als würde ich ihn tatsächlich lieben. Jahrelang hatte ich mich bemüht, so zu tun, als würde ich etwas anderes empfinden.

»Nein.«

»Gut. Es ist besser, wenn du dich von ihm fernhältst«, riet sie mir. »Er ist zu gut für dich.«

»Was soll das denn heißen?«, fuhr ich sie an. »Zu gut für mich? Er ist ein versoffener Rockstar! Sein Lebensinhalt besteht aus nichts anderem, als ein Mädchen nach dem anderen ins Bett zu kriegen und nebenbei einen Whisky nach dem anderen zu kippen!«

Sie stimmte mir nicht zu. »Nur noch eine Frage: Warum ausgerechnet Brandon?«

»Ich war betrunken und er war da.«

Statt zu antworten, zitierte sie irgendeinen Songtext: »I thought that you were trouble, but I couldn’t resist.I make them good girls go bad.«

»Was?«

»Good Girls Go Bad von Cobra Starship«, entgegnete sie schulterzuckend. »Glaub mir, so etwas passiert schneller, als man denkt. Ich weiß, wovon ich rede.«

»Okay.«

Gut, dass sie davon wusste, weil ich keine Ahnung hatte. Von was redete sie?