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***Liebe ist das gefährlichste Gift***
Belladonna ist eine Gifthexe, und sie macht ihrem Namen alle Ehre, denn ein Kuss allein kann tödlich enden. Kein Wunder also, dass sie ihre Zeit lieber mit ihren Schützlingen, den giftigsten aller Giftpflanzen, in den Gärten unterhalb des Schlosses der Hexenkönigin verbringt. Doch als diese unerwartet einem Giftanschlag zum Opfer und der Verdacht ausgerechnet auf Belladonna fällt, passiert das Unglaubliche: Belladonna wird kurzerhand zur nächsten Hexenkönigin gekrönt! Damit einher geht allerdings nicht nur die Krone, sondern auch der Verlobte der verstorbenen Königin – Blake, ein Dämon, der Belladonnas Selbstbeherrschung auf mehr als nur eine Weise herausfordert ...
Fantastische Wesen, gefährliche Pflanzen und prickelnde Momente: Teresa Sporrers neuester Roman lässt die Herzen aller Fantasy-Liebesgeschichten-Fans höher schlagen!
Das sagt SPIEGEL-Bestsellerautorin Stella Tack über das Romantasy-Hilight:
»Teresa Sporrer hat mit der Geschichte rund um die Hexe Belladonna und den Dämon Blake eine richtige Wundertüte erschaffen. Mein Geheimtipp für alle, die Fantasy lieben.«
//»Queen of the Wicked – Die giftige Königin« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//
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Das Buch
Belladonna ist eine Gifthexe, und sie macht ihrem Namen alle Ehre, denn ein Kuss allein kann tödlich enden. Kein Wunder also, dass sie ihre Zeit lieber mit ihren Schützlingen, den giftigsten aller Giftpflanzen, in den Gärten unterhalb des Schlosses der Hexenkönigin verbringt. Doch als diese unerwartet einem Giftanschlag zum Opfer und der Verdacht ausgerechnet auf Belladonna fällt, passiert das Unglaubliche: Belladonna wird kurzerhand zur nächsten Hexenkönigin gekrönt! Damit einher geht allerdings nicht nur die Krone, sondern auch der Verlobte der verstorbenen Königin – Blake, ein Dämon, der Belladonnas Selbstbeherrschung auf mehr als nur eine Weise herausfordert ...
Die Autorin
© privat
Teresa Sporrer hegte schon ihr ganzes Leben lang eine große Leidenschaft für Bücher: zunächst als Leserin, später auch als Bloggerin und mittlerweile ist sie selbst eine erfolgreiche Autorin. Ihre Reihe über verwegene Rockstars spielte sich in die Herzen vieler Leser*innen. Neben witzig-romantischen Lovestorys schreibt sie außerdem Fantasy-Romane über Antihelden wie ruchlose Piraten oder giftige Hexen.
Teresa Sporrer auf Instagram: https://www.instagram.com/teresasporrer/
Der Verlag
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Viel Spaß beim Lesen!
Teresa Sporrer
Queen of the WickedDie giftige Königin
Achtung!
Bei dem Großteil der erwähnten Pflanzen handelt es sich um hochgiftige Gewächse! Vom Verzehr wird dringend abgeraten!
Dieses Buch ist eine Geschichte getränkt in Gift. Durch die Kapitel begleiten uns pflanzliche Gifte und Gifte, die Körper und Seele angreifen können. Eine Inhaltswarnung über mögliche Gifte findest du auf der letzten Seite des Buches.
Für Nora.
Manchmal braucht man nur eine Person, die einem das Gefühl gibt, dass man dieses bestimmte Buch einfach schreiben muss.
Alle Ding’ sind Gift und nichts ohn’ Gift – allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.
Paracelsus
Der dunkle Schatten glitt lautlos durch das Anwesen. Niemand der sonst so umsichtigen Bewohner oder einer der vielbeschäftigten Angestellten des Schlosses hatte ihr Eindringen bemerkt und auch ihr Gehen würde unbeachtet bleiben.
Niemand nahm sie wahr – bis auf ihn.
Seine dunklen Augen hefteten sich sofort auf ihre bekannte Gestalt, als sie völlig geistesabwesend auf ihrem Weg ins Freie die opulenten Gemächer des zukünftigen Prinzgemahls durchquerte.
Er sah sie immer – und wie jedes Mal, wenn sich ihre Wege kreuzten, begann er sich mit ihr zu unterhalten, obwohl er genau wusste, dass er keine Antwort von dem unerwünschten Gast zu erwarten hatte. »Meine Liebste, willst du mich nicht ordentlich begrüßen? Wie lange bleibt mein Flehen nach Aufmerksamkeit unerhört?«
Sie hielt sofort inne und drehte ihr gesichtsloses Antlitz zu ihm.
Er hob grüßend eine Hand. »Ach weh, du bist immer so still«, sagte er. Leise lachte er über einen Witz, den sie nicht verstand. »Wie sollen wir uns da endlich besser kennenlernen?«
Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob sich die Kreatur in Form eines jungen Mannes von seiner Chaiselongue. In der linken Hand hielt er ein altes Grimoire in altgriechischer Schrift. Nicht dass er Altgriechisch lesen konnte, aber es gab nur noch drei Exemplare von diesem Werk, und da konnte er aufgrund seiner Habgier nicht anders. Im Buch wurden Wege beschrieben, Dämonen zu töten – entweder das oder es handelte sich um ein schlecht gezeichnetes Kamasutra. Das Buch war wahrscheinlich wirklich von einem Teufel verfasst worden, wenn er richtig deutete von der Todsünde der Lust höchstpersönlich, das legitimierte jedoch nicht, dass er Tausende von Pfund für Asmodäus‘ perverse Kritzeleien ausgegeben hatte.
Die Gestalt wollte weitergehen, als er sich ihr penetranter weise in den Weg stellte.
»Meine Schönheit, nicht so schnell«, schnurrte der Mann mit einem zufriedenen Grinsen. »Du wirkst heute irgendwie anders. So ungeduldig und ruhelos. Ist etwas passiert? Kann ich dir helfen?«
Schweigen.
Dann riss er die Augen vor Unglauben weit auf. »Ist ... ist es endlich vorbei?«
Die Gestalt nickte ihm zu. Sie trat aus dem Licht der Glaslampen und verschmolz völlig mit den anderen Schatten.
Es war so, als wäre sie nie hier gewesen. Womöglich würde er sie nie wiedersehen, nun da sie im Schloss alles erledigt hatte.
Für einen kurzen Moment durchzuckte ein seltsamer Schmerz sein totes Herz. Es fühlte sich fast … ja, es fühlte sich fast wie ein Verlust an, aber davon durfte er sich jetzt nicht ablenken lassen. Ihm blieben vielleicht nur Minuten, bis eine der Hexen des königlichen Covens bemerkte, dass etwas faul war. Wenn er sich nicht beeilte, dann wären all der Schmerz und die Erniedrigungen, die er für sie in Kauf genommen hatte, sinnlos.
Der junge Mann seufzte – ein Hauch von Angespanntheit klang in seiner Stimme nach. »Eigentlich wollte ich mich nach dem harten Arbeitstag entspannen, aber was soll’s. Hier ist sowieso gleich die sprichwörtliche Hölle los.«
Die wortwörtliche Hölle wäre ihm einen Tick lieber gewesen.
Er legte das Buch mit den hässlichen Holzschnitten auf seinen Tisch und marschierte durch eine mit Blattgold und Edelsteinen verzierte Tür direkt ins Schlafzimmer der Königin. Der Raum war riesig. Es gab Wohnungen in London, welche beachtlich kleiner waren als das Schlafgemach der Regentin. Der Boden bestand aus feinstem Marmor und die burgunderroten Teppiche waren allesamt handgewebt. An den Wänden hingen teure Gemälde und filigrane Glaslampen.
Das Gemach wirkte auf den ersten Blick altertümlich, einzig der riesige Flachbildfernseher und der moderne Computer zerstörten das Bild einer Filmkulisse aus dem vergangenen Jahrhundert.
Der Mann näherte sich behutsam dem gigantischen Himmelbett, das in seiner miserablen Existenz sicher schon mehr Orgien als ein römisches Bordell erlebt hatte, und …
Ein kalter Schauer kam so plötzlich über ihn, dass er überrascht von dieser Regung aufkeuchte. Er war auf den schauerlichen Anblick vorbereitet gewesen, und doch erschrak er, als er den leblosen Frauenkörper am Boden erblickte. Hexenkönigin Sibylle lag tot auf einem Teppich. Die Glieder völlig verdreht, ihre Augen waren weit aufgerissen und der Mund zu einem letzten stillen Schrei verzogen.
Er zuckte zusammen, als ein dumpfes Geräusch in seiner Nähe ertönte. Verdammt! Er war so fixiert auf die Leiche gewesen, dass er alles um sich herum vergessen hatte.
Seine menschlichen Finger wurden dürr, knochig und spitz, und er wäre um ein Haar nach hinten gesprungen, um dem Angreifer die Kehle herauszureißen, hätte er in diesem Moment nicht erkannt, dass eine Eule immer und immer wieder mit dem Kopf gegen das Fenster flog. Ein letztes Mal knallte das Tier mit dem Schädel mit voller Wucht gegen das Glas. Der Aufprall zerschmetterte ihr das Genick. Sofort stieg ihm der vertraute Geruch des Todes in die Nase. Er war hungrig – wie immer.
Es war also wahr, was man sich unter den Dämonen erzählte: Wenn eine Hexe starb, nahm sie ihr Hexentier mit in den Tod.
Er beugte sich zur Leiche hinab und streckte die Finger nahezu gierig nach der Hexe aus. Sibylles hellbraune Haut war zwar noch warm, aber es war zu spät: Ihre Seele war längst entwichen.
Sein anfänglicher Schock verflog schnell. Er empfand nicht viel für die Frau, die ihr Leben so gewaltsam in diesem Raum ausgehaucht hatte. Nein. In den letzten Monaten hatte sich seine Gleichgültigkeit regelrecht in Hass verwandelt. Die Jahrzehnte der Regentschaft hatten Sibylle wahnsinnig werden lassen, auch wenn man äußerlich kaum etwas davon bemerkte. Sie war selbst im Tode eine unglaublich attraktive Frau, die in ihren späten Zwanzigern in der Unsterblichkeit der Hexen erstarrt war.
Sie war wunderschön und mächtig gewesen – und was am gefährlichsten war: Sie hatte es gewusst. Sie hatte in ihrer Herrschaft viel Gutes getan, aber auch ein paar unverzeihliche grausame Dinge. Vor Jahren bereits hatte sie jeglichen Bezug zur Realität verloren. In ihrem Größenwahn hatte sie ihren frühzeitigen Tod regelrecht provoziert.
Er fand es nur schade, dass er sich ihre Seele am Ende nicht einverleiben konnte. Nicht, um seinen ewigwährenden Hunger zu stillen. Nein, hier ging es lediglich um Vergeltung und Rache, was mindestens genauso süß war wie eine frische Seele.
Der Mann drehte seinen Kopf zu einem Schrank, der mit seinen hellen Elfenbeinverzierungen eigentlich in ein Museum gehörte. Königin Sibylle hatte mehr Gifte in ihrem Schrank stehen als so mancher Alkoholflaschen. Es war genug Gift, um mehr als die Hälfte der menschlichen Bevölkerung Londons zu töten. Manche Tinkturen waren derart giftig, dass sie selbst Unsterblichen ernsthaft schaden konnten – ja, vielleicht war eins dieser dunkelbraunen Fläschchen tatsächlich in der Lage, der Ewigkeit einen Strich durch die Rechnung zu machen. Der junge Mann platzierte ein halb leeres Glas neben der Leiche der Hexenkönigin, nachdem er ihre kalten Lippen mit Gift benetzt hatte. In ihrem Körper befand sich ebenfalls noch reichlich davon, das hatte er vorgestern geschmeckt.
»So.«
Damit hatte auch er seinen Teil der Abmachung erfüllt. Er kehrte der Leiche den Rücken.
Mit jedem Schritt spürte er die Veränderung, die der plötzliche Tod der Königin auslöste. Die Magie wurde unruhig. Wütend. Hungrig. Die magische Kraft verlangte nach einer neuen Hexenkönigin. Wie gut, dass ihre Nachfolgerin bloß einen Katzensprung entfernt war.
Wäre er am Leben gewesen, dann hätte sein Herz aufgeregt Blut durch seine Venen gepumpt.
Er stieß die Flügeltür zum Versammlungssaal auf. Der Geruch von Salbei löste leichte Übelkeit in seinem Magen aus, aber das ließ er sich nicht anmerken.
»Guten Abend, meine Damen«, begrüßte er die Hexen. Die vier Anwesenden betrachteten ihn angewidert. Der weiße Wolf einer Hexe knurrte ihn an, während ein schwarzer Rabe unheilvoll krächzte. »Ist heute nicht eine wundervolle Nacht? Eine Nacht, die in die Geschichte eingehen wird.«
Die Luft wurde schwerer. Er wusste, dass es von der Magie – oder Magick – kam, mit denen die Hexen gesegnet worden waren. Die vier richteten ihre Kräfte drohend gegen ihn, aber seine Magie hielt mit Leichtigkeit dagegen. In der letzten Woche hatte er ein Dutzend Herzen verspeist, ein Dutzend Seelen gesammelt.
»Was willst du hier, dreckiger Dämon?«, zischte ihm eine Hexe mit leuchtend rotem Haar entgegen. »Hier haben allein Hexen des Rates Zutritt!«
»Spiel dich hier nicht so auf, bloß weil du der Verlobte der Königin bist, Höllenbrut«, mischte sich eine andere Hexe mit glutroten Augen ein. Der weiße Wolf an ihrer Seite bleckte die spitzen Zähne. »Wenn Königin Sibylle hier auftaucht, wird sie dich ohnehin rausschmeißen.«
»Wird sie nicht.« Der junge Dämon grinste die Hexen provozierend an. »Ich wollte euch lediglich eins wissen lassen: Die Königin ist tot.«
Im Spätsommer war der Poison Garden immer völlig ausgebucht, eine Touristenführung jagte die nächste. Meistens hatte ich nicht einmal Zeit für ein Tässchen Tee oder den Salat, den ich mir jeden Abend für die halbstündige Mittagspause zubereitete, obwohl ich genau wusste, dass ich durcharbeiten musste. Wenn ich nicht gerade eine Führung abhielt, war ich damit beschäftigt, die Souvenirs aufzustocken oder eine hochgiftige Pflanze zurechtzustutzen, bevor es zu einer Toxikonose kam.
Während ich zum fünften Mal an diesem Tag eine kleine Gruppe von Menschen durch einen mit Giftefeu überwucherten Eisentunnel führte, merkte ich, wie sich kleine Ranken gierig nach mir ausstreckten.
»Bald«, flüsterte ich so leise, dass die Menschen es nicht mitbekamen. »Ich habe noch keinen Feierabend.«
Schmollend drehte sich die Schlingpflanze zu einer Spirale zusammen.
Als ich aus dem Tunnel trat, huschte mein Blick zwischen den anderen Pflanzen in der Anlage umher. Der ganze Gartenkomplex war ordentlich angelegt worden, wenn etwas am falschen Platz wucherte, bemerkte mein geschultes Auge es sofort. Aus der Ferne drang das stetige Plätschern der Springbrunnen an mein Ohr. Etwas fernab hörte ich die Kröten quaken, die kurz vor dem Winterschlaf standen. Ich malmte beunruhigt mit dem Unterkiefer. Es sah aus und klang wie immer, dennoch …
Seit Tagen hing etwas in der Luft, was den zahlreichen Pflanzen im Garten nicht zu bekommen schien. Sie waren unersättlich und ich befürchtete jeden Tag das Schlimmste: dass Menschen Schaden nahmen. Dass Menschen starben.
Aber nicht nur die Pflanzen spürten diese ungewöhnliche Veränderung … diese Störung in der Ordnung unserer Göttin. Seit Tagen war mein Schlaf rastlos und ich wachte am Morgen mit einer an den Gedärmen nagenden Übelkeit auf. So schlecht hatte ich mich seit meiner frühen Jugendzeit nicht mehr gefühlt, als mein Körper sich verändert hatte. Hatte ich zu viel Gift zu mir genommen – oder gar zu wenig? Ich grinste. Nein. Zu viel gab es für mich nicht.
Die Erde vibrierte sanft unter meinen Füßen. Ich spürte die Magick der Natur, die Kräfte unserer Göttin und die der Welt selbst. Tatsächlich schien es mir so, als wäre irgendetwas Unheilvolles im Anmarsch. Doch mir erschloss sich einfach nicht, was. War es ein Sturm? Ein Erdbeben? Oder eine Bedrohung, welche nichts mit dem wilden Wesen der Natur zu tun hatte?
Eine weitere Efeuranke klammerte sich beinahe flehend an die dunkle Spitze meines Kleides.
Es tat mir fast leid, die Pflanzen so aufgeregt zu erleben, trotzdem musste ich mit der Führung fortfahren. Vor mir hatten schon einige Menschen den Garten betreut, was bedeutete, dass ich am Ende doch leicht austauschbar war. Wenn ich Pech hatte, dann entzog man mir die Betreuung der Touristen und ich hatte noch weniger Kontakt mit Menschen.
Oder schlimmer: Ich könnte nach Italien in die Medici-Giftgärten versetzt werden. Das sonnige, warme Italien.
Ich erschauderte am ganzen Körper.
Sachte entzog ich der Pflanze den fragilen Stoff. Für das Kleid hatte ich Monate lang Trinkgeld zusammengespart und ich würde giftige Tränen weinen, wenn es einriss.
Dass ich stehen geblieben war, fiel natürlich auch den Besuchern des Gartens auf.
»Geht es Ihnen gut, junges Fräulein?«, fragte der ältere Herr, der mit seiner Frau extra aus Manchester angereist war. »Sie sind so furchtbar blass.«
Ein kleines Grinsen erschien auf meinen Lippen.
Ich fand es echt nett von ihm, dass er sich Sorgen machte. Auf meine Gruppe wirkte es wohl so, als wäre mir schwindelig geworden. Das war absolut nachvollziehbar, wenn man bedachte, dass meine Haut stets einen leicht ungesunden Grünstich aufwies und ich die dunklen Schatten unter meinen Augen nicht überschminken konnte. Als kleines Kind war ich mit wunderschönen goldenen Locken gesegnet gewesen, doch sie waren über die Jahre immer heller geworden. Nun strahlten sie durch die jahrelange Einnahme von Gift beinahe weiß und die dichten Locken hatten sich zu sanften Wellen ausgehangen. Vor einem Jahr hatte ich dann beschlossen, meine Haare auf Kinnlänge abzuschneiden. Es war schön, einmal nicht in Zweigen hängen zu bleiben und sich die halbe Kopfhaut aufzureißen.
Ich sah praktisch immer kränklich aus. Beinahe wie ein Geist, der Tag und Nacht durch den Garten wandelte. Vielleicht war ich das auch, kam mir ein trauriger Gedanke. Schließlich war ich an diesen Ort gebunden, denn so sehr ich meine Pflanzen auch liebte: Er blieb ein Gefängnis, welches ich niemals aus eigenem Interesse verlassen konnte. Wo sollte ich sonst hin?
»Eine Ranke hat sich an meinem Kleid verfangen«, entschuldigte ich mich lächelnd. Ein Lächeln, welches meine dunklen Augen nicht erreichte. »Die Pflanzen führen ein Eigenleben.«
Möglicherweise war das alles auch nur Einbildung, versuchte ich meine angespannten Nerven zu beruhigen. Mit Samhain näherte sich unabwendbar der Winter mit Kälte und Schnee, und es war wohl wenig überraschend, dass meine Pflanzen und ich die kalte Jahreszeit nicht mochten. Zwar behagten mir die langen sternenklaren Nächte sehr, dennoch hasste ich die Kälte und machte mir ständig Sorgen, dass einer meiner Schützlinge nicht überlebte. Wie ich konnten viele Pflanzen nahezu ewig leben – und wie ich konnten sie trotzdem sterben. Es reichte manchmal so etwas Einfaches wie ein zu kalter Winter, der ihnen jeglichen Lebensgeist raubte.
Ich schüttelte die Besorgnis ab und eilte zurück zu den Touristen. Bloß keine Schwäche zeigen, ermahnte ich mich selbst streng. Als sich auch der nette Herr zu uns gesellte, fuhr ich ehrlich lächelnd mit meinen Erklärungen fort:
»Bei der nächsten Pflanze handelt es sich um die Schwarze Tollkirsche, Atropa belladonna«, sagte ich mit lauter Stimme, damit auch die drei kichernden Teenager der Gruppe meinen Worten lauschten. Sie hatten für die Führung bezahlt, also würde ich ihnen die Informationen mit aller Macht in den Kopf hämmern. Giftpflanzen waren nämlich etwas Besonderes. Sie waren mein ein und alles, und ich wollte das Wissen mit so vielen Menschen wie möglich teilen. »Sie zählt zur Familie der Nachtschattengewächse.«
Wie so viele andere Pflanzen im Garten hatte man ein Eisengitter um sie herum errichtet, damit auch ja keiner auf die Idee kam, die Pflanze anzufassen. Es sah absolut grotesk aus, und ich hatte mich an den absurden Anblick auch erst gewöhnen müssen. Denn das Gitter hielt die Pflanzen keineswegs davon ab, zwischen den Stäben herauszuwuchern. Es sollte wohl einschüchternd und warnend wirken, aber bei mir erzeugte es lediglich eine unangenehm juckende Haut. So, als wäre ich die Pflanze …
Jedoch hatten die Gitter eine gewisse Daseinsberechtigung. Tatsächlich waren die drei häufigsten Sätze, die ich an die zahlreichen Besucher richtete:
»Nicht anfassen!«
»Nicht daran riechen!«
»Keine Selfies – die sehen dumm aus!«
Die Gitter um die Pflanzen und die schwarzen Schilder am Eingang mit dem Aufdruck „Diese Pflanzen können tödlich sein“ und dem schicken Totenschädel stellten für die Menschen kein Warnzeichen dar.
Manchmal fragte ich mich, ob die Besucher etwas anderes mitnahmen als die Warnungen, die ich ihnen im schlimmsten Fall zubrüllte. Dabei waren wir hier am wohl interessantesten Ort in ganz England! Die Gärten von Alnwick waren mehr als nur ein blumiger Touristenmagnet im Frühling und Sommer. Es gab für jeden Geschmack etwas: zum Beispiel die über dreihundert pink-rosaroten Kirschbäume, deren Blütezeit den Übergang zwischen Frühling und Sommer markierte. Wenn sie an Beltane in voller Pracht standen und meine Haare voller kleiner hellrosa Blütenblätter waren, dann breitete sich immer ein wohliges Gefühl in meinem Inneren aus, welches ich bis zum harten Winter in mir trug. Auch die wundervollen Rosengärten wollten erwähnt werden. Den ganzen Juni und Juli hindurch duftete die gesamte Gartenanlage schwer süßlich. Ich wollte nicht angeben, doch mein Rosentee und –salz – natürlich selbst gemacht – waren die begehrtesten Waren im Andenkenladen.
Und auch wenn der Alnwick Garden bei Weitem nicht der schönste aller Gärten war, die man auf Erden finden konnte, war er der außergewöhnlichste – und das lag vor allem am Poison Garden. An keinem anderen Ort der Welt hatte man eine solche Vielzahl von giftigen und absolut tödlichen Gewächsen zusammengetragen. Selbst die harmlosen Pflanzen lösten starke Übelkeit und Erbrechen aus, vielleicht auch eine leichte Verbrennung bei Hautkontakt. Die giftigsten von ihnen machten den Tod zur Höllenqual.
Und niemand kannte sie alle so gut wie ich.
Der Garten war das reinste Paradies. Deshalb vergaß ich manchmal auch meine eigenen unsichtbaren Gitterstäbe, welche mich an diesem unglaublichen Ort festhielten.
Ich gab meiner Gruppe ein paar Sekunden Zeit, um Fotos zu schießen, ehe ich mit meiner Erklärung fortfuhr: »Atropos ist eine griechische Schicksalsgöttin. Laut Mythologie ist sie jene mächtige Göttin, die die Schicksalsfäden der Menschen durchschneidet. Ich muss deshalb wohl nicht erwähnen, dass der Verzehr der schwarzen Beeren tödlich enden kann. Etwa zehn Beeren reichen aus, um das Leben eines erwachsenen Menschen zu beenden. Im Gegensatz zu den Blättern sind die Beeren relativ harmlos.«
Ich bekam richtig Lust auf einen Tee aus Belladonna-Blättern und dazu einen Muffin mit den Früchten der Pflanze. Allerdings war mein Feierabend noch lange nicht in Sicht.
»Es gibt eine Eselsbrücke, um sich die Symptome einer Belladonna-Vergiftung zu merken: trocken wie ein Knochen, blind wie eine Fledermaus, rot wie eine Rübe und verrückt wie ein Hutmacher. Zuerst tritt Mundtrockenheit auf«, erklärte ich und fühlte, wie mein eigener Rachen trocken wurde. Ziemlich alle Besucher des Poison Garden wollten sich gruseln. Sie wollten wissen, wie diese Gifte töteten und wie qualvoll der Todeskampf war. Es war faszinierend, dass Menschen so nach der dunklen Seite der Welt gierten und dann ihre Augen verschlossen, sobald sie mit der wahren Dunkelheit konfrontiert wurden.
»Man merkt vielleicht gar nicht einmal, dass die Schweißbildung weniger wird.« Mein Grinsen glich zunehmend dem einer schwärmenden Geliebten. »Wahrscheinlich, weil man denkt, dass man im Angesicht des Gifttodes schwitzen würde. Dem ist nicht so. Natürlich kann man je nach Höhe der Dosis auch in den eigenen Halluzinationen gefangen sein und gar nichts mehr mitbekommen. Aber ob dieser Tod angenehmer ist, wage ich zu bezweifeln.«
Fünf Augenpaare fixierten mich. Sie alle hielten gespannt den Atem an, während sie wissensdurstig an meinen Lippen klebten.
»Anfangs leidet man unter hohem Fieber, doch kurz darauf fällt man schon ins Koma. Der Tod tritt durch Atem- oder Herzstillstand ein. Es kann langsam oder schnell gehen. Bei Giften kommt es immer auf verschiedene Faktoren an: Dosis, Körpergewicht, Vorerkrankungen und so weiter.«
Es wunderte mich nicht im Geringsten, dass Menschen gerne Gifte für ihre Machtspielchen verwendeten. Man musste sich nicht selbst die Hände schmutzig machen, und wenn man jemanden, statt ihm zu schaden, töten wollte, musste man lediglich die Dosis erhöhen, bis man das gewünschte Ziel erreicht hatte. Ein wirklich ausgezeichnetes Mordwerkzeug – außer man verletzte mit Gift jemanden, den man eigentlich liebte …
»Warum heißt die Pflanze eigentlich Belladonna – also ›schöne Dame‹?«, fragte eines der Mädchen und riss mich aus trübseligen Gedanken an vergangene Liebschaften, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen waren.
Sie trug ihre blonden Haare offen und mit rosaroten Spitzen, aber am auffälligsten war ihr riesiges Handy mit noch größerer, alberner Plüschhülle. War das wieder im Trend?
Der Teenager war vielleicht siebzehn Jahre alt. So alt wie ich es war, als man mich hierhin versetzt hatte.
»Im achtzehnten Jahrhundert verwendete man die Tollkirsche in der Schönheitspflege«, antwortete ich. »Das Gift kann die Pupille erweitern. Viele italienische Damen haben sich also das Gift der Pflanze als Augentropfen verabreicht. Das sollte auf die Männer anziehend wirken.«
Die zwei Mädchen stupsten ihre Freundin mit dem Ellbogen an und kicherten einen Namen, woraufhin die Fragende rot im Gesicht wurde und wild auf ihr Plüschhandy eintippte.
Ich war nur vier Jahre älter, aber solche unbeschwerten Albernheiten mit meinen Schwestern schienen Jahrhunderte zurückzuliegen.
»Was macht das Gift über kurz oder lang mit den Augen?«, fragte mich der ältere Herr.
»Es ist wenig überraschend, dass dieses Gift blind machen kann. Schönheit hat nun mal ihren Preis.«
Die Mädels schüttelten sich.
»Wenn euch die Führung gefallen hat, dann empfehlt den Poison oder Alnwick Garden doch bitte Familie, Freunden und Bekannten weiter«, endete ich die gut eineinhalbstündige Führung durch mein Reich der Gifte. »Und vergesst niemals, was ich euch erzählt habe. Gifte können tödlich sein, in manchen Fällen allerdings auch heilend.«
Ich erspähte am Eingang bereits die nächste Gruppe, denen ich Fingerhut und Engelstrompete näherbringen durfte. Wieder keine Teepause und erst recht kein Salat. Mein Magen beschwerte sich lautstark mit einem Grummeln.
Die ältere Dame steckte mir beim Vorbeigehen fünf Pfund zu, die ich dankend annahm. Das Trinkgeld im Poison Garden war wirklich gut – wenn man bedachte, dass ich dafür bloß über Gifte schwärmen musste.
»Das war eine sehr interessante Führung«, sagte sie begeistert, bevor sich etwas Ekel in ihr Gesicht stahl. Ihr Mann stand daneben und nickte geistesabwesend. In Gedanken war er sicher bereits beim heutigen Fußballspiel. »Wenn auch etwas morbide. Wie Sie sich nur all die furchtbaren Geschichten merken können!«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich finde es spannend. Gifte sind ein Teil meines Lebens.«
»Wie war noch mal Ihr Name?«, fragte sie mich dann.
»Ich heiße Belladonna.«
»Wie die Pflanze?«
Ich nickte.
Ihr fehlten die Worte. »Oh … Das … Ich – Wie schön.«
Ich lächelte. »Finde ich auch.«
Der perfekte Name für eine weggesperrte Gifthexe wie mich.
Ich genoss den dunkelorangen Sonnenuntergang wie jeden Tag allein. Nein, das war eigentlich falsch. Menschen und andere Hexen hielt ich mir vom Leib, doch die Pflanzen waren ständig bei mir. Gerade spielte Okatavia mit meinen Haaren, während ich endlich die Zeit gefunden hatte, meinen Brennnesseltee zu schlürfen. Er war zwar nicht mehr warm, dafür schmeckte er sehr intensiv. Das Aroma war überwältigend und nistete sich regelrecht auf meiner Zunge ein. So trank ich meinen Tee am liebsten!
Ein zufriedenes Seufzen kam über meine vom Tee befeuchteten Lippen, als ich jeden einzelnen Sonnenstrahl dankbar aufsog. Ich hatte es mir oberhalb der künstlich angelegten Kaskaden mit einer Wolldecke gemütlich gemacht und blickte so direkt auf den Springbrunnen. Das stetige Plätschern des Wassers war beruhigend. In ein paar Tagen würde man das Wasser für die Winterpause abdrehen.
»Das wird ein milder Winter«, ließ ich Oktavia wissen. Als Echte Trauerweide war sie besonders frostempfindlich.
Obwohl ich nicht mit der vorausschauenden Kraft der Seherinnen gesegnet worden war, war ich perfekt darin, die Anzeichen in der Natur zu deuten. Heute war ein schöner Herbsttag, aber ansonsten hatte sich der September nicht von seiner besten Seite gezeigt. Es war fast immer regnerisch und kalt gewesen, einmal hatte es sogar für einen halben Tag geschneit. Das unstetige und kalte Wetter deutete auf einen Winter mit wenig Frost und mäßigem Schneefall hin. Keine Pflanze würde diesen Winter eingehen.
Was ihre Unruhe nur seltsamer erscheinen ließ …
Dies konnte bloß einen einzigen logischen Schluss zulassen: Ich hatte einfach zu viel gearbeitet.
Tatsächlich erinnerte ich mich nicht daran, wann ich das letzte Mal einen ganzen Tag für mich gehabt hatte. Das Buch auf meinem Nachttisch war mit Sicherheit schon von einer feinen Staubschicht bedeckt, und ich war mir ziemlich sicher, dass ich mir online ein Waffeleisen bestellt hatte. Hatte ich das überhaupt ausgepackt? Eigentlich wollte ich im Sommer Waffeln mit Vanilleeis und Engelstrompeten zubereiten. Ich mochte den giftig-süßen Geschmack der Blüten.
Falls der Garten wegen eines hohen Feiertages mal die Tore geschlossen hielt, dann kümmerte ich mich um die Website und Social-Media-Kanäle. Das bedeutete, dass ich mit einer viel zu alten Kamera bewaffnet durch den Garten zog und hoffte, dass sich die Gewächse für Fotos von ihrer besten Seite zeigten. Auch Pflanzen konnten störrisch sein und sich zieren. Wenn es mir schlecht ging, dann übertrug sich mein Gemütszustand auf sie. Das Gleiche galt natürlich bei Stress und innerer Unruhe.
In der späten Abendsonne und mit meinem selbst gebrauten Kräutertee fand ich schließlich das erste Mal seit Wochen etwas Erholung.
Die Natur hatte sich beruhigt. Einzig ein kleines Nachbeben war zu spüren.
Aber auch ohne die gestörte Natur war Oktavia neckisch. Ihre orange-braunen Blätter kitzelten mich im tiefen Rückenausschnitt meines Kleides.
»Haha! Lass das! Ha!« Ich krümmte mich vor Lachen. Dabei schwappte etwas Tee über meinen Thermobecher. »Ich bin doch so kitzelig!«
»Ah, Bella!«, rief eine vertraute tiefe Männerstimme hinter mir. »Wusst ich’s doch, dass ich jemanden gehört habe.«
Ich drehte mich um und beobachtete den dienstältesten Gärtner Michael in voller Arbeitsmontur hinter den riesigen Hecken hervortreten. Normalerweise musste man eine spezielle Arbeitskleidung im Umgang mit den hochgefährlichen Giftpflanzen tragen, aber ich fand sie schlicht und einfach zu hässlich. Ganz zu schweigen davon, dass mir Gift nichts anhaben konnte und die Schnitte und Schrammen im Nu verheilten. Ab und zu sprachen mich die anderen Angestellten darauf an, woraufhin ein wissendes Lächeln meinerseits Antwort genug war. Solche Kleinigkeiten vergaßen die Menschen schnell, wenn sie es mit magischen Wesen zu tun hatten. Umsonst lebten wir nicht seit Anbeginn der Zeit nahezu unbemerkt unter ihnen.
»Hast du gerade mit jemandem geredet?«, wollte er von mir wissen. Er sah sich suchend um. Der Garten hatte seit einer Stunde geschlossen und ich als Chefgärtnerin war dafür verantwortlich, dass sich kein Unbefugter auf dem Grundstück aufhielt. Schließlich bestand Lebensgefahr.
»Nur mit mir selbst«, log ich. »Hier ist ja außer mir keiner.«
Der Wind wehte und das Rascheln von Oktavias Blättern klang fast wie ein kindliches Lachen.
Michaels Blick fiel auf meine schwarze Picknickdecke und dann auf mein schönes Kleid. »Willst du nicht mal nach Hause gehen, bevor es zu kalt wird? Du bist so luftig angezogen.«
Der Garten war doch mein Zuhause.
Ich antwortete nichts, sondern stellte ihm eine Gegenfrage: »Warum bist du denn noch da?«
»Es gibt ein paar Probleme bei den Weinrauten.«
»Oh. Wuchert das Unkraut wieder?«
Michael nickte grimmig. »Ich erledige das noch schnell.« Er hob die Hände, welche in dicken Handschuhen steckten. Sie waren dreckig und an mehreren Stellen eingerissen. Das rief mir erneut ins Gedächtnis, wie zerbrechlich Menschen doch waren. »Danach mache ich Feierabend. Ich kann die Tore heute für dich abschließen, damit du nicht auf mich warten musst.«
Nun, da hatte ich wohl zu früh über meine wohlverdiente Ruhepause gesprochen.
Ich stürzte den Rest des Tees hinunter – inklusive der Sudablagerung. Brrr, das war dann doch ziemlich bitter. Als ich vom Rasen aufstand, bemerkte ich wieder einmal den Größenunterschied zwischen uns. Michael überragte mich beinahe um zwei Köpfe. Er war ein Hüne, und kaum jemand kam auf die Idee, dass jemand mit seiner Muskelmasse als Beruf Gärtner gewählt hatte. Ich war froh über seine Anwesenheit im Garten, weil er die Dinge schleppen konnte, für die ich sonst Magick bräuchte.
Obendrein war er mir nicht unsympathisch. Ich mochte alle Gärtner und Gärtnerinnen des Alnwick Garden, weil wir die Liebe zur Natur und den Pflanzen teilten. Trotzdem kamen mir die Beziehungen unter den Menschen enger vor, so als würde ein uralter Instinkt sie vor meiner gefährlichen Magie warnen.
»Kocht dein Mann heute wieder Lasagne?«, fragte ich den riesigen Gärtner.
Ich hielt mich zwar von den Menschen fern, dennoch wollte ich nicht als unhöflich gelten, wenn man mich schon als seltsam abstempelte. Darum unterhielt ich mich jeden Tag mit den Angestellten und lächelte so, als wäre ich ein Mensch wie jeder andere. Es war interessant und lehrreich, welche Sorgen und Ängste Wesen ohne magische Kräfte hatten, welche Rituale sie pflegten und wie sie Beziehungen führten. Ihr Verhalten war dem unseren so ähnlich und doch anders. Trotzdem war es sehr einfach für uns Hexen, uns unter die Menschen zu mischen – wir waren definitiv besser integriert als die Fae oder Dämonen.
Und solange ich mich nicht wieder Hals über Kopf in einen Menschen verliebte, war alles in Ordnung.
Michael schien von dem Themenwechsel überrascht zu sein. »Ja. Denke schon. Warum fragst du?«
»Ich kümmere mich drum.«
»Um die Lasagne?«
»Äh, um die Weinraute. Ich koche nicht besonders gut.«
Ich legte mir die Decke wie ein Tuch über meine unbedeckten Schultern. Lediglich als modische Ergänzung, da mir nur selten kalt wurde.
»Du hast die letzten Tage so viel gearbeitet«, wandte Michael sofort ein. »Du hast bereits für Halloween geschmückt und deine selbst gemachten Sachen im Shop aufgefüllt. Die weißen Kerzen mit den Blütenblättern sind übrigens schon wieder ausverkauft.«
»Aber ich kann auch am besten mit der Weinraute umgehen.«
Ich war die jüngste Chefgärtnerin, die der Garten in seiner über zweihundertfünfzigjährigen Historie jemals gesehen hatte. Natürlich hatte ich keine klassische Lehre wie die anderen Gärtner genossen – so etwas brauchte ich auch nicht. Denn, obwohl ich jung war, ließen sich meine Fähigkeiten nicht leugnen. Kein Mensch hinterfragte meine Qualifikation lange, sobald er registrierte, wie der Garten dank meiner Arbeit erblühte.
In der Miene meines Gegenübers erkannte ich eindeutig, dass er erleichtert war, trotzdem ungern seine Aufgabe an mich abtrat. »Das geht so nicht …«
Eine erfahrene Gärtnerin hatte einmal ein einziges wild wachsendes Grasbüschel bei den Weinrauten ohne ihre Schutzhandschuhe ausgerissen. Dabei hatte ihre Haut etwas Saft der Giftpflanze abbekommen. Wenig später hatte diese im Sonnenlicht Blasen geworfen und die Frau wurde mit Verbrennungen dritten Grades in das nächste Krankenhaus eingeliefert. Ein paar Tage später kündigte sie ihren Job im Garten und kehrte nicht einmal für einen Besuch zurück.
Seitdem verrichteten die meisten Gärtner bloß noch die nötigsten Aufgaben für diese Pflanze.
Auf meiner Haut löste das Gift lediglich ein warmes Prickeln aus – wie der leidenschaftliche Kuss einer Geliebten.
Die arme Weinraute tat mir jedoch am meisten leid. Sie wollte doch niemandem wehtun! Rosen konnten doch auch nichts für ihre Dornen …
Spreche ich für die Pflanze – oder für mich?
»Wenn du dich dafür bedanken willst …«, ein großes Lächeln schlich sich in mein Gesicht, »ein kleiner Hinweis: Nusskuchen mit Schokoglasur entschädigt für alles.«
Als ich von meiner Arbeit aufblickte, hatte der Himmel bereits eine schmutzig dunkelblaue Farbe angenommen und war mit grau-orangen Wolken verhangen. Es musste bereits nach acht Uhr abends sein.
Ich seufzte, von mir selbst enttäuscht, auf.
Mehr als mein Abendessen und ein warmes Schaumbad waren für mich heute wohl nicht mehr drin. Dabei würde es mich keinesfalls überraschen, sollte ich in der Badewanne einschlafen – oder mit dem Gesicht nach unten auf meinem Salat.
»Gut, das waren dann alle«, ließ ich die Weinraute, welche ich Gertrud getauft hatte, wissen. Die letzte Wurzel der Gemeinen Quecke, die, wie der Name vermuten ließ, ein wirklich fieses Miststück von Unkraut war, wanderte in meinen verbeulten Eiseneimer. Sobald die Überreste getrocknet waren, würde ich sie als Brennmaterial für den Holzofen benutzen.
Ich wischte mir mit der Rückseite meines Armes den Schweiß von der Stirn. Meine Finger waren dreckverschmiert vom stundenlangen Herumwühlen in der Erde, aber meine Mühen machten sich bereits bezahlt. Gertrud freute sich darüber, dass ihr das Unkraut keine Nährstoffe mehr klaute, und dafür erlaubte sie mir, einige ihrer Laubblätter zu ernten. Ich wollte bereits seit Monaten selbst gemachte ätherische Öle im Shop verkaufen, und dank Gertruds Blättern würde ich den ersten Versuch starten. Mal sehen, ob ich sie nach meinem Wunsch hinbekam oder die Idee mit einem verzweifelten Aufschrei wieder verwarf. Die Weinraute an sich war nämlich gar nicht giftig und somit für die Herstellung geeignet, bloß der reine Saft in Verbindung mit Sonnenlicht konnte schlimme Verbrennungen hervorrufen. Früher hatte man sie sogar als Heilpflanze gegen allerlei Beschwerden angewendet, doch nun verschwand sie zusehends mehr aus den Medizinbüchern und damit aus den Köpfen der Menschen. Die wenigsten beschäftigten sich noch mit der altertümlich anmutenden Pflanzenkunde.
Aus diesem Grund freute ich mich über jeden einzelnen Besucher, der sich – ob ehrliches Interesse oder nicht – in den Poison Garden verirrte.
Wenn wir schon dabei waren: Morgen früh standen wieder einige Führungen an. Doch nun war es an der Zeit, die Tore für den heutigen Tag zu schließen und mich um meine Bedürfnisse zu kümmern.
»Gute Nacht, Gertrud. Gute Nacht, euch allen.«
Gemächlich schritt ich durch den menschenleeren Garten. Wenn alles so still und ich frei von Sorgen und Ängsten war, dann konnte ich jedes einzelne Grasbüschel in meiner Seele verwurzelt spüren. Und wenn ich die Augen aufmachte und sah, wie alles in voller Blüte stand – natürlich außerhalb der Herbst- und Wintermonate –, überkam mich ein überwältigendes Gefühl: Ich hatte das alles hier erschaffen. Ich. Ganz allein.
Ich konnte nicht in Worte fassen, wie stolz und glücklich mich dieser Garten machte – nicht nur der Poison Garden, sondern die Gesamtheit des Alnwick Garden.
Früher hatte ich eine sehr schwache Giftausprägung besessen. Während meine Schwestern in der Lage waren, Kerzen zu entzünden oder Wasserbälle mit ihrem eigenen Willen zu formen, konnte ich absolut gar nichts vorbringen, als man unsere Affinität mit fünf Jahren zum ersten Mal testete. Kein Grashalm regte sich auf meinen Wunsch, und nachdem ich das erste Mal Gift getrunken hatte, hätte es mich trotz Unsterblichkeit und Affinität beinahe umgebracht. Ich verlor eine Woche Lebenszeit, als ich unter schlimmen Krämpfen halluzinierte.
Es war über fünfzehn Jahre her, doch der Fiebertraum fühlte sich selbst heute noch real an: Unsichtbare Schlangenleiber hatten mich gewaltsam auf den Boden gedrückt, während Schattenschlieren in meinen Mund gekrochen waren und mir jegliche Kraft zum Atmen raubten. Ständig hatte ich das Surren von Schmetterlingsflügeln in meinen Ohren gehört. Am schlimmsten waren allerdings die Stunden gewesen, in denen es mir erschien, als würden Skelettgebeine mich mit aller Macht geradewegs in die Hölle ziehen.
Es hatte den Anschein gehabt, dass dieses Gift mich zerreißen wollte: in eine Belladonna, die sich mit Schweiß und Tränen am Leben hielt, und eine junge Hexe, die am liebsten mit den Schatten in die Unterwelt geglitten wäre.
Aber kein Schmerz war so schrecklich gewesen wie die harschen, jedoch ehrlichen Worten, die die Erzieherinnen untereinander ausgetauscht hatten, als ich mich in meinem Bett vom Gift erholte:
»Die Seherin hat ihr den Namen Belladonna verliehen und trotzdem ist sie nicht mal imstande, einen Halm wachsen zu lassen oder ein Stück Fliegenpilz zu essen«, hallte die Stimme von Schwester Pyra bis heute in meinem Kopf wider, sobald Zweifel an mir nagten. »Von Generation zu Generation werden wir Hexen schwächer und die Dämonen mächtiger. Wie lange kann unsere Gemeinschaft noch bestehen? Vielleicht ist sie eine der letzten Hexen.«
Es war deshalb so niederschmetternd, weil mich Pyra wirklich mochte. Sie wärmte jeden Tag mein Bett mit ihrer Feueraffinität, damit ich das Gift einfacher aus meinem Körper herausschwitzen konnte. Aus ihr sprach kein Hass, sondern ehrliches Bedauern über meine armseligen Fähigkeiten.
Die Erzieherinnen hätten mir mein Versagen nie vorgehalten. Jedes Hexenkind war wertvoll und man behandelte uns heranwachsende Hexen wirklich gut. Mir hatte es nie an irgendetwas gefehlt – außer an ehrlicher Kritik.
Im zarten Alter von fünf Jahren und im Krankenbett, welches beinahe zu meinem Sterbebett geworden wäre, schwor ich, jede freie Minute meiner schwächlichen Gabe zu widmen.
Ich musste stärker werden – für die Gemeinschaft der Hexen. Hier ging es nicht nur um mich, sondern auch um meine Schwestern, die, die es vor mir gab, und die, die nach mir kommen würden.
Obwohl mit fünf Jahren kein Keimling auf meine Wünsche reagiert hatte, konnte ich bereits im Alter von sieben Jahren Pflanzen, die dem Tode nahe waren, mit Anstrengung durch ein Blutritual zurückbringen. Mit elf mischte ich Gifte, die Menschen in ein wochenlanges Koma befördern konnten. Als Dreizehnjährige war ich immun gegen jegliches pflanzliche Gift, während mein Körper anfing, selbst welches zu produzieren. Mit siebzehn verließ ich die Hexenschule, in der ich aufgewachsen war, mit bittersüßen Erinnerungen und einem gebrochenen Herzen – allerdings mit einer völlig ausgereiften Giftaffinität.
Und mit einundzwanzig …
Mit einundzwanzig fristete ich den Rest meines Daseins in einem Garten auf dem englischen Land.
In meinem bisherigen Leben hatte ich mir alles erkämpfen müssen. Dies war vielleicht der Grund, warum es mir so schwerfiel, mich einfach zu entspannen und anderen meine Arbeit aufzuerlegen. Es war dämlich, aber ich hatte Angst, dass ich all meine Fähigkeiten dann wieder verlor. Ich hatte Angst, dass ich erneut todkrank im Bett liegen würde und lediglich eine Bürde für andere wäre.
Ich schüttelte den Kopf, um diese fürchterlichen Gedanken zu verdrängen. Niemals würde mir so etwas erneut passieren. Es gab Leute, die Vertrauen in meine Affinität setzten.
Verstohlen warf ich einen Blick zum Schloss hinauf. In nicht allzu weiter Entfernung thronte Alnwick Castle. Ein weltweit berühmtes Schloss, ohne welches es den Garten wohl gar nicht geben würde. Die menschliche Bevölkerung dachte, dass dort die Herzogin von Northumberland mit ihrer Familie residierte, aber tatsächlich hatten sich vor Jahrzehnten die amtierende Hexenkönigin Sibylle und ihr königlicher Zirkel darin eingenistet.
So lebten wir Hexen: für die Menschen nahezu unsichtbar, doch alles, was wir taten, hinterließ umso deutlichere Spuren auf Erden.
Mir selbst blieb der Zutritt zum Schloss verwehrt. Eine niedere Gifthexe wie ich es war, hatte nichts mit der ehrwürdigen Königin zu bereden – einzig Walpurga, eine Hexe aus dem königlichen Zirkel, kam mich einmal im Monat besuchen und kaufte mir mit großzügigem Trinkgeld Gifte ab. Sie sagte mir, dass die Königin begeistert von der Qualität sei, auch wenn es sich mir nicht erschloss, warum sie sie überhaupt benötigte. Es war ja nicht so, als müsste die Königin jemanden damit vergiften …
Völlig überraschend überkam mich ein kalter Schauer und innerhalb eines Wimpernschlags war mein ganzer Körper mit einer hartnäckigen Gänsehaut bedeckt. Ich schaute über meine Schulter zurück, meine Sinne sofort geschärft, als eine leise Unruhe die Pflanzen durchlief. Besorgnis machte sich unter ihnen breit. Ein plötzliches Rascheln in meiner Nähe ließ mich erneut aufhorchen. Mein Herz klopfte schwer wie nach zu viel Gift. Viel zu schnell. Das Geräusch stammte weder vom Wind noch von einem wilden Tier. Es kam von etwas Größerem. Etwas Bedrohlichem.
Die Efeuranken zu meiner Linken zitterten aufgeregt und ich runzelte die Stirn. Dann wurden die Pflanzen mit einem Mal still. Die Laterne, die den Weg vor mir erleuchtete, flackerte auf, und in meinen Augenwinkeln sah ich Schatten nach mir greifen. Wieder ein Rascheln und wieder antworteten die Pflanzen in meiner Nähe mit heftig werdender Erregung.
Als mich Walpurga vorletzten Monat besucht hatte, hatte sie aus Versehen im Gespräch fallen gelassen, dass sich die Königin mit einem Dämon verlobt hatte. Ausgerechnet mit einem Dämon! Natürlich war es bloß eine Frage der Zeit gewesen, bis sich eine dieser Kreaturen meinem Garten nähern würde. Meine Schutzrunen konnten einfache Dämonen zwar für eine Zeit lang abwehren, wenn es jedoch ein vollblütiger Adeliger war …
»Zeig dich oder du wirst es bereuen!«, drohte ich der unbekannten Gestalt. Ich stellte den Eimer vor mir ab, bereit, mein Leben mit aller Kraft zu verteidigen. Innerlich schimpfte ich über mich selbst, weil ich zu faul gewesen war, die Schutzrunen wie üblich alle vier Monate zu reinigen. Nur weil bis zum heutigen Tag kein Dämon aufgetaucht war, hatte ich mich in falscher Sicherheit gewogen. »Der Poison Garden ist mein Gebiet. Niemand wird es mir streitig machen.«
Als es in meinem Rücken erneut raschelte, dachte ich schon, dass es das mit meiner Existenz war, aber als ich mich umdrehte, erkannte ich nur eines der drei Mädchen meiner nachmittäglichen Führungen. Sie war eindeutig kein Dämon, auch keine Fae oder Hexe. Bloß ein normaler Teenager.
»Was machst du hier?«
»I-Ich habe mein Handy liegen l-lassen und bin noch mal in den Garten«, stammelte das Mädchen und hielt das Smartphone mit der rosaroten flauschigen Handhülle hoch. »Ich kann doch nicht ohne mein Handy nach Hause fahren. Ich würde sterben!«
Ich nahm an, dass sie nicht erwartet hatte, um diese Zeit noch jemanden im Garten anzutreffen. Besonders nicht eine irre Gärtnerin, die lautstark herumbrüllte, dass der Poison Garden praktisch ihr gehörte.
»Ich muss dich nun bitten, den Garten schleunigst zu verlassen, sonst bleibt mir nichts anderes übrig, als das zu melden«, sagte ich vielleicht eine Spur zu ruppig. In meinen Gliedern saß nach wie vor die Angst, dass mich ein Dämon unvorbereitet angreifen würde. »Sind deine Freundinnen auch noch irgendwo? Lüg mich ja nicht an.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Die suchen bei den komisch geformten Hecken … glaube ich. Ich hatte ja kein Handy.«
Die anderen befanden sich wohl im größten Teil des Gartens, im Ornamental Garden. Wenn ich Pech hatte, musste ich also ihre Freundinnen auch noch hinter den ganzen Büschen suchen. Es blieben nur noch wenige Minuten, bis die Nacht vollkommen über uns hereinbrach, und ich war mir sicher, dass der letzte Bus für diesen Tag jederzeit vor den Gartentoren abfuhr. Ich hatte wirklich keine Lust darauf, Babysitterin zu spielen, bis die drei von ihren Eltern abgeholt wurden.
»Kannst du sie dann bitte anrufen?«
Die Ungeduld in meiner Stimme war unüberhörbar.
Das Mädchen nickte, doch dann wurde sie plötzlich von einer unsichtbaren Macht zur Seite geschleudert. Ihr Schrei ließ das Blut in meinen Adern zu Eis gefrieren.
Die Erde bebte unter meinen Füßen. Mir blieb keine Zeit, angemessen auf die nahende Bedrohung zu reagieren, da brach bereits der Boden auf.
Nein. Nein. Nein.
Das war doch völlig unmöglich!
Ich hatte törichterweise angenommen, dass sich alle Pflanzen in den letzten Stunden wieder beruhigt hatten. Dabei hatte ich die vielen Bäume außerhalb des Gartens völlig vergessen. Ich verließ mein Herrschaftsgebiet äußerst selten und meine Macht über diese Gewächse war dementsprechend gering. Ich hatte ihnen lediglich Namen gegeben, und wenn mir danach war, plauderte ich ein oder zwei Sätze mit ihnen im Vorbeigehen. Ich spürte sie nicht so wie meine Giftpflanzen oder den Großteil des Alnwick Garden.
Der Anblick der tobenden Bäume erschütterte mich trotz des geringen Kontaktes so sehr, dass ich mich im ersten Moment nicht rühren konnte. Ich stand hilflos daneben, als die Wurzeln zweier Eiben aus der Erde schossen und den unschuldigen Teenager angriffen. Sie packten das Mädchen am Bein und zogen sie mehrere Meter über den Boden, während sich ihre Finger in die Erde krallten und versuchten, gegen die Kraft der Natur anzukämpfen. Als wäre sie nichts anderes als eine Stoffpuppe, hoben die Astranken sie in die Luft und schleuderten sie wild hin und her. Sie begruben immer mehr von ihrem Körper in ihrem wuchernden Astwerk, bis sie auch ihre spitzen panischen Schreie erstickten.
Die Pflanzen hatten sich noch nie so aggressiv verhalten. Wenn ich ehrlich zu mir war, dann hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass sie in der Lage waren, ihre Wurzeln derart gewaltsam einzusetzen. Irgendjemand oder irgendetwas hatte die Natur mit Kraft gebrochen und verdreht.
Das war nicht normal.
Das war beunruhigend.
Mit Horror musste ich dabei zusehen, wie die Äste die Haut des Mädchens einritzten, bis sie blutete. Mit ihren Nadeln und der Rinde vergifteten sie sie absichtlich. Pure Angst blickte mir aus ihren blauen Augen entgegen, bevor sie vor Schreck oder eher wegen der Vergiftung das Bewusstsein verlor.
Natürlich war jemand wie ich in der Lage, die Vergiftung zu neutralisieren, aber ich musste mich beeilen, bevor das Mädchen ernsthafte Schäden davontrug.
Der Teenager war nun fast nicht mehr auszumachen. Lediglich ein Büschel blonder Haare und das halbe Gesicht blitzten unter dem dunklen Holz auf.
»Kriemhild! Gretchen! Was soll das?«, rief ich den Pflanzen mahnend entgegen. Meine Magick wollte ich noch nicht einsetzen. Nur im äußersten Notfall würde ich zu Gewalt greifen. »Hört mit dem Unsinn auf! Wenn euch etwas stört, dann lasst es mich wissen und zieht kein Menschenkind in die Sache rein!«
Ich spürte keinerlei Emotionen. Die Bäume blockten mich ab und ich konnte nicht zu ihnen durchdringen.
Ich biss mir auf die Unterlippe, bis ich den metallischen Geschmack von Blut auf meiner Zunge schmeckte. Schmerz und Versagen, ein mir allzu bekanntes Aroma.
Hinzu kam das Entsetzen der anderen Gewächse, welches ich überdeutlich in meiner Seele wahrnahm. Selbst die Kirschbäume im anderen Bereich des Gartens und die Seerosen im Teich zitterten vor Angst.
Das war genug!
Ich stellte mich breitbeinig vor die Bäume. Ich war die Gifthexe Belladonna und ich hatte mir diese Kraft mit Schweiß, Blut und Schmerz erkämpft.
»Das ist meine allerletzte Warnung!«, rief ich den Bäumen entgegen. »Sonst schrecke ich vor nichts zurück.«
Keine Antwort.
Verdammt! Irgendwie hatte ich gehofft, dass sie sich mir kampflos ergeben würden.
Ich schnappte mir eine herumstehende Mistgabel und sprang auf.
Als kleines Hexenmädchen war ich vielleicht miserabel im Giftmischen gewesen, aber ich war seit jeher eine der besten Besenreiterinnen, die die nordeuropäische Hexenakademie in London je gesehen hatte. In der Luft machte mir keiner so schnell etwas vor. Mit Leichtigkeit wich ich den nach mir schlagenden Ästen aus. Langsam näherte ich mich der Stelle, an der ich das Mädchen vermutete. Als helle Haut ganz kurz hervorblitzte, griff ich nach ihr und zog sie aus dem dichten Astwerk heraus. Ich drückte das vergiftete Mädchen beschützend gegen meine Brust. »Sch, sch, sch. Schon gut«, sagte ich, obwohl sie mich im Delirium ohnehin nicht hören konnte. »Alles wird gut.«
Ihre Haut an den Armen hing blutend in dünnen Fetzen herab. Allerdings war ich mir sicher, dass sie im schlimmsten Fall lediglich ganz feine Narben davontragen würde. Am meisten Glück hatte sie jedoch mit ihrer milden Vergiftung. So hatte sie zumindest keine Schmerzen.
Ich brachte sie sicher zur Erde zurück und legte sie sanft aufs Gras. Selbst die einfachen Grashalme waren schockiert über das Werk ihrer Freunde und baten mich inständig darum, dass ich dem Mädchen half.
»Ich helfe ihr ja schon«, sagte ich mit dem Daumen im Mund. Der kurze, selbst zugefügte Schmerz entfachte meine Wut auf die Eiben von Neuem. Ich ließ einen einzigen Blutstropfen in den Mund des Mädchens fallen. Mein eigenes Gift würde das Toxin der Eibe in den nächsten Stunden neutralisieren. Sie musste trotzdem dringend ins Krankenhaus.
»Passt auf sie auf«, wies ich das Gras an, welches gehorsam die Halme aufstellte.
Mit Mordlust in den Augen drehte ich mich zu den Monstern um, die einmal ganz normale Bäume gewesen waren. Es war nicht das erste Mal, dass Blumen und Bäume sich an den Menschen für die Zerstörung der Umwelt rächen wollten, aber mir war nicht bekannt, dass sie es sogar auf einen Mord anlegten. In meinen Augen entschuldigte nichts die fürchterliche Tat der Pflanzen.
»Ihr habt mich sehr verärgert!«, ließ ich Kriemhild und Gretchen wissen, als ich meine Magick gewaltsam entfaltete.
Die rohe Magick kam in zwei Formen: Die erste Art war zerstörerisch und unheilvoll, die andere hingegen heilsam und beruhigend.
Anfangs tat mir die zerstörerische Macht sogar körperlich weh, sobald ich sie durch meinen Körper hindurch kanalisiert hatte. Auch heute benutzte ich diese Magick selten, obwohl sie mir wie natürlich innewohnte. Wobei, ›selten‹ war übertrieben. Ich hatte sie nach dem Training zu Schulzeiten nie wieder eingesetzt. Mein ganzes Leben war ich noch keinem Dämon oder einer Fae begegnet, gegen die ich mich damit zur Wehr hätte setzen müssen. Ich hatte stets gehofft, dass ich nie in eine solche Notfallsituation geraten würde.
Eine einsame Träne bildete sich in meinem rechten Auge, während der Wind durch meine ungezügelten Emotionen an Fahrt gewann.
Ich hüpfte auf die Mistgabel zurück und erhob mich in die Lüfte. Die Äste rasten erneut auf mich zu, aber mit einer bloßen Handbewegung trennte ich sie ab. Eine weitere Bewegung verhinderte, dass sie auf das ohnmächtige Mädchen am Boden fielen und sie unter Holz begruben.
Die Bäume hielten erschrocken inne. Ich hatte ihnen doch gesagt, dass ich fuchsteufelswild war.
Die Verschnaufpause währte nicht lange. Unmittelbar darauf starteten die Pflanzen eine weitere Attacke gegen mich. Das Problem war, dass die Bäume unglaubliche Kraftreserven besaßen. Sie wurden gepflegt und wuchsen neben einem Garten weit abseits einer großen Industriestadt. Die Natur war hier wild, frei und vor allem stark.
Ein Ast erwischte das Metall der Mistgabel und ich wurde regelrecht vom Stiel geschleudert. Im letzten Moment konnte ich mich mit zwei Fingern festkrallen, sodass der Rest meines Körpers zehn Meter über dem Boden baumelte. Ein Fall aus dieser Höhe würde mich nicht töten – allerdings schwer verletzen, nur damit ich anschließend von den Bäumen wie eine Fliege zerquetscht werden konnte. Dann halfen selbst meine Selbstheilungskräfte nicht mehr.
Das Blut rauschte laut in meinen Ohren und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Doch es war nicht die Panik, die meinen Puls derart in die Höhe schießen ließ.
»Belladonna«!, hörte ich eine mir unbekannte männliche Stimme. Waren das etwa die Pflanzen? Ganz selten gelang es mir, ihr Flüstern so klar wahrzunehmen. »Bann … lösen. Dann … helfen.«
Ich schüttelte den Kopf. Nein, für die zwei Bäume brauchte ich keine Hilfe.
»Warum unterschätzt mich immer jeder?«
Ich streifte mir die Schuhe von den Füßen und schwang mich mit Leichtigkeit auf die Mistgabel zurück. Ich balancierte mit nackten Füßen auf dem Besenstiel.
Komisch … Mir war so, als hätte ich ein Pfeifen in den Ohren, vielleicht war es aber auch nur Einbildung, weil ich mich erneut in meine Schulzeit zurückversetzt fühlte. Wegen meines kränklichen Erscheinungsbildes hatte man mir das Besenreiten nie richtig zugetraut. Dabei war ich ein wahres Naturtalent!
Einen selbstsüchtigen Moment lang genoss ich es, untätig herumzufliegen. Es war ein nahezu überwältigendes Gefühl, das Menschsein für ein paar Augenblicke völlig abstreifen zu können. Seit meiner Akademiezeit war ich nicht mehr auf dem Besen – oder einer Mistgabel – geritten und es hatte mir wirklich gefehlt. Ich liebte es, wie liebevoll und gleichzeitig fordernd der Wind mit meinen Haaren spielte und wie fern und surreal das menschliche Leben auf der Erde erschien. Kein Mensch konnte das wirken, wozu ich imstande war.
Ich fühlte mich gar nicht mehr wie eine Hexe und erst recht nicht wie ein Mensch.
Ich war eine Göttin.
Ach ja, ich musste mich noch um die Giftbäume kümmern …
Ich streckte meine Hand aus. »Das ist das Ende. Es tut mir so leid.«
Meine Magick explodierte im Kern der Bäume und ließ sie mit einem lauten Knall in abertausende Einzelteile zerspringen. Die Holzsplitter schleuderte ich dann mit einer kleinen Sturmbö vom Garten weg. Die Straßenmeisterei von Alnwick sollte sich morgen damit beschäftigen. Ich mochte es nämlich gar nicht, wenn mein schöner Garten verunstaltet war.
Langsam und behutsam wollte ich wieder nach unten gleiten, aber ich stürzte die letzten zwei Meter zu Boden, wo ich kraftlos ein paar Minuten liegen blieb. Ich hatte gerade noch die Kraft, meine Hand nach der Bewusstlosen auszustrecken und ihren Puls zu prüfen. Unter meinen Fingern spürte ich ihren Herzschlag deutlich – vielleicht ein wenig zu schnell, dennoch war sie außer Lebensgefahr. Vor meinen Augen heilten ihre Schnitte und Schrammen, bis nur noch ein wenig Blut und kleinere Kratzer zu sehen waren. Hatte ich etwa obendrein mit meinem Blut meine heilende Magick eingesetzt?
Meine Lippen schafften es gerade so, ein Lächeln zu formen.
Ich hatte sie gerettet! Ihr ging es wohl sogar besser als mir, denn ich hatte maßlos übertrieben. Gifthexen waren nicht zum Kämpfen geschaffen. Wir waren ausgezeichnete Mörderinnen im Schatten, aber keine Kriegerinnen wie Elementarhexen.
»Lös den Bannkreis, Belladonna. Lass mich dir helfen. Du bist vollkommen erschöpft, meine Liebe.«
Wer ist da?, wollte ich fragen, doch die Worte fanden einfach keinen Weg über meine Lippen. Ich war so müde …
Ich musste für ein paar Minuten eingeschlafen sein, denn als ich wieder aufwachte, fühlte sich mein Körper mit einem Mal ganz gut an. Die Nebenwirkungen der Magick waren überraschend schnell abgeklungen. Zu meiner Schulzeit hatte ich viel größere Probleme mit schmerzenden Gliedern und Panikattacken gehabt.
Jemand leuchtete mir mit einer Handytaschenlampe direkt ins Gesicht.
»W-Was ist denn hier passiert?«
Die zwei Freundinnen der Verletzten waren nun auch endlich aufgetaucht. Sie klammerten sich zitternd aneinander fest, während sie mir mit einem viel zu hellen Licht in die Augen strahlten.
Wahrscheinlich spürten sie einen Hauch der Magick in der Luft. Auf Menschen hatte sie verschiedene Auswirkungen: Manchmal wirkte sie erregend und wie ein Rausch, dann jagte sie ihnen fürchterliche Todesangst ein. Die zwei Mädchen waren sichtbar geschockt, was allerdings auch auf den Anblick ihrer ohnmächtigen Freundin zurückzuführen sein konnte. Wenn man im Poison Garden zusammenknickte, war man im schlimmsten Fall tot.
»Ru-f-ft einen Krankenwa-agen«, wies ich die beiden jungen Mädchen mit brüchiger Stimme an. Meine Stimmbänder hatten sich von der unglaublichen Kraft noch nicht erholt. »Schnell!«
Mir war schwindelig und übel – und ich war mir ziemlich sicher, dass es nicht mehr an der Verwendung von Magick lag.
Der Krankenwagen tauchte so schnell auf, dass ich die anderen Mädchen nicht einmal ordentlich beruhigen konnte. »Was, wenn sie eine Giftpflanze angefasst hat?«, sagte das Mädchen mit dem knalligen pinken Lidschatten, worauf ihre Freundin mit den riesigen blauen Ohrringen erschrocken keuchte.
»Sie wurde nicht vergiftet«, log ich und versuchte sie mit einem aufmunternden Lächeln zu beschwichtigen. »Vergesst nicht, dass i-«
»Das wäre schrecklich!«, heulte das Ohrringe-Mädchen. »Nächste Woche ist doch der Herbstball!«
»Ich habe noch kein Kleid!«
Die zwei Mädchen waren so aufgekratzt, dass ich mir jede weitere Erklärung oder Lüge gleich gespart hatte, da ich sowieso auf taube Ohren gestoßen wäre.
Der Kiesweg knirschte unschön, als der gelb-grüne Krankenwagen rückwärts eingefahren kam. Das Gras beschwerte sich darüber, dass die kleinen Steinchen nun in seinem Territorium herumlagen. Das bedeutete, dass ich heute noch die Harke auspacken musste.
In dem Moment, als die Türen des Krankenwagens aufsprangen, flatterten die Augenlider des vergifteten Mädchens.
»Maddie? Anna?« Ihre Stimme war ganz kratzig, und ich wusste, dass sie starke Kopfschmerzen haben musste. Ich kannte diese Vergiftungssymptome nur zu gut. »Was ist denn passiert?«
»Du-«
»Du bist ohnmächtig zusammengeklappt«, sagte ich und schnitt ihrer Freundin sofort das Wort ab.
»Aber … warum?«
Sie sprach langsam und musste wegen ihrer hämmernden Kopfschmerzen immer mal wieder die Augen schließen. Es war besser, wenn die Sanitäter sie ins Krankenhaus brachten, um sie dort eine Nacht zu beobachten.
Ich zählte zahlreiche menschliche Wehwehchen auf, die mir gerade so einfielen: »Pubertät, zu wenig getrunken, zu wenig gegessen, emotionale Belastung wie Stress, Liebeskummer …«
»Na, wer von euch ist denn die Verletzte?«, fragte die blonde Sanitäterin, welche ungefähr in meinem Alter sein musste. Hinter ihr stand ein dunkler Typ mit Vollbart und einem Rosen-Tattoo auf der Hand.
Ich atmete erleichtert auf. Zum Glück war er nicht unter ihnen. Das hätte mir gerade noch gefehlt …
»Ich … ich denke, ich …«, sagte das Handy-Mädchen und kam wackelig auf die Beine. »Mir … Ich hab … Kopfschmerzen und ich glaube, ich muss kotzen.«
»Na, dann bringe ich dich mal zum Krankenwagen.« Der Mann stützte sie. »Kannst du laufen? Wie heißt du denn?«
»K-Katherine …«
Nun, zumindest wurden ihre Wangen in der Nähe eines gut aussehenden Mannes bereits wieder rosig.
Die Sanitäterin bemerkte die tiefen Kratzspuren an ihren nackten Armen und schürzte die Lippen. Noch hatte ich keine gute Ausrede für diese Verletzungen parat.
»Was ist denn passiert?«, fragte die Sanitäterin mich.
Zum Glück hielten ihre Freundinnen einmal den Mund, damit ich mit ruhiger Stimme erklären konnte: »Ich habe sie ohnmächtig im Garten gefunden. Ich wollte gerade abschließen, als ich sie am Boden liegend bemerkte. Ich kenne mich ein wenig mit Giftpflanzen aus. Sie dürfte nicht vergiftet worden sein.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust, damit sie das leichte Zittern meiner Hände nicht bemerkte.
Die Sanitäterin lachte – zuerst dachte ich, sie würde mich auslachen, doch dann bemerkte ich schnell, dass sie vor Erleichterung kicherte. »Als ich hörte, dass jemand im Poison Garden ohnmächtig geworden ist, habe ich doch glatt mit einer schweren oder sogar tödlichen Vergiftung gerechnet. Ich bin froh, dass es wahrscheinlich nur ein kleiner Kreislaufzusammenbruch ist. Wir werden sie trotzdem ins Krankenhaus mitnehmen.«
Vor meiner Zeit im Garten hatte es regelmäßig krankenhausreife Vergiftungen gegeben, doch durch mein selbst gebrautes Gegengift konnte ich die Leute heilen – manchmal ohne dass sie es bemerkten. Belladonnas Kräuterteegemisch sollte gegen Kopfschmerzen und Übelkeit helfen, aber tatsächlich bekämpfte ich damit die ersten leichten Vergiftungsanzeichen.
»Nur …« Die junge Sanitäterin hielt inne. »Ich kann mir diese ganzen Kratzspuren an ihrem Arm nicht erklären.«
»Vielleicht wollte sie auf einen Baum klettern?«
»Eine junge Frau? In ihrem Outfit?«
Katherine trug ein langes blaues Top mit schwarzen Leggins und luftigen Ballerinas. Sie war zu aufgestylt, um mal eben auf einen Baum zu klettern, wobei das ebenso auf den Besuch des Poison Garden zutraf.
Ich zuckte mit den Schultern. »Teenager heutzutage.«
Sie runzelte die Stirn. »Wir werden ihr Blut trotzdem ins Labor schicken. Nur um Drogen oder andere Substanzen auszuschließen.«
Mein Blut hatte ihr Gift längst völlig neutralisiert. Wenn sie im Krankenhaus ankommen würden, würde man keinerlei Vergiftungsrückstände mehr in ihrem System feststellen können.
Ich selbst war das unberechenbarste Gift und das heilbringendste Gegengift. Was wohl nicht weiter überraschend war, wenn man bedachte, dass jedes Gift je nach Dosis auch Medizin sein konnte. Und jede Medizin ein Gift.
Mir war es also egal, was sie mit dem Mädchen im Krankenhaus anstellten. Die Menschen konnten meine Magick mit ihrer Wissenschaft ohnehin nicht nachweisen, redete ich mir zur Beruhigung ein. Das ging über die Wissenschaft der Menschen weit hinaus.
»Du arbeitest für den Garten, oder? Dein Name ist Belladonna, wenn ich mich nicht irre.«
Obwohl ich wusste, welche Antwort ich zu erwarten hatte, fragte ich nach. »Woher weißt du das?«
»Mein Kollege meinte, dass wir dich antreffen werden. Du gehörst praktisch zum Inventar des Gartens, hat er gesagt.«
Gerade, als ich hoffte, dass damit das Thema vom Tisch wäre, verließ der dritte Sanitäter den Rettungswagen. »Ich bleibe noch kurz hier. Fahrt ihr schon mal mit der Patientin ins Krankenhaus.«
Diese Stimme …
Diese Stimme würde ich immer wiedererkennen. Mein Herz machte einen freudigen Sprung, bevor es zu Eis erstarrte. Nein, ich durfte mich nicht darüber freuen, dass er hier war. Er war der lebendige Beweis dafür, dass ich mich von Menschen – wie auch von Hexen – besser bis zu meinem Tod fernhalten sollte.
Ich senkte schnell den Kopf, um meine errötenden Wangen zu verbergen. Meine Bäckchen strahlten rot wie Mohnblütenblätter, weil ich so blass war.
Konnte sich nicht der Boden zu meinen Füßen auftun? Bei den Dämonen in der Hölle konnte es nicht unangenehmer sein. Diese wären zumindest so ehrlich, mir gleich Herz und Seele aus dem Körper reißen, mein Blut trinken und mir jegliche Freude rauben zu wollen.
Und doch …
Es war Monate her, dass ich mit jemandem außerhalb des Gartens geredet hatte.
Ich hob den Kopf, sah dem Rettungssanitäter allerdings nicht in die Augen. »Hallo Collin.«
Er hob grüßend eine Hand. »Bella…donna«, fügte er noch rasch hinzu. Er wollte nicht vertraut klingen, was nach unserer unschönen Trennung wenig überraschen dürfte. »Was ist passiert?«