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***Liebe ist die dunkelste Sünde***
Als erste Hexenkönigin überhaupt hat sich Belladonna offen zu ihrer Liebe zu dem Dämonenprinzen Blake bekannt. Doch eine Gefahr aus der Hölle stellt die Gefühle der beiden auf eine harte Probe: Nach Jahrtausenden der Gefangenschaft sind die Urdämonen wieder frei. Und ausgerechnet die Person, der Belladonna am meisten vertraut, ist daran schuld, dass die sieben Todsünden nun unvorstellbares Leid über Menschen, Dämonen, Hexen und Fae bringen. Um alle, die sie liebt, beschützen zu können, begibt sich Belladonna an den Nachthof, wo sie Erstaunliches über ihre Herkunft erfährt …
Fantastische Wesen, gefährliche Pflanzen und prickelnde Momente: Teresa Sporrers neuester Roman lässt die Herzen aller Fantasy-Liebesgeschichten-Fans höher schlagen!
//Dies ist der zweite Band der »Queen of the Wicked«-Dilogie. Alle Romane der Liebesgeschichte zwischen dem Dämon Blake und der Gifthexe Belladonna im Loomlight-Verlag:
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Das Buch
Liebe ist die dunkelste Sünde
Als erste Hexenkönigin überhaupt hat sich Belladonna offen zu ihrer Liebe zu dem Dämonenprinzen Blake bekannt. Doch eine Gefahr aus der Hölle stellt die Gefühle der beiden auf eine harte Probe: Nach Jahrtausenden der Gefangenschaft sind die Urdämonen wieder frei. Und ausgerechnet die Person, der Belladonna am meisten vertraut, ist daran schuld, dass die sieben Todsünden nun unvorstellbares Leid über Menschen, Dämonen, Hexen und Fae bringen. Um alle, die sie liebt, beschützen zu können, begibt sich Belladonna an den Nachthof, wo sie Erstaunliches über ihre Herkunft erfährt …
Band 2 der »Queen of the Wicked«-Dilogie
Die Autorin
© Privat
Teresa Sporrer hegte schon ihr ganzes Leben lang eine große Leidenschaft für Bücher: zunächst als Leserin, später auch als Bloggerin und mittlerweile ist sie selbst eine erfolgreiche Autorin. Ihre Reihe über verwegene Rockstars spielte sich in die Herzen vieler Leser*innen. Neben witzig-romantischen Lovestorys schreibt sie außerdem Fantasy-Romane über Antihelden wie ruchlose Piraten oder giftige Hexen.
Teresa Sporrer auf Instagram: https://www.instagram.com/teresasporrer/
Der Verlag
Du liebst Geschichten? Wir bei Loomlight auch! Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autor*innen und Übersetzer*innen, gestalten sie gemeinsam mit Illustrator*innen und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.
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Viel Spaß beim Lesen!
ACHTUNG!
Bei dem Großteil der erwähnten Pflanzen handelt es sich um hochgiftige Gewächse!
Vom Verzehr wird dringend abgeraten!
Dieses Buch ist eine Geschichte getränkt in Gift.
Durch die Kapitel begleiten uns pflanzliche Gifte und Gifte, die Körper und Seele angreifen können.
Eine Inhaltswarnung über mögliche Gifte findest du auf der letzten Seite des Buches.
Ich widme Band 2 allen #blerry-Fans: Ihr habt dieses Buch erst möglich gemacht!
Look like the innocent flower, but be the serpent under it.
WILLIAM SHAKESPEARE, MACBETH
Die Hölle war ein Ort voller Tod und Leid.
Die lauwarme Luft schmeckte nach den leckersten Sünden und der bittersten Reue. Ein einziger Atemzug ließ einen Menschen in Ohnmacht fallen und beraubte ihn für den Rest seines Lebens der Fähigkeit, Freude zu empfinden.
Aber es reisten ohnehin nicht viele Sterbliche in die Unterwelt. Nur Narren, die meinten, dass sie einen geliebten Menschen aus den höllischen und unnachgiebigen Klauen des Fegefeuers befreien konnten, und die dann zwischen den sieben Ringen von umherstreifenden Dämonen getötet wurden.
Das dunkle Gras zu seinen Füßen war hart und spitz wie abgebrochene Knochen, die feuchte Erde getränkt mit dem Blut der Sünder. Das ferne Geheul der leidenden Seelen im Fegefeuer drang selbst hier im ersten Zirkel – über alle sieben Ringe hinaus – noch an seine Ohren.
Heimat, wisperte etwas in seiner toten Brust.
Er war zwar hier geboren worden, aber wie die anderen adeligen Dämonen fühlte er sich nicht wirklich zu Hause. Es lag weniger an seiner menschlichen Seite. Bis auf das Aussehen seiner durchaus adretten Hülle hatte Blake kaum etwas mit einem Menschen gemein. Sein wahres Zuhause war dort, wo es sich so anfühlte, als würde in seinem Brustkorb ein Herz schlagen: bei einer Hexe mit weißen Haaren und Augen so violett und tödlich wie die Blüten einer Giftpflanze. Doch es war ihr Lächeln, das ihn wortwörtlich verhext hatte. Er liebte es, wenn sie mit angezogenen Mundwinkeln bis zur Heiserkeit über ihre Giftpflanzen sprach. Er liebte es, wenn sie mit purer Begeisterung in den Augen die Schachtel vom Konditor öffnete.
Er liebte es, wie ihr warmer Körper sich an seinen schmiegte und er ihren Herzschlag spüren konnte. Manchmal kam es ihm so vor, als würden ihre Herzen in einem gemeinsamen Takt schlagen.
Was natürlich ein Ding der Unmöglichkeit darstellte, da er bereits tot zur Welt gekommen war.
Und genau darum musste er das hier tun: Nie wieder würde er tatenlos dabei zusehen, wie ein Leben einfach dahinschwand. Nicht nach … Nein. Daran wollte er nicht denken. Er wollte auch nicht daran denken, dass seine Braut in diese Angelegenheit der Hölle verwickelt wurde. Bald, sehr bald würde das alles vorbei sein. Lange bevor die Königin der Hexen und ihr Volk mit reingezogen wurden.
Vor dem Dämon erhob sich ein Baum. Das Herz des ersten Zirkels hatte eindeutig schon bessere Tage gesehen: Die Rinde war schwarz und wirkte verkohlt. Dennoch glänzten an den dünnen Ästen noch ein paar Granatäpfel. Ihr saftiges Rot ließ ihre irdischen Verwandten dagegen bleich, beinah leblos wirken.
Und unter dem Baum saß eine Frau – oder vielmehr: Eine Kreatur, die aussah wie eine junge Frau mit schwarzen Haaren und weißer Porzellanhaut. Doch wenn sich ihre Lippen zu einem Lächeln verzogen, offenbarte sie ihre wahre Natur: Spitze Fangzähne, die nur dafür geschaffen waren, die Halsschlagader brutal herauszureißen.
Von seiner Braut wusste er, dass junge Hexen Kinderlieder über die Söhne der Todsünden anstimmten, wenn sie Fangen spielten.
Doch eines schienen sie sich dem Reim nach nicht bewusst zu sein: Das Kind des Hochmuts war eine Tochter.
Die Vampirin suchte wie immer Schutz vor dem Tageslicht in den Gefilden der Hölle. Hier gab es weder Tag noch Nacht, nur die angenehme Dämmerung, die es nie wagen würde, das Fleisch eines Höllenwesens zu versengen.
Völlig regungslos verharrte die Blutsaugerin unter dem Baum, bis der Wind seinen Geruch in ihre Nähe trug.
»Guten Tag, Avaritia«, sagte sie mit geschlossenen Augen und hob träge einen bleichen Arm. »Was führt dich zu mir?«
»Du musst mich nicht so förmlich mit meiner Todsünde anreden, Carmilla«, entgegnete der Dämon nur. »Ich nenne dich ja auch nicht Superbia, den Hochmut.«
Er hielt Abstand zur Tochter des Hochmuts.
Carmilla war unberechenbar. In die Geschichte der Menschen war sie als unbarmherzige Kriegsherrin eingegangen, die ihre Feinde und Untertanen pfählte, wenn sie ihr nicht unterwürfig genug waren oder sie einfach nur einen schlechten Tag hatte. Daneben existierten die romantischen Bücher, die sie als vornehme Gräfin darstellten, die junge Frauen mit den süßesten Worten verführte und ihr Blut trank, aber doch nie die wahre Liebe fand. Letzteres stimmte nicht ganz: Vor einiger Zeit hatte sie drei Bräute gezählt – bis sie alle mit einem Mal verlor.
Nur aus diesem einzigen Grund konnte er sich ihr anvertrauen … Nein.
Wenn er ehrlich war, dann konnte er eigentlich niemandem von den anderen Dämonen vertrauen, aber Carmilla schien nun mal die sicherste Option zu sein. Besser als Asmodäus, den nichts kümmerte, außer er selbst und seine Braut oder Barbatos, der Blake als Jugendlicher fast enthauptet hatte, weil er neugierig war, ob er wirklich untot war.
»Die Granatäpfel sind so schön rot.« Carmilla streckte eine Hand in die Höhe. »Sie schmecken sicher süßer als das Blut einer Jungfrau.«
»Schmeckt Jungfrauen-Blut so viel besser? Ich meine … Schmeckt man das wirklich heraus?«
»Keine Geschlechtskrankheiten – und durch das Alter im besten Fall auch weniger Alkohol und Tabak im Blut. Jungfrauen-Blut ist wahrhaft köstlich!«, lächelte die Vampirin. »Du kennst das doch sicher auch von den Herzen.«
»Nein. Schon ein junges Herz kann vollkommen vom Tod zerfressen sein.«
»Hmmmm.« Carmilla legte den Kopf in den Nacken und ließ ihn kreisen. »Gut zu wissen. Ich vergesse immer, wie unterschiedlich die Leute sind, die unsere Dienste in Anspruch nehmen. Willst du dann noch mehr unnötigen Small Talk betreiben?«
Blake verzog kurz die Lippen. »Du hast mit dem Jungfrauen-Blut angefangen.«
»Und du lässt dich hier blicken, obwohl du mich sonst meidest.«
»Nun. Wir beide haben nun einmal nicht viel miteinander zu schaffen«, wich er ihr aus.
»Ich kann es dir nicht übel nehmen, die anderen adeligen Dämonen meiden mich auch.« Blitzschnell war die Dämonin aufgesprungen und stand nun direkt vor Blake.
Carmilla sah ihm tief in die Augen. Ihre Iris leuchtete rot wie frisches Blut und eine Spur von Wahnsinn tanzte lodernd darin. »Es spricht sich herum, dass du deine Braut gefunden hast.«
Blake wich keinen Millimeter zurück. »Du musst gar nicht so scheinheilig tun. Ich weiß, dass du ein Abkommen mit Königin Sibylle hattest. Deinen widerlichen Geruch kann ich an jedem einzelnen Angestellten im Schloss wahrnehmen. Du bist wirklich unersättlich in deiner Gier nach Menschenblut.«
Die Dämonin trat einen halben Schritt zurück, beleidigt, dass ihr Einschüchterungsversuch nicht funktioniert hatte.
Gelangweilt betrachtete sie ihre langen Fingernägel. Sie waren von Natur aus dafür geschaffen, ihren Opfern die Hauptschlagadern aufzuschlitzen. Sein Blick blieb allerdings an etwas anderem hängen: An ihrem Ringfinger steckten drei verschieden große goldene Ringe – einer für jede tote Braut.
»Nun. Ich habe keine einzige Braut mehr. Ich brauche viel Blut. Das heißt, ich muss ein paar Mal im Jahr einen Menschen komplett leer saugen, damit ich meine Laune nicht an Unschuldigen auslasse.« Ihre Lippen kräuselten sich zu einem spöttelnden Grinsen. »Und wenn ich mich nicht irre, wurde dir der Titel ›Vielfraß der Hölle‹ verliehen. Nicht mir. Dir. Der Gier.«
Carmilla hatte recht. In den letzten drei Jahren hatte er mit so vielen Menschen Händel geschlossen, dass ihm sogar das Gefühl für die genaue Zahl abhandengekommen war. Jeden Tag ging er neue Verträge ein und mehrmals in der Woche konnte er ein Herz verschlingen.
Er hatte nur gehofft, dass sein ›Appetit‹ keinem der anderen Adeligen auffiel, aber die Ars Goetia hatten ihre Augen und Ohren wirklich überall.
Doch wenn sie schon darauf zu sprechen kamen: »Warum hast du überhaupt eine Abmachung mit Königin Sibylle getroffen? Leitest du nicht einige Blutbanken in Europa?«
Unbewusst streiften ihre Finger über die Goldringe.
»Moment. Du hast das doch nicht etwa getan, um Informationen über deine nächste Braut zu erhalten?«
»Sag das nicht so abfällig, Avaritia«, zischte Carmilla. Er wusste sofort, dass er eine Grenze überschritten hatte, als sich ihre Fangzähne über die Lippen schoben. »Nicht jeder von uns hat das Glück, dass ihm seine Braut praktisch auf dem Silbertablett serviert wird. Wie alt bist du? Nicht einmal drei Jahrzehnte, wenn ich mich richtig erinnere.«
Die Erde unter den Füßen der Dämonen bebte. Viele der Knochenhalme stammten von seinen Opfern, weshalb sie auf seine Emotionen reagierten. »Auf dem Silbertablett?«
Es war nicht einfach gewesen, und er hatte eine Zeit lang befürchtet, dass seine Braut sich gegen ihn entscheiden würde. Die Hexen ihrer Jugend hatten sich bemüht, ihr pure Abneigung gegen seine Spezies einzutrichtern. Am allermeisten natürlich die alte Königin und ihre Zirkelhexen …
»Ruhig, kleiner Dämon. Ich bin doch auf deiner Seite«, säuselte Carmilla, ein wenig versöhnlicher. »Wie du sicherlich gehört hast, stehen unsere Bräute an oberster Stelle für mich.« Nur um dann die Krallen erneut auszufahren. »Deine kleine Hexe ist allerdings noch keine Braut – und damit darf ich mit ihr machen, was ich will.«
»Wag es ja nicht, sie anzurühren«, knurrte der Dämon. Seine Stimme wurde dunkel und gefährlich: »ICH HABE KEINE PROBLEME DAMIT, ANDERE DÄMONEN ZU TÖTEN.«
Seine dämonische Seite wollte mit aller Kraft unter seiner menschlichen Haut hervorbrechen und die Vampirin in tausend Stücke zerfetzen. Bei den neuen Zirkeln, es war Jahre her, dass seine Stimme sich verändert hatte, weil er angestrengt versuchte, sein wahres Aussehen niemandem zu enthüllen.
Carmillas Augen glitzerten vor Aufregung – keine Spur von Angst. »Dann mach sie zu deiner Braut. So einfach ist das. Was hält dich davon ab? Warum frisst du so viele Seelen?«, verlangte die Vampirin von ihm zu erfahren. »Deine Braut müsste deine Gelüste doch weitestgehend befriedigen – erst recht, wenn sie endlich den Granatapfel gegessen hat. Du musst kaum noch Herzen sammeln und kannst dich ganz darauf konzentrieren, deine Braut zu befriedigen. Ein Glas Blut meiner Bräute konnte mich immer einen ganzen Monat ernähren.«
»Wir reden aneinander vorbei.«
»Nein, das tun wir nicht«, widersprach Carmilla hochmütig. »Du nutzt jede mögliche Ausflucht. Ich frage mich, warum du überhaupt gekommen bist. Willst du nicht lieber mit der Königin der Gifte im Bett liegen?«
Blake hob die Hände und seufzte. »Gut. Ich lasse die Spielchen.«
Carmilla lächelte ein Lächeln, das das Blut in seinen Adern hätte gefrieren lassen, wäre er nicht untot gewesen.
Sie trat zum Granatapfelbaum und pflückte nahezu zärtlich eine der Früchte. »Nimm sie«, forderte die Dämonin mit solch einem Nachdruck, dass er dieses ›Geschenk‹ nicht ablehnen wollte. »Du solltest dein Hexlein so schnell es geht zur Braut machen. Hexen sind nicht halb so mächtig, wie sie sich geben und du weißt, dass ich bei Blut nicht unterscheide, wenn ich richtig hungrig bin.«
Diese Drohung war so offen und roh, dass er schlucken musste.
»Und lass mich endlich wissen, was dich zu mir bringt.«
»Ich spüre seit Langem eine andere Gier in mir reifen – etwas, das du sicher auch kennst.«
»Du willst also ein Teil der Ars Goetia werden? Ich weiß nicht, ob du stark genug dafür bist«, urteilte sie mit abschätzigem Blick. Bei der Hölle. Sie war wahrlich der personifizierte Hochmut. »Qualität über Quantität. Es reicht nicht aus, sich einfach wahllos Seelen zu schnappen.« Beherrscht von ihrer Todsünde fuchtelte sie mit dem Zeigefinger in der Luft herum. »Seit Jahrhunderten sind wir Ars Goetia die gefürchtetsten Dämonen der Menschenwelt. Wir –«
Blake zog den Knochendolch unter seinem schwarzen Jackett hervor.
Selbst eine uralte Bestie wie Carmilla, die Kriege, Naturkatastrophen und Seuchen miterlebt hatte, zuckte bei dem Anblick des sagenumwobenen Gegenstands zusammen. Die anfängliche Furcht vor dem Dolch wurde von Unglauben abgelöst. »Woher hast du ihn?«
»Das tut nichts zur Sache. Ich will, dass du den anderen Ars Goetia etwas ausrichtest …«
Roter Fingerhut
Der Poison Garden in Alnwick ist dafür bekannt, dass er rund einhundert Giftpflanzen beherbergt, die für Menschen bereits in geringen Dosen tödlich sind.
Die größte Gefahr ging jedoch nicht von der wuchernden Botanik aus. Nein. Sondern von einer jungen Frau mit kurzen weißen Haaren und ungewöhnlich lilafarbenen Augen, die als unscheinbare Touristenführerin ihre Dienste in den Sommermonaten anbot.
Wo andere Menschen Schutzausrüstung brauchten, um die Pflanzen zu berühren, ließ sie sich von ihren giftigen Lieblingen liebkosen.
Unsere giftige Königin Belladonna, die dreizehnte von unserer Göttin erwählte Priesterin, die mit ihrem giftigen Kuss selbst den Faekönig Oberon in die Knie zwingen konnte.
»Hm.« Ich legte Ishitas Anfang meiner Lebensbiografie kurz zur Seite. »Schreiben kann sie ja, aber es ist mir einen Hauch zu melodramatisch. Und im letzten Satz ist eine Wortwiederholung, die sollte sie dringend rausstreichen. Die zukünftigen Leser haben schon Seiten vorher verstanden, dass ich giftig bin. Ich meine: Ich bin die giftige Herrscherin. Das steht sogar unter meinem Porträt.«
Ich wühlte in meinem Federmäppchen nach einem hübschen Glitzerstift in Grün, um meine Korrekturen anzubringen. Was für ein Glück, dass Ishita die Schreibfeder noch nicht auf Pergament angesetzt hatte, sondern auf weitaus günstigerem Papier.
Es war ein lauer Spätsommertag im Alnwick Garden und die Gäste hatten schon vor zwei Stunden das Gelände verlassen. Danach hatte ich mich um ein paar wild wachsende Gräser und Kiesel in den Beeten des Poison Gardens gekümmert, den Fingerhüten das neue Kapitel ihrer liebsten Fanfiktion vorgelesen und dem Eisenhut noch einen selbst gemachten Düngerstift zugesteckt, obwohl ich eigentlich der Meinung war, dass ich ihn schon genug verwöhnte.
Und nun widmete ich mich der Sache, die ich seit einer Woche aufschob: Meine Königinnenbiografie, die meine Bibliothekarin Ishita wohl schon vor einem Jahr begonnen und mir nun vor dem nächsten wichtigen Tag meiner Herrschaft ausgehändigt hatte.
Sie meinte, dass durch die frühe Aufzeichnung keine meiner Taten – und seien sie noch so klein – vergessen werden könnte. Aber genau das wollte ich! Ich wollte einige Dinge, die passiert waren, unter den Teppich des Vergessens kehren.
Niemals durfte die ganze Geschichte ans Licht kommen: Vor nicht allzu langer Zeit war der Poison Garden mein Käfig gewesen. Ein Gefängnis, welches die frühere Hexenkönigin Sibylle geschaffen hatte, damit sie mich stets im Blick behalten konnte. Ishita wusste nicht, dass die Königin meine Mutter war, und ich wollte sie und die anderen Hexen auch darüber im Unklaren lassen. Es fühlte sich immer noch seltsam an, wenn ich daran dachte, dass ich sie in einem anderen Leben vielleicht ›Mama‹ gerufen hätte. Dass ich in einem anderen Leben vielleicht nicht völlig allein aufgewachsen wäre, sondern als Prinzessin der Hexen …
Neun Monate hatte mich die Königin ausgetragen, nur um mich gleich nach meiner Geburt der Affinität der Schatten zu berauben und mich als ›Gifthexe‹ in die Akademie abzuschieben, wo mich eine Überdosis Gift fast getötet hätte. Es war zwar äußerst selten, dass ein Hexenkind verstarb, aber es kam durchaus vor. Niemandem wären meine seltsamen Todesumstände aufgefallen.
Lies uns vor, bettelte der Rote Fingerhut namens Kirsten, der neben mir emporgewachsen war.
Eigentlich durfte sie sich hier oben bei den Kirschbäumen nicht aufhalten. Während der Öffnungszeiten tummelten sich an dieser Stelle viele Menschen, insbesondere zur Kirschblütenzeit, wenn die Bäume in Tausenden Pinkschattierungen blühten, aber auch im Hochsommer war dieser Teil des Gartens mit den großen Schwingbänken gut besucht.
Doch es war schwül und die Sonne würde erst nach neun Uhr abends hinter dem Horizont verschwinden. Die Pflanzen konnten nicht schlafen und ihr Verhalten glich nun dem von übernächtigten Kindern.
»Das ist aber keine Fanfiktion von AO3«, sagte ich ihr. »Da gibt es also keinen SMUT – nicht einmal ein wenig spice.«
Ich hoffte zumindest, dass Ishita nicht angefangen hatte, das Sexleben von Blake und mir detailliert auf Papier zu bringen.
Neugierig blätterte ich vor:
Königin Belladonna führte eine Beziehung mit einem Höllenprinzen: Blake Avaritia, seines Zeichens die Todsünde der Habgier, verlobte sich mit unserer gesegneten Königin – wie es seit jeher Hexentradition ist – an dem dritten großen Hexenfeiertag Lughnasadh.
Muss das sein?, kommentierte ich den Absatz.
Dabei drückte ich die Spitze des Gelstiftes etwas zu fest auf das Papier, sodass nun glitzernde Spritzer das Geschriebene verzierten.
Ishita wusste genau wie ich, dass Blake sich keinen Hexenfeiertag ausgesucht hatte, um sich mit mir zu verloben.
Wie es sich für einen unanständigen Dämonen ziemte, hatte er mich in einen Pakt gelockt, den er als einfache Verlobung verschleiern wollte.
Nun endlich verstand ich seine Intention dahinter: Er wollte mir einfach nahe sein, weil er mich schon kannte. Oder besser gesagt: Er war mit einem Teil meiner selbst vertraut.
Königin Sibylle hatte mit der Überzeugung gelebt, dass meine Schattenaffinität für den Rest meines Lebens versiegelt wäre, aber vor einiger Zeit verselbstständigte sich ein Teil meiner Magick und lief direkt Blake in die Arme. Schwer zu sagen, ob dieser Teil sich zu Blakes Lich-Magick hingezogen fühlte, da ausgerechnet sein Vater – der Dämonenfürst Mammon und erste Untote – meine Gabe mit einer verfluchten Münze verschlossen hatte, oder …
Oder es lag an dieser seltsamen Anziehung, die ich zwischen Blake und mir spürte. Mein ganzes Leben meinte ich Angst vor Dämonen zu haben, obwohl ich bis zu Blakes Auftauchen nie einer Kreatur der Hölle begegnet war. Wie jeder Hexe war mir von Kindesbeinen an eingebläut worden, dass man Dämonen meiden sollte. Meine Hexensinne hatten laut wie Alarmglocken geschrillt, wenn ich von ihm in seiner Schattenform im Garten aufgesucht wurde.
Aber dann war er in seiner menschlichen Gestalt vor meinen Thron getreten und … Ich empfand keine Angst oder Furcht, kein Fünkchen Unbehagen. Ein vollkommen anderes Gefühl hatte sich in meiner Brust breitgemacht.
Das war der Grund, warum ich ihm mit Angst begegnen und meinen Hass wie einen Schutzschild gegen seine Avancen nutzen wollte.
Aber am Ende war ich selbst als Gifthexe nicht immun gegen sein Toxikum …
Weiter, forderte mich die Pflanze auf. Wie geht es weiter?
»Ihr kennt die Geschichte doch. Die Alraunen haben doch jedes Detail meiner Beziehung ausgeplaudert.«
Nicht müde! Mehr!
»Schon gut.«
Ich blätterte um, nur um festzustellen, dass das alles war. Wo stand denn geschrieben, dass er mich in den zahlreichen brenzligen Situationen, denen ich als Hexenkönigin ausgeliefert war, stets unterstützte? Zum Beispiel als Faekönig Oberon völlig grundlos die Wilde Jagd auf mich gehetzt hatte und der Dämon zu allem Übel auch noch einen tödlichen Schwerthieb abfangen musste? Wo war notiert, dass er mich mit aller Macht vor der Hexe Walpurga beschützen wollte, die ich danach aus Versehen in einen Baum verwandelt hatte?
Die ganze Gemeinschaft der Hexen wusste, dass Walpurga jetzt Wurzeln in meinem Thronraum schlug.
Mach es romantischer, merkte ich für Ishita an. Ich kenne deinen Suchverlauf und wenn du weiter koreanische Soaps während der Arbeitszeit streamen willst, dann lass etwas Romantik einfließen.
Eilig überflog ich den Rest, den ich zuerst übersprungen hatte. Es gab ein paar Seiten über meine Giftaffinität, auf denen betont wurde, dass so ein Talent in der Hexenwelt seinesgleichen suchte. Ich wurde rot, als ich ihre Worte las, die wie ein Lob waren. Es gab kein Gift, das ich nicht vertrug. Ich konnte mit den Giftpflanzen reden, als wären es Menschen, und auch die wenigen ungiftigen Gewächse vertrauten sich mir an.
Doch so gut sich diese Worte auch anfühlten, sie zeigten dennoch, dass meine geheime Schattenaffinität nur deshalb so geheim war, weil sie keinem auffallen konnte. An guten Tagen war ich in der Lage, meinen eigenen Schatten beschwören und ihn für mich agieren zu lassen – an schlechten Tagen reagierte er nicht einmal wie ein echter Schatten.
Und es gab niemanden, der mir helfen konnte. Ich konnte zwar in Erfahrung bringen, dass Hexen in der Lage waren, mehr Affinitäten zu meistern, aber es existierten keine Aufzeichnungen von Hexen, die ihrer Geburtsaffinität beraubt wurden. Ganz zu schweigen von der Problematik, dass es vor mir nur eine einzige Hexe mit dieser Kraft gegeben hatte: Lilith, die erste Königin meines Volkes.
»Was liest du da?«
Die Stimme in meiner unmittelbaren Nähe erschreckte mich in diesem Moment so sehr, dass ich das Gleichgewicht verlor und beinahe von der Wippe ins Gras fiel. Nur die Äste eines hilfsbereiten Kirschbaums verhinderten, dass ich das Gras küsste. Nicht, dass es dem Gras etwas ausgemacht hätte …
»Bei der Göttin, Agnieszka!«, fuhr ich tadelnd herum. »Erschreck mich doch nicht so! Wo kommst du um diese Uhrzeit noch her?«
»Sorry. Ich habe meinen Be-, die Autoschlüssel vergessen.«
Ich neigte den Kopf. Die Hexe versuchte tatsächlich, ihren Besen hinter dem Rücken zu verstecken.
»Du bist also heute mit dem Besen zur Arbeit gekommen.«
»Aber mich hat niemand gesehen! Ich habe von Adlon Faestaub bekommen. Du weißt doch, dass ich beim letzten Mal Kratzer in die Autotür von …«
Agnieszka war eine Erdhexe, die gerade einmal 19 Jahre alt war und die aus ihrer osteuropäischen Heimat vertrieben worden war, weil sie eine Fae, man nannte sie in ihrer Heimat auch Rusalka, liebte.
Das war der Grund, warum sie pünktlich zum Frühlingsbeginn mit Murmeltier-Familiar und Fuchs-Feenrich vor den Toren des Alnwick Gardens gestanden und mir in aller Früh mit ihrem Handy die Stellenanzeige für eine Gärtnerin im Alnwick Garden ins Gesicht geleuchtet hatte.
Als Erdhexe war sie die geborene Besetzung für diesen Job – und es störte sie nicht, dass ich erst kurz zuvor eine andere Hexe mit derselben Affinität in Brennholz verwandelt hatte. Wie konnte ich sie da ablehnen?
Und natürlich würde ich auch niemals einer Hexe die Zuflucht verwehren, die wegen ihrer speziesübergreifenden Beziehung von anderen Coven ausgeschlossen wurde.
»Morgen ist also der große Tag«, sagte Agnieszka, um galant von ihrem Besen abzulenken. »Bist du schon aufgeregt? Du musst doch fürchterlich nervös sein.«
Was ich an Agnieszka schätzte, war, dass sie mich niemals Königin nannte und gnadenlos ehrlich und direkt war. Gleichzeitig behagte mir eben diese gnadenlose Ehrlichkeit in manchen Moment nicht so sehr, denn ich hatte die Gedanken an den nächsten Tag bis gerade eben ganz gut verdrängt …
Die andere Hexe bemerkte mein Unwohlsein, weil keine einzige Silbe einen Weg über meine halbgeöffneten Lippen fand.
»Ist es so schlimm?«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Und irgendwie freue ich mich schon darauf. Lughnasadh macht doch immer Spaß, oder?«
»Ich war immer sehr … müde … vom vielen Trinken.« Sie hüstelte. »Darf Adlon eigentlich auch kommen? Wir waren noch nie gemeinsam auf einem gesegneten Fest.«
Ich nickte. »Schließlich führe ich morgen auch eine Fae in meinen Hexenzirkel ein.«
Und damit würde ich eine eiserne Hexenregel in ihren Grundfesten niederreißen und sie in ein gesegnetes Feuer zum Herbstbeginn werfen.
Echte Aloe
Hexenpolitik wirkte auf den ersten Blick vielleicht einfacher als die der Menschen, aber dem war nicht so. Der größte Unterschied lag lediglich darin, dass eine Hexenkönigin nicht Jahre oder Jahrzehnte, sondern meistens ein paar Jahrhunderte an der Macht war und alles dementsprechend entschleunigt geschah. Die Entscheidungen, die sie traf, waren dafür um so weitreichender und die Gründung eines verlässlichen Covens – umgangssprachlich auch Zirkel genannt – stellte einen wichtigen Schritt in der königlichen Regierungsperiode dar, falls die Königin nicht schon vor ihrer Krönung einen Hexenzirkel gefunden hatte. Mir war die Krone mit gerade einmal 21 in den Schoß gefallen, als sich die ersten meiner ehemaligen Mitschülerinnen in Gruppen zusammenfanden.
In der Regel bestand dieser Zirkel aus anderen Hexen, die die gleichen Ambitionen und Ziele verfolgten und eine wichtige beratende Funktion einnahmen.
Aber es existierten auch besondere Zirkelformationen. So hatte Königin Sibylle mit einer Feuer-, Wasser-, Erd- und Lufthexe einen Elementar-Coven gegründet, der ihre eigenen magischen Kräfte um ein Vielfaches verstärkt haben musste.
Aber: Coven waren zerbrechlich, besonders je größer sie wurden. Sie konnten aufgelöst werden und in der Regel blieb eine Hexe dann bis an ihr Lebensende zirkellos. Mit so einem Bruch ging ein enormer Machtverlust einher, der bei dem königlichen Zirkel natürlich äußerst heikel war.
Kurz gefasst: Man band sich lebenslänglich an den Coven und deshalb sollte die Auswahl der Zirkelmitglieder möglichst mit Bedacht getroffen werden.
Auch ich plante, meine Magick auf diese Art zu stärken – nur würde mein Coven nicht aus Hexen bestehen.
Das lag aber nicht daran, dass ich den anderen Hexen nicht vertraute. Nein. Seit ich Königin geworden war, hatte ich so viele meiner einzigartigen Schwestern näher kennenlernen dürfen: Da war zum Beispiel meine Bibliothekarin Ishita, die Lufthexe, die mir den Bestand meiner eigenen Buchsammlung alphabetisch um drei Uhr morgens aufsagen konnte. Natürlich schätzte ich auch die fleißige Agnieszka, die mir immer ihre Meinung geradeheraus ins Gesicht sagte. Auch Shuilian, eine Hexe aus China, die das Element Wasser beherrschte, hatte meine Sympathien, weil sie mit einer Dämonin liiert war.
Aber die Seelen, mit denen ich mich am verbundensten fühlte, waren keine Hexen.
Ich lächelte sanft.
Wer hätte das gedacht? Jemand wie ich, der stets den einzigen Wunsch in sich trug, ein ruhiges Leben in ihrem Garten führen zu können – ohne sich jemals mit Dämonen oder Fae herumschlagen zu müssen, wollte den ersten Coven mit einem Dämon und einer Fae einweihen. Auch in der Hoffnung, dass viele Hexen es mir gleichtun würden.
Ich hatte mich für diesen außergewöhnlichen Zirkel ziemlich früh nach meiner Krönung an Yule entschieden und ich hielt an dieser Entscheidung nach wie vor fest.
»Lughnasadh läutet das Ende des Sommers ein. An diesem Tag will ich das Abschiednehmen von alten Traditionen feiern«, rechtfertigte ich meine Entscheidung bei der Ankündigung, der eigentlich nur Ishita und Agnieszka beigewohnt hatten. »Ein Abschied muss nichts Schlechtes sein, besonders wenn man schlechte Gewohnheiten oder veraltete Ansichten ablegt. Lasst uns also in einen Herbst der positiven Veränderungen starten, ja?«
»Manchmal höre ich mich echt weise an«, murmelte ich, als ich im Dreck kniete und mit einem geweihten Zweig eine weitere Asche-Rune in den Boden zeichnete.
Ich stand auf, hob eine Hand und die Rune leuchtete unheilvoll Schwarz auf. Mein Blick glitt kurz zur Seite, wo die anderen Schutzzeichen etwas zu deutlich zu sehen waren.
»Elsa Maria? Hilfst du mir mal?«
Der Giftefeu, der die früher so langweilig grauen Gemäuer des Alnwick Castle in ein wunderschönes Grün tauchte, ließ ihre Ranken nach vorne wachsen und bedeckte die verräterischen Anzeichen meines Schutzzaubers.
»Danke schön.« Ich steckte ihr ein selbst gemachtes Düngerstäbchen als Belohnung zu. »Übermorgen verlieren die Runen ihre Wirksamkeit. Bis dahin überwache sie bitte mit all deinen Fasern.«
Morgen durfte nichts schiefgehen.
Und wenn der Tag vorbei war, würde ich endlich einen königlichen Coven besitzen und mit ihm hoffentlich mehr Macht. Womöglich war die Coven-Gründung der Schlüssel, um meine Schattenkräfte endlich voll einsetzen zu können!
Dann konnte ich wirklich zeigen, dass ich die Königinnenkrone aufgrund meiner einzigartigen magischen Kräfte verdiente und nicht allein deswegen, weil ich die alte Herrscherin für ihre Taten umgebracht hatte. Auch, weil niemand mir die Wahrheit über unsere Königin glauben würde …
Völlig erschöpft von den Vorbereitungen gönnte ich mir ein ganzes Blatt der Aloe Vera aus meiner Bento-Box.
Mit der Heilpflanze fertigte ich für den Souvenirshop im Garten seit neuestem auch Gesichtscremes an. Meine Position als Königin und alleinige Verwalterin des Vermögens kam in erster Linie Alnwick Garden zugute – und damit auch indirekt mir.
Das änderte aber nichts daran, dass ich immer noch als Touristenführerin im Poison Garden arbeitete und selbst gemachte Sachen im Shop anbot. Der lockere Zeitplan einer Hexenkönigin machte es mir möglich.
»Hach ja. Aloe Vera. Perfekt, um menschliche Haut jung und geschmeidig zu halten, wenn man den Saft nicht trinkt. Sonst verbringt man seine ewige Jugend auf dem Friedhof«, grinste ich und biss noch einmal herzhaft in das Blatt. »Sooo lecker und erfrischend!«
Ist diese Pflanze wirklich giftig?, fragte mich Elsa Maria. So wie ich?
»Natürlich!« Da ich mir ein Blatt bereits einverleibt hatte, holte ich ein weiteres heraus und zeigte es dem neugierigen Giftsumach. »Diese Pflanze ist zwar am bekanntesten für ihre heilende Wirkung, aber tatsächlich kann man durch den Genuss von zu viel Saft starke Darmblutungen bekommen.«
Interessant. Aber was ist eine Darmblutung?
»Äh. Nichts worüber sich deine Zellen Sorgen machen müssten.«
Damit gab sich Elsa Maria zufrieden.
Ich betrachtete das hellgrüne Pflanzenblatt in meiner Hand.
Zwar war ich nicht als Gifthexe geboren worden, aber durch die jahrelange Einnahme giftiger Stoffe hatte sich irgendwann in meiner Pubertät eine echte Giftaffinität he rausgebildet.
Gift war nun meine Speise der Götter. Selbst eine nur leicht toxische Pflanze wie die Aloe Vera füllte meinen Bauch und versorgte mich mit wichtigen Nährstoffen.
»Gute Nacht, Elsa Maria.« Ich streichelte mit den Fingerspitzen ihre Ranken und Blätter. Menschen und Hexen ohne Giftaffinität hätten durch das Öl einen juckenden Hautausschlag bekommen. »Schlaf gut.«
Bevor sich die Pflanze zur Ruhe legte, öffnete sie mit ihren Ranken die Eingangstore von Alnwick Castle. Das Schloss begrüßte mich – wie gewohnt um diese Zeit – unheimlich still. Die meisten Angestellten hatte ich noch von der vorherigen Königin übernommen, da es mich davor graute, Menschen anzustellen und ihre Verschwiegenheit über Hexen mit Dämonenpakten zu garantieren. Es fehlte an allen Ecken und Enden an Personal, seit Walpurga zu einem natürlichen Schattenspender mutiert war.
Selbst Blake war arbeiten – oder auf Nahrungssuche – und ich versuchte nicht zu oft daran zu denken, da ich beide Optionen nicht sonderlich prickelnd fand. Entweder lockte er Menschen in einen Pakt oder er tat das, was aus dieser Situation entstand: Er fraß gerade Herzen, während er seine Gier nach dem menschlichen Organ als Bestattungsunternehmen im Nachbardorf tarnte.
Apropos Hausdämon …
Statt meines Verlobten aus der wortwörtlichen Hölle begrüßte mich in der Eingangshalle ein Stapel Pakete, den die menschliche Angestellte Estella ganz allein und ohne magische Kräfte hereingetragen haben musste.
Der Großteil der Pakete war auf den ersten Blick an Blake adressiert. Natürlich. Er war der Dämon der Habgier – oder: Das idiotische Höllenwesen, das seinen Sammeltick mit seiner Todsünde rechtfertigte. Er kaufte Dinge im Internet ein, um sie dann gewinnbringend weiterzuverkaufen.
Blöderweise war ich leicht bestechlich. Mit einem neuen teuren schwarzen Spitzenkleid und eiskalten Küssen auf den Hals konnte er sehr gut von seinem Kaufwahn ablenken.
Ein Paket war jedoch an mich adressiert und da es sehr leicht war, wusste ich sofort, was sich darin befand. Ich klemmte es mir unter den Arm und marschierte geradewegs in das ehemalige Königinnengemach, das ich etwas umgestaltet hatte.
»Ist in meiner Abwesenheit etwas vorgefallen, Atropos?«, fragte ich die goldene Schlange, die sich auf ihrer Seite des Zimmers rekelte.
Nö.
Mit ihrer Schwanzspitze drehte sie den Temperaturregler des Thermostats noch weiter hoch.
Dabei war Atropos nicht so kälteempfindlich wie eine normale Schlange. Im Winter war sie sogar fleißig auf Rebhühner-Jagd im Schnee aufgebrochen, während ich schon allein vom Zuschauen gefroren hatte – und das, obwohl ich mit einer Tasse heißer Schokolade nur vom Schlossfenster zusehen musste.
Ich mochte Schnee nicht – oder die Kälte.
»Und wie war dein Tag sonst so?«
Träge hob die goldene Schlange den Kopf und züngelte anklagend in meine Richtung. Langweilig. Absolut fürchterlich monoton.
»Du musst wirklich nicht schmollen. Ich kann dich nicht mit zur Arbeit nehmen, wenn du bei der erstbesten Gelegenheit ausbüxt und dich im Garten herumtreibst.«
Ich hatte Glück, dass eine Hexe namens Djannah nun bei der lokalen Zeitung arbeitete und seltsame Geschehnisse wie riesige Motten um Alnwick Castle und eine goldene Schlange im dazugehörigen Garten als Zeitungsenten oder Pranks der Jugendlichen deklarierte.
Ausbüxt? Ich bin doch kein wildes Tier, sondern ein stolzer Hexen-Familiar!
Ich öffnete das Paket. »Dann brauchst du also keine Einstreu vom Tierfachhandel?«
Atropos glitt von ihrem Baumstumpf, der absolut kein Tierzubehör war.
Sie ist weich und eignet sich perfekt zum Graben.
Mit einem Lächeln schüttelte ich die riesige Packung Nadelholzflocken in ein Glas-Terrarium.
Bevor die letzten Flocken zu Boden segelten, hielt ich kurz in meiner Bewegung inne.
»Willst du mir heute vielleicht verraten, warum du den Geist der alten Königin verschlungen hast?«
Eine Frage, die ich ihr jeden Tag stellte, seit ich die Erinnerungen meines Schattens zurückerlangt hatte. Mein Familiar war an Samhain auf die Größe eines Einfamilienhauses angewachsen und hatte Königin Sibylle verschlungen, als wäre sie nur eine unbedeutende Maus.
Ich konnte es immer noch nicht ganz begreifen: Meine Vorgängerin war tot und ihre Seele vermutlich für immer ausradiert – wegen eines Familiars!
Hunger.
»Ach! Und du dachtest, eine Seele wäre ein angemessener Snack?«
Sie sind sehr kalorienarm und leicht verdaulich.
Ich fuhr herum. »Was hast du getan, Atropos? Nicht einmal ich könnte eine Seele auslöschen!«
Das weißt du nicht.
Sie schlängelte zu meinen Füßen und blickte mir direkt in die Augen.
Ein begabter Familiar für eine begabte Hexenkönigin, versuchte Atropos eine Charme-Offensive zu starten. Eine Hexe mit zwei Affinitäten und der bestaussehende Familiar der Welt.
»Du willst also ein Geheimnis vor deiner Hexe haben? Ist dir Ehrlichkeit nicht wichtig?«
Und warum hast du deinem geliebten Dämon noch nicht gesagt, dass eine machtwahnsinnige Hexe mit Lichtaffinität dich töten will?
Bei der Anspielung auf Anastasia überzog eine hartnäckige Gänsehaut meine Arme. In meiner Naivität hatte ich die Hexe für eine Freundin gehalten – oder zumindest für eine treue Unterstützerin, bis sie mich töten wollte, um selbst zur nächsten Hexenkönigin zu werden.
»Ich … Ich will Blake doch nur schützen! Er … Am Ende begibt er sich für mich noch in Gefahr. Das will ich nicht.«
Blake war zwar untot, aber selbst Wesen ohne Herzschlag und Puls konnten sterben. Der Knochendolch, welcher sich in meinem Besitz befand, war in der Lage, alles und jeden zu töten. Ich hatte leider noch keine Möglichkeit gefunden, ihn zu vernichten und damit eine große Gefahrenquelle für Blake aus dem Weg zu räumen.
Vielleicht will ich dich auch nicht in Gefahr bringen. Atropos schlüpfte in das Glas-Terrarium. Im Schein der elektronischen Lampen glänzten ihre goldenen Schuppen wie Honigsirup mit Glitzerpartikeln. Irgendwann erzähle ich es dir.
Die Sache mit Königin Sibylles Geist war jedoch schon längst vergessen.
»Meinst du, ich soll es Blake doch sagen? Anastasia könnte uns morgen angreifen. Ich glaube kaum, dass meine Runen sie aufhalten.«
Die Vergiftung ist nun schon ein halbes Jahr her. Es kann gut sein, dass sie wieder zu Kräften gekommen ist. Aber du hast doch den Dämon und die Fae.
»Ich kann aber nicht immer hoffen, dass Blake mir wie bei der Wilden Jagd aus der Misere hilft. Ich bin die Hexenkönigin. Ich soll die Hexen beschützen und gleichzeitig dafür sorgen, dass meinesgleichen nicht grundlos Dämonen oder Fae attackieren. Wenn ich das nicht kann, dann …«
Der Kloß, der in meinem Hals anwuchs, raubte mir die Kraft, den Satz zu beenden. Wie die Göttin angemerkt hatte, war ich viel zu jung Königin geworden und die Geschehnisse der letzten Monate hielten mir immer wieder vor Augen, dass ich mit der Krone überfordert war.
Und meine Wenigkeit hegte dann gleich die Ambition, Hexen, Dämonen und Fae zu vereinen. Etwas, das keiner Hexenkönigin vor mir gelungen war. Nicht einmal der legendären Königin Medea, die alten Schriften zufolge eindeutig die Mutter von Faekönig Oberon und Faekönigin Mab war.
Als mein Familiar die Stille bemerkte, schlängelte sie sich gewandt an mir hoch. Sie war eins der wenigen Wesen, deren Körperwärme mich trösten konnte, und so schmiegte sie ihren Kopf an meine Wange.
Ich kann dir nicht sagen, was in der Nacht geschehen ist, aber ich bin nach wie vor dein Familiar – und ich würde nie etwas tun, das dir schadet.
»Ich weiß …«
Aber ich hatte die Nase voll davon, dass man mir dauernd Dinge vorenthielt. Da war Atropos nicht besser als Walpurga und Königin Sibylle – oder sogar Blake …
»Ich gehe noch kurz in den Thronsaal, kommst du mit?«
Atropos ließ sich beinahe von meinen Schultern in ihr Nest fallen.
Ich bin so erschöpft.
Theatralisch kippte ihr Schädel zur Seite und sie streckte ihre pinke Zunge raus.
»Vom Nichtstun?«
Ja.
»Dann bis später.«
Tatsächlich hatte ich darauf gehofft, dass Atropos sich auf die faule Schlangenhaut legte und ich ein paar ungestörte Minuten im Thronraum verbringen konnte. Königin Belladonna! Königin der Gifte!, erklang es von allen Seiten.
Der Thronraum in Alnwick Castle war so in alte und reine Magick getränkt, dass dort seit meiner Ernennung zur Königin zahlreiche Giftpflanzen blühten. Wenn keine Festivitäten im Raum stattfanden, wucherten sie wie ein tödlich-betörendes Blumenfeld wild umher. Der Geruch, den sie ausströmten, war süßlich und verführerisch und diente nur dazu, ahnungslose Opfer anzulocken. Im Schloss gab es weder Mäuse, Ratten noch nervige Fliegen oder Mücken.
Die Gewächse überschütteten mich mit ihrer Liebe – alle bis auf eines: Ein riesiger Laubbaum mit heller Rinde und saftigen grünen Blättern, den man aber keiner genauen Unterart zuordnen konnte.
»Hallo Walpurga«, begrüßte ich die frühere Erdhexe. »Alles fest verwurzelt?«
Baum-Walpurga ignorierte mich.
Seufzend nahm ich die Gartenschere von meinem Thron.
»Morgen ist meine Zirkelweihe«, sagte ich zu Walpurga und stutze dabei ein paar ihrer verdorrten Äste. »Und … Vielleicht willst du ihr beiwohnen? Das ist eine Einladung – von der Hexenkönigin höchstpersönlich.«
Der Baum gab mir keine Antwort. Kein Wispern oder Flüstern, wie ich es von meinen Giftpflanzen oder anderen Gewächsen gewöhnt war. Nur … Stille.
Einzig und allein Faust – Walpurgas Echsen-Familiar – wies darauf hin, dass die Erdhexe noch am Leben war. Er linste skeptisch aus einem Astloch heraus.
Ich legte eine Hand auf die Rinde und kippte den Kopf zur Seite.
»Du hast dir wirklich Sorgen um mich gemacht, oder Walpurga? Du warst streng zu mir, aber nur, weil du gesehen hast, was die Krone aus Königin Sibylle gemacht hat. Du wolltest nur das Beste für mich.«
Nichts.
»Du musst dich nicht dafür schämen, dass Anastasia dich manipuliert hat. Sie hat mich auch hinters Licht geführt.«
Wobei man sagen musste, dass Walpurga jahrzehntelang mit Anastasia im königlichen Zirkel zusammengearbeitet und sie durchaus deutliche Signale gesendet hatte.
»Ich hätte hellhörig werden müssen, als du dich Anastasia gegenüber kalt verhalten hast. Aber ich dachte, dass du sie einfach nicht magst.«
Ich dachte, dass Walpurga einfach niemanden mag und man das daher nicht persönlich nehmen sollte. Wie hätte ich ahnen sollen, dass Anastasia total durchgeknallt war?
Baum-Walpurga schüttelte nicht einmal zustimmend einen ihrer Äste.
Vielleicht musste ich etwas härtere Töne anschlagen.
»Ich kann dir zwar nie verzeihen, aber ich würde mich gerne mit dir aussprechen. Ich weiß, dass du mich nicht töten wolltest. Zumindest nicht wortwörtlich. Ich glaube, wegen der Beziehung zu Blake wolltest du mir durchaus die Gurgel umdrehen.« Bei der Erinnerung schnaubte ich. »Ich kann es ein klein wenig nachvollziehen, aber wie du sicher bemerkt hast, bleibt Blake an meiner Seite. Ab morgen gehört er in meinen Zirkel – und nein, es ist keine schlechte Idee, meinen Liebhaber in den königlichen Zirkel aufzunehmen. Ich erinnere dich daran, dass Königin Aaranys Harem zeitgleich ihr Zirkel war. Ishita hat mir dies mehrfach mit Textstellen bestätigt.«
Ich stand auf.
»Ich hätte dich morgen einfach gerne dabei, ja? Damit du siehst, was aus mir geworden ist.«
Noch ein letztes Mal wandte ich mich an den Baum im Saal und sagte mit eiskalter Stimme: »Du hast Blattläuse.«
Erneut keine Reaktion.
Resigniert beschloss ich, es für heute sein zu lassen. Morgen war der große Tag – und zusätzlich waren Führungen bis in den späten Nachmittag geplant. Zudem sah es nicht so aus, als würde Walpurga noch in diesem Jahrhundert die Rinde ablegen wollen.
Es war doch vollkommen egal, wenn sie den Feierlichkeiten fernblieb. Die Absagen-Vase war zwar voll mit Briefen, aber es gab zumindest eine Handvoll Hexen, die morgen Lughnasadh mit mir feiern wollten.
Womöglich sah ich in Walpurga eine Mutterfigur und wollte deshalb so sehr, dass ihre Gefühle für mich nicht nur vorgespielt waren.
Ich klatschte mir beide Hände ins Gesicht. »Du bist erbärmlich, Belladonna.«
Ich kehrte dem Thronsaal den Rücken. Schon beim Verlassen verspürte ich ein seltsames Gefühl in meiner Brust. Die Präsenz bemerkte ich allerdings erst, als ich den Gang mit den Bildern meiner Vorgängerinnen entlangschritt.
Mein Herzschlag beschleunigte sich und schärfte dabei praktischerweise meine Sinne. Ich nahm einen leicht süßlichen Geruch wahr, während an meine Ohren keinerlei verdächtige Geräusche drangen.
Aber da befand sich jemand hinter meinem Rücken.
Ich spürte die kalten Klauen schon nahe an meinem Hals. Die Kreatur war direkt hinter mir und wartete nur darauf, dass ich mich ahnungslos zu ihr drehte.
Ich ließ mich in meinen Schatten fallen, um hinter der dunklen Gestalt aufzutauchen. Dieser kleine Trick war sehr effektiv, um mein Gegenüber zu verwirren. Die Hand auf seine Brust gelegt, drängte ich ihn gegen die Schlossmauer.
Das Gift in meinen Blutbahnen brodelte gefährlich. Es war absolut tödlich – außer für ein Wesen, welches bereits tot und kalt war.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und sprang der Dunkelheit fast wortwörtlich an die Kehle. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht drückte ich meine Lippen auf die des Dämons.
Seine Hand streifte an der Seite über meine Brüste und blieb dann an meiner Hüfte liegen.
Mit seiner seidig-weichen Stimme säuselte der Untote: »Guten Abend, meine dunkle Königin.«
Phytolacca
Das Grinsen des Dämons spiegelte sich in meinen Gesichtszügen wider. »Guten Abend, mein höllischer Verlobter.«
Ich kam noch näher. So nahe, dass keine Efeuranke und kein Blatt mehr zwischen unsere Körper gepasst hätte. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und legte mein linkes Ohr an seine Brust. Rein gar nichts war zu hören: kein Atemgeräusch. Kein Herzschlag.
Nur die Stille, die so herrlich beruhigend wirkte, dass ich für einen kurzen Moment innehalten und abschalten konnte.
Zu Beginn unseres Kennenlernens hatte ich gedacht, dass Blake und ich grundverschieden seien. Er war schließlich ein verfluchter Dämon und ich eine gesegnete Hexe – aber dem war nicht so: Ich war in erster Linie eine Gifthexe und stand damit der Erdaffinität sehr nahe. Die Gewächse – das Leben in reiner Form – gehorchten mir, aber sie waren allesamt giftig und somit todbringend.
Blake war ein Lichdämon. Er war zwar untot und wusste nicht wie sich leben anfühlte, aber er konnte im Austausch für eine menschliche Seele das irdische Dasein einer Person verlängern.
Wir beide waren also eng mit dem Tod und Leben verbunden.
Eine knöcherne Hand schob sich über meinen Rücken. Manchmal spürte ich seine dämonische Form, die seine menschliche Haut durchbrechen wollte. »Alles gut, Cherry?«
»Bin nur erschöpft«, nuschelte ich gegen seine stille Brust.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich dir helfen kann.«
»Ich bin nicht nur Hexenkönigin, sondern auch das Zirkeloberhaupt. Man erwartet von mir, dass ich die Vorbereitungen für die Zirkelweihe allein treffe.«
Die Schutzrunen um das Schloss verheimlichte ich Blake. Er war schon besorgt, wenn ich müde war und angeschlagen wirkte – nicht auszudenken, wie er sich verhalten würde, wenn er von Anastasias Mordabsichten erfuhr.
»So wie man von dir erwartet hat, dass du dich mit einem Dämonenprinzen verlobst?«
»Ich erinnere dich daran, dass du mir den Ring aufgezwungen hast.« Ich hielt ihm den wunderschönen – aber trotzdem aufgezwungenen – Verlobungsring unter die Nase. »Das ist deine Schuld.«
»Nun …« Er legte seine Finger um das goldene Metall. Der grüne Stein erinnerte mich an meine Giftpflanzen. »Du kannst den Ring jederzeit ablegen und die Verlobung beenden. Du allein bestimmst, wie lange du unseren Pakt aufrechterhalten willst.«
Das entsprach der Wahrheit. Nachdem ich mir meiner romantischen Gefühle für Blake bewusst und mir sicher war, dass der Dämon ähnlich fühlte, hatte ich das eine Schlupfloch im Vertrag gefunden: Durch die Verlängerung auf meinen Wunsch hin konnte ich nun die Dauer des Höllenpaktes frei bestimmen. Es war mir möglich, einen kleinen Sieg zu erringen – wenn man außer Acht ließ, dass die Vereinbarung nach etwas mehr als sechs Monaten sowieso hinfällig gewesen wäre.
Und wenn ich ein bisschen mehr wie diese weise Königin, die ich gerne für mein Volk sein möchte, diesen Pakt studiert hätte, wäre mir vielleicht aufgefallen, dass sein Anliegen ziemlich inhaltslos war: Er beinhaltete nur, dass Blake mein Verlobter war. Mehr nicht. Er gewann absolut keine Vorteile durch den dämonischen Vertrag – außer, dass er mir höllisch auf die Nerven gegangen war, als er sich überall als mein Verlobter vorstellen wollte.
Ich machte einen Schritt zurück und drehte am Ring. Die dunklen Augen des Dämons weiteten sich kaum merkbar, aber mir fiel es natürlich sofort auf.
Blake hatte die Verlobung von Anfang an mehr bedeutet als mir.
Wir Hexen heirateten nur selten, aber auch die traditionellen Handfastings waren dünn gesät. Hexen hielten nicht viel von diesem Bund fürs Leben, denn entweder blieb man für immer zusammen oder eben nicht. Wenn man nicht mehr miteinander auskam, dann trennte man sich und zog – auch mal mit schlimmem Herzschmerz – weiter. Da sprach ich leider aus eigener Erfahrung.
»Vielleicht mache ich das noch, wenn du so spät ins Schloss zurückkommst und auch noch die Frechheit besitzt, dein Fehlverhalten nicht mit Kuchen zu entschuldigen.«
»Heute war schon alles ausverkauft.«
»Warst du etwa in Denwick?«, konnte ich meine Neugier dann doch nicht zügeln.
Ich hatte nicht schlecht gestaunt, als Blake mir offenbarte, dass er einen Nachnamen besaß: Avaritia, lateinisch für Habgier. Und das war nicht alles, denn er enthüllte mir im selben Atemzug, dass er im Nachbardorf Denwick ein Bestattungsunternehmen unter eben jenem Namen führte.
Es ergab schon Sinn, da Dämonen sich von Menschenseelen ernährten und gleichzeitig unter ihnen leben mussten, damit sie Pakte schließen konnten, um eben jene Seelen zu erhalten.
Als Dämon der Habgier hätte ein Spielcasino aber besser zum ihm gepasst.
»Habgier ist nur eine Nuance meiner Todsünde, die die Menschen herausgepickt haben, um uns Dämonen noch schlechter und sich besser dastehen zu lassen. Dadurch konnten sie gewisse Dinge Sakrileg nennen und sie einfach verbieten, weil sie ihnen nicht gefallen haben«, hatte der Dämon mir erklärt. Bei den Dämonen der Wollust war es ähnlich. »Zudem ist das Spiel mit meinen Münzen die beste Wette – für mich zumindest. Wenn ein Mensch um Leben oder Tod pokert, gibt es nur Verlierer. Kein Mensch kann ewig leben.«
»Ja«, gab der Dämon zu und richtete sich die blutrote Krawatte, die ich wohl einen Millimeter verrückt haben musste, als ich mich freudig an seine Brust geschmissen hatte. »Ich musste Kondolenzschreiben prüfen, Blumenkränze bestellen …«
Die er nicht von mir anfertigen ließ, weil seine Verlobte vielleicht »aus Versehen« Giftpflanzen einweben konnte. Na und? Er führte ein Bestattungsunternehmen. Dann lief der Laden noch besser!
»Die veganen Gummibärchen in Sargform auffüllen.«
Blake verdrehte die Augen entnervt. »Ich habe es dir schon einmal gesagt: Es gibt keine Gummibärchen in Sargform. Das ist ein Beerdigungsinstitut und kein Kinderrestaurant.«
Ich schob die Unterlippe vor. »Das sagst du nur, weil du weißt, dass ich dann täglich im Unternehmen auftauchen und den Weingummi aufessen würde.«
Das Geseufze des Dämons drang sicher noch bis in die tiefsten Zirkel der Unterwelt vor.
»Ich habe dir gesagt, dass ich dich damit aufziehen werde«, merkte ich mit Zuckerstimme an. »Du bist ein alter Leichenfledderer.«
»Und du ein teuflisches Hexchen.«
Kurz lächelte ich – dann senkte ich den Kopf. »Und ich nehme an, dass dies auch bedeutet, dass du ein Herz gegessen hast.«
Die knöcherne Bestie, die unter Blakes makelloser menschlicher Haut schlummerte, blitzte in diesem Moment überdeutlich hervor. Zwar hatte ich im letzten Jahr gelernt, dass Dämonen nicht grundsätzlich durchtrieben und sadistisch waren, aber eines aus meiner Akademiezeit stimmte: Dämonen sahen in ihrer wahren Gestalt monströs aus. Absolut grotesk. Dämonisch. Höllisch. Ein Anblick, der einem bis ans Lebensende Albträume bescheren konnte.
Angeblich.
Blake vermied tunlichst, mehr als nur einen Hauch dieser untoten Bestie zu zeigen. Ich vermutete, dass es unhöflich war, ihn zu fragen, sich für mich in diese Form zu verwandeln, weshalb ich meinen Mund hielt.
Zögernd sagte er: »Ja. Aber Cherry, hör mir zu …«
Unwillkürlich drängte sich vor meinem inneren Auge ein grauenhaftes Bild auf: Eine menschliche Leiche lag aufgeschnitten auf einem Seziertisch und dort, wo sich das Herz befinden sollte, klaffte ein riesiges Loch.
Dieser Mensch würde Jahrzehnte oder Jahrhunderte im Fegefeuer der Hölle verbringen – und warum? Weil er länger leben wollte. Im Anbetracht der kurzen Lebensspanne und der fragilen Natur der Menschen war es eine nachvollziehbare Gier nach Leben.
Mein Magen rebellierte ein wenig, als ich eine Hand in seinen Nacken legte und den Lichdämonen für einen Kuss heranzog. Nein. Es war eine Reihe von Küssen. Sanft und liebevoll.
Blake hatte mir von Anfang an deutlich gesagt und auch gezeigt, was ich bekommen würde, wenn ich mich für ihn entschied: einen Herzen fressenden Dämon direkt aus der Hölle.
»Es ist okay«, sicherte ich ihm zu. »Ich habe es dir noch nie direkt gesagt, aber: Es ist okay.«
»Cherry«, hauchte er ganz nah an meine Lippen.
Blake wollte mich küssen, aber er erwischte nur Luft. Mit einem schiefen Grinsen und die Hände in die Hüfte gestemmt stand ich hinter ihm. »Du bist zu langsam.«
»Ach ja?«
Bevor ich reagieren konnte, packte mich der Dämon an der Hand und wirbelte mich zurück in seine Arme. In seinen leblosen Augen lag ein ganz besonderer Glanz, den nur ich hervorlocken konnte. »Wie lautet dieser alberne Kinderreim noch mal? Lauf weg, Hexlein, lauf?«
Ein Seitenblick verriet mir, dass wir inzwischen vor den Flügeltüren des neuen königlichen Schlafgemachs standen. Nicht, dass es mich überraschte, worauf das Ganze hier hinauslief.
Ich war in Blake verliebt. Ich liebte den Dämon aus der Hölle.
Aber das hielt mich nicht davon ab, immer noch gegen ihn zu kämpfen …
»Renn vorm Dämon davon …«, endete ich mit ruhiger Stimme, die Blake in falscher Sicherheit wiegen sollte. »Cecil, willst du mir mal helfen?«
»Wer ist denn Ce–«
Wer ist denn Cecil?, wollte der Dämon fragen, doch der Zweig der Kermesbeere hatte ihn schon am Knöchel gepackt und halb durch den Flur geworfen.
Ich schlug die Hände vor dem Mund zusammen, als ich mit anhören musste, wie seine Knochen am Mamorstein des Gebäudes zerbarsten. Abermals. Und erneut war das nicht meine Absicht gewesen. Wirklich nicht!
Allein das Geräusch von Knochen, die durch die dunkle Magick der Hölle wieder zusammenwuschen, war genug, dass sich mir der Magen so stark umdrehte, dass ich mich fast übergab.
Blake war zwar untot und unsterblich – aber dafür war sein menschlicher Körper sehr fragil. Er war nicht robuster als ein normaler Mensch, selbst mein Hexenkörper war vor Verletzungen besser gefeit.
Sobald ich nicht mehr das Bedürfnis verspürte, mein giftiges Gurkensandwich von der Mittagspause hochzuwürgen, war es höchste Zeit, die neueste Giftpflanze in meiner Gefolgschaft zurechtzuweisen.
»Cecil!«, schimpfte ich mit der Pflanze und fuhr auf der Stelle zu ihr herum. »Ich meinte eigentlich, dass du ihm lediglich die Füße wegziehen solltest. Du hast sein Rückgrat zerschmettert!«
Nicht gut?
»Nein, das ist gar nicht gut. Ich meine …« Ich wurde etwas leiser. »Bei Blake ist es … okay. Der ist schon tot, aber morgen kommen sehr viele Hexen ans Schloss. Und die Touristen erst! Mach das nie wieder, ja?«
Aber es macht Spaß.
»Mir machen auch ein paar Dinge Spaß, die moralisch gesehen dunkelgrau bis schwarz sind, aber siehst du mich herumrennen und Leute vergiften, die sagen, dass ich mich nur so sexy anziehe, um Trinkgeld einzustreichen?«
Der Baum ließ die schwarzen Beeren betrübt hängen.
»Geh schlafen, ja?«, schlug ich etwas versöhnlichere Töne an. »Ich weiß, dass du keine bösen Absichten hegst.«
Kaum hatte sich das letzte ihrer hellgrünen Blätter in den Boden zurückgezogen, legten sich zwei Arme fest um meinen Körper. Sein Daumen streichelte über meine Halsschlagader. Fühlte den Puls, den er nicht besaß. »Der Sohn der Gier, steht hinter dir.« Besagter Dämon aus dem Kinderreim seufzte. »Ich dachte, wir hätten es hinter uns gelassen, dass du mich töten willst?«
»Ich hatte nie die Absicht, dich zu töten«, verteidigte ich mich. »Ich wollte dich immer nur auf Abstand halten – notfalls mit ein bisschen Gewalt.«
»Ah. ›Ein bisschen Gewalt‹ nennst du das, wenn du mein Rückgrat wie ein Streichholz in zwei Hälften brichst? Ah, du bist wahrlich mein teuflisches Hexchen.«
Obwohl Schalk und Spott in seiner Stimme lagen, lösten seine Worte Gewissensbisse in mir aus. Allein dass ich Cecil gesagt hatte, es sei in Ordnung, den Dämon zu verletzen, zeigte, dass ich noch viel zu tief in den alten Gedankenmustern der Hexen feststeckte.
Um auf ein anderes Thema umzulenken, löste sich der Dämon in Rauch auf. Die Flügeltüren des Schlafzimmers wurden von einer unsichtbaren Kraft aufgestoßen und ich trat seufzend hindurch.
»Gut, dieses Mal hast du gewonnen – aus reinem Mitleid, versteht sich. Die Königin der Hexen verliert nie einen Kampf.«
»Grausame Königin«, flüsterte Blakes körperlose Stimme nahe meinem Ohr.
In dem Moment, als sich der Dämon materialisierte und damit kurz unvorsichtig war, sammelte ich all meine Kraft und stürzte mich auf ihn. Wir landeten in unserem gemeinsamen Bett, welches durch den Aufprall unserer Körper schwer ächzte.
Mit meinen Beinen fixierte ich seinen Unterleib und drückte ihm meine Klinge aus Schatten an den Hals.
Blake war untot. Nicht einmal ein Pflock durchs Herz konnte ihn töten, da der Muskel in seiner Brust ohnehin keinen Schlag tat. Ganz zu schweigen von meiner Schattenklinge, die stumpf wie ein Buttermesser war.
»Willst du aufgeben?«, fragte ich.
Der Dämon grinste. »Ich kann meiner dunklen Königin den Sieg nicht verwehren.«
Dass Blakes Kräfte den meinen überlegen waren, zeigte er, als er meinen Körper mit übernatürlicher Leichtigkeit auf den Rücken drehte.
»Wann hast du dich eigentlich ausgezogen?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Irgendwann, als ich in den Schatten war.«
»Deine Schattenmagie ist unglaublich«, murmelte Blake an meiner erhitzten Haut. »Ich kann nicht einmal mehr dein Herz schlagen hören, wenn du in die Dunkelheit tauchst.«
Das sagte er nur, weil die Lust seine Sinne vernebelte, als er sein Gesicht zwischen meinen Brüsten vergrub und die zarte Haut abwechselnd mit Küssen und neckischen Bissen bedeckte.
Meine Schattenmagie war unterentwickelt – und ich hatte seit einem Jahr keine nennenswerten Fortschritte erzielt.
Am Anfang war ich noch optimistisch gewesen: Bei einem Kampf gegen Anastasia trickste ich sie mit meinem Duplikat aus Dunkelheit aus – aber es stellte sich bald heraus, dass dies nur dem Adrenalin geschuldet war.
Als erwachsene Hexe im Vollbesitz ihrer Kräfte sollte ich zu mehr imstande sein, als in die Finsternis abtauchen zu können oder sie als zusätzliche Arme zu benutzen.
Ganz zu schweigen, dass ich, wenn ich den Kopf nicht absolut frei hatte, gegen eine Wand lief oder im Boden stecken blieb wie ein drittklassiger Poltergeist.
Zwar wusste ich nicht, was genau die Kräfte einer Schattenhexe waren, dafür gab es zu wenig Aufzeichnungen über unsere erste Königin Lilith, die einzige andere Schattenhexe, aber irgendetwas in meinem Inneren sagte mir, dass ich immer noch nicht … ganz war. Zweifelsohne gehörte mir die Krone der Hexenkönigin, weil ich meine Vorgängerin abgelöst hatte, aber etwas war noch nicht so, wie es sein sollte. Ich konnte es nicht in Worte, ja nicht einmal in Gedanken fassen.
Mit solchen Kräften würde man mir an der Hexenakademie nahelegen, ein zusätzliches Jahr zu bleiben, um meine Affinität noch näher kennenzulernen.