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Dieser Band sammelt Dieter Fortes Hör- und Fernsehspiele in einer Auswahl und mit einem Kommentar des Autors, angereichert mit Material zur Entstehungsgeschichte und Einordnung. Fortes Fernsehspiele fanden ein Millionenpublikum, seine Hörspiele wurden mit Preisen ausgezeichnet. Sie erzählen mit Trauer und Anteilnahme, mit furiosem Zorn und beißender Ironie von den Zumutungen einer Gesellschaft, die sich bereitwillig den Vorgaben der Wirtschaft unterwirft – und zulässt, dass der freie Markt das ganze Leben regiert: »Armut und Krankheit sind nur geistige Fehlhaltung, Misserfolge nur Zwischenstationen auf dem Weg zum Erfolg«, sei es im Beruflichen oder Privaten. Heute, nach Finanzkrise und Börsencrashs, Globalisierung und den Glücksverheißungen der Informationsgesellschaft erscheinen Fortes bitterböse Satiren und Gesellschaftsdramen prophetisch – und so aktuell wie nie zuvor.
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Seitenzahl: 248
Dieter Forte
Der Schein der Wahrheit
Hör- und Fernsehspiele in einer Auswahl des Autors
FISCHER E-Books
Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift.
Hiob
Die Sprache bildet unsere Gefühle, unser Denken, unsere Geschichten. Sie ist unsere Welt in ihren Worten und Bildern. Im Ursprung waren Wort und Bild eins in den Hieroglyphen und Bildzeichen. In den Handschriften und Wiegendrucken illustrierten die Bilder die Worte, ihre Geschichten ergänzten sich. Später trennten sich Bild und Wort. Die Zeichnungen und Gemälde der Maler und die Sprache der Chronisten erschufen eigene Geschichten. Sie arbeiteten mit ihren Mitteln und auf ihre Weise und gewannen so ihre eigene Perspektive, ihre eigene Wahrheit.
Ein Medium wie der Rundfunk kehrte in seinen Funktexten zu den Urformen des Erzählens zurück, zu den Sprachbildern der frühen Erzähler im Bazar oder auf der Agora, die Sprache evozierte Bilder im Kopf der Zuhörenden. Die Märchen und Mythen und Sagen fanden eine neue Form, ein breiteres Publikum, das intensiver zuhören musste, da es den Erzähler nicht mehr sah, nur noch Stimmen vernahm. Das Medium Film fügte die getrennten Bilder und Worte wieder zusammen zu einer neuen Bildsprache, die ihre eigene Welt erschuf, aus der neuen Form des Drehbuchs, das die Bilder und Worte als eine Komposition erschuf, ein Kaleidoskop der Gleichzeitigkeit und des Nacheinanders in einer durchgehenden Bewegung.
Die folgenden Texte sind der Versuch eines Autors, von den Sprachbildern und der Bildsprache ausgehend, eigene Erzählformen für das jeweilige Medium zu finden, dabei das Medium reflektierend und immer mit einbeziehend. Deshalb auch das Nacheinander der sonst getrennt präsentierten Hörspiele und Fernsehspiele. Sie sind formal eng verbunden, Überschneidungen und Verbindungen sind beabsichtigt. Was erzählt ein Bild? Was erzählt ein Wort? Wie entstehen die Geschichten in den Medien? Natürlich sind es am Ende virtuelle Produkte: Licht, Kameras, Mikrophone, Mischpulte, Schneidetische, Tonstudios, Filmateliers, schalltote Räume, Blenden, Schnitte, Fahrten kommen hinzu. Trotzdem: Es war der Versuch, die Sprache auch in den Medien wieder zum Maßstab zu machen in einer Welt gedankenloser Worte und bewusstloser Bilder.
Das Hörspiel Die Wand wurde zuerst 1965 vom Westdeutschen Rundfunk gesendet. Regie hatte Friedhelm Ortmann, die Hauptrolle sprach Helmut Griem.
Ein monologisches Erzählen: Die Stimme eines jungen Mannes, der das Vordringen einer technisierten Welt beschreibt, die den Einzelnen immer mehr einengt und ihn nur noch in seiner Funktion nimmt. Gezeigt wird der Alltag eines jungen Mannes in einer Umwelt, die technisch bereits so perfektioniert ist, dass ein Gespräch zwischen Menschen nicht mehr zustande kommt. Diese sterile und fehlerlose Apparatur, die nur noch auf einen Knopfdruck reagiert, die Sprache unnötig macht – oder zumindest auf Formeln reduziert –, wird sich weiter ausdehnen. Werden wir uns von ihr einengen und erdrücken lassen? Werden wir – zur Vergewisserung unseres eigenen Ichs – Sprache als Gegenwehr benutzen?
Professor Alphons Silbermann schrieb in der Neuen Zürcher Zeitung: »Hier wird mit einer Härte sondergleichen demonstriert, wie einsam der Mensch sein kann, wie verloren und hilflos trotz all der Errungenschaften, die uns das Zeitalter der fortgeschrittenen Industriegesellschaft beschert hat.«
Dieter Forte
Ein Hörspiel
Schritte, die sehr langsam einen Flur entlanggehen / Die Stimme eines jungen Mannes summt leise einen Schlager
Die Schritte bleiben stehen / Ein Schlüsselbund klirrt / Eine Tür wird aufgeschlossen
Die Schritte gehen in eine Wohnung / Die Tür fällt zu
Der junge Mann summt noch ein paar Melodiefetzen und stellt dabei einige Konservenbüchsen hart auf einen Tisch
JUNGER MANN
Soll’s mal etwas Gutes sein, nimm die Marke Ernofein. – Naja denn. Wird ’n netter Fraß werden.
Geräusch eines Büchsenöffners / Die Dose schlägt um
Verdammt nochmal. Alles hamse für ihre Feinkostfreunde, aber dass se mal gescheite Büchsenöffner erfinden. Mist, elender. – Erst mal einen trinken.
Eine Kühlschranktür wird geöffnet und klappt wieder zu / Eine Flasche wird entkorkt / Ein Glas vollgegossen und ausgetrunken
Ah. Schon besser.
Schritte / Ein Sessel knarrt / Das Glas wird wieder vollgegossen und ausgetrunken
Idiotischer Tag heute. –
Ein Schalter knackt / Pause
FERNSEHANSAGERIN
… wie jeden Mittwochabend die große Fernsehschau.
Musikfanfare / Beifall
FERNSEHCONFÉRENCIER
… hahaha – ja, meine Damen und Herren, da ist er wieder, der kleine Walter – hahaha – Unterhaltung und Zerstreuung für jeden. Lehnen Sie sich zurück –
Ein Schalter knackt / Unverständliche Laute und Geräusche dringen aus dem Lautsprecher, wie sie von vielen Firmen für Werbefilme verwendet werden
Gong / Ein Mädchenchor singt engelsgleich: Redinon – Redinon – Redinon
Der Schalter knackt / Stille
JUNGER MANN
Möchte bloß wissen, wofür ich den Kasten gekauft habe. Für das Geld Schnaps, da weiß man, was drin ist. – Redinon!
Er summt wieder ein paar Takte des Schlagers von vorhin, bricht dann plötzlich ab
Vielleicht in die Stadt gehen. Regnet. Kino oder Kneipe – auch dämlich. Herbert anrufen? Ist auch nicht mehr so wie früher.
Muss er erst seine Frau fragen. Imitiert die Stimme einer Frau.
Also wissen Sie – so mitten in der Woche – wenn Sie natürlich wollen. – Normale Stimme Ziege!
Er summt wieder ein paar Takte des Schlagers / Blättert dabei in einer Illustrierten
Soraja – Erdbeben – Soraja – Alles für den Hund – Soraja.
Die Illustrierte klappt zu / Eine Taste knackt / Pause
FERNSEHCONFÉRENCIER
… und als der kleine Walter dann endlich zum Bahnhof kommt, da sagt doch der Taxichauffeur –
Die Taste knackt / Stille / Der junge Mann summt einige Melodiefetzen
JUNGER MANN
Herrgott, ist das ein idiotischer Tag. Ganz und gar idiotisch.
Knacken einer Taste / Radiomusik ertönt / Laut, hektisch (Rock’n’Roll) Ein Knopf wird gedreht / Die Musik verschwindet / Verschiedene Radiogeräusche
NACHRICHTENSPRECHER
… Sprecher des Auswärtigen Amtes betonte, dass die Bemühungen um eine allgemeine und kontrollierte Abrüstung im Vordergrund –
Der Knopf wird weitergedreht
SÄNGERIN
kitschig … die Rosen von Capri –
Der Knopf wird weitergedreht / Kühle Jazzmusik / Die Musik bleibt im Hintergrund
JUNGER MANN
War doch alles genau wie sonst. Gar kein Unterschied. Ein Tag wie jeder andere. Kein Ärger. Keine Aufregung. Nichts Unvorhergesehenes. Der übliche Quatsch. Wecker. Aufstehen. Anziehen. Tasse Kaffee. Den Flur lang.
Musik ausblenden
Ein endloser Schlauch. Schmutziges Himmelblau. Alle drei Meter eine Tür. Insgesamt achtzehn. Himmelblau. Was die sich wohl dabei gedacht haben? Jedes Stockwerk eine andere Farbe. Freundlichkeit. Ordnung. Und ausgerechnet himmelblau. Soll wohl Weite vortäuschen. Weite zwischen achtzehn Türen.
Die Schritte bleiben stehen
Der Fahrstuhlknopf.
Summen des Aufzugs
Ein rotes Lämpchen. Begrüßung und Anmeldung zum Tag. Für alle hinter diesen dunklen Türen. Alles dreimal verriegelt. Türschloss, Sicherheitsschloss, Sicherheitskette. Dazu noch ein Spion. Sicherheit. Dabei leben sie in aufeinandergestapelten Schubladen. Naja, Einbildung ist alles. Nichts Komischeres als so ’n Hochhaus von außen. Emsige Bienen in ihren Waben. Und jeder meint, er wär was Besonderes.
Der Aufzug steht
Der Aufzug – blassgelb und ewig neidisch auf vorüberziehendes Himmelblau und Abendrot und Wiesengrün.
Die Aufzugtür fällt zu / Summen des Aufzugs
Neun – acht – sieben – vorgetäuschte Weite – verschmierter Sonnenuntergang – abgebröckelte Sommerwiese. Tragkraft: 300 Kilogramm oder vier Personen. Verordnung vom 8. September 1926. Es ist verboten, Personen in Aufzügen zu befördern, bei denen das Mitfahren von Personen verboten ist.
Der Aufzug hält
Erdgeschoss. Der Hausmeister, mürrisch.
Die Straße. Hastende Gestalten, zugeknöpfte Mäntel, bespritzte Hosenbeine. Bei Rot auf Grün warten. Steh – geh. Auf Abbieger achten. Weiter. Litfaßsäule wird beklebt. Nochmal Rot – Grün. Na, wie lange denn noch? Endlich. Himmel ist grau. Wird gleich wieder regnen. Himmelblau haben nur noch die Maler. Windige Ecke hier. Früher stand hier die Blumenfrau. Lohnt wohl nicht mehr. Und noch früher dieser alte Mann. Windräder, Holzpuppen, Rasseln, bunte Stofftiere. Alles an einer langen Holzstange. Luftballons auch. Stand immer hier. Auch wenn’s regnete. Hab nie gesehn, dass da einer was gekauft hat. Jetzt haben sie da seinen Namen eingemeißelt. Grauer Stein. – Ja, was ist denn nun? Steht da mit seinem Stadtplan mitten im Weg. Will er nun fragen, oder was ist? Nein. Schaut lieber in seinen Plan. Rot – Grün. Die bauen immer noch. Ob die mal fertig werden?
Geräusch von Presslufthämmern, die jedes andere Geräusch unterdrücken Schreit mit normaler Stimme Was? Was?
Das Geräusch der Presslufthämmer wird schwächer und verschwindet
Was der wohl gewollt hat? Hält mich da fest. Warum sucht er sich auch grade die Baustelle aus. Verrückt. Was der wohl gewollt hat? Schon zwanzig vor. Beeilen. U-Bahn. Rolltreppe abwärts.
Summen der Rolltreppe
Vordermann: graukarierter Mantel. Hintermann: Zeitung.
Weiter vorn nur Hüte, nass und glänzend.
Ein U-Bahnzug fährt ein / Das Schlagen der Drehkreuze
Drehkreuz. – Die Karte – eine Blondine hinter Glas. Ein müde nickender Automat.
Der Zug hält / Lautsprecherstimme: Alter Markt – Alter Markt
Schnell hineinschieben. Irgendeine Ecke.
Lautsprecherstimme: Bitte beeilen
Jeden Morgen das gleiche. Müdes Vieh, das in seinen Waggon getrieben wird.
Lautsprecherstimme: Nicht mehr einsteigen
Presslufttüren zischen und schlagen zu / Der Zug fährt an
Voll wie immer. Mäntel und Zeitungen. Papier, auf dem steht, was passiert sein soll, und Fotos, die es bezeugen. Feuchte Mäntel, braun, grau, kariert, gestreift. In den Kurven spürt man Körper – aber nur schwach. Gut abgepolstert. Diese Gesichter. Lesen oder starren ins Leere. Wenn’s sich gar nicht anders machen lässt, sehen sie krampfhaft durch einen durch. Schaut man sie an, werden sie gleich unruhig. Halten einem lieber ’ne rote Schlagzeile vors Gesicht. Deckung. Und sind noch böse, wenn man mitliest. Als wenn sie ein anderes Blatt hätten als ihr Nebenmann. Idioten. Lieber raussehen. Die Scheiben haben se auch verkleistert. Geschnörkelt violett: Auch für dich starb Christus am Kreuz. Und in Gelb: Citrella – so fruchtig frisch. Da kann man dann wählen. Und draußen zucken die Tunnellichter. Weg – weg – weg – weg – weg –. Was der eben bloß gewollt hat. Warum sucht er sich auch ’ne Baustelle aus. Die Wände glitzern. Wie Diamanten. Oder Brillanten. Weiß nicht. Ein Gegenzug. Mantel – Zeitung. Mantel – Zeitung. Mantel – Zeitung. Mantel – Zeitung. Kleingehackt durch Fensterkreuze. Am besten, man schließt die Augen. Um nicht die Mäntel zu sehen, die Zeitungen und diese Gesichter. Starren krampfhaft auf die Buchstaben. Immer derselbe Quatsch. Tagaus, tagein. Man sollte denen mal alte Zeitungen andrehen. Würden die gar nicht merken. Bestimmt nicht. Die kaufen sowieso nur Zeitungen, um in der U-Bahn nicht irgendwen ansehen zu müssen. Hinten im Wagen quatscht einer über Uwe. Irgendeiner quatscht immer über Uwe.
Der Zug hält
Endlich. Nichts wie raus.
Das Rattern der Drehkreuze / Lautsprecherstimme unverständlich
Drehkreuz. Eine müde Rothaarige.
Summen der Rolltreppe
Rolltreppe. Vor dir ein Gummimantel. Hinter dir – lohnt sich nicht umzudrehen. – Nichts Langsameres als so ’ne Rolltreppe.
Die Straße. Rot. Alles rennt. Ein Bus spritzt. Grün. Zebrastreifen. Drei Minuten vor acht. Kommt noch hin. Wird regnen heut. Den ganzen Tag. Naja, ist egal, seh’s sowieso nicht.
Straßengeräusche ausblenden
Pförtner. Graue Uniform. Sieht gelangweilt aus. Kein Wunder. Den ganzen Tag diese Gesichter. Nummer achthundertneunzig. Abheben. Anwesend. Fahrstuhl. Drei Mann vor mir. Flüchtig bekannt. Keiner wagt zu grüßen.
Rein. Tür zu. Front zu den Nummern. Wie jeden Morgen. Starren auf die tanzenden Zahlen, als erwarteten sie dort eine Offenbarung. Zwei – drei – vier – Tragkraft: 600 Kilogramm oder 8 Personen. Sind froh, dass sie wo hinstarren können. Für Zeitungen ist ja kein Platz. Verordnung vom 8. September 1926. Es ist verboten, Personen in Aufzügen zu befördern, bei denen –
Der Fahrstuhl hält
Siebter Stock. Raus. Gang. Vorraum.
Alles sauber, weiß, steril, gläsern. Gibt Leute, die das schön finden. Die haben dann zu Hause Stilmöbel. Der weiße Kittel. Moderne Tarnkappe. Alles weiß. Raum und Menschen. Operation weiß. Alles hübsch einheitlich, hell und freundlich. Möchte mal sehen, wenn einer ohne Kittel erscheint. Revolution, Betriebsklima, Sozialprestige. Arschlöcher! – Die Postkarte. Noch von Inge. Klee. Erinnerung, dass die Ordnung nicht ewig ist. Die hat gut reden. Zwei Minuten nach. Wird Zeit. Na, denn mal los. Auf in die freie Natur.
Ablösung vor. Schaltpult. Drehsessel. Ein weißer Kittel. Du tippst ihm auf die Schulter. Er dreht sich zur Seite, steht auf, und du rutschst auf den Sessel. Ewig gleiche Zeremonie. Der weiße Kittel entfernt sich, und du bist allein. Allein mit diesem Schaltpult und seinen Reglern, Knöpfen, Schaltern und Lampen. Allein mit dem kleinen Plüschbär, den irgendwer mal vergessen hat. Und dahinter die Wand. Dieses Monstrum von einer Wand. Dieser Klotz von einer Wand. Rote Lampen irrlichtern. Quecksilbersäulen kriechen empor und fallen wieder zurück. Spitze Nadeln, die vor Eichstrichen zittern. Fernsehschirme spucken bläulich überanstrengt ihre Zahlenkolonnen aus. Quadrate, Dreiecke, Kreise huschen umher, bekämpfen sich, vereinigen sich, angetrieben von unruhig blökenden Summern, kontrolliert von Diagrammen, die von roten Lampen überwacht werden, die wieder von anderen Diagrammen beobachtet werden, über die ein Fernsehschirm wacht. Uhr einstellen. Meldung an Zentrale. Achthundertneunzig hat Schaltpult zwölf übernommen. Alles o. k.
Lautsprecherstimme: O. k.
Rote Lampe über vierzehn. Schalter vierzehn auf Null. Rot – Grün. Was der heute Morgen nur gewollt hat. Die Nadel ist gleich über dem Eichstrich. Regler Druckluft vierzig. Erledigt. Wenn ich mal ’nen Sohn haben sollte, und der fragt mich, was ich mache, was sag ich da eigentlich? Fernsehschirm neun. 14628 o. k. Nachstellen. 14628. Steigt die Säule? Ja, steigt. – Zehn nach acht. Zehn Minuten von acht Stunden. Der Plüschbär hat Flecke in seinem Fell. Dreckig ist er auch. Der einzige Schmutzfleck im ganzen Raum.
Starkes Hupen
Ja, ja, ist ja gut. Knopf 184.
Die Hupe verstummt
Quadrat C hat ein Dreieck. Na, nun komm. Mach keinen Ärger. Sei schön brav. Na also. Vierzehn nach acht. Was es wohl heute wieder gibt? Auch so ’n Rummel, diese Kantine.
Elektronische Geräusche ausblenden
Immer dieselbe weißbekittelte Schlange. Einreihen. Das Tablett. Die Bestecke. Das kleine Fließband, Ford selig. Erstes Fach: Klappe auf, ein Schälchen Kartoffeln, Klappe zu.
Das Schlagen der Klappen
Klappe auf, Gemüse, Klappe zu. Fleisch und Soße. Nachtisch. Plastikbecher, Abfüllstutzen, rotes Licht, Milch spritzt, fertig. Fehlt nur noch, dass sie dem Kasten die Form einer Kuh geben. Wohin jetzt? An der Wand ist noch Platz. Ein fröhlich lackierter Hocker vor einem fröhlich lackierten Brett. Erst mal die Schälchen sortieren. Kunstvoll getrennter Eintopf. Warum die das nicht gleich in einen Topf schütten? Neues Plakat. Unfallverhütung. Das Blut fließt fast in die Soße. Links ein weißer Ellenbogen, rechts ein weißer Ellenbogen. Das ganze Brett entlang offene Münder. Das Essen? Wie immer. Nie so gut, dass man es loben könnte, und nie so schlecht, dass es zum Meckern reicht. Auf diese Weise schweigt alles. Man sollte ihnen den Fraß auf ihre weißen Kittel kippen. Aber die würden nichts sagen. Die sagen nie was. Im Rahmen des allgemeinen Betriebsklimas würden sie einen aus großen Augen ansehen und milde lächeln.
Kantinengeräusche ausblenden
Nee danke, dann schon lieber Quadrate, Kreise, Dreiecke. Man kann sich mit einem Quadrat anfreunden, bei dem es nicht so klappt. Kann Mitleid mit ihm haben. Kann ’ne Wette abschließen.
Man kann auch ein bisschen Störung spielen und einen Knopf falsch herumdrehen. Aber das hat nicht viel Sinn. Die Wand passt auf. Auch auf mich. Automatische Steuerung. Sowieso Mumpitz, dass ich davorsitze. Die Wand kann das alleine viel besser. Würd mich nicht wundern, wenn die eines Tages ’ne Verordnung herausgeben, dass vor jeder Maschine ein Mensch sitzen muss. Weißbekittelt. Als Verzierung. Erst wenn etwas nicht funktioniert, kommt einer und fragt, was los ist. Danach erkundigt man sich. So ’n Apparat ist ja schließlich was Wertvolles. Da muss man sich drum kümmern. Aber leider geht sie nicht kaputt. Ich hab’s wenigstens noch nicht erlebt. Einmal funktionierte ein rotes Lämpchen nicht, aber es rief bloß einer von irgendwoher an und sagte, es sei schon wieder in Ordnung. Ich sagte: schön und fragte: wie’s ihm denn so ging. Er war so verdattert, dass er zurückfragte: er wäre doch mit der Steuerzentrale verbunden? Aber sicher, sagte ich. Lange Pause, dann hängte er ein. Na ja. Besser, man hält sich an seine Dreiecke und lässt sie springen. Dreht eine Säule hoch, lässt eine Nadel tanzen, rote Lämpchen leuchten.
Die elektronischen Geräusche werden lauter und immer lauter und gehen über in das Geräusch der Türklingel, die lange und anhaltend schellt
Im Hintergrund wieder die Radiomusik
Das ist bei mir. Da will einer zu mir.
Er steht auf / Schritte / Die Tür wird geöffnet / Stille
Keiner. Aufzug fährt auch nicht. Irgend so ’n Idiot, der sich für witzig hält.
Die Tür wird geschlossen / Schritte / Er setzt sich wieder / Gießt das Glas voll und trinkt es aus / Pause / Ein Telefonhörer wird abgehoben / Amtszeichen / Geräusch der Nummernscheibe / Freizeichen
TELEFONISTIN
Auskunft.
JUNGER MANN
Tag Mädchen. Pass mal auf. Ich hab ’ne Frage.
TELEFONISTIN
Ja bitte.
JUNGER MANN
Eine steigende Säule plus eine fallende Nadel geteilt durch drei rote Lampen mal ein Dreieck hoch 184. Was kommt da raus?
TELEFONISTIN
Bestenfalls ein Irrer.
JUNGER MANN
Nein Mädchen. Ich werd’s dir sagen. Ein Quadrat.
TELEFONISTIN
Vielleicht haben Sie auch eine vernünftige Frage? Sonst hänge ich ein.
JUNGER MANN
Das war eine vernünftige Frage.
TELEFONISTIN
Weshalb rufen Sie an?
JUNGER MANN
Weshalb? Vielleicht will ich mich nur etwas unterhalten, ’n bisschen was reden.
TELEFONISTIN
Mit wem möchten Sie sprechen?
JUNGER MANN
Mit ’nem Menschen, wenn’s geht.
TELEFONISTIN
Das tun Sie doch die ganze Zeit.
JUNGER MANN
Irrtum. Ich spreche mit Membranen, Kabeln, Relais, Verstärkern, Isolatoren –
TELEFONISTIN
Das geht nun mal nicht anders.
JUNGER MANN
Scheint mir auch so. Immer ist was dazwischen. Kabel, Zeitungspapier, Lautsprecher, Braunsche Röhren, rote Lämpchen – leuchtet da auch ein rotes Lämpchen auf, wenn ich anrufe?
TELEFONISTIN
Natürlich.
JUNGER MANN
Dacht ich mir’s doch. Bevor unsereiner den Mund auftut, sind sie schon da: Achtung, da will einer was.
TELEFONISTIN
Wenn ich noch was für Sie tun kann –
JUNGER MANN
Da warten wohl schon andere rote Lämpchen?
TELEFONISTIN
Ganz recht.
JUNGER MANN
Dann will ich nicht weiter stören.
TELEFONISTIN
Wiedersehn.
Der Telefonhörer wird aufgelegt / Pause / Die Radiomusik ist beendet / Stattdessen verliest ein Sprecher auf Englisch Nachrichten
JUNGER MANN
Pulle ist auch leer. Da muss doch noch eine –
Er steht auf / Schritte / Der Eisschrank wird geöffnet
Naja – dann ist der Abend ja gerettet.
Die Eisschranktür knallt zu
Nichts Besonderes – aber immerhin.
Ein Korken knallt / Schritte / Der Radioknopf wird weitergedreht / Radiogeräusche
SÄNGERIN
wie vorhin Die Rosen von Capri –
Der Radioknopf wird weitergedreht
JUNGER MANN
Scheint wohl im Moment Nummer eins zu sein.
MINISTER
Also wissen Sie, mit den Einfuhrzöllen ist das ja immer so eine Sache, man kann –
Ein Schalter knackt / Das Radio verstummt / Ein anderer Schalter knackt / Ein Glas wird vollgegossen und ausgetrunken
FERNSEHCONFÉRENCIER
… und nun verschwindet der kleine Walter, und es kommt – Elina!
Kurzer Musikauftakt
SÄNGERIN
wie vorher Die Rosen von Capri –
Ein Schalter knackt / Stille
JUNGER MANN
grölt nachäffend Die Rosen von Capri – Wie in der Automatenstraße. Aber da steht wenigstens dran, dass es Automaten sind.
Einen hab ich Emil getauft, da wo das Obst drin ist. Und den mit der schmutzigen Wäsche Anna. Emil kannte ich, der fuhr immer mit so ’ner Karre rum. Früher. Als es noch keine Automaten gab. ’ne richtige lange Straße. Schwarze eckige Kästen mit aufgerissenen Mündern aus Glas, die sich dauernd auskotzen. Dezente Schlitze fürs Geld. Muss ja auch sein. Aber sind schmal gehalten. Fast wie in Kana. Ewig wunderbare Verwandlung von Geld in Ware. Herr, wir danken dir für unser täglich Brot – Amen. Und es hört nie auf. Praktisch, schnell, hygienisch. Ach, was sage ich. Noch praktischer, noch schneller, noch hygienischer. Rote Lampen dienern. Es klappert, dreht, rollt und funktioniert. Nur manchmal klemmt ein Kasten, oder das Geld rollt zurück. Die ewig wunderbare Verwandlung hat den Schluckauf bekommen. Rote Lampen zittern um ihre Posten, assistiert von gelben und grünen Untertanen, die fortwährend um Hilfe blinken. Das Wunder ist gestört. Aber es behebt sich schnell. Automatisch. Und funktioniert. Höchstes Lob einer Automatenseele: Es funktioniert. Geld in den Schlitz Geräusch Klappe auf Geräusch Klappe zu Geräusch.
AUTOMAT
Besten Dank, beehren Sie mich bald wieder.
JUNGER MANN
Butter, Äpfel, Blumen, Schnaps. Klappe auf Geräusch Klappe zu Geräusch.
AUTOMAT
Besten Dank, beehren Sie mich bald wieder.
JUNGER MANN
Wurst, Brot, Strümpfe, Hemden.
AUTOMAT
Besten Dank, beehren Sie mich bald wieder.
Die Geräusche der Klappen und die Stimmen der Automaten schwellen an, werden lauter und lauter, ein schreckliches Getöse, das dann plötzlich abbricht
JUNGER MANN
Aber heute war ich doch – Ich bin zu Fuß gegangen. Keine U-Bahn. Keine Automaten. Zu Fuß. In ein Kaufhaus. Prächtig, so ’n Kaufhaus.
Große Glastüren. Offnen sich von selbst. Selen. Ein kleiner dünner Lichtstrahl wird unterbrochen, eine Selenzelle verwandelt es in Strom, und schon biste drin. Wenn schon keine Automaten, dann Selbstbedienung. Regale, Preise, Ware. Kommt alles aufs Gleiche raus. Und überall Spiegel. Hinter den ganz großen sitzen sie und beobachten einen. Man sollte draufspucken oder einfach reinhauen. Ob die auch die Lautsprecher bedienen? Elendes Gedudel. Irgendein Gemisch von Tönen. Kühe melken sie ja jetzt auch mit Musik. Damit sie mehr hergeben. In freundlich gestrichenen Räumen. Damit sie noch mehr hergeben. Da lob ich mir doch die Automaten. Müsste sich doch eigentlich ausbauen lassen. So vier, fünf Fragen könnten die doch stellen: Wie geht’s? Mieses Wetter heut. Schon Urlaub gehabt? So ’n paar Fragen. Für ’nen abendlichen Plausch. Ab und zu wechselt man die Platte. Einmal im Monat würde genügen. Wär immer noch intelligenter als diese Selbstbedienung. Achtung. Kasse. Da werden sie ja wohl den Mund aufmachen. Für Geld machen sie den Mund auf. Da müssen sie ja was sagen. Die Büchsen aufs Fließband. Ein weißer Kittel hämmert auf Tasten. Die Büchsen laufen voraus. Klingelzeichen. Rotes Schild: Sechsachtzig. Zehnmarkschein aufs Tablett. Klingelzeichen. Kleingeld scheppert in einen Kasten, Quittung schwebt hinterdrein. Weißer Kittel hat alles eingepackt. Kleingeld. Tüte. Selen. Tür. Aus.
Telefonhörer wird abgenommen / Amtszeichen / Eine Nummer wird gewählt / Freizeichen
TELEFONISTIN
Auskunft.
JUNGER MANN
Hier spricht das rote Lämpchen.
TELEFONISTIN
Was wollen Sie eigentlich? Wenn Sie Kummer haben, da gibt’s doch so ’ne Nummer – Seelsorge oder so was. Soll ich Sie Ihnen geben?
JUNGER MANN
Per Telefon? Nee danke. Die lassen doch bloß ’n Tonband laufen. Da besprech ich mich schon lieber selber.
TELEFONISTIN
Oder gehen Sie spazieren. Da kommen Sie auf andere Gedanken. Moment. Ich hab hier ein Gespräch.
JUNGER MANN
Spazieren? War ich schon. Immer den Bürgersteig entlang. In Reih und Glied. Eine Kolonne an der Fahrbahn. Blech auf Gummi rast vorbei und macht sich wichtig. Die andere Kolonne an Glas, Marmor und Preisschildern vorbei, der ewigen Ausstellung des wahren Lebens, und über allem süßer bunter Neonschein. Brillen, Hüte, Aktentaschen. Links, rechts, links, rechts. Ausscheren ist nicht. Vielleicht in den Gegenstrom – einfach anrempeln. Entschuldigung – Verzeihung – oh, pardon – Sehn sich gar nicht um, drücken einen in die Reihe zurück. Gleichschritt marsch. Mal einen um Feuer bitten? Gestatten, darf ich mal Feuer – Blödes Wetter heut, was? – Ruft nach Schönen Dank auch. Schaut weg. Was der ’ne Angst hatte. Haben alle Angst. Ob die überhaupt noch reden können? Rot. Das verstehen sie noch. Da stehen sie unbeweglich und starren. Keiner rührt sich.
Wenn ich noch mal zur Welt komme, dann nur als rotes Lämpchen, da weiß jeder direkt, wer ich bin und was ich bedeute.
TELEFONISTIN
schwach Hallo! Was ist denn mit Ihnen? Sind Sie noch da?
JUNGER MANN
Scheint so.
TELEFONISTIN
Sie haben vergessen, den Hörer aufzulegen.
JUNGER MANN
Hab wohl ’n bisschen zu viel getrunken.
TELEFONISTIN
Dann hängen Sie jetzt ein, und gehen Sie ins Bett.
JUNGER MANN
Was haben wir heute? Dienstag?
TELEFONISTIN
Nein Mittwoch. Aber nur noch ein paar Minuten.
JUNGER MANN
Dann war gestern Dienstag.
TELEFONISTIN
Ganz recht. Und morgen ist Donnerstag
JUNGER MANN
Warum sagt man nicht einfach Tag? Sind ja doch alle gleich.
TELEFONISTIN
Und Samstag und Sonntag?
JUNGER MANN
Was ist da anders?
TELEFONISTIN
Na ja, man hat frei –
JUNGER MANN
Sonst noch was?
TELEFONISTIN
Sie können machen, was Sie wollen.
JUNGER MANN
Was?
TELEFONISTIN
Sie können ins Kino gehen –
JUNGER MANN
Ja. Da sind viele Menschen, und doch sieht man keinen, und auf der Leinwand ist was, was sich Mensch nennt, ich glaub’s aber nicht.
TELEFONISTIN
Gehen Sie spazieren oder so.
JUNGER MANN
mehr zu sich Manchmal geh ich in den Park, da gibt es alte Leute und Kinder, die sprechen noch. Aber eigentlich brabbeln die auch nur vor sich hin.
TELEFONISTIN
Ich hab jetzt Feierabend. Punkt zwölf.
JUNGER MANN
Na, dann schauen Sie mal auf Ihren Tisch. Wenn ich jetzt auflege, geht dort ein rotes Lämpchen aus, und das heißt, ich bin nicht mehr da.
Telefonhörer wird aufgelegt / Ein Glas wird vollgegossen und ausgetrunken
JUNGER MANN
grölt laut Die Rosen von Capri. Die Rosen –
Nebenan klopft man an die Wand
Ja, ist ja schon gut. – Klopfen nur. Kommt keiner und beschwert sich und regt sich auf über diese Unverschämtheit – so, wie es sich gehört. Klopfen nur. – Kein Mensch ist mehr korrekt. Wer wohnt ’n da überhaupt? Nie gesehen. Müsste man mal kennenlernen. Vielleicht ’n junges Mädchen? Aber wie? Die Sicherung könnte kaputtgehen, könnte sie doch. Oder der Strom könnte ausfallen. Dann würde man zum Nachbarn gehen und anklopfen und fragen: haben Sie eine Kerze, und er würde sagen: Momentchen, ich such selbst grad eine, und vielleicht würde er auch sagen: haben Sie Streichhölzer, ich kann meine nicht finden, und ich würde sagen: sofort, ich hol sie, und hinterher würde das Kerzenlicht flackern, und wir würden lachen und dabei auf den Hausmeister schimpfen, und jeder würde sich bei dem anderen bedanken und in seine vier Wände mit Decke und Fußboden gehen. – Aber die Sicherung geht nicht kaputt. Sie tut’s nicht. Keine Kasse blockiert. Keine Schaltwand geht kaputt. Das nennen sie nun Fortschritt.
Der Telefonhörer wird abgenommen / Amtszeichen / Eine Nummer wird gewählt
ZEITANSAGE
Null Uhr vier – Null Uhr vier – Null Uhr vier bleibt immer im Hintergrund – Null Uhr fünf – Null Uhr fünf – Null Uhr fünf –
JUNGER MANN
Na ja, ist der Tag halt vorbei. – Und für den neuen ist ja noch alles drin.
ZEITANSAGE
Null Uhr sechs – Null Uhr sechs – Null Uhr sechs – Null Uhr sechs – Null Uhr sechs – Null Uhr sechs –
Langsam ausblenden
Ende
Die monologischen Sprachbilder des Hörspiels Die Wand, die ortlosen Stimmen, verwandeln sich in dem Fernsehspiel Sonntag in die monologische Bildsprache einer Kamera, die einen Ort und seine fast sprachlosen Menschen zeigt.
Sonntag spielt in einer Satellitenstadt, wie sie heute am Rand der Großstädte gebaut werden. Hier lebt vorwiegend der gehobene Mittelstand in einer geplanten Idylle von gespenstischer Eintönigkeit und Einsamkeit.
Worauf es mir ankam: nicht eine der üblichen dialogisierten Handlungsschemata abzuspulen, sondern eine strenge, genaue Form zu schaffen, die durch sich selbst schon Einblicke und Erkenntnisse vermittelt. Die unbedingte Schönheit und Farbigkeit der Bilder, das Hochglanzkaschierte, ist kein ästhetischer Selbstzweck, sondern Kenntlichmachung einer durch die Bilder der Massenmedien, wie Kino, Werbefernsehen, Zeitschriften, Prospekte, Warenhauskataloge usw. hergestellten und damit verkaufbar gemachten Scheinwelt.
Es geht um das Spiegelbild einer vorgeplanten, programmierten ›heilen Welt‹, ein Bild, das zersplittert unter der Aggressivität und Kommunikationslosigkeit, die diese Welt erzeugt. Es geht um die Ideologie einer vorgeblich sozialen, friedlichen Familienidylle, deren Unmenschlichkeit an der dünnsten Stelle, bei den Kindern, aufbricht, und in Zerstörung umschlägt.
Eine Produktion des Südwestfunks in der genauen Personenregie des Theaterregisseurs Niels-Peter Rudolph und der hier schon genuinen Kameraführung von Michael Ballhaus in ihren langen, fast grausam schmerzlichen Fahrten.
Brigitte Knott schrieb in der FUNK-Korrespodenz: »Der Film ist eine Satire über bürgerliche Lebensformen, ein ›klassischer‹ Stoff der kritischen Literatur also, der aktualisiert, gleichsam auf den neuesten Stand gebracht wird durch die Wahl des Schauplatzes. Die Rolle des Erzählers übernimmt die Kamera, die Sprache ist unwesentlich, die Geräuschkulisse gerade intensiv genug, um den Zuschauer bei (oft) eintönigen Bildszenen eine Abwechslung zu bieten, um seine Phantasie anzuregen und seine Aufmerksamkeit zu erhalten. Wesentliches Merkmal der dargestellten Welt ist ihr synthetischer Charakter; kein Baum steht, der nicht vom Architekten eingeplant wurde. So wie diese synthetische Architektenlandschaft als tote Welt erscheint, erscheinen auch die Lebensformen als synthetisch und in der Folge die Menschen, die hier leben, kontaktarm und latent aggressiv. Künstlerischer Kommunikationsersatz sind die diversen Freitzeitbeschäftigungen, die vor allem den Familienvätern als Alibi dienen, das ihnen das Eingeständnis erspart, wie sehr sie ihrer Familie entfremdet sind.«
Die Stuttgarter Zeitung schrieb: »Die Diskretion des merkwürdig in sich selbst kreisenden Bilderverschnitts, der optische Umgang mit der Zeit hinterlässt einen starken, nachhaltigen Eindruck.«
Ein Fernsehspiel
Wilhelm Possberg
hat am Hauptplatz der Siedlung ein Rundfunk- und Fernsehgeschäft. Er besitzt ein Reihenhaus mit einem Garten.
Frau Possberg
Geschäftsfrau. Tochter Gerda ist 10 bis 12 Jahre alt.