Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung - Dieter Forte - E-Book

Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung E-Book

Dieter Forte

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Beschreibung

Seit seiner Uraufführung 1970 in Basel wird dieses große dokumentarische Theaterstück immer wieder neu inszeniert – weltweit. Zudem hat es sich als Lesestück an Schulen und Universitäten einen festen Platz erobert. Sein Thema ist die Expansion der Macht um jeden Preis, gezeigt an einer modellhaften Konstellation. Am Beginn der Neuzeit, in einer Zeit, die von Grund auf in Bewegung geraten ist, in den Jahren 1514 bis 1525, sehen wir die bestimmenden Figuren der Epoche beim Agieren, Platzieren und Platziertwerden: Menschen im Netz der Macht. Es geht um Politik, Wirtschaft, Kirchengeschichte zur Zeit der Reformation, aber vor allem geht es um vier junge Männer: Einer heißt Luther, einer Münzer, die beiden anderen heißen Karlstadt und Melanchton. Es geht um die Einführung der Buchhaltung. Es geht um die erste deutsche Revolution. Dass beides zusammenfällt, ist vielleicht kein Zufall.

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Seitenzahl: 304

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Dieter Forte | Dieter Forte

Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung

FISCHER E-Books

Inhalt

WidmungMottoDie Nutzanwendung auf die [...]Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der BuchhaltungPersonenTisch vorne rechtsPodest rechtsPodest linksTisch vorne linksPodest linksTisch vorne linksTisch vorne rechtsPodest rechtsPodest linksPodest rechtsPodest linksTisch vorne linksTisch vorne rechtsTisch vorne rechtsPodest linksTisch vorne linksPodest rechtsTisch vorne rechtsTisch vorne linksPodest linksPodest rechtsPodest linksPodest rechtsPodest linksTisch vorne linksTisch vorne rechtsTisch vorne linksPodest linksTisch vorne linksTisch vorne rechtsPodest rechtsPodest linksPodest rechtsPodest linksPodest rechtsTisch vorne rechtsTisch vorne linksTisch vorne linksPodest rechtsTisch vorne linksPodest linksTisch vorne linksTisch vorne rechtsTisch vorne linksPodest rechtsPodest linksPodest rechtsPodest rechtsPodest linksPodest rechtsPodest rechtsPodest linksPodest rechtsTisch vorne linksPodest linksTisch vorne rechtsTisch vorne linksPodest linksTisch vorne rechtsPodest linksTisch vorne rechtsPodest rechtsPodest linksTisch vorne rechtsPodest links und Tisch vorne linksPodest rechtsPodest linksTisch vorne linksPodest rechtsPodest linksTisch vorne linksTisch vorne rechtsTisch vorne linksPodest rechtsPodest linksRampe MitteTisch vorne rechtsTisch vorne linksTisch vorne rechtsPodest rechtsPodest linksRampe MitteZur MethodeBenutzte Literatur (Auswahl)

Für Marianne

Motto

Die Nutzanwendung auf die Gegenwart erleichtert sehr das Verständnis des Textes.

Martin Luther

Die Deutschen wissen eher von Indianern zu sagen als von Deutschen.

Sebastian Franck, Chronica 1531

Einer demokratischen Gesellschaft steht es schlecht zu Gesicht, wenn sie auch heute noch in aufständischen Bauern nichts anderes als meuternde Rotten sieht, die von der Obrigkeit schnell gezähmt und in die Schranken verwiesen wurden. So haben die Sieger die Geschichte geschrieben. Es ist Zeit, daß ein freiheitlich-demokratisches Deutschland unsere Geschichte bis in die Schulbücher hinein anders schreibt. Ich glaube, daß wir einen ungehobenen Schatz an Vorgängen besitzen, der es verdiente, ans Licht gebracht und weit stärker als bisher im Bewußtsein unseres Volkes verankert zu werden. Nichts kann uns hindern, in der Geschichte unseres Volkes nach jenen Kräften zu spüren und ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die dafür gelebt und gekämpft haben, daß das deutsche Volk politisch mündig und moralisch verantwortlich sein Leben und seine Ordnung selbst gestalten kann.

Bundespräsident Gustav Heinemann, 1970

Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung

Personen:

Luther (34)

Melanchthon (20)

Karlstadt (37)

Münzer (27)

Friedrich von Sachsen (54)

Sein Narr (ein Liliputaner)

Spalatin (33), sein Geheimsekretär

Karl V. (19)

Margarete (39), seine Tante

Gattinara (54), sein Kanzler

Der Papst (46)

Cajetan (48), Kardinal-Legat

Fugger (58)

Schwarz (20), sein Buchhalter

Albrecht von Brandenburg (27)

 

Kaiser Maximilian (60)

Bibbiena (51), Kardinal

Miltitz (27), Diplomat

Feilitzsch (30), Rat

Hutten (31)

Berlepsch (57), Hauptmann

Pfeiffer (25)

Erasmus (58)

Paracelsus (32)

Holbein (26)

Froben (65)

Räte, Kardinäle, Fürsten, Adlige, Diener, Studenten, Volk Nebenrollen können doppelt besetzt, die Rolle des Papstes kann auch von einer jungen Frau gespielt werden.

 

In der Mitte der Bühne rechts und links je ein Holzpodest, an jeder Seite eine Treppe.

 

An der Rampe rechts und links je ein Tisch mit Stühlen.

Die Schauspieler bleiben während des Spiels auf der Bühne.

»Ab« bedeutet, daß die Schauspieler ihren jeweiligen Spielort verlassen.

 

Die Texte sind zum größten Teil Originaltexte.

Zahlen und Fakten stimmen.

Alle Währungen sind in DM umgerechnet. (Stand 1970.)

SPRECHCHÖRE

mehrmals wiederholend

Als Adam grub und Eva spann

wo war denn da der reiche Mann.

Der Vorhang öffnet sich. Münzer demonstriert mit Studenten.

Sie ziehen von links nach rechts über die Bühne.

Tisch vorne rechts

Am Tisch sitzen drei Bürger hinter ihren Bierkrügen.

1. BÜRGER

Das ist wieder dieser Münzer.

2. BÜRGER

Wo der ist, ist nix als Unruhe.

3. BÜRGER

Alleweil hängt er mit den Studenten zusammen.

1. BÜRGER

Es heißt, der Stadtrat soll korrupt sein.

3. BÜRGER

Der Stadtrat war immer korrupt. Das heißt gar nichts.

SPRECHCHOR

Als Adam grub und Eva spann

wo war denn da der reiche Mann.

2. BÜRGER

ruft Und die Universität bleibt jetzt wohl für immer geschlossen, was?

3. BÜRGER

Schöne Zustände.

4. BÜRGER

tritt auf Der Stadtrat ist zurückgetreten.

1. BÜRGER

Nur wegen dem Münzer?

2. BÜRGER

ruft Das kostet Geld. Kostet alles unser Geld. Habt ihr überhaupt Geld?

3. BÜRGER

Nur wer Geld hat, darf auch eine Meinung haben, weil er dann von vornherein die rechte Meinung hat.

3. BÜRGER

Überhaupt geht nix über Geld. Was brauche ich da noch eine Meinung.

SPRECHCHOR

Als Adam grub und Eva spann

wo war denn da der reiche Mann.

Die Studenten gehen ab. Die Bürger gehen ihnen nach.

Podest rechts

Fugger kniet in einem Betstuhl, einen Rosenkranz in den gefalteten Händen. Schwarz an einem Stehpult, darauf ein umfangreiches Buch. Die Buchhaltung der Fugger.

FUGGER

Der Anfang.

SCHWARZ

Gesamtkapital der Firma Jakob Fugger 19679100.

FUGGER

bekreuzigt sich Gelobt sei Jesus Christus,

SCHWARZ

in Ewigkeit, Amen – Wenn ich mir als Ihr Buchhalter die Bemerkung erlauben darf, Sie sind der reichste Mann Europas.

FUGGER

Die Geschäfte.

SCHWARZ

Albrecht von Brandenburg.

Albrecht kommt auf das Podest und wartet.

FUGGER

im Gebet versunken Warum Mainz?

ALBRECHT

Ich möchts halt haben, und es ist grad frei.

FUGGER

Das größte und reichste Bistum Deutschlands.

ALBRECHT

Das würd ich in Kauf nehmen.

FUGGER

Die Kirche verbietet Ämterhäufung.

ALBRECHT

Die Kirche verbietet viel.

FUGGER

Sie sind zu jung für das Amt eines Bischofs.

ALBRECHT

Ich bin Erzbischof von Magdeburg und Administrator von Halberstadt.

FUGGER

Und dazu noch Erzbischof von Mainz?

ALBRECHT

Ich denke, es ist eine Geldfrage.

FUGGER

Haben Sie Geld?

ALBRECHT

Wär ich sonst hier?

FUGGER

Schwarz.

SCHWARZ

Das Erzbistum Mainz kostet an regulären Gebühren 1400000. Hinzu kommt ein Bestechungsgeld für den Heiligen Vater.

ALBRECHT

Bestechungsgeld? Ich bitte Sie.

FUGGER

zu Schwarz Eine Handsalbe.

SCHWARZ

Der Heilige Vater denkt an eine Handsalbe von 1200000.

ALBRECHT

Das ist keine Nächstenliebe.

SCHWARZ

Der Heilige Vater dachte dabei an die zwölf Apostel. Pro Kopf 100000.

ALBRECHT

Waren das wirklich zwölf? Irrt sich der Papst da nicht?

FUGGER

In Geldangelegenheiten ist der Papst unfehlbar.

ALBRECHT

Sagen wir 700000, nach den sieben Todsünden.

FUGGER

Sagen wir eine Million, nach den zehn Geboten, und Sie sind kulant bedient.

ALBRECHT

Das wären 2400000.

FUGGER

3 Millionen.

ALBRECHT

Zehn und vierzehn sind vierundzwanzig.

FUGGER

Kaiser Maximilian will auch etwas haben. Das ist so üblich. Und das Haus Fugger kann leider nicht umsonst arbeiten.

ALBRECHT

3 Millionen?

FUGGER

Sachsen ist auch sehr interessiert.

ALBRECHT

Achtundzwanzig.

FUGGER

Neunundzwanzig.

ALBRECHT

In Gottes Namen.

FUGGER

Wie wollen Sie zurückzahlen?

Albrecht zuckt die Schultern.

SCHWARZ

Mainz ist eine reiche Stadt.

ALBRECHT

Der nacheinander drei Erzbischöfe verstorben sind.

FUGGER

Also verarmt.

SCHWARZ

Der Herr Erzbischof übernimmt in Mainz ein wohleingerichtetes Bordell.

ALBRECHT

Ich bitte Sie, wer geht noch in den Puff, wo man es überall umsonst haben kann. Das Geschäft verfällt rapide.

FUGGER

Da der Heilige Vater in seiner Weisheit das vorausgesehen hat, erlaubt er in seiner übergroßen Güte, daß wir eine neue Anleihe auflegen, den Petersdomablaß, und Sie als Ablaßkommissar einsetzen.

ALBRECHT

Sag ich doch, eine Geldfrage.

FUGGER

Schwarz.

SCHWARZ

Laufzeit acht Jahre. 50 % der Einnahmen an den Heiligen Vater, 50 % für den Ablaßkommissar.

ALBRECHT

Das läßt sich hören.

FUGGER

Allerdings werden die 50 % für den Heiligen Vater nicht mit den Mainzer Gebühren verrechnet.

ALBRECHT

Nicht?

FUGGER

Und die andere Hälfte erlaube ich mir einzuziehen, bis Ihre Schuld bei mir getilgt ist. Zu diesem Zweck werden meine Leute Ihre Vertreter begleiten. Sie werden einen Schlüssel zu jeder Geldkiste haben und das eingelegte Geld kassieren.

ALBRECHT

Und was hab ich?

FUGGER

Sie haben Mainz. Er erhebt sich aus dem Betstuhl Wenn ich Ihnen raten darf, nehmen Sie den Tetzel. Ein erstklassiger Mann. Sehr viel Erfahrung. Und noch eins. Die Marktlage ist momentan schlecht. Preisverfall. Machen Sie die Sache also attraktiv. Sie müssen dynamisch anbieten. Mit dem üblichen Seelenheil ist nichts mehr zu verdienen. Verkaufen Sie den Ablaß auch für Tote.

ALBRECHT

Geht das?

FUGGER

Das geht nicht, aber man kanns machen. Und verkaufen Sie auch an die, die nicht bereuen.

ALBRECHT

Kann man das?

FUGGER

Man kanns nicht, aber es geht. Vor allem bringt es Umsatz.

ALBRECHT

Ich versteh von theologischen Dingen nichts.

FUGGER

Eine gute Bankverbindung genügt.

SCHWARZ

Wir verfügen über eine große Wertpapierabteilung, die jede Bewegung auf dem Ablaßmarkt genau verfolgt und unsere Kunden vorrangig unterrichtet.

ALBRECHT

Wo darf ich verkaufen?

FUGGER

Nicht in Sachsen.

ALBRECHT

Ohne Sachsen lohnt es nicht.

FUGGER

Nicht in Sachsen. Friedrich hat seine eigenen Ablässe, und diese Mainzer Geschichte paßt ihm sowieso nicht.

ALBRECHT

Bergwerke müßte man haben.

FUGGER

Sie sammeln ja Bistümer.

Alle drei verlassen das Podest.

Podest links

Friedrich sitzt in einem Sessel und kaut an einem Hühnchen. Hinter ihm an einem Tisch Feilitzsch und ein Schreiber mit Listen. Auf einem Ständer eine Landkarte.

FEILITZSCH

liest aus einem Reliquienverzeichnis vor Ein Stück von der Stadt, in der die Jungfrau Maria geboren ist. Ein Stück von dem Faden, den sie gesponnen hat. 2 Stücke von der Kammer, in der Maria von dem Engel gegrüßt ward. Ein Stück von dem Baum, unter dem Maria den Herrn im Balsamgarten gezeugt hat.

FRIEDRICH

Ein oder zwei Stücke?

FEILITZSCH

Ein Stück.

FRIEDRICH

Pendant kaufen.

FEILITZSCH

liest weiter vor Vier Stücke von dem Hemd Marias. Zwei Stücke von dem Schleier Marias, der unter dem Kreuz mit Blut besprengt wurde. Ein Stück von dem Wachs, das Maria einer andächtigen Matrone gegeben hat.

Spalatin kommt auf das Podest. Feilitzsch liest leise weiter.

FRIEDRICH

Spalatin, ich bin verärgert.

SPALATIN

Was sollen wir machen, Kurfürstliche Gnaden? Der Tetzel hat sich direkt hinter der Grenze aufgestellt, und das Volk rennt wie toll zu ihm. Wir können die Leute nicht festhalten.

FRIEDRICH

Ich habe dem Fugger gesagt, kein sächsisches Geld für Albrecht. Ich zahl doch diesem Priesterlümmel nicht seine Bistümer. Das Geld meiner Untertanen gehört in meine Taschen. Das bin ich meinem Volk schuldig.

SPALATIN

Formell ist alles in Ordnung, Kurfürstliche Gnaden. Tetzel hat Sachsen nicht betreten.

FRIEDRICH

Er hausiert bloß an der Grenze. Er kaut.

FEILITZSCH

liest weiter laut vor Dreizehn Stücke von der Krippe Jesu. Ein Stück von dem Tüchlein, in das er gewickelt war. Zwei Stücke vom Heu. Ein Stück von dem Stein, auf dem Jesu in Jerusalem gestanden und gesprochen hat: Hier ist die Mitte der Welt. Ein Stück von dem Stein, auf dem Christus stand und über Jerusalem weinte.

FRIEDRICH

dreht sich gequält um Ihr werdet auch noch weinen, aber nicht über Jerusalem, sondern über Wittenberg. Wenn hier kein Geld mehr reinkommt. Wie soll ich jetzt noch meinen Reliquienablaß verkaufen? Wie sieht das Allerheiligen in meiner Schloßkirche aus? Wer wird dann noch kaufen, wenn er schon bei Tetzel gekauft hat.

SPALATIN

Der Umsatz wird ohne Zweifel stark zurückgehen.

FRIEDRICH

Ohne Zweifel. Feine Räte hab ich. Er kaut wieder.

FEILITZSCH

liest weiter vor Ein Stück von dem Blutacker, der von den dreißig Silberklingen gekauft wurde, um die Christus verraten wurde. Ein Stück von der Erde, auf der der Herr blutigen Schweiß geschwitzt hat.

Friedrich nickt zustimmend.

Ein Stück von einem Korporal, der vom Blut Christi bespritzt wurde.

FRIEDRICH

Was will dieser Albrecht? Was steckt dahinter? Erst Magdeburg, dann Halberstadt, jetzt Mainz. Alles Gebiete, die einmal zu uns gehörten. Ganz Sachsen ist eingekreist. Überall sitzen diese Brandenburger. Ich krieg ja schon Platzangst, wenn ich nur auf die Karte sehe.

SPALATIN

Kaiser Maximilian. Sachsen ist ihm zu mächtig. Er will es herunterdrücken. Wenn Kurfürstliche Gnaden nicht bald etwas unternehmen, wird er es herunterdrücken. Vor der Karte Eine weitere Ausdehnung des Landes dürfte jetzt schon große Schwierigkeiten bereiten.

FRIEDRICH

Sachsen ist die stärkste Macht in Deutschland.

SPALATIN

Aber Brandenburg kommt auf. Sie haben jetzt schon 2 Stimmen im Kurkolleg, und sie kennen ja die Pläne des Kaisers.

FRIEDRICH

legt das Hühnchen weg Mir schmeckt es nicht mehr. Er steht auf. Er brüllt Bin ich Friedrich von Sachsen oder bin ich irgendein hinterfotziger Graf! Ich bin der erste Fürst Deutschlands und gedenke, es auch zu bleiben. Er sieht die Karte an Tun Sie die Karte weg. Die macht mich krank.

Spalatin dreht die Karte um. Friedrich bleibt vor Feilitzsch stehen.

FEILITZSCH

liest weiter Drei Stücke von dem Schweißtuch, mit welchem dem Herrn Jesu seine heiligen Augen verbunden worden sind. Ein Stück vom Wachs einer Kerze, die das Schweißtuch Christi berührt hat. Ein Stück von dem Keil, mit dem das Kreuz Christi in den Steinen festgepflockt wurde.

FRIEDRICH

Und meine Reliquien? Ist das jetzt alles Dreck? Wozu hab ich mein Geld in Reliquien angelegt. Er kommt wieder nach vorne Das ist doch unseriös, was dieser Tetzel da macht. Was sind das für Finanzierungsmethoden. Der verkauft doch da einfach Schuldverschreibungen der Fugger. Bedrucktes Papier. Völlig wertlos. Nur Versprechungen. Was sind das für Anlageberater? Ich biete den Leuten Sicherheit. Jeder Ablaßzettel ist durch meine Reliquien gedeckt. Sicherer als Gold. Aber mein guter und gediegener Reliquienablaß bleibt liegen, und um diese wertlosen Zettel reißt man sich. Man muß unbedingt das Volk aufklären.

SPALATIN

Das Geschäft ist hart geworden. Die Tetzelvertreter gehen in die Häuser und überreden die Leute. Wir sitzen in der Schloßkirche und warten, daß die Leute zu uns kommen.

FRIEDRICH

Ich kann meine Reliquien nicht über Land schicken.

SPALATIN

Dann müssen wir attraktiver werden. Noch mehr Reliquien, noch mehr Ablässe darauf.

FRIEDRICH

Ich kaufe pausenlos. Wieviel haben wir?

FEILITZSCH

17443 Reliquien.

SPALATIN

Vor allem brauchen wir mehr Ablässe. Wir haben jetzt 127799 Jahre und 116 Tage. Das ist zu wenig. Das muß mehr werden.

FRIEDRICH

Ablässe vergibt immer noch der Papst, und er vergibt sie anscheinend lieber an andere.

SPALATIN

Handsalben.

FRIEDRICH

Versuch ich seit Jahren. Er will nicht.

SPALATIN

Noch mehr Handsalben.

FRIEDRICH

Ich will Geld verdienen und nicht ausgeben. Man muß das Volk aufklären. In Dänemark hat ein Mönch gegen diese unseriösen Finanzleute gepredigt – mit Erfolg.

SPALATIN

Es gibt auch in Deutschland Fachleute, die sich dazu geäußert haben. Johann von Wesel, Wessel Ganzfort.

FRIEDRICH

Wo stecken die?

SPALATIN

Leider tot.

FRIEDRICH

Danke.

SPALATIN

Erasmus von Rotterdam. Etwas Besseres finden Kurfürstliche Gnaden nicht. Die berühmteste Feder Europas. Die Leuchte der Wissenschaft.

FRIEDRICH

Die Leuchte der Wissenschaft ist mir zu unzuverlässig. Dem kann man eine Grafschaft anbieten, und dann überlegt er es sich noch dreimal.

SPALATIN

Er ist unabhängig.

FRIEDRICH

Und hier? Ist hier gar nichts los? Wozu hab ich eine Universität gegründet. Ich werde ausgeplündert, und man hört nichts von ihr. Was machen diese Herren Professoren, spielen die Karten?

SPALATIN

Johann von Wesel hat in Erfurt gelehrt, und wir haben Professoren, die in Erfurt studiert haben.

FRIEDRICH

Dann bitteschön. Wozu bezahl ich diese Herren. Daß sie über die unbefleckte Empfängnis diskutieren? Die sollen mal etwas zusammenstellen. Aber schnell. Die Sache eilt.

Spalatin ab. Friedrich setzt sich wieder und knabbert an seinem Hühnerknochen.

FEILITZSCH

liest weiter Acht ganze Dornen von der Krone des Herrn Jesus. Ein großes Stück von einem Nagel, der dem Herrn Jesus durch die Hände oder Füße geschlagen wurde. Ein Schrein mit 178 Stücken von Heiligen Gebeinen, welche, da die Schrift verblichen und nicht mehr gelesen werden kann, nicht im einzelnen aufgeführt werden können.

FRIEDRICH

Mir in die Suppe spucken. Mit meinem Geld. Dem Rotzlöffel werd ichs zeigen. Dem werd ich den Hühnerknochen in den Arsch rammen, daß er seine sämtlichen Bischofshüte daran aufhängen kann.

Sein Hofnarr, ein Liliputaner, ist auf das Podest gekommen.

Er nimmt Friedrich die Hühnerknochen weg, hält sie hoch und ruft Ein Arschbacken des Heiligen Friedrich!

Friedrich lacht dröhnend.

Tisch vorne links

SPALATIN

Dr. Luther! Was für ein Zufall. Gerade dachte ich noch, was macht eigentlich unser Dr. Luther. Man hört so gar nichts von ihm.

LUTHER

Was soll man von mir hören. Ich halte Vorlesungen. Bin Rektor der Studienanstalt, Ordensvikar, Prior von elf Klöstern, Verwalter unserer Fischteiche, Rechtsanwalt in Torgau und schreibe den ganzen Tag Briefe, Briefe, Briefe. Ich könnte zwei Sekretäre beschäftigen.

SPALATIN

So gar keine Zeit für Thesen und Diskussionen?

LUTHER

Wozu?

SPALATIN

Professoren müssen sich streiten. Wenn man nichts von ihnen hört, hält man sie am Ende gar für überflüssig.

LUTHER

Ich habe eine Streitschrift gegen die scholastische Theologie veröffentlicht. Ich habe sie verschickt. Ich wollte diskutieren. Niemand hat geantwortet. Nichts hat sich gerührt. Und es waren scharfe Thesen.

SPALATIN

Die Universität ist noch jung. Sie gilt nicht allzuviel, aber das kann sich ändern. Ihr habt doch in Erfurt studiert?

LUTHER

Ja.

SPALATIN

Da kennt Ihr sicherlich die Schriften von Johann von Wesel.

LUTHER

Natürlich.

SPALATIN

Auch die über den Ablaß?

LUTHER

Auch die.

SPALATIN

Schreibt er interessant?

LUTHER

Er ist gegen den Papst, gegen die Heiligenverehrung, die Beichte, das Abendmahl, die letzte Ölung, das Fasten, Papst und Konzile können irren. So in der Richtung.

SPALATIN

Und gegen den Ablaß?

LUTHER

Warum fragt Ihr?

SPALATIN

Man interessiert sich.

LUTHER

Der Hof?

SPALATIN

Habt Ihr schon etwas von diesem neuen Ablaß gehört?

LUTHER

Die Sache ist ganz und gar abscheulich. Der Tetzel predigt Dinge, die unerhört sind. Das Volk wird um seine Seligkeit betrogen.

SPALATIN

Ja, es ist schlimm. Und was sagt der Fachmann?

LUTHER

Ich habe einige Thesen aufgesetzt –

SPALATIN

Thesen? Etwa gegen den Ablaß?

LUTHER

Gegen den Mißbrauch, der mit ihm getrieben wird. Gegen den Ablaß an sich ist nichts einzuwenden.

SPALATIN

Aber warum hört man nichts davon? Das ist doch hochinteressant.

LUTHER

Wesel starb in den Händen der Inquisition.

SPALATIN

Aber. Das ist lange her. Die Zeiten sind vorbei.

LUTHER

Die Inquisition liegt bei den Dominikanern, und Tetzel ist Dominikaner.

SPALATIN

Der Kurfürst ist kein Dominikaner.

LUTHER

Die Thesen sind unvollständig, aus dem Augenblick geschrieben.

SPALATIN

Vervollständigt sie. Vielleicht noch ein paar Sätze über das gute deutsche Geld, das auf diese unrechte Weise nach Rom fließt, um dem Papst die Taschen zu füllen.

LUTHER

Wozu braucht Ihr es?

SPALATIN

Ach, wißt Ihr, der Kurfürst will gelegentlich etwas von seinen Professoren sehen. Wie das so ist. Wenn Ihr zufällig einen Wunsch habt?

LUTHER

Ich könnte eine neue Kutte gebrauchen.

SPALATIN

Eine neue Kutte. Das läßt sich machen.

Spalatin ab. Luther setzt sich an den Tisch, auf dem Bücher liegen, und schreibt. Karlstadt kommt, einige Bücher unter dem Arm. Er wirft die Bücher auf den Tisch und setzt sich auf den Tisch.

KARLSTADT

Schinderei, verfluchte.

LUTHER

Du bist zu gutmütig, Karlstadt.

KARLSTADT

Deutscher Professor – das ist ein Leben. Und dann noch in diesem Nest, an dieser Kümmeluniversität.

LUTHER

Es wäre besser, wenn hier nicht so viele studierten. So kommt es nur zu Aufruhr. Der Fürst sollte mal ganz scharf durchgreifen.

KARLSTADT

Der Fürst.

LUTHER

Keine Sitte und kein Anstand mehr. Statt zu lernen, rennen sie mit den Mädchen herum und stellen einem obendrein noch dumme Fragen. Das ist keine Ordnung. Gestern fragt mich einer, wo Gott vor der Erschaffung der Welt gewesen sei. Den hab ich aber angeschissen.

KARLSTADT

Und wo war er?

LUTHER

Wer?

KARLSTADT

Gott.

Luther schreibt weiter.

Was wir da so den ganzen Tag predigen. Wir glauben nicht daran. Die Studenten glauben nicht daran. Den Reichen ist es egal, die armen Leute wissen es nicht anders, und den Fürsten gefällts. Und wofür das alles? Fürs Gehalt. Ich könnt kotzen.

LUTHER

Man sollte sämtliche Universitäten zu Pulver machen. Sie verderben nur die Jugend. Alles Brutstätten des Unglaubens und der Kritik. Es gibt nichts Höllischeres und Teuflischeres auf der Welt als Universitäten.

KARLSTADT

Aber mein Lieber, sie ernähren ihre Professoren.

LUTHER

Das ist wahr. Wo hast du dein Buch, in dem die Thesen gegen den Ablaß stehen?

KARLSTADT

sucht ein Buch heraus und liest den Titel vor.151 Thesen von Dr. Dr. Andreas Karlstadt. Professor der Theologie an der Universität zu Wittenberg. Er wirft Luther das Buch zu Kein Mensch hat sich darum gekümmert. Wen interessiert das auch.

LUTHER

Die Universität ist noch jung. Sie gilt nicht allzuviel. Aber das kann sich ändern.

KARLSTADT

Was schreibst du da?

LUTHER

Ein Gutachten für den Hof.

Podest links

Friedrich in einem Sessel. Spalatin kommt herauf, ein Blatt Papier in der Hand.

SPALATIN

Die Streitschrift, betreffend den Ablaß.

FRIEDRICH

Taugt sie was?

SPALATIN

Ein bißchen verquer, aber brauchbar. Wenn Kurfürstliche Gnaden einen Blick –

FRIEDRICH

Ich will das nicht sehen. Kein Wort. Mit der Sache will ich nichts zu tun haben. Was ich nicht kenne, brauche ich nicht zu leugnen. Ich verlaß mich da ganz auf Sie. Wer hat es geschrieben?

SPALATIN

Ein gewisser Luther. Sie haben ihm seinerzeit die Promotion bezahlt. Wollen Sie ihn sehen?

FRIEDRICH

Nie. Guter Mann?

SPALATIN

Nicht dumm, aber ein bißchen einfältig.

FRIEDRICH

Also nützlich. Zuverlässig?

SPALATIN

Ich glaube schon.

FRIEDRICH

Das ist die richtige Mischung. Was nimmt er?

SPALATIN

Eine neue Kutte.

FRIEDRICH

Billig.

SPALATIN

Wie sollen wir vorgehen?

FRIEDRICH

Er soll es an Albrecht schicken. Und sorgen Sie für Verbreitung.

Spalatin ab.

Tisch vorne links

SPALATIN

Lieber Luther, Ihre Thesen sind auf großes Interesse gestoßen. Ihr dürft sie an Albrecht senden.

LUTHER

An den Erzbischof?

SPALATIN

Hier ist ein Entwurf für den Brief.

LUTHER

Aber bester Spalatin. Das sind Thesen. Streitsätze für eine wissenschaftliche Diskussion. Etwas für Professoren.

SPALATIN

Auch Fürsten diskutieren gelegentlich.

LUTHER

Ich möchte nicht, daß unser gnädiger Kurfürst und Albrecht – Ihr versteht.

SPALATIN

Nein.

LUTHER

Zwei Kurfürsten, die verschiedene Ansichten haben – Politik. Was sollen da meine Thesen. Man könnte sie mißverstehen.

SPALATIN

Das glaube ich nicht.

LUTHER

Der Erzbischof ist mein höchster Herr.

SPALATIN

Der Kurfürst ist Euer Herr. Immer der, der zahlt. Er gibt ihm die Thesen in die Hand Und versucht mal, den Tetzel hierherzuholen.

LUTHER

Wozu?

SPALATIN

Kleine wissenschaftliche Diskussion.

LUTHER

Der wird wohl kaum kommen.

SPALATIN

Freies Geleit, Kost und Logis werden zugesichert.

LUTHER

Von wem? Etwa vom Gnädigen Herrn?

SPALATIN

Höchstpersönlich. Er geht ab.

Luther bleibt verwirrt zurück.

Tisch vorne rechts

Ein Beamter mit Briefen. Albrecht kommt mit einer Dirne am Arm.

ALBRECHT

Na, was sagst du? Ein echt Mainzer Kind.

BEAMTER

Hochwürdigste Exzellenz haben wie immer eine gute Wahl getroffen.

ALBRECHT

Etwas Wichtiges?

BEAMTER

Ein Schreiben von einem Augustinermönch. Er beschwert sich über die Art, wie Tetzel seinen Ablaß verkauft.

ALBRECHT

Unwichtig.

BEAMTER

Das Schreiben ist scharf gehalten.

ALBRECHT

Stört mich nicht. Wir haben andere Sorgen, nicht wahr, mein Kind?

BEAMTER

Der Mann ist Professor an der Wittenberger Universität.

ALBRECHT

Wittenberg, gibt es da eine Universität? – erkennend Wittenberg?

BEAMTER

Sehr wohl, Exzellenz.

ALBRECHT

Der Friedrich. Dieses Schwein.

DIRNE

Aber Schatzi. Darf ein Erzbischof denn solche Worte sagen?

ALBRECHT

Nur ein Erzbischof, mein Kind. Nur ein Erzbischof.

BEAMTER

Wie geruhen hochwürdigste Exzellenz zu entscheiden?

ALBRECHT

Liegenlassen, liegenlassen, ganz heiße Sache. Und sofort Rom informieren. Der Papst wird sich freuen.

BEAMTER

Sehr wohl, Gnädiger Herr.

ALBRECHT

Und nun, mein Kind, zeig ich dir meinen Dom.

Sie gehen lachend ab. Beamter geht ab.

Podest rechts

Kardinal Cajetan liest in einem Buch. Kardinal Bibbiena und ein zweiter Kardinal, der Bücher und Papiere in der Hand hat, kommen auf das Podest.

BIBBIENA

Moischele steht vor a kirche. Tate, was is dos für a haus mit dem hohen turm? Moischele, dos ist a kirche. Was is a kirche? Nun, die goim sagen, do wohnt der liebe Gott. Aber tate, der liebe gott wohnt doch im himmel. Sollst recht habn, wohnen tut er im himmel, aber do drinnen hat er sein gschäft. Beide lachen Der Heilige Vater.

Der Papst kommt auf das Podest. Er trägt Stiefel und um den Hals eine lange Kette.

PAPST

Ich hab mir den Rock kürzer gemacht. Wie gefällt euch die neue Länge?

BIBBIENA

Seine Heiligkeit werden von Tag zu Tag freier.

CAJETAN

Man sollte vielleicht ein Konzil einberufen, um die Rocklänge ein für allemal festzulegen.

PAPST

Du stürzt die Menschheit ins Unglück. Es gibt nur zwei anständige Themen. Das Wetter und die Rocklänge. Soll man nur noch übers Wetter reden?

2. KARDINAL

Wenn ich Seine Heiligkeit darauf aufmerksam machen darf, Seine Heiligkeit tragen Stiefel.

PAPST

Stehen sie mir nicht?

2. KARDINAL

Man kann Seiner Heiligkeit nicht mehr die Füße küssen.

PAPST

Abschaffen. Zu Cajetan Studierst du immer noch deinen Kopernikus? Die Erde dreht sich um sich selbst und dreht sich um die Sonne.

CAJETAN

Er hat recht.

PAPST

Ich habe nichts dagegen. Ich finde es hübsch. So lebendig. Alles bewegt sich. Wenn ich denke, ich sitze hier im Vatikan und sause durch den Weltraum – hübsch, gefällt mir.

CAJETAN

Die Erde ist nicht mehr Mittelpunkt der Welt.

PAPST

Ich weiß. Leonardo ist auch der Meinung.

2. KARDINAL

Und der Papst dann nicht mehr Mittelpunkt der Erde.

PAPST

Nebbich.

CAJETAN

Aber wenn oben und unten aufgehoben ist, was dann? Wo ist der Himmel? Wo ist Gott?

PAPST

Ja, wo ist Gott? Bibbiena, das müßtest du wissen, du bist Atheist.

BIBBIENA

Das steht in meinem nächsten Stück.

PAPST

Schreibst du uns etwas Neues?

BIBBIENA

Ich arbeite an einem Stück, in dem der wichtigste Mann gar keine große Rolle hat, sondern nur zum Schluß in einer kurzen Szene erscheint.

PAPST

zum 2. Kardinal Hat Erasmus geschrieben?

2. KARDINAL

Leider nein.

PAPST

Erasmus, das ist ein Mann. Eine Bildung. Ein Wissen. Ein Stil. Aber er kommt nicht. Er nimmt nur Geld.

CAJETAN

Schriftsteller.

BIBBIENA

Mach ihn zum Kardinal.

PAPST

Gute Idee. Ich werde nur noch Künstler, Wissenschaftler und Atheisten zu Kardinälen machen. Das ist überhaupt die Lösung. Alle Priester werden exkommuniziert, und der Schoß der heiligen Kirche wird in den Kopf verlegt. – Was gibts?

2. KARDINAL

Ein Bericht über die heilige Inquisition in Spanien, die nicht sehr heilig zu sein scheint.

PAPST

Haben die noch nicht Schluß gemacht? Ich will das nicht. Diese Borniertheit. Die Welt wird jeden Tag größer und weiter. Amerika, Afrika, Indien, China. Überall neue Länder, neue Völker und überall alte Kulturen, alte Religionen. Diese Rechthaberei. Wir sind doch nicht die einzigen. Eine Religion unter vielen. Recht hat sowieso keiner. Diese Fabel mit Christus, Gott ja, sie bringt Geld. Ich lese gerade Plato. Der Mann ist mir lieber.

CAJETAN

Ich kann Seiner Heiligkeit den Koran empfehlen.

PAPST

Man kann nur lernen. Das ist alles. Mein Arzt ist Jude. Einer meiner besten Freunde Maure. Ihr kennt doch Al-Hasan ibn Muhammad al-Wazzan? Der hat halb Afrika bereist. Er schreibt jetzt ein Buch darüber. Welche Kultur, welche Schönheiten. Die haben da Kulturen, die sind Jahrtausende älter als unsere. Von wegen blöde Buschnigger. Das erzählen uns die Kaufleute, damit sie sie als Sklaven verkaufen können. Ich bin strikt dagegen. Auch daß die Indianer da drüben versklavt werden. Das laß ich nicht zu. Da müssen wir mal eine Bulle oder so etwas machen. Erinnere mich daran. – Noch was?

2. KARDINAL

gibt dem Papst ein Buch Der Talmud.

PAPST

Ah, herrlich, ich habe den Talmud drucken lassen. Es gab noch keine Druckausgabe. Eine Schande. Zu Bibbiena Schau mal, dieser Einband.

2. KARDINAL

Saffian.

PAPST

Und dieser Druck.

2. KARDINAL

Bibeldruck.

BIBBIENA

betrachtet die Kette des Papstes Eine neue Kette?

PAPST

Cellini. Übrigens Cellini hat eine Vernissage. Da müssen wir hin. Zu Cajetan Hast du schon die Bilder von Raffael gesehen? Er hat Bibbienas Badezimmer ausgemalt. Na, als Papst werde ich da aber rot.

CAJETAN

Leonardo da Vinci ist mir lieber.

PAPST

Leonardo ist ein Genie, ich weiß. Aber er führt nichts zu Ende. Alles nur Ideen. Konzept-Art.

BIBBIENA

Die Mona Lisa ist großartig.

PAPST

Die Mona Lisa ist gut. Aber er malt ja kaum noch. Neulich hat er wieder ein Happening veranstaltet. Er hat die Leute mit einem Haufen gesäuberter Hammeldärme in ein Zimmer gesperrt. Dann hat er von einem Nebenzimmer die Därme mit Blasebälgen aufgeblasen, bis alle an die Wand gedrückt wurden. Auf diese Weise würde man die Luft sehen, hat er gesagt.

2. KARDINAL

Diese modernen Künstler.

BIBBIENA

Tizian war bei mir. Er wollte einen Vorschuß haben.

PAPST

Findest du Tizian gut?

CAJETAN

Mein Mann ist Michelangelo.

PAPST

Naja, Michelangelo.

CAJETAN

Das größte Genie. Ich war in seiner Werkstatt.

PAPST

Ich gebe zu, diese Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle. Das wirft einen um. Trotzdem, ich schwärme für Raffael. Die Pläne für die Peterskirche. Das wird so ein Bau. Aber er wird Millionen kosten. Ich habe gerade einen neuen Ablaß aufgelegt.

2. KARDINAL

Ablaß. Da gibt es in Deutschland einigen Ärger. Ein Professor protestiert gegen den Petersdomablaß.

PAPST

Schick ihm die Entwürfe von Raffael.

2. KARDINAL

Friedrich von Sachsen steckt wohl dahinter.

PAPST

Ach der. Der will ja auch nur Ablässe. Gebt sie ihm. Dann ist die Sache erledigt. Schreib ihm, es sei gerade wieder ein ganzes Schiff mit Partikeln des Heiligen Kreuzes angekommen, ferner ein Haufen Knochen diverser Heiliger und die Schnupftücher des heiligen Jesulein. Er soll sich rasch eindecken.

2. KARDINAL

Der portugiesische Botschafter möchte Seiner Heiligkeit einen weißen Elefanten überreichen.

PAPST

Ein weißer Elefant? Ein Wunder Gottes.

Alle ab.

Podest links

Feilitzsch zeigt Friedrich einige neue Reliquien.

FEILITZSCH

Ein Armknochen des Heiligen Benno.

FRIEDRICH

Schönes Stück. Herrlich. Und genausolang wie meiner.

Spalatin kommt auf das Podest.

FEILITZSCH

Ein Kamm der Heiligen Ursula mit 17 Haaren.

FRIEDRICH

Süß. Zu Spalatin Die neuesten Heiligtümer der Frankfurter Messe.

SPALATIN

Ich habe die Rechnung gesehen.

FRIEDRICH

Der Preis spielt keine Rolle. Qualität. Qualität. Wenn das Volk auf seinen Knien durch die Kirche rutscht, muß man ihm auch etwas bieten. Das Volk darf man nicht betrügen, nicht wahr, Spalatin?

SPALATIN

Nie, Kurfürstliche Gnaden.

FRIEDRICH

Qualität macht sich immer bezahlt.

FEILITZSCH

Eine Flasche Milch von der Heiligen Jungfrau Maria.

FRIEDRICH

Köstlich. Köstlich. Ein Schatz. Wieviel Flaschen haben wir jetzt schon?

FEILITZSCH

Fünf.

FRIEDRICH

– Echt?

FEILITZSCH

Gutachten der berühmtesten Universitäten von Paris und Basel liegen vor. Es handelt sich um eine sehr frühe Milch. 10 Tage nach der Geburt.

FRIEDRICH

Das Jahrhundert der Wissenschaft. Es ist eine Lust zu leben. Was sagen Sie zur Post, Spalatin? Der Papst sendet neue Ablässe. Wir werden viel, viel Geld verdienen. Die Sache läßt sich besser an, als ich dachte. Der Mann soll seine Kutte haben.

SPALATIN

Der Adel unterstützt an vielen Orten die Verbreitung der Thesen.

FRIEDRICH

Das glaub ich.

SPALATIN

Auch das Volk hat sehr positiv reagiert.

FRIEDRICH

Da sehen Sie mal wieder. Das Volk wird immer unterschätzt.

SPALATIN

Kurfürstliche Gnaden sind heute wieder zu gütig.

FRIEDRICH

Ich weiß, ich weiß. Und damit auch der Papst weiß, wie das Volk denkt, soll dieser Mensch seine Thesen auch nach Rom schicken. Ein hübsches Begleitschreiben dazu, bißchen diplomatisch, aber das setzen Sie ihm auf. Überhaupt wäre es gut, wenn Sie ein Auge auf seine Arbeiten hätten. Damit das in den richtigen Bahnen läuft.

SPALATIN

Er zeigt mir alles, was er schreibt.

FRIEDRICH

Das ist vernünftig. Meinen Sie, er schafft es – so ganz alleine?

SPALATIN

Man muß es abwarten.

FRIEDRICH

Das ist mir zu unsicher. Wen haben wir denn noch?

SPALATIN

Karlstadt.

FRIEDRICH

Taugt er was?

SPALATIN

Ein radikaler Kopf.

FRIEDRICH

Vielleicht sollte man für Verstärkung sorgen.

SPALATIN

Wenn es ernst wird, brauchen wir einen Mann, der Luthers Arbeiten wissenschaftlich absichert, der auch Griechisch und Hebräisch kann.

FRIEDRICH

Haben sie einen?

SPALATIN

Melanchthon. Noch sehr jung, aber ein sehr intelligenter Bursche.

FRIEDRICH

Lassen Sie ihn kommen. Wir brauchen jetzt diese jungen Leute. Ein bißchen revolutionär schadet gar nichts. Wir leben in einer unruhigen Zeit. Alles ist im Umbruch. Da soll man an Intelligenz nicht sparen. Außerdem ist sie billig.

SPALATIN

Die jungen Leute machen sich natürlich Sorgen.

FRIEDRICH

Sagen Sie ihnen, daß sie unter unserem kurfürstlichen Schutz stehen. Es wird ihnen nichts passieren. Sie sind unsere lieben jungen Leute, auf die wir ein gnädiges Auge haben werden. Und dem Luther richten Sie aus, er soll ja standhaft sein. Wir setzen große Erwartungen in seine Standhaftigkeit. Haben Sie die Akten für den Augsburger Reichstag?

SPALATIN

Im Kabinett.

FRIEDRICH

Daß wir uns da gut vorbereiten. Nimmt die Milchflasche in die Hand Wirklich echt?

FEILITZSCH

Gutachten von –

FRIEDRICH

Weiß weiß. Er schnuppert an der Flasche und trinkt dann einen Schluck Himmlisch.

Alle ab.

Heitere Musik. Auf die Tische werden Getränke und Delikatessen gestellt. Bis zum Ende der Luther-Cajetan-Szene entwickelt sich auf der ganzen Bühne eine Freß- und Sauforgie. Links ein Diener. Fugger kommt von hinten an die Rampe. Gäste strömen herein.

FUGGER

Meine Herren, ich begrüße Sie auf dem Reichstag zu Augsburg. Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl in meinem Haus.

DIENER

ruft Kardinal Albrecht von Brandenburg.

ALBRECHT

tritt auf Kardinal! Mein lieber Fugger, Kardinal!

FUGGER

Ich gratuliere. Wann werden Sie Papst?

ALBRECHT

Eine Geldfrage, nur eine Geldfrage. Er dreht sich Steht es mir?

FUGGER

Ausgezeichnet.

ALBRECHT

Ich finde, es gibt einem so etwas Göttliches.

FUGGER

Ich weiß nicht, was Gott zur Zeit trägt.

ALBRECHT

Sie sind ein Ketzer, mein Lieber. Ich werde Ihren Scheiterhaufen höchstpersönlich anzünden.

FUGGER

Aber bitte erst, nachdem Sie Ihre Schulden bezahlt haben.

ALBRECHT

Ein Zahlenmensch. Von oben bis unten nur Zahlen. Schlafen Sie auch mit ihnen?

FUGGER

Mit den Nullen.

ALBRECHT

Schrecklich. Apropos Nullen. Was steht denn auf der Tagesordnung?

FUGGER

Kaiser Maximilian möchte Karl zu seinem Nachfolger machen.

ALBRECHT

Sieh einer an. Neuigkeiten. Dieser Kleine da aus Spanien?

FUGGER

Ja.

ALBRECHT

Und da braucht er unsere Stimmen?

FUGGER

Sind Sie für Karl?

ALBRECHT

Wenn ich bezahlt werde, bin ich für alles.

FUGGER

Ich zahle.

ALBRECHT

Für Karl.

FUGGER

verbeugt sich leicht Eminenz.

ALBRECHT

Noch einmal Eminenz, und ich garantiere für nichts mehr.

DIENER

ruft Kurfürst Friedrich von Sachsen

Friedrich tritt auf.

ALBRECHT

Ah, dieser ungebildete Sachse. Wo steht der Wein?

FUGGER

Dort drüben. Zu Friedrich Hatten Sie eine gute Reise?

FRIEDRICH

Ein bißchen weit. Aber neuerdings finden die Reichstage ja nur noch in Ihrem Haus statt.

FUGGER

Es hat sich so ergeben.

FRIEDRICH

Haben Sie jetzt auch schon ein Monopol auf den Reichstag?

FUGGER

Ein reines Verlustgeschäft.

FRIEDRICH

Ich muß mich noch bei Ihnen entschuldigen. Diese dumme Ablaßgeschichte.

FUGGER

Aber lieber Fürst. Keine Ursache.

FRIEDRICH

Sie hatten Verluste.

FUGGER

Kleingeld. Außerdem war ich abgesichert. Wissen Sie, ich habe dem Markt schon lange mißtraut. Die Konjunktur verschiebt sich. Wenn ich Ihnen raten darf, investieren Sie nur noch vorsichtig.

FRIEDRICH

Meine Reliquien gehen noch gut.

FUGGER

Reliquien werden noch eine Weile laufen. Da hat man etwas vor Augen. Man kann daran glauben. Aber dieser Zettelkram ist tot. Was machen Ihre Bergwerke?

FRIEDRICH

Könnte besser sein. Die Arbeiter fehlen.

FUGGER

Wir stecken in einem inflationären Boom. Eine Riesennachfrage, und der Arbeitsmarkt ist leergefegt.

FRIEDRICH

Und die Arbeiter verlangen mehr Lohn. Das macht doch alle Gewinne kaputt.

FUGGER

Ich habe jetzt überall stark rationalisiert. Wir arbeiten nach einem neuen System. Drei Schichten à 7 Stunden.

FRIEDRICH

Wo nehmen Sie die Leute her?

FUGGER

Die Arbeiter dürfen nicht zuviel Lohn bekommen. Dann fahren sie zwei Schichten hintereinander.

FRIEDRICH

Sie werden mehr Lohn verlangen.

FUGGER

Führen Sie einen Lohnstopp ein. Die Löhne niedrig halten, und die Preise kräftig steigern.

FRIEDRICH

Die Arbeiter werden weglaufen.

FUGGER

Verbieten Sie jeden Arbeitsplatzwechsel. Vor allem darf kein Unternehmer einen Arbeiter einstellen, der woanders Unzufriedenheit geschürt hat. Ich empfehle Ihnen das System. Ihr Vetter, Herzog Georg, hat es bereits eingeführt. Er ist sehr zufrieden. Ich bin gerne bereit, Ihnen zu helfen.

FRIEDRICH

Was kostet Ihre Hilfe?

FUGGER

Nicht, was Sie denken, Fürst. Ich besitze die größten und ergiebigsten Bergwerke in ganz Europa. Die paar freien Bergwerke stören mich nicht. Sie sind sowieso auf mich angewiesen. Der große Gewinn liegt nicht in der Förderung, sondern in der Weiterverarbeitung. Die Hüttenwerke, Schmelzwerke, Hammerwerke, Gießereien, Kanonenfabriken. Der Konzern macht es. Da liegt der Gewinn. Ihre Bergwerke und Ihre Hüttenwerke, entschuldigen Sie, das ist ja noch Heimarbeit.

FRIEDRICH

Vergessen Sie nicht, Ihr größtes und modernstes Hüttenwerk liegt in meinem Land und ist auf meinen Schutz angewiesen.

FUGGER

Der ihm hoffentlich für alle Zeit erhalten bleibt.

FRIEDRICH

Hoffentlich. Man weiß ja nie was passiert, und Sie beliefern mit diesem Werk Deutschland, Holland, Spanien und Portugal. Wichtige Märkte.

FUGGER