Der strahlendste Stern von Hollywood - Laura Baldini - E-Book
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Der strahlendste Stern von Hollywood E-Book

Laura Baldini

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Beschreibung

Bevor sie zur gefeierten Charakterdarstellerin werden kann, muss sie sich ihrer Vergangenheit stellen.

1926 besucht die junge Katharine ein College in der Nähe von Philadelphia. Sie ist ein Wirbelwind, hält sich nicht an Konventionen und macht mit ihrem schauspielerischen Talent auf sich aufmerksam. Als der berühmt-berüchtigte Autor Phelps Putnam sie in einer Aufführung sieht, beginnt ihr unaufhaltsamer Aufstieg zur größten Hollywood-Legende aller Zeiten.

Doch hinter der quirligen und lustigen Katharine verbirgt sich eine tieftraurige Frau, die fast an der dramatischen Liebe zu Spencer Tracy zerbricht. Erst als sie sich den Schatten ihrer Vergangenheit stellt, findet sie die Rolle ihres Lebens.

Katharine Hepburn: Liebende, Leidende, Legende

Katharine Hepburn (1907–2003) wurde viermal mit dem Oscar als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet und ist damit Rekord-Preisträgerin. Das American Film Institute wählte sie 1999 auf Platz 1 der 25 größten weiblichen Filmlegenden. Ihre Liebe zu Spencer Tracy, der verheiratet war, musste Katharine Hepburn ein Leben lang verheimlichen. Auch wenn die Beziehung in Hollywood ein offenes Geheimnis war, gibt es angeblich nicht ein privates Foto, das die beiden gemeinsam zeigt.

Bedeutende Frauen, die die Welt verändern

Mit den historischen Romanen unserer Reihe »Bedeutende Frauen, die die Welt verändern" entführen wir Sie in das Leben inspirierender und außergewöhnlicher Persönlichkeiten! Auf wahren Begebenheiten beruhend erschaffen unsere Autor:innen ein fulminantes Panormana aufregender Zeiten und erzählen von den großen Momenten und den kleinen Zufällen, von den schönsten Begegnungen und den tragischen Augenblicken, von den Träumen und der Liebe dieser starken Frauen.

Weitere Bände der Reihe: 

  • Laura Baldini, Lehrerin einer neuen Zeit (Maria Montessori)
  • Romy Seidel, Die Tochter meines Vaters (Anna Freud)
  • Petra Hucke, Die Architektin von New York (Emily Warren Roebling)
  • Laura Baldini, Ein Traum von Schönheit (Estée Lauder)
  • Lea Kampe, Der Engel von Warschau (Irena Sendler)
  • Eva-Maria Bast, Die aufgehende Sonne von Paris (Mata Hari)
  • Eva-Maria Bast, Die vergessene Prinzessin (Alice von Battenberg)
  • Yvonne Winkler, Ärztin einer neuen Ära (Hermine Heusler-Edenhuizen)
  • Agnes Imhof, Die geniale Rebellin (Ada Lovelace)
  • Lea Kampe, Die Löwin von Kenia (Karen Blixen)
  • Eva Grübl, Botschafterin des Friedens (Bertha von Suttner)
  • Laura Baldini, Der strahlendste Stern von Hollywood (Katharine Hepburn)
  • Eva-Maria Bast, Die Queen (Queen Elizabeth II.)
  • Agnes Imhof, Die Pionierin im ewigen Eis (Josephine Peary)
  • Ulrike Fuchs, Reporterin für eine bessere Welt (Nellie Bly)
  • Anna-Luise Melle, Die Meisterin der Wachsfiguren (Marie Tussaud)
  • Petra Hucke, Die Entdeckerin des Lebens (Rosalind Franklin)
  • Jørn Precht, Die Heilerin vom Rhein (Hildegard von Bingen)
  • Elisa Jakob, Die Mutter der Berggorillas (Dian Fossey)
  • Yvonne Winkler, Kämpferin gegen den Krebs (Mildred Scheel)
  • Lena Dietrich, Die Malerin der Frauen (Artemisia Gentileschi)
  • Laura Baldini, Die Pädagogin der glücklichen Kinder (Emmi Pikler)

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Seitenzahl: 385

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Dr. Annika Krummacher

Covergestaltung und -motiv: Johannes Wiebel | punchdesign

unter Verwendung von Motiven von AdobeStock und alamy.com

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence, München mit abavo vlow, Buchloe

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

New York, Brooklyn,April 1949

Bryn Mawr College, Pennsylvania, September 1926

Bryn Mawr College, Pennsylvania, Mai 1927

Philadelphia, Juni 1927

Hartford, Juni 1927

Bryn Mawr College, Pennsylvania, Mai 1928

New York, Brooklyn,April 1949

Hartford, Juni 1928

New York, Manhattan,Juli 1928

New York, Manhattan,Oktober 1928

New York, Long Island,Oktober 1928

New York, Brooklyn,April 1949

Hartford, November 1928

New York, Manhattan,Februar 1930

New York, Manhattan,März 1931

New York, Manhattan,November 1931

New York, Manhattan,April 1932

Los Angeles, Hollywood,Mai 1932

New York, Manhattan,September 1932

Fenwick, Juli 1949

Los Angeles, Hollywood,Dezember 1932

Los Angeles, Hollywood,Januar 1933

Los Angeles, Hollywood,Januar 1933

New York, Manhattan,März 1933

Los Angeles, Hollywood,September 1949

New York, Manhattan,März 1933

Paris, April 1933

Fenwick, August 1933

Los Angeles, Hollywood, April 1950

Los Angeles, Hollywood,August 1935

Los Angeles, Oktober 1935

New York, Manhattan,Februar 1936

Los Angeles, Hollywood,März 1936

Hartford, Oktober 1937

New York, Manhattan,Januar 1950

Los Angeles, Hollywood,August 1940

Los Angeles, Hollywood,März 1942

Hartford, März 1951

London, April 1951

Nachwort

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

New York, Brooklyn,April 1949

Das Licht auf dem Flur des St. George Hotels war gedämpft, und die Wandlampen spendeten gerade ausreichend Licht, damit niemand über die Falten des weinroten Teppichbodens stolperte. Der Großteil der Hotelgäste schlief seit Stunden tief und fest.

Doch Kate ahnte, dass sie auch in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde. Um am nächsten Morgen nicht unter Nacken- und Kopfschmerzen leiden zu müssen, hatte sie einen der bequemen Lehnsessel, die normalerweise neben dem Bücherregal am Ende des Hotelflurs standen, vor Spencers Zimmertür geschoben. Einer der Hotelpagen hatte ihr dabei geholfen. Sie wollte nicht schon wieder auf dem Fußboden sitzen.

Mit angezogenen Knien harrte sie auf dem Sessel aus. Immer wieder stand sie auf, legte das Ohr an die weiß gestrichene Tür und lauschte angespannt. Solange sie Geräusche vernahm, war alles gut. Gefahr drohte erst, wenn es da drinnen leise wurde. Das laute Poltern, Fluchen und Türenschlagen war schon vor Stunden einem leisen Wimmern gewichen. Kate kannte die Geräusche nur zu gut. Bald würde ein hemmungsloses Schluchzen nach außen dringen.

Am frühen Nachmittag war Spencer mit einer Kiste irischem Whiskey in sein Zimmer gegangen. Er hatte all ihre Bitten ignoriert und sie brutal zur Seite gestoßen. Noch immer schmerzte Kates rechte Schulter von dem Stoß, den er ihr versetzt hatte. Mit Sicherheit würde sich auf ihrer hellen Haut ein hässlicher blauer Fleck bilden, der sie tagelang an Spencers Verhalten erinnern würde. Wenn er wieder bei Bewusstsein war, würde er sich für sein Verhalten entschuldigen und ihren Körper nicht ansehen können, bis der Fleck vollständig verschwunden war. Denn sobald er wieder nüchtern war, kam sein Selbsthass.

Doch nun würde er erst einmal einen Teil der Flaschen leeren. Sobald es völlig still hinter der Tür wurde, musste Kate sich auf die Suche nach einem loyalen und diskreten Hotelmitarbeiter machen, der gegen ein großzügiges Trinkgeld das Zimmer für sie aufsperrte. Die Gefahr, dass Spencer in seinem Rausch etwas zustieß, war zu groß. Bei seinem letzten Absturz hatte er stundenlang bewusstlos dagelegen.

Was war diesmal nur schiefgelaufen?, fragte sich Kate. Drei Wochen lang war Spencer trocken gewesen. Sie hatte auf jedes noch so kleine Anzeichen reagiert und versucht, sofort gegenzusteuern. Die harmloseste Kritik an seiner Person hatte sie im Keim erstickt. Probleme mit Kollegen und Reportern hatte sie aus dem Weg geräumt. Bei jeder Probe hatte sie ihn angehimmelt und ihn umsorgt wie eine persönliche Assistentin. Sie hatte ihm Kaffee und Erfrischungen gebracht, die Schläfen und die Füße massiert, mit ihm die heiklen Textpassagen einstudiert und ihm Mut zugesprochen. Die verstörten Blicke ihrer Kollegen hatte sie geflissentlich ignoriert. Aber trotz ihrer Bemühungen war es erneut passiert. Sobald der letzte Drehtag für den Film Ehekrieg vorbei war, hatte Spencer wieder zur Flasche gegriffen. Kate hatte ihn nicht davor bewahren können. Alles, was sie jetzt noch tun konnte, war abwarten. Doch die Abwärtsspirale, in die er sich so oft begab, drehte sich immer schneller, und die Pausen zwischen seinen Abstürzen wurden kürzer.

Kate hörte ein helles Klirren. Eine Flasche wurde achtlos in eine Kiste gestellt. Sie drückte das Ohr an die Tür. Flüssigkeit wurde in ein Glas geschenkt. Bis zum endgültigen Zusammenbruch hatte sie noch ein paar Stunden Zeit, um Kräfte zu sammeln. Dass sie sie brauchen würde, wusste sie. Es war nicht ihre erste Nacht auf dem Flur des St. George. Kate faltete die Hände und bettete ihren Kopf darauf. Dann schloss sie die Augen, und ihre Gedanken drifteten ab – in eine Zeit, die viele Jahre zurücklag.

Bryn Mawr College, Pennsylvania, September 1926

Ich bin so froh, dass du zurück aufs College gekommen bist.« Alice Palache sah von ihren Büchern auf, und das brünette Kraushaar rutschte ihr in die Stirn. Nachlässig strich sie es hinters Ohr. »Ich hatte solche Angst, du würdest aufgeben.«

»Mein Vater hätte niemals zugelassen, dass ich das College ohne Abschluss verlasse«, antwortete Kate. »Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein Theater er gemacht hat.«

»Will er denn immer noch, dass du Medizin studierst?«

»Daran hat sich nichts geändert.« Kate schlug ihr Heft zu und schob es in ihre Ledertasche.

Dank der intensiven Hilfe ihrer klugen Freundin hatte sie die komplizierten Gleichungen lösen können, die bis zum nächsten Tag zu bearbeiten waren. Mrs Fellner, die strenge Mathematiklehrerin, würde ausnahmsweise mit ihr zufrieden sein. Kate selbst war verblüfft, wie es Alice mit viel Geduld gelungen war, ihr die komplizierten Aufgaben zu erklären. Mrs Fellner hingegen pflegte nur damit zu drohen, dass Kate das Semester wiederholen müsse, wenn sich ihre Noten in Mathematik nicht verbesserten.

»Willst du denn in die Fußstapfen deines Vaters treten und Chirurgin werden?«, fragte Alice.

»Um Himmels willen, nein!« Auf Kates schmalem, sommersprossigem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. »Ich werde Schauspielerin!«

Ihre übermütigen Worte brachten ihr einen finsteren Blick der Bibliothekarin ein.

»Komm, lass uns woanders hingehen«, schlug Kate vor und zog Alice am Ärmel aus dem Lesesaal der Bibliothek. Gut gelaunt liefen die beiden die auf Hochglanz polierte Teakholztreppe hinunter.

Sie waren ein ungleiches Paar. Kate war groß, schlank und rothaarig, und die jungen Männer sahen ihr nach, wenn sie an ihnen vorbeilief. Das war nicht immer so gewesen. Noch vor einigen Jahren hatte Kate darunter gelitten, dass die Jungs sie nicht beachtet hatten. Wegen ihres dürren Körpers und ihres roten Haars war sie als »Bohnenstange« verspottet worden. Alice hingegen war klein und eher unscheinbar.

Als Einzelgängerin hatte Kate die ersten zwei Jahre auf dem College fast ausschließlich in ihrem Zimmer verbracht. Sie hatte es nur der geselligen Alice zu verdanken, dass sie sich aus ihrem Schneckenhaus gewagt und sich in mehrere Sportkurse eingeschrieben hatte, von denen ihre Freundin sogar einige leitete. Während Kate zu den schlechtesten Schülerinnen in Bryn Mawr zählte, war Alice eine der besten. Kate war der Meinung, dass man ihrer Freundin am Ende des Jahres zwei Diplome verleihen müsse – eines für ihre eigenen Leistungen und eines dafür, dass sie Kate durch alle Unterrichtsfächer getragen hatte.

Die beiden jungen Frauen verließen das düstere Treppenhaus und gelangten durch einen Korridor zum Kreuzgang, in dessen gekiester Mitte sich ein riesiger Steinbrunnen befand. Laut Kalender war es bereits Herbst, doch die Temperaturen waren eher sommerlich. Drückend heiß brannte die Sonne vom Himmel und trieb ihnen den Schweiß auf die Stirn.

»Weißt du, worauf ich jetzt Lust hätte?« Kates grüne Augen glitzerten schalkhaft.

Alice schien die Gedanken ihrer Freundin lesen zu können, denn sie schüttelte entschieden den Kopf. »Denk nicht einmal daran«, warnte sie.

Kate hatte bereits vor den Ferien vorgeschlagen, in einer lauen Sommernacht ein Bad im Brunnen zu nehmen. Am liebsten nackt. Alice war entsetzt gewesen.

»Aber warum denn nicht?«, fragte Kate. »Es ist heiß, und hier ist Wasser. Wir können uns doch nirgendwo anders abkühlen.«

»Ich erinnere dich daran, dass du Mitglied der Theatergruppe werden willst. Dazu benötigst du exzellente Noten und eine Akte ohne irgendwelche Strafpunkte.«

»Ich hasse diese Regeln. Sie wurden von Spießern gemacht«, erklärte Kate und stemmte die Hände in die Hüften. »Als meine Mutter und ihre Schwester Edith hier zur Schule gingen, mussten sie sich nicht mit solchen Ärgernissen herumschlagen.«

»Damals waren die Regeln noch viel strenger«, sagte Alice. »Denk nur an die früheren Fotos von jungen Frauen in Schuluniform. Wir dürfen Kleidung unserer Wahl tragen.«

»Pah, dass ich nicht lache«, entgegnete Kate. »Ich habe meine Hose eingepackt, die werde ich morgen anziehen.«

»Das solltest du dir noch einmal gründlich überlegen«, meinte Alice besorgt. »Sonst wird das nichts mit der Theatergruppe.«

Kate stampfte so fest auf, dass der Kies unter ihren Füßen knirschte. »Kannst du mir bitte erklären, was altmodische Kleidung und gute Noten mit Schauspielerei zu tun haben?«

»Die Theatergruppe soll dich nicht vom Studium ablenken.«

»Wenn ich einen Text auswendig lerne, setze ich mich intensiver mit Literatur auseinander, als wenn ich langweilige Erörterungen und Interpretationen schreibe. Nur wer eine Figur in einem Stück versteht, kann sie auch glaubhaft spielen. Diese Art von Lernen macht mir viel mehr Freude.«

»Ach, Kate!« Alice lachte. »Mich musst du nicht überzeugen.«

»Also nehmen wir jetzt ein Bad?«

»Auf gar keinen Fall.«

Kate verdrehte die Augen.

»Aber zu einer Partie Tennis würde ich mich überreden lassen«, fuhr Alice versöhnlich fort.

»In Ordnung.«

Nach den endlosen Stunden im Lesesaal war Bewegung genau nach Kates Geschmack. Sport hatte in ihrer Familie immer eine sehr wichtige Rolle gespielt. Ihre fünf Geschwister und sie selbst waren in Schwimmen, Tennis, Golf, Segeln und Kunstspringen unterrichtet worden und hatten regelmäßig an Wettkämpfen teilgenommen. Thomas Hepburn, Kates Vater, war ein leistungsorientierter Mensch. Ein zweiter Platz in einem Wettkampf war für ihn undenkbar, und er pflegte zu sagen, dass Siegen eine Hepburn-Verpflichtung sei. Regelmäßige Bewegung war Kate in Fleisch und Blut übergegangen. Ein Tag ohne Sport war in ihren Augen ein verlorener. Dank ihrer Freundin lief sie nicht mehr allein über den Sportplatz, sondern stets in Gesellschaft.

Sie hakte sich bei Alice unter, und die beiden schlenderten gemeinsam durch den herbstlichen Collegegarten. Die Blätter der Ahornbäume färbten sich bereits dunkelrot, und die Astern und ein paar spät blühende Rosen trugen zum Farbenrausch bei.

»Am Wochenende fahre ich nach Hause«, sagte Kate. »In Hartford findet ein Golfturnier statt. Hast du Lust, mitzukommen?«

»Ich soll dich begleiten?« Alice blieb überrascht stehen.

»Ja, dann lernst du endlich meine Familie kennen. Mein Vater ist so stolz auf unser neues Haus. Nach all den Jahren hat er ein großes, eindrucksvolles Ziegelgebäude errichten lassen. Es steht direkt gegenüber vom Golfclub. Nimm deine Golfschläger mit, dann spielen wir gemeinsam.«

»Denkst du, deine Eltern sind mit meinem Besuch einverstanden?«

»Sie werden begeistert sein«, war Kate überzeugt. »In unserer Familie sind Gäste immer willkommen. In meiner Kindheit war die Eistruhe in unserem Ferienhaus in Fenwick stets mit Ginger Ale und Brause gefüllt, damit wir genug Vorrat hatten, wenn die Nachbarskinder aus der Umgebung zum Spielen vorbeikamen.«

»Du scheinst ja eine idyllische Kindheit gehabt zu haben«, sagte Alice.

»Die Sommermonate in Fenwick waren in der Tat paradiesisch. Wir haben dort mit Tante Edith, Onkel Don und deren Kindern gewohnt, und es herrschte immer ein großes, lautes Durcheinander. Irgendwann musst du mich auch dorthin begleiten. Du magst doch das Meer, oder?«

»Ja, natürlich«, meinte Alice. »Verbringt ihr die Sommer immer noch in Fenwick?«

»Vor fünf Jahren hat Vater die Haushälfte von Tante Ediths Familie dazugekauft. Wir sind im Sommer immer noch dort, aber ohne meine Tante, meinen Onkel und die Cousins ist es dort sehr einsam.«

»Das klingt traurig.«

Kate zuckte mit den Schultern. »Dinge verändern sich nun einmal. Man muss sich damit abfinden. Also, was ist? Kommst du mit nach Hartford?«

»Nichts würde ich lieber tun«, meinte Alice, worauf Kate sie überschwänglich umarmte.

»Das ist die Antwort, die ich hören wollte.«

Kate lenkte den alten Ford, den sie von ihrem Vater übernommen hatte, auf die Einfahrt und parkte direkt vor dem Hauseingang.

»Du hast gar nicht gesagt, dass ihr in einem Schloss wohnt«, sagte Alice beeindruckt. Sie hielt ihr Gesicht so dicht an die Scheibe des Wagenfensters, dass ihre kleine runde Nase einen Abdruck hinterließ.

Kate lachte. »Ach, übertreib nicht. Das Haus ist groß, aber kein Palast.«

»Du solltest mal unser Haus sehen«, meinte Alice. »Mein Vater ist Direktor der mineralogischen Abteilung in Harvard. Im Vergleich zu euch leben wir wirklich bescheiden.«

»Dad arbeitet seit über zwanzig Jahren als Chirurg im Hartford Hospital. Er verdient auch keine Unsummen, das kannst du mir glauben«, erklärte Kate. »Aber meine Mutter hat von ihrem Onkel Amory Houghton eine beträchtliche Summe geerbt. Er hat den Anteil ihres Erbes klug angelegt und bis zu ihrer Volljährigkeit für sie verwaltet.«

»Houghton, der Glasbaron, dem Corning Glass gehörte?«

»Du kennst seinen Namen?« Kate warf ihrer Freundin einen erstaunten Blick zu.

»Jeder kennt ihn! Er war ein erfolgreicher Unternehmer.«

Wieder einmal war Kate vom Wissen ihrer Freundin beeindruckt. Alice konnte zu jedem Thema kluge Beiträge liefern. Die Hepburns würden sehr angetan von ihr sein. Kates Eltern liebten geistreiche Diskussionen mit klugen Gesprächspartnern.

Voller Vorfreude auf das Wochenende kletterte Kate aus dem Wagen, und Alice folgte ihr. Das zweistöckige Gebäude erinnerte an einen Herrensitz in England. Die drei kleinen Spitzdächer, der Efeu, der sich die Backsteinfassade emporrankte, und der weitläufige, akribisch gepflegte Garten hätten ebenso gut nach Cornwall oder in die Cotswolds gepasst.

Kates Mutter trat aus dem Haus und kam ihnen mit weit ausgebreiteten Armen entgegen. Katharine Houghton Hepburn war trotz ihrer fünfzig Jahre eine attraktive Frau. Ihrem athletischen Körper sah man weder ihr Alter noch die sechs Schwangerschaften an. Ihr langsam ergrauendes Haar hatte sie zu einem eleganten Knoten hochgesteckt, und sie trug ein dunkles, modernes Baumwollkleid, das lose ihren schlanken Körper umspielte.

»Herzlich willkommen!« Sie umarmte Kate. Der vertraute Geruch von Kölnisch Wasser stieg Kate in die Nase. Sie spürte einen feinen Stich der Wehmut in der Brust, der aber sofort wieder verschwand.

Dann wandte ihre Mutter sich an Alice. »Sie müssen Kates Freundin sein, die ihr beim Bestehen der Prüfungen geholfen hat.«

»Das hat Kate ganz allein geschafft«, meinte Alice bescheiden.

»Unsinn!«, widersprach Kate. »Ohne deine Hilfe hätte ich die Kurse niemals mit vorzeigbaren Noten abschließen können.« Sie drehte sich schwungvoll zu ihrer Mutter. »Alice ist das klügste Mädchen, dem ich je begegnet bin. Ihr werdet sie lieben. Sie wird euch beeindrucken.«

Beschämt errötete Alice, während Kates Mutter schmunzelte.

»Lasst uns ins Haus gehen, dein Dad erwartet euch bereits.«

Kate schaute auf ihre Armbanduhr. »Immer noch der Fünfuhrtee?«

»Selbstverständlich! Lieb gewonnene Rituale soll man beibehalten.«

Kate verkniff sich die Antwort, die ihr auf der Zunge lag. Nur zu gut erinnerte sie sich an Zeiten, als ihre Mutter darüber gejammert hatte, dass ihr Vater auf der täglichen Teestunde bestand. Unzählige Male hatte sie von den Versammlungen des Frauenwahlrechtkomitees nach Hause hetzen müssen, nur um ihrem Ehemann rechtzeitig Tee zu servieren.

Im Flur wurden sie höflich von Margaret und Marion begrüßt, Kates jüngeren Schwestern. Marion war acht und Margaret sechs Jahre alt, und beide trugen ihr langes blondes Haar zu ordentlichen Zöpfen geflochten. Kate hatte weder zu den beiden kleinen Mädchen noch zu ihren Brüdern ein besonders enges Verhältnis. Mit dreizehn und fünfzehn Jahren interessierten sich Robert und Richard für völlig andere Themen als Kate. Derzeit waren sie ohnehin im Internat und würden erst am Ende des Monats für ein Wochenende nach Hause kommen.

»Dad sitzt im Wintergarten«, erklärte Katharine Houghton Hepburn.

Kate zog ihre Freundin schwungvoll mit sich durchs Wohnzimmer. Im sonnendurchfluteten Wintergarten saß Thomas Hepburn am gedeckten Tisch und las in der New York Times. Als er seine Tochter kommen sah, legte er die Zeitung zur Seite.

»Du hast einen Gast mitgebracht?«, fragte er.

Kates Vater war ein stattlicher Mann und gehörte wie seine Frau zu den glücklichen Menschen, die auch im fortgeschrittenen Alter noch bewundernde Blicke auf sich zogen. Täglicher Sport half ihm dabei, seine athletische Figur zu bewahren. Wenn Thomas Hepburn einen äußeren Makel besaß, dann waren es seine Augen. In ihnen lagen eine unbeugsame Härte und ein fast krankhafter Ehrgeiz. Werte, die er nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Kindern abverlangte.

»Das ist Alice Palache«, sagte Kate, beugte sich zu ihrem Vater und drückte ihm einen schmatzenden Kuss auf die Wange. »Alice ist meine beste Freundin.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen.« Ihr Vater streckte Alice seine Hand entgegen, ohne dabei die Lippen zu einem Lächeln zu verziehen. »Nehmt Platz.«

Auch Margaret und Marion waren gekommen und setzten sich artig auf zwei der Korbstühle. Kates Mutter übernahm das Ausschenken des Tees. Sie reichte einen silbernen Servierteller mit Sandwiches herum, die Gloria in der Küche zubereitet hatte. Gloria war Putzfrau, Köchin, Kindermädchen und der gute Geist der Familie. Schon lange unterstützte sie Kates Mutter im Haushalt. Mittlerweile war sie ein wenig in die Jahre gekommen und erledigte ihre Arbeit nicht mehr so flink wie früher. Ihre Tomatensandwiches waren aber nach wie vor die besten.

»Was tut sich am College?«, erkundigte sich Kates Vater.

»Dank Alice’ Hilfe habe ich alle Prüfungen bestanden«, erklärte Kate stolz. »Im Frühjahr werde ich bei der Aufführung von The Truth About Blayds die Rolle des jungen Oliver spielen.«

»Bist du immer noch so versessen auf die Bühne?«, fragte Kates Vater. Er wirkte ein wenig verstimmt.

»Ich kann mir nichts Schöneres und Erhabeneres vorstellen«, sagte Kate voller Enthusiasmus. Sie richtete sich auf, straffte die Schultern und verlieh ihrer Stimme einen ernsten, tragenden Unterton, während sie einen kurzen Monolog aus einem Shakespeare-Stück zum Besten gab.

Angesichts der Begeisterung seiner Tochter zuckten Thomas Hepburns Mundwinkel nun doch amüsiert.

»Wie geht es Tante Edith in ihrem Kampf gegen Geschlechtskrankheiten?«, wechselte Kate abrupt das Thema, nachdem sie wieder Platz genommen hatte. »Schreibt sie ein neues Buch?«

Alice neben ihr verschluckte sich an ihrem Sandwich und musste husten. Kate klopfte ihr auf den Rücken.

»Es ist nicht nur der Kampf meiner Schwester«, entgegnete Kates Mutter. »Die Connecticut Society of Social Hygiene ist uns allen ein Anliegen. Dein Dad war jahrelang der Sekretär des Vereins. Deine Tante und ich haben uns für die Finanzierung die Füße wund gelaufen.«

Kate sah, dass Alice besorgt zu den kleinen Schwestern hinüberschielte. Offenbar war sie der Meinung, dass das Thema sich nicht ganz für die Ohren junger Mädchen eignete.

»Bei uns wird offen über alles diskutiert«, beruhigte Kate sie.

»Es gibt keine Tabuthemen«, bestätigte Mrs Houghton Hepburn. »Wir reden über Lenin und den Kommunismus ebenso wie über die Gefahren von Geschlechtskrankheiten, die Gleichberechtigung der Frauen oder den Rassismus im Land.«

Alice’ Augen wurden immer größer.

»Meine Mum und Tante Edith waren Suffragetten«, ergänzte Kate. »Sie sind nach Washington marschiert und haben für das Wahlrecht der Frauen gekämpft.«

Alice war sichtlich beeindruckt.

»Unsere kleine Kate stand schon im zarten Alter von zehn Jahren mit mir auf der Bühne des Belasco Theatre in Washington«, fuhr Kates Mutter fort. »Damals verliehen wir den Frauen, die man am 15. November brutal misshandelt und ins Gefängnis gesperrt hatte, silberne Broschen als Zeichen der Wertschätzung für ihren unermüdlichen Kampf für das Wahlrecht.«

Kate lachte. »Oh, ich kann mich noch gut daran erinnern. Ich war so enttäuscht, weil du keine Brosche bekommen hast. Es waren hübsche kleine Schmuckstücke in Form von Zellengitter. Ich wollte, dass man dir auch eine Brosche ansteckt.«

Mrs Hougthon Hepburn schmunzelte bei der Erinnerung. »Du warst furchtbar empört, Kate«, erzählte sie. »Nach der Verleihung bist du zur Vorsitzenden gegangen und hast auch für mich eine Brosche verlangt.«

»Und hast du eine für deine Mutter bekommen?«, wollte Alice wissen.

»Leider nicht«, gab Kate zu. »Mum hat die Broschen bloß verliehen.«

»Es stand mir keine zu«, erklärte ihre Mutter. »Ich war bei dem Marsch am 15. November nicht dabei, weil ich mit Marion schwanger war.«

Kate griff nach einem weiteren Sandwich und biss davon ab. »Du hast immer noch nicht meine Frage beantwortet. Plant Tante Edith ein neues Buch?«

»Nicht, dass ich wüsste«, entgegnete ihre Mutter und wandte sich dann an Alice. »Meine Schwester hat bereits eine Abhandlung über die Gefahren von Geschlechtskrankheiten herausgegeben. Darin hat sie unter anderem gefordert, dass Männer ihre Frauen nicht betrügen.«

»Wusstest du, Alice, dass in Hartfords teuerstem Bordell jede Prostituierte pro Nacht bis zu fünfundzwanzig Männer empfängt? Das Elend der Frauen ist kaum vorstellbar«, ergänzte Kate empört.

Ihre Freundin verfolgte mit erstauntem Blick und offenem Mund die Unterhaltung. Für gewöhnlich redete man nicht über Prostitution. Die Familie Hepburn bildete in diesem Punkt eine Ausnahme.

»Die Geschlechtskrankheiten, die in dem Bordell übertragen werden, stellen eine Gefahr für uns alle dar«, erklärte Thomas Hepburn. »Erst letzte Woche habe ich einer Frau sagen müssen, dass ihr Kind taub ist, weil sie es mit Syphilis angesteckt hat. Sie wusste nichts von ihrer Krankheit. Ihr Mann hat den Abend vor der Hochzeit im Bordell verbracht. Es ist leider noch immer die übliche Art, sich vom Junggesellendasein zu verabschieden.«

Kate lehnte sich zurück und beobachtete ihre Freundin. Alice schien schockiert und fasziniert zugleich zu sein. Genau auf diese Reaktion hatte Kate gehofft. Alle anderen Freundinnen, die sie mit nach Hause gebracht hatte, waren ausschließlich entsetzt gewesen. Keine hatte mit der Offenheit umgehen können, mit der in Kates Familie über politisch und gesellschaftlich heikle Themen gesprochen wurde. Alice war in dieser Hinsicht zum Glück anders.

»Ich wusste davon nichts«, sagte sie betroffen.

»Deshalb ist es so wichtig, sich ohne Vorbehalte über solche Themen zu unterhalten«, entgegnete Kates Mutter.

Marion langte über den Tisch und stieß dabei das Milchkännchen um, dessen Inhalt sich auf das Tischtuch und den Boden ergoss.

»Pass doch besser auf«, schimpfte der Vater. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du einen Mund hast, mit dem du nach Dingen fragen kannst?«

Das Mädchen presste die Lippen aufeinander. Thomas Hepburn nahm seine Stoffserviette und reichte sie wortlos seiner Frau. Ohne zu zögern, kniete sie sich unter den Tisch und wischte die Milch weg. Als sie wieder aufstand, waren ihre Wangen gerötet. Sie legte die Serviette zur Seite, griff nach dem Silberteller und hielt ihn dem Besuch hin.

»Wollen Sie noch ein Tomatensandwich?«, wandte sie sich an Kates Freundin.

Alice winkte dankend ab. Sie wirkte irritiert. Vielleicht hatte sie gehofft, dass eine Suffragette auch zu Hause für eine moderne Rollenverteilung kämpfte. Für Kate hingegen war es ganz selbstverständlich, dass sich ihre Mutter innerhalb der eigenen vier Wände ihrem Mann unterordnete.

Nach dem Tee führte Kate die Freundin durchs Haus. Sie zeigte ihr die geräumige Küche mit der stets gefüllten Vorratskammer, das Speisezimmer und die Räume ihrer kleinen Schwestern. Die beiden Mädchen waren inzwischen ein wenig aufgetaut und versuchten, Alice und Kate zum Bleiben zu überreden. »Spielt ihr mit uns eine Runde Domino?«

»Jetzt nicht, später vielleicht«, vertröstete Kate sie und ging mit Alice weiter durchs Obergeschoss. »Dort drüben liegen die Zimmer von Robert und Richard, meinen beiden Brüdern«, erklärte sie und lief die Treppe wieder hinunter. An einer Wand im Treppenhaus hing eine großformatige gerahmte Fotografie.

»Ist das deine Familie?«, fragte Alice neugierig.

»Ja, da waren wir in Fenwick am Strand«, erwiderte Kate. »Das ist schon ein paar Jahre her. Margaret war noch ein Baby. Neben ihr sitzt Marion, und die beiden Jungen weiter rechts sind Richard und Robert.«

Alice blieb noch eine Weile stehen und betrachtete es eingehend.

»Und wer ist der Junge, der hinter deiner Mutter steht?«

»Das ist mein Bruder Tom«, erwiderte Kate. »Aber jetzt lass uns noch in den Garten gehen! Ich hatte als Kind einen Lieblingsplatz, von wo aus man einen wundervollen Ausblick über ganz Hartford hat. Man kann bis zum Krankenhaus sehen.«

»Muss ich dazu auf einen Baum klettern?«

»Keine Angst«, meinte Kate lachend. »Bloß auf eine Steinmauer.«

»In Ordnung, das werde ich schaffen«, sagte Alice und folgte ihrer Freundin in den Garten.

Gloria hatte Kate und Alice ursprünglich in zwei verschiedenen Zimmern unterbringen wollen, aber Kates Mutter hatte vorgeschlagen, dass die beiden Freundinnen sich ein Zimmer teilten.

»So könnt ihr die ganze Nacht plaudern«, hatte sie gesagt. »Ich weiß noch genau, wie Mary und ich in eurem Alter waren. Wir haben stundenlang geredet und gekichert. Würden wir heute eine Nacht im selben Zimmer verbringen, wäre es wohl immer noch so.«

Mary Towl war Mrs Houghton Hepburns beste Freundin. Sie war Taufpatin ihrer Kinder und wurde von Kate liebevoll »Tantchen« genannt. Anders als Alice hatte sich Mary nie an die Gesprächsthemen im Hause Hepburn gewöhnen können. Kate hatte noch bestens den Nachmittag in Erinnerung, an dem Mary empört das Haus verlassen hatte, weil Tante Edith sich mit ihrem Vater über das Thema Nacktbaden gestritten hatte. Der Freundschaft zwischen Kates Mutter und Mary Towl hatte dieser Vorfall allerdings keinen Abbruch getan.

»Was sagst du zu meiner Familie?«, wollte Kate neugierig wissen.

»Ich komme mir vor wie auf einem anderen Planeten«, gab Alice zu. »Bei mir zu Hause wurde und wird nie über Sex gesprochen. Ich glaube, meine Mutter weiß gar nicht, dass es dieses Wort gibt. In ihrem Wortschatz existiert es nicht.«

Kate kicherte. »Sie muss doch wissen, was es ist, sonst gäbe es dich nicht.«

»Ich habe noch nie eine Familie erlebt, in der es anscheinend keinerlei Tabuthemen gibt«, sagte Alice. »Ich frage mich, was meine Eltern zum Thema Geschlechtskrankheiten sagen würden. Vermutlich ahnen sie nicht einmal, was für fatale Folgen sie haben können.«

»Warte erst mal, bis mein Vater nackt durchs Haus läuft. Oder meine Mutter ihn leidenschaftlich küsst.«

»Er rennt nackt im Haus herum?« Kate sah im Halbdunkel das Weiß von Alice’ weit aufgerissenen Augen leuchten.

»Manchmal«, sagte Kate und lachte.

»Ich hoffe, dass er davon Abstand nimmt, wenn Besuch hier ist.« Alice senkte die Stimme. »Ich habe noch nie einen nackten Mann gesehen. Und ich fände die Vorstellung, dass dein Vater der erste wäre, ein bisschen gruselig.«

Kate lachte so herzhaft und laut, dass es von den tapezierten Wänden widerhallte. Dann beruhigte sie sich und wischte sich die Lachtränen aus den Augen.

»Du hast wirklich noch keinen nackten Mann gesehen?«, fragte sie ernst.

»Für gewöhnlich rennen Männer ja nicht unbekleidet durch die Straßen.«

»Dad sagt, dass er sich in seinem eigenen Haus keine Vorschriften machen lässt. Ich glaube, dass er damit die Menschen provozieren will. Mums Schwester findet seine Angewohnheit schrecklich. Es hat deshalb in den Sommermonaten immer wieder Streit gegeben, wenn wir alle zusammen in Fenwick waren. Ewig schade, dass Tante Edith ihren Teil vom Haus verkauft hat.«

»Wie kam es überhaupt dazu, dass deine Mutter und sie sich gemeinsam ein Haus gekauft haben?«

»Onkel Don, Tante Edith und Dad haben zusammen studiert. Allein hätten beide Paare sich das Haus damals nicht leisten können. Deshalb haben sie zusammengelegt und es gemeinsam erworben. Sie haben ja ohnehin die meiste Zeit zusammen verbracht.«

»Ist deine Tante auch Ärztin?«

»Sie hat im letzten Semester ihr Studium aufgegeben, weil sie Onkel Don nach Berlin begleiten wollte. Als sie wieder in die Staaten kamen, gründeten sie gemeinsam mit meinen Eltern den Verein zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten.«

»Was für eine unglaubliche Familie.« Alice seufzte beeindruckt. »Solltest du jemals zu mir zu Besuch kommen, wirst du dich fühlen wie im vorigen Jahrhundert. Verglichen mit euch sind wir ein Haufen langweiliger Spießer.«

»Ach, deine Familie ist bestimmt sehr nett. Sonst wärst du doch nicht so ein hilfsbereiter und intelligenter Mensch geworden«, entgegnete Kate lächelnd. Sie hatte noch nie darüber nachgedacht, dass ihre Familie ungewöhnlich sein könnte. Für sie waren die Diskussionen und die Offenheit allen Themen gegenüber völlig selbstverständlich. Kate war in einem liberalen Klima aufgewachsen. Dass Alice konservative Eltern haben könnte, war ihr bis jetzt nicht in den Sinn gekommen.

»Und deine Mutter hat wirklich für das Frauenwahlrecht gekämpft?«, wollte Alice wissen.

»Ja. Sie ist eine wunderbare Rednerin.«

»Warum ist sie nicht Politikerin geworden? Ich bin mir sicher, sie hätte die Menschen überzeugen können.«

»Man hat sie gebeten, in den Senat einzuziehen.«

»Tatsächlich?«, fragte Alice begeistert.

»Sie wollte annehmen, aber mein Vater war dagegen. Er hat ihr mit der Scheidung gedroht. Danach hat Mum das Thema nie wieder angesprochen.«

»Oh, wie schade!«

»Ich finde es auch sehr bedauerlich«, meinte Kate. »Aber ich glaube, Mum ist zufrieden und hat ihre Entscheidung nie bereut. Marion und Margaret sind ja noch so jung. Sie brauchen unsere Mutter hier zu Hause.«

Alice öffnete den Mund zum Widerspruch. Kate ahnte schon, was sie sagen wollte. Die Freundin war der Meinung, dass man doch ebenso gut Kindermädchen mit der Erziehung beauftragen könne.

»Lass uns den morgigen Tag planen«, schlug Kate vor, um das Thema zu wechseln. »Was willst du zuerst machen? Tennis spielen, zum Golfplatz gehen? Ein Eis essen?«

»Klingt alles sehr gut«, meinte Alice und gähnte. »Das können wir morgen ja noch entscheiden. Ich brauche dringend Schlaf.«

Dann fiel ihr doch noch etwas ein.

»Was ist eigentlich mit deinem Bruder Tom? Du hast mir noch nie von ihm erzählt.«

»Er ist verunglückt, als er fünfzehn war.«

»Oh, das tut mir leid«, sagte Alice mitfühlend.

»Schon gut, das konntest du ja nicht wissen«, meinte Kate. »Es war ein tragischer Unfall. Sein Tod schmerzt immer noch.«

»Willst du darüber reden?«

»Nein.«

»Dann lass uns schlafen.« Alice drehte sich zur Seite. »Gute Nacht.«

»Gute Nacht.«

Tatsächlich schlief Alice auf der Stelle ein.

Kate brauchte deutlich länger. In manchen Nächten dauerte es bis weit nach Mitternacht, bis sie endlich in den Schlaf fand. Dann lag sie wach in ihrem Bett und starrte an die Decke. Heute wiegte sie der gleichmäßige Atem der Freundin schließlich in einen unruhigen Schlaf, der von wirren Träumen begleitet wurde.

Liebster, bester Freund,

kann ein Geheimnis Sicherheit garantieren? Oder verursacht es nur noch mehr Dunkelheit? Anderen mit Offenheit zu begegnen, heißt nicht, dass man keine Geheimnisse hütet. Ich sehne mich nach Klarheit und versinke immer tiefer im Dickicht der Verstrickungen.

Immerzu stelle ich mir dieselben quälenden Fragen, ohne Antworten zu finden.

Ich vermisse dich, mein Freund.

Dein Jimmy

Bryn Mawr College, Pennsylvania, Mai 1927

Kate, was hast du mit deinen Haaren angestellt?« Alice schlug die Hand auf den Mund und starrte ihre Freundin an. Sie schien nicht recht zu wissen, ob sie lachen oder entsetzt sein sollte.

Kate zuckte bloß mit den Schultern. »Ich habe sie mit der Nagelschere abgeschnitten!«

»Warum hast du das nur getan? Deine wunderschönen roten Locken sind weg!«

»Als Oliver kann ich wohl kaum mit langem Haar auf die Bühne gehen.«

Alice rang sich ein Lächeln ab. »Du bist unglaublich«, sagte sie kopfschüttelnd.

Kate trat zum kleinen Spiegel, der neben der Tür ihres Studentenzimmers hing, und betrachtete sich mit zusammengekniffenen Augen. »Ich finde, die Frisur steht mir«, meinte sie selbstbewusst.

»Auch wenn du dir den Kopf abrasieren lässt, bist du immer noch attraktiv«, bemerkte Alice.

Kate nahm das Kompliment bereitwillig entgegen. »Komm, ich habe noch eine Stunde Zeit bis zur nächsten Probe. Lass uns über den Zaun klettern.«

»Hast du denn Zigaretten dabei?«

»Selbstverständlich!« Kate hielt ein Päckchen in die Höhe und verstaute es dann in der Tasche ihres Kleides.

Seit sie einmal beim heimlichen Rauchen im Kreuzgang erwischt worden waren und dafür drakonische Strafen kassiert hatten, stahlen die beiden sich regelmäßig über die Schulhofmauer. Auf diese Weise entgingen sie der Gefahr, entdeckt zu werden. Im Schuppen eines leer stehenden Hauses rauchten sie heimlich und fühlten sich dabei verwegen.

Hinter einem dichten Kirschlorbeerstrauch machte Kate die Räuberleiter für Alice. Sie selbst hielt sich geschickt an den Mauerritzen fest und kletterte flink hoch. Als Kind hatte sie Bäume, Leitern und Felswände bezwungen. Auf der Mauer machte sie kurz halt und sprang dann in einem Satz hinunter. Elegant landete sie im weichen Gras.

»Du solltest Akrobatin werden«, sagte Alice beeindruckt, die selbst eine gute Sportlerin war, aber in dieser Hinsicht mit Kate nicht mithalten konnte.

»Falls es mit der Schauspielerei nichts wird, überlege ich es mir. So ein Zirkusleben ist sicher spannend. Jede Woche in einer anderen Stadt. Ein Bett unter freiem Himmel. Begeisterte Publikumsstürme.«

»Du würdest es schrecklich finden«, widersprach Alice. »Keine intellektuellen Diskussionen, keine Weltverbesserungsvorschläge. Keine Tennis- und Golfplätze. Dafür tägliches Stallausmisten und enge Wohnwagen.«

»Vielleicht hast du recht.« Kate ergriff die Hand der Freundin, und gemeinsam liefen sie über eine saftig grüne Wiese, auf der die ersten Frühlingsblumen ihre gelben Köpfe in den wolkenlosen Himmel streckten. Der Geruch von frischem Gras und warmer Erde lag in der Luft.

Atemlos erreichten sie das leer stehende Haus. Statt in den Schuppen zu schlüpfen, setzten sie sich auf die Stufen der hellblau gestrichenen Holzveranda.

»Ich kann es kaum erwarten, dich in dem Stück zu sehen«, sagte Alice. Sie hatte in den letzten Wochen mit Kate geübt und wusste, wie viel ihr die Rolle bedeutete.

»Ich bin auch schon sehr aufgeregt«, gab Kate zu. »Mr Greenough ist ein strenger Lehrer. Aber ich denke, dass ich viel von ihm gelernt habe. Es war großartig, dass die Schule einen professionellen Schauspiellehrer engagiert hat.«

Sie holte das Päckchen wieder aus der Tasche und hielt es Alice entgegen. Die Freundin griff mit Zeigefinger und Daumen nach einer Zigarette.

Plötzlich öffnete sich mit einem lauten Quietschen die Tür hinter ihnen. Alice und Kate fuhren herum und starrten erschrocken den großen, schlanken Mann an, der langsam aus dem Haus trat. Er war um die dreißig, vielleicht aber auch jünger. Irritiert sah er von einer zur anderen. Schon wollte Kate aufspringen, um eine Entschuldigung zu stottern, als der Fremde in die ausgebeulte Tasche seiner Bundfaltenhose griff und eine Zündholzschachtel herausholte. »Feuer?«

Ohne auf ihre Antwort zu warten, entzündete er ein Streichholz und hielt es ihnen hin. Verdattert nahmen sie sein Angebot an.

»Ich heiße Jack Clarkes, und das ist mein Freund Ludlow Ogden Smith!« Hinter ihm trat ein weiterer Mann auf die Veranda. Er mochte im gleichen Alter sein, war allerdings etwas kleiner und hatte eine hohe Stirn und kurze dunkle Locken. Seine Wangen waren gerötet, und sein Blick war so sanftmütig, wie Kate es noch nie bei einem Mann gesehen hatte.

»Alle nennen mich Luddy«, sagte er und streckte ihr mit einem breiten Lächeln die Hand entgegen.

Nun stellten sich auch Kate und Alice vor. »Wir sind Studentinnen am Bryn Mawr College«, erklärte Kate.

»Das haben wir uns fast gedacht«, meinte Jack. »Wir haben euch über die Mauer klettern sehen. Seid ihr schon öfter hier gewesen?«

»Ja«, gab Alice zerknirscht zu. »Hier können wir heimlich rauchen, ohne eine Bestrafung zu riskieren.«

»Wir werden euch nicht verraten, versprochen.« Luddy hob feierlich die Hand zum Schwur. »Darf ich?«, fragte er dann und wartete auf Kates Einverständnis, ehe er sich neben sie setzte.

»Wir dachten, das Haus sei unbewohnt«, meinte Kate.

»Ich bin ja auch erst letzte Woche aus New York zurückgekommen«, entgegnete Jack. »Den Winter über hat das Haus in der Tat leer gestanden.«

»Deshalb also haben wir hier noch niemanden gesehen«, bemerkte Alice.

Kate zog an ihrer Zigarette und blies den Rauch genüsslich aus. Luddy beobachtete sie ungeniert und ließ keinen Zweifel daran, dass er sie hübsch fand. In seinen dunklen Augen lag pure Bewunderung.

»Habt ihr heute keinen Unterricht mehr?«, wollte er wissen.

»In einer Stunde muss ich zurück sein«, erklärte Kate. »Die Generalprobe von The Truth about Blayds beginnt um sechs.«

»Das Stück sagt mir nichts«, gab Jack zu. »Von wem ist es denn?«

»Von A. A. Milne. Eine herrlich lustige Komödie über einen berühmten Dichter, der seine Gedichte in Wahrheit gestohlen hat.«

»Spielst du eine wichtige Rolle?«

»Ich bin Oliver, die Hauptfigur.«

»Ein Mann?«

Kate hielt die Zigarette zur Seite, um ihn nicht mit dem Rauch zu belästigen. »Eine richtig gute Schauspielerin muss in der Lage sein, jede Rolle zu übernehmen«, sagte sie wichtig. »Zu Shakespeares Zeiten wurden alle Rollen von Männern gespielt, auch die weiblichen, weil Frauen nicht auf der Bühne stehen durften. Heute ist es umgekehrt. Jetzt spielen wir Frauen auch Männerrollen.«

Luddy hing an ihren Lippen. »Gibt es denn noch Karten für das Stück zu kaufen?«

»Selbstverständlich«, sagte Kate. »Zuerst spielen wir auf dem Campus, und ein paar Wochen später gibt es eine Vorstellung im Colony Club in New York.«

Luddy hob die Augenbrauen und lächelte. »Dann weiß ich schon, was ich tun werde, wenn ich wieder in New York bin.«

»Ich kann dir eine Karte besorgen«, schlug Kate vor. »Wie lange bist du denn noch hier?«

»Das ganze Wochenende.« Luddy rückte ein Stück näher. »Und an jedem anderen Tag, an dem ich weiß, dass du über die Mauer kletterst.«

»Das könnte öfter der Fall sein.« Kate lachte fröhlich. »Dann ist es also abgemacht. Ich besorge dir eine Karte, und du schaust dir das Stück an.«

Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, um das Geschäft zu besiegeln. Sein Händedruck war warm, fest und versprach Sicherheit. Kate überlegte, ob ihr das gefiel, doch sie kam zu keinem befriedigenden Schluss.

Während der nächsten Stunde unterhielten sie sich angeregt. Luddy erzählte von seinem Job als Börsenmakler in Philadelphia. Er stammte ursprünglich aus dem Ort Strafford, der nur wenige Bahnstationen von Bryn Mawr entfernt lag, und war in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Jack berichtete von seinem Einsatz im Krieg, als er in Europa gedient hatte. Er stammte aus einer sehr wohlhabenden Familie, und seine Eltern schienen Kontakte in Politik, Kunst und Wissenschaft zu haben. Alice verriet, dass sie Jura studieren wollte, und Kate gab Geschichten aus der Theatergruppe zum Besten.

Die Zeit verging wie im Flug, und als Kate auf ihre Armbanduhr blickte, sprang sie erschrocken auf.

»Wir müssen los«, sagte sie.

Alice stand ebenfalls auf.

»Wann bringst du mir die Karte?«, wollte Luddy wissen. Er hatte die Abmachung also nicht vergessen.

»Sobald ich sie habe!« Kate griff nach Alice’ Hand und zog ihre Freundin ungestüm mit sich. »Wenn wir uns nicht beeilen, bekommen wir Ärger.«

»Ich freue mich darauf, dich auf der Bühne zu erleben«, rief Luddy ihr nach.

Sie winkte ihm bloß, ohne sich noch einmal nach ihm umzudrehen.

Kate kletterte als Erste auf die Mauer, dann half sie Alice mit einem kräftigen Ruck nach oben. Gemeinsam sprangen sie – Kate elegant wie eine Katze, während Alice neben ihr ins Gras plumpste. Als sie wieder auf dem Collegegelände waren, hielt Alice sich die Seite, so außer Atem war sie.

»Du bist eben gerannt, als wärst du auf der Flucht«, klagte sie.

»Ich will einfach nicht zu spät zur Probe kommen«, entschuldigte sich Kate.

Alice runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich hatte eher den Eindruck, du flüchtest vor Luddy. Dabei scheint er sehr nett und klug zu sein.«

»Ja, er ist sympathisch«, gab Kate zu.

»Aber?«

Kate hob die Schultern. »Kein Aber, ich werde ihm eine Theaterkarte besorgen. Wir werden die beiden sicher bald wiedersehen.«

»Gut!« Alice nickte zufrieden. Dann gingen sie zurück zum Haupthaus, wo sich ihre Wege für die nächsten paar Stunden trennten.

Philadelphia, Juni 1927

In der Rolle des jungen Oliver wirkte Katharine Hepburn ein wenig amateurhaft und verlegen, da sie offenbar zum ersten Mal auf der Bühne stand, aber sie gab einen sympathischen, schelmischen und fröhlichen jungen Mann ab!« Alice legte die College News auf den Tisch und schob die Zeitung zu Luddy, der den Artikel gierig überflog.

»Das ist eine großartige Rezension«, sagte er überschwänglich. Er himmelte Kate an. Sobald sie das Wort ergriff, hing er an ihren Lippen. Sein Interesse schmeichelte ihr, machte sie aber auch nervös, denn sie selbst war sich über ihre Gefühle für ihn nicht ganz im Klaren.

Alice hatte sich für diesen Abend bei ihrem Bruder Männerkleidung für sich und ihre Freundin ausgeliehen, um unbeobachtet aus dem College zu gelangen. George war um einen ganzen Kopf größer als Alice, weshalb sie die Hosenbeine vorsichtig mit ein paar Blindstichen gekürzt hatte. Kate hatte zwar mit der Länge der Kleidung keine Schwierigkeiten, dafür musste sie beim Bund mit ein paar Sicherheitsnadeln nachhelfen, um die Hose nicht bei jedem Schritt zu verlieren. Über die Regenrinne waren sie aus dem Gebäude geschlichen. Gemeinsam mit Jack und Luddy wollten sie Kates Erfolg in einem der Lokale von Philadelphia gebührend feiern.

»Habt ihr denn keine Angst, Probleme mit dem College zu bekommen?«, hatte Jack die beiden gefragt, als sie auf die Rückbank seines Wagens geklettert waren. Doch Kate hatte eine wegwerfende Handbewegung gemacht und lachend entgegnet: »Alice ist die Jahrgangsbeste. Solange ich mit ihr unterwegs bin, droht mir höchstens eine Verwarnung.«

Alice hatte nicht widersprochen. In der Tat war die Gefahr gering, dass sie sich mehr als eine kleine Standpauke würden anhören müssen. Hätte Kate sich allein davongemacht, hätte die Sache anders ausgesehen.

Luddy und Jack führten die Mädchen in ein angesagtes Nachtlokal im Zentrum der Stadt aus. Hier gab es Jazzmusik und den offiziell verbotenen Alkohol, der jedoch zu überzogenen Preisen in den Hinterräumen fast aller Kneipen der Stadt angeboten wurde. Es war besser, teuren europäischen Alkohol aus kontrollierter Produktion zu konsumieren als illegal gebrannten Schnaps, nach dessen Genuss man im besten Fall mit Kopfschmerzen aufwachte und im schlimmsten im Krankenhaus landete.

»Wenn wir beim Trinken erwischt werden, kriegen wir trotz meiner guten Noten Ärger«, gab Alice zu bedenken und nippte bloß an ihrem Bierglas.