Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In Zeiten von „ Star Wars 7“ gerät der Krimischreiber und altbewährte Profiler Holbein samt seinen Agenten-Gespielinnen in eine reale Bedrohung, die aus dem Kampf um die Weltvormachtstellung zwischen China und den USA geschürt wird. Dem chinesischen Professor Shi Lang, weltweit umworbener Ausnahmewissenschaftler mit ungewöhnlich hohem IQ, ist es gelungen, ein künstliches Gehirn in insektengroßen Micro-Robotern unterzubringen. Diese Mini-Drohnen, aus der Luft als Kampfstoff abgeworfen, suchen selbständig ihr Ziel wie ferngesteuerte Raketen. Keine Sciencefiction-Utopie. Auch das US-Militär arbeitet längst an solchen Monster-Motten, die Bin Laden aufspürten. Und an implantierbaren Gehirn-Chips für Frontsoldaten. Internationale Forschungsergebnisse, die bis jetzt unvorstellbar erschienen. Durch Literaturangaben belegt. Wissenschaftlich exakt nachvollzogen mit geradezu seherischer Konsequenz und lasziver Ironie vom Autor ganz locker in die Idylle des Bodensees eingelagert. Dort soll der Prof. in einem Hightech-Versteck in Sicherheit gebracht werden, ehe ihn gierige Geheimdienste entführen können. Dann aber eskaliert der Tanz um den Goldenen IQ … Und neu: Ein Thriller, todspannend. Aber ohne Mord und ohne Totschlag. Holbein hat beschlossen, diesmal in seinem Roman ohne jede Leiche auszukommen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 279
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
ÜBER DEN AUTOR…ist bereits alles gesagt. Aber wenn Du ihn wirklich verstehen willst, geneigter Leser, dann musst Du begreifen, dass er Dir beim Lesen jedes Satzes buchstäblich schmunzelnd über die Schultern schielt.
Rainer Kretzschmar, Diplom-Soziologe und Pferdewirtschaftsmeister aus Bad Saulgau in Oberschwaben, schreibt Romane, Krimis und satirische Mischformen.
„Der ewige Kampf gegen die Dummheit, Mutter aller Unarten und Gemeinheiten, der Kampf gegen die siebenköpfigen Drachen aller Volksmythen, ist zum Scheitern verurteilt. Auch ein hoher IQ bewahrt nicht davor. Aber ein großer Geist, kann sich von Zeit zu Zeit die Freiheit erlauben, bewusst eine von diesen herrlichen Dummheiten ausgiebig zu begehen und sie auch noch zu genießen wie eben nur in einem Roman. Dummheiten, wie sie – oder auch nicht – in diesem Buche stehen.“
m & r (anonyme prosaiker)
Dies ist ein Roman. Alle Figuren und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten zu lebenden oder toten Personen oder Ereignissen sind rein zufällig.
PROLOG
TEIL I
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
TEIL II
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
TEIL III
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
TEIL IV
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
TEIL V
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
TEIL VI
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
TEIL VII
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
TEIL VIII
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
TEIL IX
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
EPILOG
Holbein sonnt sich in reiner Daseinsfreude.
Er hält gerade das erste Exemplar seines neuen Romans in Händen.
Ein überaus sinnliches Autorenvergnügen, das in nichts dem Abenteuer beglückender Liebeseroberung nachsteht. Es ähnelt dem genussvollen Entkleiden einer Geliebten, in deren Heimlichkeiten man dabei Schritt für Schritt lesen kann wie in einem offenen Buch.
Aber so weit ist es noch nicht. Holbeins Hände tasten zunächst erwartungsvoll, fast streichelnd den äußeren Körper des Buches ab. Seine Augen wetteifern mit dem Glanz des Covers, während sie Bild und Titel wohlwollend betrachten. Mit nur kaum verhohlenem Stolz ruht endlich der Blick auf dem Autorennamen. Es handelt sich schließlich um sein ureigenes Werk.
Die Seiten entblättern sich. Ein fast schüchternes Eindringen in die Intimitäten des Textes. Was fehlt gegenüber dem Buch eines fremden Autors bleibt die Neugierde auf den Inhalt. Um den Vergleich mit der Geliebten aufzugreifen, gilt für den Inhalt die behagliche Vertrautheit und die Sicherheit im Umgang mit dem längst Bekannten, als liege die Eroberung schon länger in der Zeit zurück. Das kann durchaus auch ganz besonderen Reiz ausstrahlen.
Genau in diesem Augenblick scheint unser rastloser Autor aber doch das fehlende Prickeln eines Neubeginns als Mangel oder gar als Makel zu empfinden. Und blitzschnell kompensiert er die drohende Befindlichkeitsstörung durch das Ausspielen eines frischen Romankonzeptes, mit dem er unterschwellig schon seit Tagen schwanger geht.
Tage, die er zum Auftanken seiner Inspiration auf der Nordseeinsel Juist verbringt.
Holbein ging barfuß am Strand entlang.
Er sah es schon von weitem.
Konnte sich aber keinen Vers darauf reimen.
Vielleicht eine dieser trügerischen Spiegelungen, die aus den unterschiedlich erwärmten Luftschichten beim Aufeinandertreffen von Sand und Meer das Licht brechen und reflektierten? Durchaus denkbar.
Erst beim Näherkommen entpuppte sich die vermeintliche Fata Morgana als Stillleben mit Sandburg und spielendem Kind.
Bestimmt nicht ungewöhnlich am Nordseestrand seiner ostfriesischen Lieblingsinsel, dachte Holbein. Eher ungewöhnlich jedoch an dem meist menschenleeren äußersten Westteil des 17km langen Strandes. Weitab vom Badetrubel und den Strandkörben.
Aber es handelte sich nicht um ein Kind.
Und es spielte auch nicht.
So idiotisch es sein mochte, Holbein versuchte jetzt seine Füße vorsichtiger in den Sand zu setzen. Und er machte kürzere und langsamere Schritte. So dauerte es, bis er mit Sicherheit erkennen konnte, was er sah:
Eine nackte Frau, die bäuchlings über einer mittelgroßen Sandburg hing. Regungslos. Ihr Kopf ruhte so auf dem linken Unterarm, dass man nur die rechte Gesichtshälfte sehen konnte. Und das rechte Auge. Es war geschlossen. Der rechte Arm hing schlaff nach unten. Das strohblonde Haar wirkte kurz geschoren.
Holbein ließ sich nicht von dem erstbesten Eindruck zu dem Vorurteil verleiten, es müsse sich hier um eine Leiche handeln. Kein Blut, keine Einstiche, keine erkennbare Schussverletzung. Ganz im Gegenteil. Die nackte Haut schimmerte nahtlos sanft gebräunt. Mit anderen Worten, nicht der geringste Anflug von Leichenblässe. Das galt besonders auch für den durch die Bauchlage leicht hochgereckten, appetitlich-runden Co- pacabana-Po, der mehr als lebendig wirkte. Auch wenn sich nichts bewegte.
Dennoch widerrief Holbein seine ursprüngliche Formulierung „Stillleben“. Sie traf nicht mehr den Sachverhalt. Die Vorgefundene erinnerte eher an Paul Gauguins „Reclining Nude“, das Pastell-Bild (1894–95 National Gallery of Art, 1990.77.1.a)1 Das Bild mit einer nackten Südseeschönheit. Auch wenn diese die linke Gesichtshälfte zeigte und schwarzhaarig dalag.
Als allererstes musste herausgefunden werden, ob die Nackte auf der Sandburg überhaupt noch atmete.
Natürlich hatte Holbein keinen Spiegel dabei, der auf Atem mit Beschlagen hätte reagieren können. Aber inzwischen war der Abstand zu der Liegenden fast bis auf Hautfühlung geschrumpft. Tuch sah er nicht. Sollte er sie berühren? Und wenn ja, wo? An der Halsschlagader den Puls fühlen wie in einem TV-Krimi?
In diesem Augenblick übernahm das rechte Auge der Nackten die Regie. Es sprang plötzlich auf. Auch wenn sich sonst noch immer nichts bewegte. Aber dieser Augenaufschlag sprach eindeutig gegen eine Leiche. Zumindest hatte der weitgereiste Profiler und Krimischreiber noch nie von einer solchen Muskelkontraktion post mortem gehört oder gelesen.
Blitzschnell formulierte er für sich die Aussage: „Sie hat ein Auge auf mich geworfen!“
Damit verschwand für ihn zugleich die Sorge um die sonst unvermeidlichen Ärgernisse beim Auffinden einer nackten Frauenleiche.
Wie um das zu unterstreichen kam endlich Leben in die Nackte. Sie richtete sich so weit auf, bis ihre rechte sandbedeckte Brustspitze auf den Strandurlauber gerichtet war und sagte:
- Stört es Sie, wenn ich nackt bleibe?
Dabei kramte sie im Sandburginneren nach ihrem Bikini. Holbein musste nicht überlegen:
- Keineswegs. Wenn ein Körper so begnadet nach dem Goldenen Schnitt gebaut ist, darf man ihn wirklich nicht verstecken.
- Goldener Schnitt? Was soll das bedeuten? Ich bin nämlich absolut ungebildet und richtig dumm. Das können Sie mir glauben. Es hat schon viele Männer abgestoßen. Am besten lassen auch Sie die Finger von mir. Ich spüre, dass Sie am liebsten meinen Körper streicheln möchten. Oder?
Jetzt musste Holbein doch schlucken. Sollte er etwa mit einer nackten Blonden über den Goldenen Schnitt diskutieren? Als erstes drängte sich ihm der altbekannte Liebeslehrspruch über die Dummen auf, dessen Abkürzung dem Taubenlockruf so sehr nachempfunden wirkt: „Du-fi-gu!“ Dann schämte er sich und sprach wie zu einer Behinderten:
- Der Goldene Schnitt ist so etwas wie das göttliche Größenverhältnis (proportio divina) für einen harmonischen Körperbau, wenn bei dessen Länge vom Scheitel bis zur Sohle der Einteilungspunkt in die Gegend der Rippengrenze fällt. (Nach Adolf Zeisig, 1854).
Das in Klammern Gesetzte flüsterte er natürlich nur für sich hinzu. Dennoch empörte sich die nackte Blonde, nachdem sie sich soweit aufgerichtet hatte, dass auch die zweite Brustspitze aus dem Sand ragte:
- Spinnst du, du Schlauschwätzer?! Das soll eine Erklärung sein? Das kannst du einer Tussi an der Uni erzählen. Nicht mir. Was macht meinen Schnitt so golden? Spuck es endlich aus!
Der abrupte Übergang zum Du wirkte keineswegs versöhnlich. Immerhin kannte sie den Begriff „Uni“. Jetzt ging auch er über zum Du:
- Tut mir leid. Wollte nur sagen, dass dein Körper einsame Klasse ist.
- Wieviel Uhr ist es eigentlich? Ich glaube die Flut kommt zurück. Ich muss nach Hause.
- Viertel nach fünf. Und wo wohnst du?
Aus dem, was sich bisher an Konversation ergeben hatte, leitete Holbein die Berechtigung ab, so ohne alle Umschweife zu fragen. Tatsächlich eckte er damit auch nicht an.
- Ich bin zur Kur in einer Rehaklinik hier auf der Insel.
Inzwischen war sie aufgestanden, hatte den Sand vom Körper geschüttelt und schlüpfte in ihren Minibikini. Über mehr an Bekleidung verfügte sie offenbar nicht. Dann griff sie nochmal in den Sandburginnenhof und holte einen kleinen durchsichtigen Plastikeimer hoch, in dem eine rote Gartenschaufel lag. Ihr Handwerkszeug.
Holbein nutzte die Zeit, um endlich in Ruhe ihr Gesicht zu bewundern. Diesem gegenüber verblasste der perfekte Klassekörper zur bloßen Nebensache. Die Züge ihres Gesichts übertrafen in allen Einzelheiten das ertragbare Maß an ästhetischer Vollkommenheit, so als ob Schönheit wehtun sollte. Nur einmal in seinem Leben hatte der Krimischreiber etwas ähnlich Reizvolles gesehen, bei einer weißen Frau aus Martinique. Und es war ihm bisher nie gelungen, diese Erscheinung angemessen zu beschreiben. Er nahm sich vor, es diesmal mit voller Leidenschaft zu versuchen. Aber erst, wenn er wieder an seinem Notebook säße. Jetzt ließ er nur noch die Frage nach ihrem Alter zu. Die absolute Faltenfreiheit um die schwarzdunklen Mandelaugen legte eine Obergrenze bei neunundzwanzig nahe.
- Was glotzt du mich so an?
Ihre ordinäre Ausdrucksweise störte Holbein schon gewaltig, aber sie kam nicht an gegen ihr überirdisches Aussehen.
- Du wirkst auf mich wie von einem anderen Stern. Das ist der Grund für meine so weit aufgerissenen Augen. Kapiert?
- Lass das dämliche Gesülze. So besonders helle scheinst du auch nicht zu sein.
- Da magst du verdammt recht haben. Gleich und gleich gesellt sich gern.
- Bei mir läuft das nicht. Ich geselle mich nicht gern und haue jetzt ab. Such ja nicht nach mir. Vielleicht baue ich mal wieder eine Sandburg hier. Bei Niedrigwasser. Dann kannst du mitspielen.
Damit machte sie auf den nackten Fersen kehrt und verschwand in einem überraschend sportlichen Laufschritt zu den Dünen hin.
Fertig mit der gerade erst erlebten Welt, ließ Holbein sich wie ein nasser Sack in den halb trockenen Sand fallen. Und in seiner Hilflosigkeit nahm er Zuflucht zu dem alten Kinderspiel, nämlich einen „Adler“ zu machen, was jedoch damals im Schnee passierte.
Er streckte die Arme über Kopf nach hinten aus und schlug klopfend damit zu beiden Seiten seines Körpers eine Art Rad in den Sand.
1 Mit diesen Daten findest Du die Abbildung im Internet.
Holbein ging barfuß am Strand zurück.
Dabei grübelte er unaufhörlich über das frisch Erlebte nach. Zwanghaft und ohne jede Chance, es vernünftig einzuordnen. Die Begriffe schön und dumm wetteiferten miteinander um eine imaginäre Vorrangstellung. Sie gipfelten in der Frage, ob sich eine solch ungewöhnliche Schönheit tatsächlich mit ihrer selbstempfundenen Dummheit vertragen könnte.
Natürlich kannte Holbein hirnlose Blondies, die blendend aussahen. Das Gleiche galt für Intelligenzbestien in Engelskörpern. Und für hässliche, weniger animierende Schwachtypen. Selbstverständlich gab es auch Entstellte mit einem hohen IQ. Genau wie bei den Männern übrigens. Nie jedoch war Holbein bisher einer Frau begegnet, die so rigoros von sich behauptete, dumm zu sein. Enthielt dieses Eingeständnis nicht einen Widerspruch in sich? Milderte es nicht zugleich die Ungeheuerlichkeit des verkündeten Mangels ab?
Denn dass Dummheit einen gravierenden Mangel darstellte, stand für Holbein unumstößlich fest. Und dass dieser Mangel das tägliche Leben überall in seinen verheerenden Klauen hielt, empfand der Krimischreiber als das Kriminelle schlechthin. Dagegen versuchte er seit langem anzuschreiben. Der simple Satz, Er oder Sie sei dümmer als es die Polizei erlaube, wies ja eindeutig darauf hin, dass Dummheit verboten gehörte. Und in diesen Kontext passend hatte er stets verkündet, eine dumme Frau käme für ihn nie infrage.
Und blitzschnell formulierte er jetzt die Frage, ob es sich bei der zunächst als Fata Morgana erschienenen Extraschönen überhaupt um ein in Fragekommen drehen könnte.
Holbein kehrte reumütig zu der Schönheit zurück, die er unbedingt noch treffender beschreiben musste. Schaudernd dachte er an Kants Definition der Schönheit, als „interesseloses Wohlgefallen“. Damit wäre man ja fein raus im Umgang mit einer schönen Frau. Aber je länger es Holbein jetzt Schritt für Schritt im tiefen Dünensand überdachte, umso deutlicher fand er sich im Gegensatz zum großen Philosophen. Er sprach zu sich längst von „maßlosem Wohlgefallen“.
Übrigens würde er in seiner dem Leser wohlbekannten Flexibilität mit dieser selbsteingeräumten Schwäche schon irgendwie zurechtkommen.
Endlich an seinem Feriendomizil, dem Strandhotel Kurhaus Juist angekommen, eilte er die vielen Stufen zum altprächtigen Grandhotel im Stil des 19. Jahrhunderts hinauf. Am Empfang studierte er, was sonst wirklich nicht seine Art war, die ausliegenden Info-Broschüren. Er fand was er suchte und nahm das Faltblatt mit, das über eine psycho-somatische Rehaklinik Auskunft gab. Da wäre sie leicht zu finden. Aber er suchte ja nicht. Ganz abgesehen von dem zum Abschied ausgesprochenen Nachforschungsverbot, das ihn natürlich niemals gehindert hätte. Vielmehr interessierte er sich für das Programm der Klinik. „Psycho-somatische Reha“, das kam ihm suspekt vor. Klang ein bisschen nach offener Psychiatrie oder Klapse mit Strandurlaubambiente. Was würde man denn bei der Schönen und Schamlosen therapieren wollen? Und wie er’s denkt schrillen die Selbstschutz-Alarmglocken und erinnern ihn an seinen alten heiligen Schwur, sich künftig um jeden Preis von sogenannten Problem-Weibchen fernzuhalten Die brachten seit Holbeins Gedenken nur Unglück in sein Leben. Es war andererseits klar, dass solche psychisch labilen Frauen ein starkes Helfersyndrom auslösten. Bei ihm und vielen anderen Männern. Insbesondere wenn sich die vermeintliche Hilfsbedürftigkeit unter dem heimlichen Mäntelchen einer erotischen Verlockung zu verbergen wusste…
Hier hielt Holbein inne.
Beschämt. Weil er gnadenlos selbstkritisch zugeben musste, bereits irgendwie auf der klebrigen Leimrute dieses ungewöhnlichen Strandvögelchen festzusitzen. Sonst hätte er nämlich dieses Kapitel längst abgehakt.
Verstört eilte er in seine Suite, setzte sich ans Notebook und bewirkte schnell noch einen Seitenumbruch.
Der neue Abschnitt brachte auch andere Gedanken.
Für einen winzigen Augenblick gönnte Holbein sich die Vorstellung, die nackte Schöne am Strand wäre doch besser tot gewesen. Das hätte manches erleichtert. Doch umgehend sprang ihn die Erkenntnis an, dass er damit in das Nullachtfünfzehn-Fahrwasser der üblichen, primitiven Krimiauftakte geschliddert wäre. Das Auffinden einer nackten Frauenleiche am Strand gehörte nämlich mittlerweile zu den peinlichsten Standard-Eröffnungen. Gefolgt von der stereotypen Frage am Handy: „Eine tote nackte Frau am Strand? Ich bin schon unterwegs!“
Nein. Das konnte sich ein Holbein wirklich nicht leisten. Zumal ihm in der gerade fertiggestellten Doktorarbeit von Hadice Abass, der „schönen Linguistin“, einer schillernden Figur aus seinem letzten Roman2, die relative Autonomie als Autor ausdrücklich bescheinigt wurde. Und diese Promotion hatte so viel Neider-Staub aufgewirbelt, dass er sich keinen Ausflug auf das platte Niedrigniveau der herrschenden Krimiszene leisten wollte.
Außerdem was hieß das schon, das hätte manches erleichtert? Es gehörte schließlich zu seinem Markenzeichen, es sich und seinen geschätzten Lesern weiß Gott nicht leicht zu machen. Gut also, dass es keine Leiche gab.
Um seinen immer wiederkehrenden Gedanken eine solidere Basis zu verleihen, ging Holbein wie üblich ins Internet. Er gab die Suchkriterien „dumm-blond“ ein und staunte nicht schlecht:
„BLONDE FRAUEN MACHEN MÄNNER DUMM“
Französische Psychologen von der Uni Paris X-Nanterre fanden heraus, dass männliche Testpersonen bei einem Intelligenztest um einige IQ-Punkte schlechter abschnitten, wenn sie zuvor Fotos von Blondinen angesehen hatten. Außerdem reduzierten sie unbewusst ihre Hirnaktivität in Gegenwart einer blonden Frau, um kompatibler zu werden.
Und dann noch dies:
„KURVIGE FRAUEN SIND AUCH DIE KLÜGEREN FRAUEN“
Forscher von der University of Newcastle fanden ein direktes Verhältnis zwischen schwellenden Hüften und dem positiven Abschneiden in Intelligenztests. Je kurviger und birnenförmiger die Figur, desto klüger der Kopf. Der Zusammenhang von Sanduhrtaille und mentalen Fähigkeiten erklärt sich aus der Fülle ungesättigter Fettsäuren im Hüftbereich. Im Fett der Pölsterchen finde ein reger Stoffwechsel statt, daher sei die Region reich an Omega-3-Fettsäuren, der gleichen Substanz, die auch die Zellen im Gehirn auf Trab hält…
(www.welt.de/wissenschaft 1384483/1367597)
Das Wesentliche dieser Statements konnte für den überaus belesenen Schriftsteller als Neuland gelten. Und er wiederholte ungläubig: Blondinen sind nicht dumm, sie machen dumm! Und Kurven bürgen bei Frauen für Intelligenz! Blonde kurvige Frauen bedeuteten dann…
Fast gegen seinen Willen tauchte vor Holbein das Bild der nackten Blonden am Strand auf und musste sich gefallen lassen, von ihm im Hüftbereich akribisch auf Omega-3- Fettpölsterchen untersucht zu werden. Dabei fiel auf, dass der als rund bezeichnete Copacabana-Po tatsächlich eher birnenförmig wirkte.
Holbein wusste wirklich nicht gleich, welche Schlüsse er daraus ziehen sollte. Und er drückte sich zunächst vor einer ultimativen Schlussfolgerung, mit der Frage, ob das kurz geschorene Blondhaar überhaupt echt und nicht etwa gefärbt gewesen sein könnte. Gefärbte Blondinen schieden ja wohl für die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus. Er machte sich bittere Vorwürfe, diese spezifische Farbechtheit des Kopfhaars nicht durch den Vergleich mit anderer Körperbehaarung überprüft zu haben. Erinnerte sich aber dann daran, dass beim Aufstehen der nackten Schönheit der noch anhaftende Sand eine solche Überprüfung ohnehin vereitelt hätte.
Es war an der Zeit, klein beizugeben. Und das tat Holbein jetzt in einem Akt rigoroser Selbsterkundung:
Die erste These schien zu stimmen. Seine offenkundige Verdummung seit dem Stranderlebnis mit der nackten Blonden ließ sich nicht länger leugnen.
En deux mots: Dumm gelaufen.
Und nun diagnostizierte er seine mentale Befindlichkeit tapfer als „Intelligenzminderung“. Diesen Begriff aus dem Gutachterjargon hatte er erst kürzlich in seiner SZ gefunden:
„GUTACHTER: TROTZ INTELLIGENZMINDERUNG SCHULDFÄHIG“
Der psychologische Sachverständige bescheinigte dem wegen versuchten Mordes Angeklagten eine leichte Intelligenzminderung (Schwachsinn).
Wenn leichte Intelligenzminderung bereits als Schwachsinn bezeichnet wurde, an welcher Form dieser Minderung litt Holbein dann?
Das war ja zum Hirnerweichen! Er schüttelte sich wie um seine berühmten beigen Zellen auf Trab zu bringen. Zunächst ohne jeden Erfolg. Dann aber verlangten die Beigen, er möge sich gefälligst auf eine seiner zentralen Grundbehauptungen besinnen. Nämlich die, dass er niemals in seinen Romanen irgendwelche Zufallsgeschehnisse erlaubte.
Na und?
Na das würde bedeuten, dass seine Begegnung mit der nackten Schönheit am Strand auch auf keinem Zufall beruhen konnte…
2 R. Kretzschmar „Die Windkraft-Terroristen“ ISBN 9783734779664
Worauf dann, bitte?
Mit seiner beunruhigenden Frage hatte Holbein sich in die vierte Urlaubsnacht geschlichen. Doch auch im Träumen fand sich keine Antwort. Der Krimischreiber musste die offene Frage notgedrungen am Morgen zum Frühstücksbuffet mit nach unten nehmen. Dort saßen einige Hotelgäste, bevorzugt an der Fensterseite, den Blick zum Meer.
Jedoch der ranghöchste Chinese sitzt immer mit dem Rücken zur Wand, den Blick zur Tür. So kann er neu eintreffende Gäste gleich begrüßen. Diese fernöstliche Tischregel kannte Holbein von seiner Nichte, die vorübergehend als Künstlerin immer mal wieder in Shanghai lebte.
Den Chinesen, der jetzt in genau dieser Konstellation drei Tische entfernt sein Frühstück einnahm, hatte er bisher noch nie im Hotel gesehen. Dieser Gast konnte also erst gestern angereist sein. Oder er hatte bisher auf dem Zimmer gefrühstückt. Vielleicht auch gar nicht. Seiner Kleidung nach schien es sich um einen Geschäftsmann zu handeln. Dessen typisch asiatische Gesichtsmonotonie wurde lediglich durch ein leichtes Dauerlächeln abgemildert. Das schien seine Herkunft aus dem offenbar danach benannten Land des Lächelns anschaulich zu unterstreichen. Daraus ließen sich aber kaum Schlüsse auf die Art seiner beruflichen Orientierung ableiten.
Gerade als Holbein seine Aufmerksamkeit von dem Chinesen abziehen wollte, traf an dessen Tisch tatsächlich ein neuer Gast ein. Weiblich, in curryfarbenem, figurbetontem Kurzblazer und schwarzer Slim-Fit-Hose. Sommerlich das Ganze, aber umwerfend elegant bis hin zu den golden schimmernden Plateausandaletten. Für die Vermutung, dass es sich hier um eine Businessfrau handeln könnte, sprach höchstens die dunkel umrandete Brille in Schildpattoptik. Sie ordnete dem Gesicht etwas von der Geschäftstüchtigkeit einer Chefsekretärin zu. Und diesen Eindruck unterstrich auch die fast männlich wirkende hellblonde Kurzhaarfrisur. Wäre da nicht das gewesen, was der Blazer und die hautenge Hose an ihrer Figur aufreizend betonten. Einer Figur, welche die Gesetzmäßigkeiten des Goldenen Schnittes in den Schatten stellte.
Mit größter Mühe unterdrückte Holbein einen Aufschrei, der ihn im unerwarteten Wiederkennen seiner Strand-und Sandkönigin zu überrumpeln drohte.
Die eher grobe Brille hatte ihrer Schönheit nicht das Geringste anhaben können. Jedenfalls nicht für ihn.
Ob das der Chinese genauso empfand?
Der war jetzt aufgestanden und verbeugte sich sehr dezent mit abgesenktem Blick. Wie sich das in seinem Kulturkreis so gehört. Das Lächeln um seinen Mund schien sich dabei minimal verstärkt zu haben.
Sein schönes Gegenüber tat es ihm gleich in einer Selbstverständlichkeit, die auf Vertrautheit mit chinesischem Brauchtum schließen ließ. Auch sie vermied jeden Augenkontakt zu dem Chinesen. Nur ihr Lächeln wirkte nachhaltiger und verstärkte den bezaubernden Ausdruck um ihre Mundwinkel zur reinen Augenweide. Dieses faszinierende Lächeln musste dem Chinesen gelten. Dem aber entging es durch seinen abgesenkten Blick.
So blieb schließlich Holbein der einzige Nutznießer dieses vergeudeten Lächelns. Aber es traf ihn wie Stiche im Bauchbereich. Und die fühlten sich an, als entstammten sie einer Eifersucht.
Lächerlich?
Jetzt setzten die beiden sich.
Sie schienen sich zu kennen. Und Holbein, der gewiefte Lippenleser, entschlüsselte bald, dass sie sich auf Englisch unterhielten. Doch bei aller Lippenleserkompetenz vermochte er nur vage Gesprächsfetzen zu dechiffrieren. Endlich gelang es ihm, die Schlüsselworte genmanipulation, genetic enginiee- ring und Shenzhen aus dem Wortsalat dieser Konversation herauszufiltern.
Und nun brillierte Holbein als begnadeter Profiler. Er entfaltete einen detaillierten Zusammenhang, der bei Normalsterblichen lediglich Ungläubigkeit hervorgerufen hätte. Zum Glück brillierte er ja nur für sich allein, ganz im Stillen.
Bei dem chinesischen Geschäftsmann handelte es sich demnach um einen Wissenschaftler des berühmten BGI Shenzhen, des wohl weltgrößten Wissenschaftszentrum für Genom-Entschlüsselung in China. Und dort forschte man gerade an dem Phänomen der Intelligenzmaximierung. So wurden etwa bei der Präimplantationsdiagnostik die intelligentesten befruchteten Eizellen (Zygoten) zur Züchtung von Super-IQ-Babys bevorzugt. Das ergab einen IQ-Vorsprung von 5 – 15 Punkten pro Generation. Soweit Holbeins vermutlicher Wissensvorsprung gegenüber einem durchschnittlichen Leser.
Und genau in diesem Moment stellte sich der Profiler die Frage, ob seine ehemals nackte Strandschönheit gerade dabei sein könnte, etwas gegen ihre selbstbehauptete Dummheit zu unternehmen. Im Gespräch mit diesem chinesischen Wissenschaftler. Das hätte ihrem Auftritt im Frühstücksraum des Grandhotels zumindest eine gewisse Plausibilität verliehen.
Nach kurzem Überdenken allerdings verwarf Holbeins berühmte intellektuelle Redlichkeit’ diesen Gedanken. Eine postnatale IQ-Verbesserung würde selbst einen Genom-Zauberer in Schwierigkeiten bringen. Einmal auf der Welt, ließ sich an der IQ-Schraube nicht mehr viel drehen. Besonders wenn das Hirn bereits erwachsen war.
Dann aber überfiel Holbein plötzlich wieder das einfache und ganz normale Denken. Es lag doch viel näher, in dem weiblichen Frühstücksgast etwas wie eine Super-Kurtisane zu vermuten. Geishas gab es ja wohl in China nicht.
Unverzüglich holten Holbeins beige Zellen einen Artikel aus der taz.de online von 2008 ins Gedächtnis zurück:
„Vor dreißig Jahren war Shenzhen noch ein Fischerdorf. Heute ist es nicht nur Chinas reichste Stadt sondern auch die Hauptstadt der Prostitution.“
Aber um eine chinesische Nutte konnte es sich natürlich hier nicht handeln. An der wunderschönen Erscheinung fand sich nämlich absolut nichts Schlitzäugiges. Doch vielleicht stand ja der chinesische Wissenschaftler, wenn er überhaupt einer war, auf europäischen Escort. Womöglich hatte er sie sich zum Frühstück bestellt. Andere Länder, andere Sitten. Mochte sein. Dagegen sprach jedoch die seriöse Geschäftsmäßigkeit der Unterhaltung. Darin war beim besten Willen nichts Frivoles zu entdecken. Bei keinem von den beiden. Nicht einmal die Andeutung irgendeiner lasziven Gebärde!
Was auch immer Holbein als Profil zusammenzubasteln versuchte, es misslang immer kläglicher.
Er kam wohl oder übel auf die Dummheit zurück. Doch selbst von der war im Augenblick nicht das Mindeste bei ihr zu erkennen. Immerhin beherrschte sie das Englische offenbar fließend.
Holbein gab sich zu bedenken, dass dem Begriff der Dummheit nichts Objektives anhaftete. So mochte „relativ-dumm“ durchaus noch eine erhebliche Restintelligenz beinhalten. Um es verständlicher zu schreiben:
Unter vor Dummheit Blinden (IQ um 60) ist der durchschnittlich Dumme (IQ um 100) durchaus noch König. Oder Bill Gates (IQ 160) rein rechnerisch intelligenter als Albert Einstein (IQ 148)!
Doch das brachte Holbein auch nicht weiter. Und er verbiss sich in die angenehmere Vermutung, dass seine Strandschönheit sich offensichtlich nur im Vergleich zu richtigen Intelligenzüberfliegern selbst als minderbegabt einschätzte.
Ungleich klarer schätzte der Krimischreiber und Profiler jedoch seine eigene Kompetenz als Autor ein. Er hielt sich für derart überdurchschnittlich, dass er möglicherweise in seinem neuen Kriminalroman ohne jede Leiche auskommen könnte. Originell und genügsam wie er nun einmal war.
Und so verspürte er auch keinen Frühstückshunger mehr. Allerdings sprang dafür unversehens ein ganz anderer Hunger bei ihm in die Bresche.
Holbein hungerte nach Gerechtigkeit.
Nach einer ausgleichenden. Denn wenn diese unvergleichliche Schönheit sich jetzt auch noch als weniger intelligenzschwach zeigte, würde sie automatisch besser in sein Beuteschema passen. Zumindest bedeutete dies aber, dass er ein solches Überfliegerweib als Schönheitsgesamtpaket niemand anderem gönnte. Schon gar nicht einem Wissenschaftstypen, der diese begnadete Ausnahmelaune der Natur wohl kaum zu würdigen schien.
Und spontan wünschte er sich den Chinesen weg.
Nein, er wünschte ihm nicht den Tod!
Schließlich hatte er gerade erst beschlossen, ohne eine Leiche auszukommen.
Doch als habe den Chinesen Holbeins gewünschtes Stichwort im wahrsten Sinne seiner Bedeutung getroffen, fasste der sich ans Herz. Dabei verschwand das letzte Restlächeln aus seinen sonst noch immer unbewegten Zügen.
Er stand auf. Verbeugte sich vor seiner bezaubernden Tischdame wie zu Beginn der Begrüßung und murmelte ein paar flachsilbige Worte, die der Profiler deshalb nicht ablesen konnte. Anschließend forderte er mit einer abwehrenden Geste, sein schönes Gegenüber möge sitzenbleiben. Dann drehte der Chinese sich um und verließ sehr blass den Frühstücksraum.
Ehe Holbein von einem unerwarteten Glücksgefühl durchflutet werden konnte, fühlte die verlassene Tischdame sich offenbar nicht mehr an die erteilte Platzhalte-Forderung gebunden. Sie stand auf, nahm die dunkel gefasste Brille ab und steuerte auf ihn zu. Mit jenem nachhaltigen Lächeln, das ihre Mundwinkel erneut zur Augenweide hochstilisierte. Diesmal jedoch war es eindeutig und triumphierend auf ihn, den neuen Tischherrn ausgerichtet.
Völlig überrumpelt erstarrte Holbeins Gesicht zu einer Aus- druckslosigkeit chinesischer Prägung. Ganz kurz nur. Dann aber brach das Grinsen eines Honigkuchenpferdes aus ihm heraus.
- Stört es, wenn ich mich dazusetze?
Statt eine Antwort abzuwarten zog sie den gegenüberstehenden Stuhl zurück und setzte sich. Dabei streckte sie ihre langen, schlanken, leicht gespreizten Beine provozierend unter dem Tisch in Holbeins Richtung. Ohne ihn jedoch zu berühren. Aber das war auch überhaupt nicht nötig. Die Fantasie des sensiblen Krimischreibers ersetzte einfach den tatsächlich fehlenden Kontakt durch ein wirkungsstarkes Placebo. Und so verspürte Holbein warme, um nicht zu schreiben heiße Wonneschauer, die von seinen züchtig geschlossenen Knien auf ihn zu brandeten.
Daraus entsprang dann endlich seine verspätete Antwort:
- Nein ganz im Gegenteil. Die Anwesenheit einer solchen Schönheit bereichert meinen Morgen.
Erst nach dieser geschwollenen Formulierung erinnerte er sich betroffen an die These von der Verdummung der Männer durch die blonden Frauen.
Er hatte genau wie sie in der direkten Anrede das Du vermieden. Doch das sollte sich schnell wieder ändern.
- Musst du dich immer in solches Gesülze verrennen?
Endlich fand Holbein den Mumm, zurückzuschlagen.
- Nein muss ich nicht. Also was willst du, obwohl du mir doch vor kurzem noch von dir abgeraten hast? Oder suchst du Ersatz, weil dich dein komischer Chinese hat sitzenlassen? Treibst du es mit ihm?
- Er ist weiß Gott kein komischer Chinese, sondern ein Superwissenschaftler, den ich um Rat gefragt habe. Deshalb erwartet er keine Gegenleistungen im Bett. Ihm geht es gesundheitlich nicht gut. Er hat plötzlich Probleme mit seinem Herzschrittmacher…
- Lebensbedrohliche?
- Das weiß ich nicht. Aber warum interessiert dich das?
Jetzt wollte Holbein natürlich nicht mit der billigen Selbstbeschränkung auf Leichenlosigkeit in seinem Krimi rausrücken. Deshalb sagte er:
- Mit Herzschrittmachern ist nicht zu spaßen. Schon gar nicht auf so einer abgelegenen Insel. Der Mann gehört in eine Fachklinik auf dem Festland. Und welchen Rat suchst du bei einem solchen Superwissenschaftler?
- Du bist ganz schön neugierig.
- Und du beantwortest meine Fragen nicht. Also noch einmal: was willst du von mir?! Es kann doch wohl kein Zufall sein, dass du erst nackt am Strand spielst, mir wegen deiner angeblichen Dummheit von dir abrätst und jetzt plötzlich an meinem Tisch erscheinst.
- Ach so, das meinst du.
- Genau das meine ich. Also?
- Ich brauche dich für einen ziemlich speziellen Auftrag.
Sie sagte es wie nebenbei.
Doch unmittelbar danach stellte sie wieder ihre ganze Schönheit in den Dienst der Sache. Bis es körperlich wehtat. Sie versengte ihr Gegenüber, als vertrete sie die Sonne. Ihre Pupillen weiteten sich. Ihr Oberkörper straffte sich und schien ihren Blazer noch betonter und raffinierter auszufüllen. Wohl beides ausgelöst durch ein immer lebhafter spielendes erotisches Spannungsgeflecht unter dem Frühstückstisch. Ihre Mandelaugen leuchteten und es sah aus, als spiegelten sie sich in dem orangefarbenen Metallic Nagellack, der ihre zarten Fingerkuppen verführerisch abrundete. Im Farbton passend zum Augenmakeup, wie Karl Lagerfeld es für diese Saison forderte. Dabei glitten ihre Hände wie eine Liebkosung über das Besteck neben dem Teller.
Holbeins linkischer Versuch, sich vor dieser Glut zu schützen gipfelte in einem krampfartigen Zappeln und Zittern seiner Füße. Mit letzter Willenskraft verklemmte er sie schließlich links und rechts hinter den Stuhlbeinen. Zwischen den Zähnen, die er zusammengebissen hatte, presste er hervor:
- Für welchen Auftrag, bitte?
Was sie ihm nun anbot spottete jeder Beschreibung.
Als verantwortungsbewusster Autor jedoch, der vom Beschreiben lebte, stellte sich Holbein diesem Spott.
Die ehemals Nackte und jetzt in modischer Eleganz verwirrende Schöne hatte sich den Namen Martha Harris ausgesucht. (Sie sprach es englisch aus.) Ein Pseudonym in Anlehnung an die berühmte Nackttänzerin Mata Hari, die vor 100 Jahren als Agentin für den deutschen Geheimdienst tätig wurde. Sie selbst arbeite angeblich für ein internationales Geheimkonsortium, das der Intelligenzvormachtstellung des auftrumpfenden Weltreiches China den Kampf angesagt hatte.
Vor kurzem hätte der begnadete Profiler über ein solch absurdes Statement nur den Kopf geschüttelt.
Heute aber, wo er von dem BGI Shenzhen, dem weltgrößten Wissenschaftszentrum für Genom-Entschlüsselung in China wusste, ersparte er seinem begabten Kopf das Schütteltrauma. Zumal er vor erst wenigen Augenblicken seine schöne Ga- lathée im Frühstücksplausch mit einem leibhaftigen Chinesen gesehen hatte.
Sie müsse weit ausholen, um sich in dem Unvorstellbaren verständlich zu machen. Das behauptete sie zumindest. Und fügte schmunzelnd in einem Nebensatz an, dass dies wohl an ihrer schon erwähnten Dummheit und ihren Bildungslücken liege. Defizite, die ihr erst im Umgang mit den neuen Gegebenheiten bewusst geworden wären. Ihn habe sie am Strand damit nur in die Falle locken wollen.
- Ja, sagte Holbein, das scheint dir ja gelungen zu sein. Jetzt sitze ich hier gefangen zwischen deinen betörend langgestreckten Beinen und bange, dass die Falle zuschnappt.
- Das könnte dir so passen. Aber fürchte dich nicht, ich ziehe meine Fangbeine sofort zurück.
Und das tat sie auch.
Holbein verfluchte seinen Übereifer. Sie jedoch fuhr fort:
- Erst die Arbeit, dann das Vergnügen! Übrigens als Frageform im Restaurant Hummer Köbes üblich, wohin ich dich heute Abend hoffentlich einladen darf?
- Du darfst. Natürlich kenne ich die Frage nach der Reihenfolge beim Hummeressen. Aber die Arbeit des Aufknackens der weniger fleischhaltigen Partien macht ja bereits großes Vergnügen. Doch was ist mit deiner Arbeit? Spuck es endlich aus!
Was dann Martha Harris vor ihm ausbreitete, nahm Holbein die Spucke weg, die er gerade erst bei ihr angefordert hatte.
Das Schreckgespenst eines unbesiegbaren Riesenkraken taucht am Welthorizont auf. Die Angst vor dem roten Drachen. China auf dem Weg zur militärischen und wirtschaftlichen Supermacht. Unheilprognose für das Jahr 2020: China läuft USA den Rang ab. Dank skrupelloser Expansionsstrategien wie dem TARGETING, das im Anpeilen, Angreifen und Ausschalten gipfelt. „Rückgewinnung“ von Land auf Riffen im Südchinesischen Meer für strategische Militärbasen.
Doch das sei nur die Spitze des Eisbergs. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt entbrenne der Kampf um die intellektuelle Vorherrschaft auf unserem Planeten. Eine subtile Machtergreifung durch hochgezüchtete IQ-Eliten, die alles in den Schatten stellen, was bisher als gesicherter Maximalstandard auf politischer, wissenschaftlicher und kultureller Ebene gegolten hat.
Holbein erschien das alles zu abstrakt. Auch konnte er sich nicht so schnell umgewöhnen. Oder er wollte einfach nicht wahrhaben, dass sein schönes und perfekt gestaltetes Strand- dummchen plötzlich zu einer Politutopistin mutierte. Er hätte sie umbringen können. Und er verfluchte erneut seine Idee, ohne Leiche auskommen zu müssen. Andererseits durfte er nicht den Spielverderber geben. Sie würde womöglich daraus ableiten, dass ihre Schreckensvisionen seinen mickrigen IQ und sein beschränktes Vorstellungsvermögen überforderten. Also versuchte er zunächst einmal Zeit zu gewinnen. Und unterbrach ihre so mühelos vorgetragenen Ungeheuerlichkeiten:
- Ehe du mich weiter in deine Agentengeheimnisse einweihst, solltest du sicher gehen, dass du dich nicht an einen Verräter verschwendest. Erzähl mir mal lieber, wie du ausgerechnet auf mich gekommen bist. Und wer garantiert dir, dass ich für einen solchen ‚speziellen‘ Auftrag überhaupt zur Verfügung stehe?
Martha legte ihr Besteck in der 20 nach 4 Stellung auf dem Teller ab, obwohl sie ohnehin nur an einem Croissant geknabbert hatte. Dieses Hörnchen allerdings war genüsslich von ihr aufgeschnitten, gebuttert und mit Orangenkonfitüre gefüllt worden.
Sofort nahm sie wieder ihr provozierendes Glutlächeln auf, dem Holbein einfach nicht widerstehen konnte:
- Du gläserner Schtreiberling warst leicht zu finden. Ich stolperte über eine Doktorarbeit, die über dich verbrochen wurde. Die Verfasserin der Dissertation ist nämlich eine alte Bekannte von mir. (Siehe: „Die Windkraftterroristen“, op. cit.) Von da