Nacht oder Rakete - Rainer Kretzschmar - E-Book

Nacht oder Rakete E-Book

Rainer Kretzschmar

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Beschreibung

Eiskalt erwischt. Vor einem seiner alten Romane. In der Stadtbibliothek: Holbein, Krimiautor, berühmter Profiler, Kenner und Liebhaber edler Frauen und Getränke. Wieder gegen seinen Willen in den Strudel von Unwägbarkeiten und makabren Komplikationen gezogen. Natürlich in Cyber-Sphären hochgerüsteter Geheimdienste. Mit täuschend echten Roboterinnen, die wirklich alles können. Und mehr! Längst Wirklichkeit in heimlichen Forschungszentren. Seine große Liebe, jene kluge Janadine in den gierigen Fängen eines Erpressers. Der will sie für eine Nacht! Sonst starte er seine gestohlene Rakete mit Atomsprengkopf im Krisengebiet Koreas. Holbein muss diese frivole Ungeheuerlichkeit verhindern. Die drohende Atomkatastrophe abwenden. Unter Einsatz seines Lebens und hilfreicher Freunde. Die gerechte Strafe aber ... nein, bei Holbein stirbt keiner so ganz ...

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ÜBER DEN AUTOR …wurde bereits alles in seinen Büchern gesagt.

Rainer Kretzschmar, Diplom-Soziologe und Pferdewirtschaftsmeister in Bad Saulgau, Oberschwaben. Seine Krimis – satirisch ironisch. Seine Science-Fiction am wissenschaftlichen Fortschritt orientiert. Ohne Tote, gegen das monotone Klischee: Leiche – Mordkommission – Spurensicherung – „hatten Sie Feinde?“. Stattdessen Explosionen des Unerwarteten. Belegt durch aktuellste Veröffentlichungen. Mit seinem groß- und einzigartigen Profiler Holbein und dessen waghalsig abenteuerlichen Einsätzen. Diesmal startet er an einem eher ungewöhnlichem Ort: In der Stadtbibliothek von Bad Saulgau.

ÜBER DIESES BUCH

Autor und Profiler Holbein. In der Stadtbibliothek Bad Saulgau. Mit einer jungen Dame. Vor einem seiner frühen Romane.

Die begeisterte Reiterin und kritische Leserin holbeinscher Werke Helsi van Bourg. Sie lockt ihn raffiniert zurück in die Vergangenheit. In das alte Pferdeparadies, das sie geerbt hat. Und aus dem totgeglaubten Schloss des alten Romans blüht neues, geheimnisvolles Leben. Mit diesem ungewöhnlichen Griff in die literarische Trickkiste eines früheren Werkes, führt der Autor die Handlung einfach Zug um Zug weiter in Cyber-Sphären: Attraktive Dressurreiterinnen, in der klassischen Hohen Schule ausgebildet. Als getarnte Agentinnen einer weltumspannenden Geheimdienstorganisation. Unter der Ägide des alten, steinreichen Schlossbarons. Immer noch rüstiger Grandseigneur und Strippenzieher in seinem unterirdischen Hightech-Reich. Künstliche Intelligenz (KI) alltäglich. Besonders aber täuschend echte Roboterinnen, die wirklich alles können. Alles und mehr! Im Einsatz gegen den unberechenbaren Entführer und Terror-Erpresser seiner ewigen Flamme Janadine Dornier, der weltweit anerkannten Wissenschaftlerin mit drei Doktor-Titeln. Denn die will der Wahnsinnige für eine Nacht! Droht, sonst eine entwendete Rakete mit Atomsprengkopf zu zünden. Im internationalen Krisengebiet um Nordkorea.

Autor und Profiler Holbein jagt ihn mit eindrucksvollen Persönlichkeiten an fast utopischen Orten und unter skurrilen Umständen wie immer. Wirklichkeitsfähige Fakes.

Wie Holbeins Fans schon lange wieder von ihm gefordert haben, beginnt alles als neuer Reiterroman. Die Zwänge unserer modernen Hightech-Welt holen ihn jedoch erbarmungslos ein und lassen ihn nicht mehr aus ihren Fängen. Bis zum unglaublichen Finale.

Für die stets freundlichen und aufmerksamen Mitarbeiterinnen der Stadtbibliothek Bad Saulgau, wo diesmal alles beginnt.

Frauen wären die bezauberndsten Geschöpfe auf dieser Welt, wenn man, in ihre Arme sinkend, nicht zugleich in ihre Hände fiele….

Henry de Montherlant

Dies ist ein Roman. Alle Figuren und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten zu lebenden oder toten Personen oder Ereignissen sind rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Teil I

1.

Kapitel

2.

Kapitel

3.

Kapitel

4.

Kapitel

5.

Kapitel

6.

Kapitel

7.

Kapitel

8.

Kapitel

9.

Kapitel

Teil II

1.

Kapitel

2.

Kapitel

3.

Kapitel

4.

Kapitel

5.

Kapitel

6.

Kapitel

7.

Kapitel

8.

Kapitel

9.

Kapitel

10.

Kapitel

Teil III

1.

Kapitel

2.

Kapitel

3.

Kapitel

4.

Kapitel

5.

Kapitel

6.

Kapitel

7.

Kapitel

8.

Kapitel

9.

Kapitel

10.

Kapitel

Teil IV

1.

Kapitel

2.

Kapitel

3.

Kapitel

4.

Kapitel

5.

Kapitel

6.

Kapitel

7.

Kapitel

8.

Kapitel

9.

Kapitel

10.

Kapitel

Teil V

1.

Kapitel

2.

Kapitel

3.

Kapitel

4.

Kapitel

5.

Kapitel

6.

Kapitel

7.

Kapitel

8.

Kapitel

9.

Kapitel

10.

Kapitel

Teil VI

1.

Kapitel

2.

Kapitel

3.

Kapitel

4.

Kapitel

5.

Kapitel

6.

Kapitel

7.

Kapitel

8.

Kapitel

9.

Kapitel

10.

Kapitel

Teil VII

1.

Kapitel

2.

Kapitel

3.

Kapitel

4.

Kapitel

5.

Kapitel

6.

Kapitel

7.

Kapitel

8.

Kapitel

9.

Kapitel

10.

Kapitel

Teil VIII

1.

Kapitel

2.

Kapitel

3.

Kapitel

Epilog

PROLOG

Das alte Henne-Ei-Problem.

Autoren-Dilemma: Keine Zeile vor dem Titel. Oder. Titel kommt beim Schreiben. Hier scheiden sich die Schriftverzehrer. Der Autor wartet ab und lässt sich überzeugen. Holbein, der altbekannte Krimischreiber und unnachahmliche Profiler. Hat das Problem delegiert. Seine Écriture automatique diktiert ihm digital unbeeinflussbar wie das Fatum, was er zu schreiben hat. Seine Einfälle wie auf der Couch beim alten Freud.

„Ach, daher …“ erklärt das manche Leserin ihrem Leser. Ach, daher also auch der provokante Titel?

So einfach ist das leider nicht mit der Rakete. Schon gar nicht die Assoziation mit „Granate im Bett“. Bestimmt nicht. Jedenfalls nicht autorbewusst oder gar gewollt.

Vielmehr Hinweis auf den breitgefächerten Facettenreichtum heutiger Täter, mordender Weltverbesserer, Selbstmordattentäter und jenseitsverblendeter Terroristen. Egal, welcher religiöser Couleur. Nur wer mit allem rechnet, wird nicht überrascht.

Gilt auch für diesen Roman.

TEIL I

1.

Was für herrliche Rücken!

Einer ganz besonders. Dicht vor ihm, in leichter Hocke. Aromen von Verlockung und weicher Eleganz.

Der Rücken richtet sich auf. Dreht sich. Mit Kopf und ganzem Körper. Faszinierend weiblich. Elektrisierend.

Nimmt ihm die Sicht auf die anderen Rücken.

Die gehören den Büchern der Stadtbibliothek in Bad Saulgau.

Eins davon in der Hand hält sie vor sich hin. Blickt ihm in die Augen. Mehr Abstand…

Taktvoll einen Schritt zurück. Den Titel des Romans im

Blick. Kennt er natürlich.

- Gute Wahl … werden Sie nicht bereuen.

- Oh, Ihr Geschmack? Sie haben es gelesen? Oder nur den Cover? Reizendes Straflächeln – Sie mögen ja das Buch kennen, aber meinen Geschmack?

- Tut mir leid. Habe es geschrieben. Bin halt der Autor …

- Bloß nicht! So wie Sie aussehen!

Dreht sich empört um. Schiebt zweifelnd das Buch zurück in die noch klaffende Lücke im Regal. Zwischen die anderen Rücken. Will weiter.

- Werden doch nicht dem Roman mein Gesicht verübeln?

Wieder dieses Lächeln. Diesmal nicht strafend. Eher mitleidig.

- Zeig mir dein Gesicht, und ich sage dir warum du schreibst. Noch nie gehört?

- Nein. Zitat?

- Bisher nicht. Haben meine Finger etwa Anführungszeichen in die Luft gemalt? Stammt von mir. Sollte sich Holbein gefälligst hinter die Ohren schreiben.

- Holbein? Meinen Profiler? Den kennen Sie? Und erteilen ihm gute Ratschläge? Dann haben Sie mich ja doch schon gelesen?

- Sie nicht. Ein paar dieser abartigen Romane. Wenn ich aber ihr Gesicht lese … Und nirgends ein Foto vom Autor.

- Was liest denn die reizende Physiognomin der großen Literatur in meinen Zügen? Wenn ich darf …

- Sie dürfen mich mal …

Wendet sich und geht.

Er steht still und schweiget. Wie der schwarze Wald, Matthias Claudius.

Ihr weißer Nebel wunderbar…

Muss er lichten.

So kaltschnäuzig linkt frau den Autor nicht. Schon gar nicht Holbein, niemals!

Wieder dieser Rücken. Jetzt in Bewegung. Welche Ausstrahlung. Der Autor sieht Bewegung in seinem nächsten Roman.

2.

Hinterher.

Er nimmt wahllos ein Buch aus dem Regal beim Großbuchstaben K. Nachdenklich zurück über die langen Flure der Bibliothek. Zweimal rechts abbiegen. Bis zum Ausleih-Computer.

Nichts von ihr.

Also kein Buch mitgenommen. Der umständliche Automat hätte sie festgehalten.

Ausleihe? Weiter. Benutzerkarte über die Leuchtlinie schieben. Weiter. Maximal 3 Exemplare auflegen. Weiter. Quittung?

Das dauert.

Er sieht sich verstohlen um. Schnuppert nach den Aromen. Sucht nach weißem Nebel.

Nichts.

In einem der offenen kleinen Themen-Nebenräume verschwunden? Wie bei TV-Verfolgungsjagden in einer Mauernische oder Tür?

Verfolgungsjagd?

Konnte sie überhaupt mit seinem Hinterher rechnen?

Profiler Holbein, trotz guter Ratschläge:

Jede Frau, wenn sie erst eine Duftnote gesetzt hat, erwartet den Mann auf ihrer Spur.

Binsenweisheit der Natur. Zurück? Nachsehen? Ihr womöglich in die Arme laufen …

… Sie dürfen mich mal … Er zwingt sich, seinen Wunschvorstellungen nicht vorzugreifen.

Sublimer. Altmodischer. Wie ein Detektiv. Heimlich, still und leise. Aber affektiver als ein topmoderner Schlapphut bei der NSA.

Den Namen erstmal …

Wenn sie ein paar andere Romane bereits gelesen hat, muss sie der Computer kennen.

Über Lissy sich einhacken … In den kleinen Such-PC für die Nutzer der Bibliothek. Mit allen Büchern. Den Terminen für ausgeliehene Titel. In Lissy kann man sich auch online einloggen.

Aber einhacken?

Ein Cyber-Spezi muss her. Er sitzt ja an der Quelle. Beim LKA, Stuttgart, seinem Teilzeit-Arbeitgeber als Profiler. Von da kennt er den Informatiker Mike Hawke.

Grinst maßlos unterfordert.

- Gib doch mal deine Benutzer-Karte.

Während der Autor sein Anliegen ausführlich unterbreitet, ist Mike längst über Lissy im Hauptcomputer.

- Als erstes sortieren wir die Ausleiher deiner Romane nach Geschlecht. Weiblich sind ohnehin die meisten. Lächelt süffisant – Alter etwa?

- 35 bis Anfang 40.

- Auch die größte Zahl. Erspart dir eine teure Marktanalyse … – weitere Eingrenzungen?

- Jetzt nur solche, die meinen Roman „Die Leiche des Reitlehrers“1 bis heute noch nicht entliehen haben. Denn das war der Titel, den sie wollte.

- Nicht schlecht, alter Profiler, jetzt wird die Zahl endlich überschaubarer …noch süffisanter…

- Wieviel?

- Zweitausend …

- Spinnst du?

- Hätte dir gefallen, oder? Nein, bleib ruhig. Es sind nur zwei …

- Und die Adressen? Die brauche ich …

- Ich druck dir alles aus. Aber nur für deinen Hausgebrauch. Datenschutz, du weißt.

- Bilder hat der PC keine?

- Musst du auf Facebook versuchen.

- Wie wär’s mit einem Phantombild von eurem Super-Zeichner?

- Versuchs erst mal bei Google. Warte. Hier kommt gerade eine neue Ausleihe rein: Deine Reitlehrer-Leiche!

- Nein! Dass muss sie sein. Gestern noch davon gelaufen und heute … Na, klappt doch bei dem Fachmann.

1 Rainer Kretzschmar, Die Leiche des Reitlehrers ISBN ….

3.

So wie Sie aussehen …

Er blickt angelegentlich in den Flurspiegel: zu dunkel. Im Bad enthüllt er sein einzigartiges Profil. Männlich kantig, na ja, eher ausgiebig unterfüttert und aufgefaltet an den falschen Stellen. Aber unbedingt eine Physiognomie im oberen Charakterkopf-Segment.

Profiler Holbein tastet mit den Fingerspitzen den Hautbereich hinter seinen Ohren ab. Auf der Suche nach denkbaren Erklärungen für einen gesichtsbedingten Schreibhintergrund.

Nichts. Außer ein paar knötchenartigen Verdickungen. Vielleicht Blindenschrift?

Beherrscht er nicht. Kratzt sich dort.

Geht zu Google.

Wer sich hinter dem Ohr kratzt, ist unsicher und zweifelnd. (Glossar Körpersprache).

Zu den ausgedruckten Namen kein Eintrag.

Telefonbuch? Wenigstens mal nachsehen, obwohl…

Zu plump. Er wird sie bestimmt nicht anrufen. Was erwartet er überhaupt von dem Nebelwesen aus der Bibliothek? Beleidigte Leberwurst? Wegen abgelehnter Visage?

Erforscht seine Züge an dem grimmigen Spiegelbild... Im Zwiegespräch mit seinen ergrauten Zellen.

Aber nicht doch! Der will doch was ganz anderes: Anerkennung! Und dann, wenn´s noch ginge, sich bei ihr einverleiben.

Einverleiben? Unerotischer geht’s wohl nicht. Ein Holbein geht doch nicht in die städtische Bücherei um sich …

Das Smartphone. Reißt ihn aus seiner erotisch verbrämten Versagenspeinlichkeit.

- Ja, … Ihre Stimme klingt mir bekannt. Wer …? Ob ich noch hoch … komme…? Soll das ein Witz sein??

- Entschuldigen Sie, meine natürlich auf ein Pferd. Sie sind doch Pferdewirtschaftsmeister. Ich suche einen Reitlehrer, wie er im Buche steht. In Ihrem. Aus der Bibliothek, wo wir uns doch…

- Sie?! Haben Sie die „Leiche“ jetzt tatsächlich gelesen?

- Und wie!

- Sie wissen schon, dass in einem Roman gern übertrieben wird. Selbst in meinem. Und der ist 2008 erschienen. Vor zehn Jahren …

- Darum ja meine Frage. Weiß schon, war ein bisschen respektlos.

- Respekt vor dem Reitlehrer … ganz wichtig. Das sollten Sie immer im Auge behalten.

- Heißt das, Sie nehmen mich …als Schülerin?

- Weiß nicht mal Ihren Namen. Hätten sich ruhig damit melden können. Apropos Respekt … Wie kommen Sie überhaupt an meine Handy-Nummer?

- Bitte entschuldigen Sie. Ich heiße Helsi van Bourg. Wollte nicht unhöflich sein. Ihre E-Mail-Adresse ist abgedruckt, hinten im Buch. Da muss man heute kein Profiler sein, um …

Holbein vergleicht den Namen mit den Ausgedruckten. Der zweite also. Auf den hatte er getippt.

- Also gut, dann zurück zu Ihrer Frage. Beim letzten Mal kam ich noch hoch. Aufs Ross. Wo liegt Ihr Problem?

- Darüber muss man reden. Nicht am Telefon. Können wir uns nicht irgendwo treffen?

- So geheimnisvoll? Hoffentlich kein Krimi. Neuerdings habe ich mit Leichen so mein Problem. Wann und wo?

- Wenn’s Ihnen passt, könnten wir ja vielleicht … im Vinum, romangemäß. Lade Sie zum Abendessen ein.

- Respekt. Kleber Post. Kenne ich natürlich. Jetzt holen Sie auf. Und wann?

- Am liebsten gleich heute. 20 Uhr? Holbein täuscht Zögern vor:

- So dringend? … Also gut, einverstanden. Aber ich zahle meinen Konsum selbst. Wenn Sie verstehen:

# Me Too! Darf ja wohl auch für Männer gelten.

- So vorsichtig, der Herr Profiler? O.K. Ich reserviere. Dann à tout à l’heure. Enchanté …

4.

Enchanté.

Erfreut … sehr erfreut … auf jeden Fall französisch. Schon mal nicht schlecht.

Wieder im Bad grinst er kumpelhaft sein Spiegelbild an. Na …? Ein Mann muss nicht immer schön sein. Aber… Der Spiegel fletscht zweifelnd zurück.

Bloß nicht in Schönheit sterben …wie der arme Reitlehrer vor 10 Jahren.

Der Stein des Anstoßes. Sein alter Roman. Der Autor schon längst weiter. Dieses spannungsgeladene Lächeln gilt nicht mehr dem Spiegel. Es liebäugelt mit neuen Träumen. Frei vom Staub des Alterns. Seine altmodische Detektivarbeit vergessen. Sein einfallsloser Schreibtisch, frühlingserwacht. Der Nebel aus der Bibliothek romanhaft verdichtet. In ein paar vielversprechenden An-Sätzen.

Holbein stellt schmunzelnd seine ewige Profilsucht zurück. Sich einfach überraschen lassen.

Die blau-grüne Farbe ihrer großen Augen. Forschend, nicht tatsächlich abweisend … Die Kehrseite ihres weich eleganten Rückens herausfordernd selbstbewusst. In verlockend ausgeschnittenem Top, hinter vorgehaltenem Buch. Ihre Mittelpositur (wie der Reiter sagt) unverkennbar angriffig… Sich dann einfach umdrehen, abwenden – und telefonisch Kontakt suchen. Das soll man wirklich nicht …

5.

Der Abend bricht an.

Die späte Dämmerung macht Hoffnung auf einen frühen Sommer. Angenehm mild schon die Außenluft.

Der kleine Zweiertisch in dem modernen Ambiente des Vinum-Restaurants. Gut gewählt.

Leicht ausgeschnitten am Rücken. Aber keine kalte Schulter. Für ihn. Die wärmt noch ein weißer, elegant geschlungen fallender Schal. Über dem sportlichen kleinen Schwarzen. Fließende Falten, Seidenchiffon.

Ihr Gesicht im Profil, seitwärts gewandt. Zur Terrasse. Als wenn sie ihn von dort erwarte.

Holbein, pünktlich wie immer, von der Hotellobby her. Der Gentleman nimmt den korrekten Pfad, nur der gewohnte Liebhaber den durch den Garten.

Helsi van Bourg fährt herum. Steht lächelnd auf.

- Hab’ Sie gar nicht so früh …

- Zu altmodisch mit meiner Pünktlichkeit?

- Oh nein, die Höflichkeit der Könige. Hätte ich wissen müssen. Schön, dass Sie da sind.

- Enchanté. Setzen wir uns?

Er hilft galant mit dem ledergepolsterten Stuhl. Nah zu ihren blonden Locken. Naturblond. Ohne dunklere Haaransätze. Der natürliche Duft erinnert ihn sofort wieder an die vertrauten Aromen aus der Leihbibliothek.

Er setzt sich bedächtig, von ihrer Erscheinung gefangen. Gegenüber. Blick zu Terrasse und ins Lokal. Wand im Rücken – alte Gewohnheit.

Was kann sie wollen? Was birgt der geheimnisumwobene feine Nebel?

Diese zentrale Frage unterbricht die adrette Service-Dame.

- Aperitif? Die Karte?

Beide wie selbstverständlich Campari pur. Der Anfang einer wunderbaren Verschwörung.

- Santé …

- À la votre …

Kurzes, sinnendes Schweigen. Er sucht in ihren blaugrünen Augen.

- Und sie wollen also reiten? Haben Sie denn ein eigenes Pferd? Leben Sie hier? Und warum alles so geheim?

Sie zuckt zusammen. Sieht sich verstohlen um. An den Nebentischen noch keine Gäste. Wohl saisonbedingt.

- Wenn wir bitte leise sprechen könnten …

- Wirklich so topsecret? Das klingt ja …

Holbein vorgebeugt. Auch sie beugt sich zu ihm hin. Wie das Vorspiel zu einem Tête à Tête. Über dem kleinen Tisch.

Amuse-Bouche. Der Gruß aus der Küche passt jetzt dazu. Zum Atemholen für eine Antwort.

- Einen Stall voller Pferde …

Diesmal zuckt Holbein.

- Sie meinen …?

- Pst! Bitte wieder leise! Mein bestgehütetes Geheimnis … mein unglaubliches Erbe …!

Holbein zerteilt mit seiner Gabel die kleine, gratis offerierte Lachsterrine an Honigschaum. Greift zu seinem Glas. Den bitter-roten Rest in einem Schluck. Ohne den Blickkontakt zu seiner „Erbin“ aufzugeben.

Sie hält dem Blick stand. Schiebt sich ein Stückchen von der Terrine in den Mund. Ohne zu kauen. Mit ihrem Rest von Campari auf der Zunge. Das Bittere und das Süße.

- Sie glauben ja nicht an Zufälle. Hab’ ich gelesen. Aber das wirklich Unglaubliche: meine Erbschaft führt in Ihren Roman. Dem mit der Reitlehrer-Leiche. Von vor 10 Jahren. Dem unheimlichen Baron und seinem Schlossanwesen. Hier auf der Schwäbischen Alb…

Holbein verzieht sein Gesicht. Unterbricht.

- Aber sie wollen doch …

- Haben Sie schon gewählt, oder …? Die Bedienung.

- Dauert ein bisschen …

- Sehr gerne. Noch ein Getränk?

Holbein deutet auf sein Glas und nickt.

- Für mich ein Wasser, bitte.

Wie auf ein verabredetes Zeichen beugen sich beide wieder zu einander hin.

- Sie halten mich natürlich für übergeschnappt … zu Recht. Und das auf nüchternen Magen. Hätte nicht so mit der Tür …

- Es gibt Leserinnen meiner Romane, die mich gelegentlich schon sehr verwirrt haben. Selbst auf vollen Magen. Wir sollten tatsächlich mal einen Blick in die Karte werfen.

- Soll ich lieber gehen …?

Verunsichert doch nicht den abgebrühten Profiler.

Diese Augen …

Sie jetzt einfach so abfertigen? Gehen lassen? Sie? Das geht doch nicht. Bei dem Rücken.

Und nun noch diese professionelle, sachliche Herausforderung. Ein literarisches Zurück in die Zukunft.

Welcher Autor sollte da aufgeben.

Die Edelverköstigung entbindet erst mal von einem abrupten Entschluss.

Holbein verbindlich.

- Was halten Sie von dem Menü des Hauses?

Schiebt ihr die Karte hin.

- Hummerschaumsuppe und Rinderfilet „Rossini“, meinen Sie das? Klingt gut. Als Überleitung zu den Rössern? Wieder diese Augen!

Die aufmerksame Bedienung zückt ihren Block.

- Das Menü, beide, ausgezeichnet. Und das Filet?

Keine Unsicherheit, kein fragender Blick.

- Gern, medium.

- Und der Herr?

Als Überleitung zu dem blaublütigen Baron, etwa „blutig“? Das kann er der Dame gegenüber nicht bringen.

- Medium rare.

- Und zu trinken?

Da verblüfft die schöne Erbin.

- Schlage den Château Mouton Rothschild 1er Cru vor. Den trank doch der Baron in ihrem Roman, wenn Sie sich erinnern.

Mustert ihn unverhohlen.

Holbein lächelt Zustimmung. Schon im Vorgeschmack auf... Auf den prickelnden Anfang seines neuen Romans? An den Roten kann er sich sehr wohl erinnern. Ausnahme-Jahrgang 1964. Aber nicht nur an die verlockenden Bordeaux-Aromen dieses Weins. Da tauchen plötzlich ganz andere Aromen…

Der Autor kappt tapfer auflodernde Erinnerungen.

- Muss aber hier ein anderer Jahrgang sein. Der 64er ist heute unbezahlbar.

- Stimmt. Bin beeindruckt, solche Details zu erinnern. Dann fangen Sie vielleicht auch an, mir zu glauben?

Die Kellnerin außer Hörweite. Holbein lehnt sich zurück. Gönnerhaft großmütig:

- Also schießen Sie mal getrost los, bevor die Suppe kommt. Mit wird’s den Appetit schon nicht verschlagen.

Sie schaut sich fast unauffällig um. Wieder besorgt. Neigt sich ihm zu. Ungenierter jetzt ihr Blick.

6.

Post vom Nachlassgericht.

Wie eine Drohne. Aus heiterem Himmel.

- Einschreiben mit Rückschein – wohl aus Holland. Musste es bei der Post abholen. War nicht zu Hause, natürlich. Verdammt schöne Bescherung: Unvorstellbar, ein Schloss erben. Mit 5000 Hektar Land. Und einen Stall voller Pferde! Stellen Sie sich das mal vor. Es sei denn, kitschiger Pilcher-Film. Herzkino fürs TV.

- Aber Sie kannten das fürstliche Anwesen. Doch sicher schon vorher?

- Nicht die Bohne. Hatte ja Ihren Roman noch nicht gelesen. Zudem nicht die geringste Ahnung überhaupt. Von der Existenz eines Erbonkels aus Amsterdam.

- Und wie kam das Schloss in dessen Besitz? „Mein“ Baron von Zittlitz hatte es doch damals seiner liebreizenden Stieftochter vermacht …

Holbein will sich erneut in Erinnerungsromantik suhlen. Aber da randalieren seine ergrauten Zellen:

Verstand verloren?! Du lässt dich doch nicht etwa von dieser dubiosen Erbin in ‚Olle Kamellen‘ zurücklocken!

- Angeblich aus Immobiliengeschäften… sein riesiges Vermögen

Holbein fasst nach seinem Campari. Leer! Dreht das Glas gedankenverloren in der Hand. Kein Rest zu entdecken.

- Und der kriminelle Haken an der Geschichte? Wenn Sie so geheimnisvoll tun? Irgendwelche Leichen im Keller. Die gibt’s bei mir nicht. Wie Sie inzwischen wissen.

- Warten Sie, ich will versuchen zu erklären. Die Suppe mit Rouille-Croutons.

- Und unser Wein? (Holbein mit trockenem Mund, ungeduldig.) … Halt, lieber noch zwei schnelle trockene Sherrys zur Suppe!

- Sehr gerne.

Sie wartet bis die Sherrys da sind. Trinkt ihm zu. Ohne jedes Lächeln.

- Nein … (flüstert sie betont vorsichtig) …keine Leichen! Der Notariatsbrief. Sie wissen. Fuhr nach einigen Telefonaten hin. Ganz vornehmer Schuppen. Man händigte mir eine Mappe mit Papieren aus und eine Wegbeschreibung, und ein Täschchen mit Schlüsseln. Das wäre für Park-Tor, Haustüre und alles andere. Ganz einfach, ich würde es schon finden. Na, was sollte das schon für ein alter Landbesitz sein, den man mir vererbte. Hatte ja keine Ahnung was 5000 Hektar bedeuteten.

Habe mich schließlich auf den Weg gemacht. Allein mit meinem Wagen. War schon Anfang November, aber noch ein schöner Tag. Mit dem Navi kein Problem. Heitere, offene Hügellandschaft. Auf einer Hochfläche, auf der sich Wachholderheide, Äcker und Nadelwald abwechseln. Dann eine Backsteinmauer mit hohem schmiedeeisernen Tor am Ende einer alten Kastanienallee. Sprechanlage, Kameras, Und auf der Mauer Stacheldraht. Wo gibt’s das noch!

Der große Schlüssel passte ins gut geölte Schloss. Darüber noch eine Yale-Schließanlage. Kein Problem. Tor auf und die 50 oder 100 Meter bis zu einem Sandsteinbau, abgewirtschaftete Neugotik. Großzügige Freitreppe zu kunstvoll geschnitzter hoher Eichentür. Auch hier offenbar Kamera-überwacht. Fühlte mich heimlich beobachtet. So ein Quatsch – redete ich mir ein. Die Holzläden im Untergeschoss schienen geschlossen. Ich sah mich um. Überall ländliche Idylle.

- Ja, ja, ich komme schon zur Sache. Ob er hier noch gewohnt hatte? Schoss mir durch den Kopf. Dieser unbekannte Verwandte. Wer hat das alles bis jetzt betreut? Alles ausgeräumt? Vorsichtig versuchte ich die diversen Schlüssel. Ohne gespenstisches Quietschen öffnete der große Türflügel. Dunkle Halle, nur von der Türöffnung her Tageslicht. Musste mich erst gewöhnen. Hohe Geräumigkeit. Türen nach allen Seiten und eine üppige Treppe nach oben. Am liebsten wäre ich umgekehrt. Alles sehr unheimlich… mysteriös. Hitchcock-Film. Die Treppe hoch … ich denk mich trifft der Schlag … ein Absperrseil mit dem Schild ‚Kein Zutritt‘…

Holbein taucht den kleinen Löffel in den Hummerschaum. Probiert. Nickt zustimmend. Und benutzt dann den Löffel. Verteilt die gelb-rote Rouille auf dem gerösteten Brot.

- Spannen Sie mich auf die Folter? Das Schild hat Sie doch bestimmt nicht zurückgehalten.

- Hinter der Absperrung eine massive Holztür … offensichtlich aufgebrochen…ich atemlos weiter … im Inneren des Raums … ein verspieltes Säulenrondell wie ein kleiner Tempel. – so zumindest in Ihrem Roman beschrieben – Sie erinnern sich?

- Können Sie mal zur Sache kommen? Ohne diese ewigen Anspielungen auf einen längst verjährten Krimi. Holbein schlürft genießerisch gleichmütig sein Süppchen.

- Ich reiße den Vorhang zur Seite… und dann stehen sie plötzlich vor mir … fünf nackte Wachsfiguren … ich zittere am ganzen Körper … aber nicht wie in einem Gruselkabinett …eine schöner als die andere … als lebten sie!

- Die verschwundenen Studentinnen…??

- Sehen Sie, jetzt springen Sie auch in die Verjährung!

Der Autor nimmt eilig von der Suppe. Direkt aus der zweihenkeligen Tasse. Schiebt eins der scharfen Rouille-Croutons nach.

Sie benutzt weiter den Löffel.

- Haben Sie nie daran gedacht, dieses mysteriöse Erbe auszuschlagen? Die Frist von sechs Wochen …

- Leider bereits verstrichen. Hätten Sie denn an meiner Stelle …?

Wie eine Beschwichtigung erscheint der Wein. Dann werden auch die Filets „Rossini“ nicht mehr auf sich warten lassen.

- Sie zittern ja immer noch! Höchste Zeit für den Bordeaux. Der beruhigt … wusste schon der alte Hippokrates.

Sie stoßen an.

Seidig, geschmeidig. Und er wirkt sofort.

- Ich an Ihrer Stelle? Hätte ja kein Problem mit nacktem Wachs gehabt. Selbst lebende Nackte aus Fleisch und Blut …

Helsi von Bourg beobachtet entsetzt das Blut von dem angeschnittenen Filet auf seinem Teller.

- Wohl mehr „rare“ als „medium“?

- Genau richtig. Ich verstehe nur nicht … wieso „bestgehütetes Geheimnis“? Was zwingt denn bloß zum Flüstern? Wachsfiguren sind doch kein …

Sie sichert erneut zu den Nachbartischen.

- Die in Wachs gegossenen Schönen sind mir dann ja leibhaftig wieder begegnet. Als verfolgten mich Gespenster... sah ich sie plötzlich… wie mysteriöse Fabelwesen …in der Reithalle!

- Zentauren…? – Holbein greift grinsend zu seinem Bordeaux. – Sie haben nicht etwa meinen alten Roman weiter fantasiert? Um mich zu irgendwas rumzukriegen?

- Sie halten mich für paranoid. Ich bin sonst wirklich nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Aber da stimmt etwas nicht. Geht nicht mit rechten Dingen zu: Die fünf aus dem privaten Wachsfiguren-Kabinett reiten da wie selbstverständlich ganz allein in der Reithalle. Sonst kein Mensch oder Pferd weit und breit. Bloß der alte Stallmeister. Den konnte ich kaum verstehen. Aber so viel, dass in dem neuen Stalltrakt auch nur 5 Pferde stehen…

- Na und? Privatstall. Und diese elitäre Damenriege sucht einen Reitlehrer? Langsam machen Sie mich neugierig.

- Erst recht die Klausel in der testamentarischen Verfügung: Reithalle und Stall sind unverändert so zu belassen. Kein öffentlicher Reitbetrieb möglich. Nießbrauch der besagten fünf Pferdebesitzer im Grundbuch eingetragen. Nur ich darf in dem ursprünglichen alten Marstall Pferde einstellen und die Reithalle benutzen…

- Schon ungewöhnlich. Und die Gretchenfrage: was vermuten Sie denn Geheimnisvolles hinter all dem?

Sie hebt ihr Glas. Schüttelt aber entschieden mit dem Kopf dabei. Zu heftig. Der Wein schwappt hoch über die bauchige Glaswand. Und spritzt wie Blut auf die weiße Damast Tischdecke.

Entsetzter Blick. Böses Blut …? Quälende Vorahnung … Bloß keine Leichen …

Die Bedienung eilt zu Hilfe. Deckt diensteifrig die Bescherung mit sauberen Servietten ab.

Holbein legt sein Besteck parallel und diagonal auf seinen Teller. Sieht die Verletzlichkeit in ihren Augen. Ihre Hilflosigkeit. Kann sie nicht länger hängen lassen:

- Wenn es Sie so beunruhigt … dann können wir ja mal zusammen …

Sie will aufspringen. Vor Freude. Legt dann aber nur beglückt ihre Hand auf seine.

- Das würden Sie tun?!