Der Teufel trägt Kilt - Suzanne Enoch - E-Book

Der Teufel trägt Kilt E-Book

Suzanne Enoch

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Beschreibung

Der Highlandlord Ranulf MacLawry ist außer sich vor Zorn, als er die Flucht seiner kleinen Schwester nach London bemerkt. Ihre Träume von eleganten Bällen und charmanten Verehrern hält er für gefährlichen Unfug. Er folgt ihr deshalb, um sie wieder zurückzuholen. In London lernt er Lady Charlotte Hanover kennen, die ihn mit ihrem Scharfsinn verblüfft. Noch nie hat ihm eine Frau dermaßen unverfroren und unnachgiebig Paroli geboten. Er muss feststellen, dass ihn die widerspenstige Lady alles andere als kalt lässt. Allerdings ist er sich sicher, dass es für sie beide in den Highlands keine Zukunft geben kann, und um in London zu bleiben, müsste er seinen Clan im Stich lassen. Nun ist es an Charlotte, ihm zu zeigen, dass Liebe alles möglich macht ...

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Prolog

1

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4

5

6

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9

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Die Autorin

Die Romane von Suzanne Enoch bei LYX

Impressum

SUZANNE ENOCH

Der Teufel

trägt Kilt

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Britta Lüdemann

Zu diesem Buch

Nicht genug, dass Highlandlord Ranulf MacLawry seine Familie vor feindlichen Clans beschützen muss, nun ist seine eigenwillige Schwester auch noch nach London ausgebüchst, um endlich einmal auf einem richtigen Ball zu tanzen. Für den englischen Hochadel hat Ranulf nichts als Verachtung übrig, und so macht er sich wutentbrannt auf den Weg in die Stadt, um die Ausreißerin wohlbehalten zurückzubringen. Doch kaum in London angekommen, begegnet er Lady Charlotte Hanover, und all seine wilde Entschlossenheit ist auf einmal wie weggeblasen. Bevor er sichs versieht, führt er selbst den Tanz auf einem Ball an – in seinen Armen die ebenso schöne wie widerspenstige Charlotte, die einfach nicht glauben möchte, dass sie sich ausgerechnet zu diesem ungehobelten Highlander hingezogen fühlt. Doch allzu bald findet sie heraus, dass Ranulf gute Gründe für sein ungestümes Auftreten hat. Tatsächlich dauert es nicht lange, bis seine Feinde ihm nach London folgen und plötzlich ein wertvolles Druckmittel gegen ihn in der Hand haben: Denn der Schotte hat sein Herz längst an Charlotte verloren. Gegen ihren Willen findet die englische Lady sich plötzlich inmitten einer alten Fehde wieder und muss nun entscheiden, ob sie bereit ist, ihre Vorurteile zu vergessen und für eine gemeinsame Zukunft mit Ranulf zu kämpfen …

Prolog

»Wieso hast du das gemacht, Bear?« Rowena MacLawry sah fassungslos auf die auf dem Boden des Morgensalons verstreuten weißen und roten Rosenblüten.

Ihr Bruder Munro blickte von der scharfen Klinge des Zweihänders hoch, die er gerade mit einem Tuch polierte. »Wie hätte ich denn wohl sonst demonstrieren sollen, wie scharf das Schwert ist, Winnie?«

»Aber du hast meine Rosen geköpft, alle!« Rowena hielt ihrem Bruder die Vase mit den traurigen Resten ihrer Blumen unter die Nase. »Hätte nicht auch eine gereicht?«

»Nae. Nicht spektakulär genug. Hast du gesehen? Alle ab, mit nur einem Schlag.«

»Aber, Bear, du Hohlkopf, diese Blumen waren ein Geschenk für mich. Von Onkel Myles.« Sie verlagerte ihren finsteren Blick von ihm auf ihren ältesten Bruder, der Zeitung las und vorgab, von dem ganzen Chaos, das sich direkt vor seinen Augen abspielte, nichts mitzubekommen. »Ranulf, sag doch auch mal was.«

»Ich schätze, die Blumen sind hin, Kleines«, erwiderte Ranulf MacLawry, der Marquis of Glengask, während er von seiner Zeitung hochsah. »Oder soll ich Munro die Blüten etwa einzeln wieder ankleben lassen?«

»Du könntest zumindest dafür sorgen, dass er aufhört, hier drinnen mit diesem Ding herumzufuchteln. Den ganzen weiten Weg von London bis hierher ist ihnen nichts passiert«, sagte sie mit einem Seufzen.

»Und überhaupt, wer will schon einen Blumenstrauß zum Geburtstag?«, mischte Lachlan MacTier, Viscount Gray, der dritte Mann im Raum sich ein, ehe er Munro das Schwert aus der Hand nahm und es probehalber durch die Luft schwang. »So was hier ist ein Geschenk. Hat Roderick dir das geschmiedet, Bear?«

»Aye«, antwortete Munro. »Hat mich ein Fass und vier Flaschen gekostet.«

»Ich hab doppelt so viel dafür bezahlt.«

»Falls du mir zu sagen versuchst, dass du mir ein Schwert zum Geburtstag gekauft hast, Lach«, brachte Rowena sich in Erinnerung, der es offensichtlich nicht passte, für eine Waffe in den Hintergrund zu treten, »kannst du gleich wieder nach Hause gehen und es mitnehmen.«

Lachlan kniff seine hellgrünen Augen zusammen und blickte sie durchdringend an. »Ein Schwert hat nichts in den Händen eines Mädchens verloren, Winnie.«

»Weshalb ich auch gar keins will. Also, was hast du für mich?«

Mit dem Anflug eines Grinsens im Gesicht holte Lachlan ein in Papier geschlagenes, unförmiges Bündel hinter dem Sessel hervor. »Ich schätze, hiermit kannst du mehr anfangen als mit einem Schwert. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Winnie.«

Ranulf, der es sich auf dem breiten Fensterbrett bequem gemacht hatte, ließ seine Zeitung schließlich sinken. Obwohl ihr Inhalt – bestenfalls – eine Woche alt war, gefiel ihm nicht, was er dort zu lesen bekam. Ganz im Gegenteil, er verspürte sogar große Lust, das Schwert seines Bruders an diesem verfluchten Ding auszuprobieren.

Ehrlich gesagt konnte er sich gar nicht mehr erinnern, wann ihm auch nur irgendeine Nachricht aus London zuletzt gefallen hatte. Immer nur noch mehr Bestimmungen und Vorschriften, die ihm ständig steigende Steuern auferlegten, sonst nichts. Wenn diese Sassenachs, diese verflixten Engländer, die Bewohner des schottischen Hochlands schon nicht alle vertreiben oder umbringen konnten, würden sie einen Weg finden, um sie ein für alle Mal zu unterdrücken – indem sie sie allesamt ruinierten. Als er sich bewegte, kamen die mächtigen Wolfshunde, die zu seinen Füßen geschlafen hatten, hoch. Wahrscheinlich wunderten sie sich, dass ihnen heute Morgen noch nicht ihr üblicher Auslauf gewährt worden war.

Das lag einzig und allein an der jungen Dame, die neben ihrem Sessel stand. Wie jedes Mal, wenn Rowena Geburtstag hatte, riss sich der ganze Clan förmlich ein Bein aus, um dieses Ereignis gebührend zu feiern, doch dieser Geburtstag war ein ganz besonderer. Daher mussten sein Ausritt und der Auslauf der Hunde warten, bis seine Schwester ihre Geschenke ausgepackt hatte.

Mit einem gespannten Lächeln im Gesicht riss Rowena das Papier von dem seltsamen Bündel, das Lachlan ihr überreichte. Genauso schnell wie sie es öffnete, erstarb auch ihr Lächeln. »Stiefel«, stellte sie mit lauter Stimme fest, während ihr Blick zu Lachlan glitt. »Du hast mir Stiefel gekauft.«

Lachlan nickte, wobei ihm eine Strähne seines braunen Haars vors Auge fiel. »Reitstiefel, ja. Weil du deine alten letzten Monat im Morast ruiniert hast.« Der Anblick ihrer vorwurfsvoll blitzenden Augen ließ auch sein Lächeln ersterben. »Was? Ich weiß, dass sie dir passen; Mitchell hat mir deine Schuhgröße verraten.«

»Ich bin jetzt eine Dame, Lachlan. Du hättest mir Blumen schenken sollen, oder eine hübsche Haube. Oder wenigstens ein Paar Schuhe, mit denen man tanzen kann.«

Er schnaubte. »Ich kenn dich jetzt schon, seitdem du auf der Welt bist, Winnie. Glaub mir, Stiefel passen besser zu dir.«

Ranulf legte die Zeitung schließlich ganz beiseite und gab den beiden Dudelsackpfeifern, die in der Halle außerhalb des Blickfelds der im Morgensaal versammelten Personen standen, mit einem Wink zu verstehen, sich zurückzuziehen. Seine Schwester, die jüngste seiner Geschwister, war normalerweise ein nettes und gut gelauntes Mädchen, doch den Gewittersturm, der sich da am Horizont zusammenbraute, hatte er schon vor Tagen kommen sehen. Und Dudelsäcke trugen vermutlich nicht dazu bei, die Laune eines Menschen zu heben.

»Aber ich bin kein Mädchen mehr, das einfach so drauflosreitet, Lachlan«, erwiderte Rowena mit einer Mischung aus Ärger und Enttäuschung. »Siehst du das denn nicht?«

Lord Gray musste lachen. »Ach, gestern war Reiten noch in Ordnung, aber heute nicht mehr? Sei nicht albern, Winnie.«

Rowena drehte sich wortlos zu Ranulf um. »Dann bist du meine letzte Hoffnung, großer Bruder«, sagte sie mit leicht bebender Stimme. »Was hast du für mich?«

Mit dem unguten Gefühl, dass besagter Gewittersturm sich jetzt in Bewegung gesetzt hatte und unaufhaltsam näher zog, beäugte er sie einen Moment lang. »Du sagtest, du wünschst dir ein neues Kleid«, antwortete er schließlich. »Ein grünes. Mitchell hat es dir oben bereitgelegt, damit du es zum Abendessen tragen kannst. Im Gegensatz zu den Stiefeln kann man damit auch tanzen.«

Noch während er sie ansah, stiegen Rowena Tränen in die Augen, von denen sich eine löste und ihr über die Wange rollte. Beim heiligen Andreas. Dann hatte er wohl doch das Falsche besorgt. Warum, wusste er zwar auch nicht so genau, aber irgendetwas war eindeutig schiefgegangen.

»Winnie, warum weinst du?«, fragte eine weitere männliche Stimme schon von der Schwelle zum Wohnzimmer aus, als Arran MacLawry, der zweitälteste von Rowenas insgesamt drei Brüdern, in den Raum spazierte. »Drücken die Stiefel, die Lachlan dir geschenkt hat?«

»Sie hat erst angefangen zu weinen, als Ran ihr was von ihrem neuen Kleid erzählte«, erklärte Munro. »Ich nehme an, sie wollte doch lieber ein blaues.«

»Tja, dann wird dich das hier sicher aufheitern.« Arran ging zu seiner Schwester und überreichte ihr ein kleines, in Stoff gewickeltes Päckchen.

»Lass mich raten«, erwiderte Rowena und trocknete sich die Wange. »Es ist ein Kompass, damit ich mich nicht verirre, wenn ich in Bears neuem Sattel und Lachlans neuen Stiefeln reiten gehe.«

Arran runzelte die Stirn. »Nein. Es ist eine von diesen kleinen Uhren, die man sich anstecken kann. Ein wirklich raffiniertes Ding. Ich hab sie aus Genf schicken lassen, nachdem ich im Ackermann’s Repository eine Werbung gesehen habe.«

»Das ist wirklich lieb von dir. Vielen Dank, Arran.«

Munro nahm Lachlan das Schwert ab und rammte es wenig zaghaft in den von Scharten übersäten Dielenboden. Es war nicht die erste Waffe, die in dieser Form »abgestellt« wurde, und wahrscheinlich auch nicht die letzte. Mit einem etwas strengeren Blick und einer energischen Geste schickte Ranulf die beiden Dudelsackpfeifer und ein halbes Dutzend seiner Diener weg, die sich wieder in der Halle versammelt hatten. Kein Zweifel, dass seine Schwester im Moment nicht in der Stimmung für eine kleine Geburtstagsparade war – selbst wenn sie aus wohlmeinenden Gratulanten bestand.

»Also holt Arran sich sein Dankeschön ab, und wir drei werden mit Tränen und dem Vorwurf abgespeist, Idioten zu sein?«, maulte Munro.

Anstatt zu antworten, legte Rowena ihre Uhr beiseite und ging langsam zu Ranulf. Die Hunde schoben die Köpfe in ihre Hände, als sie zu ihm trat, doch sie ignorierte die offensichtliche Bitte um Krauleinheiten. Das verhieß nichts Gutes. Ihn hatte sie zwar nicht direkt als Idioten bezeichnet, aber angedeutet hatte sie es schon, was Ranulf dennoch nicht besonders kümmerte. Schließlich hatte seine Schwester sich ausdrücklich ein smaragdgrünes Kleid gewünscht, und diesem Wunsch war er nachgekommen. Nebenbei bemerkt war es ein sehr hübsches und zudem sehr teures Kleid geworden. Aus Paris, verflucht noch mal.

Er ließ sich zwar bereitwillig vom Fensterbrett ziehen, aber als Rowena seine Hände weiter mit ihren kleinen, zierlichen Fingern festhielt, kamen ihm doch Zweifel. »Dann wolltest du also doch etwas anderes«, brummte er, während er sich wünschte – und das nicht zum ersten Mal –, er hätte sich ein weiteres weibliches Wesen ins Haus geholt. Dann wäre vielleicht zumindest eine Person in der Lage, die jüngste MacLawry zu verstehen. Als sie noch ein kleines Kind gewesen war, hatte er kaum Probleme mit ihr gehabt, doch in letzter Zeit schien sie sich immer öfter in ein völlig unbekanntes Wesen zu verwandeln. »Was ist es? Du weißt, ich beschaffe dir alles, was in meiner Macht steht, Rowena.«

»Verd… du weißt doch, was ich möchte, Ranulf. Ich bin heute achtzehn Jahre alt geworden und möchte meine Saison. In London. Deshal–«

»Nae«, fiel er ihr ins Wort, über die vornehme Ausdrucksweise, derer sie sich plötzlich bediente, genauso verärgert wie über den Gedanken an sich. »Deine Geburtstagsfeier ist für Freitag geplant. Der ganze Clan wird kommen. Die hübschesten Burschen weit und breit werden hier sein und sich um einen Tanz mit dir raufen. Das wird dir mehr Spaß machen als jede feine Londoner Abendgesellschaft.«

Mit einem kläglich unterdrückten Seufzen blickte sie über ihre Schulter in Richtung der anderen drei anwesenden Männer. »Würdest du dich für einen Walzer mit mir raufen, Lachlan MacTier?«

»Um mir zum Dank dafür auf den Füßen herumtrampeln zu lassen?« Der Viscount lachte wieder. »Ich seh dich doch ständig. Sollen sich die anderen hübschen Burschen um so was streiten.«

»Kein hübscher Bursche wird sich jemals wegen eines Tanzes mit mir raufen, weil sie alle Angst vor meinen Brüdern haben«, gab Rowena missmutig zurück.

»Tja, da geht’s mir nicht anders.«

»Geht’s dir doch.«

Ranulf regte sich, als er es satthatte, sich anzuhören, ob man ihn fürchten sollte oder nicht. Natürlich sollte man. Ganz einfach. »Du wirst genügend Tanzpartner haben, Rowena. Glaub mir, das wird ein großartiges Fest.«

Schließlich sah sie ihn wieder an. »Ich möchte aber kein langweiliges Fest mit Leuten, die ich schon mein ganzes Leben lang kenne und die in einem Tanz eine willkommene Ausrede für eine Prügelei sehen. Ich möchte meine Saison. In London. Mama hatte auch ihre Saison.«

»Mama war Engländerin«, fauchte er mit einer Miene, als wäre ihm das letzte Wort besonders zuwider. »Du weißt doch, wer in London lebt, Winnie. Gecken, Stutzer und feige Sassenachs. Hier auf Glengask erwartet dich eine großartige Feier, auf die du dich ruhig freuen kannst. Und im Übrigen hat ein Kerl, der schon Angst bekommt, wenn er nur daran denkt, vor den Chief seines Clans zu treten, es auch nicht verdient, mit dir zu tanzen.«

Sie stemmte die Hände in die Hüften und hob das Kinn. »Du willst, dass ich an keinem anderen Ort dieser Welt sein möchte als in Glengask, Ran, gibst mir aber nicht mal die Chance, etwas anderes kennenzulernen. Ich habe überhaupt keine Vergleichsmöglichkeiten als meine eigene Fantasie, und in der ist London ein überaus faszinierender Ort, das kannst du mir glauben.«

»Zum allerletzten Mal, London ist verdammt noch mal nichts weiter als eine Versammlungsstätte nutzloser Stiefellecker, die es nicht mal schaffen, ihr eigenes Pferd zu satteln. Geh nach oben und probier dein Kleid an. Und damit Schluss mit dieser sinnlosen Diskussion.«

»Ranulf, du –«

»Ich sagte, Schluss«, unterband er jede weitere Widerrede, während er die Arme vor der Brust verschränkte. Rowena war ein kleines, empfindsames Ding, das ihrer Mutter ähnlicher sah, als ihm lieb war. Er rechnete es ihr hoch an, dass sie sich nicht von ihm einschüchtern ließ, dennoch wusste sie genauso gut wie er, dass er als Sieger aus diesem Streit hervorgegangen war. Sie würde nicht nach London fahren. Nie.

Mit einem letzten Blick aus vor Tränen funkelnden Augen warf sie sich herum und rannte aus dem Zimmer. Einen Moment später hörte er, wie ihre Tür oben zuschlug. Die anderen drei Männer sahen ihn an, sagten jedoch kein Wort. Das war auch nicht nötig; denn wenigstens seine Brüder kannten die übrigen Argumente, die er Rowena jetzt nicht alle hatte aufzählen wollen – dass London voller Aristokraten war, die Anspruch auf schottisches Land erhoben und gleichzeitig ihre schottische Abstammung und Ahnenschaft verleugneten, Männer, die möglichst weit von den Highlands entfernt lebten, während sie die eigenen Pächter aus ihrer Heimat vertrieben, um Platz für die Schafzucht auf ihrem Land zu schaffen. Und dass London voller Verräter war. Verräter und Mörder.

»Ich geh reiten. Fergus, Una«, sagte er und verließ, die beiden Hunde an seinen Fersen klebend, den Raum, ohne sich noch einmal umzublicken.

Debny, der Oberstallknecht, musste gesehen haben, dass er kam, denn als er den Stall erreichte, stand Stirling schon im Hof bereit. Ranulf schwang sich in den Sattel des großen, eleganten Braunen und trieb ihn an, um dann den gewundenen Pfad Richtung Osten zu nehmen, auf dem er einen Teil des windgepeitschten Hanges überquerte und schließlich nach unten in eine von Bäumen umsäumte Schlucht abbog, stets von seinen Hunden flankiert. Im Zentrum dieser Schlucht rauschte der Fluss Dee, der auf seinem Weg ins Tal über eine an eine Treppe für einen Riesen erinnernde Reihe von Granitfelsen stürzte, ehe er in weiter Ferne das Tiefland erreichte.

Jedes Mal, wenn er diesen Pfad entlangritt, wurde ihm die überwältigende Schönheit der Landschaft bewusst, doch heute nahm er kaum zur Kenntnis, dass einer der herrlichen alten Bäume dem letzten Sturm nicht standgehalten hatte. Rowena dachte bloß, unbedingt nach London zu wollen, was nur daran lag, dass sie angefangen hatte, die Tagebücher ihrer Mutter sowie den verfluchten Gesellschaftsteil der Zeitung zu lesen. Letzten Monat hatte er die entsprechenden Seiten von Cooper verbrennen lassen, sobald die Zeitung eingetroffen war, was allerdings – so wie es aussah – nicht den geringsten Erfolg gebracht hatte.

Er parierte zum Schritt durch, ritt um den umgestürzten Baum herum und dann weiter flussaufwärts. Unten im Tal, in das sich der Fluss ergoss, lag das Dorf An Soadh – sein Dorf, wo seine Kleinbauern, Rinderhalter, Töpfer und Ladenbesitzer wohnten. Heute Morgen verzichtete er jedoch darauf, sich die eine oder andere Lobpreisung seiner Gnade abzuholen, die Segnung seiner lieben Familie, den Dank für seine Einladung nach Glengask Hall für die Feier am kommenden Freitag.

Leichter Nebel hing an diesem Morgen in den Kronen der Bäume, die das fahle Sonnenlicht in deutlich sichtbaren Streifen auf die moosbedeckten, schroffen Steine und die zwischen ihnen wachsenden niedrigen, allem Wind und Wetter trotzenden Sträucher fallen ließen. Wie um alles in der Welt ein Mensch das verweichlichte, dekadente London dieser atemberaubenden Landschaft hier vorziehen konnte, war ihm unbegreiflich. Ein Hirsch sprang hinter einer Felsgruppe hervor und preschte einen der engen Hohlwege hinauf, in Richtung der von Heide überzogenen Hochmoore. Die Hunde jaulten auf und jagten ihm gleich hinterher, während Ranulf nach seinem Gewehr langte – um dann mit einiger Verspätung zu merken, dass er es gar nicht bei sich hatte. Mit einem leisen Fluch pfiff er Fergus und Una zurück.

Das Gewehr zu vergessen war sehr dumm gewesen. So einsam ihm das Hochland auch vorkommen mochte, so menschenleer die meisten Winkel und Ecken mittlerweile tatsächlich waren, es gab doch immer eine Stelle, wo sich der, der Böses im Schilde führte, verstecken konnte. Einen Moment lang überlegte er, ob er nach Glengask zurückreiten und seine Waffe holen sollte, aber wahrscheinlich drohte ihm heute mehr Gefahr durch seine Schwester zu Hause als durch irgendeinen finsteren Gesellen hier draußen in der Wildnis.

Glaubte er zumindest. Als ein schwaches, moosgedämpftes Schlagen von Hufen hinter ihm erklang, trieb Ranulf Stirling in den Schutz der Bäume. Ein Angriff bei Tageslicht und mitten auf seinem eigenen Land wäre zwar ziemlich dreist, nichtsdestotrotz war er hier derjenige, der es versäumt hatte, sich gegen derartige Vorkommnisse zu wappnen. Er beugte sich vor und zog ein langes, schmales Messer aus dem Stiefel. Diese verflixten Überläufer sollten ihn nicht wehrlos vorfinden. Wenn sie meinten, sein Blut vergießen und selbst ungeschoren davonkommen zu können, würde er sie eines Besseren belehren. »Fergus, Una, passt auf!«, zischte er leise, und die großen Jagdhunde sträubten das Fell.

»Ran! Ranulf!«

Beim Klang der Stimme seines Bruders sackten Ranulfs Schultern erleichtert nach unten. »Fergus, Una, aus!« Er trieb Stirling auf den schmalen Weg zurück. »Weißt du eigentlich nicht, was ›allein‹ bedeutet?«, fragte er.

»Von ›allein‹ hast du nichts gesagt.« Außer Munro kamen dort auch Arran und Lachlan am Fluss entlang auf ihn zugeritten. Munro, der – von Rowena einmal abgesehen – der Jüngste der Geschwister war, warf ihm ein Gewehr zu. »Und außerdem solltest du wissen, dass man nicht unbewaffnet losreitet«, fuhr er mit missbilligender Miene fort.

Ranulf fing das Gewehr mit der freien Hand auf und ließ noch einmal das Messer in den Fingern der anderen kreisen, ehe er es in den Stiefel zurücksteckte. »Ich war nicht unbewaffnet. Und wenn Fergus und Una wollten, könnten sie einem Pferd sicher davonlaufen.«

»Aber nicht einer Gewehrkugel.« Arran gestikulierte in Richtung des Messers. »Und das da nützt dir nur im Nahkampf was, worauf sich Feiglinge allerdings selten einlassen.«

»Und deshalb müsst ihr gleich alle drei hierauskommen und mir ein Gewehr bringen?« Ob zu Recht oder nicht, er hatte nicht vor, sich von einem von ihnen belehren zu lassen. Er war verflixt noch mal der Älteste von seinen Geschwistern, und das um ganze vier Jahre. Arran wurde erst in drei Jahren dreißig – wenn überhaupt, falls er weiter so respektlos war.

»Ich bin mitgekommen, weil es hier draußen sicherer ist als zu Hause«, meinte sein rechtmäßiger Erbe unbekümmert. Er klopfte auf den Sack, der hinten an seinem Sattel festgeschnallt war. »Und ich habe unsere Angelausrüstung dabei.«

»Und ich bin mitgekommen, weil ich mir keinen Sattel an den Kopf werfen lassen wollte«, erklärte Munro, im Familien- und Freundeskreis auch Bear genannt, grinsend. »Sie hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen, aber wer weiß, für wie lange.«

»Und ich wollte lieber nicht als Einziger bei Winnie bleiben«, meldete Lachlan sich schließlich.

»Wieso eigentlich nicht?«, entgegnete Arran. »Du warst doch derjenige, der sagte, du würdest nicht mit ihr tanzen, du Feigling.«

»Sie ist ein kleines Mädchen. Ich kenn sie schon, da waren ihre Haare noch nicht mal lang genug für Zöpfe. Ich hab keine Ahnung, warum sie sich in letzter Zeit so merkwürdig benimmt, aber damit will ich nichts zu schaffen haben.«

»Sie benimmt sich so seltsam, weil sie dich gern hat, Lachlan«, erwiderte Arran. »Obwohl ich nicht weiß, wie Ranulf das sieht.«

»Ich auch nicht«, sagte Ranulf, was jedoch nicht ganz der Wahrheit entsprach.

Lachlan beäugte ihn. »Ich denke, wir sollten ein bisschen angeln. Und dass sie mich gern hat, glaubt sie sicher nur, weil ich der einzige Mann in ihrem Alter bin, den ihr in ihre Nähe lasst.«

Daran war bestimmt etwas Wahres, doch da Ranulf schon vor mehreren Jahren beschlossen hatte, dass Lachlan und Rowena gut zusammenpassten, hatte er keinen Anlass gesehen, warum er sie noch irgendwie zur Schau stellen sollte. Anstatt auf Lachlans Bemerkung zu antworten, zeigte er in Richtung des Wasserfalls und des vor ihnen liegenden Anstiegs. »Na, dann rauf zum See, solange sie sich abreagiert.«

Ein mit stundenlangem Angeln von Forellen und Barschen gut ausgefüllter Tag und vor allem Munros Ausrutscher, nach dem er in voller Montur rückwärts in Loch Shinaig landete, trugen wesentlich zur Besserung von Ranulfs Laune bei. Er konnte nur hoffen, dass sich auch Rowenas Laune nach einem Tag in Gesellschaft ihrer mitfühlenden Zofe Mitchell gehoben hatte. Wenn sie nur mal für einen Moment ihre fantastischen Tagträume unterbräche, würde sie schon erkennen, dass sie ein paar sehr schöne Geschenke von ihren sie über alles liebenden Brüdern und Freunden erhalten hatte und dass ihr zu Ehren am Freitag eine Feier stattfände, wie es sie seit Jahrzehnten nicht mehr in den Highlands gegeben hatte.

Die Sonne ging schon fast unter, als die vier Männer ihren fangfrischen Fisch an Butler Cooper weitergaben, der ihnen die Vordertür öffnete. »Lady Rowena?«, fragte Ranulf, während er seinen Kapuzenmantel ablegte und sich gründlich die Stiefel abtrat.

»Weit und breit nicht zu sehen«, erwiderte Cooper und winkte einen Lakaien zu sich, um seinerseits die Zutaten für ihr Abendessen weiterzugeben. »Stewart Terney wollte Sie sprechen, M’laird, meinte aber, es wäre nicht so schlimm, weil Sie sich ja morgen unten an der Mühle sehen würden und sein Anliegen bis dahin Zeit hätte.«

Ranulf nickte. »Vielen Dank.«

»Aye«, bedankte auch Bear sich. »Hätten Sie ihn uns zum See hinterhergeschickt, wären die Fische beim Anblick seiner sauertöpfischen Miene nämlich freiwillig kieloben geschwommen.«

»Lass das, Munro.« Ranulf schenkte seinem Bruder einen strengen Blick. »Du würdest mit derselben Miene durch die Gegend laufen, würdest du nur noch von Glengask Getreide bekommen. Zu Zeiten seines Großvaters hat er außer mit uns auch noch mit den Campbells, Gerdenses und Wallaces Geschäfte gemacht.« Hoffentlich würde er wenigstens den Ertrag des Weizens, mit dem er die Mühle belieferte, steigern können. Das jedoch hing von der Gebühr ab, die es noch mit Terney auszuhandeln galt, und vom Wetter, das sie diesen Sommer erwartete.

»Warte, bis Winnie die gebratenen Forellen riecht«, sagte Munro, als er nach oben ging. »Das wird sie schon runterlocken.« Er blieb noch einmal stehen und blickte über die Schulter zurück. »’ne Runde Darts, Lach?«

Sobald die beiden Männer gegangen waren, drehte Arran sich um und reckte das Kinn in Richtung des Butlers, worauf Cooper und zwei Lakaien mit einem kurzen Nicken ins Innere des großen Hauses verschwanden. Ranulf lehnte sich gegen die Wand der Eingangshalle und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was ist?«

»Nichts, außer dass du, ich und Bear alle in England waren und heile zurückgekehrt sind.«

»Das ist nicht dasselbe«, erwiderte Ranulf. »Zumindest ich war nicht blauäugig und habe auch keine Märchenwelt erwartet. Und soweit ich mich entsinne, warst du dort irgendwie in Kriegsdingen unterwegs.«

»Ich habe gedient, genau wie es von mir erwartet wurde. Lenk nicht vom Thema ab, Ran.«

»Von welchem Thema?«

»Winnie hat sich da was in den Kopf gesetzt, das man ihr nicht austreibt, indem man einfach nur Nein sagt.«

»Ich lasse es aber nicht zu, Arran. Wenn es nach dem Willen dieser verflixten Engländer ginge, gäbe es im gesamten Hochland nichts anderes mehr als Schafe, und unser Clan wäre auch schon nicht mehr da. Alles, worauf die Sassenachs aus sind, ist Geld. Und Macht. Und ich werde ihnen nicht meine einzige Schwester ausliefern. Sie ist eine Schottin, und sie wird in Schottland bleiben. Sie hat einen Ehemann, der auf sie wartet, zumindest sobald Lachlan merkt, dass sie kein kleines Mädchen mehr ist.«

»Sofern Lach kein anderes Mädchen im Sinn hat. Doch das ist ein anderes Thema. Rowena ist auch zur Hälfte Engländerin«, gab Arran vorsichtig zu bedenken. »Genau wie du, Munro und ich.«

»Das ist aber nicht die Hälfte, die zählt«, gab Ranulf zurück, um dann tief Luft zu holen. »Ich habe keine Lust mehr, mit ihr darüber zu diskutieren, oder mit dir oder sonst wem. Sie bleibt hier auf Glengask, wo ihr keine Gefahr droht.«

Arran machte Anstalten zu widersprechen, beließ es dann aber dabei. »Du könntest ihr wenigstens erklären, warum du es nicht willst.«

Das hatte er, bis er sich heiser geredet hatte und am Ende seiner Geduld angelangt war. »Wenn sie bis jetzt noch nicht weiß, warum, wird sie meine Entscheidung eben einfach hinnehmen müssen. Sie bleibt hier und wird ein großartiges Fest erleben, auf dem sie von mir aus die ganze Zeit schmollen kann, wenn sie möchte.«

»Oh, ja. Hört sich wirklich großartig an.«

Ranulf warf seinem Bruder einen Blick von der Seite zu, der Arran einen halben Schritt zurücktrieb. »Sie weiß, dass sie sich lieber nicht mit mir anlegen sollte«, erklärte er. »Ich werde die ganze Sache nicht noch einmal mit ihr durchkauen und auch keinen Atem mehr verschwenden, um mit dir darüber zu streiten.«

»Schon gut, wir sind bestimmt nicht so dumm, uns mit dir anzulegen.« Arran wandte sich zur Tür. »Ich gehe lieber zu Munro und werf auch ein paar Pfeile.«

Einen Augenblick lang dachte Ranulf darüber nach, ob er sich vielleicht ebenfalls zu seinen Brüdern und Lachlan gesellen sollte, doch die Wahrscheinlichkeit, dass die drei sich darüber unterhielten, ob eine Saison in London denn nun wirklich so schlecht für Rowena sei, war groß. Sicher würden sie in Erinnerungen über ihre wenigen Jahre in Oxford und ihre gelegentlichen Reisen in die Stadt schwelgen. Vor allem Arran würde anführen, dass seine vier Jahre in der Armee Seiner Majestät keinesfalls dazu geführt hätten, dass er nun kein richtiger Schotte mehr sei. Sie hatten alle recht und doch auch alle unrecht.

Rowena wollten keinen Urlaub an einem abgelegenen Ort. Sie hatte die Tagebücher ihrer Mutter gelesen und sich in ein leichtes Leben mit prachtvollen Festen, feinen Kleidern und vornehmen Männern verliebt, die ihrem Äußeren genauso viel Zeit widmeten wie einer Frau. Sie glaubte, Engländerin sein zu wollen.

Irgendwann würde sie über diesen Dingen stehen – keine Frage – und erkennen, dass ein Leben voll stumpfsinnigen Müßiggangs und Vornehmtuerei gar kein Leben war, doch bis dahin würde sie zum Donnerwetter noch mal auf Glengask bleiben. Unter seiner strengen Beobachtung. Unter seinem Schutz. Ganz gleich, ob sie seine Mühen zu schätzen wusste oder nicht. Eigentlich war es eine ganz einfache Rechnung. Er war der Marquis of Glengask, der Chief des Clans MacLawry und all seiner Gefolgsleute, und welche Vorschriften auch immer die in England vielleicht zu erlassen versuchten, hier war sein Wort Gesetz.

Eigentlich sollte er noch eines der Dörfer besuchen, so wie er es fast jeden Tag tat, doch heute stand ihm nicht der Sinn danach. Stattdessen schickte er Cooper zu Mrs Forrest, der Köchin, um ihr zu sagen, sie solle eine zusätzliche Pfannenfüllung Fisch für den nächsten Morgen braten. Vater Dyce würde schon wissen, wer von den Bauern unten diese milde Gabe am nötigsten hatte. All dies verschaffte ihm das unerwartete Vergnügen, plötzlich ein bisschen mehr von einem Gut zu besitzen, an dem es ihm oft mangelte: Zeit. Um Rowenas Geburtstag gebührend feiern zu können, hatte er dafür gesorgt, dass die meisten Aufgaben schon gestern erledigt wurden. Ranulfs Miene verfinsterte sich, als sein Blick zur Treppe ging. Vielleicht hatte er sie zu sehr verwöhnt, aber was sollte ein älterer Bruder denn anderes tun, als seiner einzigen Schwester und der jüngsten der vier Geschwister jeden Wunsch von den Augen abzulesen?

»M’laird?«

Ranulf drehte sich um. »Was gibt’s, Cooper?«

Der betagte Schotte trat unbehaglich von einem Bein aufs andere. Dieses Verhalten an sich war schon seltsam genug; Cooper versah seinen Dienst normalerweise mit großem Stolz und war bekannt dafür, den Lakaien die Ohren lang zu ziehen, wenn sie es an Würde und Haltung vermissen ließen. »Es gibt da … eine kleine Irritation.«

»Was für eine Irritation?« Die Augen zu schmalen Schlitzen verengend, widerstand Ranulf dem Drang, den Butler zur Eile anzutreiben. Denn damit hätte er den guten Mann nur unter Druck gesetzt, und dann wäre kein vernünftiges Wort mehr aus ihm herauszubringen.

»Die … äh, Debny hat gegenüber Mrs Forrest erwähnt, dass sie sich den Phaeton geliehen haben, doch da es noch früh am Tag war, hatte sie es nicht für notwendig gehalten, mir davon zu erzählen, aber jetzt … also, nun, da die Sonne bereits untergegangen ist und sie immer noch nicht zurück … das heißt, die –«

»Wer hat sich den Phaeton geliehen?«, unterbrach Ranulf ihn, als ihm klar wurde, dass sie nie zum Ende der Geschichte kämen, wenn er jetzt keine konkrete Frage stellte.

»Mitchell, M’laird. Für Lady Winnie, nehme ich an. Natürlich fahren sie auch sonst manchmal aus, aber wie ich bereits sagte, wird es allmählich spät, und sie haben weder die Hunde noch eine Eskorte bei sich, und …«

Ranulf hörte die letzten Worte des Butlers gar nicht mehr, da er schon auf halbem Wege die Treppe hinauf war mit einem Gefühl, als hätte sich ein Eispflock in sein Herz gebohrt. »Arran!«, bellte er im Laufen. »Munro!«

Rowenas Schlafzimmer sah aus, als sei der Nordwind hindurchgefegt. Kleider und Bettzeug lagen im ganzen Raum verstreut, Fetzen verbrannten Papiers waren um die große Feuerstelle verteilt, und das weit offen stehende Fenster ließ die abendliche Kühle herein. Allerdings …

»Ran! Was zum Teufel ist …«

»Allmächtiger! Ist sie entführt worden?« Arran stolperte gleich hinter Munro ins Zimmer, dicht gefolgt von Lachlan. »Diese verfluchten Gerdenses. Dafür werden sie bluten!«

»Warte, Arran«, befahl Ranulf und ging vor dem Kamin in die Hocke, um die Asche zu durchstöbern und die Hunde wegzuschieben, die sich unter aufgeregtem Jaulen zwischen die Männer drängten. Er hatte schon das eine oder andere Chaos gesehen, und das hier wirkte für seinen Geschmack etwas zu geordnet. Kleidungsstücke waren aus dem Schrank gerissen, doch nur alte und keine, die sie wirklich gern trug. Das Bett machte zwar den Eindruck, als hätte sie darin gelegen, war jedoch mit Sicherheit seit vielen Stunden nicht mehr benutzt worden. Er angelte einen der größeren Papierfetzen hervor. Darauf waren die Worte »…laue Schuhe« und gleich darunter so etwas wie »Haarbürste« zu lesen.

»Was hast du da, Ran?«, fragte Munro, während er sich zu ihm hockte. Die Miene seines Bruders war angespannt, seine Fäuste geballt. Es hatte einen Grund, dass Munro »Bear« genannt wurde, und das lag sicher nicht daran, dass er die Dinge gern in Ruhe besprach. »Wir verschwenden nur Zeit.«

»Das ist eine Liste«, erklärte Ranulf und richtete sich auf. »Besser gesagt ein Teil davon. Rowena wurde nicht entführt, sondern hat sich aus dem Staub gemacht, mit Mitchell. Nach London.«

»Im Phaeton?«, warf Cooper ein.

»Den finden wir bestimmt an der nächsten Poststation. Kein Zweifel, wie sie sich die Weiterreise gedacht haben.«

»Nach Lo- … Ganz allein?« Arran rammte seine Faust gegen einen Bettpfosten. »Ja, hat sie den Verstand verloren?«

»Frag nicht, was sie verloren hat, sondern was sie bekommt«, erwiderte Ranulf langsam, als er einen weiteren angesengten Papierfetzen mit dem Teil einer Adresse ausgrub, »nämlich einen Haufen Ärger.«

Lachlan wurde unruhig. »Ihr drei solltet jetzt lieber schnell packen, und ich sag Debny, er soll die Pferde satteln.«

»Nae, Lachlan. Debny soll die Reisekutsche fertig machen.« Er sah zu Cooper hoch, der sich auf der Türschwelle herumdrückte. »Cooper, Peter und Owen sollen ihre Sachen packen. Und schick Mr Cameron herauf.«

»Die Reisekutsche?«, wiederholte Arran, als der Butler nach unten eilte. »Mit dem Ungetüm holst du eine Postkutsche niemals ein.«

»Sie haben fast zehn Stunden Vorsprung und sind bestimmt unter falschem Namen unterwegs«, sagte Ranulf, in dessen wachsende Wut sich eine gehörige Portion Besorgnis mischte. »Zumindest hoffe ich das.«

»Was redest du da, Ran?«

»Wovon ich rede, Bear? Sie dürfte inzwischen gelernt haben, lieber nicht nur eine Begegnung mit uns zu meiden. Ich werde ihr auf gar keinen Fall wie ein Irrer nachjagen und so die Aufmerksamkeit der Gerdenses oder ihres wilden Packs auf mich ziehen. Lieber bleibe ich ihr dicht auf den Fersen, um dafür zu sorgen, dass sie von niemandem angehalten wird. In London sammle ich sie dann ein.« Er blickte noch einmal auf das halb verbrannte Papier. »Und zwar, so wie es aussieht, bei den Hanovers. Und dann schaff ich ihren verflixten Hintern nach Hause.«

»Und wir? Erwartest du etwa, dass wir hierbleiben und Däumchen drehen?«

Ranulf sah zu Arran. »Genau das. Du weißt, dass immer ein MacLawry auf Glengask bleiben muss. Und zwei Augenpaare sind für euch beiden besser als eins. Es wird sich nämlich bestimmt herumsprechen, dass ich ausgeflogen bin, und ich möchte nicht, dass es als Einladung verstanden wird, herzukommen und Ärger zu machen. Oder dass es so aussieht, als hätte ich unsere Leute im Stich gelassen.«

»Die Gerdenses und Campbells dürften eher ihre Chance darin sehen, dir unterwegs aufzulauern«, knurrte Munro. »Du kannst doch nicht mit zwei einfachen Lakaien zum Schutz losfahren, Ran.«

»Ich fahre«, rief Lachlan.

»Nein, wirst du nicht. Ich will nicht, dass Rowena noch mehr Dummheiten anstellt, um dich eifersüchtig zu machen oder was auch immer.«

»Aber sie ist … sie ist wie eine Schwester für mich, Ran. Ich würde es mir nie …«

Ranulf blickte ihn missmutig an. »Ein Grund mehr, hierzubleiben.« Was auch immer Rowena da zu tun glaubte, er hatte kein Interesse, das Durcheinander noch zu vergrößern. Nicht einmal durch den Mann, den sie für sich zu gewinnen versuchte. »Ich nehme die Hunde mit. Und die beiden einfachen Lakaien, wie du sie nennst, haben genau wie du auf der Iberischen Halbinsel mit Wellington gekämpft, Arran. Sie werden mir genügend Schutz bieten.«

»Aye, aber –«

»Nein, kein Aber. Und jetzt kein Wort mehr, von niemandem. Ich breche in einer Stunde auf. Bleibt hier und sorgt dafür, dass Rowena und ich noch ein Zuhause haben, wenn wir zurückkommen. Wir sind in zwei Wochen wieder da, auch wenn ich sie fesseln und quer über dem Pferdehals zurückschaffen muss.«

London. Ausgerechnet. Rowena könnte froh sein, wenn ein unbequemer Heimritt das Schlimmste war, was ihr drohte. Ihnen beiden drohte.

1

»Mach dir darüber keine Sorgen; Jane ist jede Ausrede recht, um einkaufen gehen zu können.« Mit einem Schmunzeln drückte Lady Charlotte Hanover ihrer Schwester einen Kuss auf die Nase, ehe sie sich erhob.

»Ich möchte eure Pläne aber auf keinen Fall über den Haufen werfen«, erwiderte Lady Rowena MacLawry mit ihrem weichen, melodischen Akzent. »Schlimm genug, dass ich hier einfach so ohne Ankündigung bei euch auftauche.«

»Ach Unsinn.« Lady Jane Hanover ergriff die Hand ihrer Freundin. »Ich habe dich jetzt schon seit, ich glaube, Jahren auf einen Besuch eingeladen. Deine und meine Mutter waren praktisch Schwestern. Das wart ihr doch, nicht wahr, Mama?«

»Ja, das waren wir«, bestätigte Elizabeth Hanover, die Countess von Hest, mit einem Nicken. »Und ich freue mich wirklich sehr, dass du und Jane euch so rege schreibt. Du siehst Eleanor ja so ähnlich.« Sie seufzte und schenkte ihr ein gütiges Lächeln. »Du bist herzlich willkommen und kannst hierbleiben, solange du magst. Und natürlich nehme ich dich für deine Saison unter meine Fittiche. Es ist doch schön, dass du und Jane bei eurem Debüt nicht allein seid.«

Jane klatschte begeistert in die Hände. »Siehst du? Du hättest schon vor Jahren nach London kommen sollen, Winnie.«

»Ach, glaub mir, das wollte ich auch. Wenn Ran sich nur nicht so stur gestellt hätte. In seinen Augen ist jeder Engländer ein …« Sie verstummte und räusperte sich. »Nun, in Bezug auf London denkt er ziemlich engstirnig.«

Mit einem Lachen und einer verharmlosenden Geste überspielte Lady Rowena ihre Nervosität, die Charlotte trotzdem nicht verborgen blieb. Natürlich wäre sie nicht minder angespannt, hätte sie gerade eine Reise durch halb Schottland und beinahe ganz England hinter sich und das ganz ohne Begleitung, von ihrer Zofe einmal abgesehen. Es war mehr als deutlich zu erkennen, wie sehr Winnie ihre Londoner Saison gewollt hatte.

Für einen Bruder, der allem Anschein nach so überfürsorglich war, hatte dieser Ranulf MacLawry jedoch auf nahezu spektakuläre Weise versagt. Eine junge Dame, die noch nie über die Grenzen ihrer Provinz hinausgekommen war, hatte nicht allein durch England zu reisen. Schon gar nicht in einer Postkutsche. Charlotte verspürte große Lust, Lord Glengask zu schreiben und ihm genau das mitzuteilen. Wer war denn so dumm, es nicht für nötig zu halten, seine Schwester wenigstens per Brief anzukündigen und sich zu vergewissern, ob überhaupt jemand da wäre, um sie zu begrüßen und für die Saison aufzunehmen? Es war … es war geradezu unverschämt, selbst für einen Menschen, der nicht mit den englischen Gebräuchen vertraut war. Immerhin konnte er doch sicherlich die Zeitung lesen. Und ein Mindestmaß an gesundem Menschenverstand besaß er vermutlich auch.

Sie tauschte einen Blick mit ihrem Vater aus, der kurz eine Augenbraue hochzog, ehe er sich wieder dem Gespräch widmete. Jonathan Hanover, der Earl of Hest, war nicht gerade ein Freund chaotischer Zustände oder Veränderungen jeglicher Art, aber er liebte seine Töchter über alles. Selbstverständlich wäre Lady Rowena in seinem Heim willkommen, und sie würde nie auch nur den Anflug eines Hinweises bei ihm oder einem anderen Mitglied seines Haushalts finden, dass er während der Saison lieber keine Dauergäste beherbergte.

Longfellow, der Butler, und zwei Lakaien kamen und brachten belegte Brote und Tee; das Abendessen lag längst hinter ihnen, und Mrs Broomly war offenbar bereits gegangen, um die Nacht bei ihrer hochschwangeren Tochter in der Nähe von Tottenham Court zu verbringen. Als die Diener das Geschirr auflegten, ertönte der Klopfer an der Eingangstür.

»Ich kümmere mich darum, Longfellow«, sagte Charlotte, da sie ohnehin schon stand und der Tür zur Halle am nächsten war.

»Vielen Dank, Mylady.«

Bis sie den kurzen Weg vom Wohnzimmer und durch die Eingangshalle zurückgelegt hatte, war aus dem gesitteten Klopfen ein lautes Hämmern geworden. »Du meine Güte«, murrte sie, als sie die Tür öffnete. »Was ist denn nur so dring- «, fragte Charlotte, ehe sie fast ihre Zunge verschluckte.

Ein Schrank von einem Mann stand vor der Tür. Na schön, vielleicht war er nicht ganz so breit wie ein Kleiderschrank, obwohl er mit Fug und Recht als breitschultrig zu bezeichnen war. Auf jeden Fall aber überragte er sie um gut einen Kopf, wobei man sagen musste, dass die meisten Freunde sie als groß erachteten. Obwohl ihr all diese Gedanken wahllos durch den Kopf schossen, waren das, was ihr am meisten auffiel, seine strahlend blauen Augen, die sie just in diesem Moment mit Eiseskälte über seine gerade und auch ansonsten perfekte Nase anfunkelten.

»Ich will zu Rowena MacLawry«, sagte er ohne Umschweife, den starken Akzent der Bewohner des schottischen Hochlands in der Stimme.

Charlotte blinzelte verwirrt. Winnie, so wie Rowena gern von ihnen genannt werden wollte, war vor nicht einmal einer Stunde angekommen; mit einer Mietkutsche der Poststation. Soweit ihr bekannt war, wusste niemand sonst von der Anwesenheit ihrer weit gereisten Gäste in London. Niemand außer Rowenas Familie natürlich, die allerdings – soweit sie auch dies wusste – in Schottland geblieben war.

»Ich habe nicht den weiten Weg gemacht, um mich am Ende anglotzen zu lassen«, erklärte der Hüne in ihr Schweigen hinein. »Rowena MacLawry. Jetzt.«

»Ich habe Sie nicht angeglotzt, Sir«, entgegnete Charlotte, obwohl ihr durchaus bewusst war, dass es ihr anscheinend nicht gelang, den Blick von diesem grimmigen und atemberaubenden Gesicht abzuwenden. Es war, als wäre ein schwarzhaariger Kriegsgott vom Himmel gefallen und … stünde jetzt vor ihrer Tür. »Die meisten Besucher reichen eine Visitenkarte, wenn sie anklopfen, oder stellen sich wenigstens mit ein oder zwei freundlichen Worten der Begrüßung vor, ehe sie erwarten, über die Eingangshalle hinaus ins Haus gebeten zu werden.«

Seine Miene wurde bedrohlicher. Charlotte stellte fest, dass es kein Eis war, das sie in diesen tiefblauen Augen sah, sondern vielmehr eine Mischung aus Aufgeregtheit und Wut. »Ich bin aber kein Besucher«, korrigierte er mit einem stählernen Unterton, der sich in den melodischen Klang seiner Worte mischte. »Und wenn die Engländer glauben, dass mich ein kleines Mädchen im Türrahmen davon abhalten kann zu holen, was mir gehört, sind sie dümmer, als ich sie in Erinnerung habe.«

Was ihm gehört? Das hier wurde immer seltsamer. Außerdem gab es verflixt noch mal keinen Grund, ausfallend zu werden. »Ich bin kein kleines Mä- «

Er trat vor, legte seine Riesenhände um ihre Taille, hob sie hoch und setzte sie hinter ihm im Portikus ab – und das alles, ehe sie mit etwas anderem als einem überraschten Keuchen reagieren konnte. Bis dahin stand er auch schon mitten im Haus der Hanovers.

»Rowena!«, brüllte er sogleich, während er die Halle mit großen Schritten durchquerte.

Charlotte richtete ihre Röcke und eilte ihm nach. »Hören Sie sofort auf, so zu schreien!«, verlangte sie.

Bei der Aufmerksamkeit, die er ihr schenkte, als sie ihm folgte, hätte sie allerdings genauso gut ein unbedeutendes, kleines Insekt sein können. »Rowena! Trab auf der Stelle an oder ich verwandle dieses Haus in einen Trümmerhaufen!«

Longfellow und drei Lakaien stürzten aus dem Wohnzimmer. Der schottische Hüne stieß sie jedoch wie Kegelfiguren beiseite. Charlotte gleich hinterdrein, stapfte er in den Raum, aus dem sie gekommen waren. Angesichts der körperlichen Präsenz, die er ausstrahlte, hatte sie erwartet, Lady Rowena hinter einem Sessel kauernd zu sehen. Stattdessen aber stand die zierliche junge Dame mit hochrotem Kopf mitten im Zimmer und hatte die Hände in die Hüften gestemmt.

»Was zum Teufel machst du hier, Ranulf?«, verlangte sie zu wissen.

»Die Kutsche wartet draußen. Du hast eine Minute, um deinen Hintern hineinzubewegen.«

»Ran, du –«

»Fünfundfünfzig Sekunden.«

Rowena sackte zusammen wie ein Ballon, dem die Luft ausging. Als sie den Kopf senkte, lief ihr eine Träne übers Gesicht. »Und meine Sachen?«, fragte sie mit bebender Stimme.

»Was … Was hat das alles zu bedeuten, und wer zum Teufel sind Sie, Sir?«, meldete Lord Hest sich nun zu Wort.

Der dunkelhaarige Kopf schnellte herum und fixierte den Earl mit einem unheilvollen Blitzen in den Augen. Teufel, wie passend. »Glengask.« Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Rowena. »Hol Mitchell und deine Sachen. Wenn du dabei noch mal auszureißen versuchst, machen wir auf dem Heimweg in St. Mary’s Halt, und da lasse ich dich dann. Ein paar Jahre Klosteraufenthalt dürften dir die Flausen schon austreiben.«

Eine weitere Träne schloss sich der ersten an. »Du bist so ein Scheusal, Ranulf MacLawry«, hauchte Winnie und floh an ihm und Charlotte vorbei aus dem Raum.

»Glengask. Lady Rowenas Bruder?«, fragte ihre Schwester Jane mit zaghafter Stimme. »Der Marquis?«

»Aye«, erwiderte er, noch immer wütend und kurz angebunden.

»Nach unserem Verständnis haben Sie Lady Rowena für ihre Saison zu uns geschickt«, erklärte Charlottes Vater. Seiner angespannten Miene nach war er ebenfalls ziemlich wütend, was sie keineswegs überraschte. Niemand – schon gar kein laut brüllender, blauäugiger Teufelsschotte – platzte ohne Ankündigung in einen vornehmen Haushalt. Zu keiner Zeit.

»Weil es für Sie sicher völlig normal ist, ein junges Mädchen unangekündigt in ein fremdes Land zu schicken, was? Oder dachten Sie etwa, nur ein Schotte könnte so was Verrücktes tun?«

»Sie hat uns erzählt, sie sei von Ihnen hergeschickt worden«, warf Charlotte ein.

Der Marquis of Glengask drehte sich zu ihr um. »Sie hat Ihnen eine faustdicke Lüge aufgetischt, und Sie haben’s geschluckt. Und jetzt machen Sie mir Platz, Mädchen, dann sind wir auch schon so gut wie weg von diesem verfluchten Ort.«

Rowena hatte ihren Bruder ein Scheusal genannt, und Charlotte fand nichts, was diese Einschätzung nicht rechtfertigte. Außerdem hatte sie nichts für Männer übrig, die mit den Fäusten und ihren starken Muskeln dachten. Und sie konnte es nicht leiden, wenn man sie Mädchen nannte und einfach ignorierte – und das jetzt schon zum zweiten Mal. Sie straffte die Schultern. »Ich bin Lady Charlotte Hanover, und Sie werden mich gefälligst korrekt anreden, Sir. Darüber hinaus wird Ihre Schwester, bis wir sicher sind, dass ihr in Ihrer Gesellschaft keine Gefahr droht, nirgendwohin gehen.«

»Charlotte!«, mahnte ihre Mutter.

Ja, ihre Familie wäre sicher einfach nur froh, wenn diese Störung vorbei war und wieder Ruhe im Haus herrschte. Doch dies war nicht die Art und Weise, in der auch nur halbwegs zivilisierte Menschen ihre Angelegenheiten regelten. Sie weigerte sich, seinem Blick auszuweichen, obwohl er dies offensichtlich von ihr erwartete.

»Hören Sie, Lady Charlotte«, sagte er lakonisch, wobei er das R in ihrem Namen übertrieben rollte. »Ich glaube nicht, dass die Angelegenheiten der Familie MacLawry Sie etwas angehen. Ich habe meiner Schwester befohlen, zu Hause zu bleiben, woran sie sich nicht gehalten hat. Daher bin ich hier, um sie dorthin zurückzubringen, wo sie hingehört. Und da ich Sie offensichtlich beleidigt habe, warte ich lieber draußen. Sehr gern sogar.«

Er ging einen Schritt auf sie zu, wobei er eine seiner kunstvoll geschwungenen Augenbrauen hob. So wie es aussah, ließ er ihr die Wahl, entweder freiwillig Platz zu machen oder noch einmal wie ein störender Gegenstand hochgehoben und aus dem Weg geräumt zu werden. Sie hob das Kinn und blickte ihm unerschrocken in die Augen. »Dann hat ihre Schwester also eine weite Reise auf sich genommen und ist gegen Ihren Willen und ganz allein hierhergefahren, Lord Glengask. Demnach muss es ihr größter Wunsch sein, entweder unbedingt einmal London zu sehen oder von Ihnen wegzukommen. Wie ich Sie einschätze, kommt Ihnen niemand so leicht in die Quere.«

Die erste Augenbraue tauchte mit ihrem Zwilling zu einem bösen Funkeln ab. »Ich glaube, auch das geht Sie nichts an.« Er sandte ihrem Vater, der noch immer vor seinem Sessel stand und ein Gesicht machte, als wäre er jetzt lieber im Oberhaus, um über die Steuern zu streiten, einen verächtlichen Blick. »Lassen Sie Ihre Frauen etwa immer für sich sprechen?«

Lord Hest räusperte sich. »Meine Töchter haben vollkommen recht, Glengask. Sie sind – offensichtlich sehr aufgebracht – in einen anständigen Haushalt gestürmt und hören nicht auf, sich wie ein Wahnsinniger aufzuführen. Es wäre unverantwortlich von mir, Lady Rowena in Ihre Obhut zu übergeben, ohne zu wissen, wie sie dazu steht, und ohne mir irgendwie sicher sein zu können, dass ihr nichts geschieht.«

»Geschieht?«, wiederholte Glengask finster. »Wie würden Sie wohl reagieren, würde Lady Charlotte hier sich ohne ein Wort aus dem Haus stehlen und sich der fremde Ausländer, bei dem Sie sie aufspüren, dann weigern, sie herauszurücken?«

»Erstens hoffe ich, meiner Tochter – meinen Töchtern – niemals Grund gegeben zu haben, aus ihrem Zuhause zu fliehen. Und zweitens lässt sich England wohl kaum als Ausland bezeichnen. Und fremd sind wir uns genau genommen auch nicht, da Ihre Mutter und meine Gattin enge Freundinnen waren.«

»Irgendwoher haben Sie ja schließlich auch gewusst, wo Winnie zu finden ist«, fügte Charlotte hinzu, ehe der Marquis ein Wortgefecht über den Grad ihrer Bekanntschaft eröffnen konnte. Der Mann schien nämlich auf alles und jedes Widerworte zu haben. »Wir sind für Sie also keine Unbekannten. Genauso wenig wie Sie für uns.«

»Du wirst mich bis an mein Lebensende einsperren müssen«, erklang Rowenas unsichere Stimme direkt hinter Charlotte, ehe sich kurz darauf zittrige Finger um ihre schlossen. »Ich möchte doch nur ein einziges Mal London sehen.«

»Das hast du ja jetzt.« Glengasks Blick glitt von seiner Schwester zu Charlotte und auf ihre Hand, an der Rowena klammerte. »Lassen Sie meine Schwester los«, sagte er nach einem Moment.

Charlottes Griff wurde fester. »Nein. Nun, da Sie ohnehin schon in London sind, was könnte wohl Schlimmes passieren, würden Sie ihr erlauben, für eine Weile hierzubleiben?«

»›Was könnte wohl …‹« Er verstummte kurz. »Ich hab nicht vor, mich mit einer Frau darüber zu streiten, was das Beste für meine Familie ist«, knurrte er schließlich.

Sie weigerte sich, bei seinen barschen Worten zusammenzuzucken wie seine Schwester an ihrer Seite. »Da ich meinerseits nicht vorhabe nachzugeben, möchten Sie Winnie vermutlich hierlassen«, entgegnete sie. Wann das Anliegen der jungen Dame zu ihrem eigenen geworden war, konnte sie gar nicht sagen. Doch dieser Hüne irrte, wenn er meinte, sie einfach ein kleines Mädchen nennen und auch noch als solches behandeln zu können. Auch wenn er sie hochgehoben hatte, als wäre sie leicht wie eine Feder, und auch wenn er noch so sehr aussah, als bestünde er von oben bis unten aus stahlharten Muskeln.

Er öffnete den Mund, klappte ihn aber gleich wieder zu. Charlotte gönnte sich einen Moment heimlicher Genugtuung. Hatte das englische Kätzchen dem großen schottischen Bären, der jetzt nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte, also ordentlich die Krallen gezeigt. Gut. Gut auch für sie.

»Und das ist das, was du willst, piuthar?«, fragte er in der nächsten Sekunde seine Schwester, wobei er den Blick jedoch unangenehm bohrend auf Charlotte gerichtet hielt. »Dich mit diesen Sassenachs umgeben, die dich von deiner eigenen Familie fernhalten? Dich hinter großschnäuzigen Mädchen verstecken, die deine Schlacht an sich reißen und für dich kämpfen?«

»Sie sind hier derjenige, der das Ganze in eine Schlacht verwandelt, Lord Glengask«, erwiderte Charlotte, wobei sie die Schultern straffte. »Und ›großschnäuzig‹, wie Sie es nennen, bin ich nur dann, wenn ich es mit einem Tyrannen, wie er im Buche steht, zu tun habe.«

»Auwei«, hauchte Winnie nahezu unhörbar, während ihr Griff noch fester wurde.

Ein Muskel an seinem markanten, strengen Kinn zuckte. »Sie halten mich für einen Tyrannen?«

»Genau diesen Eindruck vermitteln Sie uns gerade. Ihre eigene Schwester sucht lieber den Schutz einer … Fremden, als Ihnen zu nahezukommen.«

Der tiefblaue Blick sprang sofort zu seiner Schwester. »Rowena, du weißt, dass ich …« Er stockte und zischte dann ein einzelnes Wort auf Gälisch, das alles andere als freundlich klang und dafür sorgte, dass seine Schwester scharf die Luft durch die Nase einzog. »Ich bin kein Tyrann«, sagte er schließlich. »Zwei Wochen, Rowena. Du willst London sehen, dann sieh’s dir an. Ich miete mir hier ein Haus, und du sollst dein verfluchtes Debut bekommen.« Er reichte ihr die Hand. »Und jetzt lass uns von hier verschwinden.«

»Ich glaube dir nicht, Ranulf.«

»Ich geb dir mein Wort. Zwei Wochen.«

Charlotte biss sich auf die Wange. Er hatte mehr nachgegeben als erwartet, wobei sie ihn wahrscheinlich viel weiter getrieben hatte, als sie gesollt hätte. Außerdem würden ihre Eltern sicher nicht zu schätzen wissen, was sie als Nächstes sagen würde … aber Rowena vermutlich. Und das hier tat sie schließlich für ihre neue Freundin und nicht für sich selbst. »Wenn Sie wirklich damit einverstanden sind, dass Ihre Schwester eine ordentliche Saison erhält – oder zumindest eine in Form von zwei Wochen –, sollte sie bei uns bleiben. Bei Ihnen wäre Lady Rowena in einem Junggesellenhaushalt, wo niemand sie unter ihre Fittiche nehmen oder sie in die Gesellschaft einführen könnte. Es sei denn, Sie haben eine weibliche Verwandte in London, die der höheren Gesellschaft angehört.«

»Ich habe keine weiblichen Verwandten«, erklärte Winnie, wobei ihre Finger sich abermals fester um Charlottes schlossen. »Und du, Ran, würdest mir nur zeigen, wie furchtbar schlecht hier alles ist. Ich möchte mir lieber mein eigenes Bild machen. Bitte.«

Er ließ den Atem geräuschvoll ausströmen. »Eigentlich sollte ich dich übers Knie legen und mit dir in der nächsten Stunde auf dem Weg zurück nach Norden sein.«

»Wirst du aber nicht.«

»Werde ich aber nicht«, wiederholte er nach einem Moment, in dem sein Blick wieder den von Charlotte fand. »Dann bleib von mir aus hier. Aber du sagst mir immer vorher Bescheid, wohin du willst, und wenn ich nichts dagegen habe, begleite ich dich dann dorthin.«

Mit einem kleinen Freudenschrei ließ Rowena Charlottes Hand los und warf sich ihrem Bruder um den Hals, der sie in seine starken Arme schloss. »In Ordnung, Ran«, sagte sie ernst. »Danke. Vielen Dank.«

Er schloss für ein paar Sekunden die Augen, während etwas, das sehr an Erleichterung – oder Traurigkeit – erinnerte, über sein Gesicht huschte. »Ich komme morgen wieder. Um elf.« Dann ließ er sie los und beugte sich zu ihr, um ihr einen Kuss zu geben. »Hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, piuthar«, gestand er ihr leise, ehe er sich wieder aufrichtete. »Sieht die Etikette irgendeine alberne Verhaltensregel für Verabschiedungen vor, oder kann ich jetzt einfach gehen?«, fragte er, wobei er Charlotte wieder fixierte.

Sie machte ihm Platz. »Guten Abend, Lord Glengask.«

»Lady Charlotte.«

Erst als Longfellow recht energisch die Eingangstür hinter ihm geschlossen hatte, ließ Charlotte den unbewusst angehaltenen Atem ausströmen. Der Reaktion ihrer gleich zu ihr stürzenden Familie und dem heftigen Pochen ihres Herzens nach, hätte man meinen können, dass sie soeben dem leibhaftigen Teufel die Stirn geboten hatte. Aber so war es vermutlich auch.

Und morgen würde er wiederkommen.

»Ich hoffe, es sagt Ihnen zu, Lord Glengask.«

Ohne den schmächtigen Mann zu beachten, der ihm an den Fersen klebte, setzte Ranulf seinen Rundgang durch die Flure und Zimmer des kleinen Hauses in der Adam’s Row fort. Das Gebäude war alt, doch gut in Schuss, hatte zwölf Räume und ein halbes Dutzend Fenster, die zu der ruhigen Allee hinausgingen. Es war drei Stockwerke hoch, woher das Haus, so nahm er an, seinen Namen hatte – Tall House, hohes Haus. »Es erfüllt seinen Zweck«, erwiderte er schließlich, als ihm bewusst wurde, dass der hagere Geselle ihn nicht eher in Ruhe ließe, bis er eine Antwort erhalten hatte. »Obwohl es mir noch besser gefallen würde, wenn es mehr als zwei klägliche Türen nach draußen hätte.«

»Ich bin froh, dass es Ihnen gefällt, Mylord. Sie haben mir nur sehr wenig Zeit gegeben – bloß eine Stunde, wie Sie sich sicher erinnern –, dennoch halte ich Tall House für das feinste der Häuser, die momentan noch zu mieten sind. Jetzt, wo die Saison richtig anläuft, strömt nämlich alle Welt nach London.«

Alle plus seine unbeschreiblich sture kleine Schwester. »Sie bekommen die Miete bis zum Ende des Tages«, kündigte Ranulf an, wobei er sich fragte, ob es wohl statthaft wäre, Tall House mit einem anderen Namen zu belegen, solange er darin wohnte. Vielleicht Albernes Haus Mit Zwei Lächerlichen Fluchtwegen.

»Oh, ich wollte Sie nicht drängen – sicherlich, man kennt Sie hier kaum, dafür aber Ihren Onkel, darum mache ich mir auch gar keine Sorgen, dass Sie mich warten lassen könnten.«

Ranulf ruckte das Kinn in Richtung Eingangstür, worauf Owen vortrat, der dem Rechtsanwalt in den letzten zwanzig Minuten wie ein Schatten gefolgt war. »Wir brauchen Sie dann nicht mehr, Mr Black«, sagte er und versperrte dem guten Mann den Weg, als dieser Anstalten machte, Ranulf doch noch in den nächsten Raum zu folgen.

»Natürlich nicht. Da Sie neu in London sind, also falls Sie die Dienste eines Anwalts benötigen, Lord Glengask, würde ich mich geehrt fühlen –«

»Seine Lordschaft hat ja Ihre Karte, Mr Black … nachdem Sie sie ihm förmlich aufgedrängt haben. Zur Tür geht’s dort entlang.«

Mr Black sah ihn verdutzt an. »Ich muss schon sagen, Sie sind reichlich vorlaut. Lord Glengask, Ihr Personal könnte dringend eine Unterweisung in höflichem Benehmen gebrauchen.«

Mit einem tiefen Atemzug drehte Ranulf sich zu dem rotbäckigen Makler um. »Ich glaube eher, Sie könnten so etwas gebrauchen, wenn drei Anläufe nötig sind, um Sie dazu zu bewegen, endlich zu gehen, nachdem man Sie nicht mehr braucht. Guten Tag, und falls Sie es immer noch nicht verstehen sollten, auf Wiedersehen.«

Der Makler öffnete den Mund. Ranulf sah ihm weiterhin in die Augen, worauf Una leise und bedrohlich von ihrem Platz am Fenster aus zu knurren begann. Einen Herzschlag später machte Mr Black, der seine Sprache noch nicht wiedergefunden hatte, auf dem Absatz kehrt und verließ die Halle, verfolgt von Owens Grinsen.

»Amadan«, brummte Ranulf vor sich hin, obwohl Mr Black mehr den Eindruck eines Stiefelleckers als den eines Idioten machte. Vielleicht, oder sehr wahrscheinlich sogar, war er hier der Idiot.

Schließlich hatte er sich einverstanden erklärt, dass Rowena in London blieb, ausgerechnet in einem englischen Haushalt, für ganze vierzehn Tage. Wo er nicht mitbekäme, welchen Unsinn man ihr erzählte. Und schlimmer noch, wo er nicht für ihre Sicherheit garantieren konnte.

»M’laird, der Sassenach ist weg«, erklärte Owen, als er im Türrahmen zurückerschien. »Ich glaube, den seh’n wir so schnell nicht wieder, zumindest nicht, solange wir hier wohnen.«

»Gut. Danke, Owen.«

Der Lakai nickte, dann trat er unruhig von einem Bein aufs andere, während sich seine Miene verfinsterte. »Ich muss Ihnen was sagen, Laird Glengask.«

»Nur zu.«

»Peter und ich sind wirklich froh und stolz, Sie begleiten zu dürfen. Sehr stolz sogar. Und Debny auch. Aber … wir sind nicht genug. Wenn Sie für länger in London bleiben wollen, brauchen Sie eine Köchin und einen Kammerdiener – und noch ein paar zusätzliche Augen, die darauf aufpassen, dass Ihnen und Lady Winnie nichts passiert.«

Ranulf nickte. Eigentlich hatte er vorgehabt, Rowena abzuholen, die Nacht in einem Gasthaus zu verbringen und bei Sonnenaufgang Richtung Norden aufzubrechen. Nichts was seine Schwester gesagt hätte, hätte seine Meinung oder seine Pläne ändern können. Nein, diesen Sinneswandel hatte er nur diesem Frauenzimmer zu verdanken. Lady Charlotte Hanover. Sie war nicht einmal laut geworden, und trotzdem hatte er ein Haus in Mayfair gemietet und seine Schwester einer englischen Aristokratenfamilie überlassen.

»Mein Onkel ist in der Stadt«, sagte er langsam, als er sich fragte, was Myles Wilkie wohl hierzu sagen würde … und er jetzt schon wusste, dass ihm seine Antwort nicht gefallen würde. »Ich schicke Peter mit einer Nachricht zu ihm, um ihn zu fragen, ob er ein paar Burschen kennt, denen wir trauen können.«

»Aber Lord Swansley ist Engländer«, erwiderte Owen, wobei er Letzteres wie einen Fluch klingen ließ.

»Aye, aber er gehört auch zur Familie. Und er war zehn Jahre auf Glengask, um mich und meine Geschwister aufzuziehen. Er wird wissen, was wir brauchen, was auch immer das sein mag.«

»Wie Sie meinen, M’laird.«

Nachdem er die Nachricht auf einen Zettel gekritzelt und Peter damit losgeschickt hatte, begab Ranulf sich in den Raum, den er als sein Schlafzimmer auserkoren hatte. Von dort aus konnte er die Straße im Norden und die Stallungen im Osten überschauen. Außerdem hatte er einen Großteil der Allee im Blick. Er war fast ohne Gepäck und ganz ohne eine Garderobe nach London aufgebrochen, die geeignet war, um sich in die sogenannte feine Gesellschaft zu begeben. Wenigstens machte das Bett einen bequemeren Eindruck als jenes in dem Wirtshaus, wo er, die Jungs und die Hunde die Nacht verbracht hatten.

Bei seinem Besuch in Hanover House hatte er Hirschlederhosen, Reitstiefel und einen alten Mantel getragen. Er ging davon aus, dass er heute noch einmal dasselbe tragen konnte, und dann würde er sich einen Schneider suchen, der ihn mit einem Aufzug, der besser nach Mayfair passte, versorgte. Ihn kümmerte es zwar nicht im Geringsten, was die Engländer über ihn oder sein Äußeres dachten, Rowena aber. Sie in Verlegenheit zu bringen wäre nicht der richtige Weg, um sie davon zu überzeugen, dass Schottland und Glengask eine bessere Zukunft für sie bereithielten als London. Eine feuchte Nase schob sich in seine Hand, und er kraulte Fergus abwesend hinter den zotteligen grauen Ohren. »Was um alles in der Welt tun wir hier eigentlich, Junge?«, fragte er leise, worauf er ein Schwanzwedeln zur Antwort erhielt.

Owen klopfte an und steckte den Kopf zur Tür herein. »Soll ich Ihnen vielleicht beim Anziehen helfen, M’laird?«

»Ich bin durchaus in der Lage, mir meine Stiefel selbst anzuziehen, Owen, trotzdem danke. Und einen Kammerdiener kann man nicht spielen; entweder man ist einer oder nicht. Sorg lieber dafür, dass Debny Stirling sattelt, ja?«

»Natürlich.«

Als er zehn Minuten später mit den Hunden im Schlepptau wieder unten war, fiel ihm plötzlich die ihn umgebende Stille auf. Auf Glengask war sein großes Haus nicht nur von seinen Geschwistern und ihm selbst belagert, sondern auch von einer Unzahl von Dienern, Freunden und bei zahlreichen Gelegenheiten zudem verschiedenen Chieftains und deren Familien, zusätzlich zu den beiden Dudelsackpfeifern, die jeden Morgen und Abend vom Dach aus spielten. Wenn es irgendetwas bei ihm daheim war, dann weder ruhig noch einsam. Hier aber war es genauso, und mochte es sich in diesem Moment auch friedlich anfühlen, war er sich doch sicher, dass dies nicht so bleiben würde. Die MacLawrys besaßen die leidige Neigung, von Schwierigkeiten verfolgt zu werden.

Während seine Hand kurz an die Pistole in seiner linken Manteltasche ging, öffnete er die Vordertür und trat in dem breiten Portal sogleich an die Seite. Er musste sich ja nicht auch noch freiwillig als Ziel anbieten. Vor dem Haus standen drei gesattelte Pferde, von denen Debny und Owen schon zwei bestiegen hatten. »Seid ihr bereit?«, fragte er, während er Stirlings Zügel von seinem Stallmeister entgegennahm und sich in den Sattel des Braunen schwang.

»Lieber würde ich Bonapartes Armee in nichts als ’nem Kilt gegenübertreten«, erwiderte der Lakai, »aber wir können Sie ja nicht allein durch London laufen lassen.«