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Der Tod wird nach wie vor tabuisiert. Dabei wissen wir alle, dass wir eines Tages sterben werden. Doch immer mehr Menschen wollen sich mit dem Tod auseinandersetzen, um ihr Leben bewusster zu leben. Ihnen bietet dieses Buch die Möglichkeit, das eigene, in der Tiefe der Seele verborgene Wissen über das Sterben und den Tod zu entdecken. Mittels tiefenpsychologischer Erkenntnisse, praktischer Überlegungen - etwa zu Begräbnisfeier und Nachlass - sowie Meditationen und Ritualen zum Thema Sterben hilft Ralf T. Vogel den Leserinnen und Lesern, sich mitten im Leben auf den Tod vorzubereiten. Und vielleicht die "Zeitlosigkeit der Seele" (C. G. Jung) zu erfahren.
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Seitenzahl: 132
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Buch lesen
Cover
Haupttitel
Inhalt
Über den Autor
Über das Buch
Impressum
Hinweise des Verlags
Ralf T. Vogel
Der Tod ist groß, wir sind die Seinen
Mit dem Sterben leben lernen
Patmos Verlag
Vorwort
Einleitung: »Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen …« (Rilke)
Wir alle sind Sterbende!
Ars moriendi – die Kunst des Sterbens
Die großen Totenbücher
1. »Die Zeitlosigkeit der Seele« – C. G. Jungs Modell einer Kunst des Sterbens
C. G. Jungs Schichtenmodell der Seele
Das Kollektive Unbewusste und seine Inhalte, die Archetypen
Seelenbilder vom Tod
Das Un-Endliche am Grund unserer Seele
2. Vorbereitungen auf den eigenen Tod
Unerledigtes erledigen: Dinge zu Ende denken und tun
Rückschau – was war und was bleibt
Tod und Sinn
Sich aussöhnen – Ja und vielleicht auch Nein
Was hinterlassen?
Sich an Vorbildern orientieren: Wie sterben die anderen?
Die Toten in uns: Wir tragen unsere Verstorbenen in unserem Herzen
Die letzten Erledigungen planen: Sterbeort und Sterbebegleiter, Sarg und Begräbnis
3. Das Sterben üben
Das Sterben vorbereiten – Tod und Traum
Das Sterben üben – Tod und Imagination
Stirb, bevor du stirbst: Meditation, Kontemplation und Psychotherapie
Wer stirbt? Sich ent-identifizieren und loslassen
Hilfreiche Rituale: Tod und Sterben eine Form geben
Wünsche für die Zeit danach
4. Es habe jeder seinen eigenen Tod
Ganzwerden als lebenslanges »Auf-dem-Weg-Sein« zu sich selbst
Die zweite Lebenshälfte und ihre Aufgaben
Der Sterbeprozess als Wandlung zur Ganzheit
Schluss
Anhang
Bildnachweis
Zitatnachweis
Literatur
Anmerkungen
Für Sabine
Schlußstück
Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns.
RAINER MARIA RILKE
Dieses Buch handelt von der Lebenszeit des Sterbens. Es ist an Menschen gerichtet, die sich, freiwillig oder unfreiwillig, auf den Weg machen, sich der Endlichkeit ihres Lebens zu stellen. Freiwillig, weil sie davon überzeugt sind, dass die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod nützlich für das weitere Leben ist, wie dies auch von den allermeisten philosophischen, religiösen und spirituellen Traditionen der Welt vertreten wird. Unfreiwillig, weil sie bereits direkt mit dem Tod konfrontiert sind, sei es durch eigene Erkrankung, hohes Alter oder durch Sterben und Tod eines geliebten Menschen.
Der Haupttitel dieses Buches ist dem Gedicht »Schlußstück«1 von Rainer Maria Rilke entliehen. Es geht um ein Thema, das in der langen, wahrscheinlich mindestens bis ins 15. Jahrhundert zurückgehenden Tradition der mitteleuropäischen Ars moriendi steht, der sogenannten »Kunst des Sterbens«. Diese wurde in einer Reihe kleiner Schriften vermittelt, welche den Umgang mit Tod und Sterben lehren sollten. Während diese Büchlein größtenteils streng im christlichen Gedankengut verankert waren, möchte ich in diesem kleinen Buch auf jegliche religiöse Vorannahmen bewusst verzichten und stattdessen vor allem auf die Erkenntnisse der Tiefenpsychologie zurückgreifen. Dies ermöglicht es Menschen unterschiedlicher oder auch gar keiner Religionszugehörigkeit, aus dem hier Gesagten Nutzen zu ziehen.
Die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod ist aber zu gleichen Teilen auch eine Ars vivendi, eine Lebenskunst, denn Todesverständnis und Lebensverständnis gehen Hand in Hand. »Mit dem Sterben leben lernen«, heißt es daher im Untertitel. So kann dieses Buch auch bei einer Auseinandersetzung mit Werten, Erwartungen und Hoffnungen des Lebens helfen, deren Ausgestaltungen dann wiederum auf unser Verständnis des Todes und des Sterbens zurückwirken.
Rilke schrieb sein »Schlußstück« 1902, im Alter von 27 Jahren – 24 Jahre vor seinem frühen Tod am 29. Dezember 1926 im Sanatorium Val-Mont, in der Schweiz. Es war ein leidvolles Sterben an Leukämie, und Rilke starb »dichtend«, hatte er doch zeit seines Lebens das Leiden, das Dunkle und den Tod zu seinen bevorzugten Themen gemacht (sein letztes handschriftliches Gedicht richtet sich an Schmerz und Tod und entstand wenige Tage, bevor er verstarb). Dieses beständige Gedenken an den Tod macht ihn auch für dieses kleine Buch so wertvoll; einige seiner Gedichte finden sich an den passenden Kapitelanfängen. Sie drücken in poetischer Weise Gefühle aus, die für uns selbst vielleicht schwer in Sprache zu fassen sind, und ermöglichen eine behutsame Konfrontation mit der Endlichkeit, die – so auch das Ziel dieses Buches – trösten, Klarheit schaffen und dem Kontakt mit der Welt und den Menschen dienen kann.
Ingolstadt im September 2014
Ralf T. Vogel
Von Geburt an gehen wir alle dem Tod entgegen. Natürlich gehen wir auch immer ins Leben hinein, aber, so paradox dies zunächst erscheint: Auch in den Momenten des Aufbruches und Neubeginns nähern wir uns in jeder Sekunde gleichzeitig unserem Todesmoment. Genauso ist es mit allen Lebewesen, die uns umgeben. Auch sie beobachten und begleiten wir in ihrem Lebendigsein, und gleichzeitig gehen sie auf den Tod zu, so wie wir selbst. Dies immer mit zu bedenken, das heißt, in jeder Lebensäußerung schon den in ihr umschlossenen Tod zu erkennen, dies ist, kurz gesagt, mit der abendländischen Tradition des Memento mori gemeint.
Das Memento mori, »Bedenke, dass du und alles, was um dich lebt, sterblich ist«, zieht sich durch die Geistesgeschichte des Abendlandes und ist gleichzeitig auch zentrales Thema nahezu aller bedeutenden (fern-)östlichen spirituellen Traditionen. Es weist uns darauf hin: Wir alle sind bereits Sterbende, jederzeit und immerzu. Deutlich wird dies auch anhand der »kleinen Tode« im Alltag, der unwiederbringlichen Verluste oder endgültigen Abschiede, mit denen wir immer wieder konfrontiert werden. Trotzdem ist es ein großer Unterschied, ob das Memento mori als philosophisch-spirituelle Disziplin zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit oder als Vorbereitung für den Ernstfall des Todes betrieben wird – wenn der Tod, in welcher Gestalt auch immer, bereits an die Tür klopft und um Einlass bittet, wie dies etwa in Rilkes Erzählung Ein Märchen vom Tod22 so eindrücklich beschrieben wird: Die beiden Alten, die das Klopfen hören, verbarrikadieren sich zunächst angstvoll und scheuen die direkte Konfrontation. Dieses laute Klopfen des Todes hören alle schwer erkrankten Menschen, alle, die in Trauer sind oder einen Todesfall erwarten, alle Alten, alle diejenigen, die von Berufs wegen mit dem Tod konfrontiert sind.
Sich des allgegenwärtigen Todes möglichst beständig bewusst zu sein, das Memento mori, ist ein wichtiger erster Teil der Ars moriendi, der Kunst des Sterbens. Diese findet also nicht erst am oder im Sterbebett statt, sondern bereits mitten im alltäglichen Leben! Auf diese Weise wird verhindert, dass die direkte Konfrontation mit dem Tod überraschend kommt, dass uns das Todesthema fremd erscheint oder gar, dass wir so tun, als gäbe es den Tod in unserem Leben nicht. Gleichzeitig trägt das Sich-Bewusstmachen des Todes zu einer hohen Wertschätzung alles Lebendigen bei, denn Begrenzung, in diesem Fall die bewusst gemachte zeitliche Begrenztheit des Lebens, verleiht den Dingen oft erst ihren großen Wert. Des Weiteren, und dies ist ein weiteres Paradox des Memento mori, werden existenzielle Überschätzungen relativiert: Dinge und Beziehungen bekommen den Wert, der ihnen angesichts der Gewissheit der Endlichkeit des Lebens tatsächlich zukommt, und auch wir selbst werden ermahnt, uns und unser Tun nicht zu wichtig zu nehmen.
Ein beständiges Bedenken des Todes ist kein Weg in die Trübsal. Ganz im Gegenteil, das Memento mori eröffnet die Möglichkeit, ein Leben im Augenblick einzuüben, wie es in vielen meditativen Disziplinen von Menschen versucht wird. Auch psychologische Forschungen weisen darauf hin, dass die Entwicklung von Weisheit eng mit den Aufgaben eines Memento mori verknüpft ist. Gelassenheit sich selbst und den Geschehnissen gegenüber, Freude am Hier und Jetzt, bewusste Ausrichtung auf das Kommende, getragen von einer leichten Trauer über das Vergehen – das sind wohl die Gefühle, die zum Memento mori gehören.
Wie ist es nun aber mit der »eigentlichen« Sterbekunst? Wie gehen wir angesichts des nahen Todes mit uns selbst und der Welt um? Die Entwicklung der modernen Medizin, vor allem der Palliativmedizin, sowie der Pflegewissenschaften ermöglichen uns eine viel längere und bewusstere Auseinandersetzung mit unserem Tod oder dem Sterben eines anderen Menschen, als dies in früheren Zeiten der Fall war. Darin mag wohl auch ihr (psychologischer) Sinn stecken: dass es mehr Zeit und Raum für das Sterben gibt und es oftmals bis nahe an den Todeszeitpunkt hin möglich wird, sich bewusst mit dem Sterben auseinanderzusetzen.
Was aber nun bedeutet es, dass das Sterben als »Kunst« bezeichnet wird? Hierin liegt bereits eine gewisse Weisheit, die den mittelalterlichen Schöpfern dieses Begriffes vielleicht gar nicht bewusst war: Kunst ist etwas höchst Subjektives; objektive Kriterien, was als Kunst zu bezeichnen ist und was nicht, gibt es nicht. Kunst ist auch nicht immer gleichzusetzen mit »schön«, und was dem einen Menschen gefällt, kann etwas sein, dem ein anderer nur Ablehnung entgegenbringt. Künstlerinnen und Künstler sind höchst individuelle Menschen, die einzigartige, genau auf sie passende Methoden anwenden, und jedes Kunstwerk gibt es nur einmal. So ist auch das Sterben eines Menschen eine Einzigartigkeit wie der sterbende Mensch selbst. »O Herr, gieb jedem seinen eignen Tod«3, schreibt Rilke.
Kunst ist im Übrigen auch nicht wirklich lehr- oder lernbar. Was in den Kunstakademien geschieht, ist zum einen das Einüben handwerklicher Fähigkeiten, etwa das Umgehen mit Pinsel oder Meißel. Dann aber wird der Kunstlehrer bzw. die Kunstlehrerin zurücktreten und versuchen, der Entfaltung dessen, was in den Studierenden angelegt ist, Raum zu geben. So müssen wir uns also unsere Kunst des Sterbens selbst schaffen und können nicht darauf hoffen, dass uns jemand allgemeingültig beibringt, wie’s geht. Gleichzeitig können wir aber einige grundlegende Prinzipien des »Sterbehandwerks« erlernen. Sie können als Basis unserer Ars moriendi dienen, dürfen aber auch, wie es im künstlerischen Schaffen ebenfalls üblich ist, wieder verworfen werden. Einige wichtige und nützliche Elemente des »Sterbehandwerks«, aus dem wir unsere eigene Kunst des Sterbens entwickeln können, werde ich in diesem Buch beschreiben.
Das meiste, was zu einer Ars moriendi benötigt wird, gehört zum uralten Menschheitswissen. Seit Menschen fähig sind, über sich selbst nachzudenken, also bereits seit vielen tausend Jahren, entwickeln sie Formen, mit Tod und Sterben umzugehen. Zunächst mündlich in Eingeweihtenkreisen überliefert, dann mehr und mehr schriftlich fixiert, erweitert und gekürzt, verändert und neu verfasst, fanden diese Praktiken und das dazugehörige Wissen Eingang in sogenannte »Totenbücher«. Hierbei handelt es sich um Texte, die je nach Kultur auf Papyrus, Bambus, Stein oder Holz in oft einfachster, heute schwierig zu deutender Schriftform niedergelegt sind und bei denen es in erster Linie um die Themen Tod, Sterbeprozess und Jenseitsgeschehen geht. Die Totenbücher sind quasi die Todesmythologien der menschlichen Hochkulturen, die in Handlungsanleitungen überführt wurden und in denen wesentliche Menschheitserkenntnisse versammelt sind.
Die Tiefenpsychologie des Schweizer Psychologen und Arztes C. G. Jung sieht in den Mythen einen Zugangsweg zu allgemeingültigen, menschheitsübergreifenden Grundthemen, den sogenannten Archetypen. Ich werde im nachfolgenden Kapitel ausführlicher darauf zurückkommen. An dieser Stelle reicht es festzuhalten, dass es möglich ist, in den Totenbüchern archetypische Denk-, Handlungs- und Erfahrungsmuster im Umgang mit Tod und Sterben aufzuspüren. Das bedeutet, dass sich diese Muster dann in allen oder doch zumindest in den meisten den Totenbüchern zugrunde liegenden Mythen wiederfinden lassen müssten.
Tatsächlich gibt es solche menschheitsgültigen, d. h. archetypischen Gemeinsamkeiten: Alle großen Mythen und spirituellen Traditionen der Welt weisen dem Sterben und dem Todeszeitpunkt eine große Bedeutung zu. Oftmals, etwa bei den christlichen Sterbesakramenten oder in den bekannten tibetischen Totenbüchern, geht dies so weit, dass gesagt wird, durch die Beachtung grundlegender Regeln beim Sterben könnten frühere Verfehlungen ausgeglichen werden. Zugleich weisen viele der Mythen auf ein Gerichtsmotiv hin, wie dies etwa sowohl in christlichen als auch in muslimischen oder altägyptischen Vorstellungen von einem Gericht unmittelbar nach dem Tod der Fall ist. Es besteht auch weitgehend Einigkeit über die Bedeutung eines »Seelenführers«, d. h. eines Sterbe-, Todes- und Jenseitskundigen, der vor und nach dem eigentlichen Todeszeitpunkt für den Menschen sorgt, wie dies etwa der griechische Gott Hermes oder der christliche Erzengel Michael tut.
Aus all diesen mythologischen Motiven haben sich dann in den unterschiedlichen Weltkulturen die Anweisungen entwickelt, die in den jeweiligen Totenbüchern enthalten sind. Für eine heute gültige Ars moriendi bedeutet dies, dass die wichtigen (sterbe-)psychologischen Komponenten unabhängig von jeglicher Glaubensrichtung herausdestilliert werden können. Dazu gehören:
In der Konfrontation mit dem Tod ist es gut, auf ihn vorbereitet zu sein.Das Sterben ist nicht ein unwesentliches Dahinscheiden, sondern ein bedeutsamer, vielleicht sogar der bedeutsamste Moment der menschlichen Existenz.Das Sterbenmüssen konfrontiert uns noch einmal mit dem Getanen und Unterlassenen, mit dem Gelebten und Ungelebten und fordert zu Rechenschaft heraus.Die Konfrontation mit dem Tod erfordert zumindest zeitweise einen Begleiter, eine Begleiterin, sei es in Gestalt eines konkreten Menschen oder in Form einer »inneren Begleiterin«, also eine vielleicht imaginierte innere Gestalt, die sich aus realen Erfahrungen mit Menschen, aus Wünschen und Sehnsüchten sowie aus archetypischen Bildern solcher Seelenführer zusammensetzt.Dieses Menschheitswissen mag uns behilflich sein auf unserer ganz persönlichen Suche nach dem, was uns trägt, wenn wir der Endlichkeit gegenüberstehen: Denn »Der Mensch«, so C. G. Jung, »muss sich darüber ausweisen können, dass er sein Möglichstes getan hat, sich eine Auffassung über das Leben nach dem Tode zu bilden, oder sich ein Bild zu machen – und sei es mit dem Eingeständnis seiner Ohnmacht. Wer das nicht tut, hat etwas verloren. Denn was als Fragendes an ihn herantritt, ist uraltes Erbgut der Menschheit, ein Archetypus, reich an geheimem Leben, das sich dem unsrigen hinzufügen möchte, um es ganz zu machen.«4
Mein Buch, das als ein kurzgefasstes tiefenpsychologisches Totenbuch bezeichnet werden könnte, greift auf diese zentralen Punkte zurück und will den Leserinnen und Lesern in vier Kapiteln hilfreiche Impulse für eine zeitgemäße Ars moriendi und eine behutsame Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben geben. Im ersten Kapitel möchte ich das Buch in die kulturübergreifende Tradition der Totenbücher einordnen. Im zweiten soll eine gezielte Auseinandersetzung mit dem Sterben und den dann die innerlich und äußerlich anstehenden »Erledigungen« angeregt werden. Im dritten Kapitel steht dann die Sterbephase selbst im Mittelpunkt. Das vierte Kapitel versucht sich der Frage anzunähern, inwieweit Sterben mit unserer Entwicklung auf eine übergeordnete Ganzheit und unser »eigentliches Selbst« hin in Zusammenhang steht.
»Die beiden Elemente Zeit und Raum – Grundvoraussetzungen der Wandlung – sind für die Psyche relativ bedeutungslos. Mit anderen Worten: bis zu einem gewissen Grad ist die Seele der Wandlung und Vergänglichkeit nicht unterworfen. Das ist alles, was wir wissen. […] Für jene Menschen, die die Gabe des Glaubens nicht besitzen, mag es hilfreich sein, sich daran zu erinnern, daß die Wissenschaft selbst auf eine Möglichkeit des Fortlebens weist.«
C. G. JUNG5
Eine erste Annäherung an unser eigenes Sterben – und ich schreibe hier bewusst »Annäherung« und nicht etwa »Wissen« – besteht für uns Menschen im Nachdenken. Was bedeuten für uns Sterben und Tod genau? Diejenige Sparte der Psychologie, die sich auf die Gewinnung von Erkenntnissen um Tod und Sterben kümmert, ist die sog. Thanatopsychologie (von griech. thanatos, Tod). Sie bezeichnet das Ergebnis unseres Nachdenkens über den Tod und die Schlussfolgerungen, zu denen wir gelangen, wenn wir uns selbst am Ende unseres physischen Seins vorstellen, als unser »Todeskonzept«. Dieses besteht aus Gedanken und Gefühlen, es ist unsere zusammengefasste Sicht auf uns als sterbliche Wesen. Somit hängt es auch eng mit unserem Selbstbild zusammen, beide sind sozusagen miteinander verwoben und beide entwickeln sich in Abhängigkeit voneinander. »Sage mir, wie du über den Tod denkst, und ich sage dir, wer du bist«, so könnte man diese enge Verschränkung kurz und bündig benennen.
Innerhalb der Tiefenpsychologie war es vor allem der Schweizer Arzt und Psychotherapeut Carl Gustav Jung (1875–1961), der sich der Untersuchung des Todeskonzepts gewidmet hat. Er kann als der Gründungsvater einer modernen Sicht auf Tod und Sterben gelten, die auf psychologische Einsichten gründet und an die Weisheitsbestände der alten Hochkulturen der Menschheit anknüpft.