Verhaltenstherapie in psychodynamischen Behandlungen - Ralf T. Vogel - E-Book

Verhaltenstherapie in psychodynamischen Behandlungen E-Book

Ralf T. Vogel

0,0

Beschreibung

"Aus dem Bauch heraus", oft heimlich, zumindest aber ohne das Gefühl, etwas gut fundiertes zu tun: Die Kombination von psychotherapeutischen Methoden ist zwar gängig, fand aber bisher wenig Eingang in die psychotherapeutische Fachliteratur. Theoretisch und mit praktischen Anleitungen wird der "Einbau" einzelner Techniken anderer - vorwiegend verhaltenstherapeutischer - Methoden in ein therapeutisches Vorgehen beschrieben, das (und dies gilt für die Mehrzahl aller durchgeführten Psychotherapien) grundsätzlich der Tiefenpsychologie bzw. Psychoanalyse verpflichtet ist. In einem zweiten Teil werden die Erfahrungen dieses Vorgehens für die Besonderheiten auch von stationären Settings nutzbar gemacht.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 229

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



'Aus dem Bauch heraus', oft heimlich, zumindest aber ohne das Gefühl, etwas gut fundiertes zu tun: Die Kombination von psychotherapeutischen Methoden ist zwar gängig, fand aber bisher wenig Eingang in die psychotherapeutische Fachliteratur. Theoretisch und mit praktischen Anleitungen wird der 'Einbau' einzelner Techniken anderer - vorwiegend verhaltenstherapeutischer - Methoden in ein therapeutisches Vorgehen beschrieben, das (und dies gilt für die Mehrzahl aller durchgeführten Psychotherapien) grundsätzlich der Tiefenpsychologie bzw. Psychoanalyse verpflichtet ist. In einem zweiten Teil werden die Erfahrungen dieses Vorgehens für die Besonderheiten auch von stationären Settings nutzbar gemacht.

Dr. phil. Ralf T. Vogel ist Psychologischer Psychotherapeut und Psychoanalytiker mit klassischer und jungianischer Ausbildung. Er arbeitet in eigener Praxis und ist Dozent und Supervisor an mehreren psychodynamischen und verhaltenstherapeutischen Ausbildungsinstituten. Als Lehranalytiker ist er u. a. am C. G. Jung Institut München tätig.

Ralf T. Vogel

Verhaltenstherapie in psychodynamischen Behandlungen

Theorie und Praxismanual für eine integrative Psychodynamik in ambulanter und stationärer Psychotherapie

Verlag W. Kohlhammer

Für Sabine

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ûbersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2005 Alle Rechte vorbehalten © 2005 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG Stuttgart Printed in Germany

Print: 978-3-17-018647-7

E-Book-Formate

pdf:

epub:

978-3-17-028004-5

mobi:

978-3-17-028005-2

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort

Teil I – Einführung

1 Persönliche Vorbemerkungen

2 Zur Benutzung des Buches

3 Zum Begriff der »Psychodynamik«

Teil II – Theorie

4 Zur Wissenschaftstheorie

5 Über die Entstehung einer psychotherapeutischen Schulenzugehörigkeit

6 Die Idee der schulübergreifenden Psychotherapie

7 Wege der Berücksichtigung unterschiedlicher Schulen

8 Psychoanalyse und Verhaltenstherapie: Frühere Annäherungen

9 Störungsspezifische psychodynamische Verfahren: Aktuelle Vorreiter der Integration?

9.1 Die Transference-focused psychotherapy (TFP) und das Verlassen der »technischen Neutralität«

9.2 Die Traumatherapien

9.3 Psychodynamische Therapien – prozessual-adaptiv statt störungsspezifisch

10 Verhalten und Unbewusstes: Gemeinsames und Trennendes in der Theorie von Verhaltenstherapie und psychodynamischen Therapien

10.1 Die Entstehungsgeschichte des Begriffes des Unbewussten

10.2 Die Vorläufer der modernen Theorien des Unbewussten im 19. Jahrhundert: Schopenhauer und Nietzsche

10.2.1 Schopenhauers Metaphysik des Unbewussten

10.2.2 Der Beitrag Nietzsches

10.3 Das Unbewusste in den Anfängen der empirischen Psychologie

10.4 Das Unbewusste in der Tiefenpsychologie

10.4.1 Allgemeines

10.4.2 Freud und die klassisch-psychoanalytische Sicht

10.4.3 Erweiterungen

10.5 Zum Begriff des »Verhaltens«

10.6 Das Unbewusste in der Verhaltenstherapie

10.6.1 Entwicklung und Definition der Verhaltenstherapie

10.6.2 Die Berücksichtigung des Unbewussten

10.6.3 Das Unbewusste in der Praxis der Verhaltenstherapie

11 Übertragung, Gegenübertragung und die therapeutische Beziehung: Gemeinsames und Trennendes in der Behandlungstheorie von Verhaltenstherapie und psychodynamischen Therapien

11.1 Einführung

11.2 Übertragung und Gegenübertragung in der psychodynamischen Denktradition

11.2.1 Freuds Übertragungsbegriff

11.2.2 Einteilung unterschiedlicher Übertragungstypen

11.2.3 Erweiterungen durch Selbstpsychologie und analytische Psychologie

11.2.4 Gegenübertragung

12 Ein Arbeitsmodell zur Integration

13 Argumente: Zum Nutzen der Integration

13.1 Der Nutzen für Patienten und Therapeuten

13.2 Der Nutzen für die psychodynamische Theoriebildung

13.3 Der Nutzen für die wissenschaftliche Fundierung der psychodynamischen Therapien

Teil III – Praxis

14 Verhaltenstherapeutische Grundlagen und Methoden

14.1 Entwicklung und Definition der Verhaltenstherapie

14.1.1 Geschichte

14.1.2 Begriffsbestimmung

14.2 Die Eignung der Verhaltentherapie zur Integration

14.3 Theoretische Grundlagen der Verhaltenstherapie

14.3.1 Lerntheoretische Grundlagen

14.3.2 Kognitionspsychologische Grundlagen

14.4 Verhaltenstherapeutische Methoden

14.4.1 Die gemeinsame Erarbeitung des SORK-Schemas

14.4.2 Methoden zum Auf- oder Abbau von Verhaltenweisen

14.4.3 Kognitive verhaltenstherapeutische Verfahren

15 Verhaltenstherapeutische Behandlungsmanuale: Auswahl und Umgang

16 Integration in der ambulanten Psychotherapie: Eigentlich darf es nicht sein

16.1 Allgemeines zur ambulanten Psychotherapie

16.2 Indikation zur Integration

16.2.1 Verhaltenstherapie »vorschalten«

16.2.2 Verhaltenstherapie ist primär indiziert

16.2.3 Diagnose und forschungsgeleitete Überlegungen

16.2.4 Mangelnder Therapiefortschritt

16.2.5 Symptomerhalt trotz »erfolgreicher Therapie«

16.2.6 Theoretische Überlegungen

16.2.7 Verhaltenstherapeutische Elemente als Möglichkeit des Durcharbeitens

16.3 Praxis der Integration

16.3.1 Praktische Übersetzungsarbeit

16.3.2 Implantierung eines methodenfremden Therapieelements

16.4 Grenzen der Integrationsarbeit

17 Manual für die ambulante Psychotherapie

18 Integration in der stationären Psychotherapie: Eigentlich völlig normal

18.1 Allgemeines zur stationären Psychotherapie: Definitionen, Abgrenzungen

18.2 Die Therapieschulen in der stationären Psychotherapie

18.2.1 Die Psychoanalyse als Grundlage stationärer Behandlung

18.2.2 Tiefenpsychologische stationäre Psychotherapie

18.2.3 Zu integrierende Berufsgruppen in der stationären Psychotherapie

18.3 Verhaltenstherapeutische Verfahren

18.4 Kunst und Gestaltungstherapie

18.4.1 Theorie und Einführung in das Verfahren

18.4.2 Spezifika der Kunst- und Gestaltungstherapie im stationären Kontext

18.5 Musiktherapie

18.5.1 Theorie und Einführung in das Verfahren

18.5.2 Spezifika der Musiktherapie im stationären Kontext

18.6 Körpertherapeutische Verfahren

18.6.1 Theorie und Einführung in die Verfahren

18.6.2 Spezifika der körperorientierten Verfahren im stationären Kontext

18.7 Integrationsarbeit in der stationären Psychotherapie

18.7.1 Integrationsarbeit auf der Ebene des therapeutischen Teams

19 Manual zur Methodenintegration im stationären Kontext

20 Manual für die stationäre Psychotherapie

Ausblick – Integration stationärer und ambulanter Therapie: Sequentielle Therapieplanung

Literatur

Register

Geleitwort

Die beiden großen psychotherapeutischen Schulen (Psychoanalyse und Verhaltenstherapie) haben in den letzten Jahrzehnten komplexe Theorien und Modelle zur Psychopathologie sowie darauf aufbauend eine Vielzahl an Methoden zur Behandlung psychischer Störungen entwickelt und diese erfolgreich in den klinischen Alltag integriert. Leider war diese Entwicklung nur selten durch einen regen Austausch und einen respektvollen Umgang mit der jeweils anderen Therapierichtung gekennzeichnet. Der fehlende Blick über den Tellerrand der eigenen Schule und die vielseitigen Versuche einer strikten und kompetitiven Abgrenzung erschweren bzw. verhindern aber eine Weiterentwicklung der Psychotherapie als Profession und Wissenschaft. Von daher ist das Buch von Dr. Ralf Vogel (Verhaltenstherapeut und Psychoanalytiker) eine löbliche und beispielhafte Ausnahme, versucht der Autor doch mit Erfolg, verhaltenstherapeutisches Wissen in die psychodynamische Behandlung zu integrieren. Das kenntnisreich geschriebene Buch legt einen hervorragenden praxisbezogenen Grundstein für psychotherapeutische Integrationsarbeit und bietet dem Praktiker eine Fülle von praktischen Anregungen, aber auch Hintergrundinformationen über die historischen Entwicklungen und theoretischen Konzepte. Das vorliegende Buch hilft so vielleicht, die Grenzen zwischen den beiden Psychotherapieschulen durchlässiger zu machen und mehr Verständnis für das Tun der jeweils anderen Seite zu entwickeln. Es regt auch zum Nachdenken über die Wirksamkeit psychotherapeutischer Techniken und deren Behandlungstheorien an.

Univ.-Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych. Siegfried Gauggel

Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie Universitätsklinikum der RWTH Aachen

Teil I– Einführung

1 Persönliche Vorbemerkungen

Das Thema »Integration« ist en vogue. Seit den 1990er-Jahren fanden in Deutschland immer wieder Konferenzen unter diesem Stichwort mit Vertretern verschiedener Therapierichtungen statt. Zu bisher vorwiegend die Integration (Kombination?) von Pharmakologie und Psychotherapie (z. B. Abramkowitz 1997) bzw. von Psychiatrie und Psychotherapie (z. B. Vollmoeller 2003) bearbeitenden Veröffentlichungen, treten in den letzten Jahren auch international Arbeiten über eine therapieschulenbezogene Integrationsarbeit (z.B. Migone 2001, Milton 2001).

Meine eigenen Intentionen für ein solches Unterfangen waren zweierlei: zum einen meine »doppelte Sozialisation« und meine Tätigkeit in Instituten beider Schulen. Zum anderen die Erkenntnis, dass meine Kolleginnen und Kollegen1 oft schon machen, worüber ich hier schreibe, allerdings nicht selten »aus dem Bauch raus«, mit schlechtem Gewissen (hierzu schon Sandler 1983), manchmal nur wenig reflektiert, sicher aber meist nicht wenig wirksam. Wir wissen heute aus zahlreichen Studien, dass nicht immer das drin ist, was im Schulenetikett des einzelnen Psychotherapeuten draufsteht. Zahlreiche Praktiker berichten die »Beobachtung, daß viele Therapeuten in ihrem tatsächlichen Verhalten kaum noch dem von ihrer Schule Gelehrten entsprechen« (Wirsching 1998, S. 222). Und es ist schwer herauszubekommen, was die Kollegen in ihrem Behandlungszimmer tatsächlich machen (außer vielleicht in gut laufenden, nicht ausbildungsbezogenen Supervisionen oder Intervisionen).

Dieses Buch versteht sich als Beitrag zur Bereitstellung von Möglichkeiten zur therapeutischen Weiterentwicklung für vorwiegend psychodynamisch ausgebildete und arbeitende Psychotherapeuten. Es ist davon auszugehen, dass das vorgeschlagene integrative Arbeiten bei Vertretern der »reinen« Lehre, sowohl auf Seiten der Verhaltenstherapie als auch auf Seiten der Psychoanalyse skeptisch betrachtet wird. Die einen befürchten, ihr Verfahren werde ohne fundierte Auseinandersetzung und Ausbildung einfach »geschluckt«, die anderen werden um die genuinen Wirkfaktoren des psychodynamischen Arbeitens bange, wenn plötzlich verhaltenstherapeutische Elemente eingesetzt werden.

Das eigene Gefühl (zum Thema Gegenübertragung wird noch einiges zu sagen sein), das bei der Auseinandersetzung mit neuen Methoden und Techniken entsteht, ist dabei ein durchaus tauglicher Prädiktor für die persönliche Nützlichkeit der vorgestellten Methodik im eigenen therapeutischen Arbeiten und innerhalb der eigenen (therapeutischen) Identität. Diese Feststellung führt uns dann auch zur Frage der »Wissenschaftlichkeit« des in diesem Buch Vorgeschlagenen (s. unten).

2 Zur Benutzung des Buches

Das vorliegende Buch ist geschrieben für psychotherapeutische Praktiker mit psychodynamischer Grundorientierung und einer mehrjährigen Erfahrung mit ihrem Verfahren. Eine Zusatzausbildung in Verhaltenstherapie ist zur Übernahme einzelner verhaltenstherapeutischer Techniken in das persönliche Handlungsrepertoire nach Ansicht des Autors dann nicht vonnöten, wenn diese Übernahme im Rahmen der hier vorgestellten Integrationsarbeit bleibt.

Obwohl die Basis der hier vorgestellten Integrationsleistung das psychoanalytische Theoriegebäude ist, verzichtet das Buch auf eine ausführliche Darstellung desselben. Zum einen aus Praktikabilitätsgründen: Die Übersichtlichkeit und damit verbunden die rasche und unkomplizierte Benutzbarkeit sollte unter einem Zuviel an Theorie nicht leiden. Zum anderen gibt es in der Literatur genügend umfangreiche Darstellungen der psychoanalytischen Metapsychologie, denen der Autor nichts Entscheidendes hinzufügen kann. Besonders verwiesen sei an dieser Stelle auf das zweibändige Werk von Rainer Krause, der, wenngleich er kein Übersetzungsschema im hier intendierten Sinn vorschlägt, so doch eine ausgezeichnete theoretische Basis sowohl für integrative Überlegungen als auch für den Mainstream der psychoanalytischen Krankheitslehre liefert. Alle Leser, denen der theoretische psychoanalytische Aspekt also fehlen sollte, seien auf dieses Werk dringend hingewiesen (Krause 1997).

Das Buch nun kann auf unterschiedliche Arten genutzt werden. Zum einen ist es natürlich möglich, das Ganze von vorne bis hinten durchzuarbeiten, um einen fundierten Überblick über die gesamte Materie zu erlangen. Man kann aber auch einzelne Kapitel für sich herausgreifen und direkt ins therapeutische Tun einbauen. Dies gilt namentlich auch für die Darstellung der verhaltenstherapeutischen Grundverfahren im ersten Praxisteil des Buches sowie für die Darstellung der relevanten Verfahren der stationären Psychotherapie im zweiten Praxisteil, die kurz nachgeschlagen werden können, ohne sich groß auf vorherige Kapitel beziehen zu müssen. Dahinter steckt die leidvolle Erfahrung der Praktiker, dass manchmal quasi »zwischen den Stunden« nachgelesen werden muss und keine Zeit bleibt, ganze Lehrbücher zu einzelnen Themen durchzuarbeiten. Wer dennoch dieses Bedürfnis verspürt oder durch die Kurzbeschreibungen auf den (verhaltenstherapeutischen) Geschmack gekommen ist, für den findet sich nach jeder vorgestellten verhaltenstherapeutischen Methode ein kurzes Verzeichnis mit aktueller oder klassischer weiterführender Literatur zu diesem Thema. Auch veröffentlichte Materialien für die Patienten (Ratgeber oder leicht verständliche Darstellungen der jeweiligen verhaltenstherapeutischen Technik) finden sich hier. Schließlich kann der gesamte vordere Teil des Buches auch vollständig überblättert werden und man stürzt sich direkt auf die Übersetzungsmanuale. Dies gilt besonders für die Leser, die bereits mit den dargestellten verhaltenstherapeutischen Methoden vertraut sind. Durch die weitgehend autonome Gestaltung der Kapitel lädt das Buch auch im Stile eines »Lesebuchs der Integration« dazu ein, kreuz und quer zu blättern. Viel Spaß bei der Ihnen am nächsten stehenden Benutzungsvariante!

3 Zum Begriff der »Psychodynamik«

Der Terminus »psychodynamisch« ist inzwischen stark strapaziert. Er bezeichnet

ein Cluster bestimmter therapeutischer Schulen,

ein innerpsychisches Geschehen anhand der Termini einer bestimmten Theorie des Seelenlebens,

einen Begriff für einen zentralen Teil des psychoanalytischen Theoriegebäudes,

einen richtliniendefinierten Teil des Antrags an den Gutachter.

Bezogen auf den ersten Punkt dieser Auflistung definieren wir:

Mit dem Begriff der psychodynamischen Psychotherapien bezeichnen wir alle von der Psychoanalyse direkt abgeleiteten Therapieverfahren, namentlich die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie (zu den Verfahren siehe zusammenfassend u. a. Vogel 2003b).

Wir schließen uns hiermit teilweise der einschlägigen Definition von Reimer & Rüger (2003) an:

»Psychodynamische Psychotherapien sind die »große Gruppe von Behandlungsverfahren, die in ihrem theoretischen Hintergrund an der Psychoanalyse orientiert sind, aber an ihrem Behandlungssetting (und auch ihrer Behandlungsmethode, Anm. d. Verf.) mehr oder weniger große Abweichungen vorgenommen haben.« (ebd., S. 1)

und begrenzen die durch diese Definition zu weit gefächerte Palette potentieller Verfahren zunächst auf die beiden Richtlinienverfahren der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie (ein nur in den deutschsprachigen Ländern gebrauchter Begriff; den Terminus »Tiefenpsychologie« führte 1919 der Züricher Psychiater Eugen Bleuler, 1957–1939, in die psychotherapeutische Literatur ein. Fewus gebrauchte diesen Ausdruck zum ersten Mal 1913 in seiner Schrift »Das Interesse an der Psychoanalyse« , siehe dazu u. a. auch Kap. 10) und der analytischen Psychotherapie (die oft irreführenden Begriffe der »psychoanalytisch fundierten« bzw. tiefenpsychologisch (psychodynamisch) orientierten Therapieformen wollen wir für körper-, musik- oder kunsttherapeutische Verfahren reserviert halten, deren Grundtheorie die psychoanalytische ist).

Abb. 3.1: Abweichungen von »klassischer« Psychoanalyse

Dieselben Begriffsdefinitionen gelten auch für den stationären psychodynamischen Rahmen, in dem eben solche Therapeuten tätig sind, die sich den zuvor genannten Kriterien psychodynamischen Handelns verpflichtet fühlen.

»Psychoanalytisch (hier ›psychodynamisch‹, Anm. d. Verf.) ist die stationäre Psychotherapie nicht aufgrund regelhafter und methodisch exakter psychoanalytischer Technik, sondern durch die psychoanalytische Identität der Teammitglieder« (Becker 1988, S. 38).

Ein Modell zur Integration verhaltenstherapeutischer Methoden in klassische Psychoanalysen (die ja bekanntlich auch nicht Gegenstand der Richtlinienpsychotherapie sind), ist hier nicht intendiert.

1 Wird im Folgenden von Kollegen, Therapeuten, Psychologen etc. gesprochen, so werden zwecks einer besseren Lesbarkeit des Textes unter dieser Variante sowohl die männliche als auch die weibliche Form subsumiert.

Teil II – Theorie

4 Zur Wissenschaftstheorie

Wenn man sich anschickt, über die Integration unterschiedlicher therapeutischer Richtungen zu sinnieren, stößt man als Erstes auf deren philosophische und geisteswissenschaftliche Wurzeln. Diese können im Falle von Psychoanalyse und Verhaltenstherapie gar nicht unterschiedlicher sein, eine Tatsache, die – oft vergessen – jenseits aller Effizienz-Argumente den derzeitigen »Aufschwung« kognitiv-verhaltenstherapeutischer Verfahren begünstigt und die zunehmende Ausdünnung der Anwendung psychodynamischer Methoden komplementär vorantreibt.

Seit den 1980er-Jahren gilt in der »wissenschaftlich fundierten« (heute evidenzbasierten) Psychotherapie, vor allem in deren akademischem Mainstream, das unumstößliche Gesetz, nur die einheitswissenschaftlichen, aus Positivismus und kritischem Rationalismus abgeleiteten (deduktiv-nomologischen) Forschungsmethoden seien wirklich wissenschaftlich, alles andere sei für unser Fachgebiet mehr oder weniger vernachlässigbar oder gar Unsinn.

Gemäß dieser Anschauung fallen auch und gerade die erkenntnistheoretischen und philosophischen Grundpositionen der Psychoanalyse – bis hin zum modernen, in der Psychoanalyse sehr viel Geltung gewinnenden Konstruktivismus – unter die weitgehend zu ignorierende Kategorie »nicht (natur-)wissenschaftlich«. So gerät auch, quasi als Nebenprodukt, die zentrale psychoanalytische Erkenntnisgewinnung, die Hermeneutik, an den Rand des Geschehens. Dieses Geschehen kann an dieser Stelle nicht ausführlich abgehandelt werden. Für unseren Zusammenhang gilt es lediglich, bereits im Voraus festzustellen, dass die Integration verhaltenstherapeutischer Methoden in psychodynamische Therapien (wie im Übrigen überhaupt die gesamte Beforschung psychodynamischen Arbeitens, das sich immer in einem singulären, nicht reproduzierbaren, dyadischen und intersubjektiven Raum abspielt) dem Hegemonieanspruch der Einheitswissenschaft entgegensteht und sich der Hermeneutik verpflichtet fühlen muss, da die Entscheidung für oder gegen die Integration einer verhaltenstherapeutischen Komponente ein zeitlich und örtlich (hier die therapeutische Situation betreffend) einmaliger Akt ist, hoch subjektive Geschehnisse wie Übertragung und Gegenübertragung betrifft und sich so, wie auch viele andere Komponenten psychodynamischen Tuns, der Erforschung mit randomisierten Kontrollgruppendesigns wohl entzieht.

Konstruktivismus und die von C.G. Jung bereits in den »Urzeiten« der Psychotherapie gebahnte Theorie der Intersubjektivität (Otscheret 2004a) haben als weitaus angemessenere Grundlagen der Reflexion psychotherapeutischen Tuns zu gelten als positivistisch begründete mathematisch-statistische Modelle (obwohl diese durchaus wertvolle Ergänzungen zu bieten haben). Überlegungen über die Wirksamkeit, wie sie von modernen Philosophen in den heutigen Tagen aufgezeigt und weiterentwickelt werden, können eine neue Legitimation des jeweils einzelnen psychotherapeutische Handelns in einem Ausmaß bieten, das einheitswissenschaftliche Forschungsstränge wohl nie erreichen werden.

Beispielhaft sei an dieser Stelle der französische Philosoph Francois Jullien genannt, der mit seinen Überlegungen über die »Wirksamkeit« (z.B. 1999) für die Psychotherapie und auch unseren Integrationszusammenhang höchst relevante Thesen vorstellt und begründet. Es handelt sich um eine dem Heideggerschen Denken der »Dienlichkeit« verwandten Strategie des Tuns, »was dem Moment gemäß ist« (Jullien 2002, S. 88), der konsequenten Nutzung des »Situationspotentials«, der zu entschlüsselnden »Neigung der Dinge« entsprechend (ebd. S. 118). Die Nähe zu psychoanalytischen Konzeptionen der Spontanität und des Übertragungs-Gegenübertragungs-Dramas (s.u.) wird schnell deutlich. Psychotherapie erfordert, in diesem Kontext, dann auch eher die Entwicklung von Weisheit, die das Situationspotential zu nutzen versteht, als den Erwerb von immer mehr Wissen über in unseren westlichen »Modellbildungen« vorherrschende »Ziel-Mittel Beziehungen« (ebd. S. 180.)

Psychotherapie, so wie sie hier verstanden wird, befindet sich in einem Schnittbereich zwischen den objektiven Wissenschaften, den Geisteswissenschaften und auch der (etwa hermeneutischen) Kunst (z.B. Holm-Hadulla 1997). Die anzuwendenden Methoden, um sie zu beforschen, haben sich daran auszurichten. Die vorliegende Arbeit versteht sich also auch als Beitrag zu einer praktischen »Psychotherapie als Profession« (Buchholz 1999) mit praktischen Anwendungen philosophischer Überlegungen, sozialwissenschaftlicher und mathematischer Methoden und anderer Wissen(schafts)bereiche: Daraus folgt, dass bei dem Versuch einer Integration von psychotherapeutischen Theorien die Beurteilungskriterien weniger in einer methodisch exklusiven Befragung des Forschungsgegenstandes »Psychotherapie« zu suchen sind, sondern dass sie eher aus einer Handlungspragmatik hervorgehen, welche »möglichst nahe an den Anforderungen der therapeutischen Interaktion anzusiedeln ist« (Parfy 1996, S. 97). Und genau das ist das Ziel dieses Buches.

Genuin wissenschaftstheoretische Überlegungen der Integration beziehen sich nicht selten auf Systemtheorien und greifen die Kriterien der Anschlussfähigkeit und der strukturellen Divergenzen psychotherapeutischer Theorien auf. Auf die theoretische Bestimmung dieser Begriffe muss an dieser Stelle nicht eingegangen werden (vgl. dazu z. B. Parfy 1998). Eine integrative Psychodynamik, wie sie hier vorgestellt und mittels Übersetzungsarbeit geleistet werden soll, trägt diesen Forderungen in der praktischen Umsetzung Rechnung (vgl. auch Kap. 13).

5 Über die Entstehung einer psychotherapeutischen Schulenzugehörigkeit

Mehrere hundert Therapieverfahren gibt der »Psychomarkt« derzeit her. Drei davon, die Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie (vielleicht bald als vierte die nondirektive Gesprächspsychotherapie), gelten als Richtlinienverfahren und werden von den Kassen bezahlt. Diese verteilen sich nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (zitiert nach Bühring 2003) wie folgt (Zahlen für die Erwachsenen-Psychotherapie aus dem Jahr 2002):

Insgesamt beteiligten sich 16.268 Therapeuten an der Versorgung. 12186 davon (ca. 70 %) waren Psychologen, der Rest Ärzte. Während lediglich 557 ärztliche Therapeuten sich der Verhaltenstherapie zurechneten, waren es bei den Psychologen 5727 Personen, also fast die Hälfte der Beteiligten. Es wird somit deutlich, dass die Schulenauseinandersetzung bis heute auch eine Auseinandersetzung zwischen den an der psychotherapeutischen Versorgung primär beteiligten Berufsgruppen, Ärzte und Psychologen, ist.

Welche Faktoren mögen nun zu der Entscheidung eines jungen Arztes oder Psychologen beitragen, sich der einen oder anderen therapeutischen Schulrichtung anzunähern? Wohlgemerkt, wir sprechen hier nicht über die Berufsentscheidung, Psychotherapeut zu werden, darüber wurde bereits genügend geforscht und geschrieben. Es geht um die Entscheidung für eine Ausbildung in einem bestimmten psychotherapeutischen Verfahren. Eine unsystematische Befragung psychotherapeutisch Tätiger im ambulanten und stationären Bereich ergab folgende, wohl jedem Leser irgendwie vertraute Auflistung.

Tab. 5.1: Gründe für die Ausbildung in einem bestimmten psychotherapeutischen Verfahren

Biographiegeschichtliche Gründe, wie z.B.

Identifikationen oder deren Vermeidung

Menschenbildannahmen

eigene Heilungswünsche und -versuche

Prestigeträchtigkeit

Universitätssozialisation

Gesundheitsökonomische Gründe, wie z. B.

Welches Verfahren bringt mehr Geld,

ist sicherer im System verankert,

ist an erster Stelle an Kliniken vertreten

etc.

Pragmatische Gründe, wie z. B.

Verfügbarkeit eines Ausbildungsinstituts

Kosten der Ausbildung

investierbare Zeit in die Ausbildung

All diese angeführten Gründe, und sicher sind es noch einige mehr, bestimmen mehr oder weniger reflektiert die Entscheidung für oder gegen ein therapeutisches Verfahren. Manche sind sicher eher vernachlässigbar als andere (z.B. ist die Universitätssozialisation der fast ausschließlich an einheitswissenschaftlich dominierten Instituten ausgebildeten Diplom-Psychologen sicher ein mächtiger Faktor), irgendwie kann aber wohl jeder Praktiker zu diesen Entscheidungskriterien eigene Gedanken formulieren. Es ist die Aufgabe der Auswahlgespräche bzw. -seminare, die heutzutage bei vielen der unter enormem ökonomischem Druck stehenden Ausbildungsinstituten allzu nachlässig geführten werden, erst recht aber die der die Therapieausbildung begleitenden Selbsterfahrung und Eigentherapie, diese Entscheidung zu durchleuchten, ins Bewusstsein zu heben und so für die spätere therapeutische Arbeit zumindest nicht hinderlich, vielleicht sogar nutzbar zu machen.

6 Die Idee der schulübergreifenden Psychotherapie

In Deutschland führte als einer der Ersten H. Petzold den Begriff der integrativen Therapie ein, der (primär als Gestalttherapeut) von einer Integration des Fremden »von verschiedenen Heimatländern aus« spricht und somit den Grundstein für eine psychotherapeutische Integrationsarbeit ohne die Notwendigkeit einer Schulenauflösung legt (z. B. Petzold 1999).

Eine nicht schulengebundene Psychotherapie wird heute häufig assoziiert mit dem Konzept der therapeutischen Wirkfaktoren, einem Begriff, der bereits 1955 von Corsini & Roesenberg eingeführt wurde. Sie stellten eine Liste von Veränderungsmechanismen zusammen, die in der Gruppentherapie wirksam werden. Dieser Ansatz wurde später z. B. von Yalom (1992) weitergeführt. Im Gegensatz zur Gruppentherapie ist in der Einzeltherapie innerhalb, erst recht aber natürlich zwischen den Therapieschulen heiß diskutiert, was tatsächlich wirkt (vgl.z.B. Hain 2001, Lang 2003).

Die psychodynamischen Therapien bewegen sich traditionell in ihrem Verständnis über »das Wirksame« ihrer Therapie in einem bipolaren Modell:

Klassische Strömung

: Wichtigster therapeutischer Faktor ist Bewusstmachung, Erinnern und Verstehen. Deutung wird zum wichtigsten Therapieinstrument.

Beziehungsorientierte Strömung:

Korrigierende emotionale Erfahrung als wichtigster therapeutischer Faktor. Das Verhalten des Therapeuten wird zum wichtigsten Therapieinstrument.

Es handelt sich also um die alte Kontroverse – Einsicht versus Beziehung –, die in modernen psychodynamischen Theorien nicht mehr einander ausschließend, sondern als Extrempole eines Kontinuums formulierbar sind, auf welchem jeder praktisch Tätige seinen Platz findet:

Abb. 6.1: Kontinuum der Psychotherapieschulen (Die kognitive Verhaltenstherapie wäre in ihren Hauptströmungen hier wohl weit links anzusiedeln!)

In einem zweiten Schritt wurde versucht, zwischen allgemeinen und spezifischen Wirkfaktoren zu unterscheiden. Dabei unterscheiden sich allgemeine Wirkfaktoren von spezifischen in zweierlei Weise:

Sie sind unabhängig von der jeweils gerade zur Anwendung gebrachten Art der Psychotherapie zu beobachten, wenn auch in unterschiedlicher Zusammensetzung und Gewichtung.

Sie sind nicht Teil der therapieschulspezifischen Behandlungstechnik (Ausnahmen sind hier evtl. der Gesprächspsychotherapie nach Rogers oder die psychoanalytische Selbstpsychologie nach Kohut).

Das Konzept der allgemeinen Wirkfaktoren wurde v.a. von Frank (1981) entwickelt. In seinem »common component modell« erläutert er die Hypothese, dass sich psychotherapeutische Veränderungen nicht zuletzt durch solche Wirkungsweisen erklären lassen, die bereits von Schamanen (und heute vielleicht von Esoterik-Heilern?) erfolgreich eingesetzt wurden. Unter anderem listet er auf:

Eine intensive, emotional besetzte, vertrauensvolle Beziehung zwischen Hilfe Suchendem und Helfer.

Ein Erklärungsprinzip (Glaubenssystem, Mythos) bzgl. der Ursachen der Erkrankung und eine damit zusammenhängende Methode für ihre Behebung.

Eine Problemanalyse, die dem Patienten Möglichkeiten der Bewältigung eröffnet.

Die Vermittlung von Hoffnung, mit dem Ziel, die Demoralisierung des Patienten abzubauen.

Die Vermittlung von Erfolgserlebnissen, die dem Patienten zunehmend mehr Sicherheit und Kompetenz vermitteln.

Die Förderung emotionalen Erlebens als Voraussetzung für eine Einstellungs- und Verhaltensänderung. (nach Eckert 1999)

Die Psychoanalytikerin Eva Jaeggi (1997, S. 64) formuliert ganz ähnliche »Allgemeine Bedingungen des Heilens«:

gemeinsames Symbolsystem

Beziehung

Aktivität

Andere psychotherapeutische Schulen werden dann berücksichtigt, wenn in der eigenen der eine oder andere Wirkfaktor fehlt.

7 Wege der Berücksichtigung unterschiedlicher Schulen

»Wenn man sich mit den verschiedenen Schulen, Theorien und Behandlungsverfahren der Psychotherapie näher beschäftigt, bemerkt man bald, dass der Reflexionsstand in den verschiedenen Schulen außerordentlich unterschiedlich ist. Die einzelnen psychotherapeutischen Richtungen unterscheiden sich sehr hinsichtlich ihrer Mannigfaltigkeit, um nicht zu sagen: Vollständigkeit der von ihnen berücksichtigten Faktoren des psychotherapeutischen Feldes und hinsichtlich des Differenziertheitsniveaus der Darstellung«

(Fürstenau 1971, S. 28f).

Eine Psychotherapie (Schule), die Fürstenaus psychotherapeutisches »Feld« weitestgehend abdecken will, zeichnet sich durch folgende Elemente aus (Vogel 2003a):

Darstellung des zugrundeliegenden anthropologischen Verständnisses und Bemühen um eine maximale Breite desselben (

philosophische Perspektive

).

Umfassende Aussagen zur Einbettung des Verfahrens in die aktuellen kulturellgesellschaftlichen Verhältnisse (

soziologische Perspektive

).

Eine Theorie der psychischen Störung und deren Therapie (Krankheits- und Veränderungstheorie;

psychopathologische Perspektive

).

Eine Theorie des therapeutischen Geschehens (Prozess- und Beziehungstheorie, Wirkfaktorentheorie;

psychologische Perspektive i.e.S

.).

Wissenschaftliche Nachweise der Qualität und Quantität ihrer Wirkung (

Wirksamkeitsperspektive

).

Mehrere hundert »therapeutische« Methoden beanspruchen heutzutage den Titel einer psychotherapeutischen »Schule«. Neben den sogenannten Richtlinientherapie-Verfahren haben sich folgende Richtungen etabliert, sind zum Teil wissenschaftlich anerkannt oder als Zweitverfahren auch in der Richtlinienpsychotherapie zugelassen (in der Reihenfolge ihrer Bedeutung):

Nondirektive (Gesprächs-)Psychotherapie

Systemische (Familien-)Therapie

Gestalttherapie

Psychodrama

Umfragen unter Psychotherapeuten (z. B. Butollo u. a. 1996) belegen immer wieder, dass die meisten Kollegen in mehr als nur einem (Richtlinien-)Verfahren ausgebildet sind.

»Im Ähnlichen das Unterschiedliche zu suchen und im Unterschiedlichen das Gleiche: das ist der Modus der Erkenntnis überhaupt« (Jaeggi 1997).

Derzeit sind verschiedene Modelle auf dem Markt, die dem Bedürfnis der Praktiker, über den Gartenzaun der eigenen Schulrichtung zu blicken, Rechnung tragen:

Allgemeine Psychotherapie (hierzu u.a. Grawe 1998a, b)

Eklektische Psychotherapie (hierzu u.a. Hoffmann u. a. 1998)

Kombinierte Psychotherapie (hierzu u. a. Sass &. Herpertz 1999)

Indikativ-differenzierte Psychotherapie (hierzu u.a. Fiedler 2000)

Integrative Psychotherapie (hierzu u.a. Parfy 1998)

Die Konzepte brauchen im Detail nicht genauer dargestellt und auf ihre Brauchbarkeit hin diskutiert werden. Es liegen dazu bereits zahlreiche Veröffentlichungen vor (z. B. Vogel 2001). Wichtig ist für unser Vorhaben lediglich die Abgrenzung der hier vorgestellten Integrativen Psychotherapie von den anderen Versuchen.

Integrative Psychotherapie meint die Anwendung unterschiedlicher therapeutischer Methoden auf dem theoretischen Boden einer definierten therapeutischen Schulrichtung. Dabei ist es unumgänglich, vor der Integration eines Therapieelements einer therapeutischen Richtung dieses in die theoretische Sprache der Basistheorie zu übersetzen und ihre Wirksamkeit mit den Möglichkeiten der Basistheorie zu erklären (Vogel 2001, S. 35).

Der hier vorgeschlagene Integrationsansatz will eben nicht, wie so viele andere Vorstellungen, die unter dem Etikett der Integration firmieren, eine Auflösung der therapeutischen Schulen und deren Ersatz durch eine »integrative Psychotherapie«:

Methodenintegration meint eben nicht diesen »dialektischen Prozess, der (…) bisher als unvereinbar geltende Systeme problem- und zielorientiert in ein neues therapeutisches System zusammenführt« (Buchkremer u.a. 2001). Die professionelle Identität als psychodynamisch arbeitender Psychotherapeut, die auch als Folge einer gelebten und erlebten Zugehörigkeit zu einer therapeutischen Schulrichtung aufgebaut wird (vgl. Hagehülsmann 2000), muss durch eine in dieser Arbeit vertretenen Integration nicht aufgegeben werden. Mit Hardt und Hebebrand (2004) soll im Gegenteil ein Impuls gesetzt werden »für den Erhalt der Schulen, deren Aufgabe darin besteht, das psychologische Denken in verschiedenen Gegenstandsbildungen (Tradition und Auffassung von psychischen Menschen) zu erhalten« (ebd. S. 146).

In einigen Facetten erinnert die hier vorgeschlagene Integrationsarbeit auch an Konzepte Fiedlers (z. B. 2000), der Störungsspezifität, Phänomenorientierung und Ätiologieausrichtung als zentrale Merkmale integrativer Arbeit beschreibt. Durch selektive, differentielle und adaptive Indikationsprozesse sollen die therapeutischen Schulrichtungen gesichtet und die therapeutische Strategie danach ausgerichtet werden. Zumindest »vorerst« können so die Therapieschulen beibehalten werden und treten in einen »konstruktiven Wettstreit« (ebd., S. 68) generell und v. a. für den Einzelfall.

Im hier vorgestellten Ansatz ist dagegen die Hereinnahme primär schulenfremder Anteile gemeint, ohne die eigene Therapieschule aufgeben oder mit anderen Schulen in Konkurrenz treten zu müssen. Nach Ansicht des Autors eignet sich die psychodynamische Schulrichtung wegen ihres mit Abstand elaboriertesten theoretischen Systems besonders für ein derartiges integratives Denken. Sicher ist aber auch in der kognitiven Verhaltenstherapie die Theoriebildung inzwischen auf einem entsprechenden Level angelangt, so dass durchaus auch an eine »Integration psychodynamischer Elemente in verhaltenstherapeutische Behandlungen« zu denken ist. (Deutlich sind solche grundsätzlich begrüßenswerten Vorstöße v.a. in den modernen, größtenteils schematheoretisch formulierten Behandlungsansätzen von Persönlichkeitsstörungen, die oft alten psychoanalytischen Wein in neuen, kognitiv-verhaltenstherapeutischen Schläuchen verkaufen, dies aber selten transparent machen, vgl.z.B. Sachse 2001 und 2002).

Wie zuvor bereits erwähnt, beschreibt Krause (z. B. 1997) in seiner »Allgemeinen Psychoanalytischen Krankheitslehre« ausführlich und eloquent viele der anstehenden theoretischen Überlegungen. Er würde aber wohl daraus kein »Übersetzungsschema« vorschlagen. Die Lösung sieht er vielmehr in

»einer systematischen Teamarbeit von Therapeuten, die sich mit verschiedenen Krankheitsbildern und den verschiedenen Behandlungsphasen und -formen des therapeutischen Geschehens besonders gut auskennen, um dann am Patienten in einer Art Synergieeffekt das für ihn bestmögliche zu erarbeiten. All dies in einer Person verwirklichen zu wollen, ist nicht angemessen, irreführend und vom Anspruch bei weitem überhöht« (ebd., S. 154f).

Dem ist grundsätzlich zuzustimmen; trotzdem aber macht die Versorgungsrealität und die klinische Realität des einzelnen Praktikers etwas anderes – nämlich die Erweiterung und Anpassung des individuellen behandlungstechnischen Repertoires – nötig. Dieser Notwendigkeit trägt der hier vorgetragene Integrationsansatz Rechnung, ohne, und darauf sei explizit verwiesen, einen »Supertherapeuten« generieren zu wollen oder auf Spezialisierungen (deren konkretes Ausmaß aber noch zu bestimmen wäre) in Gänze zu verzichten.

8 Psychoanalyse und Verhaltenstherapie: Frühere Annäherungen

»Psychoanalyse und Verhaltenstherapie scheinen feindliche Brüder zu sein, die ihre Verwandtschaft nicht wahrhaben wollen, in der doch gerade ihre gegenseitige Abneigung und ihre Rivalität begründet sind. Was sich nah ist, hasst sich gut« (Görres 1973, S. 71).