Der Traum vom Weltreich - Margarete von Schwarzkopf - E-Book

Der Traum vom Weltreich E-Book

Margarete von Schwarzkopf

4,9

Beschreibung

Wie kam es nur dazu, dass 1714 mit Georg Ludwig ausgerechnet ein Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg zum englischen König ernannt wurde? Welche Gründe führten zu dem berühmten Act of Settlement, und was geschah mit dem Haus Stuart, dessen katholische Nachfahren im 18. Jahrhundert immer wieder gegen die Könige aus dem deutschen Kurfürstentum rebellierten? Die 1837 mit der Thronbesteigung durch Königin Viktoria endende politische Personalunion zwischen England und Hannover, das seit 1814 durch Beschluss des Wiener Kongresses Königreich war, ist eine besonders spannende Periode europäischer und weltpolitischer Ereignisse, aber auch eine Zeit wissenschaftlicher und kultureller Kreativität vor allem in England. Margarete von Schwarzkopf erzählt diese Geschichte mit ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart auf höchst unterhaltsame Weise. Sie hat viele Angehörige der Königshäuser befragt und spart nicht mit Anekdoten und kleinen Klatschgeschichten.

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Margarete von Schwarzkopf

Der Traum vom Weltreich

Geschichte und Geschichten zur Personalunion Hannover - England 1714 bis 1837

© 2014 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832Springe

www.zuklampen.de

Umschlaggestaltung: Stefan Hilden · München

www.hildendesign.de

Illustration: © HildenDesign

Satz: thielen verlagsbuero · Hannover

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

ISBN 9783866743212

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

Für meine Familie

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort

Prolog

Kapitel eins Wie es dazu kam

1. Die Welfen

2. England

Kapitel zwei

1. Englands Wandel unter den Stuarts 1660 bis 1688

2. Auf dem Weg zur Personalunion

Kapitel drei

Kurfürst und König – Der Beginn der Personalunion

Kapitel vier

Der deutsche Kurfürst auf Englands Thron

Kapitel fünf

Er war immer, wie er schien – König Georg II.

Kapitel sechs

Kein Frieden in Sicht

Kapitel sieben

Der Ruhm lebt nicht vom Krieg allein

Kapitel acht

Der Traum vom Weltreich

Kapitel neun

Der Vater seines Volkes – Georg III., »Farmer George«

Kapitel zehn

Ein Mann der Gegensätze – Georg IV.

Kapitel elf

Zeiten des Übergangs

Epilog

Anhang

Stammbäume

Zeittafel

Bibliografie

Nachweise

Die Autorin

VORWORT

Geschichte ohne die sich dahinter verbergenden menschlichen Schicksale ist undenkbar. Das haben Schriftsteller und Denker wie Stefan Zweig und Ralph Waldo Emerson ebenso betont wie auch der tschechische Philosoph Amos Comenius im 17.Jahrhundert. Mein Interesse am 17. und 18.Jahrhundert wurde durch einen Film geweckt, den ich als Kind sah und in dem der auch in Deutschland bekannte Hollywoodstar Stewart Granger den Grafen Königsmarck verkörperte. »Königsliebe«, basierend auf dem Roman »Saraband for Dead Lovers« von Helen Simpson, handelt von Königsmarcks Affäre mit Sophie Dorothea von Celle, die mit ihrem Vetter Georg Ludwig, dem Kurfürsten von Hannover und späteren König GeorgI. von Großbritannien, unglücklich verheiratet war. Die Afffäre endete 1694 mit dem Tod Königmarcks und der Verbannung der Prinzessin nach Ahlden bei Celle. Diese tragische Liebesgeschichte bewegte immer wieder Schriftsteller und Dichter, genauso wie das nicht minder dramatische Geschick von König KarlI. aus dem Hause Stuart, einem Enkel von Maria Stuart. Er wurde nach den verlorenen Bürgerkriegen gegen die »republikanischen« Armeen unter Oliver Cromwell 1649 in England hingerichtet. Diese Geschichte, die Daphne du Maurier zu ihrem Roman »Des Königs General« inspiriert hat, beeindruckte mich sehr. Und dass beide Schicksale zusammenhängen, wurde mir erst später klar, sind sie doch Teil der Vorgeschichte der Personalunion 1714 bis 1837, um die es in diesem Buch

PROLOG

»In meinem Ende liegt mein Anbeginn«–welche prophetischen Worte könnte man sagen, wenn man diesen oft zitierten Satz von Maria Stuart, Königin von Schottland, kurz vor ihrem Tod auf dem Schafott als Ausgangssituation für eine Reihe historischer Ereignisse wertet, die bis ins 19.Jahrhundert hinein direkt oder indirekt weit reichende Folgen hatten. Denn in ihrem »Ende« liegt der »Anbeginn« bestimmter Konstellationen, die 1714 zur Personalunion zwischen Großbritannien und dem Kurfürstentum Hannover führten. Noch zu Lebzeiten der umtriebigen schottischen Königin hätte sich gewiss kaum jemand vorstellen können, dass es einmal die Stuarts sein würden, die das englische Geschick für lange Zeit steuern und damit zu den drastischen dynastischen Veränderungen im 17.Jahrhundert beitragen würden.

»Es gibt vielleicht keine Frau, die in so abweichender Form gezeichnet worden wäre, mal als Mörderin, mal als Märtyrerin, bald als törichte Intrigantin, bald als himmlische Heilige«, schreibt Stefan Zweig über diese Frau, die Schriftsteller und Dichter ebenso faszinierte wie viele ihrer, vor allem männlichen, Zeitgenossen. Maria Stuart, 1542 in Schottland als Tochter von JakobV. und seiner zweiten Frau Marie de Guise geboren, war über ihre Großmutter Margret Tudor, der älteren Schwester HeinrichVIII., mit dem englischen Königshaus verwandt. Schon zu Lebzeiten forderte sie völlig kontroverse Beurteilungen heraus. Stefan Zweig schreibt:

Maria Stuart gehört zu jenem sehr seltenen und erregenden Typus von Frauen, deren wirkliche Erlebnisfähigkeit auf eine ganz knappe Frist zusammengedrängt ist, die eine kurze, aber heftige Blüte haben, die sich nicht ausleben in einem ganzen Leben, sondern nur in dem engen und glühenden Raum einer einzigen Leidenschaft. Bis zum dreiundzwanzigsten Jahre atmet ihr Gefühl still und flach, und ebenso wogt es vom fünfundzwanzigsten an nicht ein einziges Mal mehr stark empor, dazwischen aber tobt sich in zwei knappen Jahren ein Ausbruch von elementarer Großartigkeit orkanisch aus, und aus mittlerem Schicksal erhebt sich plötzlich eine Tragödie antikischen Maßes, groß und gewaltig gestuft wie die Orestie. Nur in diesen zwei Jahren ist Maria Stuart wahrhaft eine tragödische Gestalt, nur unter diesem Druck reißt sie sich über sich selbst empor, ihr Leben durch dieses Übermaß zerstörend und zugleich dem Ewigen bewahrend. Und nur dank dieser einen Leidenschaft, die sie menschlich vernichtete, lebt ihr Name noch heute in Dichtung und Deutung fort.1

Schon wenige Tage nach ihrer Geburt wurde Maria, deren Vater mit dreißig Jahren starb, zur Königin von Schottland ernannt und wenige Monate später gekrönt. Der Plan war ursprünglich, sie mit dem einzigen Sohn HeinrichVIII., EdwardVI., geboren 1537 aus Heinrichs Verbindung mit Jane Seymour, zu vermählen. Aber die Schotten weigerten sich, den Vertrag zu ratifizieren, da Heinrich verlangt hatte, Schottland möge auf seine alte Allianz mit Frankreich verzichten. Die englischen Truppen, die daraufhin nach Schottland marschierten, schlugen das schottische Heer 1547 bei Pinkie Cleugh. Marie de Guise gelang mit ihrer Tochter Maria die dramatische Flucht vor den siegreichen englischen Truppen, suchte Hilfe beim Botschafter Frankreichs, dessen Herrscher König HeinrichII. vorschlug, dass die kleine Maria seinen Sohn Franz heiraten solle. Maria war fünf Jahre alt, als sie aus Schottland von den französischen Truppen gerettet und als künftige Braut des Dauphin nach Frankreich gebracht wurde.

Die junge Maria Stuart wird von Chronisten als lebhaft, intelligent und lebensfroh geschildert. Sie sprach mehrere Sprachen fließend, darunter Latein und Spanisch. Französisch war und blieb ihre wichtigste Sprache. Mit sechzehn Jahren heiratete sie ihren Verlobten, der als FranzII. 1559 den französischen Thron bestieg, aber schon ein Jahr später starb. Marias Schwiegermutter Katharina von Medici hatte wenig für die hübsche junge Witwe übrig, zumal ihr Sohn Karl nun den Thron geerbt hatte. Im Jahre 1561 verließ Maria Stuart Frankreich und kehrte nach Schottland zurück. Es war ein religiös gespaltenes Land, in das sie zurückkam. Ihre Mutter Marie de Guise hatte es für ihn als Regentin bis zu ihrem Tod im Jahre 1560 verwaltet. Nun aber stand die streng katholische Maria einer starken protestantischen Opposition gegenüber, deren Anführer ihr illegitimer Halbbruder James Stewart, Earl of Moray, war, der während der Unruhen in Schottland 1570 ermordet wurde. Maria versuchte, sich durch alle Untiefen zu lavieren, enttäuschte aber die Katholiken im Lande, da sie ihren Halbbruder James Stewart zu ihrem Berater wählte, und war andererseits in den Augen der zum Teil fanatischen puritanisch geprägten Protestanten eine ständige Herausforderung. Ihr stärkster Gegner war der 1514 geborene Führer der protestantischen Bewegung in Schottland, John Knox, der nach Jahren des Exils unter anderem als Sträfling in Frankreich, später in England und in der Schweiz, in seine schottische Heimat zurückgekehrt war und nun mit aller Kraft den »Papismus« Marias und ihrer Familie bekämpfte. John Knox war Calvinist und in seinen Ansichten selbst für die zeitgleich in England regierende Königin ElizabethI. zu radikal, so dass sie ihm 1559 bei seiner Heimreise nach Schottland keine Papiere für eine Durchreise durch England gewährte. Bis zu seinem Tod im Jahre 1572 zählte Knox zu den unerbittlichsten Gegnern der schottischen Königin, obgleich er sogar durch die Ehe mit einer entfernten Cousine Marias seit 1564 weitläufig verwandt mit ihr war.

Die größte Problematik aber für Marias Leben als Königin von Schottland lag zweifelsohne in ihrer komplizierten Beziehung zu ihrer Cousine ElizabethI. von England, die ihrem früh verstorbenen Halbbruder EdwardVI. und ihrer Schwester MariaI., genannt »Bloody Mary«, aus der ersten Ehe HeinrichsVIII., 1558 auf den Thron gefolgt war. HeinrichII. von Frankreich hatte nach dem Tod MariasI. seine Schwiegertochter Maria Stuart zur Königin von England und Schottland proklamieren lassen, war sie doch in direkter Linie mit den Tudors über ihre Großmutter verwandt und galt vor allem bei der noch immer starken katholischen Bevölkerung Englands, die sich HeinrichVIII. und seiner »Church of England« widersetzte, als wahre Königin, die dem »protestantischen Spuk« ein Ende bereiten könne.

Doch die Geschichte, die auch Friedrich Schiller und Antonia Fraser, Stefan Zweig und viele mehr zu Prosawerken und Dramen inspirierte, zeigte einen völlig anderen Verlauf. Das lag vor allem an Marias unglücklichem Entschluss, ihren drei Jahre jüngeren Vetter Henry Stuart, Lord Darnley, zu heiraten. Das verärgerte sowohl ihre Cousine Königin Elizabeth, deren Untertan Darnley war, als auch die schottischen Protestanten unter James Stewart, Marias Halbbruder. Die hastig geschlossene Ehe Marias mit dem leichtsinnigen und labilen Darnley endete schließlich in einer Katastrophe. Kurz nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Jakob im Jahre 1566 distanzierte sich Maria von ihrem jungen Ehemann, der 1567 unter mysteriösen Umständen ermordet wurde. Allein dieser Komplott hat seit jeher die Phantasie der Öffentlichkeit beflügelt. Wie schuldig war Maria am Tod des ungeliebten Gatten? War sie Mitwisserin oder gar Auftraggeberin? Wahrscheinlich hatte sie von dem geplanten Mord gewusst, ihn aber wohl nicht selbst in Auftrag gegeben. Dieser Fall erinnert an die Ermordung Thomas Becketts, Schatzkanzler und Erzbischof von Canterbury, den einige übereifrige Barone im Dienste HeinrichII. von England im Jahre 1170 in seiner Kathedrale erschlagen hatten – angeblich, weil Becketts einstiger Freund und Förderer Heinrich den »lästigen Priester« loswerden wollte.

Nach dem Tod Darnleys begann Maria Stuarts Ansehen zu schwinden, vor allem, da sie einige Monate später James Hepburn, den vierten Earl of Bothwell, heiratete, der als Hauptdrahtzieher der Ermordung Darnleys galt. Er hatte Maria entführen lassen und bekam dafür anschließend nicht nur Absolution erteilt, sondern wurde nach einer raschen Scheidung von seiner Ehefrau von Maria zum Duke of Orkney ernannt und danach zum Ehemann genommen. Zweig vermutet hinter all diesem einen beispiellosen Skandal. Er schreibt darüber in »Maria Stuart«: »Man kann gar keine andere Erklärung für ihr wildes Hineinrennen in die Heirat mit Bothwell finden – und die Ereignisse werden diese Vermutung bestätigen–, als dass diese unglückliche Frau sich bereits schwanger wusste.« Doch mit dieser überhasteten Heirat mit James Bothwell, dem mutmaßlichen Mörder von Henry Darnley, hatte sie den Bogen überspannt. Es kam zum Aufstand, in dessen Folge Maria zur Abdankung zugunsten ihres Sohnes Jakob gezwungen wurde. Sie floh nach England, um bei Elizabeth Hilfe zu suchen. Vielleicht hätte sich das Blatt noch gewendet, da Elizabeth geneigt schien, ihrer Cousine wieder auf den schottischen Thron zu verhelfen – unter der Bedingung, dass Maria endgültig auf ihre Ansprüche auf die englische Krone verzichtete. Doch es folgten Monate der Auseinandersetzungen, der Intrigen, der politischen Zwistigkeiten und der machtpolitischen Kämpfe, in denen Maria schließlich den Kürzeren zog. Die Debatte um Schuld oder Unschuld der schottischen Königin spiegelt sich im ersten Akt von Schillers Drama »Maria Stuart« aus dem Jahr 1800 wider, wenn Marias alte Hebamme Hannah Kennedy mit dem Ritter Amias Paulet über die inzwischen inhaftierte Maria diskutiert:

Paulet.Sie kam ins Land als eine Mörderin,

Verjagt von ihrem Volk, des Throns entsetzt,

Den sie mit schwerer Greueltat geschändet.

Verschworen kam sie gegen Englands Glück,

Der spanischen Maria blut›ge Zeiten

Zurückzubringen, Engelland katholisch

Zu machen, an den Franzmann zu verraten.

Warum verschmähte sie›s, den Edinburger

Vertrag zu unterschreiben, ihren Anspruch

An England aufzugeben und den Weg

Aus diesem Kerker schnell sich aufzutun

Mit einem Federstrich? Sie wollte lieber

Gefangen bleiben, sich mißhandelt sehen,

Als dieses Titels leerem Prunk entsagen.

Weswegen tat sie das? Weil sie den Ränken

Vertraut, den bösen Künsten der Verschwörung,

Und unheilspinnend diese ganze Insel

Aus ihrem Kerker zu erobern hofft.

Kennedy. Ihr spottet, Sir– Zur Härte fügt Ihr noch

Den bittern Hohn! Sie hegte solche Träume,

Die hier lebendig eingemauert lebt,

Zu der kein Schall des Trostes, keine Stimme

Der Freundschaft aus der lieben Heimat dringt,

Die längst kein Menschenangesicht mehr schaute

Als ihrer Kerkermeister finstre Stirn,

Die erst seit kurzem einen neuen Wächter

Erhielt in eurem rauhen Anverwandten,

Von neuen Stäben sich umgittert sieht –2

Als Maria Stuart schließlich des Hochverrats angeklagt und 1587 in Fotheringhay Castle hingerichtet wird, scheint damit von England eine große Gefahr abgewendet. Doch selbst in ihrer Todesstunde, in der sie gesagt haben soll »In meinem Ende liegt mein Anbeginn«, zeigt diese Frau, der Friedrich Schiller in seinem Drama bei aller Kritik ebenso Achtung zollt wie Stefan Zweig, der die letzten Minuten der schottischen Königin als einen großen Auftritt schildert, eine beeindruckende Größe. Im vierundzwanzigsten Kapitel des erstmals 1935 erschienenen Werkes »Maria Stuart« von Stefan Zweig heißt es:

En ma fin est mon commencement, diesen damals noch nicht ganz verständlichen Spruch hatte Maria Stuart vor Jahren in eine brokatene Arbeit eingestickt. Nun wird ihre Ahnung wahr. Erst ihr tragischer Tod ist der wahre Anbeginn ihres Ruhms, nur er wird vor den Augen der Nachwelt ihre jugendliche Schuld tilgen, ihre Fehler verklären. Mit Umsicht und Entschlossenheit bereitet sich die Verurteilte seit Wochen auf diese äußerste Prüfung vor. Zweimal hatte sie selbst als junge Königin zusehen müssen, wie ein Edelmann unter dem Beil stirbt, also früh schon erfahren, daß das Grauen eines solchen unrettbaren unmenschlichen Aktes nur überwunden werden kann durch heroische Haltung. Die ganze Welt und die Nachwelt, Maria Stuart weiß es, werden ihre Haltung prüfen, wenn sie als die erste gesalbte Königin den Nacken über den Block beugt, jedes Zucken, jedes Zaudern, jedes feige Erblassen in dieser entscheidenden Minute wäre Verrat an ihrem königlichen Ruhm. So sammelt sie still in diesen Wochen des Wartens all ihre innere Kraft. Auf nichts im Leben hat sich die sonst impulsive Frau so ruhig und zielbewußt vorbereitet wie auf diese ihre letzte Stunde.3

Ob die Hinrichtung Marias eine moralische oder politisch zwingende Grundlage besaß, ist nach wie vor fraglich. Zweig sieht diesen Vorgang als einen moralisch völlig unentschuldbaren Akt, staatspolitisch jedoch – zumindest von englischer Warte – als rechtmäßig. Denn Frieden und wachsender Wohlstand, den England in den fünfundzwanzig weiteren Jahren unter seiner Königin Elizabeth erleben durfte, wären wohl mit der steten Irritation durch Marias Ringen um die Kronen beider Länder und den damit verbundenen Aufständen, Unruhen und Intrigen undenkbar gewesen. Selbst die spanische Armada, die 1588, ein Jahr nach Maria Stuarts Hinrichtung, vor der Küste Englands auftauchte, konnte den Aufwärtstrend des elisabethanischen Englands nicht mehr verhindern.

Was dann 1603 folgt, ist fast schon als Ironie der Geschichte zu bezeichnen: Elizabeth, die sicher auch eine Mitschuld am Ende ihrer Cousine Maria trug, stirbt kinderlos. Und nun wird ausgerechnet Marias einziger Sohn Jakob, den sie mit ihrem Vetter Darnley hatte und der seit 1567JakobVI. König von Schottland war, zu JakobI.König von England ernannt und vereint in seiner Person somit beide Königreiche. Stefan Zweig schildert diesen Augenblick, da der Sohn von Maria Stuart, der seine Mutter zuletzt als kleines Kind gesehen hatte, die »jungfräuliche« Königin Elizabeth beerbt:

JamesVI. von Schottland ist in dieser Stunde endlich zugleich König von England, endlich JamesI. geworden. Im Sohne Maria Stuarts sind die beiden Kronen für immer vereint, der unselige Kampf vieler Geschlechter zu Ende. Dunkle und krumme Wege geht oft die Geschichte, aber immer erfüllt sich endlich der historische Sinn, immer erzwingen die Notwendigkeiten schließlich ihr Recht.4

Diese Zusammenführung zweier Königreiche in der Gestalt JakobsI., der die beiden Häuser Tudor und Stuart miteinander vereinte, war die erste der Personalunionen zwischen 1603 und 1714, gefolgt von einer zweiten zwischen Holland und England 1689 durch Wilhelm von Oranien und seiner Frau Maria, Tochter von JakobII., und schließlich zwischen England, Schottland und den Kurlanden Hannover im Jahre 1714 durch Kurfürst Georg Ludwig, dem ersten Georg auf dem englischen Thron.

Dass knapp einhundertelf Jahre nach der Thronbesteigung Jakobs erneut die »historischen Notwendigkeiten« wiederum andere Fakten erzwingen würden, konnte niemand ahnen, als der siebenunddreißigjährige König Jakob 1603 in den Palast von Whitehall einzog, und es schien, als sei damit die Zukunft des englischen Herrscherhauses endlich entschieden und dank der geeinten Reiche und der neuen Dynastie auf einem geraden Weg durch die Jahrhunderte. Doch dem entgegen wirken andere Kräfte, wie es auch der deutsche Historiker Heinrich von Treitschke im 19.Jahrhundert angesichts des steten Wandels der Geschichte und ihrer Protagonisten so treffend formuliert hat:

KAPITEL EINS

WIE ES DAZU KAM

1.Die Welfen

Das 17.Jahrhundert war ein Jahrhundert der Kriege, der religiösen Auseinandersetzungen, des Wetteiferns um die besten Handelsbeziehungen, um territoriale Veränderungen, aber auch der gesellschaftlichen Neuorientierung. Wer sich mit der Personalunion zwischen dem Kurfürstentum Hannover und Großbritannien befasst, muss auch einen Blick auf das 17.Jahrhundert werfen, in dem unter anderem zweiundzwanzig Kriege auf dem europäischen Festland tobten, darunter vor allem der Dreißigjährige Krieg zwischen 1618 und 1648.Insbesondere in Norddeutschland führten die Scharmützel und verheerenden Plünderungen zu drastischen Veränderungen in der Wirtschaft und den gesellschaftlichen Strukturen und auch die heute im modernen Bundesland Niedersachsen verorteten Herzogtümer bekamen das volle Ausmaß dieses unbarmherzigen Krieges zu spüren. Im Jahre 1625 schrieb Herzog Friedrich Ulrich von Wolfenbüttel an den Kaiser:

Ämter, Klöster, Städte, adelige Häuser, Flecken und Dörfer sind ganz ausgeplündert, Kisten, Kasten aufgehauen, alle Pforten, Fenster, Stühle, Bänke und anderer Hausrat vernichtet, aus- und entzwei geschmissen… die Kirchen, Kapellen und Armenkasten wurden aufgebrochen, den Kirchenornat an Kelch, Monstranz, Messgewand und heiligem Zierrat, neben allem anderen, so darin befanden, herausgeraubt, dieAltar- und Taufbecken profaniert… die Messbücher zerrissen…, die Gräber eröffnet und durchsuchet, das Kupfer und Blei von Kirchtüren abgedeckt und weggenommen, und etliche schöne Bibliotheken verbrannt.6

Johann Tilly, einer der bedeutendsten Heerführer der katholischen Liga, nahm 1626 das Fürstentum Calenberg mit Ausnahme von Hannover und Braunschweig ein. Erst 1637 gelang es dem auf schwedischer Seite kämpfenden Herzog Georg, der seinem Bruder Herzog August dem Älteren nachfolgte, das Fürstentum, später als »Kernland Hannovers« bezeichnet, zurückzuerobern. Er verlegte seine Residenz nach Hannover. Nach seinem Tod 1641 schloss das Fürstentum Calenberg-Göttingen mit dem Kaiser einen Separatfrieden, der es aber das durch frühere Verträge erworbene Gebiet um Hildesheim kostete. Erst 1815 sollte beim Wiener Kongress über dieses Gebiet neu verhandelt und dem Königtum Hannover zugeschlagen werden.

Nach den älteren Brüdern gelangte schließlich Georgs Sohn Ernst August an die Regierung und führte die erfolgreiche Politik seines Vaters weiter. Belohnt wurden seine Aktivitäten 1692 mit der neunten Kurwürde im Reich. Als Herzog von Braunschweig-Lüneburg vereinigte Ernst August ein stattliches Territorium unter seiner Herrschaft. Der offizielle Name dieses Kurfürstentums, dessen Wahlspruch die stolzen Worte trug »Nec aspera terrent« (auch Widrigkeiten schrecken nicht), lautete »Chur-Braunschweig-Lüneburg«. Damit erreichten die recht komplizierten Erbfolgevorgänge in den Herzogtümern der Welfen ein vorläufiges Ende. Bereits 1682 hatte Ernst August für sein Land das Gesetz der Primogenitur, also das Erbrecht des Erstgeborenen, eingeführt, was bedeutete, dass sein ältester Sohn Georg Ludwig, geboren 1660, als Nachfolger feststand. Die im alten salischen Recht verwurzelte Primogenitur wiederum galt als eine der Voraussetzungen zur Erlangung der Kurwürde. Diese auf inzwischen neun Reichsfürsten beschränkte Sonderstellung ermöglichte es, an der Wahl des deutschen Kaisers teilzunehmen. Ursprünglich waren es nur sieben Kurfürsten gewesen, denen dieses Recht zustand. Doch 1623 war noch Bayern hinzugekommen, von Hannover 1692 gefolgt.

Ernst August war damit ein geschickter Schachzug gelungen. Er hatte Kaiser LeopoldI.Waffenhilfe im Pfälzischen Erbfolgekrieg von 1688 bis 1697 gegen Frankreich geleistet, in einem dieser zweiundzwanzig größeren Kriege des 17.Jahrhunderts, die auf Jahrzehnte hin zu immer wieder neuen dramatischen Veränderungen in den machtpolitischen Verhältnissen führen sollten. Die Gründe für die immer wieder gärenden Konflikte, die ab dem 17.Jahrhundert ganz Europa in Flammen setzten, mögen uns heute fast lächerlich erscheinen, geht es doch sehr häufig um Erbansprüche zwischen Verwandten, um familiäre Kontroversen – so auch bei den Welfen und ihren Streitereien um die diversen Herzogtümer im Gebiet des heutigen Niedersachsens. Doch hinter diesen Eskalationen der Gewalt verbergen sich lang schwelende Konflikte um Gebietsansprüche und um das Streben nach einem Gleichgewicht der Mächte in Europa. Das hatte schon im 17.Jahrhundert sogar Auswirkungen bis in die überseeischen Besitzungen der Weltmächte Holland, Frankreich, Spanien und zunehmend England. Und es ging auch immer wieder um religiöse Differenzen, hinter denen sich Machtinteressen verbargen – auch in unserer Zeit sehr vertraute Motive für Aufruhr, Krieg und Revolutionen.

Verstrickt in diesen Krieg um die Erbfolge in der Pfalz, auf die Frankreich unter LudwigXV. Anspruch erhob, war auch das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg. Denn Ernst August war mit Sophie von der Pfalz verheiratet, der Tochter des protestantischen pfälzischen Kurfürsten FriedrichV., des so genannten »Winterkönigs«. Friedrich, Pfalzgraf bei Rhein und Kurfürst, hatte im August 1619 die böhmische Königskrone aus den Händen der protestantischen Stände angenommen und wurde am 4.November 1619 im Prager Veitsdom gekrönt. Das konnte nicht gut enden, denn dieser Griff nach der Krone brachte Friedrich auf Kollisionskurs mit Kaiser und Reich. In der Schlacht am Weißen Berg wurde er am 8.Februar 1620 nach nicht einmal einem Jahr Regierungszeit von den kaiserlichen Truppen unter den Grafen Buquoy und Tilly vernichtend geschlagen:

Sein Reich war nit von dieser Welt

Darumb er bald zu boden felt.

Wo felt er hin? Ins tieffe Möhr/

Verlassen von seim gantzen Heer/7

Den Namen »Winterkönig« erhielt er als Verspottung seiner kurzen Karriere als böhmischer Herrscher. Nach diesem Fiasko ereilten Friedrich weitere Schicksalsschläge. Unter dramatischen Umständen war ihm die Flucht in die Niederlande gelungen, wo er in Den Haag eine Exilregierung ausrief. In Rhenen ließ er sich einen herrschaftlichen Sitz erbauen. Dennoch strebte er danach, wieder in die Pfalz zurückzukehren, um sein Land erneut zu regieren. Im Jahre 1631 standen die Zeichen günstig, da König Gustav Adolf von Schweden Tilly in der Schlacht bei Breitenfeld vernichtend schlug und die Stadt Oppenheim eroberte. Doch in der Nachfolge kam es erneut zu Schwierigkeiten, vor allem, da Gustav Adolf Friedrich die Pfalz nur als Lehen und nicht als eigenständiges Fürstentum anbot. Als England sich 1632 endlich bereiterklärte, Friedrich, den Schwager König KarlsI., zu unterstützen, kam dieses Angebot zu spät. Der Schwedenkönig fiel am 16.November 1632 in der Schlacht von Lützen, Friedrich starb dreizehn Tage später an einem Infekt. Er wurde sechsunddreißig Jahre alt. Dass ihn KarlI. nur zögerlich unterstützt hatte, bedeutete für Friedrich, der durch seine Heirat mit den Stuarts verwandt war, eine weitere schwere Niederlage, die in diesem Volksgedicht einen sehr direkten Ausdruck gefunden hatte:

Helff Gott dem armen Friderich

Er kompt doch nimmer uber sich.

Mit Elisabeth Stuart, der einzigen Tochter von JakobI. von England, Schottland und Irland, hatte »der arme Friedrich« dreizehn Kinder, darunter als zwölftes Kind die Tochter Sophie, die Ernst August von Braunschweig-Lüneburg heiratete. Sophies Nichte Liselotte, Tochter ihres Bruders, des Nachfolgers von FriedrichV., Kurfürsten Karl Ludwig, wurde aus politischem Kalkül mit dem Bruder des französischen Königs vermählt, dem Herzog von Orleans. Liselottes Nachruhm beruht vor allem auf den Briefen, die sie über das Leben am französischen Hof schrieb, die dank ihrer scharfen Beobachtungsgabe und ihres Humors noch heute lesenswerte Schilderungen der Torheiten und Intrigenspiele hinter den Kulissen gesellschaftlichen Treibens sind. Auch ihre eigene Rolle sah Liselotte, die als junges Mädchen gelegentlich ihre Tante Sophie in Hannover besucht hatte, eher kritisch: »Madame sein ist ein ellend Handwerck«, schrieb sie, die sich in ihrer unglücklichen Ehe als Gefangene und am Hof isoliert fühlte. Als Liselottes Bruder KarlII. Ludwig 1685 nach fünf Jahren Regierung kinderlos starb und damit die protestantische Wittelsbacher Linie Pfalz-Simmern in männlicher Linie erlosch, fiel die Pfalz an die katholische Linie Pfalz-Neuburg – und der neue Kurfürst Philipp Wilhelm war kein Freund Frankreichs. LudwigXIV. erhob im Namen seiner Schwägerin Liselotte Ansprüche auf die Pfalz – und schon brach ein zermürbender jahrelanger Krieg aus, in dessen Folge Heidelberg sowie weite Teile der Pfalz zerstört wurden und die Kriegsschauplätze sich auch in andere Länder wie in die Niederlande, nach Spanien und in die neuen Kolonien jenseits des Atlantiks und auf das Meer verlagerten. Dort kam es unter anderem zur berühmten Seeschlacht bei La Hougue 1692, bei der die französische Flotte entscheidend geschwächt wurde. 1697 setzte der Frieden von Rijswijk diesem Ringen um die Vorherrschaft in Europa und auf den Meeren ein Ende.

Frankreich hatte den Anspruch auf die Pfalz nicht durchsetzen können. Aber schon drei Jahre nach dem Frieden von Rijswijk brach der nächste Erbfolgekrieg aus, bedingt durch den Tod des spanischen Königs und den erneuten Anspruch LudwigsXIV. auf den spanischen Thron für seinen Enkel. Liselottes Briefe an die Markgräfin Amalia Elisabeth von der Pfalz drücken die Sorge der vereinsamten Schwägerin LudwigXIV. aus. Im November 1701 schreibt Liselotte:

Ich fürchte, zu kunfftig jahr werdet Ihr den krig näher haben, alß in Ittalien. Wer in dießem landt nicht spilt, muß all sein leben die parthey nehmen, nicht hinter dem offen zu sitzen (den es seindt keine offen hir im landt), aber woll camin; dahinter sitzt man, gantz einsam undt allein, undt wer es noch waß, wen man artige rätzelger hören könte.8

In der öffentlichen Wahrnehmung, vor allem aus deutscher Sicht, schadeten die Brandschatzung und vor allem die Zerstörung Heidelbergs dem Ansehen Frankreichs auf sehr lange Zeit. Insbesondere die Truppen unter General Ezéchiel de Mélac (1630–1704) wüteten mit größter Brutalität und hinterließen eine Spur der Verwüstung. Der Begriff »Lackel« für einen ungehobelten, groben Menschen soll sich nach einer Interpretation auf den Namen Mélac zurückführen – zumindest war es in der Pfalz und in Baden bis ins 20.Jahrhundert durchaus üblich, seinen Hund »Mélac« zu rufen.

2.England

Auch für England hatte der Frieden von Rijswijk 1697 durchaus politische Konsequenzen, die auch hier den Schlusspunkt in einer langen Geschichte von Auseinandersetzungen und eines komplexen politischen Schachspiels bildeten. Begonnen hatte das Jahrhundert mit der Thronbesteigung JakobsI., dessen einzige Tochter Elisabeth den Pfälzer Kurfürsten trotz einiger Widerstände am englischen Hof geheiratet hatte – Jakobs Frau, Anna von Dänemark, erschien zum Beispiel der junge Friedrich nicht standesgemäß für ihre Tochter. Jakob mag kein starker Herrscher wie seine Vorgängerin Elizabeth gewesen sein. Aber er war immerhin ein Freund der schönen Künste, förderte Theater und Musik – es war das Zeitalter Shakespeares – und ließ die Bibel ins Englische übersetzen. Die »King James Bible« erschien erstmals 1611 als Gemeinschaftswerk der Church of England und den stärker calvinistisch puritanisch gesinnten Kreisen, zu denen auch Jakob zählte.

Obgleich er sich durchaus als Teil des protestantisch gesonnenen Englands fühlte, zögerte Jakob dennoch 1618/​19, an der Seite der protestantischen Fürsten am Dreißigjährigen Krieg teilzunehmen. Denn sein Traum war letztlich eine Einheit der Religionen, so wie er auch von einem Vereinigten Königreich bestehend aus England, Schottland und Irland träumte. Manche seiner Träume versuchte er gezielt umzusetzen, etwa die Siedlungspolitik in Irland, insbesondere im nördlichen Teil, wo er die traditionell katholischen Grundbesitzer durch Engländer und Schotten aus dem südwestlichen Schottland ersetzte. Was als Taktik zur Befriedung des Landes zunächst Erfolge zeigte, sollte sich in späteren Jahrzehnten als sehr konfliktträchtig erweisen. Der heute noch immer schwelende Nordirlandkonflikt, der vordergründig auf den Religionskonflikt zwischen Katholiken und Protestanten zurückzuführen ist, reicht in diese Zeit um 1620 zurück.

Als JakobI. starb, folgte ihm sein zweitältester Sohn Karl auf den Thron. Dessen älterer Bruder Heinrich war 1612 mit achtzehn Jahren gestorben. Karl, ein schüchterner junger Mann, der zeitlebens zum Stottern neigte, übernahm das schwere Amt, das vor allem durch die hohen Staatsschulden Jakobs belastet war. Am 27.März 1625 wurde Karl als zweiter König aus dem Haus Stuart gekrönt. Er war fünfundzwanzig Jahre alt, seine Mutter war seit sechs Jahren tot. Jakob war ihm zwar ein guter Vater gewesen, doch Freunde hatte Karl nur wenige, unter ihnen der galante, umschwärmte Favorit seines Vaters, Buckingham. Eigentlich hatte Karl eine spanische Prinzessin heiraten wollen. Doch die wies ihn als »Ketzer« ab. Seine zweite Wahl fiel auf die Schwester von LudwigXIII. von Frankreich, Henriette Maria, die er nur zwei Monate nach seiner Thronbesteigung heiratete. Trotz dieser Eheschließung und damit verwandtschaftlichen Beziehung zu Frankreich führte Karl Krieg gegen Frankreich und Spanien. Bei dem Streit mit Spanien von 1625 bis 1630 ging es vor allem um das Erbland seines Schwagers Friedrich von der Pfalz und ganz allgemein um die protestantische Sache, wobei ein nach Deutschland entsandtes englisches Heer nichts erreichte. Auch die Auseinandersetzung mit Frankreich um die Erfüllung bestimmter Klauseln im Ehevertrag mit Henriette, denen sich Henriettes Bruder Ludwig widersetzte, endete in einem Fiasko. In Alexandre Dumas’ Roman »Die drei Musketiere« decken die vier Helden eine Intrige Kardinal Richelieus gegen die Frau des Königs, Anna von Österreich, und Buckingham rechtzeitig auf. Hinter der Intrige steckt »Mylady«, eine böse Intrigantin, die einst mit Athos verheiratet war. Er durchschaut ihr Spiel:

Hört! Ihr habt die zwei diamantenen Nestelstifte von der Schulter des Herzogs von Buckingham geschnitten; – Ihr habt Madame Bonacieux entführen lassen; – Ihr habt, in den Grafen von Wardes verliebt, und im Glauben diesen zu empfangen, d’Artagnan Eure Thüre geöffnet; – Ihr wolltet Wardes, weil Ihr glaubtet, er habe Euch betrogen, durch seinen Nebenbuhler tödten lassen; – Ihr wolltet, als dieser Nebenbuhler Euer schmachvolles Geheimniß entdeckt hatte, ihn ebenfalls durch Meuchler, die ihr ihm nachschicktet, ermorden lassen; – Ihr habt, als Ihr sahet, daß die Kugeln den Mann verfehlten, vergifteten Wein mit einem falschen Brief geschickt, um Euer Opfer glauben zu machen, er komme von seinen Freunden; – Ihr habt endlich in diesem Zimmer, auf dem Stuhle, wo ich jetzt sitze, vorhin gegen den Kardinal die Verbindlichkeit übernommen, den Herzog von Buckingham ermorden zu lassen und zwar nachdem Ihr ihm das Gegenversprechen abgenommen, d’Artagnan zum Tode zu befördern.9

In der Realität erlebte Buckingham etliche politische Fehlschläge, die in einem Misstrauensvotum des Parlaments gipfelten. Dies bewirkte, dass die von Karl geforderten Gelder aus Zoll- und Steuereinnahmen zur weiteren Kriegsführung nur für jeweils ein Jahr bewilligt wurden. Das führte dazu, dass der König nicht nur die Mitgift seiner Frau einkassierte, sondern Einnahmen ohne Zustimmung des Parlaments zu suchen begann. Dass die Lage in England in jener Zeit eskalierte, wundert nicht, zumal der König sich immer stärker vom Protestantismus abwandte und sich dem katholischen Ritus anzunähern begann. Auf dem berühmten Gemälde »KarlI. hoch zu Ross« des flämischen Malers Anthonis van Dyck, der am Hofe des Stuartkönigs eine Reihe von Porträts schuf, wirkt der König wie eine Mischung aus dem Heiligen Georg, dem Schutzheiligen Englands, und einem Kaiser, der stolz in dunkler Rüstung auf einem prächtigen Pferd reitet, dabei aber einen sehr melancholischen Gesichtsausdruck trägt. Im Jahr 1970 verkörperte der große britische Darsteller Sir Alec Guinness König Karl in dem Film »Cromwell«. Der Schauspieler, ein Meister der Verwandlung, sieht in diesem Film dem Porträt van Dycks geradezu unheimlich ähnlich. Der wehmütige Ausdruck in den Augen des Königs ließe sich im Rückblick als Zeichen dafür interpretieren, dass der König, der im ständigen Konflikt mit seinem Parlament lag, bereits ahnte, wie schicksalhaft sein Königsamt auf ihm lasten werde.

In der Tat entließ Karl 1629 das Parlament und regierte mehr als zehn Jahre ohne dieses im englischen System verankerte Regulativ. Allerdings berief er es 1640 notgedrungen wieder ein, als er es zur Unterstützung gegen die Schotten benötigte. Eine schottische Armee marschierte auf England zu, nachdem Karl versucht hatte, dort die etablierte presbyterianische Kirche durch die von ihm favorisierte Church of England zu ersetzen. Als »Kurzes Parlament« ging diese Sitzungsperiode in die Annalen ein, da der König es schon nach wenigen Tagen wieder auflöste. Am 3.November desselben Jahres trat es wieder zusammen, diesmal für insgesamt zwanzig Jahre, was ihm den Namen »Langes Parlament« einbrachte. In dieser Zeitspanne, an deren Anfang Karl noch versucht hatte, seine Krone zu retten, fallen die beiden englischen Bürgerkriege, von denen der erste durch Aufstände in Irland ausgelöst wurde. Die katholische Bevölkerungsmehrheit erhob sich gegen die protestantische – presbyterianische – Minderheit, die einst aufgrund der Siedlungspolitik JakobsI. nach Irland gekommen war. Das Parlament erklärte sich bereit, Geld für die Erstellung eines Heeres zur Unterwerfung des Aufstandes zu bewilligen. Doch 1641 brach das langgehegte latente Misstrauen gegen den König aus, da man fürchtete, er könne die Armee gegen das Parlament einsetzen.

In einer Protestnote, der Großen Remonstranz, die unter Leitung des Staatsmannes John Pym erstellt worden war, ging es um eine Fülle von Vorhaltungen gegen Karl und seine Regierungsweise. Als diese Remonstranz mit knapper Mehrheit angenommen wurde, versuchte Karl 1642John Pym im Unterhaus zu verhaften. Damit hatte der schlecht beratene König gegen alle Regeln verstoßen. Er stieß auf erbitterten Widerstand auch in der Bevölkerung und musste fliehen. In Oxford sammelte er seine »Cavaliers« genannten Truppen um sich, deren große federgeschmückte Hüte ihnen ein elegantes Aussehen verliehen. Darin unterschieden sie sich stark von der Aufmachung der »Roundheads«, den Truppen unter Führung von Oliver Cromwell. Dank seiner überlegenen Strategie und seiner für damalige Zeiten modernen Armee, deren leichte Kavallerie, die »Ironsides«, bestehend aus idealistisch gesinnten, tiefgläubigen Puritanern, siegte Cromwell über die königlichen Truppen. Auch alles Taktieren mit den Schotten und sein Versuch, das Parlament wieder für sich zu gewinnen, nützten dem unglücklichen König wenig. Geplante Verhandlungen mit Cromwell und seinen Puritanern scheiterten schon im Vorfeld unter anderem an religiösen Fragen, und als dann im zweiten Bürgerkrieg, bei dem Karl von einer schottischen Armee unterstützt wurde, Cromwells Truppen sich erneut als überlegen erwiesen, war das Schicksal KarlsI. besiegelt. Er wurde, ähnlich wie seine Großmutter Maria Stuart zweiundsechzig Jahre zuvor, des »Hochverrats« bezichtigt. Am 30.Januar 1649 fand die Hinrichtung statt. Wie Zeitzeugen berichteten, trat der König seinen letzten Gang mit großer Würde an. Dass die Stuarts mit Größe zu sterben wussten, bestätigte auch Karl einmal mehr. Seine letzten Worte waren: »Ich tausche eine korrupte Krone gegen eine nicht korrupte Krone ein, und gehe dorthin, wo nichts mich mehr stören noch behindern kann.«10

KarlI. mag zwar kein großer Staatsmann gewesen sein, da ihm die Einsicht in politische Notwendigkeiten häufig fehlte und er sich als König zumindest für englische Verhältnisse zu sehr im Rahmen des Absolutismus bewegte, der auf dem Kontinent noch selbstverständlich war. Doch andererseits war er ein tief gläubiger Christ, hin- und hergerissen zwischen seiner streng puritanischen Erziehung und seiner Annäherung an den Katholizismus, dessen Sinn für Kunst und dessen Liturgie ihn faszinierten. Allerdings wagte er trotzdem nicht den letzten Schritt zur Konversion. Er förderte Baumeister wie Inigo Jones und Dramatiker wie Ben Jonson, war anscheinend ein liebevoller Ehemann und Vater. Zwei seiner Kinder sollten später nach dem gut zwölf Jahre währenden republikanischen Zwischenspiel unter Oliver Cromwell und seinen Puritanern den Thron besteigen: KarlII., der 1660 aus dem französischen Exil zurückkehrte und bis 1685 regierte, gefolgt von seinem Bruder Jakob

KAPITEL ZWEI

1.Englands Wandel unter den Stuarts 1660 bis 1688

»Er war ein gerissener Politiker und ein gewitzter Lügner. Zwar ähnelte er in seiner Trägheit seinem Vater Karl und seinem Großvater Jakob, aber dennoch konnte er in Krisen entschlusskräftig und effektiv sein.«11 So beschreibt die schottische Historikerin Antonia Fraser in ihrem 1975 erschienenen Werk »The Lives of the Kings and Queens of England« König KarlII., den sie gleichzeitig als »sehr menschlich und großzügig« schildert. Um die Figur von KarlII., der mit dreißig Jahren das Erbe seines Vaters antrat, ranken sich viele Anekdoten und Geschichten. Aufgewachsen in familiärer Harmonie, da seine Eltern nach anfänglichen Schwierigkeiten zueinander fanden, hatte Karl bis zu seinem zwölften Lebensjahr ideale Voraussetzungen, um seine Gaben zu entwickeln. Die Gemälde von Anthonis van Dyck, dem flämischen Maler am Hofe von KarlI., zeigen eine in sich ruhende Familie, über die noch nicht der Schatten der nahenden politischen Katastrophe lastet. Der junge Karl war erst zwölf Jahre alt, als der Bürgerkrieg ausbrach und sein Vater ihn mit auf die zunächst erfolgreichen militärischen Kampagnen nahm. Bei der Schlacht von Edgehill im südlichen Warwickshire, bei der Karls Kavaliere siegten, war auch der junge Karl dabei. Auch in Cornwall nahm er am Feldzug teil und wurde mit erst vierzehn Jahren Kommandant.