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Venedig, blau glitzernde Lagunenstadt. Eine junge Frau auf der Suche nach ihrer Bestimmung. Und ein Geheimnis, das darauf wartet, ans Licht zu kommen ...
Die 23-jährige Juliet hat ein ungewöhnliches Talent: Sie kreiert die filigransten Kunstwerke aus Glas. Als sie die Zulassung zu Muranos renommierter Glasbläserschule erhält, ist ihre Freude grenzenlos.
Dort angekommen, lernt sie Marcus kennen, der ihr aus der Patsche hilft, als sie vor ausgebuchten Hotels steht und alles schief zu gehen scheint. Marcus zeigt ihr die atemberaubenden Schönheiten seiner Stadt entlang der glitzernden Wasserstraßen, und die beiden empfinden immer mehr Zuneigung füreinander. Als Juliet wenig später ein rätselhaftes Symbol auf der Kette entdeckt, die sie von ihrer Kinderfrau geschenkt bekommen hat, gibt dies den Anstoß für eine Spurensuche, die alles verändert …
Mehr sommerliche Wohlfühlromane vor der traumhaften Kulisse Italiens von Cristina Caboni:
Die Gartenvilla
Die Glücksmalerin
Die Insel der Honigtöchter
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Seitenzahl: 492
Buch:
Die 23-jährige Juliet hat ein ungewöhnliches Talent: Sie kreiert die filigransten Kunstwerke aus Glas. Als sie die Zulassung zu Muranos renommierter Glasbläserschule erhält, ist ihre Freude grenzenlos.
Dort angekommen, lernt sie Marcus kennen, der ihr aus der Patsche hilft, als sie vor ausgebuchten Hotels steht und alles schief zu gehen scheint. Marcus zeigt ihr die atemberaubenden Schönheiten seiner Stadt entlang der glitzernden Wasserstraßen, und die beiden empfinden immer mehr Zuneigung füreinander. Als Juliet wenig später ein rätselhaftes Symbol auf der Kette entdeckt, die sie von ihrer Kinderfrau geschenkt bekommen hat, gibt dies den Anstoß für eine Spurensuche, die alles verändert …
Autorin:
Cristina Caboni lebt mit ihrer Familie auf Sardinien, wo sie Bienen und Rosen züchtet. Ihr Debütroman Die Rosenfrauen verzauberte die Leser weltweit und stand in Deutschland wochenlang auf der Bestsellerliste. Auch ihre weiteren Romane bewegen und begeistern mit atmosphärischen Details und jeder Menge Italienflair. Mit Der Zauber der Lagune, ihrem zehnten Buch, entführt uns Cristina Caboni ins wunderschöne Venedig.
Von Cristina Caboni bereits erschienen:
Die Rosenfrauen · Die Honigtöchter · Die Oleanderschwestern · Der Zauber zwischen den Seiten · Die Seidentöchter · Die Gartenvilla · Das Versprechen der Rosenfrauen · Die Glücksmalerin · Die Insel der Honigtöchter
Cristina Caboni
Roman
Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler
Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »La collana di cristallo« bei Garzanti Libri, Mailand.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
Copyright der Originalausgabe © 2023 by Cristina Caboni
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Daniela Bühl
Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de
KW · Herstellung: sam
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-31682-2V001
www.blanvalet.de
Für die Rebellen.Für die Sonderlinge.Für die Freigeister, die mutig zum Rhythmus der eigenen Musik tanzen.Dieses Buch ist für euch.
»Adieu, Worte aus Glas.Die Poeten sind Gefäße aus Murano,wunderschön anzusehen, aber hauchzart.Jemand hat dir den Atem geraubt,jemand hat dein Herz berührt.«
Alda Merini
Der Sonnenuntergang färbt den Himmel über Murano rot wie Rubin, violett wie Amethyst und blau wie Saphir. Und nach Edelsteinen benennen die Glasbläser auch die Farben, um ihnen noch mehr Kostbarkeit zu verleihen.
Marietta Barovier bewundert noch kurz das Farbenspiel, während sie darauf wartet, dass auch die letzten Arbeiter die Werkstatt verlassen. Die Frau, Sproß einer Familie berühmter Glaskünstler, verabschiedet sie und verschließt das Tor.
Dann eilt sie zu den Öfen zurück, der lange Seidenrock schleift über den Boden, und zündet die Kerzen an. Bald würde es Nacht, sie muss sich beeilen.
Nachdem sie den Ofen bestückt hat, starrt sie in die Flammen.
»Noch einen Moment.«
Ihre Finger umklammern den Blasebalg. Sie weiß, dass sie nicht mehr allein ist, eine Erkenntnis, die ihr Herz schneller schlagen lässt. Aber sie dreht sich nicht um. Sie weiß, wer ihre Einsamkeit stört. Sie spürt alles von ihm, seine Präsenz, seinen Geruch, sogar seinen Atem.
»Du bist zu spät.«
»Dein Vater wollte mich nicht gehen lassen, ich musste warten, bis er eingeschlafen war.«
Sie nickt, löst den Blick aber nicht von den Flammen. »Gehen wir an die Arbeit, es wird Zeit.«
»Wie Sie wünschen, Signora.«
Sie genießt seine Stimme, seine Freundlichkeit, das warme fremdländische Timbre. Doch das, was sie am meisten an ihm anzieht, würde auch sein Todesurteil bedeuten, wenn jemand herausfinden würde, dass er Glas bearbeitet.
Venedig kennt kein Erbarmen. Nur wer in der Lagunenstadt geboren ist, hat das Recht, den Blasebalg zu bedienen.
Das Verlangen hat spitze Zähne, die sie packen, ihren Willen schwächen. Aber sie darf nicht nachgeben, und sie wird es auch nicht.
Während Zorzi Ballarin, der Gehilfe ihres Vaters, der einzige Mann, dem sie jemals vertraut hat, seinen Platz vor dem Feuer einnimmt, geht sie zum Tisch zurück. Sie schaut ihm beim Arbeiten zu, ist begeistert von seiner Intuition, seiner Handwerkskunst. Er erzählt ihr von seinen Träumen, sie hört ihm zu … und träumt dabei selbst.
Hin und wieder beugt sie sich über ihr Notizbuch und hält schriftlich einen Arbeitsschritt fest.
Endlich liegt die Glasperlenkette, an der sie in den vergangenen Wochen gemeinsam viele Stunden gearbeitet haben, in einem Aschebett.
»Wunderschön.«
»Ja, das ist sie.« Erst jetzt bemerkt sie seinen Blick, der auf ihr ruht. Das Schmuckstück ist rasch vergessen, jetzt sind andere Dinge wichtig. Marietta reicht ihm die Hand, und er führt sie an seine Lippen. Sie lächelt ihn an und gibt sich dem Luxus der Hoffnung hin, denkt daran, dass ihre Küsse alle Spuren des Schmerzes, die Verbrennungen und Narben verschwinden lassen können.
Das Licht der aufgehenden Sonne überrascht sie, und die Realität fegt die Träume hinweg.
Sie entfernt sich von ihm, er möchte ihr folgen, hält sich dann aber zurück.
»Es ist Zeit, du musst gehen.«
Der Abschied klingt wie ein Urteil. Er nickt, auf seinem Gesicht macht sich Enttäuschung breit. Sie wissen beide, dass die letzte gemeinsame Nacht sich dem Ende zuneigt. Die Kette ist fertig, es gibt keinen Grund mehr, sich zu treffen. Er steht bereits an der Tür, als er plötzlich innehält und noch einmal zurückkommt. Der Ausdruck seiner strahlenden Augen sagt ihr, dass er bereit ist, für die verbotene Liebe alles zu geben, sogar sein Leben. Aber er berührt sie nicht, und dafür ist Marietta ihm dankbar. Ihr Wille hätte sonst nicht länger standgehalten.
»Meine Signora, hör mir zu …«
Sie unterbricht ihn, bevor er etwas Falsches sagen, die selbst gezogene Grenze überschreiten kann, die ihn bis zu diesem Moment am Leben gehalten hat.
»Ich habe dir gesagt, dass du gehen musst.«
Die Stille wiegt schwer, tausend Worte füllen ihr Herz und sie nicht auszusprechen, ist eine Qual. Marietta geht einen Schritt zurück, greift nach dem Notizbuch, reißt einige Seiten heraus und reicht sie ihm.
»Für deine Mühe«, sagt sie und übergibt ihm einen Teil ihrer Geheimnisse. Sie verletzt ihn, ihn und das zarte Gefühl, das sie beide verbindet. Sie weiß es, doch sie kann nicht anders. Er wird bleich und weicht zurück, dann verabschiedet er sich mit einer angedeuteten Verbeugung.
»Wie Sie wünschen …«
Während ihre einzige Liebe sich immer weiter entfernt, wird ihr Wunsch, ihm hinterherzulaufen, zu weinen und zu schreien, schier übermächtig. Doch sie zwingt sich zu bleiben und streicht mit den Fingerspitzen über die Perlen.
»In einem anderen Leben wird das Schicksal uns vielleicht gnädiger gestimmt sein, geliebter Zorzi«, sinniert sie, als ein Gedanke in ihr aufblitzt und alle Grübeleien vertreibt. Sie greift nach einem Säckchen, in dem die Perlen aufbewahrt werden, die sie berühmt gemacht haben, und steckt die Kette hinein.
Vielleicht kommt sie noch rechtzeitig, denkt sie, als sie die Werkstatt verlässt.
Glas ist eine amorphe Masse, die selbst in flüssigem Zustand von hoher Dichte ist. Das empfindliche, transparente und faszinierende Material entsteht aus der Verbindung von Quarzsand und Kalk, der man Sodapulver oder Pottasche hinzufügt, um die Schmelztemperatur auf 800°C zu verringern, damit die Glasbläser es bearbeiten können.
An dem Tag, an dem Juliet Meriwether zum ersten Mal in das hohle Eisenrohr blies, geschah etwas Wunderbares: Die glühende Glasmasse am anderen Ende dehnte sich aus und wurde zu einer Kugel.
Eine kleine Kugel, eher für ein Kind geeignet, die Kristalle auf der Oberfläche waren geschmolzen und zu einem spiralförmigen Motiv geworden, das sie sehr mochte. Sie hatte ihre Vorstellung in die Tat umgesetzt, langsam hatte sie Form und Dimension angenommen, und sie hatte dabei zugesehen. Trotz der offensichtlichen Fehler liebte Juliet die Kugel und war immer vorsichtig, wenn sie sie in die Schublade zurücklegte.
Fast immer.
Denn dieses Mal war ihr die Kugel aus der Hand geglitten, zu Boden gefallen und in unzählige kleine Scherben zerbrochen. Sie hatte sie alle aufgesammelt und in eine kleine Schachtel gelegt. Ob sie die Scherben so wieder zusammensetzen könnte? Eine rhetorische Frage, sie wusste genau, dass das unmöglich war.
»Du kannst eine noch schönere Kugel machen«, murmelte sie und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. »Es ist nur ein Gegenstand«, führte sie den Monolog mit sich selbst weiter. Eine schlechte Angewohnheit, die sie schon seit Kindertagen begleitete.
Normalerweise war sie nicht so emotional, aber hinter ihr lagen anstrengende Tage, genauer gesagt, zehn, seitdem ihr der Postbote den Brief ausgehändigt hatte.
Sie stand auf, stellte die Schachtel auf die Arbeitsplatte und zog sich weiter an. Doch der Gedanke an den Moment, als sie in den Ärmel geschlüpft und mit dem Arm gegen die Kugel gestoßen war, ließ sie nicht los. Wenn sie sie nur am Vorabend nicht auf der Kommode hätte liegen lassen …
»Hör auf zu grübeln, denk an etwas Positives.« Wer weiß, vielleicht war das ein gutes Omen und ab jetzt würde alles gut. Denn eines war klar: Nichts wäre mehr wie vorher.
Sie schloss die Schnallen der Stiefel, warf einen Blick in den Spiegel, seufzte und flocht die lila Strähnen zu Zöpfen, um sie unter den kupferfarbenen Haaren zu verstecken. »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß«, sagte sie auf Italienisch, zog die Jacke über, griff nach ihrer Tasche, nahm den Brief und schob ihn vorsichtig hinein. Dann verließ sie das Gebäude und sah sich um. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite wartete ein Taxi auf sie. Während sie Platz nahm, begrüßte sie den Fahrer und legte einen Tulpenstrauß und den Kuchen, den sie am frühen Morgen gebacken hatte, neben sich auf den Rücksitz. Danach ließ sie sich mit einem Seufzer ins Polster zurücksinken.
Einmal im Monat versammelte sich ihre Familie zu einem gemeinsamen Abendessen in der Villa, die Luigi, das Familienoberhaupt, vor mehr als einem halben Jahrhundert im schönsten Viertel Seattles erworben hatte. Juliet mochte diese Abendessen nicht sonderlich und ließ sich öfter entschuldigen, aber dieses Mal … Ah! Das war ihr Abend, der Augenblick, auf den sie schon immer gewartet hatte.
Durch das Fenster sah sie die Stadt an sich vorbeiziehen, die Dämmerung brach herein und die ersten Lichter flammten auf. Die dichte Bebauung ging in großzügige Wohnviertel mit riesigen viktorianischen Villen, pittoresken, bunt gestrichenen Häuschen, schmale Straßen und Gärten über. Jedes Haus ließ Erinnerungen und Gefühle aufsteigen. Sie überließ sich ihren Gedanken, bis sie wahrnahm, dass sie angekommen war. »Sie können mich hier rauslassen, behalten Sie den Rest.«
Das Trinkgeld konnte sie sich eigentlich nicht leisten, aber heute war ein besonderer Tag. Ein Fest. Sie erwiderte das Lächeln des Taxifahrers, und während sie den Hügel hinaufging, dachte sie wieder an den Brief in ihrer Tasche.
Unter ihr, zu ihrer Rechten, spiegelten sich die Lichter der Schiffe im Wasser der Elliott Bay. An Sonnentagen leuchtete das Meer tiefblau. Aus dem Zimmer im zweiten Stock, das vor langer Zeit einmal ihr Schlafzimmer gewesen war, hatte man den besten Blick. Jedenfalls so lange, bis ihr Vater es hatte vergittern lassen.
Die Hand glitt über ihren Arm, und ihr Lächeln erlosch. Dieses eine Mal hatte sie es übertrieben. Als kleines Mädchen hatte sie gedacht, sie könne alles erreichen, sogar fliegen.
Sie ging durch den Garten, stieg die Marmortreppe nach oben und hatte ihre Hand schon gehoben, um zu klingeln. Aber dann überlegte sie es sich anders.
»Nur eine Minute«, murmelte sie. Ihr Herz klopfte, sie legte die Stirn an die Glasscheibe der Eingangstür. »Ich brauche nur noch eine Minute.«
Sie setzte sich auf die oberste Stufe, ganz vorsichtig, um die Tulpen nicht zu zerdrücken, und strich sich das Kleid glatt. »Tief atmen, das ist nur das Gefühl. Es geht vorbei.« Am Himmel begannen die Sterne zu funkeln, der Abend war schön. Es konnte nur besser werden. Es würde alles gut gehen, sie musste nur daran glauben. »Mit der richtigen Überzeugung geht alles.« Sie sah sich um in der Hoffnung, irgendwo etwas zu finden, das ihr Kraft gab, den Plan, den sie im Kopf hatte, bis zur letzten Konsequenz umzusetzen.
Plötzlich hörte sie ein Rascheln.
Wie aus dem Nichts tauchte eine Katze vor ihr auf. Der Schwanz war hoch aufgerichtet, wie ein Stock, sie hatte lange Beine und gespitzte Ohren, alles an ihr strahlte Würde aus. Juliet blieb unbeweglich sitzen und wagte kaum zu atmen. Ihre Hand ruhte auf ihrem Knie. In diesen smaragdgrünen Augen lag keinerlei Zögern, das war offensichtlich. Es kam ihr vor, als würde die Zeit stillstehen, als würden verdrängte Gefühle wieder aufleben. Die wohlbekannte brennende Unsicherheit, das Bewusstsein, dass ein falscher Schritt alles verändern konnte, die Vorsicht, zu der ihr die Narben aus der Vergangenheit rieten. Aber da war noch etwas anderes: das Bedürfnis, die drängende Notwendigkeit, sich auf unbekanntes, gefährliches und doch lang ersehntes Terrain vorzuwagen.
Sie streckte eine Hand nach der Katze aus. »Ciao, meine Kleine, hast du dich verlaufen?«
Den Körper unter dem seidenweichen nachtschwarzen Fell durchlief ein Zittern, eine vibrierende Energie. Die Katze haarte ein wenig, normal für diese Jahreszeit, sie miaute und kam näher. Als sie sich berühren ließ, seufzte Juliet auf.
»Du bist mutig«, sagte sie und streichelte ihr sanft über das Fell, »sehr mutig.« Und sie? Das Schnurren des Tieres wirkte beruhigend auf sie. Ihre Hand glitt zu ihrer Tasche und dem Geheimnis, das sich darin verbarg. Auch der Brief schien unter ihren Fingerspitzen zu zittern, als sie ihn berührte.
Plötzlich schwang die Tür hinter ihr auf und ein schmaler Lichtkegel fiel auf die Treppe. Juliet zuckte zusammen und drehte sich um. Dann lächelte sie. »Ciao, Tata.«
»Meine Güte, Giulietta, was machst du denn hier draußen?«
»Du hast die Katze verjagt.«
Die alte Dame schaute sich um. Dann wandte sie den Blick wieder ihr zu. Juliet war inzwischen aufgestanden.
»Immer gut für einen Scherz! Lass dich anschauen, mein Mädchen, ich habe dich so sehr vermisst.«
Diese Bezeichnung mochte Juliet eigentlich nicht, aber bei Gina gab sie sich der wohltuenden Zuneigung hin.
»Du hast dich verändert«, sagte die alte Dame und griff nach dem Kuchen und den Blumen.
»Findest du?«, Juliet wandte den Blick ab.
»Ja, du siehst ihr sehr ähnlich.«
Die arme Gina, sie wurde alt. Tatsächlich sah sie ganz anders aus als ihre Mutter. Ellen war zierlich und brünett, sie war hochgewachsen und eher rotblond, ein Erbe der Familie ihres Vaters. Wie alt war ihr ehemaliges Kindermädchen eigentlich? Sie wusste es nicht. Sie war als junges Mädchen mit der Familie ihres Großvaters in die USA gekommen, die Meriwethers waren eng mit ihr verbunden, sie hatte sie von Anfang an geliebt. Gina war ihr Halt gewesen, sie hatte sie immer ermuntert, auf die Stimme des Herzens zu hören. Als Juliet größer geworden war, war sie als Gouvernante im Haus geblieben und nicht in Pension gegangen.
»Bin ich die Letzte?«, fragte sie mit einem Blick in den Salon.
»Nein, keine Sorge. Dein Bruder hat angerufen, ihm kam etwas dazwischen.«
»Daniel kommt nicht?« Aus ihrer Stimme sprach leise Enttäuschung.
»Er war wie immer pünktlich und plaudert jetzt mit deinen Eltern.«
Dann ging es also um Paul. Juliet zog die Jacke aus und hängte sie an die Garderobe neben der Eingangstür. Sie betrachtete das Muster, das der Schatten der Lampe auf die Wand warf. Wunderschön und geheimnisvoll sah das aus. Die zerbrochene Glaskugel kam ihr in den Sinn, was sie traurig stimmte. Sie war ihr erstes Werk gewesen und hatte ihr viel bedeutet.
Eine sonore Stimme summte eine Jazzmelodie. Juliet versank in Erinnerungen. In ihrer Kindheit und bei wichtigen Anlässen hatte ihr Vater Lucas oft für sie gesungen. Der Gedanke daran erfüllte sie mit Freude. Mit einem Lächeln auf den Lippen, aber noch immer zögernd blieb sie vor der Tür stehen.
»Gibt es etwas zu feiern?«
Von ihrer Position aus konnte sie ihre Eltern sehen, elegant wie immer. Sie steckten die Köpfe zusammen und sprachen leise miteinander, jeder in einer Hand ein Glas. Ihr Anblick erfüllte sie mit Freude. Mit einer schüchternen Geste hob sie grüßend die Hand, dann tastete sie wieder nach dem Brief.
»Sie können es kaum erwarten, dich in die Arme zu schließen«, flüsterte Gina hinter ihr, »nur Mut, mein Schatz.«
Der warme Händedruck ihres alten Kindermädchens tat ihr gut, sie atmete tief durch. »Los geht’s«, sagte sie zu sich und lächelte. »Guten Abend, Mama! Wie geht es dir, Papa?«
»Da bist du ja endlich, ich habe schon befürchtet, du hättest deine Pläne geändert.«
War er deshalb so angespannt?, fragte sich Juliet. »Nein, ich bin nur zu spät losgefahren.«
Ellen umarmte sie. »Immer mit den Gedanken woanders, Honey.«
Sie nannte sie so, weil sie die Kleinste war, eine überraschende Nachzüglerin, als ihre Brüder schon groß waren. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich hatte noch etwas zu tun.«
Wenn sie nicht die Glasscherben vom Boden aufgesammelt hätte, wäre sie sogar zu früh gewesen.
»Lass dich anschauen, du hast mir gefehlt.«
»Du mir auch, Papa.« Sie stellte sich auf die Fußspitzen, um ihn zu küssen. Lucas Meriwether war ein groß gewachsener, kräftiger Mann, sein volles Haar bekam langsam ein paar graue Stellen. Er musterte sie aufmerksam.
»Du bist ein wenig blass …«
Normalerweise hätte sie gelächelt, das sagte er jedes Mal, wenn sie sich sahen, aber sie war zu angespannt.
»Ich finde, du siehst großartig aus, Juls!«
»Daniel!« Sie ging auf ihn zu und warf sich in seine Arme.
»Wie geht’s, meine Kleine?«
Von ihm konnte sie das annehmen, er durfte sie nennen, wie er wollte, er war ihr Held.
»Gut. Wie war deine Konferenz?«
Er war der jüngste und brillanteste Neurochirurg des Landes, mit 38 bereits Chefarzt. Die Konferenz, die er in der Vorwoche in London organisiert hatte, war ein voller Erfolg gewesen, das wusste sie bereits aus den sozialen Medien. Die Medizin war seine Mission. Wie bei allen Meriwethers.
Außer bei ihr. Und das lag nicht allein daran, dass sie kein Blut sehen konnte …
Daniel richtete sich auf. »Alles wie immer.« Er lächelte sie an und strich ihr übers Haar. »Du warst am Telefon ziemlich vage. Was gibt es denn Großartiges zu verkünden?«
Es kam ihr vor, als würde sie in den Spiegel sehen. Ihr Bruder hatte die gleichen großen grünen Augen, auch ihre Haarfarbe war identisch. Aber sonst war Daniel ganz anders wie Paul, wie ihre Mutter und ihr Vater. Erfolgreiche Menschen. Sie schmiegte die Wange an sein Hemd und sog seinen Duft ein. Bei ihm fühlte sie sich sicher. »Das erzähle ich euch beim Abendessen.« Sie lachte und spürte, wie die Spannung, die den ganzen Tag auf ihr gelastet hatte, von ihr abfiel und sie ruhiger wurde.
»Spann uns nicht auf die Folter, Honey.«
Ihre Mutter reichte ein Tablett mit Vorspeisen herum. Sie wirkte alarmiert. Juliet hatte schon immer gut die Gefühle von den Gesichtern ihrer Mitmenschen ablesen können, besonders wenn sie zur Familie gehörten. Sie betrachtete die Antipasti, die wie ein Baum arrangiert waren, dessen Stamm man angeknabbert hatte. »Es geht um eine große Chance.«
»Kannst du nicht etwas präziser sein?«
Sie spürte, dass sie sich Sorgen machte, wie die anderen auch. Das war gar nicht nötig, dachte Juliet enttäuscht. Und spürte den üblichen Drang, sich zu rechtfertigen. Deshalb änderte sie ihren Plan, griff in die Tasche und holte den Brief heraus. »Im Sommer habe ich an einer Ausschreibung teilgenommen, und ich habe gewonnen.«
So hatte sie sich den Moment nicht vorgestellt, das waren nicht die Worte, die sie vor dem Spiegel einstudiert hatte. Darin lag nichts von der Poesie, von dem intensiven Gefühl, den überwältigenden Emotionen, die sie überkommen hatten, als sie den Brief zum ersten Mal gelesen hatte. Und bei den vielen Malen danach. Sie reichte Daniel den Brief, der ihn rasch überflog. Dann lächelte er ihr zu.
»Das ist wunderbar, Juls. Glückwunsch.«
Freude überkam sie, sie hatte gewusst, dass er auf ihrer Seite wäre. Daniel hatte sie immer unterstützt, hatte immer einen Platz für sie in seinem Zimmer gehabt, eine Ecke, in die sie sich zurückziehen konnte, während er lernte oder las und dabei zu einem wunderbaren Menschen heranwuchs.
Bei den anderen war sie nicht so sicher.
Sie wusste, dass sie ihre Eltern enttäuscht hatte, als sie das Medizinstudium aufgegeben, ihre Hilfe abgelehnt und sich ihre Ausbildung durch Bedienen selbst finanziert hatte. Zumindest teilweise, den größten Teil hatte sie vom Erbe ihrer Großmutter mütterlicherseits bestritten, was wahrscheinlich für noch mehr Unmut gesorgt hatte. Aber sie hatte es aus eigener Kraft geschafft, und sie war stolz auf ihren Doktor in Bildender Kunst, aus Sicht ihrer Eltern reine Zeit- und Geldverschwendung. Ihr Kindermädchen hatte sie immer unterstützt. Jeder Mensch kommt mit einer besonderen Gabe auf die Welt, hatte sie immer gesagt. Und dieses Talent zu pflegen, sei eine Pflicht und eine Freude. Und der Weg zum Glück.
Sie kehrte in die Gegenwart zurück, zu ihrer Familie. Es war nicht ihre Schuld, dass ihre Eltern sie nicht verstanden. Aber alles konnte sich ändern. Sie durfte die Hoffnung nicht aufgeben. Eines Tages würde sie von ihrer Kunst leben und ihre Familie glücklich machen können.
Das war ihr Wunschtraum.
»Zeig mal, Daniel. Um was geht es, Juliet?«
»Ich gehöre zu zehn ausgewählten Künstlern, die an der Akademie für Glaskunst in Murano angenommen wurden. Ich werde nach Venedig gehen, Mama.«
Sie hatte es ausgesprochen. Bewegt hielt sie den Atem an, ihr Herz pochte, sie lächelte ihrer Mutter zu. Ellens Augen wanderten über den Brief, den sie danach an ihren Mann weiterreichte.
Sie schien nicht gerade begeistert, dachte Juliet besorgt.
»Wie bitte? Wann hat sie das denn gemacht? Warum weiß ich davon nichts?«, ihr Vater stellte sein Glas auf das Tablett zurück.
»Schau mich nicht so an, ich bin genauso überrascht wie du. Warum hast du uns nichts davon erzählt, Honey?«
Juliet war wie vor den Kopf geschlagen. »Das tue ich doch gerade.« Warum freuten sie sich nicht mit ihr? Das fragte sie sich mit wachsender Verwirrung. Sie hatte sich diese Szene so oft ausgemalt, und jedes Mal war ihre Familie begeistert gewesen. Aber die Realität sah anders aus. Stille, hochgezogene Augenbrauen, Zweifel. Wo war das Lächeln? Die Freude? Warum sahen sie alle an, als hätte sie einen Fehler gemacht?
»Du hättest uns sagen müssen, dass du an dieser … Ausschreibung teilnehmen willst. Du warst immer schon impulsiv, und dieser Charakterzug hat dich in eine … fragwürdige Richtung gehen lassen. Das Ganze hätte sich durchaus als Fehler herausstellen können.«
»Ich …«, ihr Mund war wie ausgetrocknet. Sie versuchte, noch etwas zu sagen, aber der Gesichtsausdruck ihrer Eltern sprach Bände.
»Wir alle machen Fehler und daraus lernen wir. Das nennt man Leben.«
»Spare dir deine Psychologie, Daniel. Deine Schwester ist … das weißt du doch. Ich werde nicht zulassen, dass sie ausgenutzt wird.«
Juliet zitterte. »Niemand nutzt mich aus.« Am liebsten hätte sie geschrien, hielt sich aber zurück. Die Situation entwickelte sich anders, als sie es gehofft hatte. »Ich dachte, ihr würdet euch freuen, wärt wenigstens einmal stolz auf mich.«
»Aber das sind wir doch auch. Wir lieben dich, Honey.«
Sie saßen sich auf den beiden Sofas gegenüber und musterten sich, als ob ihre Sitzposition ihre gegensätzlichen Haltungen widerspiegeln würde, auf der einen Seite Daniel und sie, auf der anderen ihre Eltern. Zwischen ihnen stand ein niedriger Holztisch mit Schnitzereien, auf denen akkurat aufgereiht einige Zeitschriften und eine Amethyst-Geode lagen. Juliet starrte einige Minuten auf den Stein. Keiner sagte ein Wort, eine merkwürdige Spannung lag im Raum, die ihre Verlegenheit noch größer werden ließ und sie traurig stimmte. Sie hatte zwar befürchtet, dass es einige Einwände geben würde, aber nicht so etwas. »Es tut mir leid«, sagte sie leise. Sie wusste nicht mal, warum sie sich entschuldigte, sie wollte nur noch weinen. Ihre Mutter kam auf sie zu und tätschelte ihr die Hand.
»Mach nicht so ein Gesicht, Juliet. Was du tust, ist das eine, und das, was du bist, das andere. Bitte verwechsele das nicht. Du bist unsere Tochter und wir lieben dich über alles, nicht wahr, Lucas?«
»Aber natürlich. Mit dieser Glasgeschichte hast du allerdings den Bogen überspannt. Natürlich ist das ein interessantes Hobby, das möchte ich nicht bestreiten, aber deshalb auf die andere Seite der Weltkugel zu reisen … weißt du überhaupt, wo Venedig liegt, Honey?«
Wieder spürte Juliet die Abneigung ihres Vaters gegenüber Italien. Das war schon immer so gewesen. »Oh ja, das weiß ich sehr wohl. Und ich weiß auch, dass mich das glücklich machen wird.«
»Das kann ich zwar verstehen, aber das passt doch gar nicht zu dir.«
»Dein Vater hat recht, es ist zu anstrengend, du bist so zart und sensibel.« Ihre Mutter hielt inne und suchte nach den richtigen Worten. »Du hast dich durchgesetzt, und das ist wunderbar. Genieße den Erfolg, aber übertreibe es nicht. Beschränke dich auf das, was du erreichen kannst.«
Was du erreichen kannst. Juliet fragte sich, was das nach Meinung ihrer Mutter sein sollte. Aber sie brachte den Gedanken nicht zu Ende. Was ihre Mutter gesagt hatte, war ja nicht falsch, aber sie war auch … anders. Oder sie konnte es zumindest werden. In dem Schreiben stand, dass sie wegen ihrer Qualifikation und ihren Kompetenzen ausgewählt worden war und durchaus an der Weiterbildung teilnehmen konnte.
Ihre Augen suchten den Brief, als wolle sie sich an ihm festhalten.
»Habt ihr das überhaupt richtig verstanden? Nur zehn Bewerber weltweit werden an dieser Schule aufgenommen. Es ist eine besondere Auszeichnung, dabei sein zu dürfen.« Sie konnte längst nicht so laut sein wie Paul, aber vielleicht sollte sie jetzt damit anfangen. Vielleicht würden sie ihr dann zuhören.
»Wir wollen doch nur dein Bestes.«
Sie zuckte zusammen. Was hatte sie zu ihrem Besten nicht schon alles erdulden müssen? Sie wollte die Vergangenheit nicht wieder hochholen, sie fühlte sich nicht als Opfer. Deshalb dachte sie an ihre Freunde, an die schönen Dinge, die sie schon erreicht hatte, an das, was sie noch vorhatte. Sie dachte an das Lachen, an das Glücksgefühl, als sie ihren Namen auf dem Brief gelesen hatte. Und sie dachte an die Zukunft. »Venedig ist meine große Chance, Papa, eine einzigartige Möglichkeit.« Sie sah ihm dabei tief in die Augen und lächelte. Sie wollte, dass er sie dieses Mal verstand und unterstützte.
Daniel umfasste ihre Taille. Juliet legte den Kopf an seine Schulter, dankbar für seine Unterstützung. »Ich wollte meine Freude mit euch teilen.« Sie wusste, dass sie anders war als sie, immer schon, aber sie hatte ihr Bestes gegeben und ein wichtiges Ziel erreicht.
»Sicher, mein Schatz, wir freuen uns mit dir.«
Leere Worte, es war nicht das erste Mal, dass sie sie besänftigen wollten. Wie bei einem widerspenstigen Kind, dachte sie. In der Vergangenheit hatte sie das immer akzeptiert, aber jetzt wurde ihr klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie warf einen Blick in die Runde. Die Haltung der Anwesenden hatte sich verändert. Jetzt wägten sie die Situation ab, fragten sich, ob Juliet ihr gewachsen war.
Diese Frage hatte sie sich in den vergangenen zehn Tagen auch oft gestellt. Der Kurs war sehr anspruchsvoll. Doch die Vorstellung, am anderen Ende der Welt neu anzufangen, faszinierte sie, auch wenn sie gleichzeitig Angst davor hatte. Obwohl ihre Freunde und Kollegen sie von Anfang an unterstützt hatten, brauchte sie die Anerkennung ihrer Familie. Sie hatte davon geträumt, gehofft, dass sie sie unterstützen und ermutigen würden. Deshalb war sie hier. Sie hob den Kopf und beobachtete die Gespräche, dabei hatte sie das Gefühl, ihre Gedanken lesen zu können.
Sie war genügsam und brauchte nicht viel, hatte ihren Halbtagsjob als Sekretärin und eine eigene, kleine Wohnung, in der sie sich wohlfühlte. Doch es gab immer wieder Momente, wo sie glaubte, den Verstand zu verlieren, wo sie es in ihrer Haut kaum aushielt. Alles schien unendlich weit weg und nichts konnte sie aus ihrer Teilnahmslosigkeit befreien, gefangen in einer Welt, die sie teilweise nicht verstand, die sie abzulehnen schien. Aber es gab auch die Tage, an denen das Helle in ihr an die Oberfläche kam. Dann ging sie im Park barfuß über die Wiese, weil sie das Gras unter ihren Füßen spüren wollte, flocht Blumenkränze, aß Pizza mit Eiscreme, kleidete sich in Orange und Türkis, weil das ihre Lieblingsfarben waren und es ihr nichts ausmachte, dass sie nicht zusammenpassten. An diesen Tagen blieb sie bis zum Morgengrauen wach, um gemeinsam mit ihren Freunden in der Werkstatt die Wärme des Ofenfeuers auf ihrem Gesicht zu spüren, den beißenden Geruch des Papiers, wenn es das Glas berührt, den feuchten Rauch, der sich aus den vollen Kesseln erhob, wahrzunehmen und das Zischen des Wassers zu hören, wenn das Zuviel an Glasmasse, das sie mit der Zange abgetrennt hatte, wieder in den Behälter fiel. Sie liebte nicht nur den Glasofen, sondern den gesamten Prozess. Er war der Auftakt für den Schaffensprozess. In dieser Welt der lodernden Flammen fühlte sie sich lebendig.
»Es geht nur um drei Monate.«
Lähmende Stille, Furcht. Sie spürte, wie sie Blicke tauschten, sich neu organisierten und es noch einmal versuchten.
»Und was wird aus deiner Arbeit? Du machst das doch gerne, das hast du selbst gesagt.«
»Nein, Mama, ich habe gesagt, sie ist bequem.« Banal, monoton. Es gab viele Menschen, die sich nach einem sicheren Arbeitsplatz sehnten, dachte sie, und ihre Wangen brannten vor Scham. Aber sie wollte mehr. »Ich werde um unbezahlten Urlaub bitten.«
»Und die Wohnung?«
Sie würde sie für die Dauer ihrer Abwesenheit untervermieten. »Das ist kein Problem.«
»Warum hört ihr nicht einfach auf und lasst sie gehen?«, fragte Daniel.
Juliet lächelte ihren Bruder dankbar an.
»Ich habe an alles gedacht.« Das stimmte, sie hatte nichts anderes getan. Aber jetzt wurde es ernst, sie musste kämpfen, um sich Gehör zu verschaffen. Zum ersten Mal, dachte sie. In der Vergangenheit hatte sie Diskussionen vermieden und sich Konfrontationen entzogen. Sicher, sie war immer ihrem Herzen gefolgt, aber in den Grenzen des Möglichen geblieben, hatte sich gebeugt, wenn man ihre Ideen abgelehnt hatte, und war sich stets bewusst gewesen, nicht die Tochter zu sein, die sich ihre Eltern gewünscht hatten.
Als Daniel weitersprechen wollte, unterbrach sie ihn. Sie wollte die Situation auf ihre Weise lösen, wollte verstanden werden, das war ihr wichtig. »Das ist meine Chance.«
Schweigen, Seufzen, Gedanken, die im Raum standen.
»Du scheinst fest entschlossen zu sein.«
»Das bin ich, Papa.«
»Also gut … gut. Beschäftige dich eben mit dieser … Kunst und komme danach wieder nach Hause.«
Juliet schaute zu ihrer Mutter, die offensichtlich verärgert war. Sie warf ihr einen bittenden Blick zu, und schließlich gab Ellen nach.
»Ich … nun gut, mach, was du willst. Du bist schließlich erwachsen.«
War sie das wirklich?, fragte sie sich. Wenn es so wäre, würde sie die Unterstützung ihrer Eltern gar nicht erst brauchen. Eine erwachsene Frau wäre ihren eigenen Weg gegangen und sich ihres Wertes bewusst gewesen. Für eine Erwachsene wäre nur die eigene Meinung wichtig gewesen.
In einem Grabmal in Dänemark ist eine blaue Glasperle aus dem ägyptischen Amarna gefunden worden, die in den gleichen Brennöfen hergestellt wurde wie einige berühmte Grabbeigaben des Tutenchamun. Sie erzählt von der uralten Verbindung zwischen Mensch und Glas. Seitdem sind mehr als 3000 Jahre vergangen, aber die Faszination für das Glas ist geblieben.
Schon als kleines Mädchen hatten ihre Eltern sie von einem Spezialisten für infantile Störungen behandeln lassen. Juliet wusste nicht mehr, wie alt sie damals genau gewesen war, aber an ihren Gesichtsausdruck erinnerte sie sich genau, erst ungläubig, dann erschöpft. Denn mit ihr war alles in Ordnung, auch wenn sie die üblichen Tests nicht bestanden hatte.
Sie war anders.
Sie hatten sie getröstet und ihr ihre ganze Aufmerksamkeit geschenkt. Sie würden nicht aufgeben, hatten sie ihr versichert.
Doch sie war allen möglichen weiteren Tests unterzogen worden, wie hätte sie ihren Eltern in dieser schwierigen Phase glauben sollen? Eines Tages hatte sie deshalb beschlossen, von zu Hause abzuhauen. Mit selbst gebastelten Flügeln hatte sie sich in die Tiefe gestürzt. Als sie auf dem Blätterteppich unter dem Balkon ihres Zimmers aufgeprallt war, hatten sich ihre Schmetterlingsflügel gelöst. Zum Glück war Daniel zu Hause gewesen und hatte sie sofort ins Krankenhaus gebracht. Er war bei ihr geblieben, bis man ihr den Arm eingegipst hatte.
Auch wenn sie nicht mehr dieses kleine Mädchen war, fühlte sich Juliet auch heute noch wie damals: hilflos, anders. Seltsam.
Der Druck von Daniels Hand brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Genau wie die Kälte, die sie in sich spürte.
Ihre Eltern hatten sich nicht gegen ihren Plan gestellt. Aber sie verstanden nicht. Sie verstanden sie einfach nicht … und waren nicht glücklich über ihre Entscheidung. Aber es würde bestimmt alles gut gehen. Mit der Zeit hatte sie gelernt, dass es sinnlos war, Wertschätzung oder Liebe zu erwarten … so funktionierten die Dinge eben nicht. Geliebt zu werden, war kein Recht, auf dem man bestehen konnte.
»Du wirst Geld brauchen, einen sicheren Ort zum Wohnen. Wen kennen wir in Venedig, Lucas?«
»Die Schule verfügt über ein Wohnheim und eine Mensa, und um ehrlich zu sein, würde ich gerne allein zurechtkommen, Mama.« Allein die Vorstellung, ihre Eltern könnten sie irgendwo unterbringen, war demütigend.
»Wann reist du ab?«
Sie wollte ihrem Vater gerade antworten, als Geräusche aus dem Flur zu hören waren.
»Endlich, da sind sie ja.«
Auf den Gesichtern ihrer Eltern war große Freude zu lesen, als sie Paul entgegengingen.
»Entschuldigt die Verspätung, aber Rebecca wurde bei Gericht aufgehalten und musste den nächsten Flug nehmen.«
»Das tut mir leid.«
»Nichts Ernstes, Mama, nur eine Auseinandersetzung mit ihrem Assistenten.«
Paul hatte einen Arm um die Schultern seiner langjährigen Verlobten gelegt, eine intelligente, attraktive Frau aus guter Familie, eine brillante Anwältin. Perfekt für ihn. Perfekt für die Familie Meriwether.
»Sehr gut! Ich freue mich, dass sich das Problem gelöst hat.«
»Danke, Ellen, ich bin nur ein wenig müde.«
Sie umarmte ihre zukünftige Schwiegermutter, dann Lucas und Daniel, und schließlich Juliet.
»Ich hatte gehofft, dich zu sehen, wie geht es dir, Juliet?«
»Gut, danke.« Sie mochte Rebecca. Vor allem bewunderte sie ihre Selbstsicherheit, trotz der Verspätung strahlte sie Wohlbefinden und Souveränität aus.
»Wie geht es dir?«
»Angesichts der Umstände ganz gut.«
Wieder lächelte sie und Juliet fragte sich, ob ihr etwas entgangen war. Bevor sie der Sache auf den Grund gehen konnte, rief Paul nach ihr.
Die beiden waren ein wirklich schönes Paar. Einen Moment lang betrachtete sie ihren Bruder. Paul war kleiner als Daniel, sah ihm aber sehr ähnlich. Seinem Blick fehlte allerdings die Freundlichkeit, und wenn er wütend war, konnte er hart und grausam sein. Juliet hatte sich mehr als einmal gefragt, warum er immer nach Fehlern und Schwachstellen der Dinge und der Menschen suchen musste. Aber dieser Charakterzug war auch vielen anderen Menschen eigen.
»Endlich alle zusammen, perfekt!« Paul wirkte nervös, was sie wunderte, sonst war ihr Bruder immer die personifizierte Selbstbeherrschung. Auch Daniel musterte seinen Bruder überrascht. »Was meinst du, was los ist?«
»Ich denke, das werden wir bald wissen. Komm, folgen wir ihm. Ich werde langsam neugierig.«
Als sie näher kamen, bemerkte Juliet die Anspannung auf dem Gesicht ihrer Mutter, ihr Vater hingegen strahlte. »Eine Hochzeit! Wie wunderbar!« Er entkorkte eine Champagnerflasche und goss die schäumende Flüssigkeit in die Gläser. »Stoßen wir an.«
»Das ist in der Tat ein Tag der Neuigkeiten!« Ellen umarmte Rebecca erneut. »Glückwunsch, meine Liebe.«
»Danke. Ich weiß, das kommt alles etwas plötzlich, aber …«
»Es ist der richtige Zeitpunkt«, beendete Paul den Satz. Er führte Rebeccas Hand an seine Lippen. »Es soll eine schlichte Feier werden, nichts Aufwendiges.«
Sie würden heiraten? Juliet warf Daniel einen Blick zu, der nur mit den Schultern zuckte. Auch er schien nichts davon gewusst zu haben.
»Es sollte genügend Zeit sein, für den Sommer alles zu organisieren. Mitte August wäre ideal, was meint ihr?«
»Ich weiß nicht, Paul, so eine Hochzeit braucht einiges an Vorbereitung.«
Er schüttelte den Kopf. »Aber nein! Es bedarf nur einer klaren Vorstellung und einer guten Agentur. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.«
Juliet erholte sich von ihrer Überraschung. »Ich bin allerdings erst im September aus Italien zurück.«
»Dann müssen wir das Datum ein wenig nach hinten verschieben.« Rebecca legte Paul eine Hand auf den Arm, der sie drückte und sie anlächelte. Dann warf er Juliet einen vorwurfsvollen Blick zu. Sie war überrascht. Sie hatten noch kein Wort miteinander gewechselt, warum war er beleidigt? Um die Hochzeit ging es sicher nicht, sie hatten ja noch kein genaues Datum festgelegt.
»Ich gehe davon aus, dass du deine Pläne noch ändern kannst, Juls. Hier geht es immerhin um meine Hochzeit.«
Nein, das konnte sie nicht, und das wollte sie ihm auch gerade sagen, als Gina das Wohnzimmer betrat und zum Abendessen bat.
»Danke, Tata«, Ellen deutete in Richtung Esszimmer, »wir sprechen bei Tisch weiter.«
Juliet fragte sich, wie sie aus der Sache herauskommen sollte. In Gedanken versunken wollte sie ihren üblichen Platz zwischen den Eltern einnehmen, aber Paul hielt sie zurück. »Das ist ein wichtiger Moment. Rebecca und Mama haben sich viel zu sagen. Dieses Mal könntest du ihr den Gefallen tun, oder?«
»Wie bitte?« Sie warf Rebecca, die mit ihren Eltern plauderte, einen Blick zu. »Ich wollte nicht unhöflich sein, tut mir leid, ich habe nicht nachgedacht.«
Paul musterte sie kühl, dann wandte er sich von ihr ab. Beschämt und verwirrt umrundete sie den Tisch und setzte sich neben Daniel, der sie anlächelte. »Ignoriere ihn einfach.«
»Er hat mich nie gemocht.«
Daniel schüttelte den Kopf. »Er hat nur gerne alles unter Kontrolle, und du bringst ihn aus dem Konzept. Er weiß nie, was du denkst oder tun wirst, das ist ihm unangenehm.«
War das wirklich so? Sie schaute zu Paul, der sich im Zentrum der Aufmerksamkeit sichtlich wohlfühlte. Er lachte und scherzte und war bester Laune.
»Ich war noch nie in Italien, Juls, weißt du. Wir könnten uns eine Wohnung teilen«, flüsterte ihr Daniel ins Ohr und sie zuckte zusammen.
»Du willst mitkommen? Und das Krankenhaus?«
»Na ja, es sind ja nur drei Monate. Ich pendele zwischen Seattle und Venedig und organisiere mich mit den OPs. Das wird toll, du wirst sehen.«
Eine verrückte Idee … trotzdem dachte Juliet darüber nach. Mit Daniel an ihrer Seite wären auch ihre Eltern beruhigt und würden sich ihr nicht mehr in den Weg stellen. Das war die einfachste Lösung. Sie hätte sich freuen sollen, aber stattdessen war sie … verlegen, der Gedanke war ihr unangenehm, als würde ihr plötzlich etwas weggenommen. Verwirrt wandte sie den Blick ab und konzentrierte sich auf das Gespräch bei Tisch. Ihre Eltern wirkten hochzufrieden.
»Und Kinder? Ich hoffe doch, ihr werdet mindestens drei haben.«
»Lucas, ich bitte dich«, Ellen warf ihrem Mann einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Was habe ich denn Schlimmes gesagt, deshalb heiraten Menschen doch, oder? Ich hätte gerne Geschwister gehabt, aber leider war ich ein Einzelkind, das hat mir nicht gefallen. Schau dir unsere Kinder an, sie werden immer füreinander da sein.«
Rebecca gab Paul ein Zeichen und er goss ihr noch etwas Wasser ein. Das erste Mal an diesem Abend wandte er sich an Juliet. »Nun, Schwesterchen, was machst du in Italien?«
Das plötzliche Interesse an ihren Plänen war sicher ein Ablenkungsmanöver, aber sie spielte das Spiel mit, denn sie wusste, wie unangenehm die Fragen ihres Vaters sein konnten. Sie legte die Gabel auf den Teller zurück. »Ich werde drei Monate weg sein und in Venedig leben.«
»Lange Ferien.«
»Juls wird auf eine Kunstschule gehen, und zwar auf eine ganz besondere, nicht wahr, meine Kleine?« Daniel hob sein Glas und prostete ihr zu.
»Und das muss in Italien sein? Kannst du dich nicht in Seattle einschreiben?«
Das war eine berechtigte Frage. Die ersten Kurse hatte sie in der Stadt gemacht, doch dann hatte sie verstanden, dass sie etwas anderes suchte, den Blick weiten, ihre Fantasie beflügeln wollte. »Murano ist die Metropole der Glasbläserkunst.« Auf dieser kleinen Insel hatte man die Kunst der Glasbearbeitung zur Meisterschaft erhoben und über Jahrtausende gepflegt. Diesen Ort wollte sie unbedingt sehen und dazu die weltweit beste Schule für Glasgestaltung besuchen. Gina, der sie ihren Wunsch anvertraut hatte, hatte sie von Anfang an unterstützt.
»Wirklich außergewöhnlich. Und danach?«, fragte Rebecca.
Danach? Sie hatte sich bis jetzt nur Gedanken über die Bewerbung und die Organisation ihrer Reise gemacht. An das Danach hatte sie nicht gedacht. »Ich weiß es nicht.«
»Das Gegenteil hätte mich auch überrascht, Juls«, spottete Paul kopfschüttelnd. »Du bist wirklich unglaublich.«
Das sollte ein Scherz sein, aber sie spürte den missbilligenden Unterton. Warum traute er ihr nichts zu? Warum kritisierte er sie immer? Sie wollte ihn genau das gerade fragen, als Daniel ihr zuvorkam.
»Sei nicht so herablassend, Paul. Juliet hat noch genug Zeit, über ihre Zukunft zu entscheiden. Der Punkt ist doch: Sie hat sich bei der strengen Aufnahmeprüfung durchgesetzt und einen Platz an dieser Schule bekommen.«
Das hätte sie gerne selbst gesagt, dachte sie und drückte Daniels Hand.
»Es gibt nur zehn Plätze«, präzisierte ihre Mutter und hielt Paul den Brief hin. Auch dieser Satz hatte ihr auf den Lippen gelegen, aber sie wäre sich lächerlich vorgekommen, wenn sie ihn jetzt noch einmal wiederholt hätte. Ihr Bruder hatte ohnehin keine große Hochachtung für sie. Sie ließ es lieber bleiben.
Paul zog die Augenbrauen hoch, überflog den Brief und reichte ihn an Rebecca weiter, die ihn ebenfalls las. »Kannst du dich darum kümmern?«
»Ich werde mich erkundigen.«
»Danke, Schatz.«
Hatte sie das gerade richtig verstanden? Rebecca sollte die Referenzen der Schule prüfen? Juliet war schockiert. Bemerkte Paul denn gar nicht, wie sehr er sie damit demütigte?
»Nein!«, sagte sie entschieden.
»Bitte?«, fragte Rebecca überrascht.
»Du wirst sicher genug mit den Hochzeitsvorbereitungen zu tun haben.« Das war nicht das, was sie eigentlich hatte sagen wollen, aber was hatte ihre Schwägerin mit ihren innerfamiliären Problemen zu tun? Nichts.
Paul warf ihr einen giftigen Blick zu. »Du hast es auf den Punkt getroffen, Juls. Wir sind tatsächlich sehr beschäftigt. Unsere Hochzeit soll in einem würdevollen Rahmen stattfinden, und die Zeit drängt, wie du weißt. Da brauchen wir niemanden, der uns noch mehr Probleme macht.«
Probleme macht? Juliet lief feuerrot an. »Ich erinnere mich nicht, dich um etwas gebeten zu haben.« Sie betonte jedes Wort. »Was ich tue oder lasse, ist weder dein noch Rebeccas Problem. Mein Leben geht nur mich etwas an.«
»Du bist undankbar, dein Benehmen ist unmöglich, Juls. Dein Wohlergehen liegt uns am Herzen, das ist alles.«
»Paul, das reicht jetzt. Und du, Juliet, entschuldigst dich bei deinem Bruder. Er wollte dir nur helfen, wir machen uns alle Sorgen um dich.«
Helfen … mit schwerem Herzen schaute sie von einem zum anderen. Warum verstanden sie sie nicht? Die Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf, sie fragte sich, wann ihre Familie sie endlich nicht mehr wie ein naives Kind behandeln würde. Das war sie nicht. Ihre Familie wusste doch gar nicht, wer sie wirklich war. Und dafür war sie selbst verantwortlich, hatte sie sich doch immer wieder verstellt. Sie dachte daran, wie ihr Kindermädchen sie einmal mit ins Chihuly Garden and Glas Museum genommen hatte, in die Unterwasserwelt unter dem Kuppeldach, wo riesige Muscheln auf Algenbetten lagen, in den zauberhaften Park, der das Museum umgab. Zwischen Bäumen und Büschen waren Glaskunstwerke integriert, Blütenknospen und Rispen, riesige bunte Werke, die durch ihre kreative und fantasievolle Umsetzung die Aufmerksamkeit der Betrachter weckten. Als Juliet dem Glasbläsermeister, der diese Wunderwerke geschaffen hatte, gegenübergestanden hatte, während er das Material bearbeitet und geformt hatte und zwischen seinen Händen wie von Zauberhand ein geflügeltes Pferd entstanden war, hatte sie begriffen. Seine Arbeit hatte sie tief berührt. Danach wusste sie: Das war ihre Welt. Hier würde sie sich wohlfühlen. Endlich akzeptiert als die, die sie war.
Aber das wussten sie nicht.
Sollte sie sich weiter verstecken oder endlich die Wahrheit über sich preisgeben? Würden sie sie jemals verstehen können? Sie kämpfte gegen den Instinkt, der sie beschwor, weiter zu schweigen. Nein, sie musste endlich aufrichtig sein! Die Angst vor dem Urteil der anderen überwinden, sich nicht weiter von ihrer Unsicherheit bestimmen lassen. Das war ihre Familie, sie würden ihr nicht wehtun.
»Ich bin anders als ihr, das stimmt. Aber es gibt etwas, in dem ich wirklich gut bin. Ich kenne das Feuer, ich weiß, wie viel Soda und Pottasche man dem Sand hinzufügen muss, bevor man das Gemisch in den Ofen gibt, wie lange es dauert, bis es schmilzt. Wie man über das geformte Glas streicht, wie man es liebkost. Ich kann die Struktur, die Umrisse, die perfekte Form erahnen. Ich nehme die Bewegung der glühenden Masse wahr, erkenne die Eigenschaften des Materials. Vor dem Schmelzofen bin ich glücklich.« Ihr Herz raste. So offen hatte sie noch nie mit ihrer Familie gesprochen. In diesem Moment fühlte sie sich zwar ausgeliefert, aber hoffentlich würden sie nun endlich erkennen, wer sie wirklich war. Eine Glasbläserin, eine Künstlerin. Ein Mensch mit Träumen und Visionen, der seine Ziele erreichen will, selbst wenn die eigene Familie diesen Weg nicht teilte.
Paul lachte: »Oh Gott, Juls, hörst du dir selber zu? Das Leben besteht aus Verantwortung und harter Arbeit. Du bist eine Meriwether, verdammt, du hast Verpflichtungen. Hör endlich mit diesem Gefasel über das Glück auf.« Er schüttelte den Kopf, dann fuhr er fort: »Wir waren zu nachsichtig mit dir, wir sind selbst schuld. Du bist fast 23 Jahre alt, schau dir Rebecca an, nimm dir ein Beispiel an ihr. Ich frage mich, wann du endlich erwachsen wirst.«
Sie hatte das Gefühl, als würde man ihr einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf gießen. Juliet zitterte.
»Du bist ein Idiot, Paul«, schimpfte Daniel.
»Du kommst ihr immer zu Hilfe, was? Rechtfertigst all ihre verrückten Ideen. Du trägst die Hauptschuld an der ganzen Sache.«
»Ich habe gesagt, du sollst aufhören.«
»Schluss jetzt! Ich will nicht, dass ihr streitet«, sagte Juliet.
Die Brüder beachteten sie gar nicht, deshalb wandte sie den Blick zu ihren Eltern, die sich mit bleichen Gesichtern ansahen. Jetzt fühlte sie sich noch schlechter, das war alles ihre Schuld.
»Weiß sie eigentlich, dass du ihren Lohn zahlst? Dass du sie in einem deiner Häuser wohnen lässt? Dass du ihr die Unabhängigkeit möglich machst, auf die sie so stolz ist?«
Was meinte er nur damit? Juliet wollte gerade nachfragen, als Daniel aufsprang und die Hände gegen die Tischplatte stemmte. Er war außer sich vor Wut.
»Halt endlich den Mund, du Idiot!«
Sie packte Daniel am Arm, bevor er sich auf seinen Bruder stürzen konnte.
»Schluss jetzt, gebt endlich Ruhe!«, herrschte Lucas die beiden an und schlug auf den Tisch. Die Gläser klirrten. Rebecca griff nach Pauls Hand, er schaute sich um und erblasste, als ob ihm gerade klar geworden wäre, dass er es übertrieben hatte. Dann lockerte er den Knoten seiner Krawatte. »Siehst du, Juls? Diese Familie liebt dich über alles, wir alle lieben dich, und das solltest du wertschätzen.«
»Paul, bitte lass uns das Thema wechseln.«
»Misch du dich nicht auch noch ein, Mama«, zischte er, »sie muss der Realität endlich ins Auge sehen. Du hast es doch gehört. Venedig, Glas. Hast du eine Vorstellung, welche Gefahren dort lauern? Juliet allein im Ausland? Sieh sie dir doch an, sie sieht kaum älter aus als 16 und benimmt sich auch so. Ihr hübsches Gesicht hilft da sicher nicht weiter. Sie lebt in ihrer Fantasiewelt, ohne konkrete Vorstellungen, wie es weitergehen soll. Das wisst ihr genauso gut wie ich. Und wenn er«, er deutete auf Daniel, »vorhat, sie auf diesem Irrweg zu unterstützen, dann werde ich alles tun, um unsere Familie zu schützen. Ich sehe bei meiner Arbeit in der Notaufnahme genug junge Frauen, die den Boden unter den Füßen verloren haben. Ich werde nicht zulassen, dass mit meiner Schwester das Gleiche passiert.«
Bleierne Stille machte sich breit.
Juliet zitterte am ganzen Körper, dann presste sie heraus: »Stimmt das, was er gesagt hat?« Sie hatte nicht den Mut, Daniel ins Gesicht zu sehen. Sie fürchtete sich vor seiner Antwort. Paul war arrogant und konnte grausam sein, aber er hatte sie noch nie belogen. Dann hob sie den Kopf, während Daniel weiter auf seinen Teller starrte.
»Bitte.«
Sie hatte sich noch nie so allein, so isoliert gefühlt.
Die Tränen brannten ihr in den Augen, sie hätte ihren älteren Bruder am liebsten geschüttelt und angefleht. Dann blickte er schließlich auf und lächelte sie an.
»Das Leben ist schwer, Juls, für alle, und für dich noch mehr. Du bist so zart, so sensibel … ich habe getan, was ich tun musste.«
»Nein!«, ihre Stimme überschlug sich. »Nein, bitte nicht.« Sie schüttelte den Kopf, seine Worte schrillten unerträglich in ihren Ohren.
Nachdem Paul sie ausgelacht hatte, wäre sie am liebsten gestorben. Aber nichts hatte sie auf diesen Schmerz, diese Enttäuschung vorbereitet, die sie nun fühlte.
»Sensibel« war die freundliche Umschreibung ihrer Schwäche, ihrer Unfähigkeit gegenüber dem Leben.
Ein Charakter voller Einschränkungen.
Sie hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu stürzen.
Dass es nichts mehr gab, an dem sie sich festhalten konnte. Daniel war der Einzige, dem sie immer vertraut hatte, dem sie alles erzählt hatte. Sie dachte an den Tag, an dem sie gemeinsam die Wohnung angeschaut hatten, die ihr neues Heim werden sollte, nur sie beide, an das Glücksgefühl, endlich einen Ort für sich allein zu haben. Und sie dachte an ihr Vorstellungsgespräch. Daniel hatte gesagt, dass man dort eine Assistentin suchte. Alles passte zusammen. Das, was sie für ihre eigene Leistung gehalten hatte, war Daniels Geschenk gewesen.
Sie spürte, wie etwas in ihr zerbrach. »Du hast mir etwas vorgemacht.«
»Ich wollte, dass du glücklich bist.«
»Warum bist du es dann nicht?«
Daniel wurde blass und warf ihr einen warnenden Blick zu. »Lass es.«
Juliet nahm den bedrohlichen Unterton wahr, aber sie konnte sich nicht zurückhalten. Sie war so wütend wie noch nie in ihrem Leben, hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Sie spürte, wie sie rot anlief, und gleichzeitig war es in ihr eiskalt. Sie wollte weglaufen, blieb aber wo sie war, starrte ihn an und sagte Worte, von denen sie niemals gedacht hätte, sie jemals auszusprechen: »Du entscheidest immer alles. Für dich, für mich, sogar für George. Das ist keine Liebe, und das weißt du auch. Das nennt man Kontrolle.«
Sie bemerkte, wie Daniel zu zittern begann, und wünschte sich, das Gesagte rückgängig machen zu können. Sie hatte seinen Freund George von Anfang an gemocht. Er war Kinderarzt, ein freundlicher, zugewandter, immer gut gelaunter Mann. Erst später hatte sie begriffen, dass die beiden eine Beziehung hatten. Daniel tat alles, um sie geheim zu halten, er wollte sich der Situation nicht stellen. Sie hatte sein Vertrauen missbraucht.
Er warf ihr einen schmerzerfüllten Blick zu, dann legte er die Serviette auf den Tisch und sagte: »Ich scheine nur Fehler gemacht zu haben. Es tut mir leid, Juliet.«
Seine Hände zitterten. Juliet fühlte sich elend.
»Ich muss jetzt gehen«, fuhr er fort. »Ich rufe dich nächste Woche an, Mama. Danke für das Essen und … Glückwunsch zur Hochzeit.« Er verließ das Esszimmer, durchquerte den Flur, das Zuschlagen der Tür hallte durch das Haus.
Die nachfolgende Stille war unerträglich. Irgendwann legte Ellen die Serviette auf den Teller und musterte ihre beiden Kinder. Erst Paul, dann Juliet.
»Ich bin von eurem Verhalten tief enttäuscht«, sagte sie angespannt, ihr Missfallen war deutlich zu spüren. Dann wandte sie sich an Rebecca und sagte mit gezwungenem Lächeln: »Bitte entschuldige uns, normalerweise wissen wir uns zu benehmen.« Sie tastete nach der Hand ihres Mannes und drückte sie. »Juliet, dein Bruder hat etwas Schreckliches gesagt, aber er hat recht. Du musst erwachsen werden. Schluss mit den Kindereien, du musst überlegter handeln und uns informieren, bevor du deine Ideen umsetzt.«
Aber Juliet hörte gar nicht mehr zu.
Wie hatte es zu diesem Desaster kommen können? Wie hatte sie nur so mit Daniel sprechen können? Sie war zu diesem Abendessen gekommen, um ihrer Familie eine gute Nachricht zu überbringen, sie um Unterstützung zu bitten. Und was hatte sie bekommen? …. Nichts. Oder besser, doch: Verlust und Einsamkeit.
»Juliet?«
Sie antwortete nicht, dazu hatte sie nicht die Kraft. Sie betrachtete den Brief. Jemand hatte ihn zerknüllt und achtlos auf den Tisch geworfen. Sie griff danach und strich ihn glatt. Das dicke Papier war elegant von Hand beschrieben, oben prangte ein Logo, das an einen Hahn erinnerte, daneben stand ihr Name: Juliet Meriwether. Den Rand zierten goldfarbene Ornamente, man merkte deutlich, dass es sich um die berühmteste Glasbläserschule der Welt handelte. Alles andere spielte jetzt keine Rolle mehr. Mehr war ihr nicht geblieben.
Sie schaute zu ihrer Mutter, in ihr trauriges Gesicht. Wie oft hatte sie das schon erlebt? Dann senkte sie den Blick und umklammerte die Serviette.
Sie hatte sich von ihrer Familie Unterstützung erhofft, konkreten Rat. Aber sie hatte sich geirrt. Anstatt bestärkt zu werden, hatte sie entdecken müssen, dass ihr kleines bisschen Unabhängigkeit, die sie sich aufgebaut zu haben glaubte, nur eine Illusion war.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie kaum hörbar. Erneut fühlte sie sich klein und ungeschützt. Und wenn sie ihren Plan aufgeben und ihrem Rat folgen würde? Würde sie dann geliebt werden? Verstanden? Die Versuchung war groß, genauso groß wie ihr Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Liebe. Aber sie wusste, dass es nichts ändern würde. Statt Anerkennung würde sie Mitleid ernten, Sorge und Kontrolle. Plötzlich packte sie die Unruhe. Sie war nicht das Problem. Sie war eine verantwortungsbewusste, erwachsene Frau. Und sie beherrschte ihr Metier.
Sie nahm all ihren Mut zusammen.
»Ich muss gehen«, presste sie heraus. Ihr Hals war wie zugeschnürt, die Wände schienen immer näher zu kommen.
»Wir können dich mitnehmen, oder, Paul?«, schlug Rebecca vor.
»Sehr gern, mein Schatz. Hast du alles, Juls?«
Paul lächelte, als ob nichts geschehen sei. Ein ganz normales Abendessen im Kreise der Familie. Sie fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen, ihr Herz raste. Sie musste hier raus. »Danke, ich möchte ein wenig alleine sein.«
Sie wurde umarmt und geküsst. »Vergiss nicht, dich bei Daniel zu entschuldigen.«
»Ja, Mama.«
»Ich habe dich lieb, Honey.«
»Ich dich auch«, antwortete sie mit gebrochenem Herzen.
»Es wird alles gut, das geht vorbei.«
Sie zwang sich zu nicken, im Grunde war schon alles vorbei, sie wusste, wie die Dinge liefen. Sie griff nach ihrer Tasche. Gina wartete an der Tür auf sie. »Ich habe alles kaputtgemacht«, flüsterte sie, während die alte Dame sie in die Arme nahm.
»Nein, meine Kleine. Du bist nur du selbst geblieben. Das warst du immer, trotz ihrer Versuche, dich zu ändern.« Sie fuhr ihr zärtlich übers Haar. »Du bist wie sie.«
Wie sie? Wen meinte sie damit? »Ich kann dir nicht folgen.«
»Unwichtig. Das, was wirklich zählt, ist, dass du nach Venedig gehst.«
»Ich … ich weiß nicht, Tata. Ich weiß gar nichts mehr.« Würde sie den Schritt wagen?
»Du musst es tun, mein Liebling.« Gina griff nach ihrer Hand und gab ihr ein Etui. »Jetzt liegt alles in deiner Hand.«
Sie verstand kein Wort und klappte den Deckel auf. Überrascht riss sie die Augen auf. Auf einem verblichenen roten Samtpolster ruhten glänzende Perlen. »Perlen aus Venedig.« Sie warf ihrem Kindermädchen einen überraschten Blick zu. Die Perlen waren in Gold eingefasst. Fadenglas mit Rosettenschliff, strahlend und perfekt rund. Eine antike Kostbarkeit, die ein kleines Vermögen wert war. Unter ihren Fingern wurde die Kette plötzlich warm. »Das kann ich nicht annehmen.«
»Doch, du kannst und du musst. Sie würde sich darüber freuen. Bring sie nach Hause, Juliet. An den Ort, an den sie gehören.«
Ende des 13. Jahrhunderts befahl der Doge, dass alle Brennöfen nach Murano gebracht werden sollten. Die Insel wurde damit zur Glasmetropole, eine Periode außergewöhnlichen Wirtschaftswachstums nahm so ihren Anfang. Unter den Privilegien war auch das Münzrecht, als Zahlungsmittel entstand die Osella di Murano.
Venedig war eine reiche Stadt, majestätisch und voller Leben. Voller Stolz zeigte sie ihre Vergangenheit, in diesem Bewusstsein präsentierte sie ihre Palazzi, ihre Kirchen und die üppig grünen Gärten. Die Glockentürme reckten sich selbstbewusst in den Himmel, der sich azurblau und schier endlos über die Kanäle spannte.
Juliet hatte schon vorher von der Faszination der Lagunenstadt gewusst. Aber alles andere … nichts hatte sie auf das Gefühl vorbereitet, das sie empfand, als sie auf dem Vorplatz des Bahnhofs Santa Lucia am Canal Grande stand.
Auf der Wasserstraße waren Motorboote und Gondeln unterwegs. Sie teilte sich und floss zwischen den immer schmaler werdenden Calli hindurch, an deren Seiten die Wellen schlugen. Die winzigen Anlegestellen, kaum größer als eine steinerne Stufe, die zu salzverkrusteten Holztüren führten, waren mit Moos und Algen bedeckt.
»So hatte ich mir das nicht vorgestellt«, sagte sie zu sich. Sie ließ ihren Blick in alle Richtungen schweifen. Überall entdeckte sie etwas, das sie sich unbedingt näher anschauen wollte. Die symmetrischen zweibogigen Fenster hinter den Balkonen, die Bordüren der rosa und weißen Marmorfassaden, die Kuppel in intensivem Himmelblau, die sich auf mächtige Säulen gestützt direkt vor ihr erhob. Sie war erfüllt von Bewunderung und Staunen. Alles war so … ihr wurde schwindlig. Sie spürte den Jetlag und zwinkerte.
»Darf ich?«
»Entschuldigung«, antwortete sie instinktiv auf Italienisch. Gina hatte stets in ihrer Muttersprache mit ihr gesprochen, es waren Glücksmomente ihrer Kindheit, ihr gemeinsames Geheimnis. Sie hatte immer gesagt, dass sie ein besonderes Kind war, ein Glückskind, weil sie zu einer bedeutenden italienischstämmigen Familie gehörte. Im Gegensatz zu ihrem Vater, der nicht gerne darüber sprach, war ihr Kindermädchen bemüht, sie mit dem Bel Paese vertraut zu machen und ihr naturgegebenes Talent für Kunst und Kreativität zu fördern. Sie fasste sich an den Hals, fuhr mit den Fingern über die Kette. Die kleinen Perlen waren asymmetrisch, jede einzelne hatte eine andere Form. Vor diesem Hintergrund bekamen die Geschichten aus ihrer Kindheit eine ganz neue Bedeutung. Wurden zu etwas Geheimnisvollem.
Sie gehört dir, seit deiner Geburt.
Die Glasperlenkette war seit jeher in Familienbesitz, hatte Gina ihr gesagt. Aber warum hatte sie sie nicht von ihrem Vater bekommen? Juliet hatte nicht nachgefragt, in diesem prekären Moment war sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, hatte sich zusammenreißen müssen, bis sie endlich wieder in ihrer Wohnung war … nein. In Daniels Wohnung. Am nächsten Morgen hatte sie das Reisebüro angerufen und gefragt, ob sie ihre Abreise nach Italien vorverlegen könnte. Nachdem sie gepackt hatte, hatte sie ihre Eltern von ihrer Entscheidung informiert. An ihre Reaktion wollte sie lieber nicht mehr denken.
Eine Touristengruppe drängte sich vorbei, sie wurde gerempelt und geschubst und suchte sich eine ruhige Ecke. Sie war aufgeregt, aber auch voller Tatendrang. Es war das erste Mal, dass sie in Italien war. Und auch das erste Mal, dass sie alleine reiste. Ihr Handy klingelte. Sie schaute ungläubig auf das Display: »Rebecca?« In Seattle war es mitten in der Nacht … war etwas passiert? Sie dachte an Daniel und begann zu zittern. Sie hatte schon drei Tage nichts mehr von ihm gehört, seit diesem schrecklichen Abend, der alles verändert hatte. Aber in diesem Fall würde ihre Mutter anrufen. Wahrscheinlich sollte ihre Schwägerin ihr eine Nachricht überbringen, was sie nur noch trauriger machte. Denn nachdem ihre Wut über den Abend verflogen war, war in ihr nur eine tiefe Trauer geblieben. Sie nahm den Anruf an. »Kannst du nicht schlafen?«
»Ciao, Juls, bitte leg nicht auf.«
Paul? Überrascht riss sie die Augen auf. Sie hatte seine Anrufe ignoriert, deshalb hatte er sich das Handy seiner Verlobten geliehen. »Ich lebe noch, das kannst du Mama sagen. Und es ist sehr schön hier.« Das klang harscher, als sie gewollt hatte. Sie schaute zum Himmel, der immer blauer und strahlender wirkte. Die Tränen brannten ihr in den Augen.
Stille, ein Seufzer, dann war im Hintergrund Rebeccas Stimme zu hören. »Es tut mir sehr leid, was passiert ist.«