Des großen Königs Adjutant - Jost Müller-Bohn - E-Book

Des großen Königs Adjutant E-Book

Jost Müller-Bohn

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Beschreibung

Als persönlicher Adjutant des großen Königs gewinnt Alexander Einblick in intime Geheimnisse des Monarchen. Es hat den Anschein, als wolle Friedrich stets etwas überspielen oder verbergen, es scheint, als blute in ihm unaufhörlich eine verborgene Wunde. Ein Brief des Liederdichters und Gottesmannes Gerhard Tersteegen hatte den König sehr nachdenklich gemacht, weil dieser ihm geschrieben hatte: »Welch ein Werkzeug könnte dieser große Mann in der Hand des großen Gottes sein, wenn sein vorzüglicher Verstand, vom höheren Licht bestrahlt, die höchst schädlichen Urteile wider die Religion ablegen, und sein Herz dem König aller Könige, dem Herrn aller Herren, seine gebührende Ehre geben möchte.« Beim nächtlichen Überfall, der Schlacht von Hochkirch, wird Alexander Blankenburg lebensgefährlich verletzt. Er gilt als verschollen, doch seine Verlobte, Komtesse Jeannette von Priegnitz, gibt die Hoffnung nicht auf, ihn wiederzusehen. Dieses eBook ist der 3. Band der »Preußen-Saga« und die Fortsetzung von »Die Rebellion des Herzens« und »Der Choral von Leuthen«.

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Des großen Königs Adjutant

Preußen-Saga Band 3

Jost Müller-Bohn

Impressum

© 2017 Folgen Verlag, Langerwehe

Autor: Jost Müller-Bohn

Cover: Caspar Kaufmann

ISBN: 978-3-95893-035-3

Verlags-Seite: www.folgenverlag.de

Kontakt: [email protected]

Shop: www.ceBooks.de

 

Dieses eBook darf ausschließlich auf einem Endgerät (Computer, eReader, etc.) des jeweiligen Kunden verwendet werden, der das eBook selbst, im von uns autorisierten eBook-Shop, gekauft hat. Jede Weitergabe an andere Personen entspricht nicht mehr der von uns erlaubten Nutzung, ist strafbar und schadet dem Autor und dem Verlagswesen.

Inhalt

Titelblatt

Impressum

Reise nach Berlin

Im Hauptquartier des Königs

Verlobung auf Schloss Greiffenhain

Der Ritt hinter die Linien des Feindes

Sind das die Stillen im Lande?

Der Hunnensturm

Hochkirch

Die schrecklichste Nachricht

Unsere Empfehlungen

Reise nach Berlin

In den letzten Tagen des denkwürdigen Jahres 1757 jagten zwei schmucklose, graue Kutschen durch die triste Gegend von Schlesien in Richtung Norden. Ständig umgab eine kleine Eskorte von zehn Husaren die beiden Wagen. In ihren weißen Dolmanen und Pelzen hoben sich die Reiter durch braune Pelzmützen, blaue Kniehosen sowie gelbe Verschnürungen auf der Brustseite von der Schneelandschaft ab.

Die Männer des Begleitkommandos waren ausschließlich Schlesier. Die vielbefahrene Poststraße nach Brandenburg war fast schneefrei, der Boden aber durch anhaltenden Frost hart gefroren.

An den Türen des ersten Wagens erkannten aufmerksame Beobachter die goldenen Initialen mit dem gekrönten – F R– . Daraus konnten sie schließen, dass es sich um die Kutsche des Königs handelte. Im zweiten Wagen saßen Oberst Freiherr von der Marwitz, Leutnant Alexander Blankenburg, der königliche Kammerdiener Schöning und der Page des Königs, Karl von Glasow.

Die lange, eintönige Fahrt hatte die Männer inzwischen müde gemacht. Durch die Seitenfenster sahen sie nur kahle Bäume, die ihre verschneiten Äste und Zweige gegen den Himmel ausstreckten.

Erst vorgestern hatten die Wagen den kleinen Ort Leuthen mit seiner zerstörten Friedhofsmauer und der verwitterten Dorfkirche passiert, um die noch vor wenigen Wochen erbittert gekämpft worden war.

Das Dach und der Turm des Gotteshauses waren wie vom Sturm zerfetzt und durchlöchert. Die zerstörten, schneebedeckten Dächer der umliegenden Bauernhäuser erinnerten an das grauenhafte Gemetzel, das hier stattgefunden hatte.

In der Ferne sah Alexander die drei sanften Hügel und die Reste der Windmühle, von der aus der König das gewaltige Drama seiner schiefen Schlachtordnung, die Vernichtung der österreichischen Armee, beobachtet hat. Die neuen Zwölfpfündergeschütze der Preußen hatten der österreichischen Armee verheerend zugesetzt.

Doch in diesem Inferno der umfassenden Schlacht des preußischen Königs hatte Alexander die Nähe Gottes erfahren. – Nie war er von den Wirkungen des Schöpfergeistes so mächtig erfasst worden wie an jenem 5. Dezember 1757. Wie schon so viele Male sah sich Alexander hier inmitten seiner Kameraden – wie er mit dem erschöpften, aber siegreichen preußischen Heer zunächst schweigend durch die Winternacht gezogen – wie Feldwebel Liebler den Choral anstimmte – wie die Männer von Dank erfüllt gemeinsam zu singen begonnen hatten:

»Nun danket alle Gottmit Herzen, Mund und Händen,der große Dinge tut,an uns und allen Enden!«

Es mochten damals wohl mehr als 20 000 Menschen gewesen sein, die Gott mit diesem wunderbaren Choral die Ehre gegeben hatten.

Nun ratterten die Wagen schon über 60 Stunden, umgeben von dem kleinen Gefolge der Leibhusaren, von Breslau aus über steinharte Straßen der Garnisonsstadt Berlin entgegen.

Als die beiden geschlossenen Kutschen ohne Halt durch das Cottbusser Tor in die Stadt einfuhren, schlug Alexander Blankenburg, dem jüngsten Adjutanten des preußischen Königs, das Herz höher.

Dort, hinter jenen Mauern, hatte er die größte Enttäuschung seines Lebens erfahren, und hier, in der preußischen Armee, überstand er den härtesten Drill seines Lebens. Aus dieser Stadt war er seinerzeit unter den gefährlichsten Umständen geflohen. Aus tiefer Gewissensnot war er freiwillig wieder in das große »Soldatengefängnis« nach Preußen zurückgekehrt.

In dieser Stadt aber hatte er auch das entzückendste weibliche Wesen wiedergefunden und neu zu lieben begonnen. Im geheimen hoffte Alexander, gerade hier in Berlin ein Lebenszeichen von Jeannette von Priegnitz vorzufinden. Bei nächster Gelegenheit wollte er in die Krausenstraße gehen, um in seinem ehemaligen Rekrutenquartier nach Briefen aus St. Petersburg zu fragen.

Ohne Aufenthalt schaukelten die beiden königlichen Kutschen, stets umgeben von weißen Husaren, auf der vereisten Dresdner Straße dem Stadtkern von Berlin zu.

›Sind wir denn nicht bald da?‹ dachte Alexander. ›Oh, diese unerträglich lange Straße mit ihren vielen Kaufläden, Bäckereien, Metzgereien, Kaffeehäusern, Gastwirtschaften und Handelshäusern im östlichen Stadtviertel will einfach kein Ende nehmen.‹

Obwohl der Krieg bisher weit entfernt in Sachsen, Thüringen, Schlesien und Ostpreußen geführt wurde, war auch die Stadt Berlin von Kämpfen nicht verschont geblieben. Der kurze Spuk eines österreichischen Überfalls vor noch nicht langer Zeit hatte sichtbare Spuren hinterlassen. So schnell er gekommen, so schnell war der feindliche Streifzug vorbeigegangen. Besonders jetzt im Winter lastete die Not des Krieges stark auf den Einwohnern Berlins. Krüppel und Bettler lungerten an Kirchen und Brücken herum. Auf den öffentlichen Plätzen streckten ausgehungerte Kinder ihre dünnen Arme und Hände den vorübergehenden Bürgern entgegen.

Alexander lehnte sich mit dem ganzen Oberkörper nach vorn, als ob er durch diese Haltung die Bewegung des Wagens beschleunigen könnte. Neugierig blickte er die Straße entlang, als sie sich dem Stadtkern näherten. Die Fenster der kleinen Bürgerhäuser waren völlig vereist.

Jetzt überquerten die Kutschen den Schlossplatz und umfuhren das prächtige, königliche Stadtschloss in Richtung Lustgarten. Nachdem sie die Brücke am Zeughaus passiert, bogen sie am Denkmal des Großen Kurfürsten in die breite Prachtstraße Berlins »Unter den Linden« ein. Alexander erblickte das Opernhaus. Hier hoffte er damals, als kleiner »Achtgroschenmann«, seine Herzensschöne zu treffen, doch vergebens. Auch heute spähte er sichtlich erregt hinüber zum Hauptportal des Musiktempels, doch alles schien wie ausgestorben.

Nun kamen sie am »Petersburger Hof« vorbei. In der Nähe dieses Restaurants hatte er sich einst noch vor Ausbruch des Krieges mit Jeannette zu einem klärenden Gespräch getroffen. Ablehnend, verbittert und unzugänglich, ja geradezu abstoßend war doch sein Verhalten ihr gegenüber damals gewesen, nur, weil er sie völlig missverstanden hatte. Insgeheim aber hatte ihn dennoch von Zeit zu Zeit eine unbändige Sehnsucht nach ihrer Nähe, ihrer liebenswürdigen Ausstrahlung und ihrem weiblichen Charme erfüllt.

Als die Wagen ohne Halt durch das gut bewachte Brandenburger Tor fuhren und die Stadt in Richtung Westen verließen, dachte Alexander an andere bewegte Bilder der Vergangenheit, nämlich daran, als er hier vor Jahren während seines Wachtdienstes Jeannette unverhofft wiedergesehen, als er vor lauter Überraschung für nur wenige Augenblicke seine Aufmerksamkeit dem Wagen geschenkt hatte, in dem sie gewesen, und wie er zur Strafe für diese »Vernachlässigung seines Wachtdienstes« im Kerker krummgeschlossen worden war.

Vorbei – vorbei!

Der Tiergarten lag stumm und starr im rauen Winterkleid da. Die großen Kiefernwälder am Grunewaldsee waren von einem hellen Winterzauber, einem Gefunkel aus leuchtenden Kristallen, bedeckt. Märchenhaft schön glitzerten die entlaubten Büsche in ihrem Schleier aus Raureif. Die Wasser der Havel ruhten von Eis bedeckt. Zahlreiche Wasservögel standen reglos am Ufer und unter den großen Holzbrücken.

Nach geraumer Zeit entdeckten die Offiziere in der königlichen Kutsche den hoch emporragenden Turm der Garnisonskirche von Potsdam. Das Stadtschloss lag heute wie ausgestorben unter einer weißen Decke.

Endlich erreichten sie das Ziel ihrer Reise.

Noch am Abend bezogen Oberst von der Marwitz und Alexander Blankenburg die ihnen zugewiesenen Räume im Schloss. Nach der anstrengenden Fahrt sanken sie völlig erschöpft in ihre Betten. Vom hohen Turm der Garnisonskirche erklang die vertraute Melodie zu ihnen herüber:

»Üb' immer Treu und Redlichkeitbis an dein kühles Grab,und weiche keinen Fingerbreitvon Gottes Wegen ab.«

Schon am frühen Morgen des nächsten Tages herrschte vor dem Stadtschloss in Potsdam ein reges Kommen und Gehen. Kutschen, Schlitten und Bauernwagen hielten auf dem großen Platz vor der imposanten Schlossfassade, die König Friedrich II. noch vor dem Krieg neu gestalten und die Innenräume zu einer repräsentativen Winterresidenz umwandeln ließ. Über die breite Auffahrt zum Gartenportal kamen Menschen aller Stände, reiche und arme, gebildete Leute und einfache Bauern, um ihre Bittschriften vorzulegen und auf die Entscheidung des Königs zu warten.

Durch die gläserne Flügeltür konnte man in die Empfangshalle blicken. Offiziere und Ordonnanzen eilten durch den hohen Raum. Die Bürger des Landes warteten schweigend oder im leisen Gespräch auf positive Bescheide zu ihren Anliegen. Ab und zu erklang ein Befehl oder ein Aufruf. Eine seltsame Feierlichkeit nahm jeden Neuankommenden in Besitz, eben durch die Anwesenheit des Königs. Diese Tatsache ließ bei den wartenden Bitt-stellern, bei Zivilisten wie auch Uniformierten, bei Geistlichen, Beamten und Handwerkern neue Hoffnung aufkommen. Wie ein Lauffeuer hatte es sich herumgesprochen: »Seine Majestät, der König von Preußen, ist in Potsdam.« Auf dem Stadtschloss flatterte die Standarte des Monarchen.

Das Büro des Oberst von der Marwitz war in einem Seitenraum untergebracht. Hier prüfte der diensthabende Adjutant des Königs die Briefe, die an Seine Majestät gerichtet waren. Sorgsam sortierte er die Schreiben nach der Wichtigkeit der Anliegen.

Ein Geheimbrief aus St. Petersburg mit bedeutenden militärischen Unterlagen erregte sein besonderes Interesse. Der russische Fürst Wobronski hatte vertrauliche Mitteilungen über die Absichten des russischen Oberkommandos übermitteln lassen. Es lagen dem Schreiben streng geheime Dokumente bei: Aufmarschpläne der russischen Westarmee, Entwicklungslisten im Bereich der russischen Artillerie und Bestückungsaufstellungen der Ingenieur-Truppen sowie des Pionierkorps.

Oberst von der Marwitz ließ die Überbringerin dieser höchst brisanten Nachrichten hereinrufen und befragte sie über die Stimmung beim russischen Adel, in der Bevölkerung und in der Armee. Ausführlich ließ er sich die Seereise von St. Petersburg nach Stockholm schildern, auch die gelungene Flucht auf einem neutralen Schiff, das die Botin in geheimer Mission nach Kolberg gebracht hatte. Der Adjutant des Königs notierte sich genauestens alle Einzelheiten. Dann sagte er:

»Mademoiselle, Sie werden sofort Seiner Majestät, dem König vorgestellt. Darf ich Sie bitten, sich hier noch einen Augenblick zu gedulden?« Von der Marwitz bot der jungen Dame einen Stuhl an.

Der Oberst verließ den Raum und durchschritt die Empfangshalle

 

 

Der König, zur Linken am hohen Schreibtisch sitzend, schien in eine Arbeit vertieft. Illustration: Adolph von Menzel

 

des Schlosses. Die wartenden Männer und Frauen blickten neugierig und voller Ehrfurcht dem hohen Offizier nach. Man hörte das Schlagen von Türen.

Nach geraumer Zeit kehrte der Adjutant des Königs zurück. Zum Erstaunen aller Wartenden bat er die in seinem Arbeitszimmer wartende, junge Dame, ihm zu folgen und führte sie direkt zu dem Kabinett des Monarchen. Jeannette wurde von der Größe des Schlosses tief beeindruckt: Zimmer an Zimmer reihten sich in endlos scheinender Flucht. Immer wieder öffneten sich Türen zu neuen Räumen, die mit wertvollen Möbeln, Siegeln, Vasen, Gemälden und anderen Kostbarkeiten ausgestattet waren.

Jetzt betraten sie das Schreibkabinett des Königs, einen hohen Raum, dessen gewölbte Decke mit naturalistischen Malereien geschmückt war. Die Wandbespannungen von rosa Silberbrokat mit eingewirkten Blumenranken glänzten im hellen Morgenlicht. Die hohen Fenstertüren boten einen herrlichen Ausblick in den Schlossgarten.

Der König, zur Linken an seinem Schreibtisch sitzend, schien in eine Arbeit vertieft. In dem Kamin aus gelbfarbenem Marmor, der mit Ornamenten reich verziert war, brannte ein kräftiges Feuer.

Auf dem Sims des Kamins standen drei kostbare Porzellanvasen. Dahinter hing ein hoher Spiegel, der fast bis zur Decke reichte und dessen Rahmen aus weißglasiertem Berliner Porzellan gefertigt war.

Oberst von der Marwitz meldete dem König:

»Euer Majestät, Mademoiselle von Priegnitz, soeben aus St. Petersburg angekommen, zum Vortrag bereit.«

Langsam erhob sich der kleine, magere Herrscher in seiner abgetragenen Uniform und wandte sich sogleich an die ihm gemeldete Dame.

»Seien Sie mir willkommen, Mademoiselle von Priegnitz. Wie ich hörte, haben Sie eine weite und nicht ganz ungefährliche Seereise hinter sich, für eine so zarte Person wie Sie – bei dieser Jahreszeit – ein nicht alltägliches Abenteuer. Meine Hochachtung, junges Fräulein.«

Die Hände vor die Brust haltend knickste Jeannette von Priegnitz vor dem König: »Ich stehe Ihnen untertänigst zu Diensten, Euer Königliche Majestät. Ich danke Ihnen für die mir erwiesene Gnade, zu einer persönlichen Audienz von Eurer Königlichen Majestät empfangen worden zu sein«, sie zitterte heftig.

Friedrich nahm die ihm von seinem Adjutanten überreichten Pläne und Schreiben in die Hand und überflog den Inhalt dieser wichtigen Aufzeichnungen. Nach einer kurzen Pause sagte er: »Sie bringen mir da höchst vertrauliche, wichtige Nachrichten aus St. Petersburg, eine Fülle von militärischen Mitteilungen, die uns sehr gelegen kommen. Sie sind eine tapfere Patriotin. Es hätte Sie das Leben kosten können, wenn man diese Dokumente bei Ihnen entdeckt hätte. Ich danke Ihnen für Ihre Dienste, die Sie mir, und damit auch Preußen, geleistet haben.«

Dann ließ sich der König von Fräulein von Priegnitz über die Zustände am Hof der Zarin berichten. Vor allem interessierte ihn die Stimmung bei der russischen Generalität und dem Offizierskorps.

Am Ende der Audienz fragte der König: »Mademoiselle, kann ich irgend etwas für Sie tun, um mich für den von Ihnen geleisteten Dienst für das preußische Vaterland erkenntlich zu zeigen?«

Jeannette von Priegnitz ergriff die Gunst der Stunde. Sie verneigte sich ehrerbietig vor dem König und erzählte in kurzen Zügen von den verworrenen Wegen ihrer Kindheit und Jugendzeit, von der brutalen Entführung ihrer Familie im russischen Reich, und wie sie später als Waise aus einer gewissen Notsituation heraus in die Dienste des Barons von Kaminski gekommen, um viele junge Männer in den Dienst der preußischen Armee zu locken.

Jeannette flatterte vor Aufregung am ganzen Körper, das Herz schlug ihr bis zum Halse. Der König, der diese gesteigerte Nervosität bemerkte, näherte sich der kleinen Schönheit:

»Aber, aber, Mademoiselle, ich bin doch kein bösartiger, sibirischer Wolf. Reden Sie nur frei und ungeniert weiter.«

Verschüchtert fuhr Jeannette fort:

»Euer königliche Majestät, es gibt etwas, das mein Gewissen Tag und Nacht schwer belastet, nämlich das Schicksal eines jungen Mannes, den ich zwar auf Wunsch des Barons von Kaminski der preußischen Armee angeworben, zu dem ich aber eine persönliche Beziehung habe. Diesem jungen Mann hatte ich damals fälschlicherweise eine glänzende Offizierslaufbahn versprochen, da ich über die Voraussetzungen zu solch einer Karriere nicht richtig informiert war. Ich habe diesen Menschen sehr unglücklich gemacht und fühle mich deshalb vor Gott und vor ihm schuldig.«

Zitternd am ganzen Körper verneigte sich Jeannette nochmals vor dem König und holte tief Atem:

»Darf ich Eure Königliche Majestät um Gnade bitten für diesen jungen Mann, den ich von Herzen liebe, und eine gewisse militärische Förderung für ihn erwirken? Ist es wohl zu viel verlangt, wenn ich solch ein Ansinnen vor Euer Majestät, dem König, ausspreche?«

Friedrich zuckte nervös mit seiner Unterlippe: »Wer sagt denn, dass man aus Liebe je zu viel verlangen kann? Doch müssen natürlich die Voraussetzungen für eine militärische Laufbahn gegeben sein. Wie heißt denn Ihr Auserwählter, und in welches Regiment hat man ihn gesteckt?«

Jeannette fasste ihren ganzen Mut zusammen: »Er heißt Alexander Blankenburg und dient als Musketier im Regiment von Itzenplitz.«

Über das markante Gesicht des Königs legte sich ein verschmitztes Lächeln, das Jeannette nicht bemerken konnte, weil sie immer noch mit tiefgeneigtem Kopf vor dem König verharrte.

»So, so«, zischte der König durch seine lückenhaften Zähne, »Alexander Blankenburg heißt er, und er ist Musketier im Regiment Itzenplitz?«

»Ja, Euer Königliche Majestät, er wohnte vor Ausbruch des Krieges bei einem Sergeanten namens Wuttke in der Krausen-straße. Leider habe ich durch meinen Aufenthalt in St. Petersburg sehr lange Zeit nichts mehr von ihm gehört.«

Der König räusperte sich verlegen. Amüsiert ging er auf Jeannette zu, nahm ihre Hand und richtete sie auf: »Mein liebes, junges Fräulein«, sagte er in gütigem Ton, »ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um Ihnen Ihren Herzenswunsch zu erfüllen. Sie werden in Kürze von mir eine Nachricht erhalten. Bleiben Sie nur solange beim Fürsten Wobronski und warten Sie geduldig ab. Au revoir, Mademoiselle von Priegnitz.«

»Au revoir, Eure Königliche Majestät«, erwiderte Jeannette überglücklich.

Oberst von der Marwitz geleitete sie später zum Wagen, der sie zum Landhaus des russischen Fürsten zurückbrachte.

Der königliche Adjutant Leutnant Alexander Blankenburg war sehr seltsam berührt, ja geradezu verärgert, als er plötzlich von Seiner Majestät, dem König, den dienstlichen Auftrag erhielt, sich zum Neujahrsempfang in das Landhaus nach Königsruh zu begeben. Der russische Fürst Wobronski hatte eingeladen, und gerade er, der blutjunge, höfisch unerfahrene Adjutant sollte als Verbindungsoffizier bei dieser Festlichkeit den preußischen Hof vertreten.

›Hätte der König nicht einen erfahreneren, ranghöheren Stabsoffizier delegieren können?‹ dachte er.

Während der Fahrt in einer der königlichen Kutschen haderte Alexander mit sich selbst wegen der eigentümlichen Anweisung, die er von Oberst von der Marwitz übermittelt bekommen hatte.

Zu gern wäre er zur Jahreswende nach Berlin gereist, um der Ehefrau seines Sergeanten Wuttke in der Krausenstraße einen Besuch abzustatten und sie bei dieser Gelegenheit nach Briefen von Jeannette zu fragen.

Alles schien ihm auf der Fahrt nach Königsruh so wirklichkeitsfremd. Jetzt, mitten im Krieg, sollte er an irgendwelchen Geselligkeiten von hochgestellten Persönlichkeiten teilnehmen, in einer Zeit, in der das einfache Volk unter den Lasten des Krieges litt und viele Strapazen auf sich nehmen musste.

Die Ernährungslage war stark eingeschränkt, Heizmaterial wurde für Gewehrfabriken und zur Munitionsherstellung, für Eisen-und Geschützgießereien gebraucht, so dass der Großteil der Bevölkerung im Königreich Preußen unter Hunger und Kälte litt. Es widerstrebte ihm, an verschwenderischen Vergnügungen teilzunehmen, während seine Kameraden in den primitiven Winterquartieren von Schlesien bis Sachsen ein tristes Dasein fristeten. Ausgerechnet jetzt sollte er auf einen Tanzball gehen, nur weil es die Laune seines Königs verlangte. Was hatte sich Friederich nur dabei gedacht, er, der eigentlich jedem Prunk während der Kriegszeit auswich und spartanisch zu leben verstand? Alle öffentlichen Festlichkeiten, sogar der Theater- und Opernbetrieb, waren verboten worden. Alexander konnte sich dieses zwiespältige Verhalten seines Königs nicht erklären.

Oder sollte vielleicht wieder einer der geheimnisvollen Spionageaufträge dahinterstecken? Was hatte der Monarch mit ihm vor? Alexander wusste, Fürst Wobronski galt als ein Parteigänger des Großfürsten Peter von Russland, dem Neffen der Zarin, der ein auffälliger Bewunderer, ja geradezu ein abgöttischer Verehrer des Preußenkönigs war.

In der feuchtkalten Luft im schaukelnden Wagen stellte sich Alexander vor, was ihn dort auf dem Ball wahrscheinlich erwarten würde: tanzende und albernde Paare im hell erleuchteten Saal – rauschende Musik – elegante Ballkleider – alkoholische Getränke und bedeutungslose, nichtige Gespräche, die wie Schall und Rauch vergehen würden. Wie wenig stand ein solches Gebaren im Einklang zu der rauen Wirklichkeit des grausamen Krieges mit allen Qualen, Schmerzen, Ängsten und Todes schreien.

Zum anderen überlegte er, wie er sich überhaupt in solch einem Gesellschaftskreis bewegen sollte, er, der ungelenke Nichttänzer, dem das gezierte Gehabe bis aufs Blut widerstrebte. Es wurde ihm bei diesem Gedanken plötzlich ganz heiß am Körper. Die Kragenbinde schien ihm den Hals zuzuschnüren. Was hatten solche Aufträge überhaupt mit dem Dienstreglement eines königlichen Adjutanten zu tun? Er verstand seinen König wirklich nicht.

Heinz Zittelmann kam ihm in den Sinn, der hätte ihn jetzt wahrscheinlich ausgelacht und in seiner originellen Berliner Art gesagt:

»Du hast wohl Angstschweiß in de Hosen. Soll ick dir vielleicht vertreten und den Herrschaften mitteilen, ick bin der große Bruder von dem kleenen Angsthasen? Mein Brüderchen lässt sich entschuldigen, er hat die Masern und kann deshalb nicht zum Neujahrsball kommen.«

Ein versonnenes Lächeln glitt über Alexanders Gesicht, doch gleich danach fielen Schatten über seine Züge. Wo war Heinz Zittelmann, der lustige Urberliner? Seine zerfetzten Gebeine lagen in einem sogenannten Heldengrab vor der Festung Prag verscharrt. Mancher aus der Kompanie hatte ihn vielleicht schon vergessen.

Nach stundenlanger Fahrt über hartgefrorene Wege, zeitweilig über gefährliche Eispassagen, durchquerte das königliche Gespann einen kleinen Kiefernwald. Es war schon dunkel geworden, doch die verschneiten Bäume und Sträucher glitzerten wie ein Meer aus Diamanten. Gleich nach Verlassen des Waldes sah man das Landhaus des Fürsten liegen, das von einigen ärmlichen Bürgerhäusern umgeben war. Durch die hell erleuchteten Fenster hörte man von drinnen ein fröhliches Tosen. Ein Diener in bunter Livree trat aus dem Hauptportal und hielt einen Leuchter in der Hand.

Nachdem Alexander in der Vorhalle seinen schweren Pelzmantel abgelegt hatte, wurde er in die große Empfangshalle geführt. Der Diener geleitete den Adjutanten des Königs direkt zum Hausherrn, der ihn in überaus leutseliger Weise empfing:

»Herr Leutnant Blankenburg, seien Sie mir als Abgesandter des Königs von Preußen herzlich willkommen. Später werde ich Sie der ganzen Neujahrsgesellschaft vorstellen.«

Er geleitete ihn in ein kleines Zimmer.

»Darf ich Sie zunächst mit meiner Frau bekannt machen …« Er führte Alexander zur Fürstin, einer Frau von kräftigem Körperbau und energischem Charakter. Umgeben von ihren Töchtern, saß sie auf einem vergoldeten Rokoko-Canapé.

Die Fürstin nickte ihm freundlich zu:

»Herr Blankenburg, es ist mir eine außerordentliche Freude, Sie als Gast bei unserer kleinen Geselligkeit zu empfangen«, sie bot ihm die Hand, die er flüchtig küsste.

»Dies ist Natascha, und zu meiner Linken Alexandra.«

Kokett und voller Charme schauten die blutjungen Mädchen den außerordentlich schönen Adjutanten des Königs an und nickten ihm freundlich zu. Seine neue Offiziersuniform, die ihm vom Monarchen zu diesem Ereignis geschenkt worden war, machte auf die beiden noch recht verspielten »Damen« einen großen Eindruck.

»Hier werden Sie gewiss eine Zeitlang den schrecklichen Krieg vergessen. Wir hoffen doch alle, dass dieses sinnlose Morden bald ein Ende hat«, meinte die Fürstin.

Alexander verbeugte sich leicht: »Fürstliche Hoheit, die entsetzlichen Bilder des Krieges lassen sich kaum durch ein solches Fest verdrängen. Sie stehen mir oft des Nachts auch noch im Traum vor Augen.«

Die Fürstin nickte mitleidsvoll: »O, ja, ja, ja, dieser fürchterliche Krieg, entsetzlich, entsetzlich …« Sie schüttelte ihren frisch frisierten Kopf.

Wobronski führte seine Gattin in den Saal. Ihm folgten der Reihe nach Paar um Paar, Grafen, Barone, Diplomaten und Geschäftsleute mit ihren Tänzerinnen. Offiziere gab es hier wenige zu sehen.

Die Melodie des Menuetts hatte für Alexanders Ohren eine traurige Klangfärbung, als in ihm die Erinnerung an etwas Unwiederbringliches, Verlorenes aufstieg. Es schmerzte ihn, zu wissen, dass Hunderttausende unter den Auswirkungen des Krieges zu leiden hatten, dass verwundete Soldaten von anhaltenden Schmerzen gepeinigt wurden, und Kriegskrüppel, verachtet von der Gesellschaft, ihren dürftigen Lebensunterhalt durch Betteln erbringen mussten, während hier in strahlendem Licht unter kostbaren Lüstern aus Kristallprismen mit Hunderten von Kerzen die feine Gesellschaft schwelgte.

Er wünschte sich, jetzt lieber bei seinen Kameraden in den einfachen Quartieren zu sein, als diesem Karneval der Eitelkeiten beiwohnen zu müssen.

Aus der Vorhalle vernahm er Stimmen und Schritte von einer kleinen Gruppe neu Ankommender. Ein Juchzen und Kichern drang, immer lauter werdend, ihm entgegen. Verkleidete Damen und Herren drängten sich unter die Tanzenden.

Bunt kostümierte Narren, schwarzweiße Dominos, Bajazzos, hopsende Harlekine, uniformierte Landsknechte, Marketenderinnen und andere Possentreiber bildeten eine langgezogene Kette und schlängelten sich durch die Tanzpaare hindurch.

Auch Damen und Herren, die nur eine kleine schwarze Halbmaske trugen, schienen sich sehr zu amüsieren. Kreischende Kinder umringten die Fürstin und begrüßten sie mit einer tiefen Verbeugung, um sich dann anschließend ebenso im Saal zu verlieren.

Alexander empfand dieses Treiben als abstoßend und ekelerregend. Es war ihm wie eine Versuchung Gottes. Er wollte fort, doch wusste er, dass er damit gegen die Anordnung seines Königs verstoßen würde. Angewidert von dem Trubel starrte er auf den großen Kamin mit seinem herrlichen Stuckaufsatz, der sich an der Türöffnung des Saales befand. Auf einer Eisenplatte konnte man die Initialen mit der Jahreszahl 1648 erkennen. »War es nicht das Jahr, in welchem man zu Münster den grausamen 30jährigen Krieg beendet hatte?« fragte sich Alexander, »also etwa hundert Jahre zuvor? Die Menschheit hat wirklich nichts aus der Geschichte gelernt«, seufzte er leise.

Da! – Alexander riss es förmlich aus seinen Gedanken. Wer war das? – An der linken Flügeltür erschien eine schöne Frauengestalt. Alexander konnte ihr Antlitz nicht erkennen, da sie eine schwarze Maske vor dem Gesicht trug. Er bemerkte aber, dass die junge Frau ihre Augen auf ihn gerichtet hielt. Sie blieb vor einem funkelnden Spiegel stehen. Auf ihrem dunkelblonden Haar trug sie einen zierlichen Dreispitz, den sie keck nach vorn heruntergezogen hatte. Sie hatte einen dunkelbraunen Herrenrock mit gelber Weste übergezogen. Jetzt kam sie sehr langsam auf ihn zu.

Alexander schaute wie gebannt auf die graziöse Gestalt. Er wollte fliehen, doch irgend etwas hielt ihn mit unwiderstehlicher Macht fest. Er ahnte, dass eine schicksalhafte Begegnung mit diesem Wesen kommen würde. Als die Unbekannte sich ihm bis auf etwa zwei Schritte genähert hatte, legte sie ihre Hand, die in einem rotbraunen Wildlederhandschuh steckte, an ihren Mund, so, als ob sie ihm etwas zurufen wollte.

Alexander hörte den Satz – es klang sehr deutlich, wenn auch nur geflüstert:

»Man sucht oft etwas in der Weite und hat's ganz nah an seiner Seite.«

Wie ein Blitzschlag traf es ihn, als er die Fremde an ihrer liebreizenden dunklen Stimme wiedererkannte.

»Jeannette!« hauchte Alexander fasziniert.

Seine Stimme bebte vor Erstaunen und gespannter Erwartung. Sein Herz begann voller Wonne schneller zu schlagen. Tränen traten in seine Augen. Es durchrieselte ihn vor Erregung vom Kopf bis in die Zehenspitzen.

Ganz vorsichtig, Millimeter um Millimeter, zog Jeannette die dunkle Maske vom Gesicht, bis ihre entzückenden blauen Augen zum Vorschein kamen.

»O, Alexander«, sagte sie, »welch ein Augenblick. Wo finden wir uns wieder?« Sie streckte ihm ihre Hand entgegen.

Die Klänge der Flöten und Geigen wurden lauter, der Lärm und das taktmäßige Schlagen der Schuhe und Stiefel um sie herum schwoll an.

Alexander ergriff ihr Handgelenk, dann zog er ihr sanft den Handschuh ab und küsste behutsam ihren Handrücken. Dabei sog er den Wohlgeruch ihrer weichen Haut ein.

 

 

Ganz vorsichtig, Millimeter um Millimeter, zog Jeannette die dunkle Maske vom Gesicht, bis ihre entzückenden, blauen Augen zum Vorschein kamen.

»Ach Jeannette«, stöhnte er, »ist es ein Traum oder narrt mich ein Fieber? Ich könnte vor Freude und Lust vergehen.«

Er fühlte sich durch ihren Liebreiz wie von einem guten Wein berauscht. Neu belebt und wie verjüngt kam er sich vor. »Bist du es wirklich?« rief er immer wieder und überglücklich.

»Bitte, lass uns aus diesem bunten Treiben entfliehen«, bat Jeannette und zog ihn energisch durch das Gedränge der ausgelassenen Gesellschaft in einen kleinen Nebenraum. Dieser war von nur wenigen Kerzen erhellt.

Als sich beide auf ein kleines Sofa gesetzt hatten, erklärte Jeannette: »Seit drei Tagen bin ich hier beim Fürsten Wobronski zu Gast.«

Alexander sagte leise: »Alles scheint mir noch wie in einem Traum zu sein.«

»O nein, Alexander, Träume sind nichts anderes als nebelhafte Bilder ohne Wesen. Ich bin aber kein Nachtgespenst oder gar eine Sinnestäuschung …, ich bin es selbst«, dabei kniff sie ihm herzhaft in die Wange.

Vorsichtig nahm Alexander erneut ihre Hand , führte sie an seine Lippen und hielt sie lange fest umschlungen. Dann ließ er sie wieder frei und flüsterte: »Ich fühle mich wie zwischen Himmel und Erde schwebend.« Sein junges Gesicht leuchtete vor Glück. Trotzdem lag zwischen beiden noch eine ungewohnte Spannung, eine unerklärliche Beklommenheit, die aber nichts Negatives bedeutete.

»Wie ist es dir in den letzten Jahren ergangen?« forschte Alexander.

Jeannette plauderte munter drauflos. Sie berichtete ihm in kurzen Zügen das, was sie vorher bereits dem König von Preußen dargelegt hatte. Sie verschwieg ihm auch nicht, was sie dem König über ihre Dienste für den Baron von Kaminski und die sich daraus für sie angebahnte Bekanntschaft mit ihm gebeichtet hatte. Sie erzählte weiter, was sie vom König für ihre Dienste erbeten habe und fügte amüsiert hinzu: »Nun ist mir erst klar, weshalb der König so seltsam reagierte, als er belustigt sagte: ›So, so, Alexander Blankenburg heißt ihr Auserwählter, und er ist Musketier im Regiment Itzenplitz?«‹

Sie überlegte einen Augenblick, in dem sie ihn von oben bis unten betrachtete. Dann schob sie ihre Unterlippe vor und nickte wohlwissend mit dem Kopf, in dem sie auf die stattliche Uniform mit den Adjutantenschnüren an seiner Schulter deutete. »Du bist also Offizier geworden? Dazu gratuliere ich dir von Herzen. Ich bin sehr stolz auf dich. Du weißt, ich liebte dich auch als den einfachen Musketier, als wir uns damals im Petersburger Hof in Berlin trafen.« Sie errötete, denn noch immer war ihr dieses Treffen von damals peinlich: »Aber ich möchte dir ganz offen bekennen, dass es mir jetzt doch eine große Freude bereitet, weil alles so eingetroffen ist, wie ich es dir einst in Frankfurt so fürchterlich leichtsinnig und unbedacht versprochen hatte.«

Alexander strahlte: »Wahrscheinlich besitzt du eine prophetische Begabung. Mir ist jetzt allerdings auch klar, weshalb mich der König als Abgeordneter des preußischen Hofes mitten im Krieg zu einem Neujahrsball nach Königsruh abkommandiert hat. Ich vermutete schon alle möglichen Zusammenhänge hinter diesem Auftrag; ich wäre aber nie darauf gekommen, welch ein unsagbares Glück er mir damit bereiten würde.«

Nun begann Alexander ausführlich von seinen Erlebnissen während der jahrelangen schmerzlichen Trennung zu berichten, dass er so traurig und verzweifelt gewesen, als er kurz vor Ausbruch des Krieges von ihrer Abreise nach St. Petersburg gehört hatte. Er sprach von den Gefahren des Krieges, in die er geraten war, von den Grauen der Schlachten und von dem Tod seines besten Kameraden Heinz Zittelmann. Mit wohlgefälliger Begeisterung aber berichtete er ihr, wie er in der Offiziersuniform eines gefangenen russischen Kuriers der Zarin nach Prag geschickt wurde, wie er während einer Hausdurchsuchung beinahe von Österreichern gefasst worden und dann wohl an den Galgen gekommen wäre, wie er aber doch mit Gottes Hilfe aus allen Gefahren herausgekommen sei und schließlich wohlbehalten das Hauptquartier des preußischen Königs erreicht hatte und danach für das gelungene Spionageunternehmen zum Leutnant befördert worden war. Er versicherte ihr aber auch, dass er oft an sie gedacht und in Gedanken mit ihr die allerliebsten Gespräche geführt und sie im Geist an seine Brust gedrückt habe.

Nach einer kleinen Atempause unterbrach ihn Jeannette:

»Du hast mich also nicht vergessen?« Dabei leuchteten ihre blauen Augen.

»O Himmel, wie konnte ich das? Endlich wusste ich, was Liebe in ihrer Unendlichkeit ist, und dass Gott uns durch die Begegnung in Frankfurt dazu ausersehen hat, das Leben mit-einander wunderschön zu gestalten, in einer Liebe, die niemals enden soll.«

Alexander blickte ihr offen und beglückt in die Augen: »Du bist noch hübscher geworden, Jeannette, als du es schon in Frankfurt warst – weil du jetzt nämlich glücklich bist. Ich möchte, dass du immer in der Liebe zu mir jung bleibst.« Er nahm ihre rechte Hand und hielt sie einen Atemzug lang fest, dann beugte er sich vor und küsste sie auf die Wange.

»Jeannette, ich liebe dich von ganzem Herzen«, flüsterte er.

Er drehte mit seinem Finger ihr Gesicht zu sich hin und küsste ganz behutsam ihren geschlossenen Mund Ihre Lippen waren weich und zart. Sein Herz hämmerte so laut, dass er meinte, sie müsste es hören. Seine Kehle wurde trocken, seine Brust schmerzte ihn und seine Lippen bebten. Dann ließ er sie frei. Ganz sacht zeichnet er mit seinem rechten Zeigefinger ihre Augenbrauen, ihre wohlgeformte kleine Nase, den Rand der Oberlippe und den der Unterlippe nach. Er ergriff erneut ihre Hand und küsste ihren Handrücken, während sie ihm mit ihren Fingern herzhaft durch sein dunkles Haar fuhr.

Ein Diener des Hauses brachte den beiden zwei reich verzierte Gläser, in denen Champagner perlte. Alexander reichte ihr das Glas und hielt das seine empor:

»Jeannette, lass uns anstoßen auf unsere gemeinsame Zukunft. Das Ziel unseres Lebens soll unsere Liebe, aber auch die zu Gott sein, der unsere verschlungenen Lebenswege so einmalig geführt hat. Seine Liebe soll uns immer über das Irdische hinaustragen in die große Freiheit seiner Gnade und Güte. Wir wollen dem Ewigen dienen und ihm vertrauen in allen Dingen.«

Beide nippten an ihrem Glas. Jeannette wurde seltsam berührt von dem Segensspruch, den ihr Liebster ihr zusprach. Sie hörte es aber gern.

»Wie oft habe ich dein liebes Bild betrachtet«, fuhr Alexander feierlich fort. »Einmal, als der Tod über mir schwebte, als ich nach menschlichem Ermessen nicht mehr damit rechnen konnte, auch nur noch eine Minute länger zu leben, hast du mir das Leben gerettet.«

Sie erschrak: »Als der Tod vor dir stand? – Ich habe dir das Leben gerettet?« Erschrocken blickte sie ihn an.

Alexander öffnete seine Uniformjacke und holte das eingebeulte Medaillon hervor:

»Kennst du dieses seltsame Schmuckstück?«

Jeannette war entsetzt, als sie ihr zerbeultes Kleinod sah. »Wie sieht denn mein Medaillon aus?«

»Dieses letzte Geschenk von dir hat mir das Leben gerettet. In der Schlacht bei Leuthen wehrte es eine feindliche Gewehrkugel ab, die mich sonst durchbohrt hätte. Du siehst, es ist dermaßen verbeult, dass ich es nicht mehr öffnen kann. Ich werde es aber dennoch bei mir tragen, solange ich lebe, denn es erinnert mich auch daran, wie Gott mich in vielen anderen Gefahren durch seine heiligen Engel bewahrt hat.«

Er steckte das Medaillon wieder in seine Brusttasche. Jeannette nahm seine Hand: