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Unmittelbar hinter den Deichen legten sich am Abend die Menschen zur gewohnten Zeit in ihre Betten. Sie konnten nicht sehen, wie das tosende Wasser höher und höher stieg. Sie vertrauten den altbewährten Schutzanlagen. Sie sahen es nicht, wie die unheimlich schlagkräftigen Wassermassen bereits an den großen Deichen nagten und Grasnarbe um Grasnarbe entzweischlugen. Sie ahnten nicht einmal, mit welcher Wucht bereits donnernde Brecher über die Deichkronen schossen … Ein packender Bericht über die historische Flut in Hamburg 1962.
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Seitenzahl: 55
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SOS Sturmflut
16. Februar 1962
Jost Müller-Bohn
© 2017 Folgen Verlag, Langerwehe
Autor: Jost Müller-Bohn
Cover: Caspar Kaufmann
ISBN: 978-3-95893-073-5
Verlags-Seite: www.folgenverlag.de
Kontakt: [email protected]
Shop: www.ceBooks.de
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Jost Müller-Bohn, geboren 1932 in Berlin, ist der bekannte Evangelist und Schriftsteller von über 40 Büchern. Er studierte in Berlin Malerei und Musik. Über 40 Jahre hielt er missionarische Vorträge. Seine dynamische Art der Verkündigung wurde weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt.
Als Drehbuchautor und Kameramann ist er der Begründer der „Christlichen Filmmission“. Seine Stimme wurde unzähligen Zuhörer über Radio Luxemburg bekannt. Einige seiner Bücher wurden zu Bestsellern in der christlichen Literatur.
Titelblatt
Impressum
Autor
SOS-Sturmflut
Katastrophenalarm an alle
Am Morgen
Bilanz der Sturmflut
Geschichte der großen Sturmfluten
Der Meeresspiegel steigt
Unsere Empfehlungen
»Heute ist Freitag, der 16. Februar 1962«, begann der Sprecher des Norddeutschen Rundfunks.
»Sie hören die Nachrichten und aktuelle Meldungen.
Zunächst den Wetterbericht, ausgegeben vom Deutschen Hydrographischen Institut Hamburg:
Ein kräftiges Tief zieht von Island her über Skandinavien nach Osteuropa. Bei Windstärken 9-10 muss mit Orkanböen gerechnet werden …«
Soweit verfolgen die Hörer Norddeutschlands im allgemeinen den Wetterbericht, wenn sie nicht direkt an der Küste mit dem Wasser und der Schifffahrt beschäftigt sind. Im übrigen brauchte man nur aus dem Fenster zu sehen und auf das Brausen des Sturmes zu hören, um zu erkennen: Es wird wieder einmal einigen Schaden durch Wind und Wasser geben, vielleicht auch mancher Fischkutter in Seenot geraten. Doch daran sind die wetterfesten Nord- und Ostfriesen ja seit Menschengedenken gewöhnt.
Ein anhaltender West- bis Nordweststurm tobte über der Nordsee. Schon seit Stunden hielt das kräftige Sturmtief mit unverminderter Heftigkeit an. Am Nachmittag des 16. Februar 1962 spürten aber auch die Bewohner der Städte von Schleswig-Holstein und Niedersachsen, wie auch die der landeinwärts liegenden Dörfer: hierbei haben wir es nicht mit einem der üblichen Stürme zu tun.
Dennoch hatte es zunächst nicht den Anschein, als ob eine besonders schwere Katastrophe daraus entstehen würde. Längst waren die Deichverbände alarmiert. Tausende Männer standen an der Küste entlang, zwischen der nördlichsten Insel Deutschlands und der südlichsten, zwischen Sylt und Borkum, in Bereitschaft, um dem eventuell einsetzenden Zerstörungswerk der Nordsee oder auch sogenannten »Mord«-see zu begegnen.
Unmittelbar hinter den Deichen legten sich am Abend die Menschen zur gewohnten Zeit in ihre Betten. Sie konnten nicht sehen, wie das tosende Wasser höher und höher stieg. Sie vertrauten den altbewährten Schutzanlagen. Sie sahen es nicht, wie die unheimlich schlagkräftigen Wassermassen bereits an den großen Deichen nagten und Grasnarbe um Grasnarbe entzweischlugen. Sie ahnten nicht einmal, mit welcher Wucht bereits donnernde Brecher über die Deichkronen schossen und wie sich die dort sammelnden Wassermassen von der Rückseite her an der Zerstörung der menschlichen Schutzwälle beteiligten. Durch die sie unentwegt überrollenden Wogen wurden die Deiche von hinten aufgeweicht und zerfurcht, so dass die Innenböschungen zu rutschen begannen. Nichts außer dem immer stärker werdenden Heulen des sich steigernden Sturmes deutete darauf hin, dass die Katastrophe ihren Anfang nahm und Millionen Menschen des norddeutschen Küstengebietes diese Nacht als eine Schreckensnacht niemals vergessen würden. Wer hörte schon regelmäßig die Wetterdurchsagen? Vielleicht einzelne Rentner, einsame Frauen, die sowieso nicht schlafen konnten und sich stets bei Sturm und Unwetter gefährdet fühlen. Kaum jemand ahnte, dass ganz Nordeuropa von der bisher größten Sturmflut des 20. Jahrhunderts heimgesucht würde.
In der kleinen Wohnung des Ehepaares Carstens im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg war es an diesem Abend ordentlich warm. Herr Carstens ließ es sich gerade gut schmecken. Er liebte Gemütlichkeit und hatte Humor.
»Ja, ja, so ist es«, deklamierte er mit Betonung, als wolle er etwas ganz Außergewöhnliches sagen, »gestern noch frisch und munter und: heute schmeckt’s schon wieder!«
Frau Carstens kannte diesen Satz seit Jahren.
»Im großen und ganzen geht es uns ja eigentlich recht gut«, meinte er wohlwollend und genussvoll kauend.
»Eigentlich zu gut«, hätte Frau Carstens am liebsten antworten wollen, aber sie ließ es lieber unausgesprochen.
Seit gut einem Jahr konnte sich Herr Carstens Rentner nennen. Gewiss, er hatte sich einen ruhigen Lebensabend redlich verdient. Zwei Weltkriege hatte er miterleben müssen. Als Freiwilliger war er im 1. Weltkrieg Augenzeuge geworden, wie blutjunge Söhne deutscher Mütter mit dem Lied: »Deutschland, Deutschland über alles …« in der Schlacht bei Langemark singend in den Tod stürmten. Er konnte zeitlebens diese grausigen Bilder nicht mehr vergessen. Menschen wurden wie reifes Korn durch Maschinengewehrgarben einfach niedergemäht. Verbittert im Herzen sah er die Heimat nach vier Jahren harter Kriegsgefangenschaft wieder. Das war 1920 gewesen, sein Vaterland schien aus den Fugen geraten zu sein. Sein geliebtes Deutschland lag unheilbar zerrissen, aus vielen Wunden blutend und erneuerungsbedürftig danieder.
Mit der Ära Hitler kam der 2. Weltkrieg. Die leidgeprüfte Stadt Hamburg versank in Schutt und Asche. Damals hatten die Carstens im nördlichen Randgebiet der Stadt gewohnt. Er erinnerte sich auch daran mit allzu großer Deutlichkeit!
»Fliegeralarm! – Frau Carstens, es ist Fliegeralarm!« Eine Nachbarin schrie es, während sie mit ihren Fäusten dazu wild an die Wohnungstür hämmerte. Der kleine Hans, ihr einziger Sohn, hörte den Tumult als erster. »Mutti! – Mutti! Es ist Fliegeralarm! Die Flak schießt schon!«
Dann fielen die ersten sogenannten »Weihnachtsbäume«. So nannte man die in schönen Farben schillernden Leuchtbomben.
Minutenlang segelten sie in einer bestimmten Höhe, an Fallschirmen baumelnd, über Häusern, Kirchen, Brücken, Fabriken, Kanälen und dem Hafen. Ihre weitstrahlende Leuchtkraft zeigte den Bombern, die zu Hunderten auf Deutschlands Städte anflogen, die abgesteckten Angriffsziele. Die Nacht wurde durch sie hell erleuchtet. In den Scheiben von Fenstern, an den Dachziegeln, auf den Wassern der Elbe, der Alster und den Kanälen, aber auch in den verängstigten Augen der Luftschutzwarte spiegelte sich das grelle Licht des Todes. Wer in einem solchen Bezirk wohnte, wo diese Leuchtbäume abgeworfen waren, konnte sein letztes Gebet sprechen. Zu dieser Zeit arbeitete Herr Carstens in einem militärisch wichtigen Rüstungsbetrieb. Deshalb brauchte er nicht als Soldat an die Front. Doch als Luftschutzwart, zu dem er eingesetzt war, erlebte er in der Heimat vielleicht noch Schlimmeres als mancher Frontsoldat.