Kolberg - Jost Müller-Bohn - E-Book

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Jost Müller-Bohn

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Beschreibung

Mit der alten Stadt Kolberg in Pommern ist der Name Joachim Nettelbeck eng verbunden. Er gilt als der Retter und Erhalter dieser preußischen Festung. Die 'wundersame' Lebensgeschichte dieses 'knorrigen Mannes', der ein Seefahrer und großer Patriot gewesen ist, ist deshalb so lebensnah beschrieben, weil dieser Bürgerheld die Geschichte seines Lebens als Christ sehr wahrheitsgemäß dargestellt hat. In der Reife seiner Jahre liebte er Paul Gerhardts Lied: 'Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand; der Himmel soll mir werden, da ist mein Vaterland.' Er bat darum, diesen Vers auf seinen Sarg und auf den Grabstein zu schreiben. Die Verteidigung der Festung Kolberg 1806-1807 war ein Meisterstück, an dem die gesamte Bürgerschaft der Stadt beteiligt und bereit war, diesem Kampf um die Freiheit alles zu opfern oder unterzugehen.

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Kolberg

Historische Schilderung vom Freiheitskampf einer kleinen preußischen Stadt gegen Kaiser Napoleon

Jost Müller-Bohn

Impressum

© 2014 Folgen Verlag, Wensin

Autor: Jost Müller-Bohn

Cover: Eduard Rempel, Düren

Lektorat: Mark Rehfuss, Schwäbisch Gmünd

ISBN: 978-3-944187-70-9

Verlags-Seite: www.folgenverlag.de

Kontakt: [email protected]

Kolberg ist früher als Buch im St.-Johannis-Verlag, Lahr, erschienen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 1

»Der König hat eine Bataille verloren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht! Kennt Er nicht den Aufruf des Herrn Minister von der Schulenburg?« Oberst von Loucadou, der betagte Kommandant der Festung Kolberg, schritt erregt durch sein Dienstzimmer. Seine Stimme erinnerte an preußische Exerzierplätze – aber seine Worte klangen doch schon brüchig.

»Herr Oberst, ich bin ein alter Mann und habe hier in meiner Heimatstadt drei aufeinanderfolgende Belagerungen der Russen und Schweden, vom Lande und vom Meer her, miterlebt. Nicht aus Feigheit, sondern durch Hunger wurde damals der tapfere Oberst von Heyden zur Übergabe gezwungen; das war anno 1769. Diese Erfahrungen von der strategischen Wichtigkeit des Platzes haben Friedrich den Großen bewogen, die Festung durch verschiedene neue Werke verstärken zu lassen. Doch nun sind über dreißig Jahre ins Land gegangen; ich bin der Meinung, dass die Wälle nicht ausreichen für eine wirksame Verteidigung …«

»Herr Nettelbeck, Er ist Bürger dieser Stadt, und als solcher erfülle Er seine Pflicht. Doch mische Er sich als Laie nicht in militärische Belange ein.« Der bezopfte Kopf des alten Obristen schien leicht zu beben.

»Als Seemann habe ich gar manchen Sturm und starken Kampf erlebt – doch bin ich noch nicht zu alt, um für mein Vaterland zu ringen. Seit der furchtbaren Niederlage von Jena und Auerstädt scheinen viele wankelmütige Herren das Hasenpanier ergriffen zu haben, anstatt durch gläubiges Gottvertrauen dem König von Preußen ein heldenhaftes Beispiel zu geben …«

Barsch schnitt ihm der Kommandant erneut das Wort ab: »Die Stadt Kolberg ist zu klein, um als Festung gegen die Übermacht der Armeen des Kaisers Napoleon irgendeine strategische Rolle zu spielen …«

»Aber meine Heimat ist mir zu schade, um sie kampflos dem Usurpator in die Hände zu spielen …«, entgegnete Nettelbeck. Diesmal unterbrach er zum zweiten Mal den Festungskommandanten.

»Innerhalb der Wälle befinden sich sechshundert bis siebenhundert Bürgerhäuser, in denen man nötigenfalls zwanzig bis dreißig Menschen in jedem Haus unterbringen kann. Es ist meine feste Überzeugung, dass man auch genügend Proviant heranholen könnte, um dem französischen Teufel zu widerstehen.«

»Schluss jetzt! – Wenn große Festungsstädte wie Magdeburg und Stettin der ungeheuren Übermacht der französischen Armeen nicht widerstehen konnten, wie will wohl der Herr Nettelbeck mit einer Handvoll waffenunkundiger Bürger dem großen Kaiser die Stirn bieten? – Punktum, begebe Er sich in die Stadt und sorge Er für Ruhe! Das ist Seine einzige Bürgerpflicht. Wer nicht die ehrenwerte Uniform des Königs trägt, der mische sich auch nicht in militärische Angelegenheiten ein. Hat Er mich nun recht verstanden?«

»Der König hat eine Bataille verloren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht. Ich fordere die Einwohner Berlins dazu auf. Der König und seine Brüder leben! Berlin, d. 17. Oktober 1806 Graf von Schulenburg Der Eindruck über die Niederlage der preußischen Armee in der Doppelschlacht von Jena und Auerstädt löste unter der Bevölkerung von Berlin großes Entsetzen aus.

Vor dem Haus der Kommandantur wartete Superintendent Baarz im schwarzen Amtsrock. Sofort erkannte er die verbissene Miene des alten Seebären.

»Preußen besteht nur noch aus feigen Memmen in Offiziersröcken. Ein Hundsfott von Kommandant, der wie andere Offiziere, um die Gunst des mächtigen Napoleon zu gewinnen, seine Landsleute dem elenden Feinde überlässt. Wir müssen den Repräsentanten der Bürgerschaft über die Gefahr für die Stadt und ihre Bewohner reinen Wein einschenken.«

Nettelbeck erhob drohend seinen Zeigefinger: »Gehen wir zu ihnen!«

Im Gasthaus zur Krone ging es hoch her. Das Diskutieren und Debattieren wollte kein Ende nehmen. Die furchtbarsten Gerüchte schwirrten durch die Reihen. Die gesamte Bürgerschaft lebte in großer Unruhe und Besorgnis. Ihre Repräsentanten beratschlagten in hitzigen Wortgefechten, was angesichts der bedrohlichen Lage zu tun sei.

»Wir haben schon manche Belagerung erlebt; weshalb sollten wir uns gerade bei den Franzosen kampflos ergeben?«, rief ein kleiner Fischer.

»Ganz recht«, unterstrich dies ein vierschrötiger Zimmermann, »dem Feigen kehrt das Glück den Rücken!«

»Und den Mutigen gehört Kolberg«, lachte der Schankwirt.

Ein spindeldürrer Stadtschreiber meldete sich zu Wort: »Bürger, in diesem Land hat einst der Große Kurfürst von Brandenburg seine Staatsführung begonnen – Generalissimus von Wallenstein hat in dieser Gegend seine kriegerischen Spuren hinterlassen …«

Joachim Nettelbeck, 1738-1824 Seefahrer und Kommandant der Bürgerschaft Zum größten Teil ist es der großen Energie und der kraftvollen Zivilcourage dieses gläubigen Mannes zu verdanken, dass die Stadt und Festung Kolberg dem Tyrannen Napoleon widerstanden hat.

»Er hat sich gegen den Himmel erhoben und sich gebrüstet: ›Ich werde die Stadt einnehmen, und wenn sie mit Ketten an den Himmel geschmiedet wäre!‹«, rief ein robuster Kriegsinvalide dazwischen.

Der Stadtschreiber ließ erneut seine Stimme erschallen: »Aber er konnte Kolberg nicht einnehmen!«

Mit erhobenem Zeigefinger hatte der Beamte seine Belehrungen über die Historie zu unterstreichen versucht.

»Der Schwedenkönig Gustav Adolf hat hier seinen Feldzug gegen den Kaiser von Wien begonnen, um Brandenburg evangelisch zu erhalten – wir sollten die Stadt gegen Napoleon zu verteidigen wissen!«

»Aber für die Verteidigung der Stadt ist seit Jahren nichts getan worden!«

Ein Schiffskapitän ergriff das Wort: »Der Wall und der große Graben verfallen seit einiger Zeit. Von Palisaden gibt es kaum eine Spur!«

Jetzt erhob sich der Gerichtsschreiber: »Mit drei Kanonen, die auf der Bastion auf Lafetten stehen, kann man Napoleon nicht beeindrucken. Das übrige Geschütz liegt am Boden, hoch von Gras überwachsen und die Lafetten vermodern schon.«

Gerade eben kam Joachim Nettelbeck mit dem Superintendenten Baarz in den Raum. Die letzten Sätze hatte er im Vorraum noch mitbekommen. Schnurstracks steuerte der kleine, untersetzte Seemann zum Podium. »Eben, eben!«, rief er lauter als alle anderen, »gerade deshalb muss schnellstens etwas unternommen werden. Noch ist es nicht zu spät!« Er holte tief Luft; dann sagte er mit Nachdruck: »Im Krieg behält Einigkeit den Sieg. Darum gilt es, klug und furchtlos zu handeln, denn mit hündischer Furcht beginnt stets die Sklaverei. – Deshalb schlage ich vor: die gesamte Bürgerwehr mit ihren Offizieren versammelt sich auf dem Marktplatz. Dorthin werden wir den Kommandanten bitten und mit ihm öffentlich über die Verteidigung von Kolberg verhandeln!«

Nettelbeck drehte sich um: »Ich bitte den Herrn Superintendenten Baarz, ein Gebet und den Segen zu sprechen.«

Es wurde still im Saal. Der Geistliche trat vor und faltete seine Hände:

»Herr Jesus Christus, – wir heben unsre Herzen, Augen und Hände auf zu dir, du Anfänger und Vollender des Glaubens. Du bist erschienen, dass du die Werke des Teufels zerstörst. Auf dich vertrauen wir. Lass uns nicht zuschanden werden, dass unsere Feinde sich nicht über uns freuen. Umgürte uns mit deiner Wahrheit, dass wir Widerstand leisten können gegen die listigen Anläufe des Teufels und das Feld behalten. Rüste uns aus mit dem Schild des Glaubens, mit welchem wir auslöschen können alle feurigen Pfeile des Feindes – denn unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Amen!«

Ein hundertfaches »Amen« dröhnte zur verrußten Decke.

Trotzig und entschlossen blickten die Bürger der Stadt auf, während der Seelsorger zu singen begann:

Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen. Er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen.

Nettelbeck erhob die Hände zum Himmel, als man die Worte sang:

Der alt böse Feind, mit Ernst er’s jetzt meint;

Auch die Abgeordneten der Bürgerschaft nickten sich gegenseitig zu:

groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist; auf Erd’ ist nicht seinsgleichen.

Kapitel 2

Kurz entschlossen kehrte Nettelbeck zurück in die Höhle des Löwen. Der Stadtkommandant zeigte sich äußerst ungehalten. Diesmal hatte er sich Major von Nimptsch zur Seite bitten lassen.

»Verehrter Herr Stadtkommandant«, begann Nettelbeck, »als Abgeordneter der ganzen Bürgerschaft, die sich auf dem Marktplatz gerade versammelt, bin ich beauftragt worden, noch einmal mit Ihnen zu verhandeln.«

»Fasse Er sich kurz!«, befahl Oberst von Loucadou.

Nettelbeck aber nahm sich Zeit – selbstsicher, unbeirrt begann er: »Wir haben miteinander beraten, und da ich einer der ältesten Bürger der Stadt bin, auch den Siebenjährigen Krieg als freiwilliger Adjutant des damaligen Festungskommandanten von Heyden miterlebt habe, wurde ich erwählt, als Repräsentant der gesamten Bürgerschaft das Wort zu führen, um über die Maßnahmen zur Verteidigung von Kolberg mit Ihnen zu verhandeln.«

Oberst Loucadou räusperte sich ungehalten. Der neben ihm stehende Major scharrte unwillig mit dem Fuß.

»Von ältester Zeit her waren die Bürger der Stadt die gesetzlich berufenen Verteidiger unserer Wälle und Mauern. Vormals schwor jeder seinen Bürgereid, dass er die Festung verteidigen helfen wolle mit Gut und Blut. In Abwesenheit der Garnison, wenn diese in Friedenszeiten zu Manövern ausrückte, besetzte die Bürgerwehr die Tore und Posten. Durch Gottes Gnade waren wir zu allen Zeiten entschlossen, mit dem Militär gleiche Lasten und Gefahren auf uns zu nehmen. Auch heute, in den Tagen der allergrößten Gefahr für die Festung, können wir mindestens ein Bataillon von siebenhundert bis achthundert Bürgern formieren, das mit vollständiger Ausrüstung seine Pflicht zu tun bereit ist.«

»Aber, Herr Nettelbeck!«, fuhr Major von Nimptsch den entschlossenen Seemann an. »Was geht Ihn die militärische Entscheidung des Stadtkommandanten an?«

Der Oberst winkte unwirsch ab. Mit hintergründigem Lächeln erwiderte er: »Also, die Bürgerschaft will sich versammeln und sich auf dem Marktplatz aufstellen. Sehen wir uns doch einmal die gute Kolberger Armee an!« Amüsiert winkte er seinem Major.

In tadelloser Ordnung standen die Männer der Bürgerwehr unter Führung der Offiziere ohne Uniform und Ausrüstung da. Belustigt überblickte der Kommandant die Menschenansammlung und fragte: »Mit diesen Leuten wollen Sie Napoleon schlagen? – Vielleicht rennen die Franzosen vor Euren Dreschflegeln und Sensen davon? – Nein, nein, in Gottes Namen, macht doch dem Spiel ein Ende und schickt die Leute nach Haus!«

»Wenn Herr Oberst erlauben, so könnten diese Männer wenigstens bei den Instandsetzungsarbeiten, besonders an den Wällen, Hilfe leisten, die Palisaden herstellen und die Geschütze aufstellen. Die gesamte Bürgerschaft würde gern mit Hand anlegen, soweit es in ihrer Kraft steht.«

»Die Bürgerschaft und immer wieder die Bürgerschaft!«, lachte höhnisch der Kommandant. Doch dann setzte er mit zynischer Gebärde hinzu: »Ich will und brauche die Bürgerschaft nicht. Das ist mein letztes Wort! – Ich danke Ihnen!«

Kaiser Napoleon I. von Frankreich galt als der blutrünstigste Despot des 19. Jahrhunderts und wurde von vielen schon als der Antichrist und Welteroberer angesehen. Halb Europa hatte er unterjocht. Das Bild zeigt den Kaiser mit seinen Marschällen hinter dem Brandenburger Tor beim Einzug in Berlin am 21. Oktober 1806.

Damit ließen die beiden ranghöchsten Offiziere den alten Nettelbeck und seine Männer stehen.

Nettelbeck war mit vollsaftiger Wut heimgekommen. Wie ein gereizter Tiger lief er im Zimmer auf und ab. Superintendent Baarz hatte ihn begleitet, um den aufgeregten Mann zu trösten.

Die Hände auf dem Rücken zusammengefasst, wetterte der raubeinige Seemann vor sich hin: »Elende Schufte! Feige Memmen! Man sollte sie ins Spinnhaus setzen. Dort könnten sie den Soldaten Socken stricken. So würden sie dem Vaterland wenigstens nützlich sein. Diese schwachherzigen Figuren in ihren verstaubten Paradeuniformen gehören öffentlich an den Pranger gestellt!« Er schlug sich mit der breiten Handfläche an die Stirn: »Schon wenn sie den Namen Napoleon hören, haben sie die Hosen gestrichen voll! Sie schlottern und beben wie alte Weibsbilder in einer Gespensternacht! Sie klappern mit den Zähnen wie Buben, die man eben aus eiskalten Fluten ans Land gezogen hat! Der ›Alte Fritz‹ hätte ihnen ins Ohr geschrien: ›Hunde, wollt ihr ewig leben?‹«

Superintendent Baarz stellte sich dem erregten Patrioten in den Weg: »Hören Sie, Nettelbeck! Sie haben Ihr Bestes getan. Nun wollen wir Gott vertrauen; er wird uns nicht zuschanden werden lassen. Wenn wir meinen, das Ende vor Augen zu haben, beginnen seine besten Möglichkeiten. Der selige Paul Gerhardt schrieb einst:

›Weg hast du allerwegen, an Mitteln fehlt dir’s nicht …‹«

Er griff ihn beim Arm: »Der alte Gott lebt noch, Nettelbeck!«

Und wieder zitierte er Paul Gerhardt:

»Dein Werk kann niemand hindern, dein Arbeit darf nicht ruh’n, wenn du, was deinen Kindern ersprießlich ist, willst tun.«

Wie ein gezähmtes, jähzorniges Kind stand der kleine Nettelbeck vor dem Pfarrer. Seine cholerischen Adern an den Schläfen verschwanden unter der grauen, trockenen Haut: »Wir müssen hündisch wachsam sein, denn der Teufel hat mehr als zwölf Apostel. Man darf dem Satan nicht den kleinen Finger geben – sonst steckt er uns allesamt in den Sack.«

Nettelbeck tippte dem Superintendenten auf die Brust: »Wer bürgt uns vor heimlichen Verhandlungen mit dem Feind? Wer bewahrt uns vor gemeiner Verräterei? – Die Feigheit herrscht, die Hinterlist bei dem feigen Menschengeschlecht. Verräter gibt es an allen Orten!«

»Nettelbeck, Wachsamkeit darf nicht in Zweifel gegen jedermann ausarten, denn Misstrauen ist eine Axt am Baum des Lebens.«

»Vertrauen ist gut, aber Wachsamkeit scheint mir in Kriegszeiten besser zu sein. Wir werden in aller Stille einen Ausschuss wählen, dessen Mitglieder sich paarweise Tag und Nacht an allen drei Stadttoren in der Wache ablösen, und zwar stündlich, um dort alles, was aus- und eingeht, im Auge zu haben.«

Nachdem der grollende Löwe sich etwas beruhigt hatte, verabschiedete sich Superintendent Baarz.

Das milde Licht des Mondes glitzerte auf den schäumenden Wassern im Hafen. Breit und wuchtig erhob sich der alte, gotische Mariendom, schwärzer als die Nacht, über den Dächern der Stadt. Ein kleiner, schmaler Turm, der über das Dach des Gotteshauses hinausragte, war zu allen Zeiten für die Seefahrer von besonderer Bedeutung. Seine hohe Spitze diente als Landmarke und war den Seeleuten stets ein unverwechselbarer Fixpunkt zu ihrer Orientierung.

Bald hatte der Gottesmann sein Haus erreicht.

Indessen hatte sich Nettelbeck in seine Kammer zurückgezogen und in der Heiligen Schrift geblättert. Beim Kerzenschimmer saß er vor der aufgeschlagenen Bibel und begann zu lesen:

›Geduld aber ist euch not, auf dass ihr den Willen Gottes erkennt und das Verheißene empfangt.‹ »Ja, ja, Geduld, alter Mann, der altböse Feind, dies merke fein, will durch Geduld besieget sein!«, murmelte er vor sich hin.

Er erinnerte sich in diesem Augenblick an seine Großmutter, die ihm in seinen Kindheitstagen ein Lied von der Geduld vorgesungen:

Geduld ist euch vonnöten, wenn Sorge, Gram und Leid und was euch mehr will töten euch in das Herze schneid’t.

Stammte dies nicht auch aus Paul Gerhardts Feder? Er dachte angestrengt nach. Nettelbeck faltete seine verwitterten, knochigen Hände über der Heiligen Schrift und begann zu deklamieren, so gut oder schlecht er es noch konnte:

Geduld ist Gottes Gabe und seines Geistes Gut; der schenket sie zur Habe, sobald er in uns ruht; der edle, werte Gast erlöst uns von dem Zagen und hilft uns, treulich tragen die große Bürd’ und Last.

Nettelbecks Gesicht entspannte sich. Seine glühenden Augen wurden milde. Erschöpft, wie ein ausgetobter Wachhund, sank er zusammen. Er hatte sich müde geplagt. Heiser und alt klang seine Stimme:

Geduld kommt aus dem Glauben und hängt an Gottes Wort: das lässt sie sich nicht rauben, das ist ihr Heil und Hort. Das ist ihr hoher Wall, da hält sie sich verborgen, lässt Gott den Vater sorgen und fürchtet keinen Fall.

Die Wälle der Festung kamen ihm wieder in den Sinn. Von der Kommandantur wurden nur recht halbherzige Anordnungen zur Verteidigung getroffen. Man ließ die Kanonenrohre auf Klötze legen, weil die Lafetten schon verfault waren. Auch an den Palisaden wurde hier und da gearbeitet; aber es war nichts Ganzes und Zufriedenstellendes.

»Geduld und Fleiß«, sagte Nettelbeck trotzig – er ließ sich einfach nicht niederringen.

Schon am anderen Morgen verabredete er sich mit seinen Freunden, um noch einmal einen Anlauf zu nehmen, den Kommandanten zu einigen Zugeständnissen zu bewegen. Die Schanzen auf dem Hohen Berg, etwa eine viertel Meile von der Stadt entfernt, hatte Kolberg in vergangenen Zeiten gute Dienste geleistet. Sie hinderte im Siebenjährigen Krieg den Feind, bis auf Schussweite an die Stadt heranzukommen. Die Abgeordneten der Bürgerschaft kamen erneut in die Kommandantur und trugen dem Oberst ihren Plan vor, die alten Wälle und die Befestigungen am Hohen Berg zu erneuern. Um sich nun endlich die aufsässigen Plagegeister vom Halse zu schaffen, rief Oberst Loucadou:

»Was außerhalb der Stadt geschieht, kümmert mich nicht. Die Innenfestung werde ich zu verteidigen wissen. Meinetwegen mögt ihr draußen schanzen wie und wo ihr wollt; das geht mich nichts an!«

Der hochbetagte Nettelbeck teilte munter die herbeigeeilten Bürger der Stadt zu den Schanzarbeiten auf dem Hohen Berg ein. Er selbst packte eine Holzkarre samt Schaufel, um seinen Mitarbeitern mit gutem Beispiel voranzugehen. »Geduld frisst den Teufel, aber nicht den Napoleon«, rief er keuchend vor sich her!

Noch ehe die Sonne am Horizont hinter den schäumenden Meereswogen der Ostsee aufgestiegen war, eilten Männer und Frauen, Gesellen, Handwerker, Lehrjungen und Dienstmägde hinaus zur Bergschanze, auf den Hohen Berg. Nettelbeck teilte munter die herbeigeeilten Bürger der Stadt zur Arbeit ein. Er selbst packte eine Holzkarre und Schaufel, um seinen Mitarbeitern mit gutem Beispiel voranzugehen.

Obwohl die Schanzarbeiten für manchen ungewohnt und recht anstrengend waren, begannen einige zu singen:

Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen.

Kapitel 3

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Kapitel 4

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Kapitel 5

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Kapitel 6

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Kapitel 7

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