Die Allgemeine Tauglichkeit - Akos Doma - E-Book

Die Allgemeine Tauglichkeit E-Book

Akos Doma

4,8

Beschreibung

Ferdinand und seine drei Freunde, allesamt Lebenskünstler und Gestrandete, hausen in einer Bruchbude am Stadtrand und träumen vom "echten" Leben. Bis Albert, der charismatische Erfolgstyp auftaucht, wild entschlossen, aus den vier Taugenichtsen "ordentliche Leute" zu machen. Gemeinsam erleben sie einen chaotischen Trip durch einen rauschhaften Sommer, an dessen Ende sich unverhofft eine Tür in ein anderes Leben öffnet... Akos Doma ist ein hinreißender Roman gelungen: eine rabenschwarze Gaunerkomödie, die Geschichte einer wahren Freundschaft und eine hintersinnige Parabel auf die Zumutungen unserer Gesellschaft.

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Inhalt

Titelseite

Impressum

I: ES GIBT EIN INNEN UND EIN AUSSEN

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

II: BESUCHER MIT SURFBRETT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

III: DIE BLUME IM KNOPFLOCH

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

AKOS DOMA

DIE ALLGEMEINE TAUGLICHKEIT

ROMAN

ROTBUCH VERLAG

Der Autor dankt dem Künstlerhaus Lauenburg, dem Künstlerdorf Schöppingen und dem Schleswig-Holsteinischen Künstlerhaus Eckernförde für die Unterstützung während der Arbeit an diesem Text.

Von Akos Doma liegt bei Rotbuch außerdem vor:

Der Müßiggänger (2001)

eISBN: 978-3-86789-534-7

2. Auflage

© 2011 by Rotbuch Verlag, Berlin

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Umschlagabbildung: Marie-Niamh Dowling

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

Rotbuch Verlag GmbH

Alexanderstr. 1

10178 Berlin

Tel. 01805/30 99 99

(0,14 Euro/Min., Mobil max. 0,42 Euro/Min.)

www.rotbuch.de

I WOULD PREFER NOT TO

HERMAN MELVILLE

I

ES GIBT EIN INNEN UND EIN AUSSEN

1

Ich heiße Ferdinand. Fern für Freunde. Ich bin arbeitslos, schon seit meiner Geburt. Das ist mein Freund Amir, der da, im Pelzkragenmantel.

»Hey, Amir, sag den Leuten Hallo!«

»Hallo!«

Und der Langhaarige da ist mein Freund Ludovik. Er sieht ein bisschen irre aus. Ist er auch.

»Lulatsch, sag Hallo!«

»Hallo!«

Ludovik und Amir sind auch arbeitslos. Amir ist außerdem illegal.

»Amir, erzähl doch mal was von dir!«

»Was soll ich schon groß erzählen?«

»Na, wo du herkommst und so …«

»Ich komme aus dem Iran, aber wenn mich einer fragt, sage ich: Perser, ich sei Perser. Lieber Teppich als Terrorist. Für die Dummen. Kein Mensch weiß, dass ich in Deutschland bin, außer denen, für die ich schwarzarbeite. Und meinen Freunden. Fern ist mein Freund. Fern ist mir alles. Jetzt arbeite ich nicht mehr so oft. Es geht auch ohne. Ich male in Fußgängerzonen Bilder auf den Asphalt. Dann bleiben die Leute stehen und bewundern mich. Wenn ich erwischt werde, werde ich deponiert …«

»Deportiert … Das reicht, die Leute haben keine Zeit. Ludovik, erzähl du was!«

»Ich habe nichts zu erzählen. Ich heiße auch nicht Ludovik. War nur eine Schnapsidee meines Vaters. Er gab mir den Namen, und dann ist er abgehauen. Ich will keine Kinder haben, sonst würde ich auch bloß abhauen. So was ist vererblich. Ich will keinem Ding mehr einen Namen geben. In der Besserungsanstalt habe ich eine Schlosserlehre gemacht, ich bin kein Hilfsarbeiter. Schlosser bin ich auch nicht. Im Moment bin ich überhaupt nichts, schon ’ne ganze Weile nicht. Es ist schon komisch, wie wenig dazugehört, ein Nichts zu sein …«

»Ludovik ist ein Philosoph … Apropos Schnaps. Igor, komm nach vorne, na komm schon, was versteckst du dich? Stell dich den Leuten vor!«

»Hallo, bin der Igor. Komme aus Nowosibirsk. Bin ein echter Russe, kein Jude, nicht deutsch …«

»Sag doch gleich, dass du ein Säufer bist.«

»Halt’s Maul!«

Igor wurde gestern entlassen. Also, das letzte Mal, als wir seine Entlassung feierten, haben wir uns derart die Hucke vollgesoffen, dass wir den Wohnzimmerteppich zum Sperrmüll bringen mussten, da war er ja auch her. Das sind, wie gesagt, meine Freunde. Wir wohnen gemeinsam in einer Hütte am Stadtrand. Eine richtige Burg ist das, nicht direkt eine Ruine, nur heillos heruntergekommen, gerade richtig für uns, für die innere Emigration. Manchmal wohnen wir auch woanders, in baufälligen Häusern, Schrebergärten, im Freien, Igor ab und zu im Knast. Wir sind keine Bettler, wenn schon, dann stehlen wir. Es geht uns gut, wir haben keine Angst vor der Zukunft, wir wissen, dass wir keine haben, nie eine hatten.

Eigentlich will ich nicht die Geschichte von meinen Freunden und mir erzählen, das wäre Zeitverschwendung, ich will vielmehr vom verrückten Albert sprechen und davon, wie er bei uns einzog und anfing, unser Leben umzukrempeln. Ich begreife nicht, warum wir uns das gefallen ließen. Er hatte das gewisse Etwas, etwas Begeisterndes, Mitreißendes, das uns sofort schachmatt setzte. Das nennt man wohl Charisma. Hitler und Gandhi und Kennedy hatten so was.

Albert erschien eines Frühlingstages, tauchte aus dem Nichts auf und quartierte sich bei uns ein. Das war in Ordnung, wir hatten oft Gäste, Tippelbrüder auf der Durchreise, unser Haus hatte einen gewissen Ruf in den einschlägigen Kreisen. Die stiefelten dann geradewegs hinein, schliefen auf dem Dachboden ihren Rausch aus oder tranken sich einen neuen an und waren am Morgen des nächsten oder übernächsten Tages wieder fort. Diese Leute können das Weiterziehen nicht lassen. Wir warfen nie jemanden raus, unter dem Dach durfte jeder tun und lassen, was er wollte. Penner sind ohnehin schüchterne, bescheidene Leute, darum sind sie auch, was sie sind.

Auch Albert blieb einige Tage, und anfangs dachten wir uns nichts dabei, doch dann hörte er nicht auf zu bleiben. Albert, so nannte er sich, Albert Nachtigall. Das klang merkwürdig, aber für seinen Namen konnte ja keiner was. Wir wussten nicht, was er bei uns suchte, wir schöpften keinen Verdacht, warum auch, wir sind offene, tolerante Leute, wir kennen kein Misstrauen. Nie fragten wir einen, woher er kam, vor wem er auf der Flucht war und wann er wieder abzuhauen gedachte, polizeistaatliche Methoden waren nie unser Ding.

2

Unsere Burg befindet sich am nördlichen Stadtrand, hinter den letzten Läden, einem Baumarkt und Meiers Videothek. Dort, wo die Ausfahrtsstraße hinter einer Bahnunterführung in einer langgezogenen Rechtskurve das Tal verlässt, zweigt nach links ein kleines, unscheinbares Seitental ab, eine Sackgasse. Unten noch breit und asphaltiert, wird sie immer schmaler und löchriger und versandet oben in Schotter und Gestrüpp und Schutthalden. Das ist unser Ende, der Hinterausgang der Welt, da wohnen wir. Wegen des Abhangs auf der Südseite und der dumm verlaufenden Krümmung des Tals bleibt unser Haus bis auf einige Stunden am frühen Morgen, wenn ohnehin kein Aas wach ist, den ganzen Tag im Schatten, unerreicht von auch nur einem einzigen Sonnenstrahl. Der perfekte Ort zum Pilzesammeln, sonst unbrauchbar. Außer uns gibt es hier nur Scharen von Fledermäusen, die nachts das Haus und uns umflattern. Kleine Körper, nichts als Haut und Knochen, und doch nicht totzukriegen.

Von alledem haben die Einwohner der Stadt keine Ahnung, ich glaube, sie wissen gar nicht um dieses Seitental. Fahrschüler kehren unten um, und auch die Polizei patrouilliert nur bis zur Gabelung, nur ein Geisteskranker käme auf die Idee, hier oben einzubrechen. Selbst die Exhibitionisten machen einen großen Bogen um uns, ich weiß, wovon ich rede. Es gibt hier keinen Friseur, keinen Edeka-Laden, keine Straßenbelagserneuerung, rein gar nichts. Nie sieht man hier einen Anwohner unter freiem Himmel, etwa bei Gartenarbeiten. Wer hier lebt, ist arbeitslos und verkriecht sich in seiner Scham in seinen vier Wänden, er weiß, dass er »lebenslänglich« hat, dass er in diesem Leben aus diesem Tal nicht mehr herauskommen wird. Vermutlich hat man das Tal längst von den Landkarten getilgt, wegschraffiert wie militärisches Sperrgebiet oder verstrahltes Territorium. Nach dem letzten Krieg hatte man die Vertriebenen hier untergebracht, seitdem heißt das Viertel Shanghai. Vermutlich wegen der chaotischen, ausländisch anmutenden Zustände, die hier damals herrschten. Jetzt ist alles tot.

Uns juckt das nicht. Tagsüber stromern wir durch die Gegend oder fläzen uns auf unserer Lieblingsbank am sonnenbeschienenen Marktplatz der Stadt und benoten die vorbeidefilierenden Frauen auf einer Skala von eins bis sechs. Das ist wie am Hausfrauenlaufsteg sitzen. Dort, unter den Frauen in der Sonne, geht es uns gut, die Sehnsucht nach Licht und Wärme und Frauenduft ist allen gemeinsam, selbst uns arbeitslosem Gesindel. Die meisten Passanten machen einen Bogen um uns oder senken den Blick, wenn sie vorbeigehen, um uns ja nicht zu provozieren. Als wäre es möglich, uns zu provozieren. Wenn, dann machen wir das schon selbst. Aber wir tun es nicht, alles, was wir verlangen, ist das bisschen Respekt, das jedem gebührt. Allein schon für die zehntausend Jahre Kultur, die wir vier gemeinsam auf dem Buckel haben, nicht jeder kann mit so was prahlen.

Manchmal rattern wir auf unseren Rädern zur Universität, um die Studentinnen zu begaffen, die wichtigtuerisch mit Ordnern unter dem Arm zu ihren Vorlesungen eilen. Als wäre die Universität nicht bloß ein gigantischer Heiratsmarkt für die Kinder der Säulen der Gesellschaft und sonstiger Schwindler. Damit man immer schön unter sich bleibt. Wir räkeln uns auf den Grünflächen zwischen den Gebäuden mit den anderen, immer locker und entspannt, halten Ausschau nach einem schüchternen Lächeln, einer weit aufgeknöpften Bluse. Ich lutsche an einer Bierflasche und mache auf jung, im Prinzip bin ich es auch, nur sieht man es mir nicht mehr an. Ich halte mich immer an Ludovik, der ist wirklich jung, in seiner Nähe wimmelt es nur so von Mädchen, er zieht sie an wie Scheiße die Schmeißfliegen. Einmal in einem Lokal trat eine wildfremde Frau, die gerade im Aufbruch begriffen war, an unseren Tisch und fragte Ludovik ganz ruhig und unverblümt, ob er nicht mitgehen, mit ihr schlafen wolle. Uns blieb die Spucke weg. Ludovik senkte verlegen den Blick. Ob sie denn nicht sehe, dass er mit Freunden da sei, stammelte er. Wir haben nie herauskriegen können, wie er das macht. Es kann nicht nur daran liegen, dass er wie ein Pflegefall wirkt.

Mit Frauen ist das so eine Sache. Das Gute daran, wenn du ein armer Schlucker bist, ist, dass du genau weißt, dass die Frauen, die sich mit dir einlassen, es um deinetwillen tun. Nicht um deines Geldes oder Titels willen, wie das bei all den hässlichen, alten Millionären und impotenten Intellektuellen der Fall ist. Nein, sie wollen dich, deine Haut, deinen Geruch, deine Stimme, den Glanz in deinen Augen, deine Manneskraft. Das Schlechte daran ist, es gibt keine Frauen, die sich mit dir einlassen.

Wenn uns vor lauter Stillstand der Kragen platzt, krallen wir uns einen herrenlosen Wagen und suchen das Weite. Wir nehmen nur ältere Modelle der unteren Mittelklasse, die lassen sich noch aufmachen und ziehen keine Aufmerksamkeit auf sich. Über das Ziel entscheidet der Benzinstand, Tanken ist bei Hartz IV nicht mehr drin. Und dann nichts wie weg, in den anbrechenden Tag hinein. Wenn es geht, fahren wir in den ehemaligen Osten, wo noch nicht alles abgeschleckt und ausgelutscht ist, die Straßen noch holprig sind und die Fabriken schon stillgelegt. Dort, wo der Pöbel abhaut und die Wildnis wieder zu wuchern beginnt, dort zieht es uns hin, dort gibt es Luft zum Atmen und rechtsfreie Räume. Aber irgendwann kehren wir immer ins Tal zurück, im Grunde unseres Herzens sind wir bodenständig.

Die Winter sind bitter bei uns im Tal, in der ewigen Dunkelheit, hinter vereisten Fensterscheiben. Dann wird es richtig dämmerig, wir dämmern nur so vor uns hin. Draußen kreisen die Krähen und krähen, wir liegen da und zählen mit. Der Wind bläst durch das Tal und rüttelt an den Fenstern. Mal ist es ein langgezogenes Pfeifen, mal sind es explodierende Böen, die sich immer mehr verstärken und plötzlich in sich zusammenfallen, aber manchmal werden sie nur heftiger und heftiger und flauen gar nicht mehr ab. Dann halten wir ganz still, kauern in unseren vier Wänden und warten. Warten, als gäbe es etwas zu erwarten, warten, dass es Frühling wird, dass es Sommer wird und Winter, dass auf die Wärme Kälte folgt und auf den Tag die Nacht und umgekehrt, »Warten« ist ein anderes Wort für Leben. Ein Lebensprinzip. Wozu das Eis am Hauseingang hacken, Eis schmilzt auch von selbst und fließt schön friedlich ab, ohne dass man einen Finger krumm gemacht hätte.

Was bleibt uns auch anderes übrig, als zu warten? Hat man keine Arbeit, hat man nichts. Hat man Arbeit, und sei es die erbärmlichste, lächerlichste Arbeit, wie zum Beispiel Autos zusammenschrauben oder Souvenirs verkaufen oder in einem Büro hocken, hat man etwas, das einen hält. Wir sind haltlos. Ungehalten. Es ist bitter, nicht auserwählt zu sein. Zu nichts. Zu sehen, dass es ohne einen auch gut läuft, vermutlich besser als mit einem. Also liegen wir still und picheln vor uns hin und warten, dass etwas passiert. Und siehe da, es passiert etwas. Inmitten der größten Stille erhebt sich ein fernes Gemurmel, schwillt an, und bevor man bis fünf gezählt hat, wackelt das ganze Haus, scheint alles zu zerspringen. Von meiner Matratze aus sehe ich unter dem oberen Rand des Fensters gerade noch den roten Streifen des vorbeirasenden Zuges auf dem Bahndamm gegenüber. Ein Zittern, ein kurzer Nachhall, dann gespenstische Stille. Nur die Luft brennt noch eine Weile.

Die ersten hundert Mal oder so war das noch ganz spannend, ein Hauch von Erdbeben, danach nur noch öde. Es ist unfassbar, wie schnell man abstumpft, alles zur Routine wird. Aber bei klarem Himmel spiegelt sich in den Fenstern der Züge für Sekunden die Sonne und blendet uns mit seltsamen Vorstellungen von Zusteigen und Wegfahren, hinaus in die große, weite Welt, ins tätige Leben, in die Zeitrechnung. Doch dann ist alles genauso schnell wieder weg, der Zug, die Sonne, die Blendung; was bleibt, sind die Abfälle am Hang gegenüber, in grauer Urzeit aus den Zugfenstern geworfene Bierdosen und Zigarettenschachteln und Papiertaschentücher, ein ganzer Abhang voll Müllblumen im sprießenden Unkraut. Und oben, zwischen den Schienen, wo wir manchmal nach Münzen suchen, verkrusteter Kot, eine nicht enden wollende Goldader hinuntergespülten Kots, durchsetzt von Damenbinden und Klopapier, als wollten uns die Fahrgäste unmissverständlich zum Ausdruck bringen, was sie von uns halten.

Als wüssten wir es nicht auch so.

Am schlimmsten wird es jedoch samstags, wenn die Fußballfans mit den Regionalzügen zu den Auswärtsspielen fahren. Dann regnet es Bierflaschen in unseren Vorgarten und auf unser Dach, dann klirren die Splitter, die Scherben, die Ziegelsteine. Es scheint eine Art Spiel zu sein, als hätten es die Fans auf uns abgesehen, als hielten sie unser Anwesen für eine Müllkippe. Dann rühren wir uns nicht, bleiben in Deckung und wechseln stumme Blicke, harren aus mit Angst im Herzen und einem Lächeln auf den Lippen, wissen wir doch insgeheim, dass wir eines Tages, eines schönen Tages, wenn keiner damit rechnet, den Zug zum Entgleisen bringen werden und die ganze Welt, die uns nicht haben wollte, mit ihm.

3

Der letzte Winter, bevor Albert in unserer Küche aufkreuzte und abzuspülen begann und mit einer rostigen Spitzhacke Ludoviks Hanfbeet zerstörte und alles seinen schrecklichen Lauf nahm, war ein Winter wie alle Winter. Ich wohnte schon seit vielen Monaten in dem Haus, ich hatte längst aufgehört, sie zu zählen. Wir zahlten keine Miete, einen Eigentümer schien es nicht zu geben, auch die Behörden behelligten uns nicht, wenn sie überhaupt von uns wussten. Sie waren vermutlich froh, mit Hyänen wie uns nichts zu tun zu haben.

Die ganze Welt schien uns abgeschrieben zu haben.

Wir hätten es an ihrer Stelle auch getan.

Vielleicht ist unser Haus auch nur zu kaputt, um noch als Haus geführt zu werden. Unten gibt es einen großen, nackten Raum, den wir Wohnküche nennen. Die wenigen Gegenstände stehen umher wie Dinge, die man nach einer Wohnungsauflösung vergessen hat abzuholen. Ein Holz- und Kohleofen, auf dem wir auch kochen, eine Spüle samt defektem Boiler und ein ramponiertes Klavier, das wir nur deshalb noch nicht verheizt haben, weil uns die Äxte fehlen, um es zu zerlegen. Das Klavier ist verstimmt, wie wir alle hier im Tal. Einen Kühlschrank gibt es nicht, das ganze Haus dient uns als Kühlschrank. Essensreserven haben wir ohnehin nicht, wir essen alles immer sofort auf.

Im ersten Stock blicken drei Zimmer nach vorne, zur Straße hin, und drei nach hinten, zum Hang hin. Die drei nach hinten sind abgesperrt, in den drei vorderen hausen wir. Unter dem Dach gibt es noch das Giebelzimmer für die Penner. Dort setzen wir nie einen Fuß hinein. Ab und zu, wenn der Gestank nicht mehr zu ertragen ist, knobeln wir, und dann geht einer von uns hinauf, kehrt den Kot oder die Kotze auf und macht für ein paar Tage die Fenster auf.

Die Treppen nach oben sind derart abgeschliffen, dass sie sich eher als Rutsche eignen. Früher pflegten wir dort mit unseren Sperrmüllschlitten hinunterzusausen, vielleicht waren wir es auch, die sie kaputt gemacht haben, die Treppen, und irgendwann waren dann auch die Schlitten hin. Unten in der Diele, gleich gegenüber der Eingangstür, steht eine Kloschüssel, die einzige im ganzen Haus, ohne jede Abschirmung. Als hätte der Architekt die Toiletten vergessen und dann schnell noch eine hingestellt, bevor er die Baustelle fluchtartig verließ. Einmal nagelte ich einen Duschvorhang in die Decke um die Schüssel herum, der Intimsphäre wegen, aber noch in derselben Nacht verfing sich Igor im Vollrausch darin und riss ihn samt der Halterung und einem Teil des Deckenverputzes herunter. Mit Igor ist es nicht immer leicht.

Vor dem Haus und unterhalb erstreckt sich ein Streifen Grün. Er ist nicht gerade ein Park nach englischem Muster, aber wir lieben ihn. Er ist von Unkraut überwuchert, und aus dem Unkraut ragen vier zerrupfte Birken. Ludovik hat unter den Birken ein kleines Hanfbeet angelegt und zur Tarnung mit zwei Reihen Plastikblumen aus dem Gartencenter umfriedet. Seine Blumen stehen selbst bei heftigstem Nordwind gespenstisch starr und hüten das Kleinod in ihrer Mitte. Zum Glück ist niemand da, der das auffällig finden könnte.

Im Sommer ist das Leben erträglich, wir sind versorgt. Nachts streifen wir durch die Gemüsegärten der Stadt oder plündern die Erdbeerplantagen und Spargelfelder außerhalb, die Spargelsaison ist überhaupt die beste im Jahr. Wir wissen, wo die guten Kirschbäume und Zwetschgenbäume und Apfelbäume stehen, Kürbisse gibt es gratis vom Straßenrand. Wir klauen nicht in großem Stil, wir klauen nur zum täglichen Bedarf, das ist der Unterschied zwischen einem Freibeuter und einem Ausbeuter, sagt Ludovik.

Im Winter, wenn Hundekälte herrscht, rotten wir uns am Holz- und Kohleofen in unserer Küche zusammen. Dort sitzen oder liegen wir dann unter der wandgroßen Tapete mit dem Bild eines Palmenstrandes und grellen Sonnenuntergangs und träumen vor uns hin und hören das Meer rauschen. Das tut gut, Meeresrauschen besänftigt, und die Palmenblätter verdecken den Schimmel an der Wand. Eine drückende Stille lastet dann auf allem, und das Krächzen der Krähen macht die Stille nur noch tauber. Hin und wieder schlendern eingemummte Spaziergänger vorbei, sie gehen freiwillig in die Kälte hinaus, weil es bei ihnen zu Hause kuschelig warm ist, sie suchen die Abwechslung.

Wir verkriechen uns in unseren vier Wänden, verhängen und vernageln Fenster und Tür mit Decken und Pappkartons. Dann kann es vorkommen, dass wir den Raum tagelang nicht verlassen, still ausharren und, wenn der Ofen ausgeht, nur noch von unserer Körperwärme zehren. Für den Klimawandel sind wir jedenfalls nicht verantwortlich, unser Kohlendioxidausstoß tendiert gegen null.

4

Wir wohnen alle auf einem Haufen, nur Ludovik hat ein Zimmer für sich allein. Er ist geradezu grotesk gebildet. An seine Tür hat er einen Zettel mit einem Spruch geheftet, der da lautet: Immer suchen wir das Unbedingte und finden doch nur Dinge. Novalis. Wir reißen den Wisch weg, weil wir den Spruch nicht verstehen, Ludovik klebt ihn wieder hin, immer wieder. Sein ewiger Pessimismus raubt uns den letzten Nerv. Jedes Mal, wenn einer von uns einen Höhenflug hat und anfängt, Zukunftspläne zu schmieden, lacht Ludovik ihn aus und erklärt ihm, dass er den Rest seines Lebens genau da, in jenem Rattenloch, in jenem miefigen Kaff absitzen und eines Tages krepieren werde, ohne je auch nur das Niveau eines schlecht bezahlten anatolischen Hilfsarbeiters erklommen zu haben. Wir würden ein Leben lang nur den Amboss für den Hammer anderer abgeben, wir seien nichts als ein Haufen hoffnungsloser Versager, und das wüssten wir so gut wie er. Das habe aber nichts zu besagen, es gebe nämlich ein Innen und ein Außen. Äußerlich gehe uns manches ab, ein Wagen und saubere Bettwäsche und ein Heizstrahler, sicher, aber im Inneren, dort, wo bei anderen zappendustere Nacht herrsche, Angst und Kälte und Korruption, leuchte bei uns ein sonniger, ewiggrüner Hain. Und darum sollten wir dankbar sein und nicht lamentieren.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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