Die Djurkovic und ihr Metzger - Thomas Raab - E-Book

Die Djurkovic und ihr Metzger E-Book

Thomas Raab

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Beschreibung

BIS DASS DER TOD EUCH SCHEIDET: ENDLICH IST DER METZGER ZURÜCK Danjela - eine Wankelmütige? Die Danjela, das ist eine, die Licht ins Leben anderer Menschen bringen kann. So wie in das ihres Willibald, der ihr endlich den langersehnten Antrag gemacht hat. Seine Holde plant ein Fest mit großem Tamtam und quartiert ihn vor der Hochzeit aus der Wohnung aus, "weil steigert Vorfreude und Spannung!" Doch dann, kurz vor dem Ja-Wort, ist es plötzlich vorbei mit der Romantik: Ein bedrohlich aussehender Kerl betritt die Kirche. Danjela lässt den erstarrten Willibald vor dem Altar stehen - und verschwindet. Der Metzger fällt in ein tiefes Loch. Nur der Gedanke, dass sie vielleicht einen guten Grund für ihr Verschwinden hatte, dass sie ihn möglicherweise sogar schützen wollte, lässt ihn weitermachen. Die verzweifelte Suche nach Danjela führt den Metzger gar nicht so weit weg, und doch in eine völlig andere Welt: hinein in die erbarmungslosen Machenschaften eines hiesigen Familienclans, mit dem Danjela ganz offenbar in irgendeiner Art von Verbindung steht. Und als hätte der Metzger nicht schon genug Probleme, taucht auch noch ein Kopfloser auf und bereitet ihm Kopfzerbrechen … Der Metzger - ein Original Der Metzger, das ist einer, der alte Dinge liebt. Als Restaurator kennt er die Schönheit eines Gegenstands, wenn dessen abgenutzte Oberfläche eine Geschichte erzählt. Er ist einer, der gerne allein ist, manchmal allerdings war er auch einsam, bevor Danjela in sein Leben trat und es heller und schöner machte. Er ist einer, der in der Schule gemobbt wurde, weil er zu klug und zu weich war für die wilden Bubenspiele am Pausenhof. Einer, der gerne Rotwein trinkt, mitunter viel zu viel. Doch auch, wenn mit dem Wein manchmal die Melancholie kommt, weiß er um die schönen Seiten des Lebens. Und um die lustigen. Vor allem aber ist der Metzger einer, dem das Verbrechen immer wieder vor die Füße fällt, manchmal stolpert er sogar mitten hinein. Und dann muss er, sehr zu seinem Leidwesen, aber zur Freude einer großen Leserschaft, die gemütliche Werkstatt verlassen und Nachforschungen anstellen … Der Raab - ein Kultautor Der Raab, das ist einer, der einen unverwechselbaren Stil hat. Schräger Humor, authentische Charaktere, Wortwitz, feine Gesellschaftskritik; vor allem eine extrem gute Beobachtungsgabe und zugleich die Fähigkeit, die Beobachtungen treffend-komisch aufs Papier zu bannen, das ist die Mischung, die ihn so erfolgreich gemacht hat. Beim Lesen ist es zuweilen schwer zu entscheiden, ob man gespannt der Auflösung entgegenfiebern oder sich lieber doch möglichst viel Zeit lassen möchte, um das Lesevergnügen voll auszukosten. Und vielseitig ist er, der Raab - er schreibt nicht nur verschiedene Kriminalromane, sondern auch Drehbücher. Mit "Die Djurkovic und ihr Metzger" holt er seinen außergewöhnlichen Helden Willibald Adrian Metzger zurück auf die Krimibühne - und brilliert einmal mehr: wortwitzig, überraschend, klug, einfach genial! **************************************************************************** "Zum Glück hat das Warten ein Ende! Ich liebe und lese alles von Thomas Raab und habe dem neuen Metzger lange entgegengefiebert." "Keiner kann es wie der Raab, er beutelt einen zwischen Tränen und Freudentränen, nimmt einen mit auf einen emotionalen Ritt durch spannende Kriminalfälle, hochkomische Beobachtungen und ins Seelenleben seiner zutiefst sympathischen Figuren." ***************************************************************************** Der Metzger bei HAYMONtb -Der Metzger muss nachsitzen -Der Metzger sieht rot

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Thomas Raab

Die Djurkovic und ihr Metzger

Kriminalroman

Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
1
Man sieht sich immer zweimal
Das U-Hakerl
Drei Affen
Željko muss gehen
2
Wingman
Schnee am Kangchendzönga
Ewiger Kreislauf
Ein Ring, sie zu knechten
Blut und Eisen
3
Turkish Delight
Der Anfang vom Ende
Arthouse
Tariq
Stoppelfeld
Josip
4
Schritte
Besuche
Friede
Kopfwäsche
Vorübergehend geschlossen – die Erste
5
Vorübergehend geschlossen – die Zweite
Der Zauberkasten
Kolumbien
Kinder in Heuhaufen
6
Texas
Satratra fährt nie Maserati
Charlie
Nurejew
7
Wladiwostok
80 plus drei
Das Versprechen
Das Vogelnest
8
Charlie’s Angel
Mausi
Der Schwur
Face
Asche zu Asche
9
Yellow brick road
Wie sich Petar Wollnar in der Grabowsky-Garage mit einer ordentlichen Portion Wut und Bauernschläue als höchst nützlich erweist, TEIL 1
Nur Gutes
Zuhause
Familie
Erbfolge
Wie sich Petar Wollnar in der Grabowsky-Garage mit einer ordentlichen Portion Wut und Bauernschläue als höchst nützlich erweist, TEIL 2
Orpheus aus der Unterwelt
Rufus
Wieder ich
X-Man
Aus Nichts wird Alles
10
Thomas Raab
Zum Autor
Impressum

1Taube: Falke von Taube, bitte kommen.

Falke: Hier Falke, kommen.

Taube: Frage: Was ist los bei euch? Ihr rührt euch nicht. Muss ja ein Traum sein, zu zweit in der Kiste. Kommen.

Falke: Hier Falke. Frage: Bist eifersüchtig? Besuch uns halt. Habicht freut sich. Würd sicher gern … Kommen.

Taube: Trottel.

Habicht: Dachs hat übrigens grad Bau 2 verlassen. Panisch. Kommen.

Taube: Hier Taube. Frage: Warum? Kommen.

Habicht: Hier Habicht. Der BMI. Er ist zu fett geworden. Vermutlich das Alter. Mit über 50 muss man aufpassen. Kommen.

Falke: Du Vogel! Willst mich beleidigen?

Habicht: Dann ist es eben seine Sauferei. Jedenfalls will er sich ein neues Fell zulegen.

Taube: Wie, Fell? Kommen.

Habicht: Hier Habicht. Na, Panier eben, Wäsch, Klamotten, Kleidung. Shoppen geht er.

Taube: Nicht gut. Falke, häng dich dran. Neues Fell heißt, wir müssen ihm ein neues Ungeziefer verpassen.

Falke: Hier Falke. Frage: Ich? Du kennst die Problematik, oder? Kommen.

Taube: Dann lass dir was einfallen. Muss jetzt abbrechen, in Bau 1 tut sich was. Füchsin bekommt Besuch. Diesmal drei Mann. Bussard ist dabei. Ende.

Man sieht sich immer zweimal

Vorhang auf.

„Ja, Fleischhauer! So eine Überraschung!“

Vorhang zu.

Aber ruckzuck. Grad, dass ihm die Gardinenstange nicht um die Ohren fliegt, so energisch zieht Willibald Adrian Metzger den Stoff wieder retour. Entsprechend erbost auch seine Reaktion.

„Was fällt Ihnen ein!“

„Keine Sorge, Fleischhauer. Ich hab dich auch nicht gleich erkannt! Ich bin’s, der Heri!“

„Ich heiß Metzger und kenn keinen Heri!“

„Dann der Bertl.“

„Was jetzt? Der Heri oder der Bertl!“

„Geh, Fleischhauer! Denk nach! Wie kannst du mich vergessen haben? Oder traust du dich nicht raus, hehehe!“

Und jetzt funkt es in des Metzgers Gehirnwindungen, drückt es in seiner Magengrube. Denn einzig die Tonhöhe dieses wie ein Husten herausgestoßenen hämischen Lachens scheint sich verändert zu haben, weil Stimmbruch, der Rest aber klingt wie eh und je. Immer noch sind es exakt drei Hes an der Zahl.

Heimtücke, Herzlosigkeit, Herrschsucht.

He-He-He.

Es besteht also kein Zweifel: Weder der Heri steht da draußen vor dem Filz noch der Bertl, sondern beide: Heribert Senekowitsch. Das U-Hakerl. Als wäre dieser Morgen noch nicht übel genug. Oh Schicksal, du niederträchtiges Ungetüm! Wartest in Lauerstellung, und kaum ist der Moment endlich bestmöglich ungünstig, springst du aus deinem Versteck. Tamtam. Wie die Lungenentzündung als Draufgabe nach dem Herzinfarkt.

„Oder hab ich mich geirrt, Fleischhauer, und du bist es gar nicht. Lass schauen!“

Vorhang auf.

„Na, und wie du das bist: die Senkfüße, die Wamp’n, der Rundrücken, alles da, dazu dein Zinken und die großen Ohrwascheln. Der fette Willi, wie er leibt und lebt. Williblad sozusagen, hehehe! Was machst du hier?“

Eine dümmere Frage kann einem Menschen, der nur mit Rippleibchen, Unterhose und schwarzen Socken adjustiert in einer Umkleidekabine steht, wohl kaum gestellt werden!

„Dreimal darfst du raten, Senekowitsch!“

Vorhang zu.

Jetzt ist der Metzger an sich ja weit entfernt von jedem Aberglauben, dennoch wäre es die reinste Realitätsverweigerung, in Anbetracht der an diesem Morgen bereits eingetretenen Ereignisse nicht von einer Anhäufung böser Omen zu sprechen:

• Mit schwerer Migräne in seiner Werkstatt erwachen, und das, ohne am Vortag entsprechend ordentlich gesoffen zu haben! Jammerschad also um den Schmerz, zahlt sich in diesem Fall ja gar nicht aus.

• Sich in seinen einzigen schwarzen, ewig nicht getragenen Anzug schmeißen wollen und erkennen müssen: Das Teil ist trotz Schattendasein von selber geschrumpft, mindestens um eine Kleidergröße. Also hinaus auf die Straße.

• Direkt vor der Werkstatt durch den Park Richtung Innenstadt marschieren und – so wie die Tage zuvor – auf diesen seltsamen Kerl stoßen, der da auf einer Bank sitzt. Ein Monstrum, groß, breit, bärenstark, kahlköpfig. Fast täglich geht dieser Fleischberg an seiner Werkstatt vorbei und glotzt durch die Scheibe herab in den Gewölbekeller, als würde er sich nicht hereintrauen oder den Restaurator beobachten.

• Die Herrenabteilung irgendeines x-beliebigen Modehauses erklimmen, mit den günstigsten Dreiteilern in die Garderobe verschwinden, auf engstem Raum keuchend ein paar Turnübungen absolvieren, Ausziehen-Anziehen, Ausziehen-Anziehen, und es ausgezogen mit einem Menschen zu tun bekommen, der bisher schöner vom Erdboden gar nicht verschluckt hätte sein können, egal ob tot oder lebendig.

Wenn das nicht grausam ist, was dann?

Vorhang auf.

„Senekowitsch, verdammt! Lässt du jetzt gefälligst den Vorhang in Ruh, sonst geh ich mich beschweren und jag dir irgendein Bleichgesicht hier auf den Hals!“

„Meine Güte, da sieht man sich nach so langer Zeit wieder, und woran erinnerst du dich zuerst? An das Indianerspielen?“

Als ob sich der Metzger aussuchen könnte, woran er gerne denkt? Ungute Erinnerungen, die extra um Erlaubnis fragen, wann es denn gnädigerweise recht wäre, sich innerlich zu Wort melden zu dürfen, hat er jedenfalls noch keine erlebt.

„Was bist du für ein nachtragender, verbohrter Mensch geworden, Fleischhauer. Wir waren Kinder, damals!“

Das stimmt. Einerseits.

Anderseits ist das natürlich weder eine Entschuldigung, noch lässt es automatisch auf eine sonderlich erfolgreiche intellektuelle Weiterentwicklung schließen.

Und logisch fällt dem Metzger jetzt alles wieder ein. Die Schmerzen, Tränen, blutigen Schusswunden, und natürlich die Senekowitsch-Mama.

„Wie lang haben wir uns aus den Augen verloren. Willi?“

„Verloren?“

„40 Jahre?“

„Mindestens, Senekowitsch. Mindestens! Schad, dass es nicht mehr geworden sind!“

Vorhang zu.

Das U-Hakerl

Nein. Heribert Senekowitsch ist dem Metzger die letzten Jahrzehnte wirklich nicht abgegangen. Richtig froh war er, wie von einem Tag auf den anderen die Senekowitsch-Wohnung geräumt und keines der Familienmitglieder in Willibalds Grätzl jemals wiedergesehen wurde. Ertragen musste er ihn ja schließlich lang genug. Zuerst vom Kinderwagen aus, und bereits da war ihm klar, der Insasse im Buggy gegenüber wird sein Buddy wohl nicht werden. Dann in der Sandkiste drüben im Beserlpark, später Schaukel, Rutsche, Kindergarten, Volksschule und zwischendurch in der Schule des Lebens natürlich. Schließlich wohnten die Senekowitschs und Metzgers nicht nur in derselben Gasse, sondern nur durch diese Gasse getrennt einander direkt gegenüber. Sogar auf gleicher Stockwerk-Höhe. Folglich konnten die einen vom Wohn- oder Elternschlafzimmerfenster aus in das Wohn- und Elternschlafzimmer der anderen blicken.

Dort Vater, Mutter, Heribert.

Hier Vater, Mutter, Willibald.

Ob die Mutter Metzger den Vater Metzger jemals im Schlafzimmer der Mutter Senekowitsch erwischt hat, blieb zwar ein Geheimnis, dem plötzlichen Kontaktabbruch nach zu urteilen lag es aber durchaus im Bereich des Möglichen. Der kleine Heribert mit seinem Feldstecher war durch den Feldstecher des kleinen Willibald jedenfalls stets einwandfrei zu sehen. Ebenso die Senekowitsch-Mama in ihrem Nachthemd, ihrer Unterwäsche, ja, und mit viel Glück sogar ... pfuh, das waren Zeiten. Aufklärungsunterricht im Homeoffice sozusagen.

Wunderschöne Zeiten.

Nächte gab es, kaum schloss der Metzger seine Augen, da sah er in seinen Träumen die so herrlich üppige Senekowitsch-Mama an ihr Fenster treten, langsam auch noch die letzten Hüllen fallen lassen, ihren Zeigefinger an die Lippen legen – „Psst“ – und ihn mit der anderen Hand zu sich winken: „Komm rüber, Willi! Aber leise.“ Träume, die dann eines Tages …

Heiß der Sommer. Die Kinder wie so oft mit dem Auftrag versehen: „Geht’s auf die Straße spielen, zum Abendessen seid ihr wieder da!“ All das ohne Handy-Ortung und Drohnenüberwachung. Der Begriff Straße eine weit über die Gasse hinausragende Ortsbeschreibung. Im Grunde war damit das ganze Grätzl bis hinaus zu den Glashäusern und Feldern des Vorstadtgärtners Prikopa gemeint.

Alles dazwischen die Prärie:

Die geparkten Autos mussten als Wagenkolonne der Siedler herhalten.

Die Laternenmasten als Marterpfähle.

Die Tauben als Geier.

Und logisch war die Rolle des Winnetou fix vergeben, Heribert Senekowitsch somit der einzig mögliche Häuptling der Apachen, die übrigen Stammesbrüder leider alle tot.

„Und was is mit Old Shatterhand, Heri?“

„Den gibt’s net! Und jetzt rennts, ihr Wappler!“

Er somit der einzige edle Wilde, ergo alle anderen irgendwelche unsympathischen Cheyenne, Komantschen, Kiowa oder gleich Bleichgesichter.

Bewaffnet mit zwischen Daumen und Zeigefinger doppelt gespannten Gummiringerln zog man in den Kampf, geschossen wurde in der Regel mit kleinen Stanniolkugeln oder zu saftigen Patzen rundgelutschten Papiertaschentuchfetzen. Ja, und wo eben die Regel, da auch die Ausnahme.

„Aber Heri, das ist verboten und gefährlich!“

„Rennen sollt’s!“

Nein, da kannte Winnetou kein Erbarmen, wenn er seine Munition aus der Hosentasche zog.

U-Hakerl. In der Mitte gebogene Nägel mit zwei Spitzen, die sich höchst effektiv durch die Gegend schnalzen ließen. Wer da mit einem Stück nackter Haut die Flugbahn kreuzte, dem gnade Gott. Ja, und weil Sommer, eben auch viel solche nackte Haut.

Heribert Senekowitsch zu entkommen war unmöglich.

An diesem Nachmittag aber bohrte sich so ein U-Hakerl unmittelbar vor den Augen der in ihrem Strickwarengeschäft stehenden Senekowitsch-Mama in des Metzgers Hinterteil, und von da an wusste er, wie seine große Liebe eines Tages auszusehen hatte.

„Schau dir den armen Willi an. Du Teufel, du ...!“ Hausarrest, Taschengeldentzug, Fernsehverbot, Spielsachen weg, und und und, das ganze Programm. „Komm, Willi, ich hol dir das U-Hakerl raus!“

Im Schlafzimmer der Senekowitsch-Mama musste er sich auf die Tagesdecke aus Merinowolle platzieren.

„Hier ist es weich. Und das wird jetzt wehtun, mein Liebling.“

Wie Balsam auf seiner Seele, diese Worte. „Mein Liebling“. Von der zarten Hand auf seinem Allerwertesten ganz zu schweigen. Wie gut für den kleinen Willi, in dieser Situation auf – und somit irgendwie auch unter – dem Bauch gelegen zu sein. Ja ja. Haufenweise U-Hakerl hätte er sich damals hineinjagen lassen, der Metzger, nur um diesen wunderbaren Moment wieder erleben zu dürfen, diese erstmalige Ahnung von Erotik, den Geruch der Senekowitsch-Mama in seiner Nase. Die Augen schließen musste er vor lauter Glückseligkeit, jeder seiner Atemzüge der reinste Genuss.

Kopfnote: Lychee, Pflaume, Orangenblüte.

Herznote: Maiglöckchen, Rose, Jasmin.

Basisnote: Amber, Sandelholz, Vanille.

Kurzum: Joop! Le Bain.

Erst Jahrzehnte später begegnete er diesem Duft erneut, um davon endgültig nie wieder loskommen zu wollen. An Danjela Djurkovic.

Und wie er nun so ertappt in der Umkleidekabine steht, wird dem Metzger schlagartig klar: Wer weiß, hätte es die Senekowitsch-Mama nicht gegeben, vielleicht wäre ihm seine Danjela nicht gar so intensiv auch über die Nase in sein Herz gekrochen und müsste er heute gar keinen Anzug kaufen.

„Geh mir nicht auf die Nerven und am besten dorthin, wo du hergekommen bist, Senekowitsch!“

„Das geht nicht, du Pechvogel, hehehe!“

Vorhang auf.

„Verdammt, Senekowitsch!“

„Ich arbeite hier!“

„Als Spechtler, oder wie! Darf ich mir vielleicht vorher noch meine Hose anziehen, bevor du komplett in der Garderobe herinnen stehst?“

„Meine Mutter würd sich über den Anblick jetzt sicher freuen, Fleischerl. Vorausgesetzt, sie könnt sich an dich erinnern!“

Das trifft den Metzger natürlich, denn die Senekowitsch-Mama war ein guter Mensch.

„Oh, das tut mir leid. Demenz?“

Jetzt lacht er, der Heribert.

„Wie kommst du auf Demenz, du Kasperl! Tot ist sie. So wie deine! Mit Demenz könnt sie sich wahrscheinlich nur an mich nicht erinnern, weil du warst ja immer der Vorzeigebub! Wenn’st wenigstens ein bisserl so wie der Willi wärst!“, hebt er kurz die Stimmhöhe.

Kurz wird es still zwischen den beiden, weiß der Metzger nicht, was er darauf antworten soll, und auch Heribert Senekowitsch wirkt ein bisschen nachdenklich.

„Aber ganz ehrlich, Fleischerl, ich freu mich wirklich, dich zu sehen. Bist schon verheiratet?“

„Das geht dich aber wirklich nichts an?“

„Wird schon werden. Auch ein blindes Hendl findet mal einen Hahn im Korb!“, streckt sich Heribert Senekowitsch empor, gertenschlank, wie er ist, und blickt über den Metzger hinweg in den Spiegel der Umkleidekabine. „Ich toller Hecht bin auch noch zu haben, möge das passende Katzerl also endlich den Stier bei den Hörnern packen, aufs richtige Pferd setzen und sich zum Schnurren bringen lassen!“

„Dann würd ich an deiner Stelle nach einer Zoologin annoncieren!“

Schallend jetzt das Lachen des Heribert Senekowitsch.

„Nicht schlecht, Fleischerl. Das passt. Meine Traumfrau ist Tierärztin!“ Dabei mustert er den Metzger eindringlich und erklärt: „Was nicht passt, sind die Größen, die du dir ausgesucht hast, weil schlanker bist du ja nicht grad geworden. Außerdem würd ich an deiner Stelle in die Behindertengarderobe ausweichen ...“

Vorhang zu.

„Trottel!“

„Du hast mich nicht ausreden lassen“, tritt Heribert Senekowitsch nach vor, grad, dass sich sein Gesicht nicht als Relief durch den Stoff schiebt. „Weil in der Behindertengarderobe ist mehr Platz zum Probieren, hehehe. Alles Anzüge, wie ich sehe! Lauter schwarze. Und einer preiswerter als der andere. Es soll also etwas Billiges, Geschmackloses sein? Für ein Begräbnis?“

„Verschwind!“

„Nicht. Dann so etwas Ähnliches: eine Hochzeit! Bist du bei deinem schlechtesten Freund eingeladen?“

Und allein das Ausbleiben der Antwort scheint Heribert Senekowitsch schon Erklärung genug zu sein. Bösartig sucht sich sein Dreifach-Lacher den Weg durch die Herrenabteilung.

Vorhang auf.

„Sag nicht, du bist selbst der Bräutigam!“

„Lass mich endlich in Frieden!“

„Ha, ich hab recht! Na, das nenn ich Liebe, mit solchen Fetzen vor den Traualtar treten wollen, oder heiratest du schon zum dritten Mal, du Weiberheld?“

„Ich wiederhol mich gern: Trottel!“

„Jetzt sag schon: Wann ist dein großer Tag? Bei diesem Dreck, den du dir da Hals über Kopf kaufen willst, könnt man ja annehmen, du heiratest schon morgen?“

Und abermals verrät sich der Metzger durch sein Schweigen. Elende Kommunikation. Wie man’s macht, ist es falsch.

„Verdammt, Fleischerl, ich hab schon wieder recht.“

„Na und! Was ist dabei? Ich hab den alten Anzug erst heut probiert!“

Wahre Männer eben. Da wird kein Gschisti-Gschasti betrieben, sich nicht mit Nebensächlichkeiten wie Kleidergrößen oder Styling beschäftigt, geschweige denn ein Gedanke daran verschwendet, so etwas wie die Zeit könnte ab einem gewissen Alter nicht nur an Türstöcken, Kalenderblättern und Grabinschriften, sondern auch Hüften Spuren hinterlassen.

„Der größte Fehler, der einem Mann in einer Ehe passieren kann, ist ja bekanntlich die Eheschließung, trotzdem geht unsereins schon mit ein bisserl Stil zum Schafott, mein Lieber. Du kannst doch deine Zukünftige in keinem alten Fetzen heiraten!“

„Der Anzug war noch gut genug, und es spart Geld!“

„Dich von mir einkleiden zu lassen spart Geld und vor allem Sorgen. Ich bring dir einen passenden, da können sich dann die Wanzen wieder gut verstecken, hehehe!“

„Idiot.“

„Am besten ein guter Stoff mit hohem Stretchanteil. Sketchanteil in deinem Fall. Ach Fleischhauer. Mit dir hat man was zu lachen. Deine Zukünftige darf sich freuen. Und? Wer ist die Unglückliche?“

Drei Affen

Wenn Petar Wollnar eines ganz und gar nicht mag, dann Geheimniskrämerei. Als Unbeteiligter unter Zwang gestellt den Unschuldsknaben spielen zu müssen. So wie jetzt.

Denn Danjela bekommt Besuch.

Regelmäßig.

Und steigt die Personenzahl weiter so an, kann sie bald den FC Djurkovic gründen.

Hausmeister Petar Wollnar weiß nicht recht, wie er all seine Beobachtungen einordnen, sich verhalten soll. Sein Guckloch abkleben, um gar nicht erst in Versuchung zu kommen? Oder das Stiegenhaus für die restlichen paar Tage meiden, um sich weitere unerwünschte Begegnungen zu ersparen? Gäbe es so wie in diversen amerikanischen Bumm-Tschak-Filmen auch in Hausmeister Wollnars Revier eine großdimensionierte rückseitige Feuerleiter, über die sich die Guten und Bösen mit metallisch scheppernden Schritten hinterherhetzen oder ein Romeo heimlich zu seiner Julia ins Zimmer steigt, es würde zu diesen Begegnungen womöglich gar nicht kommen. Denn sowohl Danjela als auch ihre Besucher erwecken den Anschein, bevorzugt unsichtbar bleiben zu wollen. Nur warum?

„Wird Hochzeits-Überraschung!“, so Danjela Djurkovic vor wenigen Tagen.

Und es klang bedrohlich. Vor allem für den Metzger selbst. Armer Willibald.

Unvergesslich Danjelas Sammelgeschenk zu seinem Fünfziger. Zusammengelegt wurde, von all seinen Freuden, was nichts anderes bedeutete als: Der Metzger wurde von all seinen Freunden zusammengelegt, hintergangen, nur damit sich seine Holde endlich ihren Herzenswunsch erfüllen und mit ihm an der Adria urlauben konnte. Mit verbundenen Augen wurde er zum Bahnhof gebracht, in den Zug gesetzt, um dort völlig wehrlos vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Tamtam, Zug fährt ab. Rückblickend ein Horror, das Ganze. Wie ein Betrüger ist sich Petar Wollnar damals vorgekommen.

Und nun scheint neuerlich irgendeine Ungeheuerlichkeit geplant?

Das Stiegenhaus hatte er gerade gewischt, als ihm die Djurkovic aus dem Oberstock entgegenkam. Sichtlich in Eile und doch mit einem gewaltigen Handikap ausgestattet.

„Das ist aber ein schwerer Koffer? Gehst du auf Reisen?“

„Reise! Gibt wohl nix schlechtere Zeitpunkt für Reise, kurz vor Hochzeit, oder?“

Gereizt ihr Ton.

Nein, mit Danjela ist aktuell keineswegs gut Kirschen essen, nicht einmal beim Konditor als Schwarzwälder.

Bei Petar Wollnar beißt sie aber auf Granit, denn das kann er, dem Unmut anderer mit Bedächtigkeit begegnen.

„Was immer du da so hektisch herumschleppst, aber soll ich dir nicht lieber tragen helfen, Danjela, bevor noch ein Unglück passiert!“

Ein wenig schien sie sich an der Nase zu nehmen, langsamer wurde sie aber deshalb nicht. Nur weiter, möglichst ungestört, so offenbar ihr Wunsch. Aus gutem Grund.

„Danke, Petar. Aber hab ich schon Unterstützung.“

Ein mächtiges Mannsbild kam ihr hinterdrein, ebenfalls einen Koffer in der Hand. Kahlköpfig, mit Narben quer über den Hals und Drachentätowierung diagonal über das Gesicht. Jetzt ist Petar Wollnar nicht unbedingt einer jener Herren, die man im Kino vor sich sitzen haben möchte, hinter diesem Monstrum aber würde sogar er verschwinden. Kein Wort mehr brachte er heraus, schon gar nicht zu dieser seltsamen Bemerkung Danjelas: „Wehe, verrätst du Willibald auch nur eine Wort, dann schwör ich bei alles, was ist mir heilig, gibt Probleme!“ Und wie gesagt, es klang bedrohlich. Auch alles Weitere: „Also machst du wie drei Affen: Siehst du nix, hörst du nix, sagst du nix! Hast du verstanden!“

Petar Wollnar war dieser eine Affe schon genug, der sich nun hinter Danjela an ihm vorbeischob. Die Djurkovic und ihr Gorilla.

Seltsame Zeiten sind das.

Auch weil der Metzger aktuell ja gar nicht in seiner Wohnung weilt, aus Liebe vor die Tür gesetzt und mit den Worten „Mein ich nur gut für uns!“ in die Werkstatt verbannt wurde. Und Petar Wollnar hat es schweigend registriert. Sollen Willibald und Danjela ihre Beziehungsprobleme handhaben, wie sie nur wollen, da mischt er sich schon aus reinstem Selbstschutz nicht ein. Aber jetzt? Ein fremder Mann?

„Ob du verstanden hast, Petar? Ist wichtig!“

Mit einem Kopfnicken der Bestätigung sah er den beiden verdutzt hinterher und war doch nicht überrascht. Denn im Grunde passt der Kerl haargenau in die Riege jener Gestalten, die hier in jüngster Zeit vermehrt durch die Gasse streunen. Und wirklich koscher ist ihm das alles nicht. Nur, was weiß man schon? Vielleicht stellt ihm ja seine Gewohnheit ein Bein, leidet er mittlerweile schon unter Verfolgungswahn, sollte er einfach weniger vor der Glotze sitzen und seine Action-Reißer konsumieren, FSK 16, weil wenn schon Volksverblödung, dann ordentlich. Das Hirn pausiert und irgendwelche Helden üben stellvertretend Rache für jenes Unrecht, das in dem eigenen Unterbewusstsein bereits auf Grund gelaufen ist und dort liegt wie ein verschollenes Atom-U-Boot. Es gibt Filme, die sprechen einfach aus der Seele, öffnen Ventile, hinterlassen in Petar Wollnar den Eindruck, obwohl er ja nur zuschaut, die Welt gerettet, das Böse dingfest und auf jeden Fall absolut das Richtige getan zu haben. Wie ein unfreiwillig auf Entwöhnung gesetzter Nikotinsüchtler beim Passivrauchen. Herrlichen Verbal-Tobak hat er da schon inhaliert, wahre Aufputschmittel. Sätze wie Heiligtümer.

Aus dem Film Ronin zum Beispiel.

„Wieso hast du Larry getötet?“

„Ach, der hieß Larry!“

Oder Rambo.

„Für wen hält sich dieser Kerl? Für Gott?“

„Gott kennt Gnade, er nicht.“

Dazu Bruce Willis in Stirb langsam.

„Yippie-Ya-Yhea, Schweinebacke!“

Und Wollnars Liebling natürlich.

„Einen Wodka Martini!“

„Geschüttelt oder gerührt?“

„Seh ich so aus, als ob mich das interessiert?“

Aus Casino Royal. Der erste James Bond mit Daniel Craig. Petar Wollnar hätte damals im Jahre 2006, wäre er 14 gewesen, wohl umgehend sein Kinderzimmer mit diesem Kerl tapeziert, so groß seine Begeisterung. Seit Sean Connery endlich wieder einmal ein 007, der sich nicht anfühlte wie eine Doppelnull mit sieben Leben.

Und Petar Wollnar selbst? Nur eine Doppelnull. So wurde er zumindest von seiner Ex genannt.

Ach, wenn er doch nur eine Spur mehr Courage hätte, er wäre schon längst draußen aus seiner Wohnung und droben im letzten Stock, um an die Tür seines Freundes Willibald Adrian Metzger zu klopfen. Denn Danjela ist abermals in Gesellschaft.

Drei Herren sind diesmal mit ihr durchs Stiegenhaus marschiert. „Hab ich Gäste für Abendessen!“, so ihr direkt neben seiner Hausmeisterwohnung in den leeren Raum geschmetterter Ruf, eindeutig also an ihn adressiert.

Und irgendetwas muss passiert sein, denn nun läuft dieses Monstrum Mann mit Drachen-Tattoo im Gesicht die Treppen auf und ab und murmelt vor sich hin.

Ein seltsames Gelalle. Garantiert kein Kroatisch.

Die Sprache unbekannt. Das Gemüt ziemlich erhitzt.

Und wenn sich Petar Wollnar mit Blick durch seinen Türspion nicht gänzlich täuscht, hält dieser Kerl ein rot besudeltes Geschirrtuch in seiner Hand. Ist er der Koch und hat die Bolognese verhaut? Das Paradeiser-Sugo versalzen? Und wenn schon Nudeln, dann vielleicht doch eher Penne all’arrabbiata mit einer Extraportion Rabbia, sprich Wut.

Was ist da los?

Željko muss gehen

– Warum hast du rausgeschickt Josip. Soll er seine Dreck doch selber wegräumen.

– Josip ist ein Mann der alten Schule und Putzen für ihn Weiberkram. Und jetzt hilf mir.

– Müssen wir einrollen in Plastik.

– Wozu! Wir nehmen gleich den Teppich.

– Niemals! Ist uralte Perser, und –

– Und sogar wenn Aladin damit geflogen wär oder Mohamet drauf gesessen, wir wickeln jetzt Željko damit ein und schmeißen ihn weg.

– T’i pif –

– Nicht den Kopf, der kommt woandershin. Nur den Körper.

– T’i piftë sorra mendtë!

– Möge die Elster von deinem Gehirn trinken! Na bitte! Geht doch. Du hast das Fluchen nicht vergessen in all den Jahren. So wie mich.

– Erinnerung ist wie Herpes-Virus. Hast du einmal aufgerissen, bekommst du nix mehr weg!

– Und auf Anhieb erkannt hast du mich auch. Trotz Vollbart.

– Is nix Vollbart, sondern peinlich gestutzte Dokument von größte Eitelkeit. Wie englische Rasen. Schlag ich also vor für Zukunft, kümmerst du dich mehr um Hirn als um Äußeres. Außerdem riech ich Abschaum hundert Meter gegen Wind.

– Wie kommst du dann mit deinem Eigengeruch zurecht? Die Heimat verraten, deinen Schwur gebrochen, und reihenweise Menschen ins Gefängnis gebracht hast du auch.

– Hab ich immer geglaubt, hocken Verbrecher wegen Verbrechen in Gefängnis. Und bei dir war Liste so dick wie Telefonbuch.

– Band 1. Also sei froh, dass nicht gleich du die erste Zeile in Band 2 bist, denn mein Vater will dich nicht gestückelt, sondern als lebendes Ganzes wiedertreffen. Ich vermute, er will dich sterben sehen.

– Müssen wir noch reinigen Sofa und putzen Wand. Stell dir vor, kommt meine Mann nach Hause und findet Blutstropfen.

– Er ist noch nicht dein Mann. Und die Tapeten musst du überkleben, da hilft kein Putzen mehr.

– Ist Katastrophe. Wenn Willibald fängt an herumschnüffeln, kannst du alles vergessen.

– Jetzt hör auf, unnötig die Nerven zu verlieren, es wird schon schiefgehen!

– Fangt aber ein bisserl früh an mit Schiefgehen, weil kommst du mit zwei Männer herein und gehst du mit nur eine wieder hinaus.

– Ja, das ist ungut. Und leider sterben immer die Falschen. Željko war ein guter Mann.

– Hast du gesagt sterben? Ist grausame Mord. Köpfen.

– Josip weiß mit dem Säbel umzugehen, und Željko hat nichts gemerkt. Aus und vorbei. Für ihn war das also weniger grausam als für uns Zuschauer.

– Danjela? Was ist los?

– Alles in Ordnung?

– Fragst du mich nicht wirklich, oder? Und warum Željko?

– Keine Ahnung. Željko hat mich nach meiner Entlassung wie vereinbart vor dem Gefängnis abgeholt. Warum plötzlich Josip dabei war, weiß ich doch nicht. Vielleicht will mein Vater jeden Mitwisser und somit potentiellen Verräter ausschalten. Er passt also mehr oder weniger auf uns auf.

– Würd ich sagen, eher weniger als mehr.

– Weniger Hund wäre auch hilfreich. Lass endlich deinen Köter hier verschwinden.

– Heißt nicht Köter, sondern Edgar.

– Edgar, du nennst den Hund Edgar! Hat er studiert?

– Te qift qeni ne byth!

– Danjela, Danjela, das ist schmutzig! Gehört sich das für eine Dame? Du bist doch jetzt eine Dame, oder? Und warum bist eigentlich du so ungut zu mir! Ich bemüh mich doch freundlich zu sein, obwohl es anders ginge. Das alles kommt doch nicht unerwartet. Oder hast du in einer Illusion gelebt?

– Hab ich gelebt in gute Hoffnung!

– Bist du dafür nicht zu alt. Wobei, Brigitte Nielsen und Gianna Nannini waren bei ihrem ersten Kind auch weit über 50.

– Arme Dejan. Bist du immer noch größte Trottel zwischen Nord- und Südpol! Ist jede Tag ohne Hoffnung wie Gefangenschaft, selbst wenn lebst du in Paradies und schönste Freiheit!

– Na schau! Im schlimmsten Fall kannst du dich dann mit dem Dichten von Kalendersprüchen über Wasser halten! Und auch wenn du dich so zierst: Ich kann es doch spüren. Du hast Heimweh!

– Na, dann gratuliere ich zu Menschenkenntnis wie Säbelzahntiger. Hat auch nur gefressen Zweibeiner und nix verstanden!

– Dann beweis ich es dir: Wie lange lebst du jetzt eigentlich schon hier?

– Ist aber nur rhetorische Frage, oder?

– Ich hab sogar im Gefängnis fließend Deutsch gelernt. Und du? Wer nach rund 35 Jahren immer noch derartige Probleme hat mit Subjekt, Prädikat, Wortstellung, Artikel, der ganzen Grammatik, also wenn das kein Heimweh ist, dann wohl ein Zeichen mangelnder Intelligenz.

– Drehst du Subjekt eigene Lautstärke besser auf Null, weil geht sonst Gruselfilm gleich weiter mit nächste Todesfall, aber Prädikat wertvoll!

2Taube: Hier Taube. Hier Taube. Blut in Bau 1. Überall. Bussard aufgeflogen. Exekutiert. Kommen.

Falke: Hier Falke. Fuck. Kommen.

Adler: Von wem?

Falke: Wer funkt hier dazwischen?

Adler: Hier Adler. Kommen. Alle.

Falke: Hallo Chef. Bussard ist –

Adler: Verdammt, ich hab’s gehört. Durch wen?

Taube: Hier Taube: Soll ich dir jetzt sagen, wer es war?

Habicht: Dann können wir uns hier aber gleich alle persönlich vorstellen und dein paranoides Decknamentheater beenden, Chef.

Adler: Taube, verdammt. Durch wen? Kommen.

Taube: Den mit der Drachentätowierung quer über dem Gesicht. Kommen.

Adler: Josip! Gar nicht gut. Ein harter Hund.

Taube: Somit ist Füchsin morgen ziemlich auf sich gestellt.

Falke: Ich hab es g’sagt, wir sind zu wenig.

Wingman

Es ist allein dieses Klingeln des Glöckchens über der Werkstatt-Türe, das bereits viel über den eintretenden Menschen verrät. Ob er leidenschaftlich, verwegen, zielstrebig vorgeht, in Hast dabei, rücksichtslos vielleicht, ungeschickt, ob er die Tür aufschnellen, an die Wand schlagen lässt. Ob er zaghaft eintritt. Vorsichtig oder gelassen.

An diesem bedeutsamen Morgen jedenfalls muss sich ein äußerst bedachtsamer Charakter in den Gewölbekeller verirrt haben, so umsichtig sogar, der Metzger bemerkt ihn erst mit großem Schrecken, da wartet dieser Fremde bereits inmitten des kleinen Schauraumes neben der Werkbank und sieht sich eben um. Genau dort hat er Platz genommen, wo es sich auch am schönsten Platz nehmen lässt. In einem prächtigen antikroten Chesterfield Wing Chair. Weit empor und wie Scheuklappen nach vor ragend die ohrenähnlichen Auspolsterungen im Kopfbereich. Ein Ort der Geborgenheit. Und dennoch: Als wäre ihm der Stuhl ein paar Nummern zu groß, sitzt ein sehr einfach, vielleicht sogar eine Spur verarmt wirkender alter Mann darin. Ausgetretene Schuhe, eine simple graue Hose, ein verknittertes weißes Leinenhemd, eine braune Schieberkappe, ein Gehstock in der rechten Hand. Stockschwarz seine Augen, braun gegerbt seine Haut, die buschigen Augenbrauen und das kräftige Haar schlohweiß.

„Ein Paradies haben Sie hier, ist Ihnen das bewusst!“ Die Stimme voll Tiefe.

Und sofort muss der Metzger an Anthony Quinn denken. Nicht an den kraftstrotzenden Sirtakitänzer in Alexis Sorbas, sondern an eine ergraute, geschwächte Ausgabe.

Punkt acht zeigt die alte Pendeluhr hinter der Werkbank, und Willibald Adrian Metzger war um diese Zeit gewiss schon deutlich munterer unterwegs, von seinen starken Kopfschmerzen ganz abgesehen. Entsprechend fehlt es ihm an Gastfreundlichkeit: „Was machen Sie hier!“

Eindringlich betrachtet der Fremde den Restaurator. Ein leichtes Schmunzeln auf den Lippen.

„Wie ich sehe, komm ich ungelegen!“

„Ein wenig!“

„Ich will ja nicht indiskret sein, aber: Wohnen Sie hier?“

„Vorübergehend!“

Im hinteren Bereich seiner Werkstatt hat sich der Metzger, wie einst die Tramper mit ihren Wild-West-Wagenburgen, mit dunkel-honigfarbenen Nussholz-Rokoko-Schänken eingekreist und darin sehr gefällig eingerichtet. Ein alter Diwan, ein Nachtkästchen, eine Stehlampe mit breitem Schirm, ein kleiner Tisch mit Hocker.

„Gar nicht so ungemütlich, muss ich zugeben. Delogiert oder Beziehungsproblem?“

„Beides. Und jetzt entschuldigen Sie mich kurz!“

In Badeschlapfen, offenem Morgenmantel und seiner in die Welt lachenden klassischen Feinripp-Unterwäsche setzt der unfrisierte Metzger seinen eingeschlagenen Weg Richtung Toilette fort. Ein Vorhaben, das nun dringend zu Ende geführt werden muss.

In Gegenwart einer Kundschaft.

Bravo. Beginnt dieser ohnedies schon ungeliebte Tag also mit einem ersten kleinen Schrecken! Passt ja, bevor gleich der große folgt. Ein Tag nämlich, der alles ändern soll, auf dass es dann bis ans Lebensende möglichst beim Alten bleibe. Der schönste Tag eines Lebens, wie so gerne behauptet und hoffentlich nie in Erfüllung gehen wird, denn was bitte wäre dieses Dasein für ein jämmerliches, gäbe es nur einen einzigen schönsten, und dann justament diesen.

„Eigentlich habe ich heute geschlossen!“

„Oh, dann verzeihen Sie bitte und gestatten mir zugleich einen kleinen Ratschlag: In solchen Fällen wäre es vielleicht klug, die Türe zu versperren.“ Liebenswürdig der Ton des Alten, ein wenig schelmisch gemeint vielleicht.

Hat er also vergessen, der Willibald Adrian! Kein Wunder, denn würde der Metzger an den Mondkalender glauben, stünde da gestern vermutlich etwas wie „Viel trinken!“ oder „Ordentlich gießen!“ in der Spalte. So eine durstige Nacht hat er jedenfalls schon lang nicht mehr erlebt. Ein Polterabend zwar ohne Poltern, aber mit gläserweise guten Kameraden, alle abgefüllt in Rotweinflaschen. Das telefonische Angebot seines einzig wahren Freundes und Trauzeugen Hausmeister Petar Wollnar nämlich – „Gehen wir aus an deinem letzten Abend, Willibald. Einmal noch feiern! Ich hol dich ab“ – musste er aus nachvollziehbaren Gründen ablehnen.

„Wir zwei waren doch noch nie aus, Petar, und das garantier ich dir: Wenn dieses Theater morgen überstanden ist, fang ich erst zu feiern an!“

Und dieses Morgen ist heute.

Entsprechend groß sein Seufzer.