Die dritte Luft oder Eine Bühne am Meer - Christoph Ransmayr - E-Book

Die dritte Luft oder Eine Bühne am Meer E-Book

Christoph Ransmayr

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Beschreibung

Der erste Band von Christoph Ransmayrs »Spielformen des Erzählens«. Diese Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 1997 bildet den Auftakt einer außergewöhnlichen Reihe: der »Spielformen des Erzählens«. »Eine Bühne am Meer«, so nennt Christoph Ransmayr diese Form dieses Erzählens. »Tirade«, »Verhör« und »Schauspiel einer Heimkehr«, »Bildergeschichte«, »Duett« und »Ansprachen« werden als Varianten einer ebenso vergnüglichen wie vielschichtigen Prosa folgen. »Blauwale! Waren es fünf? Sieben? In Baltimore und in anderen Küstendörfern an der Roaringwater Bay und der Dunmanus Bay sprach man später sogar von einem Dutzend Blauwalen, die unter den Fontänen ihrer Atemluft und an turmhohen schwarzen Klippen vorüber dem offenen Atlantik entgegenzogen.«

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Seitenzahl: 21

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Christoph Ransmayr

Die dritte Luft oder Eine Bühne am Meer

Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 1997

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Inhalt

Blauwale! Waren es fünf? [...]

Blauwale! Waren es fünf? Sieben? In Baltimore und in anderen Küstendörfern an der Roaringwater Bay und der Dunmanus Bay sprach man später sogar von einem Dutzend Blauwalen, die unter den Fontänen ihrer Atemluft und an turmhohen schwarzen Klippen vorüber dem offenen Atlantik entgegenzogen. Schwärme von Sturmvögeln folgten ihnen nach und schrieben so die Route einer schäumenden Meeresprozession an den Himmel; Albatrosmöwen, Silbermöwen, Eissturmvögel. Und dann lief dieser mit Mastschweinen überfrachtete Kutter in voller Fahrt gegen einen Wal. Schlug leck. Sank. Das Meer färbte sich rot. Seeleute schwammen in einer blutigen Brandung um ihr Leben. Schweinekadaver wurden von den Brechern gegen die Felsen geschlagen; hellrotes Strandgut an einer dunklen Küste.

Welches Publikum würde sich nicht augenblicklich von den Tragödien und Komödien, den Konzerten, Opern oder Festreden abwenden, die ihm von irgendeiner Bühne herab geboten würden, wenn keine hundert Meter vom Orchestergraben oder einem im Wind schlagenden Bühnenvorhang entfernt der Atlantische Ozean rauschte und während der Vorstellung oder im letzten Satz einer Symphonie plötzlich Blauwale und Schiffbrüchige draußen, jenseits der Brandungslinie, ihrem Schicksal entgegenschwimmen würden?

Die Bühne, von der ich hier berichte, liegt hoch über den Klippen der südirischen Atlantikküste, an einer der unzähligen, von Feldsteinmauern, Stechginster und Fuchsienhecken gesäumten Straßen, die sich zwischen den Leuchttürmen von Galley Head und Irlands südwestlichstem Kap, dem Mizen Head, in tief eingeschnittenen Buchten und felsigen Hügelketten verlieren. Eine Bühne so nahe der Brandung, daß die Schauspieler, Sänger oder Dichter, die sie jemals betraten, die Stimme manchmal erheben mußten, um das Meer zu übersingen oder einfach zu überschreien. Mein Freund Eamon aus Skibbereen, der mir auch gezeigt hat, wie man ein Boot sicher zwischen Klippen verankert, wie man Hummerkörbe auslegt und bissige Katzenhaie, die in diese Körbe geraten, daraus wieder befreit, ohne sich zu verletzen, mein Freund Eamon hat mich an einem stürmischen Februartag zu dieser meilenweit von jeder Siedlung entfernten Bühne geführt. Die Wegkreuzung, an der sie liegt, heißt im südirischen Gälisch Glaisín Álainn. Das bedeutet Schöne Weide.