Die Frau des Gefangenen - Elisabeth Hering - E-Book

Die Frau des Gefangenen E-Book

Elisabeth Hering

5,0

Beschreibung

?Die Frau des Gefangenen? ist eine Erzählung um die historische Gestalt des Gelehrten Hugo Grotius, der 1619 in Rotterdam auf Grund seiner politischen und religiösen Überzeugungen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Im Mittelpunkt der Erzählung steht dessen junge Frau Marie, die, als sie sich mit der Gefangennahme ihres Mannes konfrontiert sieht, nichts unversucht lässt, um ihm zu helfen. Trotz ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft kämpft sie für seine Freilassung. Dennoch bleibt ihr am Ende nichts anderes übrig, als ihn in sein Gefängnis nach Schloss Loevestein zu begleiten. Dort macht ihr der Wächter Grotius?, Jacob Prouninck, genannt Deventer, das Leben zur Hölle, während sie versucht ihre Familie zusammen zu halten. Die willsensstarke Frau zeigt sich davon jedoch unbeeindruckt und schmiedet schließlich riskante Fluchtpläne.

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Seitenzahl: 229

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ELISABETH HERING

DIE FRAU DES GEFANGENEN

EINE ERZÄHLUNG UM HUGO GROTIUS

Sie hat die hellen braunen Augen ihres Vaters Pieter Reigersberg, des verstorbenen Bürgermeisters von Veere. Wie bei ihm wölben sich auch bei ihr die Brauen zu fast halbkreisförmigen Bögen, so dass sie dem Blick etwas Fragendes geben, etwas Eindringliches. Und die widerspenstigen dunklen Haare wollen sich, ebenfalls wie bei ihm, von keiner noch so strengen Frisur bändigen lassen. Von ihrer Mutter Maria Nicolai aber hat sie den geduldigen Mund und die etwas zu breite Nase, hat sie die untersetzte, ein wenig zur Fülle neigende Gestalt.

Nicht die Schönheit ebenmäßiger Gesichtszüge ist es, was Marie Reigersberg so anziehend macht, sondern die Anmut der flinken und sicheren Bewegungen und die Lebendigkeit eines Mienenspiels, aus dem eine fröhliche Tatkraft ebenso spricht wie eine stille und unerschütterliche Güte.

Sie ist noch nicht achtundzwanzig Jahre alt – und hat doch bereits sechs Kinder geboren, von denen sie zwei auch schon wieder begrub. Nun trägt sie das siebente unter dem Herzen, und die Niederkunft steht in wenigen Wochen bevor.

Das ist für sie jedoch kein Grund, sich zu schonen. Wo käme sie hin mit dem großen Haushalt und den vielen Verpflichtungen, die ihr die Stellung ihres Mannes auferlegt, wenn sie nicht diese unverwüstliche Gesundheit hätte, mit der ihr Körper die Bürde der Mutterschaft so willig trägt?

Ihr Gatte, Hugo de Groot, ist ein Mann, von dem die Welt spricht. In seiner Jugend schon hat seine Gelehrsamkeit Aufsehen erregt, und er war noch keine dreißig Jahre alt, als die Stadt Rotterdam ihn zu ihrem besoldeten Rechtsberater gemacht und ihm somit das Amt des Ratspensionars anvertraut hat. Aber sein Wissen bringt ihm mehr Ruhm und Ehre ein als Geld und Gut, und sein Amt mehr Sorgen und schlaflose Nächte als Reichtum.

Ja, wäre er ein Kaufmann, der seine Schiffe nach Ostindien schickt, um Gewürze und andere kostbare Waren heranholen zu lassen und sie nach allen Ländern Europas weiter zu verfrachten – er hätte seiner Frau ein reiches und bequemes Leben verschaffen können. Weisheit aber? – die verhökert man nicht! Und Bücher? – die schreibt man nicht um Geld! Man schreibt sie, weil einen von innen die Gedanken bedrängen, die man sich über Recht und Freiheit macht und über Krieg und Frieden – und über die Zustände der Staaten und über Gott und Reich. Und trotzdem würde man sich vielleicht scheuen, die Feder in die Hand zu nehmen, weil man bei Plato und Seneca, bei Paulus und Augustin, im Corpus juris und in all den unzähligen anderen Schriften, in denen man unermüdlich studiert, alles das, was einem durch den Kopf geht, bereits ausgesagt findet – und besser ausgesagt! Aber da sind die Freunde, mit denen man in niemals enden wollenden Gesprächen um diese Gedanken ringt und sie klärt und läutert, und die nie müde werden, das Feuer des Geistes immer aufs neue anzuschüren. Sie fügen zu dem Gären von innen das Drängen von außen, denn sie meinen, dass alles, was die Alten gelehrt haben, neu gedacht und neu verarbeitet werden müsse für diese neue, unerhörte Zeit, in der sie leben – für dieses angehende siebzehnte Jahrhundert, das die Fesseln der Vergangenheit zerbrochen und ihre Irrtümer abgestreift hat – und das sich anschickt, nicht nur ferne Welten jenseits des Meeres zu erforschen, sondern alles Überlieferte auf seine Gültigkeit zu untersuchen ohne Scheu vor Tradition und Autorität.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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