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Wenn Liebe blind macht, sind die Folgen lebenslänglich
Wie vom Blitz getroffen verliebt sich die dreifache Mutter und Arztfrau Linda in den äußerst charmanten Bankdirektor Frank. Nach heißen Liebesnächten und einem gemeinsamen Urlaub trifft sie den waghalsigen Entschluss, ihrem bisher eintönigen Leben noch einmal den entscheidenden Kick zu verleihen. Sie gibt alles auf, verliert Freunde, Familie und ihre finanzielle Sicherheit. Aber sie glaubt an die große Liebe. Doch was als perfektes Glück mit Patchworkfamilie im neuen Haus beginnt, wird mehr und mehr zu einem Albtraum, aus dem es kein Zurück mehr gibt ...
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Seitenzahl: 493
Über den Roman
Es ist die berühmte Liebe auf den ersten Blick – auch wenn Linda und Frank bereits verheiratet sind, als sie sich zum ersten Mal sehen. Aber weil man nur einmal lebt und sich in der ersten Verliebtheit alles toll anfühlt, übersieht Linda die Warnsignale. Bis sie herausfindet, dass Frank sie betrügt. Doch er bereut, fleht sie an, ihm noch eine Chance zu geben. Lindas Entschluss, sich zu trennen, schmilzt wie Butter in der Sonne: Sie liebt ihn noch, ihren Traumprinzen! Tränenüberströmt fallen die beiden sich in die Arme.
Glückstrahlend treten sie im April 2009 vor das Standesamt. Alle vier Kinder aus ihren früheren Ehen strahlen ebenfalls. Endlich scheinen sich die Wolken verzogen zu haben. Ende gut, alles gut? Von wegen. Der Betrug war erst der Anfang, Linda wird fortan mit diesem Mann durch die Hölle gehen.
Von Hera Lind sind im Diana Verlag erschienen:
Die Champagner-Diät
Schleuderprogramm
Herzgesteuert
Die Erfolgsmasche
Der Mann, der wirklich liebte
Himmel und Hölle
Der Überraschungsmann
Wenn nur dein Lächeln bleibt
Männer sind wie Schuhe
Gefangen in Afrika
Verwechseljahre
Drachenkinder
Verwandt in alle Ewigkeit
Tausendundein Tag
Eine Handvoll Heldinnen
Die Frau, die zu sehr liebte
Kuckucksnest
Drei Männer und kein Halleluja
Mein Mann, seine Frauen und ich
Der Prinz aus dem Paradies
Hinter den Türen
Die Frau, die frei sein wollte
Über alle Grenzen
HERA LIND
Die Frau, die zu sehr liebte
Roman nach einer wahren Geschichte
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Vorbemerkung
Dieses Buch erhebt keinen Faktizitätsanspruch. Es basiert zwar zum Teil auf wahren Begebenheiten und behandelt typisierte Personen, die es so oder so ähnlich gegeben haben könnte. Diese Urbilder wurden jedoch durch künstlerische Gestaltung des Stoffs und dessen Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus dieses Kunstwerks gegenüber den im Text beschriebenen Abbildern so stark verselbstständigt, dass das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der Figuren objektiviert ist.
Für alle Leser erkennbar erschöpft sich der Text nicht in einer reportagehaften Schilderung von realen Personen und Ereignissen, sondern besitzt eine zweite Ebene hinter der realistischen Ebene. Es findet ein Spiel der Autorin mit der Verschränkung von Wahrheit und Fiktion statt. Sie lässt bewusst Grenzen verschwimmen.
Zitatnachweis:
Erich Kästner, Sachliche Romanze aus: Lärm im Spiegel. © Atrium Verlag, Zürich 1929 und Thomas Kästner (ISBN 978-3-85535-398-9)
Originalausgabe 12/2015
Copyright © 2015 by Diana Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München
Covergestaltung: t.mutzenbach design, München
Covermotiv: © Susan Fox/trevillion images
Satz: Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-17373-9V006
www.diana-verlag.de
Für Patti, Simon und Barbara,
ohne euch hätte ich es nicht geschafft
Nebenan rief jemand meinen Namen. »Linda!«
Ich hob den Kopf und machte einen langen Hals. Im Nachbargarten hob ein dunkelhaariger Mann kopfschüttelnd einen Roller auf und lehnte ihn an die Hauswand.
»Meint der mich?«, fragte ich amüsiert.
»Bist du elf und hast Zöpfe?« Michaela grinste. »Seine kleine Tochter heißt auch Linda.«
Sie griff zu einem Glas Weißwein, das wir uns an diesem frühsommerlichen Spätnachmittag gönnten, und prostete mir zu. »Heißt du eigentlich wirklich Linda, oder ist das eine Abkürzung von Sieglinde, Gerlinde oder etwas noch Schrecklicherem?«
»Ich heiße wirklich Linda«, bemerkte ich nicht ohne Stolz. »Wenn meine Eltern auch sonst viel verkehrt gemacht haben!«
»Der passt auch echt zu dir.« Michaela sah mich anerkennend an. »Strahlend und blond, und die Kurven da, wo sie hingehören … Linda heißt ja ›die Schöne‹, oder nicht?«
»Ach komm, hör auf, dich über mich lustig zu machen!« Ich schaute verlegen zu Boden und ließ meine große Zehe mit der knallroten Sandalette spielen, die mir vom Fuß gerutscht war.
»Ich hab zehn Kilo zu viel auf den Rippen, mein Blond ist nicht echt, und strahlen tu ich nur, weil es bei dir saugemütlich ist und wir endlich mal in Ruhe quatschen können.«
Das taten wir. Ungehemmt. Über Männer, Kinder, Schwiegermütter, Sehnsüchte und Träume.
Michaela schüttelte lächelnd den Kopf und bedachte mich mit einem liebevollen Blick.
Ich mochte sie sehr, diese unkomplizierte, ausgeglichene Freundin. Wir genossen die laue Frühlingsluft im schicken Frankfurter Wohnviertel, in dem sich gepflegte Einfamilienhäuser um nette Gärten gruppierten. Überall gab es Swimmingpools, Schaukeln, Klettergerüste und große Trampolins. Michaelas Sohn Alex feierte seinen zwölften Geburtstag und tobte mit seiner Gästeschar, zu der auch meine Kinder Patti und Simon gehörten, um die Tischtennisplatte im Keller herum. Es roch nach gebratenen Würstchen, Schokoladenkuchen und feuchtem Gras. Auf der Terrasse wehten die Luftschlangen, Luftballons und bunten Girlanden um die Wette – zumindest das, was die Rasselbande davon übrig gelassen hatte.
Der Mann im Nachbargarten suchte immer noch nach seiner Tochter. »Linda!«, rief er nimmermüde. Seine Stimme war angenehm sonor.
»Sollen wir es ihm sagen?« Ich wies mit dem Kinn nach drüben.
»Nee. Dann war’s das mit unserer herrlichen Ruhe.« Michaela schloss die Augen und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen.
»Dass die Kinder sich kein bisschen um das herrliche Wetter scheren! Die kommen ja gar nicht mehr aus dem Keller!«
Ich nickte. »Die Tischtennisplatte war eine gute Investition. Ich werde Jochen bitten, dass unsere Kinder auch eine bekommen.«
Michaela warf einen Eiswürfel in ihr Glas und bot mir auch einen an.
»Her damit! Macht wenigstens nicht dick.«
»Also wirklich, Linda, ich weiß gar nicht, was mit deiner Selbstwahrnehmung nicht stimmt.« Michaela musterte mich prüfend. »Du siehst aus wie Brigitte Bardot in den besten Jahren …«
»Brigitte Bardot in den Wechseljahren?«
»… und deine Kurven sind doch sehr weiblich und sexy in diesem roten Sommerkleid!«
Ich schüttelte den Kopf. »Michaela, du bist echt süß.« Mit einem Seitenblick auf den sonoren Nachbarn senkte ich die Stimme. »Aber wenn ich weiblich und sexy bin, warum hab ich dann seit drei Jahren keinen Sex mehr?«
»Hast du nicht? Echt nicht?« Michaelas graue Augen wurden rund. Sie war eher ein unscheinbarer Typ mit ihren kurzen braunen Haaren, ihren Shorts und Turnschuhen und dem verwaschenen T-Shirt. Sie hatte fein geschnittene Gesichtszüge, wirkte immer glücklich und zufrieden und konnte wunderbar zuhören. Sie selbst führte offensichtlich eine sehr gute Ehe mit ihrem Mann Rainer, der Tierarzt war. Jedenfalls kam nichts Gegenteiliges aus ihrem Munde.
»Nee.« Ich nahm hastig einen Schluck Wein. »Toll, was?«
»Ja, aber dein Jochen …«
Ich grinste schief. »Wir leben jetzt seit knapp zwanzig Jahren zusammen und haben uns nichts mehr zu sagen.«
Michaela sah mich zweifelnd an. »Er ist so ein lieber, netter Kerl!«
Ich stellte das Glas etwas zu heftig auf den Tisch. »Und ich denk mir immer, Linda, war’s das etwa schon?«
»Ach komm, das sagt doch jede Frau mal …« Michaela legte die Hand auf meinen Arm. »Du, Lady in Red? Bei deinem Sexappeal?« Ungläubig runzelte sie die Stirn.
Ich sah Michaela stumm an, für die meine Offenbarung wohl ziemlich überraschend kam.
»Echt? Euer Liebesleben liegt total brach?« Das musste sie wohl erst mal verdauen.
Mir lag diese Tatsache ja selbst schwer im Magen. Seit wieder Sommer war, ganz besonders. Verlegen wippte ich mit dem Fuß, bis meine knallrote Sandalette in Michaelas Blumenbeet kullerte. Gereizt wippte ich weiter. Mein Zehennagellack passte farblich zu meinem Kleid und meinen Sandaletten. Soeben war ich noch bei der Pediküre gewesen, hätte meine Füße aber genauso gut in grobe Wanderstiefel oder Gesundheitslatschen zwängen können. Und die ganze Linda in einen Kartoffelsack packen. Mein Mann Jochen merkte sowieso nichts.
»Wofür mach ich das eigentlich alles?« Ich strich mein schickes Kleid glatt. »Verdammt, Michaela, ich bin jetzt Mitte vierzig, und mehr als die Hälfte meines Lebens ist vorbei.« Ich warf die Hände in die Luft und sah sie herausfordernd an. »Ich möchte mich noch einmal spüren!«
»Ach komm!« Michaela legte wieder ihre schmale kleine Hand auf meinen Arm. »So kenne ich dich ja gar nicht. Was ist denn los?« Mitfühlend sah sie mich an. »Ich hab Jochen und dich immer als sehr harmonisches Paar empfunden.«
»Nach außen hin sind wir das auch, aber letztlich …« Ich schielte über die Hecke.
»Letztlich was?«
»Nimmt er mich als Frau überhaupt nicht mehr wahr.«
»Aber Linda, er ist ein viel beschäftigter Arzt! Ich hab dich immer um ihn beneidet!«
»Echt? Ich schenk ihn dir.« Ich angelte nach meiner Sandalette und streifte sie mir wieder über den Fuß. Dabei gewährte ich dem immer noch nach seiner Tochter suchenden Nachbarn nicht ganz zufällig Einblick in mein üppiges Sommer-Dekolleté. Der Typ blieb stehen und schaute mich kurz an. Er sah wirklich gut aus. Sehr sogar. Und er nahm mich wahr. Verdammt. Das war mir schon lange nicht mehr passiert. Seit ein paar Jahren hielt ich mich für unsichtbar.
»Linda!« Er spähte ins Gesträuch. »Wo steckst du denn?«
»Hier, Süßer«, sang ich halblaut.
»Lass ihn.« Michaela beugte sich vertraulich vor. »Erzähl lieber!«
»Jochen geht morgens um halb sieben aus dem Haus und fährt in seine Praxis«, berichtete ich bereitwillig. »Dann kommt er mittags gestresst nach Hause und schlingt sein Essen herunter. Währenddessen checkt er seine E-Mails auf dem iPad und seine SMS auf dem Handy, und zur allgemeinen Unterhaltung hat er Medizinjournale neben seinem Teller liegen mit ekligen Geschwüren, amputierten Zehen oder widerlichem Ausschlag – gern auch an den Genitalien. Die liest er dann, während er seine Suppe schlürft.«
Michaela lachte glockenhell. »Du bist wirklich ne Marke, Linda!«
Das fand ich auch. Ich hatte mich richtig in Rage geredet und warf meine blonden Haare nach hinten, was den Nachbarn bei seiner Tochtersuche innehalten ließ. Ich senkte die Stimme. »Und abends ist es wieder genau das Gleiche. Nur dass dann noch der Fernseher läuft und er laut mit seiner neunzigjährigen, schwerhörigen Mutti telefoniert.«
Michaela lachte sich kaputt. »Das Horrorszenario schlechthin!«
»Jochen hält mich für einen Haushaltsgegenstand«, petzte ich weiter. »Da kann ich ihm in Körbchengröße Doppel-D sein Steak servieren oder meinen selbst gebackenen Streuselkuchen unter die Nase schieben, sooft ich will: Er verschlingt das alles, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, und diktiert dabei Gutachten zu Neurodermitis und Abszessen!«
»Er scheint ein absoluter Workaholic zu sein. Andererseits habt ihr eine Menge geschafft: du mit deinem betriebswirtschaftlichen Know-how und er als angesehener Dermatologe. Es geht euch doch gut, Linda. Ihr habt ein tolles Haus, die Praxis läuft gut, die Kinder gehen aufs Gymnasium, sind gesund und munter …«
»Nach außen hin ist alles super, das geb ich gerne zu!« Ich nahm noch einen Schluck Wein.
»Linda!«, schrie der Nachbar, jetzt zunehmend genervt.
»Hier bei der Arbeit«, murmelte ich. »Weißt du, Jochen ist kein schlechter Mensch, diesen Eindruck will ich auch gar nicht vermitteln. Aber ich sehe mir selbst beim Vertrocknen zu.«
»Nein, mach dir ruhig mal Luft. Ich kenne doch Jochen, den alten Knochen.«
»Aus dem der Saft raus ist«, fuhr ich verdrossen fort. »Ich weiß gar nicht mehr, wann wir das letzte Mal zusammen in Urlaub gefahren sind. Oder wann er mir was Schönes mitgebracht hat. Schmuck, Unterwäsche oder auch nur Blumen. Wenn er mir was schenkt, ist es ein Haushaltsgerät mit Bedienungsanleitung. Aber ich bin eine Frau und keine Haushälterin!«
Michaela lachte. »Also voll das Klischee von der vernachlässigten, liebeshungrigen Hausfrau.«
»Ich sollte mir ein Verhältnis zulegen«, raunte ich spaßeshalber mit Blick auf den Nachbarn. »Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben …«, sang ich leise und ein bisschen kokett.
»Linda!« Jetzt stand er direkt vor uns. Wow. Der sah aber wirklich hammergut aus.
»Ja-ha«, rief ich kokett. »Hier bin ich!« Diesmal laut. Die Worte waren mir einfach so aus dem Mund und über die Hecke gekullert – wie ein Ball, den er jetzt aufheben musste. Aber ich hatte ja auch schon zwei Gläser Wein intus.
Zwei kräftige Männerhände zerteilten das Gesträuch wie Moses das Meer, gefolgt von zwei tiefbraunen Augen mit attraktiven Lachfältchen.
»Linda?«
»Ja. Sie haben mich gefunden.« Ich breitete die Arme aus, das Weinglas noch in der Hand, und schaute ihn herausfordernd an.
»Na so was.« Der Mann fuhr sich durch seinen dichten dunklen Haarschopf und zwinkerte – ob aus Verlegenheit oder weil er mit mir flirten wollte, konnte ich beim besten Willen nicht sagen.
»Wirklich? Sie heißen Linda?«
»Was dagegen?«
»Nicht als Abkürzung von Sieglinde oder Gerlinde?«
»Nein. Nur Linda.« Ich straffte die Schultern und sah ihm forsch ins Gesicht.
Um seine Mundwinkel zuckte es.
»Das ist ja ein Ding. Wissen Sie, dass meine Tochter auch so heißt?«
»Seit einigen Minuten. Michaela hat’s mir erzählt.«
Ich grinste verlegen, und er grinste auch. Sein Lächeln wurde mir mit jedem Schluck Wein immer sympathischer.
»Hallo Frank«, sagte Michaela. Sie warf mir einen tadelnden Blick zu, der sagen sollte: Siehst du, jetzt haben wir den Salat. Höflicherweise stand sie auf.
»Linda ist längst nicht so häufig.«
»Nein, ganz und gar nicht«, pflichtete er mir bei. Suchend sah er sich um. Ich ging davon aus, dass Michaela jetzt die Katze aus dem Sack, beziehungsweise das Kind aus dem Keller lassen würde, aber sie fühlte sich wohl genötigt zu sagen: »Der Name passt zu meiner Freundin, findest du nicht?«
»Aber so was von!« Frank starrte mich an, als hätte er soeben eine Vision. »Wissen Sie, dass das mein absoluter Lieblingsname ist?!« Seine Begeisterung war nicht zu bremsen.
»Scheint so«, bemerkte ich schlagfertig. »Sonst hätten Sie Ihre Tochter ja Gerda oder Gisela genannt.«
Frank stutzte, dann lachte er frei heraus. »Sie sind aber auch nicht auf den Mund gefallen, was?«
Ich spürte, wie ich rot wurde. »Nein«, sagte ich und schlug die Beine übereinander. An der großen Zehe ließ ich wieder die rote Sandalette baumeln. »Sie denn?«
»Also, schüchtern bin ich nicht gerade.« Bei diesen Worten kickte er einen in die Hecke gerollten Ball weg, und ich konnte einen Blick auf seinen wohlproportionierten, durchtrainierten Körper werfen, der in einem lässigen weißen Hemd und engen Jeans steckte. Nicht schlecht, der Nachbar.
»Und Frank passt zu Ihnen«, sagte ich forsch. »Kurz und bündig, frank und frei.«
»Nun, Letzteres ist relativ.«
»Dann hätten wir das also auch besprochen.« Ich wunderte mich selbst über meine Keckheit.
Michaela folgte unserem Wortgeplänkel wie einem Tennismatch. Sie schien noch zu überlegen, wie sie ihn wieder loswerden könnte, besann sich dann aber auf ihre guten Manieren und stellte uns einander offiziell vor.
»Frank, das ist meine Freundin Linda Albrecht. Linda, das ist mein Nachbar Frank Hellwein. Frank und Heidrun Hellwein sind mit ihren Kindern Linda und Lena vor ein paar Monaten hier eingezogen.« Michaela stellte das Glas auf den Tisch und zeigte zum Haus. »Ich glaube, dass Linda unten bei den anderen ist.« Sie schickte sich an, in den Keller zu gehen.
»Hallo«, sagte ich freundlich und gab dem Mann an der Hecke die Hand. »Nett, Sie kennenzulernen.«
»Ganz meinerseits! Ich wusste gar nicht, dass meine Nachbarin so eine attraktive Freundin hat!«
Er hatte einen angenehmen Händedruck und schien mich gar nicht wieder loslassen zu wollen. Da standen wir, und zwischen uns war diese Blütenhecke, in der die Bienen emsig summten. War ich jetzt Dornröschen und er der Prinz? Erwachte ich gerade aus einem hundertjährigen Schlaf? Ich spürte, wie mir das Adrenalin in die Adern schoss, und eine unzweckmäßige Röte kroch mir über die Wangen. Jetzt war so ziemlich alles an mir rot: das Kleid, die Schuhe, das Gesicht. Tja. Wie nun weiter schöpferisch diesen Heckendialog gestalten?
Finden Sie mich wirklich attraktiv?, hätte ich den guten Mann gern gefragt. Wissen Sie, das ist nämlich genau das Thema, um das es gerade ging. Ich fühle mich in letzter Zeit so alt, matt und glanzlos und würde mich am liebsten zum Gerümpel in den Keller packen.
Aber das sagte ich natürlich nicht, sondern strahlte dieses Geschenk Gottes nur gewinnend an.
»Und – was machen Sie so?«
»Wie meinen Sie das?« Er runzelte fragend die Stirn.
»Wenn Sie nicht gerade Ihr Kind suchen.«
»Oh, ach so. Ich bin Banker. Bei einer Privatbank. Also, um genau zu sein, ich bin der Bankdirektor.«
»Wow. Wie ein Bankdirektor sehen Sie gar nicht aus.« Ich war wie verzaubert.
»Wie sehen Bankdirektoren denn Ihrer Meinung nach aus?«
»Na, gesetzt und bieder und mit ein paar Strähnen, die ihre Glatze verdecken sollen …« Ich rieb mir die Nase. »Irgendwie langweilig. Mit Ärmelschonern und Strickweste. Auf jeden Fall dick und alt.«
Dieses Heckengespräch machte einen Riesenspaß. Noch viel mehr als der Frauentratsch von eben.
»Linda, Linda, was haben Sie nur für ein schlechtes Bild von Bankern.«
Frank Hellwein steckte die Hände in die Hosentaschen und drehte sich einmal um sich selbst. »Da muss ich Sie eines Besseren belehren.«
»Okay, Sie machen mir Hoffnung.«
»Worauf?« Schelmisches Blitzen in seinen braunen Augen.
Wohin sollte das jetzt führen? Was machte ich eigentlich hier? Ich war eine verheiratete Frau und Mutter von drei Kindern. Um ehrlich zu sein, war ich sogar schon Großmutter einer kleinen süßen Enkelin. Aber musste ich das diesem schönen Jüngling auf die Nase binden? Ich improvisierte.
»Ich überlege gerade, ein paar Aktien zu kaufen. Ich habe nämlich BWL studiert und beschäftige mich gern mit der Börse.«
»Oh«, sagte Frank Hellwein und trat näher. »Eine schöne Frau, die auch noch klug ist. Aktien sind ein heikles Thema.« Er schwieg eine Weile und sagte dann: »Aber zufälligerweise genau mein Spezialgebiet.«
»Ich dachte an Kalgoorlie Consolidated Gold Mines«, gab ich mein gesundes Halbwissen zum Besten. »Was meinen Sie?« Ich strich mir durch die Haare und spielte kokett mit meinem Glas. Ja, da schaust du, Herr Bankdirektor! »Ist das eine gute Geldanlage?« Linda, du flirtest, schoss es mir durch den Kopf. Du FLIRTEST! Sein wann hast du nicht mehr geflirtet?
Ich konnte regelrecht zusehen, wie seine Bewunderung für mich wuchs.
»Wow, Sie scheinen ja was von der Materie zu verstehen!«
Ich hätte den Blick senken können, aber irgendetwas hielt mich davon ab.
»Ich lese regelmäßig den Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen.« Heimlich ballte ich die Siegerfaust.
»Dahinter steckt immer ein kluger Kopf«, zitierte Frank den Werbeslogan dieses Blattes. Ich stieß einen koketten Lacher aus. Genau das hatte ich von ihm hören wollen.
»Also? Was sagt der Fachmann?«
Er sah mich mit unergründlichem Blick an. »Wenn ich ehrlich bin, habe ich diese Aktie gerade nicht auf dem Schirm. Sie scheinen tiefer in der Materie zu stecken als ich!«
Es machte ihn umso sympathischer, dass er seine Wissenslücke zugab. Doch ehe ich mich versah, schob sich irgendetwas zwischen uns, und der Zauber war vorbei.
Ein Geräusch? Die blendende Abendsonne?
Frank Hellwein wandte sich abrupt um, und in diesem Moment wurde mir bewusst, dass seine Ehefrau auf die Terrasse getreten war. In Sekundenschnelle nahm ich ihre Gestalt in mir auf. Okay, sie war eher so der Typ Müslifee. Sie trug ein langes Blümchenkleid und hatte die Haare zu einem struppigen Dutt hochgesteckt. »Frank? Linda?« Jetzt war sie mit Rufen dran. »Ja, wo bleibt ihr denn?«
Sie war ziemlich blass und dünn, und ihre Füße steckten in diesen groben Clogs, die in den Siebzigerjahren mal Mode gewesen waren. Sanft schlug sie an ein Windspiel aus Bambus. »Die Sojawürstchen und der Spargel-Endivien-Salat sind fertig!«
Eine naturverbundene Biokostverzehrerin also. Wie hieß sie gleich wieder? Was hatte Michaela gesagt? Heidrun. Ja, genau so sah die aus. Wie ein leicht verwelktes Heideröslein.
»Ein Steak wär mir lieber«, raunte Frank Hellwein verschwörerisch.
»Bei mir würdest du es kriegen«, dachte ich sofort.
»Ich komme gleich«, rief Frank über die Schulter. » Michaela holt Linda gerade aus dem Tischtenniskeller!«
Das Heideröslein verschwand wieder im Haus.
Frank Hellwein seufzte laut, und ich konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.
»Also, Linda … Ich werd mich schlau machen und Ihnen ganz genau sagen, ob Sie investieren sollten.«
Bei dem Blick, mit dem er mich bedachte, wurden mir die Knie weich. Und wie meinte er das genau mit dem »investieren«? Schon in dieser Sekunde war ich bereit, sehr viel zu investieren. Und das sagte ich ihm auch. Jetzt oder nie!
»Wenn es die richtige Aktie ist, dann setze ich alles auf eine Karte.«
Wir konnten die Augen nicht voneinander lassen.
Plötzlich flog die Terrassentür hinter mir auf. Türenknallen, aufgeregte Kinderstimmen und Michaela, die ein paar soeben angekommene Mütter begrüßte und auf die Terrasse bat. Es klingelte, ein Hund bellte – und plötzlich war der magische Moment vorbei. Der Hausherr war gerade nach Hause gekommen, und wurde begeistert begrüßt. Es war, als hätten Chor und Statisten die Opernbühne gestürmt und das innige Liebesduett der zwei Solisten beendet.
»Dafür bräuchte ich allerdings Ihre Handynummer«, bemerkte Frank, ohne den Blick von mir abzuwenden.
»Haben Sie was zu schreiben?«
»Nein, die merk ich mir auch so.«
»Okay …« Hastig sah ich mich um, denn jetzt stürmten auch schon meine Sprösslinge auf mich zu. »0 69-66 67 68 69.« Ich lächelte ihn an. »Die ist leicht zu merken. Frankfurter Vorwahl, dann mein Geburtsjahr plus eins, plus eins, plus eins …
Frank kapierte sofort. Sein Blick wurde sehr privat. »Sie hören von mir, Linda. Ich melde mich, so bald ich kann.«
Mami? Du hörst uns gar nicht zu!«
Ungeduldige Kinderhände tippten mir von hinten auf die Schulter. »Jetzt bist du schon so wie Papa! Der hört uns auch nie zu!«
Patti und Simon saßen auf dem Rücksitz und erzählten aufgeregt von der Tischtennisplatte und dem jungen Hund. Natürlich wollten sie beides auch haben. Und ich wollte auch so einiges haben. Ich hatte Herzchen in den Augen, während ich unsere Familienkutsche durch die hügelige Landschaft zurück nach Hause lenkte. War mir je aufgefallen, wie traumhaft schön der Taunus war? In der Dämmerung standen Rehe am Waldrand und schauten mich an. Der Abendhimmel färbte sich nachtblau, und aus den Wiesen stieg der weiße Nebel wunderbar. Ich fing leise an zu summen.
»Und unsern kranken Nachbarn auch …« Ich kicherte. Einen kranken Eindruck hatte der nun wirklich nicht gemacht. »Und unsern schlanken Nachbarn auch …«, improvisierte ich verknallt.
»Mami? Alles in Ordnung mit dir?«
»Wie ist eigentlich diese Linda?«, fragte ich beiläufig zurück.
»Wie soll die schon sein?«
»Mögt ihr die?«
»Ja, die ist eigentlich ganz nett.«
»Und ihre Schwester?«
»Die Lena?«
»Ja?«
»Die hat ne Zahnspange.«
Das war eigentlich nicht die Information, die ich brauchte.
»Kennt ihr auch die Mutter?«
Ich meine, man wird doch noch fragen dürfen.
»Wieso?«
»Nur so.«
»Ich glaub, die müssen immer so vegetarisches Zeug essen. Aber der Vater von denen, der läuft Marathon.«
Ich spitzte die Ohren und schaute in den Rückspiegel. »Echt?«
»Ja, der fährt immer in verschiedene Städte auf der ganzen Welt und läuft da mit! Mit 100 000 Leuten, voll krass!«
»Das ist ja toll.«
Mich durchlief ein warmer Schauer. Deshalb sah er so durchtrainiert aus. Ein Marathonläufer!
Aber was dachte ich da eigentlich? Kopfschüttelnd setzte ich den Blinker und bog in unsere verschlafene Wohngegend ein. Das an der Hecke war doch nur ein harmloser Flirt gewesen. Mehr nicht. Linda, du dumme Gans!, rügte ich mich insgeheim. Bild dir bloß nichts ein! Aber es hatte Spaß gemacht. Und genau das hatte ich gerade gebraucht.
Zu Hause angekommen, fand ich meinen leicht übergewichtigen, bärtigen Jochen in seinem zu engen Flanellhemd in unserem Wohnzimmer vor, in dem man vor lauter Medizinerzeitschriften, Laptops, Diktiergeräten, Kabeln und Patientenunterlagen kaum noch den Fußboden, geschweige denn den Esstisch erkennen konnte. Auf den Papierbergen thronte ein Teller mit einem angebissenen Mettbrötchen und eine Tüte mit säuerlich riechender Milch. Der Fernseher lief, der Computer war an, aus dem Radio kamen die Nachrichten, und Jochen schrie gerade in sein Handy, was bedeutete, dass er mit seiner schwerhörigen Mutter telefonierte.
Na toll. Der Alltag hatte mich wieder.
Ein kleiner, bösartiger Teufel in mir konnte es sich nicht verkneifen, einen direkten Vergleich zwischen Frank Hellwein und Jochen Albrecht zu ziehen, was sicherlich sehr gemein und schäbig von ihm war. Aber ich kam nicht umhin festzustellen, dass mein Jochen ein blasser, müder Kaktus war gegen die in Blüte stehende Heckenrose Frank Hellwein. Oje. Es hatte mich so richtig erwischt.
Die Kinder stürmten in ihre Zimmer, und ich zog mir bequeme Jeans an und machte mich daran, die Einkäufe aus dem Auto zu holen. Pflichtbewusst kam Jochen hinterher und nahm mir die Getränkekisten ab.
»Na? Wie war’s?«
»Gut. Und bei dir?«
»Ich hab wie immer Ärger mit dem Personal, und die Kassenärztliche Vereinigung …«, stimmte Jochen sein übliches Klagelied an, das mir längst zu den Ohren raushing. Auf einmal ging mir seine weinerliche Stimme auf den Geist. Ich wusste genau, was jetzt kam.
»Am Wochenende muss ich leider …«
»… Gutachten diktieren, ein Seminar vorbereiten und außerdem deine Mutter besuchen«, fuhr ich fort.
Jochen sah mich gekränkt an. »Ernestine geht es wirklich nicht gut, sie klagt über Einsamkeit und …«
Natürlich wollte Jochen damit erreichen, dass ich ihm diese Pflicht abnahm. Was ich auch seit vielen Jahren tat. Wieder und wieder hörte ich mir Schwiegermutters immer gleiche Geschichten aus Böhmen und Mähren an, doch plötzlich wehrte sich etwas in mir dagegen. Es war alles so eingefahren und spießig! Gleichzeitig schämte ich mich, denn Ernestine war eine bezaubernde alte Dame, immer um Familienfrieden bemüht, an den Kindern interessiert und eine regelrechte Ersatzmutter für mich. Einerseits fand ich rührend, wie sie bei uns im Haushalt versuchte, ihre böhmischen Knödel zu kochen, halb blind und mit zitternden Fingern, andererseits ging sie mir manchmal mit ihrer Umständlichkeit auf den Geist. Dann wurde ich ungeduldig und ungerecht. Ich konnte sie nicht immer um mich haben! Ich brauchte auch meinen Freiraum, ich war doch auch noch da! Warum ging es immer nur um Ernestine, die Kinder und Jochen? Meine Seele war auch liebesbedürftig! Ich klagte auch über Einsamkeit! Aber vielleicht nicht laut genug? Hatte ich überhaupt ein Recht darauf, Gefühle anzumelden? Nach zwanzig Jahren?
Ich ertappte mich dabei, dass ich mein Handy aus der Handtasche zog und in der hinteren Jeanstasche verschwinden ließ, während ich die Einkäufe in der Küche verstaute und Jochen sein übliches Steak mit Bratkartoffeln und Salat zubereitete. Niemand von uns wollte ihm beim Essen Gesellschaft leisten. Die Kinder hatten sich schon auf der Geburtstagsparty die Bäuche vollgeschlagen, und ich hatte nicht den geringsten Appetit. Ständig musste ich an diesen Frank denken und war davon wie beschwipst. Ich summte beim Zwiebelschneiden und Kartoffelschälen leise vor mich hin, was Jochen wegen seiner Kopfhörer nicht bemerkte. Dabei stellte ich mir vor, vom feschen Frank heimlich beobachtet zu werden. Wenigstens konnte ich ungestört verknallt sein.
Jochen schlang sein Essen in sich hinein, ohne die Kopfhörer abzunehmen. Mit plötzlicher Abscheu beobachtete ich, wie er schmatzend auf den Bildschirm schielte, als entdeckte er darin eine biblische Offenbarung. Ich hätte schreien können. Hallo? Ich war doch nicht unsichtbar! Seit heute Nachmittag an der Hecke wusste ich das. Ich tastete nach meiner Gesäßtasche und versuchte, Jochen nicht anzusehen, während meine Finger über das Handy glitten. War es auch auf laut gestellt? Oder sollte ich es besser auf Vibrieren stellen? Das tat ich. Und kam mir ziemlich verrucht dabei vor.
Hastig räumte ich die Küche auf und klapperte etwas lauter mit dem Geschirr als nötig. Mit dem Lappen wienerte ich die Arbeitsfläche, als wollte ich sämtliche Spuren meines bisherigen Lebens damit ausradieren.
Danach ließ ich mich in einen Sessel fallen und starrte aus dem Fenster. Jochen ließ sich von seinen elektronischen Geräten fernsteuern, und die Kinder blieben auf ihren Zimmern. Ich hörte nur, wie Jochens Finger auf die Tastatur einhackten. Es roch immer noch nach Zwiebeln und Kartoffeln, ein aufdringlicher Geruch, der so gar nichts mehr mit dem Blütenduft der Hecke heute Nachmittag zu tun hatte. Ich wollte alle Fenster aufreißen und lüften, aber um punkt einundzwanzig Uhr gingen in unserem Hause wie von Geisterhand alle Rollläden runter – etwas, worauf Jochen sehr stolz war: So konnte niemand in unsere traute Idylle blicken. Aber was gab es bei uns schon zu sehen? Eine Familie, die lachend am Tisch saß und Gesellschaftsspiele spielte? Ein verliebtes Ehepaar, das Wange an Wange tanzte? Oder sich sogar gegenseitig auf dem Sofa verführte?
Nein. Jeder starrte in sein eigenes viereckiges Gerät. Auf einmal konnte ich Jochens Anwesenheit nicht mehr ertragen.
»Gute Nacht, ich geh dann schlafen.« Ich wollte allein sein und nachdenken. Jemandem nachdenken: Frank. Welch schöner, passender Name. Ich wollte frank und frei sein, und wenn es nur in meinen Träumen war.
»Wie, jetzt schon?« Jochen drehte sich kurz zu mir um. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja, ich bin nur müde.«
Aber das war ich nicht. So farblos und schlapp ich mich noch gestern gefühlt hatte – aus dem Badezimmerspiegel blickte mir heute eine ganz andere Linda entgegen: eine Frau in den besten Jahren, in der Blüte ihres Lebens. Ich zog mich ganz langsam aus und versuchte, mich wieder mit Franks Augen zu sehen. Weibliche Kurven, blonde lange Haare und ein fast mädchenhaftes Gesicht mit großen blauen Augen. In denen alle Sehnsucht dieser Welt lag. Sehnsucht nach Liebe, Beachtung und Anerkennung.
Schon als Kind hatte ich nichts von alledem bekommen, und ich war regelrecht ausgehungert danach. Frank hatte mich auf eine Art angesehen, dass ich mir auf einmal – wichtig vorkam. Gar nicht mehr so unsichtbar. Beachtenswert. Liebenswert. Schön. Ich war eine schöne Frau! Ich ließ meine Hände über meine Brüste, den Bauch und die Schenkel gleiten und spürte weiche warme Haut, die sich nach Berührung sehnte. Bevor ich ein weißes Spitzennachthemd anzog, zog ich noch das Handy aus der Jeanstasche und legte es auf mein Kopfkissen. Das Display zeigte keinen Anruf. Ich kuschelte mich in meine Decke und malte mir Frank aus, in seinem Haus in Frankfurt. Bestimmt saß er jetzt mit seiner naturbelassenen Müslifee am offenen Kamin, googelte heimlich meine Aktien, während sie ihm nichts ahnend eine Platte mit Möhren und Selleriesticks reichte, dazu gab es lauwarmen, dünnen Kamillenblütentee. Ich musste grinsen. Vielleicht tranken sie auch Wein? Aber wenn, dann nur biologisch angebauten, mit Wasser verdünnten Hellwein, hahaha. Ich giggelte in mein Kopfkissen wie ein Schulmädchen.
Ich war so ganz anders als diese schmalbrüstige Gemüsefee namens Heidrun. Ich war nämlich ein Vollweib. Warum merkte das bloß keiner?
Ich warf mich auf den Rücken und starrte an die Decke.
Und ich war noch etwas: die Frau, die zu Frank Hellwein passte.
Guten Morgen Frau Albrecht, Privatbank Frankfurt, Sekretariat, mein Name ist Silke Fuchs, ich verbinde mit Herrn Direktor Hellwein, wenn Sie bitte einen Moment in der Leitung bleiben wollen.«
Die geschäftsmäßige Frauenstimme ließ mich erstarren. Ich hatte gerade die Kinder in der Schule abgeliefert und lehnte mit zitternden Knien am Familienkombi – unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Es war kurz nach acht, und schon war mein engagierter Anlageberater von gestern am Werk?
»Linda?«
Die wohlklingende Stimme von der Hecke drang an mein Ohr. Ich schloss die Augen und bekam eine Gänsehaut, die sich wie ein Seidencape um meine Schultern legte. Dabei war ich ungeschminktund fühlte mich so attraktiv wie ein alter Sack. Ich musste mich räuspern und versuchte, nicht allzu mädchenhaft zu piepsen. »Frank?«
»Wie geht’s?«
»Ähm … wunderbar! Und selbst?«
»Ich hätte da ein paar sehr interessante Informationen für Sie, schöne Frau«, sagte er mit seiner sonoren Bankdirektorstimme. »Ihre Aktien betreffend.« Seine Stimme nahm plötzlich einen förmlichen Klang an. Offensichtlich war gerade jemand ins Zimmer gekommen. »Wäre es Ihnen möglich, heute um die Mittagszeit in die Zentrale zu kommen? Meine Sekretärin bringt Sie dann in mein Büro.«
Ich versuchte, das Hämmern in meinen Schläfen zu verdrängen und zählte innerlich bis fünf. »Lassen Sie mich kurz meine Termine checken …« O Gott, ich stand in Joggingklamotten am Auto vor dieser Waldorfschule und konnte mich kaum bremsen, vor lauter Aufregung auf und ab zu hüpfen. O Gott, meine Haare. Ich hatte sie heute Morgen zu einem struppigen Pferdeschwanz gebunden. Ich brauchte einen Haarschnitt. Eine Glanzkur. Neue Strähnchen.
Notfallplan. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich treffe ihn. Ich treffe ihn in der Stadt. Ohne seine Heidrun. Es wird ein Businesstreffen. Natürlich. Ich bin seine Klientin.
Friseur. Maniküre. Ein neues Kostüm. Passende Schuhe. Passende Handtasche.
Die Kinder. Sie mussten zu meiner Freundin Barbara. Sie würde einspringen. Ohne mit der Wimper zu zucken und ohne Fragen zu stellen. Barbara war meine beste Freundin, und sie wohnte hier in der Nähe.
Ich räusperte mich und verlieh meiner Stimme einen viel beschäftigten Ton.
»Ja, gegen vierzehn Uhr könnte ich es einrichten.«
»Okay«, sagte Frank Hellwein kurz angebunden. »Ich freu mich. Bis dann.«
Mein »Ich freu mich auch« verhallte ungehört. Er hatte bereits aufgelegt.
Klar, anders als ich war der Mann wirklich viel beschäftigt!
O Gott. Da stand ich. Am Waldrand vor der Waldorfschule. Neben mir warf jemand scheppernd Flaschen in einen Altglascontainer, der Briefträger radelte grüßend vorbei, und ein dicker Junge, der offensichtlich zu spät gekommen war, rannte mit hüpfendem Tornister die Treppe hinauf. Zwei Mütter verabredeten sich laut rufend zwischen ihren Autos zum Tennis, und zwei ältere Damen stapften wild entschlossen mit ihren Walkingstöcken vorbei.
Alles war genau wie immer, und doch nichts mehr so wie zuvor.
Auf einmal fühlte ich mich wie in einem Film, und sechs Stunden später kam mein großer Auftritt:
In einem hellblauen, tief ausgeschnittenen Kostüm und beigefarbenen Pumps betrete ich die Privatbank. Mit einer perfekt sitzenden Frisur und einer schwarzen Prada-Handtasche. Eine blasse Sekretärin mit Brille und dem Namensschild »Silke Fuchs« schießt auf mich zu, reicht mir die Hand und führt mich zum gläsernen Aufzug. Ich schwebe mit ihr in die Chefetage. Nach kurzem Anklopfen öffnet sie mir die Tür, der unglaublich gut aussehende Direktor hinter dem gläsernen Schreibtisch springt auf, drückt mir die Hand und bedeutet seiner Sekretärin mit einer kurzen Geste, zu gehen. Sie löst sich in Luft auf, und er, der Herrlichste von allen, trägt einen edlen Boss-Anzug mit Silberkrawatte, darunter ein strahlend weißes Hemd. Sein schwarz glänzendes Haar ist mit Gel nach hinten gekämmt. Unter seinen Manschetten blitzt eine goldene Rolex hervor. Er sieht noch besser aus als gestern.
»Linda!«
»Hallo …«
Filmriss. Überwältigt, wie ich war, vergaß ich doch glatt meinen Text und suchte an meiner Prada-Handtasche Halt, die leider nicht echt war. Statt schlagfertig zu reagieren, blinzelte ich verdattert mit den Augendeckeln, die heute extrem sorgfältig geschminkt waren. Frankfurts komplette Skyline lag vor mir, und der Main wand sich wie ein blaues Band durch die Häuserschluchten. Bunte Spielzeugautos, stecknadelgroße Spaziergänger und ihre noch winzigeren Hunde wuselten dort unten herum. Unser Wolkenkratzer spiegelte sich in den Fassaden der anderen, und ich sah mich als hellblauen Klecks in unermesslichen Höhen schweben. Meine ungewohnt hohen Absätze bohrten sich in den cremefarbenen Teppich, der das Parkett vor dem Schreibtisch bedeckte. Ich wagte kaum, einen Schritt zu tun.
»Linda«, wiederholte der Traum meiner schlaflosen Nacht. »Wie schön, dass Sie kommen konnten. Sie sehen heute sogar noch besser aus als gestern!« Und ehe ich mich versah, hatte er mich auch schon umarmt. Der Duft seines edlen Rasierwassers hüllte mich ein und benebelte mir die Sinne. Hoffentlich hatte ich keine Wimperntusche auf seinem blütenweißen Hemdkragen hinterlassen. Die müsste seine Waldblumenfee dann wieder rauswaschen, dachte ich. Doch damit würde sie sich ziemlich schwertun: Ich hatte wasserfeste gewählt.
»Ja, ich …« Keine Ahnung, wohin das führen sollte. »Ich freue mich auch.«
»Wollen wir etwas essen gehen?« Frank griff nach seiner Aktentasche. »Ich habe Hunger wie ein Bär.«
Ja. Das wollte ich. Angesichts dieses fantastischen Mannes hatte ich doch durchaus – Appetit. Während Frank Hellwein mich aus seinem Büro schob, spürte ich die Blicke seiner Sekretärinnen und Vorzimmerdamen im Rücken. Auch die blasse Silke Fuchs lugte bebrillt aus ihrem gläsernen Bau. Jawohl, meine Damen. Schaut ruhig. Ich geruhe jetzt, mit eurem Chef speisen zu gehen! Obwohl ich sonst nie mit dem Hintern wackelte, probierte ich vorsichtig einen provokanten Hüftschwung. Sollte Silke Fuchs doch ruhig sehen, mit welch weiblichen Kalibern ihr Chef zu verkehren pflegte.
Wenn ihr wüsstet, dachte ich im Stillen, wie ich heute Morgen vor der Waldorfschule ausgesehen habe. Ihr hättet mich für einen Altkleidersack gehalten.
Kurz darauf fanden wir uns im lauschigen Gastgarten einer Sachsenhausener Äppelwoikneipe wieder. Frank Hellwein entledigte sich seines Jacketts, was mir wieder einen Blick auf seinen gestählten Oberkörper gewährte, zog seine Krawatte aus, öffnete gleich zwei Knöpfe seines gestärkten Hemds und streckte genüsslich die Beine von sich.
»So, schöne Frau. Was wollen Sie trinken?«
»Ähm – Äppelwoi? Eine Apfelweinschorle bitte.« Ich strahlte ihn gewinnend an. »Ich muss heute noch fahren.«
Also tranken wir dieses herrlich erfrischende Getränk, von dem einem so leicht ums Herz wird und das den Mund zum Sprechen bringt.
Noch bevor die Kellnerin uns Köstlichkeiten in grüner Soße serviert hatte, waren wir schon beim Du.
Frank aß mit großem Appetit seine Schlachtplatte, befleißigte sich allerdings einer deutlich gepflegteren Nahrungsaufnahme als mein hektisch schlingender Jochen zu Hause: Er genoss sichtlich jeden Bissen und führte die nie überladene Gabel langsam zum Mund.
»Meine Frau glaubt, ich bin Vegetarier«, sagte er schmunzelnd. »Und weil es ihr Freude macht, lasse ich sie in dem Glauben.«
Mich beschlich der Gedanke, dass er sie auch in Bezug auf andere Dinge so einiges glauben ließ, was mir ein nur noch heftigeres Prickeln bescherte. Offensichtlich hatte sich der Herr Bankdirektor heute viel Zeit für seine momentane Lieblingsklientin genommen. Nämlich für mich.
Ich musterte seine langen schlanken Finger, bemühte mich, den schmalen Ehering zu übersehen, und sah seinem Mund beim Sprechen zu, während er über irgendwelche Aktien plauderte, die mich nicht interessierten. Dann schob er seinen Teller von sich, tupfte sich mit der Serviette den Mund ab und sah mir tief in die Augen.
»So, Linda. Hast du noch Fragen?«
Er machte nicht den Eindruck, als wollte er gleich in sein Büro zurück.
»Ja«, sagte ich spontan. »Läufst du wirklich Marathon?«
Frank stutzte, dann lachte er. Begeistert erzählte er mir von seiner Laufleidenschaft und dass er zu jedem großen Marathon reiste. Erst neulich sei er in New York mitgelaufen, davor in Istanbul und Wien, und im September sei Athen geplant. Aber vorher komme noch Prag. Fasziniert beobachtete ich, wie sich tausend schelmische Lachfältchen um seine Augen bildeten. »Und dann ein großes frisches Bier vom Fass! Gleich nach der Ziellinie! Es gibt nur ein Gefühl, das noch schöner ist!«
In mir zog sich alles zusammen. Ich ließ das Salatblatt in die Tunke fallen und starrte ihn an. Angesichts seiner Miene begann mein Herz zu poltern. Das ging mir alles etwas zu – schnell.
»Nur fliegen ist schöner!«
Er lachte mich aus, und ich sank errötend in meinen Stuhl zurück. Jetzt hatte er etwas von einem großen Jungen, dem ein Streich geglückt ist, und auf seiner rechten Wange erschien ein Grübchen.
»Woher weißt du das mit meiner Marathonleidenschaft?«
»Die Kinder haben es mir erzählt.« Ich sah ihn verlegen lächelnd an. »Und jetzt weiß ich auch, warum du heimlich massenweise Fleisch isst.«
Sein Blick war dermaßen durchdringend, dass mir ein heißkalter Schauer über den Rücken lief.
»Sieh an, sieh an. Schon wegen der Kinder könnten wir beide nie ein Geheimnis haben.«
Frank nahm in aller Öffentlichkeit meine Hände und drückte sie an seine Wangen.
Mein Herz machte einen ganz unrhythmischen Hopser. »Das muss toll sein, wenn man so weite Strecken laufen kann«, bemerkte ich schnell und zog hastig meine Hände zurück. »Ich bin leider völlig unsportlich.«
»Das bildest du dir nur ein, Linda. Jeder Mensch hat den Drang sich zu bewegen. Das setzt Glückshormone frei.«
Er hielt mir einen begeisterten Vortrag über Endorphine, die sich daraus ergebende positive Energie, die seine Karriere so raketenmäßig beflügelt hatte, dass er jetzt in der Chefetage saß.
»Deshalb bist du in deinem jugendlichen Alter auch schon Bankdirektor? Bist du überhaupt schon vierzig?«
Ich erfuhr, dass Frank ganze sieben Jahre jünger war als ich. Und ich hatte ihm gestern mit der Telefonnummer treudoof mein Geburtsjahr verraten! Mir sank das Herz ins neu gekaufte Mieder, das mir sämtliche Luft aus den Lungen presste.
Nie und nimmer würde er etwas mit einer Frau meines Alters anfangen! Ich fühlte mich wie ein Gebrauchtwagen, der neben einem blinkenden Neuwagen auf dem Parkplatz steht. Was sollte das Ganze hier? Machte er sich nur einen Spaß? Ich schluckte trocken, während ich versuchte, seinem forschenden Blick standzuhalten. Wollte er mir bloß Aktien verkaufen? Oder hatte er wirklich Interesse an mir?
Das erfuhr ich in den folgenden Stunden, die wir einfach in dem urigen Gastgarten sitzen blieben. Schon bald schwirrte mir wohlig der Kopf vom vielen Apfelwein. Alles verschwamm, nur Frank war wichtig. Ich saugte jedes Wort auf, das er von sich gab.
Frank hatte schon früh die Mutter verloren. Sie hatte seinen Vater und ihn verlassen, als er sechs Jahre alt war. Sein jüngerer Bruder Mark war sogar erst fünf. Darum war er, Frank, im ersten Schuljahr auch gleich sitzen geblieben. Die Mutter war einfach mit dem Bus weggefahren und nie wiedergekommen! Das muss so ein kleiner Bub erst mal verkraften. Mir zog sich das Herz zusammen, als ich mir vorstellte, ich hätte meinen Simon in diesem Alter verlassen. Nie und nimmer hätte ich das über mich gebracht! In meinen Augen stand Mitgefühl, das fast schon an Liebe grenzte.
Frank fühlte sich verantwortlich für seinen kleinen Bruder, der wochenlang mittags an der Bushaltestelle stand, um Frank abzuholen – in der rührenden Hoffnung, auch die Mutter würde dort wieder auftauchen. Doch die Eltern ließen sich scheiden. Frank versuchte den kleinen Bruder zu trösten. Er erzählte ihm viele fantasievolle Geschichten, damit er einschlafen konnte. Tatkräftig organisierte er den Alltag. Aus dem Bedürfnis heraus, selbstständig zu werden, nahm er schon früh Arbeit an. Nach der Schule räumte er im Supermarkt Regale ein und trug Zeitungen aus. Er räumte Schnee aus den Zufahrten der Nachbarn und bekam dafür Geld und Anerkennung. Deshalb war er heute ziemlich ehrgeizig.
Frank lachte verlegen.
Spätestens an dieser Stelle schmolz mein Herz wie Butter in der Sonne. Welch starker, eigenständiger Mann! Wie hart ihn das Schicksal doch schon als Kind geprüft hatte! Schon so früh war er auf sich selbst gestellt gewesen und hatte auch noch Verantwortung für einen kleinen Bruder übernommen! Mein Leben war ähnlich verlaufen.
Wenn ich da an meinen verweichlichten Jochen dachte: Als spät geborenes Einzelkind wurde er von früh bis spät verhätschelt. Er war ein lang ersehntes Wunschkind und wuchs in einem behüteten Beamtenhaushalt auf. Mich grauste immer, wenn ich Fotos aus seiner Jugend ansehen musste: Jochen in selbst gestrickten Ensembles mit Bommelmütze und so. Seine Mutter nannte ihn heute noch »Jungele«.
Nun also das Kontrastprogramm: Frank, der tapfere Kämpfer.
Franks Vater, ein Polizist, bemühte sich redlich, seine Söhne zu anständigen Männern zu erziehen, was ihm offensichtlich auch gelungen war. Pünktlichkeit, Disziplin und Sport spielten eine große Rolle. Gemeinschaftsgeist, Fußballverein, Meisterschaften, im Winter Skireisen nach Österreich, von denen Frank ausführlich schwärmte. Seine schönsten Jugenderinnerungen spielten sich in den Bergen ab. Er war sogar Skilehrer gewesen und hatte so einigen Skihaserln das Wedeln beigebracht. Wieder musste ich unwillkürlich an Jochen denken, der es schaffte, noch vom Schlitten zu fallen, wenn dieser schon stand.
»Meine österreichischen Pisten muss ich dir unbedingt mal zeigen«, brach es aus Frank hervor. Er schien völlig vergessen zu haben, dass wir uns erst seit einem halben Tag kannten. Trotzdem sehnte ich mich danach, mit Frank zu verreisen. Wie unbeschreiblich wunderbar musste es sein, mit Frank auf einem Segelboot zu sitzen, denn er hatte natürlich auch einen Segelschein.
Als Frank zwölf war, tauchte die abgehauene Mutter plötzlich wieder auf. Die Eltern heirateten erneut, und die Jungs mussten sich wieder umstellen.
Als Frank fünfzehn war, verließ die Mutter die Familie zum zweiten Mal. Diesmal nahm sie den jüngeren Bruder mit. Frank war nun völlig auf sich allein gestellt. Der Heranwachsende brach jeden Kontakt zu Mutter und Bruder ab. Bis heute, wie er mir erzählte. Vater und Sohn hielten danach eng zusammen, wobei Frank sich mehr um seinen verlassenen Vater kümmern musste als umgekehrt. Es dauerte Jahre, bis Horst seine zweite Frau kennenlernte.
Ich wollte Frank in den Arm nehmen und trösten, aber das stand mir nicht zu. Linda, er hat eine Frau!, rief ich mich innerlich zur Ordnung. Die heißt Heidrun, und auch wenn sie keinen Busen hat, bist du nicht zuständig für rückwirkende Nestwärme. Er erzählt dir das nur, weil … weil … Ich lehnte mich zurück. Er will keine Nestwärme. Er will etwas anderes. Als mir das dämmerte, zuckte ich zusammen.
Er ließ meine Hand los, und der Zauber verflog.
»O Gott, schon so spät!« Ich linste verstohlen auf die Uhr und registrierte, dass es inzwischen sechs Uhr nachmittags war. Die Sonne stand genauso schräg wie gestern, als ich Frank zum ersten Mal begegnet war, im Märchengarten, als der Prinz die Hecke geteilt und Dornröschen aus einem hundertjährigen Schlaf geküsst hatte. Na ja, geküsst hatte er mich noch nicht. Aber diese Möglichkeit erschien mir gar nicht mehr so abwegig. War unsere erste Begegnung wirklich erst vierundzwanzig Stunden her? Ich wollte mich in den Arm kneifen. Und tat es auch. Frank kam mir schon so vertraut vor, er war mir so nahe, und ich sah ihn als kleinen Jungen vor mir stehen, verlassen von seiner kaltherzigen Rabenmutter …
Apropos kaltherzige Rabenmutter: So was war mir noch nie passiert, dass ich meine Mutter- und Hausfrauenpflichten völlig vergaß. Du musst Jochen anrufen!, ermahnte mich eine innere Stimme. Oder wenigstens deine Freundin Barbara, bei der die Kinder immer noch sind. Die Stimme der Vernunft klopfte an.
Komisch, dass die weiblich ist, die Vernunft, dachte ich, und der Spaß männlich. Frau Vernunft und Herr Spaß. Die beiden lieferten sich einen interessanten Zweikampf, während ich weiter mit heißen Ohren und glasigen Augen an Franks Lippen hing.
Frau Vernunft hielt gerade mit erhobenem Zeigefinger und schneidender Stimme eine Moralpredigt, während Herr Spaß sie auslachte und meinte, die arme Linda habe nach zwanzig Jahren Tretmühle doch wenigstens heute mal einen freien Tag verdient.
Mensch, Frau Vernunft!, rief Herr Spaß und knuffte sie freundschaftlich in die Rippen. Sei doch nicht so verkniffen! Seit zwanzig Jahren funktionierst du wie ein Räderwerk, da darfst du dich heute doch mal ein paar Stunden ausklinken!
Wie soll das gehen?, keifte Frau Vernunft humorlos dazwischen. Die Kinder müssen abgeholt werden, und Jochen will sein Steak und seine Bratkartoffeln!
Jochen kann sich ruhig mal selbst einen Knochen in die Suppe werfen, witzelte Herr Spaß. Dann merkt er wenigstens mal, was Linda alles leistet!
So ging das hin und her, bis Herr Spaß irgendwann hinter mir stand und mir beruhigend die Hände auf die Schultern legte, damit ich sitzen blieb, während Frau Vernunft sich zeternd in Luft auflöste.
Frank erzählte währenddessen weiter: Fleißig wie er war, machte er schließlich ein ansehnliches Fachabitur. Dann schloss er eine Banklehre ab und studierte BWL, finanziert durch Nebenjobs als Kellner, Barkeeper und Skilehrer. Und nun, achtunddreißigjährig, war er der jüngste Bankdirektor Frankfurts. Spezialisiert auf Anlageberatung. Er lief Marathon. Unter vier Stunden. Und er stand auf mich.
Ich kam mir vor, als hätte ich im Lotto gewonnen.
Und fasste einen folgenreichen Entschluss. Schwankend ging ich auf die Damentoilette, rief Barbara an und bat um ein Alibi.
»Können die Kinder ausnahmsweise bei dir schlafen?«
Barbara erwies sich als wahre Freundin und stellte keine weiteren Fragen.
Dann rief ich Jochen an und erklärte, dass ich heute auf einem Klassentreffen in einem Sachsenhausener Gastgarten sei. Die Kinder schliefen bei Barbara, und er solle sich keine Sorgen machen, wenn es spät würde.
Jochen war zwar etwas erstaunt, dass ich das Klassentreffen noch nie erwähnt hatte, aber da er wusste, dass er sowieso nie zuhörte, glaubte er, selbst daran schuld zu sein. Er wünschte mir sogar viel Spaß und ermahnte mich, vorsichtig zu fahren oder mir notfalls ein Taxi zu nehmen.
»Vielleicht schlafe ich bei einer Freundin«, hörte ich mich sagen.
Mein schlechtes Gewissen zerrte an mir wie ein lästiges Kleinkind, aber ich befreite mich sanft und ignorierte es.
Herr Spaß hatte ganz recht: Jetzt war ich mal dran! Innerlich gefestigt schwankte ich die Treppe wieder hinauf und gesellte mich zu Frank.
Der Herr Bankdirektor hatte inzwischen ebenfalls telefoniert. Er steckte sein Handy soeben in die Innentasche und legte mir fürsorglich die Kostümjacke um die Schultern.
»Gehen wir ein Stück?« Er sah mich mit einem so entrückten Lächeln an, als sähe er eine gemeinsame Zukunft vor sich.
Mit klopfendem Herzen versuchte ich, mit ihm im Gleichschritt zu gehen. Meine neuen Pumps drückten auf meine frisch lackierten Zehen, als wollten sie mir Daumenschrauben anlegen …
Auch das ignorierte ich nach Kräften.
Hand in Hand schlenderten wir bei einem geradezu kitschigen Sonnenuntergang über den Main, durch die abendlich kühlen Auen, Offenbach entgegen. Die Radfahrer und Rollerblader, die uns entgegenkamen, die jungen Familien mit Kinderwagen, die Spaziergänger, Jogger und emsigen Walkingstockschwinger – sie alle hielten uns bestimmt für ein trautes Ehepaar, das sich immer noch so viel zu erzählen hat und dabei ständig lacht. Ich sonnte mich in ihren anerkennenden, ja neidischen Blicken. Eine so schöne Frau hat nun mal einen gut aussehenden, sportlichen, jugendlichen Mann an ihrer Seite. Einen Bankdirektor, hätte ich ihnen am liebsten hinterhergeschrien. Deutschlands jüngsten und erfolgreichsten Bankdirektor! Und Marathonläufer! Ist er nicht der Hammer? Und das Verrückteste ist: Er hat nur noch Augen für mich! Ich zeigte wieder Hüftschwung und ließ meine Handtasche keck nach hinten über die Schulter baumeln. Ich hätte locker in einem Werbespot für weiße Schokolade ohne Kalorien auftreten können.
Währenddessen hörte ich mich aufgedreht lachen.
Stundenlang schritten Frank und ich so dahin, längst spürte ich den Schmerz durch die neuen Riemchenpumps nicht mehr. Ich hätte auch auf glühenden Kohlen gehen können, so euphorisiert war ich, und ignorierte alle warnenden Anzeichen meines Körpers. Irgendwann tauchte ein geradezu magischer Vollmond die Mainauen in verheißungsvolles Licht. Inzwischen hatte ich ihm auch meine Geschichte erzählt, denn Frank war ein aufmerksamer Zuhörer. Er gehörte beileibe nicht zu den selbstherrlichen Männern, die nur über sich selbst reden, ihre Erfolge aufzählen und beklatscht werden wollen.
Sein ehrliches Interesse wärmte meine erstarrte Seele. Immer wieder blieb er stehen, drehte mich zu sich um, sah mir tief in die Augen und stellte eine neue Frage.
»Und wie war deine Kindheit? Was ist dein größter Traum, Linda?«
Sein Blick war so entwaffnend, dass alle Zurückhaltung dahinschmolz.
»Ach, das ist doch alles nicht so wichtig«, wehrte ich tapfer ab. Denn meinen größten Traum, den ich selber erst seit wenigen Minuten kannte, würde ich ihm nie und nimmer verraten. Nämlich der, in seinen Armen zu liegen.
»Doch. DU bist wichtig. Du bist MIR wichtig. Ich will alles von dir wissen.«
Das überrollte mich wie eine warme Welle.
»Okay, ich versuche es mit der Kurzfassung.«
»Aber warum denn?« Franks Augen ruhten warm auf mir. »Wir haben doch alle Zeit der Welt?«
»Musst du nicht nach Hause?« Ich merkte, dass ich die Luft anhielt.
»Hab mich schon abgemeldet.« Frank zuckte mit den Achseln wie ein Lausbub, und wieder erschienen Grübchen in seinem Gesicht.
»Ich mich auch. Wenn das kein Glückstreffer ist …« Jetzt kannte ich kein Halten mehr. »Ich übernachte bei einer Freundin.«
»Da haben wir beide den gleichen Plan«, sagte Frank zweideutig.
Ich wurde verlegen, hatte in so etwas schließlich keine Übung.
Ich hab ihn heute für mich allein!, dachte ich. Ich kann ihn noch ein bisschen haben. Warum sollte ich diesen magischen Moment zerstören?
»Also die mittellange Fassung. Aber sie ist nicht rosig.«
»War meine doch auch nicht!« Frank drückte mir aufmunternd die Hand. Zärtliches Interesse lag in seinem Blick. Ich schmolz dahin. Endlich fühlte ich mich richtig wahrgenommen und nicht wie ein Haushaltsgegenstand.
»Meine Eltern haben Mitte der Sechzigerjahre geheiratet, weil meine Mutter mit mir schwanger war. Zu diesem Zeitpunkt wollte mein Vater sich gerade von ihr trennen. Sie war siebzehn und er achtzehn.« Ich räusperte mich verlegen und sah Frank von der Seite an. »Es war nicht die große Liebe, es war nur so ein Geplänkel, du weißt schon. Aber eine Schwangerschaft war damals nicht nur ein Grund zum Heiraten, sondern eine Verpflichtung.«
Frank nickte. »Und aus diesem Geplänkel ist etwas so Wunderbares wie du hervorgegangen.« Sein Blick wurde zärtlich. »Ich möchte mich noch heute bei deinen Eltern bedanken.«
»Frank!« Ich lachte. »Du willst mich auf den Arm nehmen.« Gleichzeitig kniff ich mich erneut in den Arm, um zu kontrollieren, ob das alles wirklich wahr war.
»Fantastische Idee!«, strahlte er übermütig. »Darf ich?«
Und bevor ich mich noch wehren konnte, hatte der starke Mann mich starke Frau hochgehoben und trug mich, als wäre ich federleicht. Er drehte sich ein paar Mal um die eigene Achse und schwang mich im Kreis. Ich hörte mich schrill lachen und strampelte quietschend mit den Beinen. Einige Fußgänger, die uns entgegenkamen, lachten gleich mit.
»Sucht euch ’n Zimmer«, sagte ein besonders Vorwitziger belustigt.
»Gute Idee«, rief Frank ihm übermütig nach. Er stellte mich wieder ab und sah mich fragend an. Ich taumelte, weil mir schwindelig war. Schwindelig vor Schwindel, und schwindelig vor Glück. Frank war wie eine Droge. Hoffentlich wurde ich nicht süchtig!
Frank nahm mich in die Arme und hielt mich fest.
»Geht’s wieder?«
»Ja.«
Ich zog die Schuhe aus, in denen ich fast umgeknickt wäre, und lief ein paar Schritte barfuss weiter. Oh, war das wohltuend!
»Diese Dinger haben mich fast umgebracht!«
»Das wäre ein sehr heimtückischer Mord gewesen!«
»Wie bitte?« Ich sah ihn irritiert an.
»Mord aus Habgier!«
Frank zog mich auf eine Bank, nahm meine Füße in seine Hände und massierte sie sanft. »Aber heute Abend gehören sie mir.« O Gott, tat das gut! Ich wähnte mich im siebten Himmel. Fast hätte ich laut geschnurrt.
»Und? Wirkt die Wiederbelebungsmaßnahme?«
Besser als du ahnst, dachte ich. Stellen an mir pulsierten, die ich längst vergessen geglaubt hatte. Ich schloss die Augen und gab mich seinen Berührungen hin. Ein Kribbeln stieg meine Schenkel hinauf bis unter meinen Rock.
»Es geht wieder, danke«, stieß ich hervor. Mehr konnte ich im Moment nicht ertragen, denn sonst hätte ich kein Wort mehr über meine blöden Eltern hervorgebracht.
Frank legte den Arm um mich, und im Gleichschritt gingen wir weiter.
»Mein Vater haute ab, als ich ein Jahr alt war, und meine Mutter wollte sich umbringen und mich gleich mit …« Es fiel mir wirklich nicht leicht, darüber zu sprechen. Ich schluckte. »Sie hat sich mit mir vor den Gasofen gelegt, und wenn man uns nicht rechtzeitig gefunden hätte, gäbe es mich nicht mehr …« Meine Stimme zitterte. »Frank, das verdirbt uns doch nur den Abend.«
»Linda. Hör zu. Du musst nicht, wenn du nicht willst, aber glaub mir – ich bin sehr dankbar, dass es deiner Mutter nicht gelungen ist, so etwas Kostbares wie dich zu zerstören.«
Dankbar sah ich Frank an.
»Dir dürfte inzwischen aufgefallen sein, dass wir so einige Gemeinsamkeiten haben«, sagte er eindringlich. »Unsere Begegnung war kein Zufall, sondern Schicksal! Meinst du, ich würde mich hier mit einer x-beliebigen Klientin herumtreiben, wenn der Blitz nicht bei mir eingeschlagen hätte?«
Ich schluckte wieder. Hatte er sich etwa – verliebt? In MICH?
Dann hatten wir in der Tat Gemeinsamkeiten! Es war mir ernst. Ich spielte nicht. Längst hatte ich mich vom Strudel meiner Gefühle mitreißen lassen und fühlte mich wie ein übermütiges Kind auf der Wasserrutsche. Ich hatte das sichere Geländer gewissermaßen losgelassen, und jetzt gab es kein Zurück mehr. Das Herz schlug mir bis zum Hals, und ich seufzte. Irgendwann würde ich bestimmt unsanft im kalten Wasser landen: Wir waren beide verheiratet, und aus uns konnte nichts werden.
Aber noch war es nicht so weit. Noch glitt ich schwerelos in ein braunes Augenpaar hinein, das mich auffing und hielt.
»Ich bin dann bei meiner Großmutter aufgewachsen«, brachte ich die unerquickliche Geschichte rasch zu Ende. »Meine Mutter ist auf der Straße gelandet und hat nach mir noch sechs Kinder von sechs anderen Männern bekommen.«
Frank schüttelte nur schweigend den Kopf und zog mich unwillkürlich enger an sich heran. Plötzlich wurde mir klar, dass wir uns wirklich ähnlich waren. Auch ich hatte mich ganz allein hochgearbeitet. Auch ich hatte einen guten Schulabschluss gemacht, BWL studiert und es zu etwas gebracht. Sein Interesse und seine Anerkennung waren echt. Warum sollte ich das anzweifeln?
»Meine Oma war damals Mitte sechzig und hatte bereits sechs eigene Kinder und zwei Nichten großgezogen. Sie war nicht gerade begeistert, als sie mich halbtoten Wurm vom Jugendamt überreicht bekam. Aber sie hat mich zu einem anständigen Menschen erzogen so wie dein Vater dich.«
»Wir sind aus demselben Holz geschnitzt«, sagte Frank. »Mir ist, als würde ich dich schon ewig kennen.«
Und dann blieb er plötzlich stehen, strich mir sanft eine Strähne aus dem Gesicht, hob mein Kinn und küsste mich. Ganz vorsichtig und zärtlich.
Er schmeckte wunderbar. Mein Herz raste, und ich spürte Dinge, die ich seit zwanzig Jahren nicht mehr gespürt hatte. Ich saugte ihn regelrecht in mir auf, ertrank in seinem Atem.
Es war mir egal, was die Leute dachten. Es war mir egal, was zu Hause los war. Es war mir egal, dass wir beide verheiratet waren. Offensichtlich nicht glücklich genug. Sonst hätten wir uns nicht so voneinander angezogen gefühlt wie zwei Magnete.
Ich wollte diesen kostbaren, einzigartigen Moment festhalten. Er würde viel zu schnell vorüber sein, und dann würde ich den Rest meines Lebens davon zehren müssen.
Wie durch ein Wunder standen wir vor einem kleinen gemütlichen Landhotel. Zum Rostigen Anker stand auf einem rostigen Anker. Aber das war noch nicht alles: »Zimmer frei.« Mein Herz stolperte. War das wirklich ein Wunder? Oder hatte Frank mich behutsam hierher geleitet?
Draußen auf den Bierbänken saßen noch ein paar lachende Gestalten, Ruderboote schaukelten leise am Ufer.
»Sollen wir?«
Frank hauchte mir einen Kuss auf die Lippen und zog mich an sich. Plötzlich spürte ich seine Hand an meinem Hintern. Sie entfachte ein wahres Feuerwerk der Lust, und eine Rakete entzündete sich an der nächsten. Auch Franks Wunderkerze, wie unschwer zu erspüren war.
Andererseits … Darauf war ich nun wirklich nicht eingestellt. Ich hatte überhaupt keine Zahnbürste oder so was dabei, und der Gedanke, dass dieser herrlich durchtrainierte Frank mein hautfarbenes Elastikmieder mit Slim-Effekt sehen würde, ließ mich schlagartig zur Besinnung kommen.
»Ähm … Sollen wir was?!«
»Das musst du entscheiden.« Frank zog mich zu einer der Bierbänke und bestellte zwei Gläser Rotwein.
»Aber – was ist mit deiner Frau?«
»Wie gesagt: Ich hab mich schon abgemeldet.«
Der Wein betörte mich, und mein Traummann bettete meine geschwollenen Beine fürsorglich auf die Bierbank und begann sie zärtlich zu kneten. Diesmal etwas höher, also vom Knie an aufwärts.
»Ich schlafe heute im Büro. Das kommt öfter mal vor, wenn wir Vorstandssitzung haben.«
Wieder schlich sich dieses spitzbübische Lächeln auf sein Gesicht, und in Kombination mit Mondlicht, Rotwein und diesem wahnsinnigen Kribbeln in meinem Unterleib schmolz mein Widerstand dahin.
»Woher kannst du so gut … ähm …« … lügen, hatte ich eigentlich sagen wollen, aber aus meinem Mund kam das Wort »massieren«.
»Das ist ja nur das Vorprogramm. Ich würde dir gern das Hauptprogramm zeigen.«
Okay. Das war nun mehr als deutlich und bedurfte einer Antwort.
Frollein, wollnse oder nich?
Aber, wie so oft bei Frauen, die gerade himmlische Gefühle haben, kam das schlechte Gewissen auf seinen dicken Beinen angetrabt und zog an meinem Rockschoß wie ein quengeliges Kind. Du sollst keine himmlischen Gefühle haben! Du sollst sofort nach Hause gehen!
»Es gibt nur ein Gefühl, das NOCH besser ist«, flüsterte Frank. »Ich bringe dich zum Fliegen!«
Halb zog er mich, halb sank ich hin!
Du bestellst dir jetzt ein Taxi, kreischte Frau Vernunft in mein Ohr. Schäm dich, du wirst dich doch wohl nicht ernsthaft dazu hinreißen lassen!
»Ich möchte dich spüren«, flüsterte Frank dicht an meinem Ohr. Seine Hand lag besitzergreifend auf meinem Schenkel, und mit dem Daumen schob er den Rocksaum meines Kostüms unmerklich höher. »Du bist die schönste Frau, die mir je begegnet ist! Komm, lass dich fallen, ich will dich! Vertrau mir, Linda! Ich mach dich glücklich. Was hast du denn zu verlieren? Hm?«
Ja, was eigentlich? Außerdem: Wenn nicht jetzt, wann dann jemals wieder?
Frau Vernunft löste sich in Luft auf, und ich schubste das schlechte Gewissen in den Main. Ohne jede Reue sah ich zu, wie es darin unterging.
Ich war viel zu erregt, um zu hinterfragen, warum sie Frank hier mit Namen ansprachen und ihm ohne Umschweife ein Doppelzimmer zuwiesen. Bestimmt hatte der Nachtportier einen Kredit bei ihm.
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