Die Frauen von Schönbrunn - Beate Maly - E-Book
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Die Frauen von Schönbrunn E-Book

Beate Maly

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Beschreibung

Der Krieg ist verloren. Der prächtigste Zoo Europas ist am Ende. Eine Frau kämpft für ihre Schützlinge und ihre große Liebe.  Im Sommer 1914 erfüllt sich für Emma ein Traum: Sie wird eine der ersten Pflegerinnen im prachtvollen Wiener Tiergarten Schönbrunn. Voller Leidenschaft widmet sie sich ihren Schützlingen, den Zebras, Giraffen und Orang-Utans. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, werden fast alle Männer eingezogen. Schneller als ihr lieb ist, muss Emma Verantwortung für die Tiere übernehmen und außerdem noch für ihre schwangere Schwester sorgen. An ihrer Seite steht  Tierarzt Julius, der verletzt von der Front zurückgekehrt ist und nach dessen Nähe sich Emma zunehmend sehnt. Während die Bevölkerung gegen Ende des Krieges hungert, werden die Rufe immer lauter, den Zoo zu schließen. Kann Emma mit Julius' Hilfe retten, was ihr am meisten am Herzen liegt? Mit allen Sinnen lesen – der historische Schmökerhit für Fans von "Kinderklinik Weißensee" und "Die Hafenärztin" Entdecken Sie diese mitreißende Saga, die ins Wien des 20. Jahrhunderts entführt und inspiriert von wahren Begebenheiten vom Schicksal starker Frauen erzählt. Unter dem Pseudonym Laura Baldini begeistert Beate Maly bereits hunderttausende Leser:innen mit der Romanbiographie von Maria Montessori. 

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Die Frauen von Schönbrunn

BEATE MALY, geboren in Wien, ist Bestsellerautorin zahlreicher Kinderbücher, Krimis und historischer Romane. Ihr Herz schlägt neben Büchern für Frauen, die entgegen aller Widerstände um ihr Glück kämpfen.

Von Beate Maly sind in unserem Hause bereits erschienen:

Die Hebamme von WienDie Hebamme und der GauklerDer Fluch des SündenbuchsDie DonauprinzessinDer Raub der StephanskroneDie SalzpiratinDie KräuterhändlerinFräulein Mozart und der Klang der LiebeDie Frauen von SchönbrunnDie Kinder von Schönbrunn Die Bildweberin

Der Krieg ist verloren. Der prächtigste Zoo Europas ist am Ende. Eine Frau kämpft für ihre Schützlinge und ihre große Liebe. Im Sommer 1914 erfüllt sich für Emma ein Traum: Sie wird eine der ersten Pflegerinnen im prachtvollen Wiener Tiergarten Schönbrunn. Voller Leidenschaft widmet sie sich ihren Schützlingen, den Zebras, Giraffen und Orang-Utans. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, werden fast alle Männer eingezogen. Schneller als ihr lieb ist, muss Emma Verantwortung für die Tiere übernehmen und außerdem noch für ihre schwangere Schwester sorgen. An ihrer Seite steht  Tierarzt Julius, der verletzt von der Front zurückgekehrt ist und nach dessen Nähe sich Emma zunehmend sehnt. Während die Bevölkerung gegen Ende des Krieges hungert, werden die Rufe immer lauter, den Zoo zu schließen. Kann Emma mit Julius’ Hilfe retten, was ihr am meisten am Herzen liegt?Die beeindruckende Geschichte der Frauen von Schönbrunn - inspiriert von wahren Begebenheiten

Beate Maly

Die Frauen von Schönbrunn

Ein Leben für das Wohl der Tiere

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Januar 2022© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: © Magdalena Russocka / Trevillion Images(Frau); Look and Learn / Bridgeman Images (Elefanten, Pfleger);www.buerosued.de (Landschaft)Autorinnenfoto: © Fabian KasperE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten.Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.ISBN 978-3-8437-2615-3

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

1

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6

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Epilog

Nachwort

Leseprobe: Die Bildweberin

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Prolog

Juli 1914

Es war der erste warme Sommertag in diesem Jahr. Der gesamte Frühling hatte sich kühl und wechselhaft präsentiert. Anfang Mai hatte es noch einmal kräftig geschneit, und die Tulpen und Narzissen waren unter einer dicken weißen Decke begraben worden. Jetzt war die Kälte endgültig gebannt. Leuchtend blau und wolkenlos strahlte der Himmel über der Stadt und verhieß ein herrliches Wochenende. Die Luft war geschwängert vom Duft üppiger Sommerblumen und saftigem Gras.

Sonnenhungrig drängten die Wiener und Wienerinnen in die öffentlichen Parkanlagen. Man fuhr mit der Bahn zu einer feschen Landpartie in den Wienerwald oder in die Donauauen. Die warmen Wollmäntel wurden im Schrank verstaut. Stattdessen trug man wieder Sommerbekleidung aus luftigen Stoffen. Die Damen zwängten sich in viel zu enge Fischbeinkorsetts und zeigten fest geschnürte Taillen. Die Männer waren nicht minder eitel. Allerorts wurden elegante Sommeranzüge und schneidige Uniformen vom Mief der Mottenkugel befreit.

Auch Emma hatte ihr hübschestes Kleid aus dem Winterschlaf erweckt, es gründlich gereinigt und die zartgrüne Schleife im Rücken sorgfältig gebügelt. Heute war ein ganz besonderer Tag. Endlich würde sie sich offiziell als Tierpflegerin in der kaiserlichen Menagerie vorstellen. Zu arbeiten würde sie erst nächste Woche, am ersten Montag im August, beginnen. Seit sie sich zurückerinnern konnte, träumte sie davon, eines Tages in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Karl Moser war Veterinärmediziner, der neben seiner Praxis in Hietzing auch im Tiergarten Schönbrunn tätig war. Schon als kleines Mädchen hatte Emma ihn bei seiner Arbeit in die kaiserliche Menagerie begleiten dürfen. Sie hatte die Panzer von Riesenschildkröten gestreichelt, Lamas gefüttert und Papageien und Flamingos beobachtet. Damals war ihr Wunsch entstanden, Tierärztin zu werden. Doch leider waren Frauen für das Studium der Veterinärmedizin in Wien nicht zugelassen. Sie würde zur Ausbildung nach Zürich gehen müssen. Dort durften auch Frauen studieren, sofern sie genug Geld besaßen und für ihre Ausbildung bezahlen konnten. Emma sparte seit Jahren. Sie legte jede Krone und jeden Heller zur Seite. Wenn ihre Nachbarin Frau Schönborn zur Sommerfrische nach Baden fuhr, versorgte Emma ihre Katzen. Sie bewässerte die Blumen vom pensionierten Leutnant Fellner, wenn er seinen Bruder in Böhmen besuchte. Emmas Sparstrumpf wurde mit jedem Monat schwerer. Mit dem Geld, das sie im nächsten Jahr im Zoo verdiente, und einer finanziellen Unterstützung ihres Vaters, würde sie sich im Herbst des kommenden Jahres ihren Traum erfüllen können und nach Zürich gehen.

Jetzt stand sie fertig angezogen im Garten und wartete ungeduldig. Wo blieben nur ihre Schwester und ihr Vater? Sie hatten schon vor Minuten aufbrechen wollen.

»Greta, Papa, kommt ihr?«

Heute war Gretas zwanzigster Geburtstag. Grund genug für ihren Vater, sich freizunehmen, um mit seinen beiden Töchtern, den Tag gebührend zu feiern. Der traditionelle Ausflug in den Tiergarten war geplant. Seit Emma sich zurückerinnern konnte, waren sie an jedem Geburtstag in den Zoo gegangen. Sowohl an ihrem als auch an Gretas.

»Immer mit der Ruhe!« Karl Moser trat gemächlich aus dem Haus. Er trug einen hellen Sommeranzug mit einem Strohhut. In seiner Rechten hielt er einen Spazierstock, das wichtigste Modeaccessoire eines Mannes. »Die Tiere laufen uns nicht davon.«

Endlich kam auch Greta hinunter in den Garten. Sie hatte sich sehr schick gemacht und trug ihr schönstes Sommerkleid aus dunkelgelbem Stoff. Sie hatte es selbst genäht. Greta war sehr geschickt im Umgang mit Nadel, Schere und Stoff. Ganz im Gegenteil zu Emma. Die beiden Schwestern hätten unterschiedlicher nicht sein können, sowohl was ihre Interessen betraf als auch ihr Aussehen. Während Emmas Haar kastanienbraun und schier unzähmbar schien, hatte Greta wundervoll glänzende schwarze Locken, die sie zu kunstvollen Zöpfen flocht. Emma war als Kind so dürr gewesen, dass ihre Schwester sie jeden Abend zu einer Tasse Kakao genötigt hatte. Greta hingegen hatte üppige weibliche Rundungen. Alles an ihr war weich und sanft. Ihr Körper wie auch ihr Wesen.

»Du bist wunderschön«, seufzte Emma bewundernd. »Wenn Gustav dich sieht, wird er dir auf der Stelle einen Heiratsantrag machen.«

Greta errötete und kicherte hinter vorgehaltener Hand. »Danke!«

»Dabei habe ich wohl auch ein Wörtchen mitzureden«, brummte Karl Moser. Es war kein Geheimnis, dass er seine Töchter seit dem viel zu frühen Tod seiner Frau über die Maßen behütete. Er versuchte, jede Gefahr von ihnen fernzuhalten. Am liebsten hätte er einen Glassturz über beide gestülpt. Und jetzt sollte er sie einem anderen Mann anvertrauen?

»Du kannst dir keinen besseren Schwiegersohn als Gustav wünschen«, sagte Emma. »Er ist einfach perfekt für unsere Greta.«

Die Wangen der Schwester färbten sich noch dunkler. »Er hat mich ja noch nicht einmal gefragt, ob wir heiraten wollen«, widersprach sie leise.

»Aber das wird er heute tun.« Emma war voller Zuversicht. »Es gibt keinen passenderen Zeitpunkt als deinen Geburtstag.« Sie wusste, dass Greta auf Gustavs Vorstoß wartete.

Karl Moser murmelte etwas Unverständliches in seinen dichten Vollbart. Emma und Greta wussten auch so, dass er Gustav Weber mochte. Der Bauingenieur aus Mürzzuschlag und Greta waren füreinander geschaffen wie kein anderes Paar. Sie verbrachten jede freie Minute zusammen, schmiedeten Pläne für eine gemeinsame Zukunft und hatten in all der Zeit noch nie ein böses Wort miteinander gewechselt. Es hatte den Anschein, als würden sie zu zweit auf Wolken schweben.

Als Emma, Greta und Karl Moser kurz darauf die Hietzinger Hauptstraße entlangspazierten, wartete Gustav bereits vor der Kirche Maria Geburt auf sie. Auch er hatte sich fein gemacht, trug seinen besten Anzug und hielt einen kleinen bunten Blumenstrauß in der Hand. Sobald er Greta erblickte, hellte sich sein Gesicht auf. Emmas Schwester strahlte. Die beiden sahen einander so glücklich an, dass auch Karl Moser sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte und nichts dagegen hatte, als Greta den Nachmittag statt gemeinsam im Zoo lieber mit Gustav im Palmenhaus verbringen wollte.

»Ich finde die tropischen Pflanzen viel interessanter«, entschuldigte sich Greta. Emma wusste, dass die Palmen ihrer Schwester ebenso unwichtig waren wie die Zebras. Sie wollte mit Gustav allein sein und hätte dafür auch die orientalisch-ägyptische Sammlung im kunsthistorischen Museum besucht.

»Wie du meinst«, sagte Karl Moser. »Das Palmenhaus ist ein sehenswerter Ort mit zahlreichen außergewöhnlichen Exponaten.«

Greta nickte artig.

»Dann treffen wir uns hinterher im Hietzinger Hof, um deinen Geburtstag gebührend zu feiern?«, schlug ihr Vater vor.

»Wir halten euch zwei Plätze im Schatten frei«, versprach Greta sichtlich erleichtert.

Weil der Kaiser seinen Zoo als Bildungsstätte für seine Untertanen betrachtete und keinen Vergnügungspark neben seinem Schloss duldete, gab es in der kaiserlichen Menagerie weder Restaurants noch Cafés. Natürlich hatten die Wiener Gastronomen rasch eine Lösung für das Problem gefunden. Innerhalb weniger Jahre hatte sich eine ganze Reihe schicker Lokale rund um die Menagerie angesiedelt, in denen sich die Gäste nach dem Besuch des Zoos stärken konnten. Bis vor seinem Tod hatte Johann Strauss jedes Wochenende im Dommayer seine Walzermelodien zum Besten gegeben. Am Tivoli gab es eine beliebte Rutschbahn. Und der Hietzinger Hof mit seinem Lichtspieltheater war nur eines von vielen schicken Gasthäusern mit gehobener Küche. Bei Schönwetter musste man Schlange stehen, um einen der schattigen Plätze im Garten zu ergattern.

»Fein!« Emma rieb sich die Hände. »Ich freue mich jetzt schon auf ein Himbeerkracherl.«

Während Gustav und Greta die Schlossallee bereits nach wenigen Metern verließen, um zum Palmenhaus abzubiegen, liefen Emma und ihr Vater weiter bis zum Eingang der Menagerie. Rechts und links säumten Kastanienbäume den Weg. Ein paar von ihnen trugen noch weiß-rosa Blüten. Hinter den Bäumen breitete sich eine barocke Gartenanlage aus. Perfekt geschnittene Buchsbäume umsäumten Blumenbeete, in denen nichts dem Zufall überlassen war. Das Meer an Blüten war nach Farbe und Wuchshöhe geordnet. Jede Pflanze hatte einen bestimmten Platz. Täglich war eine ganze Armee an Gärtnern damit beschäftigt, die künstliche Harmonie zu erschaffen und zu erhalten. Emma ertappte sich jedes Mal bei dem Wunsch, einen der riesigen Pflanztöpfe umstellen zu wollen, damit ein bisschen Abwechslung in das Bild kam. Zwanghafte Ordnung war ihr ein Gräuel.

Gemeinsam mit anderen Besuchern spazierten Emma und ihr Vater über den gekiesten Weg. An niedrigen Nebengebäuden vorbei gelangten sie zum Zentrum der Menagerie, dem Papageienkäfig, einem runden Bau, der sich auf einem Sockel befand. Der Pavillon erstrahlte im satten Schönbrunner Gelb. Die Gitterstäbe der Käfige waren dunkelgrün gestrichen. Diese beiden Farben fanden sich auch in allen anderen Gebäuden des Zoos wieder. Vom Papageienpavillon führten strahlenförmig angelegte Wege zu den verschiedenen Tierhäusern.

»Wir treffen Franz bei den Elefanten«, erklärte Karl Moser.

Franz Geiger war der leitende Tierpfleger im Zoo. Auch wenn er einige Jahre älter war als ihr Vater, hatte sich über die vielen Jahre der Zusammenarbeit eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden Männern entwickelt. Emma hatte Franz die Stelle im Zoo zu verdanken. Er hatte sich beim Zoodirektor Alois Kraus persönlich für sie eingesetzt.

Hinter dem Bärengehege lag das Dickhäuterhaus. Schon von Weitem sah Emma die Menschentraube, die sich rund um das Außengehege gebildet hatte. Wer in den hinteren Reihen stand, musste geduldig warten, bis er nach vorne durfte. Doch das Warten lohnte sich. Bei Schönwetter konnte man die Tiere im Freien ohne Bezahlung bestaunen. Wollte man in eines der Häuser gehen, musste man eine Eintrittskarte bei den Automaten lösen, die davor angebracht waren. Auf diese Weise konnte ein Teil der enormen Kosten des Zoos beglichen werden. Freilich kam für den Hauptteil der Ausgaben der Kaiser selbst auf.

Franz Geiger stand neben dem Tierhaus und blickte suchend umher. Als er sie schließlich erblickte, winkte er sie fröhlich zu sich.

»Servus, Franz!« Die Männer begrüßten einander herzlich mit einem Händeschlag.

Dann wandte Franz sich an Emma. »Sieh einer an, das Fräulein wird tatsächlich in die Fußstapfen des Herrn Papa treten.« Er tippte sich zum Gruß an seine Uniformmütze und verbeugte sich vor Emma. Sie hatte den Mann noch nie in etwas anderem als seiner dunkelgrünen Uniform gesehen. Auch außerhalb seiner Arbeitszeit trennte sich Franz nicht von seiner offiziellen Kleidung. Nur seine Schürze legte er ab, wenn er den Tiergarten verließ.

»Na ja, ich habe es zumindest vor«, sagte Emma.

»Wenn Sie bloß halb so ehrgeizig sind, wie ich denke, werden Sie Ihr Ziel erreichen.« Der Pfleger klang zuversichtlich.

»Warum sind die Kühe im Freien?«, fragte Emma. Vom abgetrennten Bereich der Pfleger aus hatten sie einen freien Blick auf das Gehege. Im hinteren Teil standen zwei Elefanten in der Ecke und rollten ihre Rüssel ein. Ein Tier schwang das rechte Vorderbein. Beides waren Zeichen von Nervosität. Das hatte Emma von ihrem Vater gelernt.

Es gab drei Tiere im Zoo: Pepi, Mitzi und Mädi. Die Elefanten zählten zu den Hauptattraktionen der Menagerie. Als vor acht Jahren das erste Elefantenjunge, Mädi, in Gefangenschaft zur Welt gekommen war, hatte man das Ereignis nicht nur in Wien gefeiert. Die Nachricht war um die ganze Welt gegangen und hatte ein neues Kapitel in der Zoogeschichte geschrieben.

»Wir haben Pepi separieren müssen«, erklärte Franz. »Er ist aggressiv geworden und hat die beiden Damen attackiert.«

»Warum hat er das getan?«, fragte Emma.

Franz hob die Schultern und seufzte. »Ich weiß es nicht.«

Jetzt trat ein Tierpfleger aus dem Stall und ging auf die Elefanten zu. Er trug einen langen Stecken mit einem Haken vorne dran. Kaum dass er sich den Tieren näherte, setzte sich das größere der beiden, Mitzi, in Bewegung. Wie auf Kommando folgte ihr ihre Tochter Mädi. Die Elefanten hatten sichtlich Angst vor dem spitzen Haken, mit dem sie so lange gequält worden waren, bis ihr Wille gebrochen war. Als Mädchen hatte Emma immer wegsehen müssen, wenn einer der Tierpfleger die Elefanten damit gestochen hatte. Sie war fest davon überzeugt, dass es auch einen anderen Weg gab, Tiere zu halten. Und ab nächster Woche würde sie endlich damit anfangen können, ihre Ideen in die Tat umzusetzen. Emma konnte es kaum erwarten.

»Für welche Tiere werde ich zuständig sein?«, fragte sie Franz aufgeregt. »Darf ich zu den Elefanten?«

Franz runzelte die hohe Stirn. »Die Frauen im Zoo kümmern sich um die kleineren und weniger gefährlichen Tiere.«

»Aber die Elefanten sind doch nicht gefährlich«, entgegnete Emma entrüstet. Schon als Kind hatte sie Mitzi und Mädi regelmäßig füttern dürfen. Sie hatte zugesehen, wie ihr Vater Pepi einen Splitter aus dem Fuß gezogen hatte. Nach der Behandlung hatten sie Franz dabei geholfen, Mädi und Mitzi mit Wasser abzuspritzen, was die Tiere sichtlich genossen hatten. Bevor Emma den Stall verlassen hatte, hatte Mädi ihren Unterarm mit ihrer Rüsselspitze berührt. Heute noch konnte sich Emma an die weiche Berührung erinnern, die sich angefühlt hatte, als wäre ein Schmetterlingsschwarm ganz dicht über ihre Haut geflattert. Es erschien ihr völlig verkehrt, diese sanften Riesen mit Metallhaken zu malträtieren.

»Du wirst mit den Wasservögeln und Schildkröten beginnen«, sagte Franz.

»In Ordnung.« Emma versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

»Das ist nicht meine Entscheidung«, entschuldigte sich Franz.

»Wasservögel und Schildkröten sind fein«, beeilte sich Emma zu sagen. Sie konnte ja hinterher trotzdem den Elefanten, Giraffen und Affen einen Besuch abstatten.

»Ich werde am Ende des Monats mit Direktor Kraus reden«, versprach Franz. »Schließlich bin ich nicht mehr der Jüngste. An manchen Tagen ist mir die Arbeit zu viel. Ich will schon seit längerer Zeit das Affenhaus abgeben.«

»Das Affenhaus …«, wiederholte Emma mit glänzenden Augen. Sowohl ihr Vater als auch Franz unterdrückten ein Schmunzeln.

»Wenn du in Zürich studieren willst, wirst du dich mit allen Tieren beschäftigen müssen«, sagte ihr Vater.

»Ich weiß«, antwortete Emma fröhlich. »Aber ich darf doch trotzdem besondere Vorlieben für bestimmte Tiere haben.« Ihr Vater schien zu wissen, worauf sie anspielte. Karl Mosers Herz schlug für die Seehunde und Pinguine im Zoo.

»Ach, wir haben doch alle unsere Lieblinge«, meinte Franz. »Ich mag die Wölfe. Ich glaube, sie erinnern mich an den Hund, von dem ich immer geträumt habe.«

Gemeinsam gingen sie zu den Mannschaftsräumen, die neben dem Wirtschaftshof lagen. Der Weg führte an den Bären, den Raubtieren und Sumpfbibern vorbei. Emma fiel es schwer, nicht bei jedem Gehege stehen zu bleiben. Zu gerne hätte sie allen Tieren ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Vor einigen Gehegen drängten sich mehr Schaulustige als vor anderen. Die Wildhühner konnten nur wenige Menschen begeistern, während die Kängurus vor allem bei Familien mit Kindern beliebt waren.

Vor einem einstöckigen Gebäude hielt Franz schließlich an. »Hier sind die Garderoben für Männer und Frauen. Du wirst am Montag einen Schrank für die Arbeitskleidung zugeteilt bekommen.«

»Eine Uniform?«, fragte Emma und stellte sich vor, wie sie wohl in dem dunkelgrünen Anzug mit der steifen Mütze am Kopf aussehen würde.

»Eine Schürze«, antwortete Franz irritiert.

Auch hier gab es einen deutlichen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Wie gut, dass Emma gefragt hatte. Sie würde eines ihrer ältesten Kleider anziehen.

»Im hinteren Teil der Wirtschaftsgebäude befindet sich die Küche. Für einige Tiere wird Spezialnahrung gekocht. Du wirst in den ersten Wochen dort mithelfen.«

»Ich werde kochen?« Küchenarbeit gehörte nicht zu Emmas Lieblingsbeschäftigungen. Ganz im Gegensatz zu Greta, die gerne neue Rezepte ausprobierte, Kuchen und Kekse backte und sich jetzt schon aufs Einkochen der Gartenmarillen in ein paar Tagen freute.

Karl Moser blieb ihre Enttäuschung nicht verborgen. »Du lernst eben alles von der Pike auf. Das hat große Vorteile, glaube mir.«

Emma nickte. Sie hatte immer gewusst, dass der Weg, den sie vor sich hatte, nicht einfach werden würde. Die erste Hürde, die Matura, hatte sie vor einem Monat mit Bravour gemeistert. Zwar stand in ihrem Zeugnis nicht der Zusatz »Reif zum Besuch der Universität«, denn dieser Beisatz war in Wien nach wie vor den jungen Männern vorbehalten, für die Zulassung zum Studium in Zürich war das jedoch egal. Dort zählten ihre Noten, und die waren hervorragend.

Zuversichtlich strahlte Emma ihren Vater an. »Ich werde so viel lernen, wie ich nur irgendwie kann«, versprach sie. »Am liebsten würde ich sofort eine Schürze umbinden und mit der Arbeit beginnen.« Das war nicht gelogen.

Karl Moser lachte. »Das wäre jammerschade. Dieses Kleid hat ein Vermögen gekostet.«

»Dann sehen wir uns am Montag um acht Uhr?«, fragte Franz.

»Ich bin mit Sicherheit pünktlich.«

»Daran zweifle ich keinen Augenblick.«

Emma und ihr Vater verabschiedeten sich von Franz und machten einen ausgedehnten Spaziergang durch den Zoo. Sie besuchten das Affenhaus und schauten sich danach die Reptilien an. Auch die Seehunde und Pinguine ließen sie nicht aus. Erst als Emmas Magen so laut knurrte, dass ihr Vater ihn trotz der enormen Geräuschkulisse hören konnte, drängte er: »Es ist höchste Zeit für eine Jause mit unserem Geburtstagskind im Hietzinger Hof, was sagst du?«

Emma widersprach nicht, denn schon am Montag würde sie wieder hier sein. Und ab dann jeden Tag.

Über die Kastanienallee kehrten sie zurück zum Ausgang. Emma malte sich aus, wie ihr erster Arbeitstag wohl werden würde. Sie war so sehr in ihre Gedanken versunken, dass sie die lauten Stimmen außerhalb des Schlossgartens nicht wahrnahm. Erst als das Gejohle vom Tröten von Hupen und Schlagen von Trommeln begleitet wurde, erwachte ihre Aufmerksamkeit.

»Was ist da los?«, fragte sie ihren Vater.

»Vielleicht haben die Vienna und die Hakoah wieder gegeneinander gespielt?«

Obwohl der Fußball ein sehr junger Sport war und die ersten Vereine erst seit rund zehn Jahren gegeneinander antraten, erfreute sich der Ballsport großer Beliebtheit. Jedes Wochenende strömten die Wiener zu den Sportplätzen.

»Das glaube ich nicht«, entgegnete Emma. »Ein Fußballspiel ist doch kein Grund, dass Männer wie Frauen in so großen Gruppen durch die Stadt laufen. Noch dazu an einem Dienstag.« In ausgelassener Stimmung zogen zahlreiche Feiernde über die Hietzinger Hauptstraße. Sie wedelten mit kleinen Fähnchen in den Farben des Habsburgerhauses und riefen Parolen, die Emma immer noch nicht verstehen konnte. Der Umzug erinnerte an den Faschingsausklang. Ein Zeitungsjunge lief ihrem Vater fast direkt in die Arme. Karl Moser hielt den barfüßigen Jungen auf. Die Kappe rutschte dem Burschen tief in die Stirn. Er schob sie keck zurück.

»Was ist los, warum feiern die Menschen?«, fragte Karl Moser.

»Haben Sie’s noch nicht gehört?«

»Würde ich fragen, wenn ich Bescheid wüsste?«

Der Junge hielt ihm die Abendausgabe der Wiener Zeitung vor die Nase. »Da steht’s«, sagte der Junge aufgeregt. »Der Kaiser hat den Serben den Krieg erklärt.«

Die Nachricht traf Emma wie ein Schlag ins Gesicht. Krieg! Sie hatte dieses Wort bisher nur aus Geschichten gekannt. Die letzten großen Schlachten in Solferino oder Königgrätz hatten lange vor ihrer Geburt stattgefunden. Emma war in einer Phase des Friedens groß geworden. Er war für sie eine Selbstverständlichkeit, über die sie nie nachgedacht hatte.

Ihr Vater drückte dem Jungen eine Münze in die Hand und kaufte ihm die Zeitung ab. Der Bub tippte sich an die Kappe und lief weiter. »Krieg«, rief er aufgeregt. »Der Kaiser hat den Serben den Krieg erklärt.«

Auf der Stirn ihres Vaters hatten sich tiefe Sorgenfalten gebildet, während der Mann, der neben ihm stehen geblieben war, laut jubelnd seinen Hut in die Höhe warf.

»Sie scheinen einen Krieg mit einem Volksfest zu verwechseln«, murmelte Karl Moser finster.

»So freuen Sie sich doch!« Der Mann lachte. »In ein paar Wochen ist der Spuk wieder vorbei. Wir verpassen den Serben einen Denkzettel. Höchste Zeit, dass der wilde Haufen am Balkan wieder pariert. Die glauben, dass sie sich alles erlauben können. Kassieren Geld aus Wien und wollen ständig Extrawürste.«

»Das Pack hat unseren Thronfolger erschossen«, mischte sich die Frau neben ihm ein. Singend schlossen sich beide dem Tross Feiernder an und zogen mit ihnen Richtung Schloss Schönbrunn. Es hatte den Anschein, als wollten die Menschen dem Kaiser höchstpersönlich zu seiner Entscheidung gratulieren.

»Was ist, Papa?«, fragte Emma unsicher. Das Gesicht ihres Vaters hatte jede Farbe verloren. Noch nie hatte sie ihn so erschüttert gesehen.

»Ich bin nicht sonderlich gläubig«, sagte er ernst. »Aber wir sollten beten, dass der Mann recht hat und der Krieg zu Weihnachten wieder beendet ist.«

»Und wenn nicht?«, fragte Emma ängstlich.

»Dann stehe Gott uns bei.«

1

November 1917

Der Kaffeeersatz aus gerösteten Eicheln schmeckte bitter und hinterließ am Gaumen einen pelzigen Belag. Aber er war besser als der Aufguss aus gerösteten Löwenzahnwurzeln, den Emma gestern getrunken hatte, und was noch viel wichtiger war: Die dunkle Brühe vertrieb den Hunger. Für ein paar Minuten setzte das permanente Knurren des Magens aus und gaukelte ein Sättigungsgefühl vor.

Mit der abgeschlagenen Emaille-Tasse in der Hand ging Emma zum kleinen Schwedenofen in der Ecke neben dem Fenster und kauerte sich auf einen niedrigen Hocker. Sie war allein im Mannschaftsraum der Schönbrunner Menagerie. Für gewöhnlich hielten sich hier mehrere Kollegen auf. Die Wärme war ein Privileg, das man dem Kaiserhaus verdankte. Während die Öfen in vielen Häusern und Wohnungen der Habsburgermonarchie in diesem Winter kalt blieben, brannte in den Verwaltungsgebäuden der Menagerie auch im dritten Kriegsjahr den ganzen Tag über ein bescheidenes Feuer. Das Brennmaterial stammte aus dem Schlossgarten. Erst gestern hatte Michael, einer der Tierpfleger, im oberen Teil des kaiserlichen Parks beim Tirolerhof Brennholz gesammelt. Drei Körbe voll hatte er in den Personalraum geschleppt. Heute war nichts mehr davon übrig. Möglich, dass sich einer der Kollegen heimlich bedient hatte. Dabei war es strengstens untersagt, Holz aus den Wäldern des Schlossparks nach Hause zu tragen. Doch wer konnte es dem Dieb verdenken, wenn er ein paar der wertvollen Scheite unter dem Mantel aus dem Zoo schmuggelte? Emma hatte ebenfalls darüber nachgedacht. Das Brunnenwasser zu Hause war auch tagsüber zugefroren, und Gretas Zähneklappern war nachts so laut, dass Emma nicht schlafen konnte. Seit Monaten teilten sich die Schwestern ein Bett. Aber selbst die körperliche Nähe konnte die eisige Kälte der Novembernächte nicht vertreiben.

Doch Emma hatte kein Holz gestohlen. Sie wollte ihre Anstellung nicht verlieren. Immer noch träumte sie von einem Studium in Zürich, aber die Realisierung rückte in unerreichbare Ferne. Die schlimmsten Befürchtungen ihres Vaters hatten sich bewahrheitet. Der Krieg war zu Weihnachten nicht beendet gewesen. Im Gegenteil, er hatte sich wie ein infernalisches Feuer über ganz Europa ausgedehnt. Niemand wusste, wie viele Tausende Männer bereits gefallen waren. Auch Emmas Vater und Gretas Ehemann Gustav hatten einrücken müssen. Sie kämpften beide im Südosten.

Während das Sterben an der Front weiterging, wurde die Versorgungslage im Hinterland mit jedem Monat dramatischer. Es fehlte an allem. Die Menschen hungerten und froren. Vor ein paar Wochen hatte Emma ihrem Sparstrumpf die letzten Münzen entnommen, um einen Laib Brot und ein Stück Butter zu kaufen. Beide Lebensmittel waren zu schier unerschwinglichen Luxusgütern geworden. Die Straßen waren voll mit hungernden Kindern, die bettelten.

Auch im Zoo wurden Futterrationen für die Tiere knapp. Seit ein paar Wochen war Emma für die Pflege der Affen zuständig. In den letzten Jahren hatte sie nacheinander alle Tierhäuser kennengelernt. Sie hatte Pinguine gefüttert, Ställe ausgemistet, Schildkrötenpanzer geschrubbt, Fell gebürstet und Nahrungsmittelbrei gekocht, aber die Affen und die Elefanten waren nach wie vor ihre Favoriten.

Emma nahm einen weiteren Schluck aus der Tasse und verzog angewidert das Gesicht. Das Getränk war einfach schauderhaft. Sie würde sich nie an diesen bitteren Geschmack gewöhnen.

Von draußen näherten sich Schritte über den kleinen Hof. Emma horchte und richtete sich auf. Kurz darauf wurde die Tür aufgestoßen, ein eisiger Windstoß wehte Schneeflocken in den Raum. Michael hinkte herein. Mit seinen fünfundzwanzig Jahren war der Tierpfleger kaum älter als Emma. Gleich im ersten Kriegsjahr hatte er seinen rechten Unterschenkel bei der Schlacht um Lemberg eingebüßt und dafür eine schlecht sitzende Prothese erhalten, die bei jedem seiner Schritte laut knarzte. Er nahm sein Schicksal mit Gelassenheit, denn seiner Behinderung verdankte er, dass er kein weiteres Mal an die Front gerufen wurde.

»Emma, schnell, komm mit! Bei Sophia geht es gerade los. Sie kriegt ihr Junges.« Hektisch winkte er Emma zu sich. Seine eingefallenen Wangen waren vor Aufregung gerötet. Die Nervosität war ansteckend. Mit einem Satz sprang Emma von ihrem Hocker und stieß ihn beinahe um. Die Tasse mit dem bitteren Getränk knallte sie auf einen der Tische.

»Bin schon unterwegs.« Als sie ins Freie trat, blieb ihr für einen Augenblick die Luft weg. Eine Windböe fegte Eiskristalle in ihr Gesicht. Emma band den dicken Wollschal enger um ihren Hals. Vor sechs Monaten war entdeckt worden, dass das Ameisenbärenweibchen Sophia trächtig war. Seit Tagen warteten alle im Zoo angespannt auf die Geburt. Was für ein Glück, dass Emma bei dem einmaligen Ereignis dabei sein konnte. Sollten die Jungen überleben, wäre das eine weitere Sensation in der Geschichte des Zoos. Die Versorgung von Ameisenbären hatte lange Zeit als äußerst schwierig gegolten, da sie Nahrungsspezialisten waren. Doch gerade diese Eigenheit der Tiere entpuppte sich jetzt als Segen. Niemand dachte daran, Sophia ihre Futterrationen zu kürzen. Insektenlarven standen nur bei Ameisenbären hoch im Kurs.

Vom Verwaltungsgebäude eilten Emma und Michael den freigeschaufelten Weg Richtung Papageienhaus. Der runde Pavillon war seit ein paar Wochen leer. Man hatte die Tiere in das wärmere Palmenhaus umgesiedelt. Emma überholte den hinkenden Pfleger ungeduldig. Die Ameisenbären waren gemeinsam mit den Straußen, Reptilien und den fliegenden Hunden untergebracht. Sie nahmen den seitlichen Eingang für die Pfleger.

Kaum hatten sie das Haus betreten, schlug ihnen warme Luft, geschwängert mit dem süßlich scharfen Geruch von Urin und tierischen Exkrementen entgegen. Wie immer dauerte es einen Moment, bis sich Emmas Augen nach dem winterlich verschneiten Park an das Halbdunkel des Tierhauses gewöhnt hatten. Michael musste seine beschlagene Brille abnehmen. Er war außer Atem. Auch Emmas Herz raste, was nichts mit dem Laufen zu tun hatte, sondern mit der Nervosität.

Hinter der hüfthohen Abgrenzung aus Metallstäben hockten Svetlana, die von allen bloß Lana genannt wurde, und Franz. Der alte Pfleger hatte seine wohlverdiente Pension nie antreten können, weil die jungen, kräftigen Männer der Menagerie an der Front gebraucht wurden.

Als er Emma und Michael sah, legte er den Finger an den Mund und winkte sie zu sich. Emma ging zwischen ihm und Lana in die Hocke. Sie schob ihre Röcke geschickt zusammen, um zu verhindern, dass sie unnötig schmutzig wurden. Ihre Schürze hing schon im Schrank.

In einer Ecke des Geheges lag das Ameisenbärenweibchen eingerollt auf Rindenmulch. Sophias Körper zog sich stoßweise zusammen.

»Mein Gott, die Schnauze des Jungen ist schon zu sehen«, entfuhr es Emma. Ihre Stimme war lauter als beabsichtigt. Schuldbewusst legte sie ihre Hand auf den Mund. Sie wollte das Ameisenbärenweibchen auf keinen Fall stören. Sophia krümmte ihren Körper zu einer Kugel und stupste mit dem Kopf ihren Nachwuchs an, als wollte die Ameisenbärin ihr Kind ermutigen, nicht aufzugeben. Emma hielt den Atem an. Sie wagte es nicht, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen, aus Angst, dieses kleine Wunder zu unterbrechen. Was, wenn Sophia ihr Junges nicht annehmen würde? Es kam häufig vor, dass Muttertiere ihren Nachwuchs in Gefangenschaft töteten. Der süßliche Geruch von Blut breitete sich aus.

Emma schwitzte unter ihrem dicken Wollschal, doch sie nahm ihn nicht ab. Jede Bewegung könnte Sophia irritieren. Nun war leises Keuchen zu hören. Es klang beinahe menschlich. Wie immer, wenn sie nervös war, führte Emma ihren Daumen zum Mund und begann an ihrem Nagel zu kauen. Eine schreckliche Unart. Lana bemerkte es und griff nach ihrer Hand. Tadelnd zog sie sie von ihrem Mund weg und hielt sie fest. Emma wollte ihr danken, doch genau in dem Moment flutschte mit einem Schwall der winzige Ameisenbär auf den Boden neben seiner Mutter. Das kurze dunkle Fell glänzte, die Augen waren geschlossen. Es war eine kleine, zarte Ausgabe von Sophia mit einer langen, schmalen Schnauze und einem ähnlich geformten Schwanz. Sophia zog ihr Junges geschickt zu sich und schleckte es mit der langen, dünnen Zunge sorgfältig ab. Sie reagierte mit einer mütterlichen Fürsorge, die Emma rührte. Leider schob sie ihren Körper nun seitlich und deckte ihren Nachwuchs vor den Blicken der Zuschauer ab, als ob sie auf diese Weise für Intimität zu sorgen versuchte. Emma ließ Lanas Hand los, richtete sich vorsichtig auf und machte einen Schritt vorwärts, um besser sehen zu können.

»Es ist wunderschön«, flüsterte sie ergriffen. Lana nickte stumm. Gebannt beobachteten alle vier, wie Sophia mit ihrem Körper eine Art Nest für ihren Nachwuchs formte. Instinktiv suchte der kleine Ameisenbär nach der Brust der Mutter und begann zu saugen. Die Schmatzgeräusche waren so laut, dass sie den ganzen Stall erfüllten.

»Das hat sie gut gemacht«, lobte Franz erleichtert. »Es schaut so aus, als würde sie ihr Junges annehmen.« Auf seinem faltigen Gesicht hatte sich ein stolzes Lächeln breitgemacht.

Lange und ausgiebig trank der kleine Ameisenbär, während er von seiner Mutter immer noch hingebungsvoll abgeschleckt wurde. Emma konnte sich nicht daran sattsehen.

Irgendwann hatte das Junge genug von der Muttermilch. Immer noch mit geschlossenen Augen fand das Jungtier den Weg auf Sophias Rücken, wo es im dichten Fell beinahe unsichtbar wurde.

»Da bleibt es die nächsten Wochen«, erklärte Franz leise. »Nur wenn es Hunger hat, wird es sich vom Rücken zur Brust seiner Mutter bewegen.«

»Schade, dass wir erst in ein paar Tagen nachschauen können, ob Sophia einen Jungen oder ein Mädchen bekommen hat«, sagte Lana. »Ich hätte dem Kleinen gerne einen Namen gegeben.«

»So bleibt uns mehr Zeit, über einen passenden Namen nachzudenken«, sagte Emma. »Oft kriegen die Tiere viel zu schnell Namen, die gar nicht passen.« Sie dachte an das Nilpferd, das man Herkules genannt hatte, dabei war es eines der ängstlichsten und scheusten Tiere des ganzen Zoos.

Vorsichtig verließen Emma und Svetlana den Stall und gingen in den Vorraum, um Sophia mit ihrem Jungen in Ruhe zu lassen. Franz folgte ihnen. Nur Michael blieb noch, um das blutige Heu zu beseitigen.

»Die beiden Tiere sind erschöpft und müssen sich aneinander gewöhnen. Solange das Junge trinkt, ist alles gut, und wir haben keinen Grund zur Sorge«, flüsterte Franz. Der alte Pfleger war in den letzten Monaten erschreckend mager geworden. Die Uniform, die früher so eng gesessen hatte, flatterte jetzt an seinem dürren Körper. Selbst die steife Zylinderkappe verrutschte auf seinem kahlen Kopf. Trotzdem trennte er sich nicht von seiner geliebten Kleidung. Bloß der Vollbart war unverändert üppig.

»Wir sollten diesen Erfolg feiern«, sagte Lana.

»Willst du etwa mit Eichelkaffee anstoßen?«

»Hast du eine bessere Idee?«

»Leider nein«, sagte Emma. »Aber vielleicht Augusta.«

Eigentlich war Augusta Müller die Köchin des Zoodirektors Alois Kraus. Als Andreas Malz, der Koch der Zooküche, im Sommer einberufen worden war, hatte Augusta auch noch seine Aufgabe übernommen. Seit sie die Kontrolle über die Vorräte hatte, gingen weniger Lebensmittel auf unergründliche Weise verloren. Leider war trotzdem nicht mehr vorhanden, weil die Lieferungen immer spärlicher wurden. Dennoch schaffte es Augusta immer, irgendwie die Reste zusammenzukratzen. Sie war die Königin der Improvisation. Seit Neuestem suchte sie den Wald beim Tirolerhof nach essbaren Baumpilzen ab, die sie in den Gemüsebrei der Affen mischte.

»Wir werden Sophia eine Schüssel Spezialbrei ins Gehege stellen«, sagte Franz. »Nach dieser Anstrengung braucht sie zusätzliche Kraft.«

Der Spezialbrei, von dem der alte Pfleger sprach, enthielt nicht nur Mehlwürmer und Insekten, sondern auch Haferflocken, Eier und Topfen.

»Ob Augusta so viel übrig hat?«, gab Lana zu bedenken. »Sie ist keine Zauberin. Sophias Name steht nicht auf der Liste für diese Lebensmittel. Die Rationen sind bereits verteilt und ausgegeben.«

Emma fürchtete, dass ihre Kollegin recht hatte. Lana war ihr in den letzten drei Jahren zur engen Vertrauten im Zoo geworden. Die beiden waren im gleichen Alter und, was die Tiere betraf, fast immer einer Meinung. Lana stammte aus sehr ärmlichen Verhältnissen, ihre Mutter war Näherin gewesen, doch seit einem Arbeitsunfall konnte sie die Familie kaum noch ernähren. Lanas Schwestern hatten bald Stellungen als Dienstmädchen annehmen müssen. Ihr selbst war dieses Schicksal erspart geblieben. Es war kein Geheimnis, dass Dienstmädchen auf der untersten Leiter der Gesellschaft standen. Sie waren der Willkür der Dienstherren ausgeliefert. Viele von ihnen wurden unfreiwillig schwanger. Lana hatte Glück gehabt. Ein Onkel hatte sich für sie eingesetzt und ihr die Arbeit als Aushilfskraft in der Menagerie verschafft.

»Vielleicht hat Augusta eine kleine Ration für Notfälle zur Seite gelegt«, meinte Lana.

»Ich werde sie fragen«, sagte Franz. »Es wird irgendeine Lösung geben. Und wenn Augusta und ich zum Schloss hinüberlaufen und aus der Küche des Kaisers ein paar Eier abzweigen.«

Emma verkniff sich ein Grinsen. Sie stellte sich gerade vor, wie der alte, dürre Franz und die stämmige Augusta durch ein Fenster in die kaiserliche Küche eindrangen.

»Wenn wir die Ration der Greifvögel reduzieren, braucht ihr nicht ins Schloss einzubrechen«, schlug Emma vor. »Die Tiere hatten gestern volle Näpfe.«

»Eine sehr gute Idee«, sagte Lana.

Gemeinsam verließen sie das Tierhaus. Nach der angenehmen Wärme im Stall fühlte sich die Kälte doppelt eisig an. Kein Wunder, dass keine Besucher im Zoo waren. Das gesamte Gelände war völlig verwaist.

»Ich werde mich auf den Heimweg machen«, kündigte Emma an.

»Vorher musst du noch zum Herrn Direktor.« Franz hielt sie zurück. »Er möchte dich sprechen.«

»Weißt du, was er von mir will?«

»Ich glaube, es geht um den neuen Tierarzt.«

»Neuer Tierarzt?«

»Ja. Es heißt, dass ein Pferdedoktor von der Front zurückgekommen ist.«

»Aber wir hatten doch noch nie einen eigenen Arzt im Zoo …« Emma musste an ihren Vater denken. Er hatte in seiner eigenen Praxis gearbeitet und war von der kaiserlichen Menagerie gerufen worden, genau wie von all seinen anderen Patienten. Für schwierige Fälle hatte man bei der Kaiserlichen Veterinärmedizin um Hilfe gebeten. Wie immer, wenn sie an ihren Vater dachte, schnürte es ihr die Kehle zu. Ende der Woche war es vier Wochen her, dass das letzte Mal Feldpost von ihm gekommen war. Für gewöhnlich schrieb er alle zwei Wochen eine Karte.

»Ich kann dir nicht sagen, was der Direktor mit dir besprechen will«, fuhr Franz fort und riss sie damit aus ihren Sorgen. »Lass dich überraschen.«

Noch vor ein paar Jahren hätte das Wort Überraschung bei Emma ein wohliges Gefühl ausgelöst. Seit der Krieg das Land in Atem hielt, verband sie mit Unvorhergesehenem vor allem eines: Bedrohung.

Franz machte sich auf den Weg zu Augusta, Lana wollte bei den Riesenschildkröten nach dem Rechten sehen, und Emma eilte zum Inspektionsgebäude. Dort befand sich die Dienstwohnung des Direktors Alois Kraus. Davor lag ein künstlich angelegter Teich, in dem sich im Sommer Schwimmvögel aller Art tummelten. Jetzt war das Wasser weitgehend zugefroren. Nur an einer offenen Stelle drängten sich Enten dicht aneinander. Zu Emmas Überraschung stand ein Besucher am Geländer. Seltsam, dass er ausgerechnet die Enten beobachtete. Vielleicht wollte er Geld sparen. Bis auf den Eisbären und ein paar Greifvögel hatten sich die meisten Tiere in die Ställe zurückgezogen. Die Enten boten immer Unterhaltung. Als Emma an ihm vorbeilief, schien er sie gar nicht zu bemerken. Erst als sie ihn höflich grüßte, zuckte er zusammen, drehte sich um und hob den Kopf. Eine hellblonde Locke rutschte ihm in die Stirn. Auf seinem Gesicht lagen Faszination und Traurigkeit. Emma schaute ihn neugierig an. Er nickte ihr kurz zu, dann widmete er sich wieder den Enten, die aufgeregt schnatterten, wohl in der Hoffnung, ein paar Brocken altes Brot abzubekommen. Emma hätte sich gerne zu ihm gestellt und gemeinsam mit ihm den Tieren zugesehen. Doch sie musste weiter. Etwas langsamer lief sie auf das zweistöckige Gebäude zu. Hier und dort hatte das Gelb der Fassade Risse bekommen. Eine Sanierung war nach diesem Winter unabdingbar.

Emma öffnete die breite Eingangstür und trat ein. Über eine geschwungene Holztreppe, die mit einem Teppich ausgelegt war, gelangte man in die Dienstwohnung des Direktors. Emma war noch nie hier oben gewesen. Aber sie wusste aus Erzählungen, dass Alois Kraus sich den gesamten ersten Stock komfortabel eingerichtet hatte. Viele Jahre hatte er hier mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen gewohnt. Jetzt waren seine Kinder längst erwachsen, und seine Frau litt an einer schweren Krankheit, die sie zum Pflegefall gemacht hatte. Angeblich konnte sie weder allein essen noch sich ohne Hilfe ankleiden. Hin und wieder fuhr eine Krankenschwester die arme Frau im Rollstuhl durch den Zoo. Doch Kraus bestand darauf, dass sie das erst machte, wenn alle Besucher und Mitarbeiter den Tiergarten verlassen hatten.

Vor dem Büro hielt Emma an und klopfte an die Tür. Sobald sie ein lautes »Herein!« vernahm, drückte sie die Klinke nach unten.

Behagliche Wärme erfüllte den Raum. Sie stammte von einem Kachelofen in der Ecke. Die Fliesen waren mit Biedermeier-Motiven verziert: Frauen und Männer in altmodischen Trachten. Das Büro des Zoodirektors war im Grunde ein geschmackvoll eingerichteter Wohnraum und kein Arbeitszimmer. An den Wänden hingen Ölgemälde. Die meisten zeigten exotische Tiere, Früchte und Landschaften ferner Kontinente. Zwischen den beiden Fenstern stand ein orientalisch anmutender Keramiktopf mit einer riesigen Pflanze, die genauso gut ins Palmenhaus gepasst hätte. Auf der gegenüberliegenden Wand gab es ein Regal, das mit Büchern und Ordnern bis zur Decke gefüllt war. Davor lud eine bequeme Sitzgarnitur aus Leder zum Verweilen ein. Alois Kraus thronte hinter seinem Schreibtisch, einem Schmuckstück mit Einlegearbeiten, das aus der Zeit Maria Theresias stammte. Der Direktor war auf den Tisch so stolz, dass er das Alter immer wieder betonte.

»Ah, da sind Sie ja. Schließen Sie bitte die Tür, Fräulein Moser, es kommt kalt herein.« Alois Kraus war kein Freund des Winters. Er litt am Rheumatismus und war der Überzeugung, dass seine Beschwerden durch Wärme gelindert wurden. »Bitte nehmen Sie Platz.« Er wies mit seiner ausgestreckten Hand auf den leeren Sessel vor seinem Schreibtisch.

Emma trat näher. Sie schälte sich aus ihrem Wollschal und ihrer dicken Weste. Beides legte sie fein säuberlich zusammen und setzte sich.